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Der Autor

Prof. Dr. med. Christoph Möller ist Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Kinderkrankenhaus Auf der Bult in Hannover und Leiter der Suchttherapiestation Teen Spirit Island. Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Familientherapeut, Traumatherapie, analytisch interaktioneller Gruppentherapeut, Suchtmedizin, Balintgruppenleiter, Honorarprofessor an der Ostfalia-Hochschule in Wolfenbüttel und Supervisor. Zahlreiche Veröffentlichungen und Vortragstätigkeit.

Christoph Möller

JUGEND SUCHT

Ein Präventionsbuch Ehemals Abhängige berichten

5., erweiterte und überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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5., erweiterte und überarbeitete Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036559-9

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-036560-5

epub:    ISBN 978-3-17-036561-2

mobi:    ISBN 978-3-17-036562-9

Den Jugendlichen gewidmet,
die auf der Suche nach ihrem Weg sind.

Grußwort von Ursula von der Leyen

Kaum jemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann sich vorstellen, wie herausfordernd der Umgang mit suchtkranken Menschen ist. Umso wichtiger und berührender sind die Geschichten der jugendlichen Patienten der Therapiestation »Teen Spirit Island« des Kinderkrankenhauses auf der Bult.

Ob es die Folgen der Computerspielsucht sind, die im vergangenen Jahr von der Weltgesundheitsorganisation in den weltweiten Katalog der Gesundheitsstörungen aufgenommen wurde. Oder ob es um den Konsum illegaler Drogen geht, der sich laut europäischer Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht vor allem ein Thema für junge Menschen ist. Politik, Wissenschaft und wir alle als Gesellschaft müssen Antworten auf diese Gefahren finden. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist zurecht eine der obersten Prioritäten für jede zivilisierte Gesellschaft. Die Kunst ist, die richtigen Instrumente zu finden, wie wir effektiv helfen und aufklären können. Dazu gehört zuallererst, die Situation drogenkranker Kinder und Jugendlicher, aber auch ihres Umfeldes und der Helferinnen und Helfer besser zu verstehen. Dazu leistet dieses großartige Buch von Professor Christoph Möller einen wichtigen Beitrag.

Die bewegenden Geschichten der Kinder und Jugendlichen erlauben uns tiefen Einblick in ihre Welt und lassen uns sensibler und aufmerksamer werden für traumatische Brüche in ihren Lebensläufen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dieses Buch auch für Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter eine wertvolle Hilfe ist, um einen besseren Zugang zu Kindern und Jugendlichen in solch extremen Lebenslagen zu finden. Sie sind es, die Netze und Strukturen der Hilfe bauen können, die es ihren Schützlingen erlauben, wieder eigene Kräfte zu mobilisieren. Es geht darum Weichen zu stellen für Wege aus der Sucht. Ich war berührt von dem Zusammenhalt, dem großen Engagement und dem beeindruckenden Grad der Hilfsbereitschaft, die in diesem Buch geschildert werden.

Ich möchte mich für die Arbeit aller Beteiligten und Betroffenen aus der Therapiestation »Teen Spirit Island« bedanken. Diese Erfahrungen zu sammeln, in einem Buch aufzuarbeiten und mit uns zu teilen, ist ein großes Verdienst.

Grußwort von Doris Schröder-Köpf

»Träume nicht dein Leben, sondern lebe deine Träume«, sagt die 17-jährige Saskia am Ende ihres Interviews. Damit spricht sie aus, was sich wahrscheinlich viele Jugendliche erhoffen, nachdem sie ihren Aufenthalt auf der Therapiestation »Teen Spirit Island« des Kinder- und Jugendkrankenhauses Auf der Bult in Hannover abgeschlossen haben.

Als Mutter und als Schirmherrin von »Teen Spirit Island« haben mich die Erfahrungsberichte dieser jungen Menschen im Alter von 14 bis 18 Jahren sehr ergriffen. Es ist sehr selten, dass man ungefiltert mit der Sichtweise derjenigen konfrontiert wird, deren Stimme allzu oft nicht wahrgenommen wird. Eindrücklich werden die Erfahrungen mit dem Drogen- und Medienkonsum und die sozialen Folgen beschrieben. Der Weg in die Drogenabhängigkeit fällt oftmals zusammen mit schweren psychischen Störungen und Problemen in der Familie.

