Kalevala – das finnische Epos

Erster Väinämöinen-Zyklus

1. Gesang

Nachdenklich ließ der Sänger seinen Blick über die weite, von einem blauen Himmel überspannte Landschaft schweifen. Das Herz schwoll ihm in der Brust, so sehr liebte er seine Heimat, dieses wilde, ungezähmte Land. Und er erinnerte sich an die alten Sagen und Mythen, an die Lieder über das Sampo und die Zauberin Louhi oder den alten Väinämöinen. An all die Gestalten aus fernen Zeiten, von denen seine Mutter ihm sang, während am Spinnrad der Wollfaden durch ihre flinken Finger glitt. Und er dachte an seinen Vater, wenn er einen neuen Schaft für sein Beil schnitzte und ihm dabei von Ilmarinen, dem Schmied, vom Nordland und von Kalevala erzählte.

Er dachte daran, wie er als Hirtenknabe durch die Heide schweifte und ihm die blumenbedeckten Wiesen und die goldenen Hügel ihre Geheimisse offenbarten. Selbst die klirrende Kälte, der prasselnde Regen, die aus weiter Ferne kommenden Winde sangen ihm ihre Lieder. Das Zwitschern der Vögel wurde ihm zu Worten, die Wellen des Meeres und die rauschenden Baumwipfel erzählten ihre Geschichten.

„Lange hortete ich die, wie zu einem Bündel verknoteten Erinnerungen“ sagte sich der Sänger. „Soll ich es wagen, den Knoten zu lösen? Ja, mein Lied soll erklingen, vom Morgen bis zum Abend.“ Und so begann der Sänger zu erzählen:

Einsam schwebte Ilmatar, die Tochter der Lüfte durch den unendlichen Raum. Lange wurde ihr die Zeit und so ließ sie sich langsam in die Wellen des unendlichen Meeres niedersinken. Da erhob sich von Osten ein tosender Sturm, das Meer begann zu schäumen und wütende Wellen umtosten die Jungfrau. Als der Sturm sich gelegt und die Wellen sie sanft wiegten, fühlte sie, dass sie ein Kind des Sturmes unter ihrem Herzen trug. Doch dieses Kind wollte nicht geboren werden. Es vergingen Tage, Monate, Jahre und sie litt starke Schmerzen. Siebenhundert Jahre schwamm Ilmatar durch das Meer, ohne dass sie ihr Kind gebären konnte.

Sie begann herzzerreißend zu weinen: „Wehe mir! Kam ich aus den Lüften, um nun als Wassermutter im kalten Meer mein Dasein zu fristen? Ach, wäre ich doch in den Lüften geblieben!“

Und sie hob ihr Gesicht zum Himmel: „Ukko, Gott des Donners, der du den Himmel trägst. Erlöse mich von meinen Schmerzen.“

Einen Augenblick später flog eine Ente mit glänzendem Gefieder über sie hinweg. Sie flog in alle Himmelsrichtungen um einen Platz zu finden, wo sie ihr Nest bauen könnte. Da hob Ilmatar ihre Schultern und Knie aus den Wogen. Und die Ente hielt das Knie für einen sanften, grasbewachsenen Hügel inmitten des Meeres, schwebte herab und lies sich darauf nieder. Zutraulich baute sie ein Nest, legte sechs goldene Eier und eines aus Eisen und begann sie auszubrüten. Am dritten Tage bemerkte Ilmatar, dass ihre Haut immer wärmer und wärmer wurde. Ja, sie glaubte gar, das Knie würde ihr brennen und die Glut ihre Adern schmelzen. Sie schüttelte ihre Glieder, so dass die Eier in die Fluten stürzten und zerbrachen. Doch die Stücke sanken nicht in den Schlamm auf dem Meeresgrund. Nein, sie verwandelten sich wundersam:

Aus der unteren Hälfte des Eies entstand die Wölbung der Erde, aus der oberen der weitgespannte Himmelsbogen, das Gelbe des Eies wandelte sich zur strahlenden Sonne, das Weiße zum Mond. Alles Helle in dem Ei wurde zu glänzenden Sternen, das Dunkle aber zu Wolken. Die Zeit zog dahin, und noch immer ließ sich Ilmatar unter dem Leuchten der Sonne, im Glanz des Mondes, durch das Meer treiben.

