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Das Buch

Vergessen Sie alles, was Sie bisher an Erfolgsstrategien, Motivationstipps und Problemlösungen gelernt haben. Wenn Sie sich wirklich weiterentwickeln wollen und glücklich werden wollen, müssen Sie sich von Ihren vertrauten aber oft trügerischen Grundannahmen des Lebens lösen. In seinem Buch zeig Dieter Lange auf anregende und unterhaltsame Weise, wie das gelingt, und das niemand unserem Erfolg im Weg steht – außer wir selbst.

Mit provokanten Paradoxien und kurzweiligen Geschichten hilft »Sieger erkennt man am Start – Verlierer auch«, den eigenen Horizont systematisch um neue Sichtweisen zu erweitern. So versichert Dieter Lange: Lebenskrisen sind auch Wahrnehmungskrisen. Dabei erzählt er uns aus eigener Erfahrung im Umgang mit gefährlichen Situationen, die sowohl von Menschen, als auch von Naturgewalten ausgehen können. Einem lebensbedrohlichen Ereignis hat er beispielsweise die Erkenntnis zu verdanken, dass man durch seine Ängste erst hindurch muss, um sie zu besiegen. Bei einer anderen Gelegenheit erfuhr er am eigenen Leib, dass manche Dinge gänzlich anders erscheinen, als sie in Wirklichkeit sind. Spannend und lehrreich erzählt er von seiner langjährigen Tätigkeit als Coach, bei der ihm eine Sache besonders deutlich geworden ist: Manchmal muss man ganz unten gewesen sein, um nach oben zu kommen.

Ein Buch, das Antworten gibt auf die wichtigsten Fragen – und dort Fragen stellt, wo wir die Antworten schon zu wissen glauben.

Der Autor

Dieter Lange ist ein weltweit angesehener Toptrainer und Coach. Nachdem er mehrere leitende Positionen in deutschen und internationalen Konzernen innehatte, nahm er eine zweijährige Auszeit, um sich auf einer Weltreise mit ethnischen Studien zu befassen. Bei seiner Beratertätigkeit verbindet er stets östliche Weisheiten mit westlichem Wissen. Heute lehrt er als Gastdozent u.a. an der Harvard Business School und an der Universität St. Gallen

DIETER LANGE

SIEGER ERKENNT MAN AM START – VERLIERER AUCH

Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

ECON

Abbildung:

© Hermann Krottenmaier. Mentalakademie, Graz.

Text:

Peter-Philipp Schmitt: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. 09. 2003, Seite 9. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.



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ISBN 978-3-8437-2492-0


© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2010

Redaktionelle Mitarbeit: Dr. Catharina Oerke

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

AUSZEIT

WARUM DIE REISE VOM KOPF ZUM HERZEN DIE LÄNGSTE UNSERES LEBENS IST

REIF FÜR DIE INSEL

Bereits zwei Stunden war ich am Strand entlanggelaufen, den Blick auf die Weite des Horizonts gerichtet. Einen Monat war ich jetzt schon hier, genoss das milde Klima dieses aus Vulkangestein entstandenen Eilands. Nachdem ich auf Hawaii gelandet war, hatte ich zunächst zwei Wochen mit Insel-Hopping zugebracht. Von Hawaii ging es nach Ni’ihau, der sogenannten »Verbotenen Insel«; dann über die »Garteninsel« Kaua’i auf die »Freundliche Insel« Moloka’i, anschließend nach Maui und wieder zurück zu meinem Ausgangspunkt Hawaii. Ich hatte diese Tour gebraucht, um Abstand zu meinem bisherigen Leben in Deutschland zu gewinnen.

»Kündigung« – immer noch sah ich das von mir selbst verfasste Schreiben vor meinem geistigen Auge. Die Frage, ob die Entscheidung, mich von meinem Job zu verabschieden, richtig gewesen war, hatte ich schnell beantworten können: ja, definitiv ja! Und noch etwas war mir in den letzten Wochen bald klar geworden: So wie bisher wollte ich nicht weitermachen! Mit der Antwort auf die Frage, wie es nun konkret weitergehen würde mit mir, hatte ich mir Zeit gelassen. Erst jetzt, in der vierten Woche meiner »Flucht« aus Deutschland, merkte ich, dass ich endlich abschalten konnte. Wenn ich so am Strand entlanglief, war da in meinem Kopf langsam wieder Raum für neue Ideen und Pläne. Um an diesen Punkt zu gelangen, hatte ich anfangs wieder und wieder das Szenario durchgespielt, das sich vor rund einem Monat in Deutschland zugetragen hatte …

