Fridays for Future, Black Lives Matter und Occupy Wallstreet waren nur der Anfang, das Zeitalter neuer Generationenverträge beginnt jetzt! Die Coronakrise hat diesen im Hintergrund schlummernden Konflikt endlich in den Vordergrund gebracht. Tristan Horx untersucht, ob unsere Generationenbilder nach wie vor zutreffen. Sind wir noch in Altersschubladen einzuordnen? Wie können wir das Netz nutzen, um zusammen eine Zukunft aufzubauen, die nicht auf Abgrenzung und Spaltung basiert? Ein Blick in die Welt von morgen – frech und verständlich.
Tristan Horx, Jahrgang 1993, ist Trend- und Zukunftsforscher beim Zukunftsinsitut und untersucht aus Perspektive derjüngeren Generationen die Themen Digitalisierung und Ökologie.
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Originalausgabe
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Angela Kuepper, München
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-1507-2
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Für meinen Großvater Paul Strathern – in Anerkennung seiner einmaligen Kombination aus Humor und Weisheit.
Immer wieder habe ich in meinem Leben versucht zu rebellieren. In einer Heavy-Metal-Band gespielt, mir Tattoos zugelegt, in Sri Lanka Englisch unterrichtet, Lederjacken getragen – die Klassiker. Doch irgendwie ist es mir nie so wirklich geglückt. Als Sohn zweier Babyboomer ist Rebellieren nun mal nicht so einfach. Sie sind Hyperindividualisten, geprägt von den Revolutionen der Siebzigerjahre, und waren somit bei jedem meiner Versuche eher erfreut, vermutlich sogar ein bisschen stolz. Ein individuelles Aufbegehren war also schon von vornherein zum Scheitern verurteilt, und auch die kollektiven Jugendrebellionen und Revolutionen, wie sie damals während der Ära der Hippies stattfanden, suchte ich lange Zeit erfolglos. Eine Rebellion ohne einen echten Antagonisten macht eben nur halb so viel Spaß. Bekanntlich braucht man eine Nemesis, um sich wirklich zu wandeln.
Doch dann, 2018, geschah es – Fridays for Future! Die jüngere Generation – zu der ich nicht mehr ganz gehöre – ging auf die Straße und kämpfte für das Klima. Sie brachte damit endlich einen Generationenkonflikt zum Vorschein, der zwar lange da gewesen war, aber immer nur unter der Oberfläche vor sich hin gebrodelt hatte. Dabei war vielen längst klar, dass die Welt des zwanzigsten Jahrhunderts nicht linear ins einundzwanzigste fortgeführt werden konnte. Dafür waren – und sind – die Probleme zu komplex.
Das Schöne an Fridays for Future war: Es wurde nicht gegen etwas, sondern für etwas rebelliert: die Zukunft – genau mein Thema. Bald aber ging gehörig etwas schief. Fingerzeige, Anschuldigungen, Unterstellungen, das Übliche – die Kommunikation ging den Bach runter. OK Boomer!, hieß es, die Fronten zwischen den Generationen verhärteten sich. Auf der Seite der Jungen wurde das Boomer-Bashing en vogue, während die Ära der von 1946 bis 1964 Geborenen, von denen viele als Entscheidungsträger:innen in Wirtschaft und Politik fungieren, den Rebellierenden Naivität unterstellte. Auf einmal konnte auch ich, der sich eigentlich als objektiver Generationenforscher sieht, fühlen, wie ich auf eine Seite gezogen wurde – und das war definitiv nicht die der Boomer. Die haben mir bekanntlich meine eigene Rebellion versaut.
Einer wachsenden Rebellion zuzusehen, an der man nur beobachtend teilnimmt, führt, gelinde gesagt, zu Frust. Darf man nicht mitmachen, weil man schon zu alt ist? Was für eine Schande, dass die Zukunft von so etwas Gewöhnlichem wie einem Generationenkonflikt zerstört werden könnte. Dabei ist eines klar: Mit einer Rebellion um ihrer selbst willen ist es nicht getan, es muss sich definitiv etwas ändern. Für unsere Gesellschaft und den Planeten.
Die Zeit drängt, um die verschiedenen Rebellionen und ihre Fronten zu erkennen und sie anschließend konstruktiv auszutragen. Um ein neues Miteinander zu finden, das sich über alte, verkrustete Altersgrenzen hinwegsetzt, statt sich einfach nur an dem ewigen Kämpfen aufzugeilen. Ein Konflikt ist eigentlich etwas Wunderbares, er hält uns innovativ und produktiv, sogar lebendig und evolutionär fit – sofern er richtig gestaltet wird. Ohne eine gemeinsame Zukunftsvision aber wird das nichts. Insofern sollte es ein explizites Ziel sein, positive Veränderungen unserer überbeschleunigten Zeit hervorzuheben und zu zeigen, wohin die Reise geht, seien es Arbeit, Umwelt, Wohnen, Einkommen oder Digitalisierung. Themen, entlang derer sich der Generationenkonflikt abbildet, der mittlerweile nicht mehr ansatzweise produktiv ist.
