Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2017 Dorit Schlangen, Rüdiger Schneider
© Fotos: Dorit Schlangen, Rüdiger Schneider
Coverfoto: nach dem Gemälde von Johann Wilhelm Tischbein ‚Goethe in der Campagna‘, 1787 (aus Wikipedia, gemeinfrei)
2. erweiterte Auflage
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7448-2922-9
Gelegentlich wird bei den Kräutern auf deren Heilwirkung hingewiesen. Dies dient nur Ihrer Information und ersetzt nicht den Arztbesuch. Es ersetzt auch nicht die eigene Umsicht. Zu diesem Hinweis sind wir angehalten, da selbst in Wanderbüchern darauf aufmerksam gemacht wird, dass der Autor nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, wenn jemand über Stock und Stein stolpert. Wenn also jemand glaubt, einen Arztbesuch durch dreimal täglich ein Omelett mit dem ‚Kraut der Unsterblichkeit‘ ersetzen zu können, so haften wir nicht dafür.
Basilikum, Schnittlauch, Petersilie! Das gängige, beschränkte Angebot der Supermärkte, was die frischen Pflanzen betrifft. „Langweilig!“ denken wir. „Die Welt der Kräuter muss doch bunter, vielfältiger sein, ja, auch abenteuerlicher, was die Aromen betrifft, die feinen Nuancen im Geschmack.“ Nichts gegen Basilikum, Schnittlauch und Petersilie. Sie gehören natürlich mit dazu. Aber nur das? Nur die? Nein! Und außerdem: Sind viele Kräuter nicht auch Heilkräuter? Das wusste schon Hildegard von Bingen. Also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Neue Geschmacksrichtungen finden und zugleich die überfüllten Arztpraxen entlasten. Und zugleich auch die botanischen Kenntnisse auffrischen, nachholen, was man in der Schule verschlafen hat. Aber da standen die Kräuter gar nicht auf dem Programm, sondern eher die Mendelschen Vererbungsgesetze, die einen höchstens interessieren, wenn man mit australischen Aborigines Nachkommen zeugen und wissen will, was sich in den nächsten Generationen behauptet. Ursprüngliche Naturverbundenheit oder westliche Zivilisationserschlaffung.
Wie das so ist am Anfang. Wir haben keine Ahnung, haben uns zu lange gängeln lassen von der Beschränktheit des großen Marktes. Aber wen nehmen wir als Führer in das für uns neue Land? Unsere Wahl fällt auf Goethe. Goethe? Der Dichter? Ja, genau der. Denn der hat nicht nur gedichtet, sondern war auch ein großartiger Botaniker. Und weitläufige Gärten mit Kräutern und Gemüsen hat er in Weimar auch gehabt. Sogar eine Pflanze ist nach ihm benannt. Die ‚Goethepflanze‘, das sukkulente ‚Bryophyllum calycinum‘, das er 1817 untersuchte und tiefsinnige Aufsätze darüber verfasste.
Goethe war ein Gourmet. Nicht nur an der herzoglichen Tafel in Weimar, sondern vor allem auch zu Hause. Seine Großmutter hat ein Kochbuch hinterlassen, seine Frankfurter Tante ebenso. Seine Frau Christiane besaß ein zeitgemäßes. Das der Johanna Katharina Morgenstern: ‚Unterricht für ein junges Frauenzimmer, das Küche und Haushaltung selbst besorgen will, aus eigener Erfahrung erteilt von einer Hausmutter’. Und dann gibt es die Briefwechsel zwischen Goethe und seiner Frau Christiane. So wie wir heute fleißig SMS tippen, so hat Goethe früher Tausende langer Briefe geschrieben. Oft genug ist da von leckeren Mahlzeiten die Rede. Man kann also bestens Bescheid wissen. Man darf auch ruhig davon ausgehen, dass exotische Gewürze und Kräuter zur Verfügung standen. Die besorgte sich Christiane beim Weimarer Delikatessenhändler Stephano Salice.
Wer gut isst, kennt sich natürlich auch mit dem Wein aus. Aber dafür muss ein eigenes Kapitel her. Um den Gesundheitsaposteln hier schon den Wind aus den Segeln zu nehmen, sei verraten, dass er bis zu drei Flaschen am Tag köpfte und darüber oder auch deshalb 82 Jahre wurde. Faszinierend war auch, wie getafelt wurde. Da man noch nicht den digitalen Medien verfallen war, hatte man selbst für die Unterhaltung zu sorgen. Bei Tisch wurde gesungen, diskutiert, rezitiert, es gab improvisierte Sketche und allerlei Zeitvertreib mehr.
