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Tragödie in vier Aufzügen
»Mich schuf aus gröberm Stoffe die Natur,
Und zu der Erde zieht mich die Begierde.
Dem bösen Geist gehört die Erde, nicht
Dem guten. Was die Göttlichen uns senden
Von oben, sind nur allgemeine Güter;
Ihr Licht erfreut, doch macht es keinen reich,
In ihrem Staat erringt sich kein Besitz.
Den Edelstein, das allgeschätzte Gold
Muß man den falschen Mächten abgewinnen,
Die unterm Tage schlimmgeartet hausen.
Nicht ohne Opfer macht man sie geneigt,
Und keiner lebet, der aus ihrem Dienst
Die Seele hätte rein zurückgezogen.«
[5]Willy Grétor
gewidmet
Medizinalrat DR. GOLL
DR. SCHÖN, Chefredakteur
ALWA, sein Sohn
SCHWARZ, Kunstmaler
PRINZ ESCERNY, Afrikareisender
SCHIGOLCH
RODRIGO, Artist
HUGENBERG, Gymnasiast
ESCHERICH, Reporter
LULU
GRÄFIN GESCHWITZ, Malerin
FERDINAND, Kutscher
HENRIETTE, Zimmermädchen
Ein BEDIENTER
Die Rolle HUGENBERG wird von einem Mädchen gespielt.
Rechts und links vom Zuschauer aus.
Ein Tierbändiger tritt, nachdem der aufgezogene Vorhang einen Zelteingang hat sichtbar werden lassen, in zinnoberrotem Frack, weißer Krawatte, langen schwarzen Locken, weißen Beinkleidern und Stulpstiefeln, in der Linken eine Hetzpeitsche, in der Rechten einen geladenen Revolver, unter Zimbelklängen und Paukenschlägen aus dem Zelt.
Hereinspaziert in die Menagerie,
Ihr stolzen Herrn, ihr lebenslust’gen Frauen,
Mit heißer Wollust und mit kaltem Grauen
Die unbeseelte Kreatur zu schauen,
Gebändigt durch das menschliche Genie.
Hereinspaziert, die Vorstellung beginnt! –
Auf zwei Personen kommt umsonst ein Kind.
Hier kämpfen Tier und Mensch im engen Gitter,
Wo jener höhnend seine Peitsche schwingt
Und dieses, mit Gebrüll wie Ungewitter,
Dem Menschen mörderisch an die Kehle springt;
Wo bald der Kluge, bald der Starke siegt,
Bald Mensch, bald Tier geduckt am Estrich liegt;
Das Tier bäumt sich, der Mensch auf allen vieren!
Ein eisig kalter Herrscherblick –
Die Bestie beugt entartet das Genick
Und läßt sich fromm die Ferse drauf postieren.
Schlecht sind die Zeiten! – All die Herrn und Damen,
Die einst vor meinem Käfig sich geschart,
Beehren Possen, Ibsen, Opern, Dramen
Mit ihrer hochgeschätzten Gegenwart.
An Futter fehlt es meinen Pensionären,
So daß sie gegenseitig sich verzehren.
Wie gut hat’s am Theater ein Akteur!
[8]Des Fleischs auf seinen Rippen ist er sicher,
Sei auch der Hunger ein ganz fürchterlicher
Und des Kollegen Magen noch so leer. –
Doch will man Großes in der Kunst erreichen,
Darf man Verdienst nicht mit dem Lohn vergleichen.
Was seht ihr in den Lust- und Trauerspielen?! –
Haustiere, die so wohlgesittet fühlen,
An blasser Pflanzenkost ihr Mütchen kühlen
Und schwelgen in behaglichem Geplärr,
Wie jene andern – unten im Paterre:
Der eine Held kann keinen Schnaps vertragen,
Der andre zweifelt, ob er richtig liebt,
Den dritten hört ihr an der Welt verzagen,
Fünf Akte lang hört ihr ihn sich beklagen,
Und niemand, der den Gnadenstoß ihm gibt. –
Das wahre Tier, das wilde, schöne Tier,
Das – meine Damen! – sehn Sie nur bei mir.
