Hans Günther Bastian

Kinder optimal fördern – mit Musik

Hans Günther Bastian

Kinder optimal fördern – mit Musik

Intelligenz, Sozialverhalten und gute Schulleistungen durch Musikerziehung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Bestellnummer SDP 63

ISBN 978-3-7957-8611-3

© 2016 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Als Printausgabe erschienen unter der Bestellnummer SEM 8381

© 2007 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

www.schott-music.com

www.schott-buch.de

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Coverabbildung: highwaystarz / Fotolia.com

Inhalt

Grußwort

Kinder brauchen Musik!

Vorwort

Brauchen wir Musik?
Ja, wir brauchen sie dringend!

Soziale Kompetenz – durch Musikerziehung

Der Einfluss von Musikerziehung auf die Intelligenz der Kinder

Der Einfluss von Musikerziehung auf die allgemeinen schulischen Leistungen und die Konzentrationsfähigkeit

Musik(erziehung) und ihre Wirkung
Die Langzeitstudie an Berliner Grundschulen im Überblick

Nachwort

Grußwort

Die Langzeitstudie Musik(erziehung) und ihre Wirkung unter Leitung von Professor Hans Günther Bastian hat empirisch nachgewiesen, dass erweiterte Musikerziehung die Entwicklung von Kindern positiv beeinflusst – allerdings nicht im Sinne einer Garantieerklärung: »Wer sich musikalisch betätigt, für den wird der Traum von Glück wahr.« Die Tatsache, dass Musik außermusikalisch persönlichkeitsbildend wirkt, muss als Legitimation der Förderung musikalischer Erziehung genügen. Dass Kinder, die sich musikalisch betätigen, nachweislich ihre Kreativität schulen, ihre Konzentration trainieren, allgemein ihr Leistungsvermögen fördern u.a.m., sollte denen zu denken geben, welche die Mittel dafür kürzen wollen.

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass Musik und Kunst ideale Werkzeuge sind, um Türen zu öffnen und Verständigung zwischen Menschen zu erzeugen. Heutzutage herrscht eine deutlich spürbare Tendenz zur Isolierung, die das gesellschaftliche Miteinander erheblich erschwert. Genau jetzt kann eine positive Musikerfahrung ein Schlüsselerlebnis sein, wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche für ein gutes soziales Klima zu sensibilisieren. Denn auch hier bestätigt die Studie: Gemeinsames Musizieren fördert die soziale Integrationsbereitschaft.

Dem Fach Musik in der Schule muss in zunehmendem Maße Bedeutung zugemessen werden, da Musik für den Aufbau der eigenen Identität eine wichtige Rolle spielt. Als Ausdrucksform mit einem hohen Maß an Emotionalität gibt sie – wie keine andere Kunst – der Persönlichkeitsentfaltung einen geeigneten Raum.

Eine erweiterte Musikerziehung bietet vom Klassenunterricht über die Arbeit in Arbeitsgemeinschaften, Chören und Ensembles bis zur Kooperation mit außerschulischen Musikinstitutionen gute Möglichkeiten der Integration und der individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern.

Wir müssen alle gemeinsam versuchen, diesen eindeutigen und für die Musikerziehung sprechenden Fakten mehr Geltung in der politischen Diskussion in Gegenwart und Zukunft zu verschaffen!

Prof. Dr. Franz Müller-Heuser

Präsident des Deutschen Musikrates

Kinder brauchen Musik!

Mit großer Besorgnis stellen viele Eltern und Musiker fest, dass das Fach Musik in den allgemein bildenden Schulen ins Abseits gerät und sich ein musikalischer Bildungsnotstand entwickelt. In den Grund- und Hauptschulen der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise fallen bis zu 80 % der Musikstunden aus oder sie werden fachfremd erteilt.

Initiative ist deshalb gefragt: »Intelligent mit Musik«, das ist das Motto einer breit angelegten Aktion, die sich – getragen von den Verbänden aus Kultur, Musikwirtschaft und Wissenschaft – für eine Förderung der Musikerziehung einsetzt.

Durch die im vorliegenden Buch von Professor Hans Günther Bastian vorgestellten Ergebnisse einer Langzeitstudie ist eindeutig belegt, dass Musizieren Kinder intelligent und sozial kompetent macht und ihre Konzentrationsfähigkeit durch Musikerziehung gefördert wird. Musikunterricht gewährleistet eine optimale Entfaltung der kindlichen Anlagen und hat einen positiven Einfluss auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung. Darüber hinaus bietet Musikerziehung eine gute Chance zur Verringerung von Aggression und Gewalt unter Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft.

