Der gute Mensch von Sezuan

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Fußnoten

  1. Bertolt Brecht, »Volkstümlichkeit und Realismus«, in: B. B.: Gesammelte Werke, hrsg. vom Suhrkamp Verlag in Zusammenarbeit mit Elisabeth Hauptmann, Bd. 19: Schriften zur Literatur und Kunst 2, Frankfurt a. M. 1967, S. 322–331.(Hervorhebungen im Original.)

  2. Brecht (s. Anm. 1), S. 326. (Hervorhebungen im Original.)

  3. Ebd. (Hervorhebungen im Original; die Fußnote wird nicht zitiert.)

  4. Brecht (s. Anm. 1), S. 324 f. (Hervorhebungen im Original.)

Aber Brecht verlangte nicht nur vom Theaterpublikum neues Lernen. Auch von seinen Schauspielerinnen und Schauspielern erwartete er eine neue Neue SchauspielkunstSchauspielkunst, die er als Grundvoraussetzung dafür erachtete, dass die Handlung des Stückes auf ungewohnte, verfremdete Weise zur Darstellung kommen und vom Publikum kritisch reflektiert werden kann. Dazu sah er, in Anlehnung an das chinesische Theater, etwa Masken vor, die den Zuschauerinnen und Zuschauern den fiktionalen Charakter des Stückes vor Augen führen sollten (d. h. die Illusion zerstören sollten, es handle sich bei der Bühnenhandlung um ein Geschehen, das sich in ihrer Lebenswirklichkeit zuträgt). Aber auch die Handlung unterbrechende Kommentare und Lieder, Figuren, die direkt zum Publikum sprechen (die also die sogenannte vierte Wand zwischen der auf der Bühne dargestellten fiktiven Welt und dem Publikum ›durchbrechen‹), kommen in Brechts epischem Theater zum Einsatz.

Brechts Kernziel und KernfragenHauptanliegen war es, mit seinem Theater einen Beitrag zu einem gesellschaftlichen Umbruch zu leisten: Die herrschenden (kapitalistischen) Gesellschaftsstrukturen sollten ersetzt werden durch kommunistische, die Brecht als Voraussetzung für ein humanes Gemeinschaftsleben erachtete. Durch sein Theater sollten die Zuschauerinnen und Zuschauer Einsicht darin gewinnen, wie schädlich der

Diese und andere Fragen erörtert Brecht in Der gute Mensch von Sezuan, das man als eine Art ›Fallstudie‹ betrachten könnte, anhand der jungen Prostituierten Shen Te und dem armen städtischen Milieu, in dem sie lebt. Sie ist deshalb ein besonders geeignetes ›Anschauungsobjekt‹ für die Gefahren des Kapitalismus, weil ihr Leben von kapitalistischen

Brecht stellte der Handlung die Bemerkung voran, dass der Brechts ›Fallstudie‹ SezuanSchauplatz der Parabel in der chinesischen Provinz Sezuan liegt. Früher (zum Zeitpunkt der Handlung des Stückes) seien die Menschen in dieser Region noch ausgebeutet worden. Buchausgaben, die nach 1949 (nachdem Mao Tse-tung die Volksrepublik China ausgerufen hatte) erschienen, fügte Brecht die Bemerkung hinzu, dass Ausbeutung in Sezuan jetzt nicht mehr stattfinde (S. 6). Die genaue Handlungszeit bleibt unbestimmt, lässt sich aber aufgrund bestimmter Merkmale der fiktiven Welt (es gibt beispielsweise Postflugzeuge) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verorten.

Handlungsort- und zeitDen Göttern sind unablässig Klagen über den erbärmlichen Zustand der Welt vorgetragen worden. Drei der höchsten Götter haben sich nun auf die Erde begeben, um zu prüfen, ob die Klagen berechtigt sind: Sie halten nach einem Menschen Ausschau, der ihre Gebote einhalten kann. Einzig die Prostituierte Shen Te ist bereit, die Götter in ihrem Zimmer zu beherbergen, die nun glauben, mit Shen Te einen guten

Shen Te investiert das Geld in einen Tabakladen und hilft zudem vielen ärmeren Menschen. Ihre Hilfsbereitschaft wird ausgenutzt und die Unterstützung der Armen ruiniert ihren Laden nahezu. Sie beschließt daraufhin, in die Rolle ihres fiktiven Vetters Shui Ta zu schlüpfen und sich auf kapitalistische Ausbeutungspraktiken zu verlegen. Zudem überlegt sie, einen reichen Mann zu finden und zu heiraten. Doch lernt Shen Te Yang Sun, einen arbeitslosen Flieger, kennen und lieben. Während sie an die wahre Liebe glaubt, hat er nur das Geld im Sinn, das sie zwischenzeitlich geliehen bekommen hat. Das Heiratsversprechen, das Yang Sun ihr gegeben hat, löst er nicht ein, weil sie ihm kein weiteres Geld überlassen will.