Nachdem ich nach Abschluss meines Studiums zunächst drei Jahre bei Colgate Palmolive als Trainee, Assistent und Produktmanager gearbeitet hatte, wurde ich bei einem großen Konzern einer der jüngsten Hauptmarkenleiter Deutschlands. Dabei hatte ich dort alles, was das Jungmanager-Herz sich nur wünschen konnte: glänzende Karriere-Aussichten, ein für meine Empfindung atemberaubendes Einkommen, einen Dienstwagen. Letzteren zumindest theoretisch. Autofan, der ich war, lebte ich die Devise Polo oder Porsche, damals Käfer oder Porsche. Also wählte ich den Dienstwagen kurzerhand ab und kam jeden Morgen mit meinem knallorangenen Wagen auf den Hof gesaust.

Mein Käfer fiel jedoch zwischen Präsentationskarossen wie BMW, Mercedes und Jaguar zu sehr aus dem Rahmen. Darum gab man mir eines Tages den dezenten Hinweis, ich möge meinen Wagen doch bitte woanders, am besten Richtung Dienstbotenausgang, abstellen. Nichtsdestotrotz hatte ich Anspruch auf einen Leitenden-Parkplatz, weshalb der Werkschutz schließlich angewiesen wurde, meinen Käfer allmorgendlich in Empfang zu nehmen, um ihn wegzufahren. Und so war ich neben dem Vorstand der Einzige im Unternehmen, dessen Wagen auch abends wieder vorgefahren wurde, wenn ich nach Hause wollte. Ich amüsierte mich köstlich über dieses Spiel und genoss mein damaliges Leben in vollen Zügen!

Bis eines Tages ein neuer Eigentümer die Firma betrat. Mit ihm sollte eine völlig veränderte Philosophie ins Haus Einzug halten. An dem Tag, an dem ich meinen ersten Jour fixe mit dem neuen Chef haben sollte, war ich spät dran und brauste mit meinem Käfer wieder direkt vor den Haupteingang. Neben mir hielt ein alter Volvo, aus dem ein Mann mit Knitteranzug und ausgebeulter Aktentasche stieg. Um ihm Unannehmlichkeiten zu ersparen, teilte ich dem Volvo-Fahrer mit, dass er dort nicht parken dürfe. Seine Antwort: »Glauben Sie mir, junger Mann, ich darf hier stehen.« – »Ja, ja, das habe ich auch immer geglaubt, aber Leute wie Sie und ich, wir sind hier mit solchen Autos nicht gern gesehen.«

Ein rascher Blick auf die Uhr zeigte mir, dass für weitere Erklärungen keine Zeit war. Ich rannte eilig ins Haus – um demselben Knitteranzug auf der Marketingetage wiederzubegegnen. Bass erstaunt und mit leicht jugendlicher Arroganz fragte ich ihn: »Kann ich Ihnen weiterhelfen?« – nach dem Motto: Sie gehören hier doch bestimmt nicht hin. Worauf er mit einem lässigen Ich-gehöre-sehr-wohl-hier-her-Unterton konterte: »Ich suche den Raum 510.« Meine Erwiderung: »Da können Sie jetzt ganz sicher nicht rein. Wir haben dort gleich ein Meeting mit dem neuen Eigentümer der Firma.« Der aufmerksame Leser wird die Antwort des Knitteranzugs längst erraten haben: »Entschuldigung«, sagte dieser, »ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, ich bin der neue Eigentümer.«

Volltreffer, dachte ich zu diesem Zeitpunkt noch ganz vergnügt, einen besseren Einstieg hättest du nicht hinlegen können. Doch meine Unbeschwertheit sollte mir im Meeting bald vergehen. Von dem neuen Chef wollte ich wissen: »Da Ihnen dieses Unternehmen jetzt gehört, worum wird es ab sofort in diesem Hause gehen?« Seine Antwort werde ich nie vergessen: »Machen Sie sich keine Sorgen. Ab heute sind Sie kein Unternehmer Ihrer Marke mehr. Sie führen einfach aus, was wir Ihnen sagen.« Ungläubig schaute ich ihn an und hakte noch einmal nach: »Aber wenn es nicht mehr um die Marken geht, die dieses Unternehmen produziert und vertreibt, worum geht es denn dann?« Auch seine folgenden Worte werde ich mein Leben lang in Erinnerung behalten: »Seien Sie ganz unbesorgt, junger Mann, wir produzieren hier Geld.«