Zielsetzung der Aktion »Intelligent mit Musik« ist,

•  Entscheidungsträger aus Politik, Kultur und Verwaltung über die Ergebnisse dieser Studie zu informieren und nachhaltig für eine Weiterentwicklung des Musikunterrichts zu gewinnen,

•  die zahlreichen positiven Wirkungen der musikalischen Erziehung öffentlich zu machen und

•  das Fach Musik in den allgemein bildenden Schulen »vom Rand in die Mitte« zu rücken.

Diese Anliegen werden wir u. a. in Zusammenarbeit mit der Frankfurter Musikmesse offensiv vertreten, um eine nachhaltige Bewusstseinsänderung, insbesondere unter Kultur- und Bildungspolitikern!, herbeizuführen.

Wir freuen uns, wenn Sie alle – Eltern, Erzieher, Musikpädagogen und kulturpolitisch Verantwortliche – die Ziele dieser Aktion unterstützen.

Gerhard A. Meinl

1. Vorsitzender des Dachverbandes Musikwirtschaft und Veranstaltungstechnik (DVMV) zur Aktion »Intelligent mit Musik«

Vorwort

Sie war schon nach wenigen Wochen vergriffen, die erste Auflage der Langzeitstudie mit dem Titel Musik(erziehung) und ihre Wirkung* – zur Freude der Autoren, die viele Jahre an Berliner Grundschulen erforscht hatten, welche Wirkung die (frühe) aktive Beschäftigung mit Musik bei Kindern erzielt.

Vergriffen weshalb? Weil Heerscharen von Lesern und Leserinnen schon immer einmal auf 686 Seiten studieren wollten, wie mit wissenschaftlichem Anspruch und wissenschaftlicher Methodik ein komplexer wie komplizierter Sachverhalt – eben die Wirkung von Musik auf die menschliche Persönlichkeit – darzustellen ist? Sagen wir es offen: Nein, daran lag es nicht. Die detaillierte Darstellung von Forschungshypothesen, Nachweismethoden und den daraus resultierenden Ergebnissen taugt nicht zum Bestseller, der über Nacht die Charts in den Buchläden erobert.

Dennoch hat allein die Bekanntgabe der Zwischenbilanzen und erst recht das abschließende Fazit der Gesamtuntersuchungen die Öffentlichkeit geradezu elektrisiert. Knappe Parolen wurden verbreitet: »Musik macht intelligent, sozial kompetent, kreativ, selbstbewusst!« und Ähnliches mehr. Selbst die Verfasser rieben sich die Augen und staunten nicht schlecht – weniger über die Wirkung von Musikerziehung als über die Wirkung der Ergebnisse.

Medien aller Arten bemächtigten sich des Themas, mal mit mehr, mal mit weniger Sachverstand. Doch immerhin, die Botschaft kam an: Für Kinder einer Gesellschaft, deren Mitglieder sich zunehmend zu isolieren drohen, in der die Gefahr der Entsolidarisierung heraufzieht – in dieser Gesellschaft zeigt Musikerziehung gleich in mehrfacher Hinsicht positive Effekte.

Das genügte, um in der gegenwärtigen Diskussion um Erziehung und Bildung große Aufmerksamkeit hervorzurufen. Von den Medien angetrieben, wurden sogar etliche Politiker wach und nahmen diese Erkenntnisse wahr (allein das war schon verwunderlich). Keine Frage also: Unsere Studie löste am Beispiel des Faches Musik eine neue bildungspolitische Diskussion aus.

Erste erfreuliche Konsequenzen zeichneten sich ab. Die neue hessische Kultusministerin Karin Wolff beispielsweise nahm die Kürzung des Faches Musik in der Grundschule nach Kenntnisnahme der Untersuchung wieder zurück. In Berlin wurden zwei weitere Grundschulen mit musikbetonten Zügen genehmigt, deren Beantragung ohne das Forschungsprojekt den sicheren Archivtod gestorben wäre. A. Maillard-Städter, Musiklehrerin an einer Berliner Grundschule: Seit der Bastian-Studie, die das Medieninteresse auf sich gezogen hat, spricht hier in Berlin keiner mehr von einer Kürzung des Musikunterrichts.