Nach neun Jahren begann die Jungfrau die Welt zu formen: dort, wohin sie ihre Hand bewegte, entstanden Landspitzen, was sie mit den Füßen berührte, wurde zu fischreichen Gruben. Wo sie tief ins Wasser tauchte, senkte sich der Meeresgrund. Wohin sie ihre Hüften drehte entstanden flache Ufer, und Lachsschluchten erschuf sie mit den Füßen. Und wenn ihr Haupt sich dem Land näherte, erschienen breite Buchten.

Auf dem Rücken langsam durch die Fluten gleitend, ließ Ilmatar steile Klippen aus dem Meere hochwachsen oder, in seinen Tiefen verborgen, gefährlich Riffe entstehen. Bald umgaben Ilmatar hohe zerklüftete Felsen und bunte Felder und Wiesen. Doch noch weitere dreißig Jahre ruhte ihr Sohn in ihrem Leib, dessen Namen Väinämöinen sein sollte. Der aber dachte verdrossen: „Soll ich ewig in diesem dunklen Raume leben, den nie ein Sonnenstrahl erreicht? Ich möchte wie ein Menschenkind unter dem Himmel auf der Erde wandern und den Mond, die Sonne und die Sterne sehen.“

Und so drängte er sich durch den Körper seiner Mutter und stürzte in die Fluten des Meeres. Dort blieb er noch sieben, ja gar acht Jahre lang. Eines Tages aber gelangte er zu einer Landzunge. Er kroch auf den baumlosen Strand und blickte staunend auf den glänzenden Mond, die strahlende Sonne und die blinkenden Sterne. Und so war Ilmatars Sohn, der große Väinämöinen, endgültig geboren.

2. Gesang

Väinämöinen streifte viele Jahre durch das kahle einsame Eiland, wo der einzige Laut, der an sein Ohr drang, das Rauschen der Wellen war. Eines Tages aber wollte er erkunden, wer das Land bestellte. Der fleißige Sampsa Pellerwoinen war´s! Der streute den Samen über das Land, über die Sümpfe und die Haine, streute den Samen der Tannen auf die Berge, den der Fichten auf die Hügel und des Heidekrauts über die noch nackte Heide.

Die zarten Birkenschößlinge setzte er in die Täler und die der Erlen in die lockeren Böden des Landes. Der Faulbaum bekam seinen Platz in der feuchten Erde und dort, wo der Boden weich war, pflanzte Sampsa die Weidenbäume. An heiligen Orten sollten die Sperberbäume wachsen und nahe den Seen und Flüssen die Wasserweiden. Der schlechte Boden genügte dem Wachholder. Die breiten Ströme aber säumten Eichenbäume.

Schon bald zierten zartgrüne Spitzen die Fichten, die Föhren dehnten sich in die Breite und die Birken reckten sich der Sonne entgegen. Dunkle Beeren zierten den Wachholder und gelb leuchteten die Früchte des Faulbeerbaumes. Und Väinämöinen erfreute sich an all dem Blühen und Sprießen. Nur die Eiche wollte keine Wurzeln schlagen. Da erblickte Väinämöinen an der Spitze des Eilandes fünf Wasserbräute, die auf der taufeuchten Wiese das nasse Gras mähten und es in Schwaden zusammenrechten.

Und plötzlich erhob sich aus dem schäumenden Meere ein gewaltiger Riese. Der zerrieb das gemähte Gras bis es sich entzündete und die Flammen hoch aufloderten. Als das Feuer erloschen und nur noch staubgraue Asche übrig geblieben war, gab der Riese vorsichtig eine Eichel hinein. Und bald darauf lugte ein zarter, grüner Spross hervor, drängte ans Licht, breitete seine Äste aus und wollte nicht mehr aufhören zu wachsen. Schon berührte seine Krone den Himmel und hinderte die Wolken daran, ihres Weges zu ziehen, verdrängte das Strahlen der Sonne und das Leuchten des Mond. Wie sollten die Menschen leben, wenn sie nie mehr die Sonne sehen könnten, wenn der Mond nie mehr ihre dunklen Nächte erhellen würde? dachte Väinämöinen traurig.