Ein besonderer Schwerpunkt der Interviews liegt auf den Drogen Cannabis und Ecstasy und der Internet- und Computersucht, die in der Jugendszene häufig verharmlost werden. Schwierigkeiten in der Schule, einseitige Interessenorientierung auf den Drogenmissbrauch und ein schleichender Verfall der sozialen Bezüge werden plastisch geschildert.

Sicherlich wird die Lektüre dieses Buch eine Stütze und Anregung für Jugendliche sein, die eine Therapie benötigen. Aber auch Lehrer, Eltern und Sozialarbeiter können ihre Sensibilität für Jugendliche schärfen. Jugendliche haben häufig nicht gelernt, ihre Frustrationen aktiv zu reflektieren und zu bewältigen. Hierbei müssen Verantwortliche und Betroffene helfen, indem sie frühzeitig Fragen stellen, zuhören und wenn nötig professionelle Hilfe suchen.

Alle Interviewten sind ehemalige Patienten der Therapiestation »Teen Spirit Island«. Die Erzählungen zum Therapieverlauf zeigen, wie wichtig es ist, Entgiftung und Langzeittherapie miteinander zu verbinden. Erst nach einer harten Phase der Entgiftung können die Jugendlichen langsam wieder Halt finden und einen Sinn für unser Wertesystem entwickeln. Schritt für Schritt muss Vertrauen aufgebaut werden. Nur so kann erfahren werden, dass es eine echte Wahlmöglichkeit gibt: die Möglichkeit, sich für ein drogenfreies Leben zu entscheiden.

Dem Team von »Teen Spirit Island« wünsche ich auch nach über zwanzig Jahren herausragender und gesellschaftlich bereichernder Arbeit für die Zukunft viel Erfolg. Ich hoffe, dass möglichst viele junge hilfsbedürftige Menschen ebenso wie Saskia zu der Einsicht gelangen: »Das Leben hat nicht mehr mich in der Hand, sondern ich mein Leben.«

Vorwort von Rainer Thomasius1

In den letzten Jahren weisen Untersuchungen in Deutschland hohe Steigerungsraten beim Konsum legaler und illegaler Suchtmittel (Tabak, Alkohol, Cannabis, Ecstasy, Amphetamine, Kokain) durch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus. Junge Menschen geraten immer früher mit Suchtmitteln in Kontakt, das Einstiegsalter sinkt. Aus Beratungs- und Behandlungsstellen wird von besonders intensivem Konsum dieser Substanzen durch Jugendliche berichtet.

Neu hinzu gekommen ist die Internet- und Computer-Sucht, die von der American Psychiatric Association in der DSM-5 unter Internet Gaming Disorder als Forschungsdiagnose aufgeführt ist. Auch in den Katalog der ICD-11 wurde die Diagnose aufgenommen.

Riskante Konsumformen und übermäßiger Mediengebrauch sind mit teilweise erheblichen gesundheitlichen Folgen verbunden. So werden bei manchen jungen Konsumenten Entwicklungsstörungen infolge eines Substanzmissbrauchs beobachtet (ungünstige Auswirkungen des Substanzmissbrauchs auf die Persönlichkeitsentwicklung, Leistungsfähigkeit, Motivation etc.), des Weiteren psychische Störungen (Depressive Störungen, Angststörungen, Psychosen etc.) und körperliche Erkrankungen (Hirnleistungsstörungen, Infektionen, Vergiftungen etc.). Heute stellen die Suchtstörungen eines der zahlenmäßig größten Risiken für die altersgerechte Entwicklung und Gesundheit im Kindes- und Jugendalter dar.

Aus der klinischen Arbeit mit betroffenen Kindern und Jugendlichen ist bekannt, dass die Gründe für die Zunahme der Suchtstörungen in dieser Altersgruppe auf mehrere Einflüsse zurückzuführen sind: gestiegene Griffnähe (Konsumangebote in Freundeskreis und Nachbarschaft), veränderte Einstellungen und Erwartungshaltungen (»Spaßkultur«), konsumierende Peers, nachlassende soziale Kontrolle (gesellschaftliche und familiäre Funktionen), Substanzmissbrauch der Eltern sowie seelische Traumatisierungen und Störungen im Kindes- und Jugendalter.