Auch für seine Italienreise muss ein eigenes Kapitel her. Denn die hat auch die Rezepte beeinflusst.
Anders als früher in der Schule hatten wir dieses Mal viel Spaß mit Goethe, haben einige Gerichte, die er liebte, nachgekocht, manchmal auch variiert und auch Neues hinzugezaubert. Unser Motto war dabei: „Das Herz der Küche sind die Kräuter.“ So ist dieses Kochbüchlein entstanden, mit dem wir unseren Lesern und Leserinnen viel Freude und angenehme Stunden wünschen.
Unser Abenteuer beginnt in Weimar. Da fahren wir zuerst hin, um alles an Ort und Stelle zu besichtigen.
Kräuter machen einfach Spaß! Sie sind nicht nur für die Küche eine Bereicherung oder für die Hausapotheke, sondern erfreuen auch mit ihrem Blütenzauber. Wir sind also am Ball geblieben, haben unseren Bestand erweitert und manch neue Erkenntnis gewonnen. So sind wir z.B. angetan von der Wasabi-Rauke, die mit ihrer feinen Meerrettich-Note unser Salatprogramm bereicherte. Wo bekommt man solche Exoten her? Nachdem wir in der Klostergärtnerei von Maria Laach das Basisprogramm gefunden hatten, haben wir bei einer Reise durch Schleswig-Holstein eine Gärtnerei entdeckt, die nahezu 1000 (!) Kräuter- und Duftpflanzen anbietet. Man wird erstaunt sein, welche Spielarten es etwa beim Basilikum, Thymian oder Salbei gibt. Der Link zu dieser Gärtnerei, bei der man Samen und Pflanzen bestellen kann, ist im Literaturanhang angegeben. Empfehlenswert ist es, sich den excellenten, bebilderten, umfangreichen Katalog schicken zu lassen.
Auf den Spuren von Goethe kam noch eine weitere Entdeckung hinzu: die Stadt Andernach, am Mittelrhein gelegen, nördlich von Koblenz. Andernach ist eine der ältesten Städte Deutschlands. 1988 feierte sie ihr 2000-jähriges Bestehen. Auch in Andernach ist Goethe gewesen, mindestens zweimal. Er ist auf einer Fahrt mit dem Boot von Koblenz nach Köln, notiert in seinem Tagebuch am 25.7.1815: „Im Nachen hinabwärts. Angelegt bei Andernach…“. Auf der Rückfahrt am 27.7.1815 notiert er in seinem Reisebericht: »Mittag zu Andernach.“ - Der Ort muss ihm gefallen haben. In einem Brief an den Kölner Sulpiz Boisserée warnt er eine Woche nach seinem Besuch davor, Kunstschätze in einer einzigen Metropole zu versammeln: „Wozu alles in München? Lasst Köln, Bonn, ja Andernach etwas haben!“ (2.8.1815)
Dieses „ja Andernach“ ist eine knappe Bemerkung, die aber vor dem historischen Hintergrund eine besondere Bedeutung bekommt. Es ist die Zeit der Romantik, in der man sich auf die Schönheit alter Städte besinnt und deren Kulturgüter zu bewahren sucht. Da sind es nicht nur Köln und Bonn, sondern eben auch Andernach, das Goethe anlässlich seiner Reise hervorhebt.
Käme er noch einmal in den Ort, würde er sich wundern, dass man hier und nur hier mitten in der Stadt die Mispel findet, die Quitte und Topinambur, also all die mittlerweile in Vergessenheit geratenen Gewächse, die er damals in seinen eigenen Weimarer Gärten hatte und wie er sie auch von den Frankfurter Gärten seiner Eltern her kannte. Er wäre begeistert von diesem zukunftsweisenden Konzept, das als „essbare Stadt“ bezeichnet wird. Denn in Andernach finden sich Kräutergärten mitten im Ort. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen Obst und Beeren pflücken, Gemüse ernten, können Kräuter kennen lernen und probieren. Ein Paradies für Kräuterliebhaber! Keine langweiligen Parkanlagen mit abgezirkelten Rabatten. Sogar freilaufende Hühner gibt es, die ein solches Prädikat wirklich verdienen und im Schutz einer mittelalterlichen Stadtburg ein liebevoll gestaltetes ‚Häuschen‘ bewohnen dürfen.