Wer aber konnte diese mächtige Eiche fällen? Er wandte sich an seine Mutter Ilmatar. „Mutter, die du mich geboren hast. Verleihe mir die Kraft des Wassers, um diese Eiche zu stürzen, dass das Licht der Sonne uns wieder scheine und der Mond uns wieder leuchte.“ Siehe, da stieg aus den Wogen des Meeres ein Mann empor, nur so groß wie der Daumen eines Mannes oder die Spanne eines Weibes. Kupfern leuchtete seine Mütze, seine Stiefel und seine Handschuhe. Ebenso sein Gürtel und sein Beil, dessen Schneide nicht größer als ein Nagel war. Väinämöinen betrachtete den kleinen Mann erstaunt und dachte: „Er hat wohl das Aussehen eines Mannes, tritt wie ein Held auf, doch er ist nicht größer als ein Daumen“. Er sprach den Kleinen an: „Du scheinst zwar ein Mann, aber ein jämmerlicher Held zu sein.“

Der jedoch antwortete ihm: „Ich bin sehr wohl einer von dem Heldenvolke aus dem Wasser. Ich kam, um den Eichenbaum zu fällen:“ „Hahaha“, lachte Väinämoinen. „Niemals hast du solche Kräfte.“ Kaum hatte er die Worte gesprochen, verwandelte sich das Männlein vor seinen Augen in einen Riesen, dessen Haupt bis zu den Wolken reichte, sein Bart hing ihm bis zu den Knien, die Haare bis zu den Fersen. Behände schärfte er mit sieben Schleifsteinen die Schneide seines Beiles. Während der Wind seine weiten Hosen flattern ließ, ging er mit nur drei Schritten schwankend über den lockeren Sandboden und die braune Erde, hin zu der mächtigen Eiche.

Schon schlug der Riese sein scharfes Beil in den Stamm, das zweite und das dritte Mal. Die Klinge sprühte Funken und Feuer züngelte aus dem Holz. Mit dem dritten Hiebe fiel der gewaltige Baum zur Erde.

Seine Wipfel warf er nach Westen, den Stamm nach Osten. Die Blätter schleuderte er nach Süden, die Äste nach Norden. Wohl dem, der einen Zweig genommen hatte, denn der gewährte ihm ewiges Wohlergehen. Wer einen Wipfel nahm, erhielt ewige Zauberkraft, und wer sich etwas von dem Laube abgeschnitten hatte, dem wurde ewige Wonne zuteil. Was an Spänen aber zum Meere hin geflogen war, trugen die Wellen gleich kleinen Booten zum Nordland hin.

Dort kniete auf einer Landzunge eine Jungfrau und wusch ihre Kleider. Als sie die Späne auf den Wellen tanzen sah, beugte sie sich vor, sammelte sie sorgsam ein und trug sie in einen Beutel nach Hause. Im Lande Väinämöinens aber entfaltete die Erde ihre ganze Pracht, nachdem die gewaltige Eiche gefällt war und die Sonne wieder ihre volle Kraft entfalten konnte, die Wolken ihre Freiheit erhalten und das Mondlicht die Nächte erhellte. In den Bäumen sangen die Vögel, würzige Kräuter sprossen aus der Erde, auf den Wiesen blühten die Blumen in farbiger Pracht und die vielfältigsten Pflanzen bedeckten bald das ganze Land. Nur die Gerstensaat wollte nicht aufgehen.

Über dieses Rätsel grübelnd, wanderte Väinämöinen zum Ufer des Meeres, wo er, im lockeren Sande zu seinem Erstaunen sieben Gerstenkörner fand. Sorgsam barg er die Körner in einem Marderfell um sie auszusäen. Als er beginnen wollte, sah er, wie über ihm in einem Baum eine kleine Meise aufgeregt hin- und herflatterte und ihn ermahnte: „Die Gerste wird niemals gedeihen, wenn du die Waldung nicht rodest, den Boden vorbereitest und mit Feuer urbar machst.“

Väinämöinen befolgte den Rat des kleinen Vogels und begann eine Lichtung in den Wald zu schlagen. Er fällte die Bäume, nur eine schlanke Birke ließ er stehen. Da kam vom Himmel ein stolzer Adler herangeflogen. Der König der Lüfte ließ sich auf der Birke nieder und wandte sich an Väinämöinen: „Warum fällt diese Birke nicht deinem Beil zum Opfer?“ „Damit ihr Vögel einen Ruheplatz findet, “ antwortete der.