Öffentliche Vorträge in mehreren europäischen Ländern hinterließen ihre Spuren, Fernseh- und Radiosendungen widmeten sich ausgiebig unserer Langzeitforschung. Die ursprüngliche Intention und Kalkulation, dass es sich bei unserem Projekt um eine primär bildungspolitisch motivierte Studie handelte, ging voll auf.

Trotzdem blieb eines unbefriedigend: Das breite Publikum als letztgültiger Adressat unserer Ergebnisse erfuhr durchweg auf medialem Wege von der Wirkung der Musik, selten durch die eigene Lektüre oder individuelle Kenntnisnahme der Studie. Diese größtenteils indirekte Vermittlung war Ursache der Überlegung, die Forschungsbefunde noch einmal zusammenzufassen und als Information einer großen Öffentlichkeit direkt zugänglich zu machen.

Das birgt das Risiko der Verknappung und Verkürzung und dieser Tatsache müssen sich Autor und Mitarbeiter bewusst sein. Dennoch, um mit Karl Popper zu reden:

Wer Neues und Wichtiges zu sagen hat, dem liegt daran, verstanden zu werden. Und er wird den größten Wert darauf legen, so einfach und verständlich wie möglich zu schreiben [...]. Nichts ist leichter, als schwierig zu schreiben.

Wohl wahr. Umso entschlossener und mutiger haben wir uns ans Werk gemacht, die umfassende Langzeitstudie auf das vorliegende Format optisch und inhaltlich quasi zu verkleinern – zu verkleinern, ohne zu verkürzen. Der Leser findet demnach in den folgenden Ausführungen nicht mehr all die Grafiken, Tabellen, Statistiken, Wahrscheinlichkeitsgrößen und Prüfkennwerte, die Grundlage und Basis unserer Aussagen in der ausführlichen Studie waren. Er findet sozusagen die Reduktion auf das Wesentliche (dessen Datenbasis aber im Hintergrund durchaus vorhanden ist, ja ohne die nachstehende Folgerungen und Forderungen gar nicht möglich wären).

Der Beweggrund dieses Taschenbuches liegt darin, die Menschen zu mobilisieren, und zwar für die Musik. Dafür hat der Autor energisch-engagierte und ebenso hilfsbereite Kombattanten gefunden: an erster Stelle den Verlag Schott Musik International, dem für diese fachliche Initiative zu danken ist. Daneben gilt der Dank auch dem Dachverband Musikwirtschaft und Veranstaltungstechnik (DVMV) und der Musikmesse Frankfurt, die die Produktion des Buches finanziell gefördert haben. Vor allem gebührt Dank Monika Heinrich, die auch diesmal wieder im Verlag Schott für eine umsichtige wie kompetente lektorale Betreuung gesorgt hat. Erneut habe ich auch Martin Koch zu danken, der dem Buch durch gründliche Überarbeitung und Formatierung den »letzten Schliff« gegeben hat.

Vergessen wir eines nicht: Mit dem Musizieren machen wir junge Menschen zu »Schöpfern von Kultur«. Das Credo der Jugendlichen, die am Laienmusizieren teilnehmen und teilhaben, lautet frei nach Descartes: »Ich schaffe etwas Neues, Kreatives, also bin ich.«

Zu diesem Bewusstsein möchte das vorliegende Buch einen wirkungsvollen Beitrag leisten. Auf dass Eltern, Erzieher, Musiklehrer, die Jugendlichen selbst, Landtags- und Bundestagsabgeordnete, Minister aller Ebenen und Richtungen, kommunale Vertreter und alle Menschen guten musikalischen Willens entdecken, welches Potential in der Musik steckt. Der von Politikern verbreitete Slogan »Mut zur Bildung« liest sich gut. Aber klingt nicht noch besser: »Mut zur Musik«? Es wird höchste Zeit, dass dieser Slogan unter die Leute kommt, statt sang- und klanglos zu verhallen.

Januar 2001

Hans Günther Bastian

*   Hans Günther Bastian (unter Mitarbeit von Adam Kormann, Roland Hafen und Martin Koch): Musikerziehung) und ihre Wirkung: Eine Langzeitstudie an Berliner Grundschulen, Mainz 2000

Brauchen wir Musik?
Ja, wir brauchen sie dringend!