Nach dieser Antwort war es ganz still im Raum. Ich zögerte keinen Moment, sondern stand auf, um mich höflich zu verabschieden. Dann ging ich in mein Büro und sagte zu meiner Sekretärin: »Petra, schreib bitte Folgendes: Kündigung …« Als nächsten und letzten Vorgang, den sie für mich erledigte, buchte sie einen Flug nach Hawaii. Ich wollte so weit weg, wie es nur irgend ging. Und am nächsten Tag stand ich um acht Uhr früh am Hamburger Flughafen.

LEISTUNG GEGEN SINN

Mein Entschluss wirkte damals auf viele sehr spontan. Die Kündigung und »die Flucht auf die Insel« waren es auch. Dennoch hatte das Ganze eine längere Vorgeschichte: Schon einige Zeit vor meiner Kündigung hatte ich jede Menge Sinnfragen im Gepäck. Fragen, von denen ich heute weiß, dass sie nicht nur mich, sondern auch jeden anderen Menschen beschäftigen.

Ich wollte zum Beispiel herausfinden, warum ich meine Geschicke einmal selbstbestimmt lenken konnte und ein andermal das Gefühl hatte, nur Opfer äußerer Umstände zu sein? Warum ich mir manchmal wie fremdgesteuert vorkam? Einen Moment lang war ich noch mittendrin im Leben, dann wieder stand ich völlig neben mir. Warum wiederholten sich bestimmte Dinge und andere nicht? Wieso schien ich in mancher Hinsicht schlichtweg dazu verdammt, immer eine Extraschleife zu drehen, egal wie schlau ich mich auch anstellte? Welche Muster bediente ich da eher unbewusst, welchen Automatismen, welchen Diktaten folgte mein Verstand? Oder: Warum passierten mir manche Fehler einfach immer und immer wieder? Was stimmte hier nicht? Aber vor allem wollte ich wissen: Warum war es in meinem Leben bisher so gelaufen, wie es gelaufen war? Und natürlich – was würde noch kommen?

Besonders die letzte Frage stellte ich mir relativ früh in meinem Berufsleben. Ich war schon in den ersten Jahren im Job, bei nahezu jährlicher Beförderung, mit Ende zwanzig zum Hauptmarkenleiter ernannt worden. Für die nächsten dreißig Jahre meines Lebens blieben mir mit dem Posten des Direktors und des Vorstands also noch genau zwei Positionen, die ich erreichen konnte. Dreißig Jahre für zwei Stufen auf der Karriereleiter – is that all there is? Das sollte alles gewesen sein? Mir wollte das nicht in den Kopf!

Sicher, zuerst hatte ich diesen Aufstiegstrip voll Feuereifer betrieben. Ich verspürte eine ungeheure Neugier aufs Leben, war leidenschaftlich und erfolgsorientiert. Aber schon bald begann ich mich immer öfter zu fragen: Soll das der Sinn deines Lebens sein? Keine andere Ungewissheit verbarg sich schließlich hinter all meinen oben genannten Fragen. Und sie treibt uns alle um: Wir wollen wissen, was wir auf dieser Erde zu suchen haben, warum wir hier sind und warum die Dinge so geschehen, wie sie geschehen.

Kann das alles gewesen sein?

Spätestens mit der plötzlichen Erkenntnis, dass die nächsten dreißig Jahre meines Lebens absolut vorhersehbar ablaufen würden, begann ich an meiner bisherigen Sichtweise auf die Dinge zu zweifeln. Ich weiß heute durch meine Arbeit als Coach, dass es vielen Menschen so geht wie mir damals. Wir alle stehen vor den gleichen Rätseln, fühlen uns zum Beispiel in einem permanenten Wiederholungszwang. Das Leben scheint dabei in ewigen Schleifen zu verlaufen. Man hat nicht mehr den Eindruck, sich weiterzuentwickeln. So wie noch als Schüler, Auszubildender, als Student oder in den ersten Berufsjahren. Darum stellt sich früher oder später die Sinnfrage: Warum stehe ich jeden Morgen auf? Worum geht es eigentlich? Wieso bin ich hier? Um im Rattenrennen des Berufslebens irgendwann die Oberratte zu werden und dabei doch immer »Ratte« zu bleiben?

