Über das Buch
Millionen Menschen haben ihren Job verloren. Doch der Aktienmarkt boomt. Hunderttausende Mittelständler sind in finanzielle Not geraten. Doch der DAX erreicht Rekordwerte. In unserem Wirtschaftssystem läuft etwas gewaltig schief – und es wird noch schlimmer kommen, wenn wir nicht endlich den Hebel umlegen. Norbert Häring zeigt, wie einflussreiche Unternehmen die Corona-Krise nutzen, um ihre Macht zu zementieren und eine lang geplante Agenda zur digitalen Kontrolle umsetzen. Zeit für ein neues System, das allen dient, nicht einer kleinen Elite.
Über den Autor
Dr. Norbert Häring, 1963 geboren, ist Wirtschaftsjournalist und Autor populärer Wirtschaftsbücher. Er schreibt für Deutschlands führende Wirtschaftstageszeitung Handelsblatt und betreibt den Blog Geld und mehr. Der Bestseller Ökonomie 2.0, den er gemeinsam mit Olaf Storbeck schrieb, gewann den Wirtschaftsbuchpreis 2007. 2014 wurde er mit dem Preis der Keynes-Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet. Die von ihm 2011 mitbegründete internationale Ökonomenvereinigung World Economics Association hat über 12.000 Mitglieder.
NORBERT HÄRING
ENDSPIEL DES KAPITALISMUS
Wie die Konzerne die Macht übernahmen und wie wir sie zurückholen
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Originalausgabe
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Jan W. Haas, Berlin
Umschlaggestaltung: Zero Werbeagentur, München
Einband-/Umschlagmotive: © shutterstock.com: Circumnavigation | jctabb
eBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-1579-9
luebbe.de
lesejury.de
Wie kann das sein? Die großen Aktienmärkte der Welt verzeichneten zwischen Frühjahr 2020 und Frühjahr 2021 hohe Gewinne. In einem Jahr, in dem die weltweite Wirtschaftsleistung einen schweren Einbruch erlebte, in dem viele Millionen Menschen in Kurzarbeit null gezwungen oder ganz arbeitslos wurden, Selbstständige massenhaft ihre Existenz verloren, ganze Branchen wie Einzelhandel, Hotellerie, Gastronomie und Tourismus in Existenznöte gerieten, feierten die Aktionäre. Wie passt das zusammen?
Das ist die Leitfrage dieses Buches. Am Ende der Lektüre sollte deutlich geworden sein, warum wirtschaftlicher Niedergang und Höhenflug der Börsen keine Gegensätze sind, und auch, was geschehen muss, damit sich das nachhaltig ändert – damit dieses antisoziale System durch eines ersetzt wird, welches der Masse der Menschen dient, nicht einer kleinen Elite von Menschen, die den Großteil des Kapitals besitzt.
Die Gegenüberstellung von Corona-Krise und Börsenentwicklung liefert nur das eingängigste Anschauungsmaterial dafür, dass das Wohlergehen der produzierenden Wirtschaft, die für die Menschen lebenswichtig und täglich erlebbar ist, kaum Bedeutung hat für die Finanzsphäre, die um Börsen- und Anleihekurse, Managerboni und Dividenden kreist und in der mit Unternehmen gehandelt wird wie mit Kartoffeln. Erkennbar war das schon vorher, nur nicht so deutlich. Das Konzept für dieses Buch ist älter als die Corona-Krise.
