Fantasy-Thriller
Ein uralter Fluch.
Ein unheimlicher Campingplatz.
Hundert verschiedene Arten zu sterben.
Der Soldat Nick Preston wird an Heiligabend in den Rocky Mountains von einem Schneesturm überrascht. Durch Zufall lernt er die junge Mutter Susan sowie ihre Tochter Lucy an einer Tankstelle kennen. Da sich das Wetter verschlechtert, beschließen die drei, auf dem Campingplatz Heaven’s Gate zu übernachten. Ein himmlisches Fleckchen Erde. Glaubt Nick.
Aber die weihnachtliche Idylle trügt.
Auf Heaven’s Gate lastet ein grausamer Fluch, der die Toten nicht ruhen lässt und jeden Besucher in den Selbstmord treibt. Für Nick entbrennt ein gnadenloser Kampf ums Überleben. Denn Susan und Lucy verfallen schon bald den teuflischen Mächten und beginnen damit, sich Furchtbares anzutun.
Und plötzlich spürt auch Nick, wie er schrecklich müde wird. Lebensmüde ...
Thomas Paul, Jahrgang 1980, lebt und arbeitet in der Nähe von Stuttgart. Er schreibt nicht nur Fantasy-Romane und Thriller für Erwachsene, sondern auch Jugendbücher.
Mehr Infos über seine neuesten Projekte finden Sie auf seiner Homepage.
E-Mail: thomaspaul-autor@web.de
Internet: thomaspaul-autor.de
Halb voll oder halb leer?, fragte sich Nick Preston.
Seit einer Minute stand der Zeiger exakt in der Mitte der Tankuhr, als hätte man ihn mit dem Lineal ausgerichtet. Und mit jedem Meter bewegte er sich weiter; erbarmungslos der Null entgegen, die am Ende der Skala lauerte. Manchmal hatte Nick sogar das Gefühl, dieser verflixte Zeiger würde sich schneller bewegen als der Rest seines Autos. Noch hatte er die Hälfte seines kostbaren Benzins an Bord. Noch konnte er sich einreden, dass der Tank mehr halb voll als halb leer war. Aber das würde nicht ewig so bleiben. Vor allem nicht, wenn sich Nick weiterhin diese einsame Landstraße hinauf in die Rocky Mountains kämpfte. Von nun an musste er irgendwie Sprit sparen; musste hoffen und bangen, dass der Zeiger niemals diese böse, rote Null erreichte. Jedenfalls nicht, bevor Nick in Jackson war; der nächsten Stadt auf seiner Route. Davon trennten ihn noch rund fünfundsechzig Meilen, wenn er dem Navigationsgerät glauben durfte. Eigentlich ein Klacks für ihn und seinen Toyota!
Bei normalen Straßenverhältnissen.
Doch die Straßenverhältnisse waren alles andere als normal. Das musste Nick stets aufs Neue erkennen, sobald er durch die Frontscheibe nach draußen sah. Denn er steckte mitten in einer Eiswüste ...
Die Schneemassen hatten die Landstraße, die Bäume und Berge meterhoch unter sich begraben, sodass Nick nicht mehr zweifelsfrei sagen konnte, wo das eine aufhörte und das andere begann. Inzwischen zweifelte er sogar daran, ob sich unter dem lupenreinen Weiß überhaupt noch etwas befand - oder ob Gott bei der Schöpfung nicht einfach vergessen hatte, diesen Teil der Welt mit Leben zu füllen. Den einzigen Farbtupfer, den es in dieser Einöde gab, waren die Scheinwerfer. Sie streckten zwei blassgelbe Fühler in die Dunkelheit aus und suchten genauso verzweifelt nach dem Weg, wie es ihr Herrchen hinter dem Steuer tat.
Aber Nick durfte sich nicht darüber beklagen.
Immerhin hatte er sich selbst in diese Misere gebracht.
Er war heute Morgen gegen sieben Uhr von Cheyenne losgefahren, um rechtzeitig zum Heiligabend in Rexburg einzutreffen, einer Gemeinde in Idaho. Für die fünfhundert Meilen lange Strecke hatte Nick neun Stunden Fahrzeit eingeplant, plus der einen oder anderen Pinkelpause. Seiner Berechnung zufolge hätte er spätestens um achtzehn Uhr bei seiner Freundin Jessica im Waisenhaus eintreffen müssen. Pünktlich zur Bescherung und zum Anschnitt des Weihnachtsschinkens. Und das wollte Nick auf keinen Fall verpassen! Denn dieser Schinken war fast schon legendär. Nick hatte keine Ahnung, wie Jessicas Rezept lautete, aber der Schinken schmeckte so knusprig und würzig, als würde man direkt in den Himmel beißen.