„Ich danke dir für deine Sorge um uns Vögel“, entgegnete der Adler und er begann so heftig mit den Flügeln zu schlagen, bis Funken aus den Federn stoben und über das gerodete Land Flammen loderten und es versengten, bis nur noch Asche übrig war. Darauf holte Väinämöinen die sieben Samenkörner hervor und während er sie über den nun so vorbereiteten Boden säte, sprach er: „Erdenmutter, bringe die Körner zum Wachsen. Gib ihnen Kraft, dass die Halme sich aufrichten, tausend Ähren sich hundertfach verbreiten! Und du, Ukko dort oben, du Wolkenlenker, lass Regen aus dem Himmel fallen.“ Und Ukko, der Donnergott, schickte Wolken von Osten, Westen und Süden und sandte Regen auf die Erde. Nach einigen Tagen schon sah Väinämöinen, wie sich um die einsame Birke herum die Ähren im Winde bogen. Da ließ sich ein Kuckuck auf der Birke nieder. Neugierig fragte er: „Warum blieb der Baum stehen?“

„Damit du hier zum Wachstum des Waldes, zum Gedeihen dieses Landes und für das Wachsen des Ährenfeldes singen kannst.“ erwiderte Väinämöinen.

3. Gesang

So lebte Väinämöinen zufrieden auf den Fluren Wäinölas und Kalevalas. Und er begann zu singen. Er sang weise von den alten Geschichten, vom Ursprung aller Dinge. Weithin verbreitete sich die Kunde von den Liedern des großen Väinämöinen, vom Süden bis hinauf ins ferne Nordland.

Dort lebte Joukahainen, ein kecker Jüngling. Als er von Väinämöinens Sangeskunst hörte, packte ihn der Neid, denn er hielt sich selbst für den besten Sänger weit und breit. Darum teilte er seinen Eltern mit, dass er beabsichtige, nach Väinöla zu gehen, um mit Väinämöinen in einen Sangeswettstreit zu treten. „Oh, nein. Du kannst nicht gegen den großen Väinämöinen antreten! Man wird dich dort gefangen nehmen“, jammerten seine Eltern.

„Vater und Mutter“, antwortete ihnen Joukahainen, „Ich weiß wohl, dass euer Wissen größer ist als meines. Doch ich achte mein eigenes Wissen am Höchsten. Ich werde Väinämöinen zum Wettstreit auffordern und meine eigenen Lieder so singen, dass selbst der beste Sänger dagegen wie der schlechteste erscheinen wird.“

Stolz aufgerichtet fuhr der Jüngling fort sich selbst zu rühmen: „Er wird sich fühlen, als ob seine Füße in steinernen Stiefeln stecken würden, seine Hüfte von Hosen aus Holz umschlossen und ein Bogen aus Stein auf seinen Schultern lasten würde.“ Er spannte das feurigste Pferd vor einen goldenen Schlitten, sprang hinein und schwang seine perlenbesetzte Peitsche. Ungestüm jagte das Pferd von dannen. Drei Tage dauerte die wilde Fahrt, bis er die Flure Väinölas und Kalevalas erreichte.

Dort fuhr Väinämöinen in seinem Schlitten gemächlich durch sein verschneites Land, als ihm der junge Joukahainen mit seinem Schlitten entgegen stürmte. Deichsel streift Deichsel, Riemen rieb an Riemen und Kummet schlug gegen Kummet. Ärgerlich wandte sich der alte Mann an den Jüngling: „Wo kommst du denn her, dass du so unbeholfen daher gefahren kommst? Da, sieh, du hast meinen Schlitten beschädigt.“ Hochmütig antwortete der junge Mann: „Ich bin Joukahainen! Aber du, wo bist du denn zu Hause und von welcher schlechter Sippe stammst du denn ab?“

Väinämöinen zog die Brauen zusammen und herrschte den Jüngeren an: „Nun, Joukahainen, da du jünger bist als ich, gehe mir aus dem Wege.“

Doch der antwortete: „Hier zählt nicht das Mannesalter, nur wer mehr Weisheit besitzt. Der andere muss weichen.“ Er fasste den älteren Mann genauer ins Auge: „Alter, bist du denn nicht Väinämöinen? Der Zaubersänger? He, mit dir will ich mich im Sangeswettstreit messen.“

„Ich werde wohl nicht allzu viel zu singen haben“, entgegnete der. „Ich habe ja mein ganzes Leben hier in diesem Lande verbracht und nur des Kuckucks Lied gehört. Doch“, schmunzelte er, „sag, du Goldknabe, was weißt du denn mehr als alle anderen?“