Sie sehen den Tiger, der gewohnheitsmäßig,
Was in den Sprung ihm läuft, hinunterschlingt;
Den Bären, der, von Anbeginn gefräßig,
Beim späten Nachtmahl tot zu Boden sinkt;
Sie sehn den kleinen amüsanten Affen
Aus Langeweile seine Kraft verpaffen;
Er hat Talent, doch fehlt ihm jede Größe,
Drum kokettiert er frech mit seiner Blöße;
Sie sehn in meinem Zelte, meiner Seel’,
Sogar gleich hinterm Vorhang ein Kamel! –
Und sanft schmiegt das Getier sich mir zu Füßen,
Wenn – (er schießt ins Publikum)
– donnernd mein Revolver knallt.
Rings bebt die Kreatur; ich bleibe kalt –
Der Mensch bleibt kalt! – Sie ehrfurchtsvoll zu grüßen.
[9]Hereinspaziert! – Sie traun sich nicht herein? –
Wohlan, Sie mögen selber Richter sein!
Sie sehn auch das Gewürm aus allen Zonen:
Chamäleone, Schlangen, Krokodile,
Drachen und Molche, die in Klüften wohnen.
Gewiß, ich weiß, Sie lächeln in der Stille
Und glauben mir nicht eine Silbe mehr –
(er lüftet den Türvorhang und ruft in das Zelt)
He, Aujust! Bring mir unsre Schlange her!
(Ein schmerbäuchiger Arbeiter trägt die Darstellerin der Lulu in ihrem Pierrotkostüm aus dem Zelt und setzt sie vor dem Tierbändiger nieder.)
Sie ward geschaffen, Unheil anzustiften,
Zu locken, zu verführen, zu vergiften –
Zu morden, ohne daß es einer spürt.
(Lulu am Kinn krauend.)
Mein süßes Tier, sei ja nur nicht geziert!
Nicht albern, nicht gekünstelt, nicht verschroben,
Auch wenn die Kritiker dich weniger loben.
Du hast kein Recht, uns durch Miaun und Fauchen
Die Urgestalt des Weibes zu verstauchen,
Durch Faxenmachen uns und Fratzenschneiden
Des Lasters Kindereinfalt zu verleiden!
Du sollst – drum sprech’ ich heute sehr ausführlich –
Natürlich sprechen und nicht unnatürlich!
Denn erstes Grundgesetz seit frühster Zeit
In jeder Kunst war Selbstverständlichkeit!
(Zum Publikum.)
Es ist jetzt nichts Besondres dran zu sehen,
Doch warten Sie, was später wird geschehen:
Mit starkem Druck umringelt sie den Tiger;
Er heult und stöhnt! – Wer bleibt am Ende Sieger?! –
[10]Hopp, Aujust! Marsch! Trag sie an ihren Platz –
(Der Arbeiter nimmt Lulu quer auf die Arme; der Tierbändiger tätschelt ihr die Hüften.)
De süße Unschuld – meinen größten Schatz!
(Der Arbeiter trägt Lulu ins Zelt zurück.)
Und nun bleibt noch das Beste zu erwähnen:
Mein Schädel zwischen eines Raubtiers Zähnen.
Hereinspaziert! Das Schauspiel ist nicht neu,
Doch seine Freude hat man stets dabei.
Ich wag’ es, ihm den Rachen aufzureißen,
Und dieses Raubtier wagt nicht zuzubeißen.
So schön es ist, so wild und buntgefleckt,
Vor meinem Schädel hat das Tier Respekt!
Getrost leg’ ich mein Haupt ihm in den Rachen;
Ein Witz – und meine beiden Schläfen krachen!