Der wachsenden Zahl suchtgefährdeter und süchtiger Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener stehen in Deutschland nach wie vor erhebliche Defizite und Mängel in der therapeutischen Versorgung speziell dieser Altersgruppe gegenüber. Um suchtgefährdete und süchtige Kinder und Jugendliche frühzeitig und gezielt zu befähigen, auf einen Suchtmittelkonsum zu verzichten, ist ein weiterer Ausbau des Hilfesystems dringend erforderlich. Dabei gibt es manches zu berücksichtigen: Ausstiegshilfen für Kinder und Jugendliche müssen abstinenzorientiert sein. Die Angebotsstrukturen müssen kind- und jugendgerecht ausgerichtet werden. Die Therapie muss familien-, entwicklungs- und störungsorientiert sein. Persönliche, familiäre und soziale Konflikte, die dem Substanzmissbrauch häufig zugrunde liegen, müssen rechtzeitig erkannt und im Therapieprozess einer Lösung zugänglich gemacht werden. Mit Ausnahme weniger Modelleinrichtungen (deren Zahl glücklicherweise steigt) werden diese Anforderungen in Deutschland jedoch bislang bei weitem nicht erfüllt.

Dieses Buch enthält eine Dokumentation über zehn Interviews, die mit süchtigen Jugendlichen geführt worden sind. Der Autor Christoph Möller hat mit jungen Patientinnen und Patienten gesprochen, als sie am Ende ihrer Suchttherapie in »Teen Spirit Island« (TSI) standen. Diese Facheinrichtung gehört zu den wenigen stationären Modellen für süchtige Kinder und Jugendliche in Deutschland. »Teen Spirit Island« und das Team von Christoph Möller haben inzwischen einen über 20-jährigen Erfahrungsschatz gesammelt. Christoph Möller war maßgeblich am Aufbau dieser Einrichtung beteiligt. Heute leitet der Kinder- und Jugendpsychiater, der als Suchtexperte große Anerkennung erhält, als Chefarzt die Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Kinder und Jugendkrankenhaus Auf der Bult, zu der auch »Teen Spirit Island« gehört.

Die Gesprächspartner von Christoph Möller sind zwischen 14 und 18 Jahre alt; alle wiesen eine schwerwiegende Suchterkrankung oder Medienabhängigkeit auf, als sie in »Teen Spirit Island« angekommen waren. Der Autor hat seine Fragen behutsam gestellt: Warum hast du Drogen genommen? Welche erwünschte Wirkung haben die Substanzen bei dir hervorgerufen? Wie hat sich der Substanzmissbrauch auf dein Zusammenleben mit Eltern, Geschwistern und Freunden ausgewirkt? Welchen Einfluss hatte der Konsum von Alkohol, Drogen und Medien auf deine Schulausbildung und Entwicklung? Mit welchen seelischen und körperlichen Auswirkungen war der Substanzmissbrauch und Medienkonsum verbunden?

Die Offenheit, mit der die Jugendlichen diesen Fragen begegnen, ist beeindruckend. Der Leser wird bei der Lektüre der Interviews an sehr persönliche Schilderungen der Jugendlichen herangeführt; diese Darstellungen gehen unter die Haut. Man spürt, dass die Jugendlichen in vertrauter Atmosphäre Auskunft über sich gegeben haben.

Der Leser erfährt aus den Berichten der Jugendlichen viele Details über deren anfangs kontrollierten, dann aber zusehends entgleisenden Konsum legaler und illegaler Suchtmittel und den exzessiven Mediengebrauch. Der Weg in die Sucht, das lehren die Schilderungen der jungen Patienten, wird nicht etwa in aller Abgeschiedenheit beschritten. Vielmehr unterhalten die meisten suchtgefährdeten beziehungsweise süchtigen Kinder und Jugendlichen enge persönliche Kontakte. Die Sucht der Jugendlichen wirkt sich in besonderer Weise auf die Beziehungen zu nahen Angehörigen aus. In umgekehrter Richtung hat das Verhalten der Angehörigen einen wichtigen Einfluss auf die Suchtentwicklung des Jugendlichen. Gerade zu Beginn des Substanzmissbrauchs oder der exzessiven Mediennutzung suchen viele Jugendliche im Rausch eine Abkehr von familiären Spannungen und Konflikten.