„Ha“, schlug sich der junge Heißsporn in die Brust, „ ich weiß viele Dinge: die Robbe führt ein lustiges Leben und herrliche Tage verbringt der Seehund, der die Lachse frisst. Ich weiß, dass die Hechte in der Kälte laichen und der Barsch zur Sommerzeit.“ Eifrig fuhr er fort: „Und sollte das nicht genug sein, weiß ich noch mehr: Im Nordland pflügt man den Boden mit dem Rentier, im Süden mit der Stute, in Hinterlappland aber mit dem Stiere. Und ich weiß, dass es drei Wasserfälle, klare Seen und hohe Berge unter dem Himmel gibt.“

Väinämöinen wehrte geringschätzig ab: „Ach, Kinderklugheit ist das, Weiberweisheit. Kein Wissen, das dem erwachsenen Manne zur Ehre gereicht. Erzähle mir etwas vom Ursprung der Dinge!“ Energisch wehrte sich der junge Bursche: „Ich kenne sehr wohl den Ursprung der Dinge, dass die Meise ein Vogel, die Natter eine Schlange und der Barsch ein Fisch ist. Dass heißes Wasser schmerzt und das Feuer gefährlich ist“. So brüstete er sich, bis Väinämöinen ihm Einhalt gebot: „Ist dies nun alles oder hast du noch mehr Unsinn zu erzählen?“

Erbost antwortete Joukahainen: „Natürlich weiß ich noch vieles aus den grauen Vorzeiten, denn ich war´s der im Meer die Grotten für die Fische grub. Ich ließ die Seen erstehen, die Berge in die Höhe wachsen.“ Er schlug sich in die Brust: „Als siebter der Helden habe ich die Erde und den Luftraum erschaffen, darüber den Himmelsbogen gespannt, dem Mond den Weg gewiesen und ich streute die Sterne über den Himmel.“

„Du frecher, kleiner Lügner“, rief Väinämoinen ergrimmt. „Niemals warst du zugegen, als die Grotten im Meere entstanden. Als die Seen über das Land gestreut, die Berge in die Höhe wuchsen. Niemals sah man dich, als die Erde erschaffen, der Luftraum ausgebreitet und der Himmelsbogen darüber gespannt wurde. Nie hast du dem Monde den Weg gewiesen, noch die Sterne ausgestreut und dem großen Bären seinen Platz gewiesen.“

„Nun“, antwortete ihm der junge Kerl keck. „Wenn du großmäuliger Sänger denkst, dass ich nicht genügend Verstand habe, dann lassen wir die doch Schwerter sprechen.“ Väinämöinnen schüttelte sein weißes Haupt: “Ich fürchte weder deine Weisheit, noch deine Klugheit, noch deinen Scharfsinn. Doch wie es auch sei: Mit dir ärmlichem Wicht werde ich mich nie mit dem Schwerte messen!“

Da verzog Joukahainen spöttisch seinen Mund: „Ach, wer sich davor scheut, sich mit dem Schwerte zu messen, den werde ich zum Schweine singen, drücke ihn in den Düngerhaufen und in die hinterste Ecke des Viehstalls.“ Die Zornesröte stieg Väinämoinen ins Gesicht, als er diese frechen Worte vernahm und er begann zu singen. Er sang, bis die Seen brodelten, die Länder erbebten, die Berge dröhnten, es die Felsen sprengte und die Klippen am Strand zerschellten.

Sein Gesang verwandelte Joukahainens Pferdekummet in faules Stroh, das feurige Ross in einen Steinbock. Den reichgeschmückten Schlitten versenkte er mit seinem Lied im See, die perlenbesetzte Peitsche aber wurde zum Schilfrohr.

Väinämoinen sang bis das Schwert des vorlauten Jünglings als Blitzstrahl über den Himmel zuckte und seine Pfeile zu kreischenden Habichten wurden. Seine Lieder rissen Jokahainen die Mütze vom Kopf und zauberten sie zu Wolkenballen an den Himmel, die Handschuhe zog es dem jungen Manne von den Händen und wurden zu Wasserblumen und sein blaues, wollenes Wams zu kleinen Lämmerwolken. Den stolzen, unbelehrbaren Jüngling aber sang der alte Mann bis zu den Armen in den tiefen Sumpf.