Dabei verzicht’ ich auf des Auges Blitz;
Mein Leben setz’ ich gegen einen Witz;
Die Peitsche werf’ ich fort und diese Waffen
Und geb’ mich harmlos, wie mich Gott geschaffen. –
Wißt ihr den Namen, den dies Raubtier führt? – –
Verehrtes Publikum – – Hereinspaziert!!
(Der Tierbändiger tritt unter Zimbelklängen und Paukenschlägen in das Zelt zurück.)
Geräumiges Atelier. – Rechts hinten Entreetür, rechts vorn Seitentür zum Schlafkabinett. In der Mitte ein Podium. Hinter dem Podium eine spanische Wand. Vor dem Podium ein Smyrnateppich. Links vorn zwei Staffeleien. Auf der hinteren das Brustbild eines jungen Mädchens. Gegen die vordere lehnt eine umgekehrte Leinwand. Vor den Staffeleien, etwas gegen die Mitte vorn, eine Ottomane. Darüber ein Tigerfell. Rechts an der Wand zwei Sessel. Im Hintergrund eine Trittleiter.
SCHWARZ UND SCHÖN.
SCHÖN
(auf dem Fußende der Ottomane sitzend, mustert das Brustbild auf der hinteren Staffelei). Wissen Sie, daß ich die Dame von einer ganz neuen Seite kennen lerne?
SCHWARZ
(Pinsel und Palette in der Hand, steht hinter der Ottomane). Ich habe noch niemanden gemalt, bei dem der Gesichtsausdruck so ununterbrochen wechselte. – Es war mir kaum möglich, einen einzigen Zug dauernd festzuhalten.
SCHÖN
(auf das Bild deutend, ihn ansehend). Finden Sie das darin?
SCHWARZ.
Ich habe das Erdenklichste getan, um durch meine Unterhaltung während der Sitzungen wenigstens etwas Ruhe in der Stimmung hervorzurufen.
SCHÖN.
Dann verstehe ich den Unterschied.
SCHWARZ
(taucht den Pinsel ins Ölnäpfchen und überstreicht die Gesichtszüge).
SCHÖN.
Glauben Sie, es wird dadurch ähnlicher?
SCHWARZ.
Man kann nicht mehr tun, als es mit der Kunst so gewissenhaft wie möglich nehmen.
SCHÖN.
Sagen Sie mal …
SCHWARZ
(zurücktretend). Die Farbe ist auch wieder etwas eingeschlagen.
SCHÖN
(ihn ansehend). Haben Sie jemals in Ihrem Leben ein Weib geliebt?
[12]SCHWARZ
(geht auf die Staffelei zu, setzt eine Farbe auf und tritt auf der anderen Seite zurück). Der Stoff ist noch nicht genügend abgehoben. Man sieht noch nicht recht, daß ein lebender Körper darunter ist.
SCHÖN.
Ich zweifle nicht daran, daß die Arbeit gut ist.
SCHWARZ.
Wenn Sie hierhertreten wollen.
SCHÖN
(sich erhebend). Sie müssen ihr wahre Schauergeschichten erzählt haben.
SCHWARZ.
So weit wie möglich zurück.
SCHÖN
(zurücktretend, stößt die an die vordere Staffelei gelehnte Leinwand um). Pardon …
SCHWARZ
(den Rahmen aufhebend). O bitte …
SCHÖN
(betroffen). Was ist das …
SCHWARZ.
Kennen Sie sie?
SCHÖN.
Nein.
SCHWARZ
(setzt das Bild auf die Staffelei. Man sieht eine Dame als Pierrot gekleidet mit einem hohen Schäferstab in der Hand). Ein Kostümbild.
SCHÖN.
Die ist Ihnen aber gelungen.
SCHWARZ.
Sie kennen sie?
SCHÖN.
Nein. Und in dem Kostüm?
SCHWARZ.
Es fehlt noch die ganze Ausführung.
SCHÖN.
Na ja.
SCHWARZ.