Mir wurde damals immer bewusster: Das allein konnte es nicht sein. Und ein ungutes Gefühl machte sich zunehmend in meiner Bauchregion breit. Was, wenn ich die ganze Zeit unter falschen Voraussetzungen mitgespielt hatte? Oder waren meine Fragen nicht die richtigen? Vielleicht waren es auch meine kaum hinterfragten Grundannahmen dem Leben gegenüber, die einfach nicht stimmten? Wenn aber das der Fall war, wie konnten dann meine Lösungsversuche und Erfolgsbestrebungen überhaupt funktionieren?

Meine Zweifel und Befürchtungen hinsichtlich des Rattenrennens trieben mich also schon vorher um. Genauso wie all die Fragen, auf die ich bisher noch keine befriedigenden Antworten gefunden hatte. Weder an der Uni noch im Job noch in Büchern. Also beschloss ich an diesem Punkt meines Lebens ganz bewusst, eine Auszeit zu nehmen, eine Zeit ohne Termine, Fristen und Dienstvorschriften. Das Ziel: den ersehnten Antworten auf die Spur zu kommen. Und ich würde mir so viel Zeit nehmen, wie nötig war.

Zunächst aber musste ich Abstand gewinnen von meiner Arbeit, die sich von einem Moment auf den anderen als absolut sinnlos erwiesen hatte. Ich bin heute der festen Überzeugung: Wer Leistung will, muss Sinn bieten. Doch der Sinn meines Tuns erschloss sich mir in jenen Tagen nicht mehr. Ich konnte nicht erkennen, wie ich in diesem Unternehmen, in dem nur noch »Geld produziert« wurde, noch einen wertvollen Beitrag hätte leisten sollen. Nicht mehr mit diesem Eigentümer. Deshalb hatte ich gekündigt.

Auf diesen fernen Inseln nun, auf denen die Uhren viel langsamer tickten, fern von meinem bisherigen Leben wuchs mit zunehmender Distanz der Drang in mir, zu den Weisen, Schamanen und Heiligen dieser Welt zu reisen. Ich hoffte, bei ihnen die Antworten auf meine Fragen zu finden. Ich plante mein Vorgehen sorgfältig. Insgesamt sollte ich zwei Jahre unterwegs sein.

DIE LEERE FÜLLEN

Da mir einige dieser weisen Männer und Frauen bereits aus Büchern oder durch Freunde bekannt waren, fiel mir der Einstieg nicht schwer. Zum Beispiel kannte ich eine Gruppe, mit der ich zu Burjaten-Schamanen an den Baikalsee in Sibirien reiste. Genauso hatte ich Freunde, mit denen ich zusammen nach Indien, Nepal und Ceylon ging, um mit Hinduisten, Buddhisten und Zen-Mönchen in Klöstern zusammenzuleben. Die Fragen, denen ich dort nachging, waren dieselben, die ich später bei Hopi- und Navaho-Indianern in den USA stellte: Ich wollte mehr wissen über Glück, Erfolg und Macht; ich wollte wissen, was Zeit, Reichtum, Liebe und Vertrauen sind und wie ich Gesundheit und Zufriedenheit erlangen konnte. Es ging dabei also immer wieder um die Grundfragen des Menschseins.

Als ich auf meinem ersten Reiseabschnitt im Fernen Osten ankam, war mein Kopf vollgepackt mit westlichem Denken. Es gibt eine Geschichte über eine fernöstliche Teezeremonie, die das Verhältnis des Zen-Meisters zu seinem Schüler verdeutlicht. Diese Geschichte spiegelt wider, wie es zu Anfang meiner Reise- und Lehrjahre in mir aussah:

Ein junger dynamischer Manager reiste in den Fernen Osten, um etwas über Zen-Buddhismus zu lernen. Beim Meister angekommen, trug er ihm sein Anliegen vor: »Ich habe alle Bücher gelesen, alle Seminare besucht, habe einen MBA gemacht und war an der Harvard Business School. Es gibt nichts, was ich nicht versucht hätte – und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich auf der Stelle trete. Deshalb habe ich mir überlegt, einen weisen Menschen wie dich danach zu fragen, wie ich weitermachen soll. Was es noch Neues für mich geben kann.«

Denn nur die Leere kann gefüllt werden.