Nicht jeder Konsum von Alkohol, illegalen Drogen oder Medien mündet zwangsläufig in der Abhängigkeit. Das Risiko süchtig zu werden, ist von vielen Faktoren abhängig. Gefährdet sind vor allem jene Jugendliche, die bereits in ihrer Kindheit besonderen inneren und äußeren Belastungen ausgesetzt gewesen waren. Die Aufzeichnungen der Interviews geben dafür eindrucksvolle Beispiele ab. Fast durchgängig sprechen die jungen Interviewpartner ihre verlorene Kindheit an, die nicht selten durch einen Mangel an Fürsorge und Verbundenheit und in manchen Fällen durch frühe Gewalterfahrung gekennzeichnet ist.

Trotz solcher anhaltenden Traumatisierungen kam kaum jemand aus eigener Initiative nach »Teen Spirit Island«. Süchtige Jugendliche haben in der Regel keine Einsicht in ihr Suchtproblem. Wer die berauschende Wirkung eines Suchtmittels oder der Computerspiele – aber manchmal auch die Umstände des Konsums – erst kürzlich zu schätzen gelernt hat, der will sich nicht behandeln lassen. Daher führt häufig erst der Druck durch Angehörige, Lehrer oder Betreuer zur Einweisung in die Klinik. Diesen Umstand wissen die jungen Patienten erst am Ende der Therapie zu würdigen, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die stabilisierte Psyche den Blick für die eigene Lebensgeschichte frei macht.

Ein weiter Aspekt sticht aus der Fülle der Schilderungen hervor: Bei der Behandlung des Suchtproblems fühlen sich Jugendliche durch ganz unterschiedliche Therapieelemente angesprochen. So unterschiedlich wie ihre Biographien sind, so verschieden fällt auch die Bewertung all dessen aus, was aus der Sucht herausgeführt hat. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wird der Erfolg der Suchttherapie bei Kindern und Jugendlichen entscheidend durch das Maß an Flexibilität bestimmt, die Behandlung an den Bedürfnissen und Erfordernissen des Einzelfalls auszurichten. Am deutlichsten bringen dies die Interviewpartner zum Ausdruck, indem sie sagen, dass sie sich auf »Teen Spirit Island« verstanden gefühlt haben. Dieses Gefühl ist der Nährboden für eine positive Richtungsänderung.

Die befragten Jugendlichen wollen nach ihrer Entlassung aus der Suchttherapie vom Drogen- und Medienzwang befreit bleiben. Sie möchten ihre Schulausbildung nachholen, sagen sie, und all die anderen Dinge, die in der langen Phase des Substanzmissbrauchs oder Computerspielens auf der Strecke geblieben sind. Was, fragt Christoph Möller, ist am Ende einer Suchttherapie noch Positives über Drogen zu erwähnen? Nichts, antworten die Jugendlichen.

Die abgedruckten Interviews veranschaulichen in einer auch für den Laien leicht verständlichen Weise, welche individuellen, familiären und sozialen Konstellationen im Einzelfall dazu beitragen können, dass Kinder und Jugendliche in der Sucht nach Alkohol, Drogen und Computerspielen einen Ausweg aus ihrem persönlichen Dilemma suchen. Zugleich belegen die Schilderungen der behandelten Suchtpatienten exemplarisch, dass betroffene Jugendliche erfolgreich aus dieser Sackgasse in ein von Drogen befreites und selbstbestimmtes Leben herausgeführt werden können, wenn kompetente Hilfestellung angeboten wird. Die Lektüre des Buches ist gerade aus dem zuletzt genannten Grund sehr ermutigend. Betroffene Jugendliche, besorgte Eltern, Experten der Jugendhilfe, Suchthilfe und Pädagogik sowie viele andere am Thema Interessierte können gleichermaßen davon profitieren.

Ich wünsche diesem Buch, dass es viel gelesen und als eine Hilfe genutzt wird, Zugang zu diesem sehr wichtigen Thema zu finden, das unsere Gesellschaft aller Voraussicht nach auch in Zukunft intensiv beschäftigen wird.

Christoph Möller und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von »Teen Spirit Island« wünsche ich Mut, Erfolg und Glück für ihre Tätigkeit.