Nun musste Joukahainen wohl begreifen, mit welch gewaltigem Zauberer und Sänger er den Wettkampf hatte aufnehmen wollen. Der großmäuligen Burschen bettelte jämmerlich: „O, du großer Sänger! Ich bitte dich, befreie mich aus dieser schrecklichen Enge. Ich verspreche dir dafür auch ein gutes Lösegeld!“

„So, so?“ fragte ihn Väinömäinen. „Was willst du mir denn geben?“ Der Jüngling beeilte sich zu antworten: „Zu Hause habe ich zwei ganz besonders prächtige Bogen. Der eine fliegt schnell wie der Wind, der andere verfehlt nie sein Ziel. Wähle dir einen.“ Da lachte Väinömäinen auf: „Ich brauche deine Bogen nicht, du Narr. Ich habe welche, die sogar ohne mich jagen gehen.“

Und schon versank Joukainen noch tiefer in den Sumpf.

Verzweifelt bot er dem Alten zwei prachtvolle Boote an, das eine schnell und leicht, das andere konnte schwere Lasten tragen. Doch der lachte ihn nur wieder aus und meinte, er würde so viele Boote sein eigen nennen, dass für ein weiteres kein Platz an den Buchten wäre. Und wieder sank Joukahainen ein Stück tiefer.

Mit nichts vermochte er den alten Zauberer umzustimmen, nicht mit zwei prachtvollen Hengsten, nicht mit Gold und Silber oder einem Haufen Getreide. Dies alles besaß Väinämöinen selbst im Überfluss. So sank der Jüngling mit jedem abgelehnten Angebot immer tiefer und tiefer. Schon gerieten ihm beim Sprechen Erde und Moos zwischen die Lippen und er wagte einen letzten verzweifelten Versuch: „Hör, Väinämöinen, höre! Wenn du den Bann von mir nimmst, gebe ich dir meine Schwester Aino zu Frau!“

Als Väinämöinen dies hörte, wurde er mit einem Mal ganz fröhlich. Er sang drei Zauberweisen und mit dem dritten Liede konnte Joukaihainen sich aus dem Sumpf befreien, sein Pferd kam zurück, sein Schlitten, seine Peitsche, sein ganzes Hab und Gut standen wieder vor ihm, als hätte Väinämöinen es nie mit einem Zauber belegt.

Sofort schwang sich Joukahainen in seinen Schlitten und fuhr davon, Wut und Groll im Herzen. Sein Zorn war so groß, dass er den Schlitten am Dreschhaus und die Deichsel an der Pforte zerbrach, als er ungestüm den elterlichen Hof erreichte. „Was hast du, Sohn?“ fragte ihn seine Mutter und sein Vater wollte wissen: „Weshalb hast den Schlitten und die Deichsel zerbrochen? Und in welch seltsamen Stimmung kommst du nach Hause?“

Da konnte der sonst so kecke Held nicht mehr an sich halten und begann jämmerlich zu weinen. Nun wollte seine besorgte Mutter erst recht wissen, was so schwer auf dem Gemüt ihres Erstgeborenen laste. „Ach, teure Mutter“, schluchzte er. „Ich werde ewig trauern müssen. Ich habe Aino, meine Schwester, dem Väinämöinen zur Gattin versprochen.“ Seine Mutter klatschte voller Freude in die Hände. „Sohn, weine nicht. All die Jahre trug ich die Hoffnung in mir, den großen Sänger Väinämöinen zum Schwiegersohne zu bekommen!“

Auch Aino, Joukahainens Schwester weinte tagelang bittere Tränen, bis ihre Mutter sie ermahnte. „Was weinst du, Tochter? Ein großer Held wird um dich freien!“

Doch Aino wollte sich nicht beruhigen, sollte sie doch ihre Jugend und die Heimat nun bald hinter sich lassen müssen. Da antwortete ihre Mutter ärgerlich: „Sei nicht töricht. Auch anderswo scheint die Sonne und Beeren gibt es überall auf dieser Erde, die du selbst pflücken kannst. Also, höre auf zu weinen.“ Doch umsonst ermahnte die Mutter ihre Tochter zur Vernunft. Die wollte sich jedoch nicht in ihr Schicksal fügen.

4. Gesang

Eines Tages ging Aino in ihren schönsten Kleidern und mit Perlen geschmückt in den Wald, um Reisig zu sammeln um daraus drei Besen binden. Als sie sich durch das hohe grüne Gras auf den Heimweg machte, begegnete ihr Väinämöinen.