Es ist eine falsche Dichotomie zwischen Alt und Jung entstanden, die vermeintlich entgegengesetzte Ziele haben. Dabei ist das absoluter Quatsch – es verbindet uns weit mehr, als uns trennt. »Besser streiten!«, lautet daher die Devise. Besser eine Auseinandersetzung austragen, sie klären, um dann gemeinsam nach vorne schauen zu können, statt regressiv in sich hineinzuschmollen.
Fridays for Future hat den Anfang gemacht. Das wahre Zeitalter der Rebellion, vielleicht sogar Revolution, beginnt zum Glück erst jetzt. Vielleicht hilft uns sogar eine Pandemie ein bisschen beim Wandel. Mögen wir in spannenden Zeiten leben.
Im Englischen gibt es ein fantastisches, fast vergessenes Wort namens posterity – nicht zu verwechseln mit prosperity, dem Wohlstand. Gewöhnlich setzt man posterity mit dem Begriff »Nachwelt« gleich, wobei »enkelfit machen« es noch besser trifft. Beide klingen allerdings etwas pathetisch. Nichtsdestotrotz beschreibt es ein Prinzip, das wir als Gesellschaft dringend wieder brauchen. Es bedeutet schlicht und ergreifend, etwas für die Generationen und die Welt nach der eigenen zu tun. Noch pathetischer könnte man es mit dem altgriechischen Leitsatz beschreiben: »Eine Gesellschaft wird groß, wenn alte Männer Bäume pflanzen, in dessen Schatten sie niemals sitzen werden.« Bisschen ausgelutscht, I know. Vor allem der Teil mit den Männern ist nicht so wahnsinnig gut gealtert – aber der Sinn ist klar.
Bis jetzt waren wir eher im Prosperity-Modus unterwegs. Live long and prosper, wie der große Babyboomer-Philosoph Mr Spock von Star Trek einst sagte. Das ist ja an sich nichts Schlechtes, ich würde auch gerne lang leben und gedeihen (so lautet die halboffizielle Übersetzung). Wachstum, Wohlstand, Individualisierung: lohnenswerte Ziele für jede Generation. Nur ist das Ganze leider etwas zu ichbezogen, das »Wir« gerät dabei außer Reichweite. Eigentlich kein Wunder, die Babyboomer sind schließlich auch bekannt als die Me-Generation. Und nicht nur sie: Generationenkonflikte, gemischt mit der Hyperindividualisierung der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, haben dazu geführt, dass Generationen tendenziell eher im eigenen Interesse handeln. Es wurde rebelliert, gekämpft, und in den Siebzigern änderte sich kulturell so einiges. Die Welt wurde schöner, liberaler und globaler. Wachstum, Wachstum, Wachstum …
Die Grundformel des »Ich, immer mehr, immer besser« ging rund dreißig Jahre lang gut. Bis zur Fridays-for-Future-Bewegung schaute die Generation Prosperity zu, ruhte sich auf ihren Lorbeeren aus, viel mehr Wandel passierte subsequent nicht. Würde die Erde das aushalten, könnten wir dieses Spiel ewig so weiterspielen. Linearität aber kann gefährlich sein: ein bisschen Veränderung hier, eine kleine Reform dort, während eine Generation in die Fußstapfen der nächsten tritt. Der Blick der Boomer war zu sehr nach innen gekehrt, die Generationstrennlinien zu verhärtet. Nun ist eine neue Einstellung gefordert, eine neue Zukunftsvision muss her, hinter der sich alle Altersgruppen vereinen können. Genug ge-prospert, Zeit für posterity. Dass Eltern das Beste für ihre Kinder wollen, ist nicht neu – doch dass der Blick dabei über die Grenzen der eigenen Familie, des Landes, des Kontinents hinausreicht, birgt eine Menge Potenzial für gesunde Veränderungen. Das Gute an dem Prinzip: Es gilt für alle, auch für mich, meine Kinder und all die, die folgen werden. Somit kann man niemandem Generationsegoismus unterstellen.
Prosperity im einundzwanzigsten Jahrhundert wird es ohne posterity nicht geben – kein Zufall, dass die Worte so ähnlich und doch anders sind.