Zum Sammeln von Kräutern in der freien Natur wollen wir auch in dieser Ausgabe keine Anleitungen geben. Nach unserer Erfahrung ist es das allerbeste, nicht nur mit einem bebilderten Kräuterlexikon durch den Wald zu wandern, sondern kundige Führer zur Seite zu haben, die einem die spezifischen Merkmale zeigen und erklären. Die Rezeptvorschläge haben wir noch etwas erweitert. So z.B. um die Neunkräutersuppe, die gegen Frühjahrsmüdigkeit hilft und von der nicht nur Goethe, sondern auch Hildegard von Bingen, die stets die „Grünkraft Gottes“ lobte, angetan wären. Oder wir bringen auch die Mispel wieder in Erinnerung, die in den Gärten von Goethes Eltern wuchs. Und natürlich ist auch die Esskastanie dabei, von der sich Goethe jedes Jahr eine Kiste schicken ließ. Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern mit dieser zweiten Auflage viel Freude und natürlich kulinarischen Genuss.
Andernach- „essbare Stadt“
Andernach – freilaufende Hühner
Unser letzter Besuch war noch zu DDR-Zeiten, im Winter. Der Dunst der Braunkohlebefeuerung lag über der Stadt, russische Soldaten begegneten einem mit ernsten Mienen, überhaupt wirkte alles Grau in Grau. Jetzt ist es anders, kaum wiederzuerkennen. Ein schmuckes Städtchen! Mit einem Heer von Touristen. Und überall Goethe und die anderen Geistesgrößen, die der Herzog Carl August damals nach Weimar geholt hatte. Auf dem Theaterplatz das bronzene Doppelstandbild, Goethe und Schiller als klassische Dichter, beide gleichgroß dargestellt, obgleich Schiller mit 1.90 Meter Goethe um Kopflänge überragte. Ernst und würdig blicken sie drein. Mit der sogenannten Klassik hatte man uns in der Schule gelangweilt. Besser und vor allem lebendiger lernt man sie kennen über die Biographie, die sie hingelegt haben. Aber dieses Mal interessieren wir uns vor allem für Goethes „liebe Gärtgen“, für seinen Garten am Frauenplan und den an der Ilm. Beide kann man besuchen. Beide sind von der Denkmalpflege Instand gehalten. Auf uns als Kräuterlehrlinge wartet jedoch eine Enttäuschung. Die Gärten zeigen sich farbenfroh, aber nicht durch blühende Kräuter, sondern durch Blumen. Rosen, Sonnenhut, Zinnien, Dahlien, die Pfeifenwinde. Was nur mag der Dichterfürst bzw. Christiane in den Beeten alles angebaut haben?
In einem Buchladen am Frauenplan entdecken wir das Buch ‚Goethes Gärten in Weimar‘. Da findet sich wenigstens etwas vom Bestand der Goethe-Zeit. An Obst unter anderem auch Quitten, Orangen in Kübeln, Wein, Feigen und die Zwergmandel. Bei den Gemüsen sind es z.B. Artischocke, Spargel, Fenchel, Mangold und, noch nie gehört, Rapontica. Selbstverständlich wird es auch Beete gegeben haben, in denen nicht nur Petersilie wuchs, sondern etwa auch Kresse, Bärlauch, Liebstöckel, Rauke, Portulak, Sauerampfer, Gundermann, Kerbel und vieles, vieles mehr. Und bestimmt gab es auch Topinambur, die Indianerkartoffel, die zur Goethezeit eine Delikatesse war.
Die Weimarer Souvenirläden lassen wir links liegen. Dafür aber nehmen wir vom Weimarer Markt als unser erstes ‚exotisches‘ Kraut eine Pimpinelle mit, deren feingliedrige Blätter mit ihrem leicht nussartigen Geschmack unsere Salate und Suppen verfeinern werden. Eine Heilwirkung sollen sie auch haben. Sie gelten mit ihren Gerbstoffen als blutreinigend und verdauungsfördernd und sollen dazu noch das Herz stärken.