1     Professor und Chefarzt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Psychosoziale Medizin.

Inhaltsverzeichnis

 

  1. Grußwort von Ursula von der Leyen
  2. Grußwort von Doris Schröder-Köpf
  3. Vorwort von Rainer Thomasius
  4. Teil I Einführung – Suchtformen und Therapieansätze
  5. Einleitung
  6. 1 Abhängigkeit bei Kinder und Jugendlichen
  7. 1.1 Konsummuster im Jugendalter
  8. 1.2 Alkohol
  9. 1.3 Nikotin
  10. 1.4 Cannabis
  11. 1.5 Synthetische Drogen
  12. 1.6 Weitere Substanzen
  13. 1.7 Internet- und Computersucht
  14. 1.8 Was ist Sucht?
  15. 1.9 Wie kommt es zur Abhängigkeit?
  16. 1.10 Folgen des Drogenkonsums
  17. 1.11 Adoleszenz und Abhängigkeit
  18. 1.12 Was können Angehörige, Freunde und Lehrer tun?
  19. 1.13 Ambulantes Behandlungskonzept mit Schwerpunkt Internet und Computersucht.
  20. 1.14 Die Therapiestation Teen Spirit Island
  21. 1.15 Kooperationsnetzwerk für drogenabhängige Jugendliche
  22. 2 Lernen Kinder digital? Ab wann sind digitale Bildschirmmedien sinnvoll für das Lernen?
  23. 2.1 Mediennutzung
  24. 2.2 BLIKK-Studie
  25. 2.3 Soziale Medien
  26. 2.4 Digitale Bildschirmmedien und Schulleistung
  27. 2.5 Neuroplastizität
  28. 2.6 Ausblick
  29. 3 Resilienz – Risiken und Chancen in der kindlichen Entwicklung. Suchtprävention durch frühe Bindung
  30. 3.1 Fallbeispiele
  31. 3.2 Was ist Resilienz?
  32. 3.3 Emmy Werner
  33. 3.4 Risiken und Herausforderungen in der heutigen Zeit
  34. 3.5 Interessante Untersuchungen und Persönlichkeiten
  35. 3.6 Wie kann Resilienz gefördert werden
  36. 3.7 Fallbeispiele
  37. Literatur
  38. Quellenverzeichnis
  39. Weiterführende Literatur
  40. Teil II Interviews – Ehemals Abhängige berichten
  41. 4 Die Interviews
  42. Ich habe nicht gedacht, dass die mir was Schlechtes wollen
  43. Weihnachten, Silvester und Geburtstag im Gefängnis
  44. Mit einer Psychose in Amsterdam
  45. 50 Euro am Tag weggekifft
  46. Wegen der Drogen habe ich mein Kind weggegeben
  47. Anfangs hat es Spaß gemacht und geholfen zu vergessen
  48. Ich war ganz allein
  49. Kiffen in zweiter Generation
  50. Ich wollte der King sein
  51. Mit der Sucht durch den Alltag
  52. Ich hatte keine Freunde – World of Warcraft war meine Welt
  53. Hier habe ich Trost und Anerkennung gefunden
  54. 5 Fazit

Teil I

Einführung – Suchtformen und Therapieansätze

Einleitung

 

Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen ist ein Thema, das die meisten Leser emotional berührt. Viele Menschen treten diesen Jugendlichen mit Unverständnis, Angst und Ablehnung gegenüber. Diese Jugendlichen begegnen uns zum Beispiel am Bahnhof, oder in der Innenstadt mit ihren Hunden. Sie betteln um Geld und fallen durch ihr oft buntes Erscheinungsbild oder durch ihr lautstarkes Auftreten auf. Diese Bilder werden viele bei diesem Thema vor Augen haben. Sie machen aber nur einen kleinen Anteil der Drogenproblematik aus. Ein relativ neues Phänomen ist, dass manche Jugendliche das Haus gar nicht mehr verlassen, sich nur noch mit Computerspielen beschäftigen und auch hier süchtiges Verhalten entwickeln.

Als Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeut durfte ich viele dieser Jugendlichen in einem therapeutischen Setting über Monate begleiten. Ich habe viele Lebensgeschichten gehört und Veränderungen in der Lebensgestaltung miterlebt. Wenn ich die Lebensgeschichte der Jugendlichen kennenlerne, wird vieles nachvollziehbar und auch verständlich. Sie haben in ihrer Vorgeschichte Gewalt, Traumatisierungen, sexuelle Übergriffe, Ablehnung, Verständnislosigkeit, Beziehungsabbrüche und anderes Negatives erfahren. Der Weg in die Abhängigkeit ist vielfach eine Flucht aus der Lebensrealität, ein Versuch, mit Drogen oder exzessivem Mediengebrauch die Schmerzen zu lindern oder vorübergehend zu vergessen.