Was wollen Sie. Während sie mir steht, habe ich das Vergnügen, ihren Mann zu unterhalten.
SCHÖN.
Sagen Sie …
SCHWARZ.
Über Kunst natürlich, um mein Glück zu vervollständigen.
SCHÖN.
Wie kommen Sie denn zu der reizenden Bekanntschaft?
SCHWARZ.
Wie man dazu kommt. Ein steinalter, wackliger Knirps fällt mir hier herein, ob ich seine Frau malen könne. Nun natürlich, und wenn sie runzlig wie Mutter Erde ist. Andern Tags Punkt zehn fliegen die Türen auf, und der Schmerbauch treibt dies Engelskind vor sich her. Ich fühle jetzt noch, wie mir die Knie schwankten. Ein stocksteifer, [13]saftgrüner Lakai mit einem Paket unter dem Arm. Wo die Garderobe sei. Denken Sie sich meine Lage. Ich öffne die Tür da (nach rechts deutend). Nur ein Glück, daß schon alles in Ordnung war. Das süße Geschöpf huscht hinein, und der Alte postiert sich als Schanzkorb davor. Zwei Minuten darauf tritt sie in diesem Pierrot heraus. (Den Kopf schüttelnd). Ich habe nie so was gesehen. (Geht nach rechts und starrt an die Schlafzimmertür hin).
SCHÖN
(der ihm mit dem Blick gefolgt). Und der Schmerbauch steht Schildwache?
SCHWARZ
(sich umwendend). Der ganze Körper im Einklang mit dem unmöglichen Kostüm, als wäre er darin zur Welt gekommen. Ihre Art, die Ellbogen in die Taschen zu vergraben, die Füßchen vom Teppich zu heben – mir schießt oft das Blut zu Kopf …
SCHÖN.
Das sieht man dem Bild an.
SCHWARZ
(kopfschüttelnd). Unsereiner, wissen Sie …
SCHÖN.
Hier führt das Modell die Konversation.
SCHWARZ.
Sie hat den Mund noch nicht aufgetan.
SCHÖN.
Ist’s möglich!
SCHWARZ.
Erlauben Sie, daß ich Ihnen das Kostüm zeige. (Nach rechts ab.)
SCHÖN
(allein, vor dem Pierrot). Eine Teufelsschönheit. (Vor dem Brustbild.) Hier ist mehr Fond. (Nach vorn kommend.) Er ist noch etwas jung für sein Alter.
SCHWARZ
(kommt mit einem weißen Atlaskostüm zurück). Was das für Stoff sein mag?
SCHÖN
(den Stoff befühlend). Atlas.
SCHWARZ.
Und alles in einem Stück.
SCHÖN.
Wie kommt man denn da hinein?
SCHWARZ.
Das kann ich Ihnen nicht sagen.
SCHÖN
(das Kostüm bei den Beinen nehmend). Diese riesigen Hosenpfeifen!
SCHWARZ.
Die linke rafft sie hinauf.
SCHÖN
(auf das Bild sehend). Bis übers Knie!
SCHWARZ.
Sie macht das zum Entzücken.
[14]SCHÖN.
Und transparente Strümpfe?
SCHWARZ.
Die wollen nämlich gemalt sein.
SCHÖN.
Oh, das können Sie.
SCHWARZ.
Dabei von einer Koketterie!
SCHÖN.
Wie kommen Sie auf den entsetzlichen Verdacht?
SCHWARZ.
Es gibt Dinge, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt. (Trägt das Kostüm in sein Schlafzimmer.)
SCHÖN
(allein). Wenn man schläft …
SCHWARZ
(kommt zurück, sieht nach der Uhr). Wenn Sie übrigens ihre Bekanntschaft machen wollen …
SCHÖN.
Nein.
SCHWARZ.
Sie müssen im Augenblicke hier sein.
SCHÖN.
Wie oft wird denn die Dame noch sitzen müssen?
SCHWARZ.