Bei den Recherchen zu meinen 2016 und 2018 veröffentlichten Büchern über die globale Kampagne zur Abschaffung des Bargelds war ich auf ein Geflecht von Stiftungen, Gremien und Vereinigungen gestoßen, mit denen Konzerne und Regierungsstellen gemeinsam dieses Projekt vorantreiben. Dabei wurde mir immer deutlicher, dass die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs nur ein Bestandteil einer viel umfassenderen Agenda ist. Ich stieß auf Projekte und Gruppen mit Namen wie ID2020, Gleichschritt, Known Traveller und Great Reset – und immer wieder auf die gleichen Gruppen in unterschiedlichen Zusammensetzungen: Weltwirtschaftsforum, Bill & Melinda Gates Foundation, Rockefeller Foundation, Accenture, Microsoft, Visa und Mastercard, regelmäßig im Verein mit der globalen Führungsmacht USA und den von ihr dominierten Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds, aber auch mit der deutschen Bundesregierung und anderen Regierungen. Gemeinsamer Nenner dieser Projekte ist das Ziel der umfassenden, automatisierbaren Sammlung und Speicherung verlässlicher Daten über das Tun und Lassen der Weltbevölkerung. Denn wer die Daten hat, hat die Macht, sowohl in kommerzieller als auch in politischer Hinsicht.
Die Beobachtung, welche Macht die Konzerne ausüben und welche Ziele sie mithilfe dieser Macht augenscheinlich verfolgen, war der eine Grund, dieses Buch zu schreiben, wenn auch noch kein hinreichender. Denn Belege und Beispiele für das Handeln und die Absichten der Konzerne kann ich weniger aufwendig und mit ähnlicher Reichweite auch auf meinem Weblog »Geld und mehr« präsentieren. Hinzu kamen aber die grundlegendere Frage, woher die Konzerne in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem eigentlich ihre zunehmende Macht beziehen, sowie die Erkenntnis, dass dieses Wirtschaftssystem nachhaltig aus den Fugen geraten ist. Seit über einem Jahrzehnt gibt es praktisch keine Zinsen mehr, obwohl doch der Zins als einer der Grundpfeiler des kapitalistischen Systems gilt. Die Zentralbanken pumpen in bislang ungekanntem Ausmaß Geld ins System, aber es erwächst daraus keine Inflation. Die wirtschaftliche Dynamik ist viel schwächer als in früheren Jahrzehnten, aber die Aktienkurse und Grundstückspreise gehen durch die Decke.
All das verlangt nach einer Zusammenschau, die analysiert, aus welchen Quellen sich die Macht der Konzerne speist und welche Beweggründe hinter ihren Plänen stehen. Diese Zusammenhänge zu erläutern und daraus anschließend eine positive Vision für ein besseres System abzuleiten, ist das Ziel dieses Buches.
Eine (intellektuelle) Reise ist angenehmer, wenn man Wegmarken erkennt und weiß, wohin man sich bewegt. Deshalb will ich vorab eine kurze Wegbeschreibung geben.
Im ersten Teil zeige ich, wie die Corona-Krise ein System offengelegt hat, in dem alles darauf angelegt ist, die Kapitalbesitzer vor Verlusten zu schützen und ihren Reichtum weiter zu mehren, während die ohnehin Benachteiligten das Nachsehen haben. Die großen Konzerne werden reicher und mächtiger, die kleineren Unternehmen verlieren Marktanteile oder gehen in den Konkurs.
Anhand der Geschichte des Weltwirtschaftsforums, der mächtigen Lobby der großen internationalen Konzerne, lässt sich zeigen, mit welchen Methoden die Konzerne ihre wirtschaftliche Potenz in strukturelle politische Macht umgemünzt haben. Das Forum ist inzwischen sogar ganz offiziell und fest in die sogenannte Global Governance integriert. So werden die Gremien und Institutionen zur Lenkung des Weltgeschehens durch nicht gewählte Technokraten und die Regeln, auf die sich diese fernab der Parlamente geeinigt haben, beschönigend genannt.
Als weitere sehr wichtige Akteure der Global Governance werden die verschiedenen halboffiziellen internationalen Gremien vorgestellt, in denen diese globale Technokratenelite ihre Gesetze formuliert.