Es chipt und piept allerorten durchs Land: Computer aller Länder, vereinigt euch! Dringt in die Schulen ein, auf dass die virtuellen Spatzen es von den Schuldächern pfeifen: Schüler, ans Gerät – ans elektronische natürlich! Surft durch die Welt, chattet um die Wette, auf dass ihr aus der sozialen Vereinsamung herauskommt und einander in den intergalaktischen Marktplätzen unseres Universums begegnet! Auf dass alle Bildungsminister dieses Landes sich wieder fröhlich zurücklehnen können mit den Worten: »Es hat sich gelohnt. 80 Milliarden Mark Aufwand (so viel bezahlt der deutsche Staat ungefähr an Zinsen für ein einziges Jahr) waren gerechtfertigt. Jeder Schüler verfügt über seinen PC. Weg mit der Greencard. Alle Probleme sind beseitigt.«

Welch schöne neue Welt! Leider aber, so steht zu vermuten, eine Welt, die so, wie sie ausgedacht war, im Reich des Phantasus bleibt. Der PC als Allheilmittel gegen Vereinsamung, Isolierung, Kontaktschwierigkeiten, mangelnde soziale Kompetenz? Der Nachweis dafür wäre erst noch zu erbringen. Also gehen auch wir ans Gerät, diejenigen, die sich der Musikforschung und ihrer Wirkung verschrieben haben – freilich ans musikalische Gerät, ans Instrument –, und fordern mit demselben Recht: ein Musikinstrument für jeden Schüler. Setzen wir dem globalen Dorf den musizierenden Menschen entgegen, dessen Sprache kein Handbuch braucht und dennoch überall in der Welt zu verstehen ist – als Zeichen unserer Zeit.

Zu allen Zeiten wurden sie gesucht, die Zeichen der Zeit. Nicht immer wurden sie gefunden, oft genug vermutet, ohne sie beweisen zu können. Sagen wir es sehr direkt: Unsere Langzeitforschung hat unstrittig belegt, dass die not-wendende Wirkkraft von Musik als wegweisendes »Zeichen der Zeit« zu begründen ist. Der Wandel von der modernen Industriegesellschaft zur Informations- und Kommunikationsgesellschaft schuf den (umstrittenen) Begriff der Postmodeme. Merkmale dieser »zweiten Modernisierung«, wie sie von manchen genannt wurde, sind Globalisierung, Vielheit, Multioptionalität, Erlebnisgesellschaft, aber auch Unverbindlichkeit, Ratlosigkeit, Werteverfall, sozusagen Postmodeme als völliger Relativismus, Pluralität als Paralyse.

Nun haben die prinzipiellen Fragen unserer Zeit keinen Premierenwert. Fest steht, dass wir schon immer Herausforderungen aus einer sich ständig ändernden Arbeitswelt zu bewältigen hatten, dass uns in Fragen der Erziehung schon immer heimliche Miterzieher begleiteten, dass wir schon immer mit Gewaltproblemen konfrontiert waren, dass Kultur und insbesondere die Musik zu allen Zeiten – seit der Antike – der Legitimation gegenüber Gesellschaft und Politik bedurften, dass wir schon immer ... Hier könnten wir Exempla endlos fortschreiben. Mit den Worten des Philosophen Santayana: Es gibt nichts Neues unter der Sonne außer das Vergessene.

Wenn diese Dinge nicht neu sind, stellt sich die Frage: Was ist heute anders? Die Beobachtungen liegen auf der Hand. Die Intensität der Herausforderungen, die attackierende und teils lähmende Virulenz der Probleme, das rasante Tempo technologischer Entwicklungen mit ihren unberechenbaren Risiken – all dies ist nachweisbar anders, mit entsprechenden Folgen. Man wusste, bei Lichte besehen, noch nie so wenig über Zukunft wie heute, denn je mehr Zivilisation auf Wissen basiert, desto unvorhersehbarer wird die Zukunft. Nichts anderes meint die so genannte »Paradoxie des Nichtwissens aus Wissen«, von der schon Daniel Bell mit den Worten More and more we know less and less sprach. Aber auch das ist wiederum so neu nicht, wenn wir uns an die alte sokratische Erkenntnis erinnern: Ich weiß, dass ich nichts weiß.