Ich werde die Tantalusqual wohl noch ein Vierteljahr zu erdulden haben.
SCHÖN.
Ich meine die andere.
SCHWARZ.
Entschuldigen Sie. Dreimal höchstens. (Ihn zur Tür geleitend.) Wenn mir die Dame dann nur ihre Taille dalassen will.
SCHÖN.
Mit Vergnügen. Lassen Sie sich bald wieder bei mir sehen. (Stößt in der Tür auf Dr. Goll und Lulu.) In Gottes Namen!
Dr. Goll. Lulu. Die Vorigen.
SCHWARZ.
Darf ich vorstellen …
GOLL
(zu Schön). Was treiben denn Sie hier?
SCHÖN
(Lulu die Hand küssend). Frau Medizinalrat.
LULU.
Sie wollen doch nicht schon gehen?
GOLL.
Welcher Wind führt denn Sie hierher?
SCHÖN.
Ich habe mir das Bild meiner Braut angesehen.
LULU
(nach vorn kommend). Ihre Braut ist hier?
GOLL.
Sie lassen hier also auch arbeiten?
[15]LULU
(vor dem Brustbild). Sieh da! Bezaubernd! Entzückend!
GOLL
(sich umsehend). Sie halten sie wohl hier irgendwo versteckt?
LULU.
Das ist also das süße Wunderkind, das Sie zu einem Menschen gemacht …
SCHÖN.
Sie sitzt meistens am Nachmittag.
GOLL.
Und davon erzählen Sie einem nichts?
LULU
(sich umwendend). Ist sie denn wirklich so ernst?
SCHÖN.
Wohl noch die Nachwirkung der Pensionszeit, gnädige Frau.
GOLL
(vor dem Brustbild). Man sieht, daß Sie eine tiefgehende Wandlung durchgemacht haben.
LULU.
Nun dürfen Sie sie aber auch nicht mehr länger warten lassen.
SCHÖN.
In vierzehn Tagen denke ich unsere Verlobung bekanntzumachen.
GOLL
(zu Lulu). Laß uns keine Zeit verlieren. Hopp!
LULU
(zu Schön). Denken Sie, wir fuhren im Trab über die neue Kaibrücke. Ich habe selber kutschiert.
SCHÖN
(will sich verabschieden).
GOLL.
Nein, nein. Wir beide sprechen nachher weiter. Geh, Nelli. Hopp!
LULU.
Jetzt kommt’s an mich!
GOLL.
Unser Apelles leckt sich schon die Pinsel ab.
LULU.
Ich hatte mir das viel amüsanter vorgestellt.
SCHÖN.
Sie haben dabei immerhin die Genugtuung, uns den seltensten Genuß zu bereiten.
LULU
(nach rechts gehend). Na, warten Sie nur.
SCHWARZ
(vor der Schlafzimmertür). Wenn Frau Obermedizinalrat so freundlich sein wollen. (Schließt die Tür hinter ihr und bleibt davor stehen.)
GOLL.
Ich habe sie in unserm Ehekontrakt nämlich Nelli getauft.
SCHÖN.
So? – Ja.
GOLL.
Was halten Sie davon?
SCHÖN.
Warum nennen Sie sie nicht lieber Mignon?
[16]GOLL.
Das wäre auch was. Daran habe ich nicht gedacht.
SCHÖN.
Glauben Sie, daß der Name soviel dabei ausmacht?
GOLL.
Hm – Sie wissen, ich habe keine Kinder.
SCHÖN
(sein Zigarettenetui aus der Tasche nehmend). Sie sind doch aber auch erst ein paar Monate verheiratet.
GOLL.
Danke. Ich wünsche mir keine.
SCHÖN.
Rauchen Sie ein Zigarette?
GOLL
(sich bedienend). Ich habe an dem einen vollkommen genug. (Zu Schwarz.) Sagen Sie mal, was macht denn eigentlich Ihre kleine Tänzerin?