Nick lief beim bloßen Gedanken daran das Wasser im Mund zusammen, während er zu der Uhr im Armaturenbrett schielte (die sich dummerweise genau neben der Tankanzeige befand). Er seufzte. Es war jetzt kurz vor sechs am Abend. Nick würde definitiv zu spät zur Bescherung kommen - und das war insofern eine Katastrophe, weil er den Weihnachtsmann für die vierzig Kinder spielen sollte und einen Großteil ihrer Geschenke auf dem Rücksitz hatte. Und Nick seufzte gleich noch mal, als ihm klar wurde, dass er wohl auch den Anschnitt des Schinkens verpassen würde. Vielleicht kam er noch rechtzeitig zum Nachtisch. Oder zum Abwasch. Verdammt, er konnte sich in seiner Lage glücklich schätzen, wenn er überhaupt jemals Rexburg erreichte!
Das kam davon, wenn man nicht auf sein Navi hörte ...
Das gute Stück hatte ihn am frühen Morgen zuerst auf die Interstate 80 in Richtung Westen gelotst. Doch auf der war Nick nicht weit gekommen. Ein Lastwagen hatte sich auf der eisglatten Fahrbahn quergestellt, wodurch die Straße für mehrere Stunden gesperrt werden musste. Daraufhin hatte ihm das Navi geraten, einen Umweg nach Süden zu fahren. Doch Nick wusste es natürlich besser. Wo käme er denn hin, wenn er sich von einem Computer umherkommandieren lassen würde? Also war er auf die dämliche Idee gekommen, Richtung Norden abzubiegen und eine Abkürzung über den Highway 287 zu nehmen - eine kleine Passstraße, die sich durch die Rocky Mountains schlängelte.
Gut, dass sich sein Navi auch hier oben auskannte.
Schlecht, dass Nick die Wetterwarnungen nicht ernst genommen hatte, sondern arglos ins Blaue gesteuert war. Er hatte recht schnell bemerkt, dass er einen gewaltigen Fehler beging. Aber er hatte sich lange Zeit geweigert, sich diesen Fehler einzugestehen. Anstatt nämlich rechtzeitig umzukehren oder in einem Motel Unterschlupf zu suchen, war Nick beharrlich weitergefahren.
Jetzt war es zu spät, um noch irgendwas daran zu ändern.
Jetzt halfen ihm weder das Navi noch die neuen Winterreifen, mit denen sein Toyota besohlt war. Nick wäre ja schon froh gewesen, wenn beten oder fluchen etwas gebracht hätte, aber bei diesem Schneesturm konnte ihn Gott wahrscheinlich nicht mal mehr hören. Das Einzige, was seine Laune noch halbwegs über dem Gefrierpunkt hielt, war das Radio. Es dudelte emsig vor sich hin. Gerade sang Frank Sinatra einen alten Klassiker: »Oh, the weather is wonderful. Everything is white, everything is quiet and a magic of christmas is in the air. I love snow! I love snow! I love snow!«
»Danke, Frank!«, sagte Nick gallig. »Du verstehst es wirklich, mich aufzumuntern.«
Er hatte schon vor geraumer Zeit sämtliche Sender durchsucht, die er hier oben empfangen konnte, um eine andere Musik zu finden. Aber anscheinend hatten sich nicht nur das Wetter und der Tank gegen ihn verschworen, sondern auch die Radiostationen. Ausnahmslos alle berieselten ihre Hörer um diese Zeit mit einem Weihnachtssong nach dem anderen. Klar, warum auch nicht? Jeder vernünftige Amerikaner sitzt gerade mit seiner Familie unterm Tannenbaum. Nur ich musste ja unbedingt im tiefsten Winter in die Berge fahren!
»I love snow! I love snow! I love snow!«, trällerte Sinatra (beinahe ein wenig hämisch).
»Weißt du was?«, schimpfte Nick. »Halt einfach die Klappe, sonst vergesse ich mich noch!«
Dabei hatte alles so harmlos angefangen. Am Nachmittag waren nur ein paar Schäfchenwolken über den Horizont gezogen, aber je höher Nick in die Berge gekommen war, desto stärker hatten sich diese grauen Tupfen am Himmel zu einer Sturmfront gemausert. Von diesem Zeitpunkt an hatten ihn sein Instinkt und der Wetterbericht gleichermaßen davor gewarnt, seine Reise fortzusetzen. Doch Nick hatte das einfach ignoriert. Es wäre schließlich nicht das erste Mal gewesen, dass sich sein Instinkt irrte. Und wann durfte man schon dem Wetterbericht glauben?
Also hatte Nick erst recht auf die Tube gedrückt.