Garten am Frauenplan
Gartenhaus an der Ilm
Markt in Weimar
Markt in Wetzlar
Aussicht über das Lahntal
Auf der Rückfahrt von Weimar liegt Wetzlar am Weg. Neben der Italienreise ist die Stadt an der Lahn ein weiterer Wendepunkt in Goethes Leben.
Hier eigentlich begann alles. Es ist das Fanal zu seiner Karriere, seiner Berühmtheit als Dichter. Er soll ein juristisches Praktikum am Reichskammergericht absolvieren. Aber die trockene Juristerei interessiert ihn wenig. Er verliebt sich lieber in Charlotte Buff. Die aber ist schon verlobt, vergeben. Unglücklich verliebt reißt er sich los und wandert die Lahn entlang zum Rhein. Da ist er gerade mal 23. An der Lahn entstehen später Aussichtspunkte, die nach ihm benannt sind. Seinen Liebeskummer schreibt er sich in ein paar Wochen von der Seele. ‚Die Leiden des jungen Werthers‘. Es wird ein europäischer Bestseller, der ihn berühmt macht und ihm sogar eine Audienz bei Napoleon verschafft. Ein Wertherfieber entsteht. Man kleidet sich wie der Held des Briefromans: blauer Frack mit Messingknöpfen, gelbe Weste, Lederhose, Stulpenstiefel. Goethe hat die Stimmung der Zeit getroffen. Überaus empfindsame Seelen geben sich wie Werther auch die Kugel oder ertränken sich. Anders als seinem Helden gibt sich Goethe aber nicht die Kugel. Der Herzog von Weimar wird auf ihn aufmerksam und holt ihn in das bis dahin eher unbedeutsame, wirtschaftlich zerrüttete Herzogtum.
Am Domplatz in Wetzlar kommt uns aus der Pfaffengasse Charlotte Buff entgegen. Es ist eine Schauspielerin, gekleidet nach der damaligen Mode. Langes bauschiges Kleid bis zu den Füßen, ein sittsames Häubchen auf dem langen Haar. Sie macht Werbung für das Wetzlarer Lottehaus, das zugleich auch Museum ist. Aber wir sind mal wieder bildungsignorant, interessieren uns mehr für den Gemüsemarkt auf dem Domplatz und laden zu der Weimarer Pimpinelle Wetzlarer Petersilienwurzeln in den Wagen. Aber eine Wanderung auf dem Lahnhöhenweg lassen wir uns nicht entgehen. Hier ist er also auch gewandert.
Einen Eindruck von der Lahnromantik, so wie es damals ausgesehen hat, bekommt man vor allem in dem kleinen, noch mittelalterlich wirkenden Ort Dausenau, der nur ein paar Kilometer nördlich von Nassau liegt. Auch in Dausenau gibt es wie in Lahnstein ein ‚Wirtshaus an der Lahn‘. In beide ist Goethe eingekehrt (siehe Kapitel ‚Dicke Bohnen mit Speck‘, S. →ff). Sicher hat er unterwegs den berühmten Döppekuchen, in der Lahngegend auch ‚Dibbedotz‘ genannt, probiert. Der Dibbedotz besteht aus Kartoffeln, Zwiebeln, Eiern und Speckstreifen. Zwei Stunden wird er im Ofen gebacken, bis er sich mit einer goldbraunen Kruste überzogen hat. Gereicht wurde er mit Apfelmus.
Blick auf Dausenau und ‚Wirtshaus an der Lahn‘
‚Wirtshaus an der Lahn‘ (Lahnstein)
Kaum ist der ‚Werther‘ veröffentlicht, trifft er in Vallendar gegenüber Koblenz die 18jährige Maximiliane Brentano, die Tochter der Dichterin Sophie La Roche und schreibt über die „liebe Kleine“, die selber des Trostes bedürftig war: „Es ist eine sehr angenehme Empfindung, wenn sich eine neue Leidenschaft in uns zu regen anfängt, ehe die alte noch ganz verklungen ist. So sieht man bei untergehender Sonne gern auf der entgegengesetzten Seite den Mond aufgehen und erfreut sich an dem Doppelglanze der beiden Himmelslichter.“
Interessant, was der Wetzlarer Jurakollege Kestner, Charlotte Buffs Verlobter, über Goethe äußert: „Er tut, was ihm gefällt, ohne sich darum zu kümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist, ob es die Lebensart erlaubt. Aller Zwang ist ihm verhasst.“