SCHÖN
(sich nach Schwarz umwendend). Sie und eine Tänzerin?
SCHWARZ.
Die Dame saß mir damals nur aus Gefälligkeit. Ich kenne die Dame von einem Ausflug des Cäcilienvereins her.
GOLL
(zu Schön). Hm – ich glaube, wir kriegen anderes Wetter.
SCHÖN.
Das geht wohl nicht so rasch mit der Toilette?
GOLL.
Das geht wie der Blitz! Die Frau muß Virtuosin in ihrem Fach sein. Das muß jeder von uns in seinem Fach, wenn das Leben nicht zur Bettelei werden soll. (Ruft.) Hopp, Nelli!
SCHWARZ
(an der Tür). Frau Obermedizinalrat!
LULU
(von innen). Gleich, gleich.
GOLL
(zu Schön). Ich begreife solche Stockfische nicht.
SCHÖN.
Ich beneide sie. Diese Stockfische kennen nichts Heiligeres als ihr Hungertuch. Sie fühlen sich reicher als unsereiner mit 30 000 Mark Renten. Sie können übrigens nicht über einen Menschen urteilen, der von Kindesbeinen an von der Palette in den Mund gelebt hat. Nehmen Sie es auf sich, ihn zu finanzieren. Es ist ein Rechenexempel. Mir fehlt der moralische Mut. Man verbrennt sich auch leicht die Finger …
LULU
(als Pierrot aus dem Schlafzimmer tretend). Da bin ich.
SCHÖN
(wendet sich um, nach einer Pause). Superb!
LULU
(tritt näher). Nun?
SCHÖN.
Sie beschämen die kühnste Phantasie.
LULU.
Wie gefall’ ich Ihnen?
[17]SCHÖN.
Ein Bild, vor dem die Kunst verzweifeln muß.
GOLL.
Finden Sie nicht auch?
SCHÖN
(zu Lulu). Sie wissen doch wohl nicht recht, was Sie tun.
LULU.
Ich bin mir meiner vollkommen bewußt!
SCHÖN.
Dann dürften Sie etwas besonnener sein.
LULU.
Ich tue ja doch nur meine Schuldigkeit.
SCHÖN.
Sie sind gepudert?
LULU.
Was fällt Ihnen ein!
GOLL.
Sie hat eine weiße Haut, wie ich sie noch nirgends gesehen habe. Ich habe unserem Raffael auch gesagt, er möge sich mit dem Fleisch nur ja so wenig wie möglich abgeben. Ich kann mich einmal für die moderne Klexerei nicht begeistern.
SCHWARZ
(an den Staffeleien, seine Farben präparierend). Dem Impressionismus dankt es die heutige Kunst jedenfalls, daß sie sich alten Meistern ohne Erröten an die Seite stellen darf.
GOLL.
Für ein Stück Schlachtvieh mag sie ja ganz angebracht sein.
SCHÖN.
Nur um Gottes willen keine Aufregung!
LULU
(fällt Goll um den Hals und küßt ihn).
GOLL.
Man sieht dein Negligé. Du mußt es herunterziehen.
LULU.
Ich hätte es am liebsten weggelassen. Es geniert nur.
GOLL.
Er wäre imstande und malte es hin.
LULU
(nimmt den Schäferstab, der an der spanischen Wand lehnt, auf das Podium steigend, zu Schön). Was würden Sie jetzt sagen, wenn Sie zwei Stunden Parade stehen müßten?
SCHÖN.
Meine Seele verschriebe ich dem Teufel, um mit Ihnen tauschen zu dürfen.
GOLL
(sich rechts setzend). Kommen Sie hierher. Hier ist nämlich mein Beobachtungsposten.
LULU
(das linke Beinkleid bis zum Knie hinaufraffend, zu Schwarz). So?
SCHWARZ.
Ja …
LULU
(es um eine Idee höher raffend). So?
[18]SCHWARZ.