Kurz, nachdem er den Teton Nationalpark erreicht hatte, waren dann die ersten Schneeflocken gegen die Frontscheibe geprasselt. Anfangs waren es nur sehr kleine Flocken gewesen; kaum größer als Sandkörner. Doch sie wuchsen ungefähr im gleichen Maße heran wie Nicks Befürchtung, dass dieser Tag böse für ihn enden könnte. Aus den winzigen Flocken waren rasch daumennagelgroße Eiskristalle geworden, die wie Kieselsteine aus den Wolken flogen. Und jetzt hatte sich das Schneegestöber zu einem solch dichten Vorhang geschlossen, dass das Licht der Scheinwerfer nach wenigen Metern darin versickerte. Die Scheibenwischer und das Lüftungsgebläse bemühten sich, die Frontscheibe freizuhalten, aber an den Dachholmen hatte sich bereits eine solch dicke Eiskruste gebildet, dass Nick kaum noch den Straßenrand sehen konnte. Von den umliegenden Bergen peitschten heftige Windböen herab und ließen den Toyota von einer Seite zur anderen schlingern. Nur Nicks Reflexen war es zu verdanken, dass er den Wagen nicht schon längst im Straßengraben geparkt hatte. Immer wieder geisterten vor ihm Schneeverwehungen durch die Nacht, rüttelten an den Bäumen und überzogen die Landschaft mit einem eisigen Leichentuch. Das Thermometer im Armaturenbrett zeigte achtzehn Grad minus an. Nicks biologischer Thermometer war jedoch der festen Überzeugung, dass es mindestens doppelt so kalt sein musste. Obwohl die Heizung des Toyotas auf höchster Stufe lief (und Nick einen warmen Fleecepullover trug), schnitt ihm die klirrende Kälte wie mit Messerklingen in jeden einzelnen Knochen. Aber darauf achtete Nick schon längst nicht mehr. Er hielt sich nur noch krampfhaft am Lenkrad fest und versuchte irgendwie in der Spur zu bleiben, während diese Fahrt zunehmend zu einem Rodeo wurde.
Ein Königreich für einen Allradantrieb, dachte Nick. Oder für Schneeketten ...
Sein Blick huschte wieder zur Tankuhr.
Der Zeiger hatte sich ein winziges Stück der Null genähert.
Scheiße.
Wenn das in diesem Tempo weiterging, würde Nick in knapp dreißig Meilen auf dem Trockenen sitzen.
»I love snow! I love snow! I love snow!«, sang Sinatra unbeirrt.
Nick funkelte das Radio feindselig an. Von dort zog sein Blick missmutig zum Navigationsgerät weiter, das mit einem Saugnapf am Armaturenbrett befestigt war. Auf der virtuellen Landkarte sah alles so sommerlich grün aus, dass Nick fast ein bisschen neidisch wurde. Laut der Anzeige durchquerte er noch immer den Teton Nationalpark. Hier gab es weit und breit keine Zivilisation; nicht einmal eine Tankstelle, einen Rasthof oder ein lausiges Klohäuschen. Nur eisverhangene Douglasien und schneebedeckte Kiefern, so weit das Auge reichte. Das würde sich bis Jackson garantiert nicht ändern - und es wurde immer fraglicher, ob Nick diesen letzten Zufluchtsort hier oben noch erreichen konnte. Etwas anderes blieb ihm jedoch kaum übrig, als es zu versuchen. Er hätte natürlich auch umdrehen und nach Dubois zurückfahren können; die letzte Stadt, an der er vorbeigekommen war. Aber die Strecke dorthin wäre noch länger gewesen als jene nach Jackson. Und lieber quälte sich Nick im Bummeltempo die Rocky Mountains hinauf, als sie unkontrolliert hinunterzurutschen ...
Scheiße.
Sein Blick streifte wieder die Tankuhr, obwohl er natürlich wusste, dass er sich damit nur unnötig quälte. Der Zeiger hatte sich noch mal um eine ganze Strichstärke weiterbewegt. Und damit war es nun amtlich: Der Tank war weder halb voll noch halb leer, sondern bloß noch zu rund einem Viertel gefüllt.
Scheiße.
Nick wünschte sich, er hätte den Reservekanister eingepackt. Besser: Er wünschte sich, er würde jetzt mit schätzungsweise fünftausend anderen Autofahrern auf der Interstate 80 im Stau stehen und sich darüber aufregen, warum die Polizei den verunglückten Lastwagen nicht schneller bergen konnte. Denn hier oben, in den Rockys, war er mutterseelenallein. Er konnte sich nicht genau daran entsinnen, wann ihm zuletzt ein Auto begegnet war, aber ein vages Gefühl sagte ihm, dass es mindestens eine Stunde her sein musste. Anscheinend war außer ihm niemand so wahnsinnig (oder gar so lebensmüde?) und wagte sich hierher.