Im zweiten Teil begeben wir uns auf die Suche nach der Quelle der Macht der Konzerne. Dafür ist es notwendig, die Funktionsweise des Kapitalismus zu begreifen, denn aus ihm speist sie sich. Ohne diese Analyse kann man weder die derzeitige untypische Situation verstehen, die ich »Endspiel des Kapitalismus« nenne, noch Reformvorschläge entwickeln, die mehr leisten, als nur Symptome zu bekämpfen.
Ich unterscheide dabei klar zwischen dem, was gemeinhin als »die Wirtschaft« bezeichnet wird, und dem Kapital. Die Wirtschaft ist die Produktions- und Konsumsphäre, in der die Menschen Einkommen erzielen und ihre Bedürfnisse befriedigen, in der die Betriebe investieren, produzieren und ihre Güter oder Dienstleistungen mit Gewinn verkaufen wollen. Das Kapital besteht aus Rechten am Ertrag dieses Wirtschaftens. In der Finanzsphäre wird mit diesen Rechten gehandelt, auch mit ganzen Unternehmen. Da das Kapital die Unternehmen über das Spitzenmanagement kontrolliert, werden diese darauf ausgerichtet, die Erträge des Kapitals zu mehren, anstatt möglichst viele möglichst gute Produkte möglichst preiswert zu produzieren. Entsprechend klafft auch ein Interessengegensatz zwischen kleineren und mittleren Unternehmen und den großen Kapitalgesellschaften. Diese werden immer größer, reicher und mächtiger, indem sie mithilfe des Finanzsektors ihre kleineren Konkurrenten verdrängen, unterordnen oder schlucken. Personengesellschaften und kleine, inhabergeführte Kapitalgesellschaften rechne ich nicht zum Kapital, so wie ich auch Besitzer selbst genutzter Eigenheime und Wohnungen nicht der Gruppe der Kapitalisten zuschlage. In beiden Fällen geht es anders als beim Kapital nicht darum, ohne eigene Leistung Geld zu verdienen.
Im dritten Teil, der dem Buch seinen Namen gegeben hat, untersuchen wir, warum unser aktueller Kapitalismus so anders aussieht, als wir ihn aus früheren Zeiten kennen oder ihn uns vorstellen, und welche Schlüsse wir daraus für die Zukunft ziehen sollten. Warum gibt es insbesondere seit vielen Jahren fast keine Zinsen mehr? Warum lahmt die Wirtschaft, während die Aktienmärkte boomen? Die Antwort auf diese Fragen lautet, dass die Kapitalerträge der letzten Jahrzehnte zunehmend von sinkenden Zinsen und von Umverteilung zulasten der Arbeitnehmer und Konsumenten gespeist wurden. Das lässt sich nicht umkehren, ohne dass das System zusammenbricht. Eine positive Vision für einen Systemwechsel entwickle ich im vierten Teil. Vorher soll es aber um die Frage gehen, wie sich die Konzerne den Systemwechsel vorstellen, nämlich als Abschied vom marktwirtschaftlichen Kapitalismus zugunsten eines Neo-Feudalismus.
Der vierte Teil beantwortet die Frage, wie das Wirtschaftssystem grundlegend geändert werden kann, um den Menschen die Macht zurückzugeben. Damit sich Reformen nicht im Kurieren an Symptomen erschöpfen, greife ich auf die Erkenntnisse zum Wesen des Kapitalismus und der Basis der Konzernmacht aus dem zweiten Teil zurück. Es wird darum gehen, den Kapitalismus heutiger Prägung zu beseitigen, dessen Wesensbestandteil die Abwesenheit von Wettbewerb ist, und ihn zu ersetzen durch eine wettbewerbliche Marktwirtschaft, eingebettet in einen Staat, der sich um die Daseinsvorsorge für die Menschen kümmert.
Abschließend befasse ich mich mit der Frage, was sich im politischen System ändern muss, damit eine solche Reform eine Chance hat.