Der blickte das junge Mädchen bewundernd an: „Oh, Aino, trage diese Perlen und das glänzende Kreuz nur noch für mich. Auch dein Haar sollst nur noch für mich mit Seide binden.“ „Nein, nein“, antwortete ihm Aiko wütend. „Weder für dich noch für andere Freier schmücke ich mich. Ich kann mich auch in ein einfaches Gewand kleiden, ich brauche nicht mehr. Es reicht mir auch eine Brotkante als Nahrung. Und ich bleibe für immer bei meinem Vater und bei meiner Mutter.“

Zornig griff sie nach der Perlenkette und dem glänzenden Kreuz an ihrem Halse, riss sie entzwei und warf sie ins Gras.

Sie zog sich die Ringe vom Finger und warf sie wütend hinterher. Am Ende zerrte sie sich die roten Seidenbänder aus dem Haar, und eilte, während ihr Tränen des Zorns über die Wangen liefen, ohne Väinämöinen noch eines Blickes zu würdigen, nach Hause.

Dort traf sie ihren Vater, der einen Schaft für sein Beil schnitzte. “Warum weinst du, meine arme Tochter?“ fragte er besorgt. „Vater“, schluchzte sie, „hab wohl Grund zum Weinen. Hab´ ich doch meine Perlen, meine Ringe, das glänzende Kreuz und meine seidenen Bänder weggeworfen.“

Noch zwei Mal musste sie ihrem Bruder und ihrer Schwester die gleichen Antworten geben. Als sie am Vorratshaus vorbei kam, fragte ihre Mutter, die dort über ein Fass gebeugt den Rahm von der Milch abschöpfte, was ihr denn zugestoßen sei.

Und wieder berichtete das Mädchen, was im Wald geschehen wäre. Die Mutter tröstete ihre Tochter: „Mach Dir nichts daraus, mein Kind. Gehe zu dem Vorratshaus am Berge, schaue nach der schönsten Truhe und öffne sie: Darin wirst du sechs goldene Gürtel finden, sieben blaue Röcke, gewebt von der Tochter des Mondes und genäht von der Tochter der Sonne.“ Sie schwieg einen Moment, dann begann sie gedankenverloren zu erzählen: „In meinen jungen Jahren ging ich einst in den Wald um Himbeeren zu sammeln. Da sah ich die Tochter des Mondes am Webstuhl sitzen, während die Tochter der Sonne das Spinnrad drehte. Vorsichtig trat ich näher heran, stellte mich an ihre Seite und bat mit sanfter Stimme: O, Mondestochter gib mir dein Gold und du Sonnentochter, dein Silber, ich bitte euch darum. Und sie gaben mir Gold und Silber. Ich eilte voller Glück nach Hause und schmückte mich damit zwei Tage. Am dritten Tage aber brachte ich all das Gold und das Silber zu dem Vorratshaus am Berge, wo ich es sorgsam in einer Truhe legte. Dort liegt es bis zum heutigen Tag. Tochter, du wirst eine Zierde unseres Hauses sein, wenn du so geschmückt einher schreitest.“

Noch immer dunkle Gedanken wälzend, weinte und jammerte Aino weiter: „Ich wünschte, ich wäre nie geboren worden oder nach wenigen Tagen gestorben.“ Der Mutter schnürte der Kummer der Tochter das Herz ab: „Weshalb weinst du denn immer noch, mein armes Mädchen?“

„Weil ich einem alten Mann versprochen bin, darum weine ich!“ antwortete ihr Aiko heftig. „Weil ich Freude und Stütze ihm sein soll, ihn trösten und vor dem Taumeln bewahren soll.“ Dann wandte sie sich abrupt ab und ging nun doch eilenden Schrittes zu dem Vorratshaus am Berge. Dort öffnete sie den Deckel der Truhe, die die Mutter ihr beschrieben hatte und wirklich, darin lagen goldene Gürtel, bunte Röcke, Goldschmuck, silberne Bänder und rote Seidenschnüre für die Haare.

Sorgfältig zog sich Aino die bunten Röcke über, legte den glänzenden Goldschmuck an und band ihr Haar mit silbernen Bändern und roten Seidenfäden. Dann schlich sie sich vom Hof und streifte einsam durch Felder und Wiesen, über das Sumpfland und durch schattige Wälder.