Ja, ja …
GOLL
(zu Schön, der auf dem Sessel neben ihm Platz genommen hat, mit einer Handbewegung). Ich finde sie nämlich von hier aus noch vorteilhafter.
LULU
(ohne sich zu rühren). Ich bitte sehr! Ich bin von allen Seiten gleich vorteilhaft.
SCHWARZ
(zu Lulu). Das rechte Knie weiter vor, bitte.
SCHÖN
(mit einer Geste). Der Körper zeigt vielleicht feinere Linien …
SCHWARZ.
Die Beleuchtung ist heute zum mindesten halbwegs erträglich.
GOLL.
Sie müssen sie flott hinwerfen! Fassen Sie Ihren Pinsel etwas länger!
SCHWARZ.
Gewiß, Herr Medizinalrat.
SCHÖN.
Behandeln Sie sie als Stilleben!
SCHWARZ.
Gewiß, Herr Doktor. (Zu Lulu.) Sie pflegten den Kopf um eine Idee höher zu halten, Frau Medizinalrat.
LULU
(den Kopf hebend). Malen Sie mir die Lippen etwas geöffnet.
SCHÖN.
Malen Sie Schnee auf Eis. Wenn Sie sich dabei erwärmen, dann wird Ihre Kunst sofort unkünstlerisch.
SCHWARZ.
Gewiß, Herr Doktor!
GOLL.
Die Kunst, wissen Sie, muß die Natur so wiedergeben, daß man wenigstens geistig dabei genießen kann!
LULU
(den Mund etwas öffnend, zu Schwarz). So – sehen Sie. So halte ich sie halb geöffnet.
SCHWARZ.
Sobald die Sonne kommt, wirft die Mauer von gegenüber warme Reflexe herein.
GOLL
(zu Lulu). Du mußt dich in deiner Stellung überhaupt so verhalten, als ob unser Velasquez hier gar nicht vorhanden wäre.
LULU.
Ein Maler ist doch auch eigentlich gar kein Mann.
SCHÖN.
Ich glaube nicht, daß Sie von einer rühmlichen Ausnahme so ohne weiteres auf die ganze Zunft schließen dürfen.
SCHWARZ
(von der Staffelei zurücktretend). Ich hätte mir im [19]vergangenen Herbst doch lieber ein anderes Atelier mieten müssen.
SCHÖN
(zu Goll). Was ich fragen wollte – haben Sie die kleine O’Morphi schon als peruanische Perlenfischerin gesehen?
GOLL.
Morgen sehe ich sie mir zum viertenmal an. Der Fürst Polossow führte mich hin. Sein Haar ist vor Entzücken schon wieder dunkelblond geworden.
SCHÖN.
Sie finden sie also auch so fabelhaft?
GOLL.
Wer will das je im voraus beurteilen!
LULU.
Ich glaube, es hat geklopft.
SCHWARZ.
Entschuldigen Sie mich einen Augenblick. (Geht zur Türe und öffnet.)
GOLL.
Du darfst ihn getrost etwas unbefangener anlächeln.
SCHÖN.
Dem macht das gar nichts.
GOLL.
Und wenn! – Wozu sitzen wir beide denn hier!
Alwa Schön. Die vorigen.
ALWA
(noch hinter der spanischen Wand). Darf man eintreten?
SCHÖN.
Mein Sohn.
LULU.
Das ist ja Herr Alwa!
GOLL.
Kommen Sie nur ungeniert herein!
ALWA
(vortretend, reicht Schön und Goll die Hand). Herr Medizinalrat … (Sich nach Lulu umwendend.) Seh ich recht? – Wenn ich Sie doch nur für meine Hauptrolle engagieren könnte!
LULU.
Ich würde für Ihr Stück wohl kaum gut genug tanzen.
ALWA.
Aber Sie haben doch einen Tanzlehrer, wie man ihn an keiner Bühne Europas findet!
SCHÖN.
Was führt dich denn hierher?
GOLL.