In einem ersten Teil werden die am häufigsten konsumierten Drogen vorgestellt und der gesellschaftliche Rahmen beschrieben, in dem Phänomene wie das sogenannte Komasaufen zu verstehen sind. Auch auf die Frage nach der Legalisierung von Cannabis wird aus Sicht der Kinder und Jugendpsychiatrie eingegangen.

Ein spezielles Behandlungsangebot für drogen- und computerspielsüchtige Jugendliche wird vorgestellt, die Therapiestation »Teen Spirit Island« am Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult in Hannover. Diese Einrichtung blickt mittlerweile auf eine über 20-jährige Erfahrung zurück und hat Pionierarbeit geleistet bei der Entwicklung therapeutischer Konzepte sowohl bei den stoffgebunden Süchten, wie auch der Internet- und Computersucht. Als nach 10 Jahren immer häufiger junge Menschen mit der Symptomatik einer Internet- und Computersucht auftauchten wurde deutlich, dass wir hier einen neuen Schwerpunkt entwickeln müssen. 2010 wurde das Behandlungsanbot um 6 Plätze für diese Patienten erweitert.

Durch die Digitalisierung verändern sich die Rahmenbedingungen der Kindheit und Jugend. Schulen und schon Kindergärten werden mit digitalen Medien ausgestattet und das Lernen soll zunehmend digital erfolgen. Ein Kapitel widmet sich der Frage, ob der Mensch digital lernt und ab wann digitale Medien sinnvoll für das Lernen sind und, ob es Voraussetzungen für einen selbstbestimmten und damit nicht süchtigen Umgang mit diesen Medien gibt.

Gerade unter präventiven Gesichtspunkten darf die Frage nicht vernachlässigt werden, was Kinder für eine gesunde seelische Entwicklung brauchen. Darauf wird im Abschnitt Resilienz eingegangen.

In den Interviews kommen die Jugendlichen selbst zu Wort. Nach zum Teil langer Therapieerfahrung haben sie Worte gefunden, ihr Leben und ihre Erfahrungen zu beschreiben und dem Leser zugänglich zu machen. Es sind Lebensgeschichten geprägt von Extremen, mit denen viele Leser vielleicht bisher kein Kontakt hatten, oder dies nur aus Krimis kennen. In einem Vorspann wird der Kontext der Interviews erläutert.

Dieses Buch hat nicht den Anspruch eines Lehr- oder Fachbuches. Es ist auch kein Eltern- oder Lehrerratgeber. Hier ist in den letzten Jahrzenten eine erfreuliche Zahl fundierter und lesenswerter Bücher entstanden. Das Buch richtet sich in einer gut verständlichen Sprache an eine breite Leserschaft. Um die Lesbarkeit zu erhöhen, wurden fachliche Inhalte weitestgehend ohne konkrete Literaturangaben komprimiert wiedergegeben. Auf weiterführende und vertiefende Literatur wird im Literaturverzeichnis verwiesen. Dieses Buch soll vielmehr anregen, sich mit der Thematik des Konsums legaler und illegaler Drogen, dem exzessiven Mediengebrauch im Kindes- und Jugendalter und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen. Die Interviews im zweiten Teil des Buches sprechen dabei für sich. Wenn Sie, lieber Leser, ein Verständnis für die Lebensgeschichten der betroffenen Jugendlichen entwickeln und sich anregen lassen, ihre Haltung kritisch zu hinterfragen, ist ein Ziel dieses Buches erreicht. Dem Kind und Jugendlichen ein liebevolles Gegenüber zu sein, Halt, Schutz und Orientierung zu geben, ist gute Prävention und Therapie.

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Abhängigkeit bei Kinder und Jugendlichen

1.1       Konsummuster im Jugendalter

In Deutschland unterscheiden wir zwischen legalen und illegalen Drogen. Der Konsum der beiden legalen Drogen Alkohol und Nikotin ist trotz vieler negativer Folgen weit verbreitet und sollte insbesondere mit Blick auf die Kindheit und Jugend nicht vernachlässigt werden.