Wenn dem aber so ist, dass wir uns immer mehr zu einer Wissensgesellschaft entwickeln, dann ist die einzig richtige und effektive Bildungspolitik eine gute Sozialpolitik. Was sonst? Es scheint hierzulande vergessen, dass sich kein Wirtschaftsstandort auf den Weltmärkten auf Dauer behaupten kann, wenn er nicht auch und vor allem ein Bildungsstandort ist. Die Schule der Nation ist die Schule, sagte einmal Willy Brandt. Der amerikanische Präsident Bill Clinton schien seinerseits die Zeichen der Zeit erkannt zu haben, als er für seine zweite Amtsperiode erklärte: We must provide all our people with the best education in the world. Was unter dem Aspekt der vorliegenden Betrachtung nur heißen kann: Dies muss eine Erziehung zur und durch Musik sein.

Die Chinesen, reich an Sprichwörtern und noch reicher an tiefen menschlichen Erkenntnissen, fanden die Weisheit: Willst du für ein Jahr vorausplanen, so baue Reis. Willst du für ein Jahrzehnt vorausplanen, so pflanze Bäume. Willst du für ein Jahrhundert planen, so bilde Menschen. Man könnte noch hinzufügen: Willst du für ein Jahrtausend planen, so bilde junge Menschen in Musik! Der Appell ist nicht nur die Haltung des Begeisterten, der in der aktiv praktizierten Musik einen gar nicht hoch genug einzuschätzenden Wert erkennt. Der Anspruch spielt, wissenschaftlich gesehen, auf die Rahmentheorie der multiplen Intelligenzen des amerikanischen Psychologen Howard Gardner an, der neben anderen Intelligenzformen interessanterweise von einer musikalischen Intelligenz spricht. Von ihr behauptet Gardner, dass sie evolutionsgeschichtlich gesehen für die Prozesse des künstlerischen Schaffens von größerer Bedeutung sei als etwa die in Intelligenzdiskussionen so überbewertete Dimension der mathematisch-logischen Intelligenz.

In einem ersten Fazit und als erstes Zwischenergebnis halten wir deshalb fest: Wir müssen heute junge Menschen befähigen, hoch qualifiziert an zukünftigen Entwicklungen teilzunehmen und teilzuhaben. Es darf nicht zutreffen, was eine bissige Glosse mit den Worten pointiert: Wir sind die Schüler und Studenten von heute, die in Schulen von gestern von Lehrern von vorgestern auf Probleme von übermorgen vorbereitet werden.

Massive und rasant schnelle Veränderungen der kulturellen, zivilisatorischen, technologischen, ökonomischen und beruflichen Lebensbedingungen führen gegenwärtig zu einem drastischen Wandel in den Bildungsanforderungen. Konnte man jahrtausendelang davon ausgehen, dass in der Kindheit und Jugend jenes basale Wissen und Können aufgebaut wurde, das Erwachsene befähigte, unterschiedliche lebenspraktische und berufliche Aufgaben für ein ganzes Leben zu erfüllen, so werden heute die zeitlichen Zyklen der notwendigen Erneuerung des individuellen Wissens immer kürzer und die Häufigkeit beruflicher Umstellungen immer größer.

Die These muss folgerichtig lauten: Lebenslanges Lernen wird künftig nicht eine bildungsbürgerliche Maxime für einige wenige, sondern eine existentielle Notwendigkeit für alle sein. Für unsere Bildung muss das frühere Wissenserwerbsmodell durch ein permanentes Wissensemeuerungsmodell ersetzt werden.

Dies führt zum bildungspolitischen und pädagogischen Schluss, dass Lernen als Informationsaufnahme zum »Lernen lernen« werden muss. Wir müssen individuelle Lernstrategien erwerben, die uns helfen, kurzfristig und effizient der exponentiell wachsenden Informations- und Wissensflut begegnen zu können. (Ständiges Umlernen und Neulernen kann hierbei aber nicht mehr von schulanalogen Institutionen geleistet und vermittelt werden.) Das heißt aber nicht, dass Fachwissen, dass bereichsspezifisches Können unwichtig oder gar überflüssig wird. Diese Botschaft wäre fatal, beweist doch die psychologische Forschung, dass der Beitrag zur Bewältigung neuer und schwieriger Aufgaben umso geringer ausfällt, je allgemeiner eine Lernstrategie ist. Je intelligenter jemand ist und/oder je mehr Expertenwissen er in einer bestimmten Domäne hat, desto effektiver ist auch das weitere Lernen und die wirksame Nutzung des Gelernten.