Shen Tes wirtschaftliche Probleme werden größer, als sie feststellt, dass sie ein Kind von Yang Sun erwartet. Sie hofft, dass sie als Shui Ta verkleidet einen Ausweg aus ihrem Dilemma finden kann. Der reiche Barbier Shu Fu bietet die Lösung der Angelegenheit: Er erklärt, dass er Shen Te heiraten möchte, und stellt ihr einen Blankoscheck aus. Mit dem Geld gelingt es Shen Te in der Rolle des Shui Ta, eine Tabakfabrik zu gründen, die ihr das Überleben sichert. Shui Ta, der seine Arbeiter skrupellos ausbeutet, ersetzt ab sofort die wohltätige Shen Te. Es kommt zu einem Gerichtsverfahren gegen Shui Ta, der im Verdacht steht, seine

Mit dem Rückzug der Götter endet die Handlung, nicht aber das Parabelstück Bertolt Brechts. Er lässt einen Schauspieler Der Epilogauftreten, der bedauernd zugibt, dass das Ensemble auch keine Lösung für das Problem der Unvereinbarkeit von Armut und Güte gefunden hat. Er drängt aber das Publikum mit Nachdruck dazu, sich selbst eine Möglichkeit zu überlegen, wie Menschen gleichzeitig mitmenschlich handeln und das eigene Überleben sichern können:

»Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß!

Es muß ein guter da sein, muß, muß, muß!« (S. 144)

Vorspiel. Eine Straße in der Hauptstadt von Sezuan

Der arme Wasserverkäufer Wang stellt sich und die Die wirtschaftliche Situation in Sezuanwirtschaftlichen Probleme in seiner Heimatstadt dem Publikum vor: es herrschen große Armut und Leid. Eine Verbesserung der Situation erwartet er von den Göttern, die, wie er von einem Bekannten erfahren hat, jeden Tag in der Hauptstadt eintreffen könnten. Wang hat sich deshalb am Abend am Eingang der Stadt postiert, um sie als Erster begrüßen zu können.

Tatsächlich erkennt er die drei Götter und sucht nach einer nächtlichen Bleibe für sie. Nach einiger Zeit kehrt er enttäuscht zu ihnen zurück, weil er niemanden gefunden hat, der bereit ist, ihnen eine Unterkunft zu bieten. Diese Auskunft veranlasst den Zweiten Gott, von einem Scheitern ihrer Mission zu sprechen (S. 10). Bisher haben sie vergeblich nach Menschen gesucht, denen es möglich ist, unter den existierenden Bedingungen gut zu anderen Menschen zu sein und zu überleben. Obwohl es Wang auch weiterhin nicht gelingt, ein Quartier für sie zu besorgen, sind die Götter nicht bereit, ihre Zuversicht aufzugeben, hinreichend gute Menschen zu finden.

Schließlich wendet sich Wang an die Prostituierte Shen Te: der erste gute Mensch Sezuans?Shen Te, die er gegenüber den Göttern als den »beste[n] Mensch[en] von Sezuan« (S. 13) bezeichnet. Sie entspricht Wangs Bitte nach einer Unterkunft für die

Am nächsten Morgen brechen die Götter auf und danken Shen Te für ihre Güte. Sie weist dieses Lob zurück (S. 15), denn sie ist davon überzeugt, dass es ihr trotz aller Vorsätze nicht möglich ist, zu allen Mitmenschen gut zu sein und gleichzeitig zu überleben: »Selbst wenn ich einige Gebote nicht halte, kann ich kaum durchkommen.« (S. 16) Die Götter Das Geldgeschenk der Götterringen sich dazu durch, ihr »über tausend Silberdollar« (S. 18) zu schenken, damit sie die Gebote einhalten kann. Zugleich sind sie hocherfreut, denn sie glauben, mit Shen Te bereits eine Person gefunden zu haben, die die göttlichen Suchkriterien erfüllt.

Von dem großzügigen Geldgeschenk hat sich Shen Te drei Tage nach der Abreise der Götter den Shen Tes TabakladenTabakladen von Frau Shin gekauft. Sie verspricht sich von diesem Kauf ein Auskommen und zugleich die Möglichkeit, die Forderung der Götter nach gutem Handeln umsetzen zu können.

Bereits einen Tag, nachdem Shen Te den Laden von ihr erworben hatte, bat die Shin Shen Te um Reis für ihre Kinder. Auch am darauffolgenden Tag erscheint sie, um um Reis zu betteln. Dabei macht die Shin Shen Te Vorwürfe darüber, dass sie ihren Kindern das Zuhause weggenommen habe, und eröffnet ihr, dass es um die wirtschaftliche Situation des Ladens schlechter bestellt sei, als sie Shen Te beim Verkauf des Ladens sagte. So muss Shen Te befürchten, dass der Laden nicht genügend Kundschaft anlocken wird.

Shen Te wird ausgenutztNoch bevor sie auch nur eine Kleinigkeit verkaufen kann, drängen sich weitere Menschen bettelnd in den Tabakladen. Shen Te erfüllt ihnen ihre Bitten, so dass sie selbst in finanzielle Engpässe gerät. Ihr ehemaliger Vermieter, der mit seiner Familie auch zu den Bittstellern zählt, rät ihr, einen reichen Vetter zu erfinden. Shen Te erkennt den Egoismus der Anwesenden; gleichwohl entschuldigt sie deren Einstellung, weil die Armut dieses Verhalten bedinge (S. 21).

Es stellt sich heraus, dass die Shin Shen Te noch weiter Betrug und finanzielle Engpässebetrogen hat: Sie verkaufte ihr zusammen mit dem Laden auch dessen Einrichtung, obwohl sie diese

Shen Tes prekäre Lage verschärft sich weiter, als ihre Vermieterin, Frau Mi Tzü, hinzukommt und darauf besteht, dass Shen Te ihr einen Vorschuss auf die Miete leistet. Erfindung eines VettersUm ihren Laden zu retten, greift Shen Te den Vorschlag des Mannes auf und vertröstet ihre Vermieterin, indem sie auf den Vetter verweist.