Gestatten Sie mir zur Vermeidung von Missverständnissen und Enttäuschungen noch ein paar Bemerkungen dazu, wie man dieses Buch verstehen und welchen Trugschlüssen man besser nicht aufsitzen sollte.
Weil die US-Regierung und die großen, global dominierenden Konzerne der IT- und Finanzbranche aus den USA in diesem Buch zwangsläufig eine große Rolle spielen, will ich ausdrücklich vor einer national ausgerichteten, moralisierenden Fehlinterpretation warnen. In diesem Buch geht es um Machtstrukturen und die Formen ihrer Ausübung, nicht darum, wer die Macht gerade ausübt. Das Buch analysiert vor allem. Aber man kann es auch als Anklage gegen ein System lesen, das nicht den Menschen dient, jedenfalls nicht mehr und nicht der großen Mehrheit. Seine Defizite treten unabhängig davon auf, welche nationale Regierung gerade die globale Vorherrschaft innehat. Als die Briten die einzige Weltmacht waren, benahmen sich ihre Regierung und ihre Konzerne nicht besser als die der USA heute; wenn China und die chinesischen Konzerne die Vorherrschaft erringen sollten, würde die Welt dadurch ganz sicher nicht eine bessere. Und darüber, dass die schrecklichen deutschen Pläne zur Erringung der Weltherrschaft scheiterten, sind die allermeisten Deutschen aus gutem Grund sehr froh.
Von einer bestimmten Seite wird mir sicher entgegengehalten werden, das sei doch alles schon seit 150 Jahren bekannt. Mir ist bewusst, dass Karl Marx viel und Tiefschürfendes über die Machtverhältnisse und Strukturen des Kapitalismus geschrieben hat. Was er jedoch beschrieb, war der Kapitalismus, wie er bis Mitte des 19. Jahrhunderts vorherrschte. Das war ein völlig anderer Kapitalismus als der heutige. Es ist sogar ein wenig fragwürdig, beide Wirtschafts- und Sozialsysteme und all die anderen, die wir in den letzten 200 Jahren hatten, mit dem gleichen Namen zu bedenken, so als könne es nur noch kleinere Variationen des immergleichen Kapitalismus geben. Ich beschreibe den modernen Kapitalismus und den heraufziehenden Nicht-mehr-Kapitalismus anhand dessen, was wir heute beobachten, mit den Konzepten und Begriffen von heute.
Andere werden mich der Unterwerfung unter den Zeitgeist beschuldigen, weil ich gelegentlich »Aktionärin« schreibe, statt die neutrale, aber von vielen als rein männlich empfundene Form »Aktionär« zu verwenden. Als von Beruf und aus Passion Schreibender und Lesender habe ich Respekt vor sprachlichen Normen. Doch das Unterbewusste kommt mit abstrakten Dingen wie dem generischen Maskulinum und dem »Bäcker« als geschlechtsneutraler Berufsbezeichnung nun einmal nicht gut zurecht. Als Kompromiss verwende ich zwar das generische Maskulinum, nutze aber bei beispielhaften Bezeichnungen bevorzugt die weibliche Form und meine dann beide Geschlechter. An besonders sensiblen Textstellen nenne ich sowohl die weibliche als auch die männliche Form, und an keine dieser Regeln halte ich mich sklavisch.
In diesem Buch konnte ich Entwicklungen bis Mitte Juli 2021 berücksichtigen. Wichtige Ereignisse nach diesem Datum ordne ich auf der Seite norberthaering.de/endspiel-des-kapitalismus in den Gesamtzusammenhang dieses Buches ein. Dort finden Sie gegebenenfalls auch Korrekturen, die bei einem Werk dieses Umfangs wohl unvermeidlich sind, ebenso Hinweise auf Kommentare und Rezensionen. Wer möchte, kann dort auch einen eigenen Kommentar zum Buch veröffentlichen. Weiterführende Diskussionsbeiträge sind willkommen.