Der Meister antwortete: »Gut, mein Sohn, so folge mir durch meinen Garten zum Teehaus. Wir wollen mit einer Teezeremonie beginnen.« Bedächtigen Schrittes gingen sie einen langen Pfad zum Pavillon entlang. Dort begann der Meister, einer jahrhundertealten Tradition folgend, die Zeremonie vorzubereiten. Seinem Gast sollte die Vorbereitungsphase die Möglichkeit zur inneren Einkehr bieten. Er empfahl dem jungen Mann, die von ihm sorgfältig ausgesuchten Teeschalen und Gerätschaften zu betrachten, füllte frisches Wasser in ein steinernes Bassin und legte eine Schöpfkelle bereit. Dann wusch er sich Mund und Hände und bat anschließend seinen Gast, es ihm gleichzutun. Erst nachdem alles angerichtet war, betraten sie das Teehaus, und der Meister servierte den Tee.

Er setzte seinem Gegenüber eine Tasse in den Schoß und begann einzuschenken. Dabei sah er seinen Gast die ganze Zeit über lächelnd an. Die Tasse füllte sich langsam, aber der Meister hörte nicht auf zu gießen. Der junge Mann wurde unruhig: Merkt der Alte gar nicht, dass ihm der heiße Tee gleich über die Beine laufen würde?, fragte er sich. Doch der Meister goss weiter und sah ihm dabei immer freundlich in die Augen. Schließlich schwappte der Tee über den Rand auf die Untertasse, und auch die war schnell gefüllt. Als der Meister immer noch weitergoss und der heiße Tee dem Gast tatsächlich auf die Beine zu laufen begann, konnte dieser nicht mehr an sich halten: »He, alter Mann, merkst du gar nicht, was du da tust? Die Tasse ist doch längst voll, und du gießt einfach weiter.« Da antwortete der Meister lächelnd: »Wie kann ich dir Zen zeigen, bevor du deine Tasse geleert hast?«

Und erklärend fuhr er fort: »Genau wie diese Tasse ist auch dein Kopf voll mit vorgefertigten Meinungen, Spekulationen und Interpretationen, mein Sohn. Dein Kopf ist voll, und du kommst zu mir und sagst, ich soll ihn noch weiter füllen? Du musst erst einmal leer werden, von all dem, was du bisher gelernt hast. Denn nur die Leere kann gefüllt werden.«

Dieser Suchende aus der Geschichte hätte tatsächlich ich sein können. Auch ich musste meinen Kopf erst einmal leeren, bevor ich überhaupt nur daran denken konnte, Antworten auf meine Fragen zu finden. Ich musste mich von meiner gewohnten Wahrnehmung verabschieden, die mich blind gemacht hatte für das Wesentliche. Das war keine leichte Übung. Denn die Macht der Gewohnheit ist bekanntlich der härteste Klebstoff der Welt.

MEIN LEITSTERN

Ganz allmählich fing ich an, Vorstellungen und Vorurteile, die in meinem Denken fest verankert waren, über Bord zu werfen. Eine Aufgabe, die das ganze Leben lang andauert. Genauso wie die Schulung des Bewusstseins und die Veränderung der inneren Einstellung. Und langsam begann ich, die Welt mit anderen Augen zu betrachten, und ahnte, dass die Antworten auf meine Fragen immer direkt vor mir lagen, wie der Leitstern meines Lebens. Dass sie schon immer da sind und wir nur in sie hineinwachsen müssen.

Es ist eine schwer erlernbare Fähigkeit, die Welt um sich herum genauer anzuschauen. Lange Zeit besaß ich diese Fertigkeit nicht. Doch nach dieser einschneidenden Erfahrung entschied ich mich dazu, die Dinge anders wahrzunehmen als bisher und ihnen mit einer neuen Einstellung zu begegnen. »Sieger erkennt man am Start – Verlierer auch«, lautet der Titel dieses Buches. Damit möchte ich dazu auffordern, das eigene Selbstverständnis zu hinterfragen. Denn jeder Mensch kann seine Wahrnehmung und seine Einstellung verändern – sofern er denn will. Und tatsächlich: Die Einstellung, mit der wir durchs Leben gehen, bestimmt ganz wesentlich, wie erfolgreich und glücklich wir sind. Unser Verhalten entspricht unseren positiven oder eben auch negativen Glaubenssätzen. Ob wir eine Sache erfolgreich durchziehen, wissen wir, wenn wir einmal ehrlich mit uns sind, meist schon am Startblock.