1.2       Alkohol

In Deutschland betreiben rund 9,5 Millionen Menschen einen riskanten Alkoholkonsum, ca. 2 Millionen einen Alkoholmissbrauch und bei rund 1,3 Millionen sprechen wir von einer Alkoholabhängigkeit. Ca. eine halbe Million dieser Menschen ist im Alter von 12 bis 21 Jahren. Es gibt über 100 Folgeerkrankungen, die auf übermäßigen Alkoholkonsum2 zurückzuführen sind. An den Folgen des Alkoholkonsums und dieser durch Alkohol ausgelösten Krankheiten sterben jährlich um die 70.000 Menschen. Diese werden nicht in die Statistik der Drogentoten gerechnet, da es sich um ein legales Genussmittel handelt. Die Zahl der Drogentoten schwankt in den letzten Jahren zwischen 1.000 bis 1.500 und geht überwiegend auf eine Überdosierung von Heroin oder morphinhaltige Substanzen zurück.

Ein in der Öffentlichkeit sehr präsentes Phänomen ist das sogenannte Komasaufen unter Jugendlichen. Hierbei werden größere Mengen hochprozentigen Alkohols häufig als Mixgetränk in kurzer Zeit getrunken. So leeren z. B. drei Mädchen am späten Nachmittag gemeinsam eine Flasche Wodka, dies wird auch »Vorglühen« genannt, um anschließend in die Diskothek zu gehen. In Clubs und Supermärkten werden inzwischen regelmäßig Alterskontrollen durchgeführt, so dass sich der Alkoholkonsum eher auf die Straße verlagert und anschließend drinnen gefeiert wird. In den großen Supermärkten bekommt man bis 22 Uhr, teilweise bis Mitternacht, Alkohol zu günstigen Preisen angeboten. Um die Alterskontrolle zu umgehen kann man einen der Tippelbrüder, die sich gerne an solchen Orten aufhalten, bitten gegen ein kleines Entgelt das Gewünschte zu besorgen. Die Übergabe des Alkohols an den Minderjährigen ist hierbei strafbar, muss aber direkt beobachtet werden, um dies zu ahnden. Seit der Jahrtausendwende kam es zu einem rasanten Anstieg von Krankenhauseinweisungen von Alkohol intoxikierten Jugendlichen. In den letzten Jahren ist dieser Trend wieder rückläufig, aber immer noch auf einem hohen Niveau. Die Gruppe der exzessiv trinkenden Jugendlichen ist inzwischen in der Altersgruppe der jungen Erwachsenen. Vor allem die Kinderkliniken waren dem Ansturm dieser Jugendlichen anfangs kaum gewappnet, da statt schwerkranker Kinder plötzlich saufende, teilweise aggressive, pöbelnde Jugendliche auftauchten, die sich übergeben und ihre Notdurft in die Windeln verrichten. Am nächsten Morgen wurde man mit der höchsten Promillezahl zum König der Nacht gekürt. Lange war das Trinken eine Domäne der Männer. Beim Komasaufen hinken die Mädchen den Jungen kaum hinterher. Hier spielen die Alkopops und andere alkoholische Mixgetränke eine Rolle. Man schmeckt den Alkohol kaum, hat eine bunte Limonadenflasche in der Hand und kann die Eltern noch beruhigen, dass der Promillegehalt ja nicht so hoch sei. So werden auch Jugendliche an Alkohol herangeführt, die diesen geschmacklich ablehnen würden.

In einem Tierversuch hat man Ratten hochprozentigen Alkohol angeboten, den diese ablehnten. Als man den Alkohol mit Zucker versetzte, sozusagen einen Alkopop machte, haben sie diesen getrunken. Als der Zuckergehalt reduziert wurde, tranken die Ratten auch den reinen Alkohol. Bier und Wein dürfen laut Jugendschutzgesetz ab 16 Jahre verkauft werden, spirituosenhaltige Getränke, damit auch Alkopops, erst ab 18 Jahre. Der erste Alkoholkonsum findet unter 14 Jahren statt, der erste Alkoholrausch häufig mit unter 16 Jahren. Jährliche Testkäufe auf Weihnachtsmärkten zeigen, wie leicht es nach wie vor ist, als Minderjähriger an Alkohol zu kommen. Das erste legale Besäufnis in ländlichen Regionen scheint die Konfirmation zu sein, tief verwurzelte Traditionen im Umgang mit Alkohol.