Sie lassen hier wohl auch insgeheim irgend jemanden porträtieren?
ALWA
(zu Schön). Ich wollte dich zur Generalprobe abholen.
SCHÖN
(erhebt sich).
GOLL.
Lassen Sie denn heute schon in vollem Kostüm tanzen?
[20]ALWA.
Versteht sich. Kommen Sie mit. In fünf Minuten muß ich auf der Bühne sein. (Zu Lulu.) Ich Unglücklicher!
GOLL.
Ich habe ganz vergessen – wie nennt sich doch Ihr Ballett?
ALWA.
»Dalailama«.
GOLL.
Ich glaubte, der wäre im Irrenhaus.
SCHÖN.
Sie meinen Nietzsche, Herr Sanitätsrat.
GOLL.
Sie haben recht. Ich verwechsle die beiden.
ALWA.
Ich habe dem Buddhismus auf die Beine geholfen.
GOLL.
An den Beinen erkennt man den Bühnendichter.
ALWA.
Die Corticelli tanzt den jugendlichen Buddah, als hätte sie am Ganges das Licht der Welt erblickt.
SCHÖN.
Solang die Mutter noch lebte, tanzte sie mit den Beinen …
ALWA.
Als sie dann frei wurde, tanzte sie mit dem Verstande …
GOLL.
Jetzt tanzt sie mit dem Herzen!
ALWA.
Wenn Sie sie sehen wollen?
GOLL.
Danke.
ALWA.
Kommen Sie doch mit!
GOLL.
Unmöglich!
SCHÖN.
Wir haben übrigens keine Zeit zu verlieren.
ALWA.
Kommen Sie mit, Herr Medizinalrat. Im dritten Akt sehen Sie Dalailama in seinem Kloster, mit seinen Mönchen …
GOLL.
Mir wäre es lediglich um den jugendlichen Buddah zu tun.
ALWA.
Was hindert Sie denn?
GOLL.
Es geht nicht. Es geht nicht.
ALWA.
Wir gehen nachher zu Peters. Da können Sie Ihrer Bewunderung Ausdruck geben.
GOLL.
Dringen Sie nicht weiter in mich. Ich bitte Sie.
ALWA.
Sie sehen die zahmen Affen, die beiden Brahmanen, die kleinen Mädchen …
GOLL.
Bleiben Sie mir nur um Gottes willen mit den kleinen Mädchen vom Halse!
[21]LULU.
Reservieren Sie uns eine Proszeniumsloge auf Montag, Herr Alwa!
ALWA.
Wie konnten gnädige Frau daran zweifeln.
GOLL.
Wenn ich zurückkomme, hat mir der Höllenbreugel das ganze Bild verpatzt!
ALWA.
Das wäre doch kein Unglück. Das läßt sich übermalen.
GOLL.
Wenn man dem Caravacci nicht jeden Pinselstrich expliziert …
SCHÖN.
Ich halte Ihre Befürchtungen übrigens für unbegründet.
GOLL.
Das nächste Mal, meine Herren!
ALWA.
Die Brahmanen werden ungeduldig! Die Töchter Nirvanas schlottern in ihren Trikots!
GOLL.
Verdammte Klexerei!!
SCHÖN.
Man wird uns auszanken, daß wir Sie nicht mitbringen.
GOLL.
In fünf Minuten bin ich zurück. (Stellt sich links vorn hinter Schwarz und vergleicht das Bild mit Lulu.)
ALWA
(zu Lulu). Mich ruft leider die Pflicht, gnädige Frau.
GOLL
(zu Schwarz). Sie müssen hier ein wenig mehr modellieren. Das Haar ist schlecht. Sie sind nicht genug bei der Sache …
ALWA.
Kommen Sie.
GOLL.
Nun nur hopp! Zu Peters bringen mich keine zehn Pferde.
SCHÖN
(Alwa und Goll folgend). Wir nehmen meinen Wagen, der unten steht.