Als ich begann, mein Bewusstsein zu schulen und Dinge mit anderen Augen zu sehen, machte ich noch eine weitere interessante Erfahrung: Wenn man erst einmal in der Lage ist, seinen Verstand abzuschalten, herrscht mitunter mehr Klarheit. Wir erkennen dann, dass Klugheit nicht unbedingt vor vermeintlich dummen Entscheidungen schützt und dass man sich erst von einem Problem lösen muss, um es lösen zu können. Hinter diesen Sätzen verbirgt sich kein verwirrender Widerspruch, sondern eine tiefe, befreiende Wahrheit. Nämlich, dass es sich bei Lebenskrisen letztlich immer um Wahrnehmungskrisen handelt.

Inzwischen weiß ich, dass meine Reise zu den Antworten in mancher Hinsicht mein ganzes Leben andauern wird. Dass genau in dieser Reise der Sinn liegt und es dauert, bis wir die Antworten verstehen. Und ich kann mich darüber freuen – there is much more to come! Aber zu diesem neuen Blick und vom Zweifel zur Freude war es ein gutes Stück Weg. Am Beginn stand zunächst alles andere als die vermeintliche Lösung all meiner Probleme. Am Anfang musste ich einen Endpunkt setzen – und kündigen. Wie weiter, das wusste ich zu Beginn nicht. Aber eben dieser Schritt brachte mich dann dazu, nicht nur bildlich gesprochen die Koffer zu packen, sondern tatsächlich auf große Sinnsuche und Abenteuerfahrt zu gehen.

Man sagt, Reisen verändere die Wahrnehmung. Mir hat es dabei geholfen, einen anderen Blick auf die Welt und sinnstiftende Lebensinhalte zu erlangen. Mir scheint, dass ich erst heute wirklich einen Beitrag leiste zu einer Welt, in der ich leben möchte. Wenngleich ich noch lange nicht am Ende meines Weges angekommen bin. Niemand kommt je an, denn mit jedem vermeintlichen Ziel öffnet sich nur eine neue Tür.

Es geht nicht darum, ständig neue Länder zu bereisen, sondern die Welt mit anderen Augen zu sehen. (Marc Aurel)

Ahnst auch du bereits, lieber Leser, dass ein Karrieretrip für dich nicht alles ist? Hast auch du gerade das Gefühl, dich im Kreis zu drehen und dich aus manchen Schleifen alleine nicht befreien zu können? Oder glaubst du, im Wartesaal des Lebens festzuhängen, bist aber durchaus gewillt, dich aus deiner kuschelig eingerichteten Komfortzone zu wagen? Dann hole ich dich gerne am Bahnhof ab und lade dich mit diesem Buch ein auf eine der spannendsten Forschungsreisen überhaupt: auf eine Expedition zu dir selbst.

Vielleicht musst du dazu gar nicht die Koffer packen und dich wie ich damals ans Ende der Welt begeben. Schließlich muss man nicht ständig neue Länder bereisen, um die Welt mit anderen Augen zu sehen. Deine Reise zu den Antworten kannst du mit diesem Buch an jedem Ort und zu jeder Zeit antreten. Ich kann dir allerdings nicht garantieren, dass du nicht irgendwann selbst einmal den Wunsch zum Aufbruch verspüren wirst, wohin auch immer. Und warum auch nicht? Alles ist möglich.

In diesem Buch habe ich das »Reisetempo« bewusst so gewählt, dass Veränderungen erkennbar werden, die sich bereits während des Lesens einstellen. Schau einfach mal ab und zu aus dem Fenster – wie bei einem fahrenden Zug – und beobachte, ob sich die Landschaft langsam wandelt. Oder ob sich vielmehr deine Wahrnehmung der Landschaft ändert. Sprache und Worte des Buches sollen dir als Wegweiser dienen. Sie wurden sehr genau ausgewählt und mit Bedacht verwandt.

Ich freue mich, während der nächsten Kapitel dein Weggefährte sein zu dürfen. Ich möchte dich bei einer Wanderung begleiten, die dein Leben verändern kann und die dich von einem übervollen Kopf zurück zu deinem Herzen, zu deinem Selbst, führt.



Dieter Lange

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Hamburg, im Januar 2010