Also, was soll ich tun?
Ängstlich sah er wieder zur Tankanzeige. Nick nahm sich vor, dass er noch so lange weiterfahren würde, bis der Zeiger die Viertelmarkierung überquert hatte. Dann musste er notgedrungen am Straßenrand parken. Mit dem restlichen Benzin würde die Heizung - seine Lebensversicherung! - noch bis zum Sonnenaufgang laufen. Trotzdem würde die Nacht ungemütlich werden. Und es bestand nicht die geringste Hoffnung, dass sich das Wetter bis morgen besserte. Vielleicht würde es Tage dauern, ehe ihn die Räumfahrzeuge aus seiner misslichen Lage befreit hatten. Da konnte es für ihn längst zu spät sein ...
Nicht daran denken!, beschwor er sich.
»Bei der nächsten Kreuzung rechts abbiegen«, sagte die charmante Stimme des Navis, das als Einziges noch die Orientierung (und die nötige Ruhe) in diesem Wetterchaos behielt. Nick versuchte, sich daran ein Beispiel zu nehmen.
Es dauerte keine dreihundert Meter mehr, bis vor ihm die besagte Kreuzung auftauchte. Eigentlich war es keine Kreuzung im herkömmlichen Sinn. Die Hauptstraße machte eine Neunzig-Grad-Biegung um eine Anhöhe, und mitten in der Kurve zweigte ein Feldweg nach links in den Wald ab. Ein Schild stand krumm und schief am Wegesrand, aber es war dermaßen mit Eiszapfen behangen, dass Nick keine Silbe darauf lesen konnte. Er fand das nicht weiter tragisch. Für kein Geld der Welt hätte er diesen Feldweg genommen, selbst wenn er direkt in die Garage des Waisenhauses geführt hätte. Der Schnee lag darin so tief, dass der Toyota nach wenigen Metern stecken geblieben wäre.
Nick zeigte sich geläutert und befolgte artig die Anweisung des Navis. Er bremste frühzeitig ab und jonglierte den Toyota wie auf rohen Eiern um die Kurve. Obwohl er höchstens noch mit Schrittgeschwindigkeit fuhr, reagierte die Lenkung nur sehr zögerlich. Nick musste die gesamte Fahrbahnbreite ausnutzen und sehr feinfühlig mit dem Gas und der Bremse spielen, um den Toyota von der Leitplanke fernzuhalten. Hinter der Kurve folgte ein kerzengerades Stück, das sich wie eine Narbe durch die Wildnis zog. Die Bäume am Wegesrand plusterten sich unter den Sturmböen auf und schüttelten das Eis aus ihren Ästen, und die Dunkelheit schien wie eine schwarze Lawine die Straße zu überfluten.
»I love snow! I love snow! I love snow!«, trällerte Sinatra.
Nick verkniff sich jedes Wort dazu. Stattdessen fiel sein Blick abermals auf die Tankuhr. Der Zeiger hatte sich nicht weiterbewegt. Aber er tat es. Langsam und gnadenlos. Der durstige Motor saugte Tropfen für Tropfen aus dem Tank. Nick spürte das, als würde der Toyota kein Benzin schlucken, sondern sein Blut trinken ...
Plötzlich huschte etwas vor ihm aus dem Wald.
Nick sah den Schatten nur aus dem Augenwinkel kommen, und dennoch reichte die schemenhafte Bewegung, um sämtliche Alarmglocken in seinem Kopf klingeln zu lassen. Mit einem erstickten Schrei auf den Lippen fuhr er hoch. Er sah etwas Dunkles, Großes aus einem Gebüsch hasten. Etwas, das keinerlei Anstalten machte, ihm auszuweichen. Im Gegenteil: Der Schatten blieb seelenruhig im Scheinwerferlicht stehen und blinzelte Nick entgegen.
Ein Reh!, kreischte sein Verstand.
Doch es war kein Reh.
Nick erkannte einen gedrungenen Körper. Zwei Arme, die ihm zuwinkten. Dicke, braune Winterstiefel aus Biberfell. Ein Schal, der im Wind flatterte. Sowie ein bleiches Gesicht unter einer Kapuze ... und ihm dämmerte, dass das nie und nimmer ein Reh sein konnte. Selbst mit drei Promille Alkohol nicht.
Ein Mann!
Mitten auf dieser verlassenen Straße stand ein Mann.
Und Nick raste frontal auf ihn zu!
»Grundgütiger!« Er hämmerte beide Füße auf die Bremse und kurbelte am Lenkrad ... doch der Toyota schlitterte eselstur (und im unverminderten Tempo) geradeaus weiter, als würde er auf Schienen fahren! Die vier Räder blockierten trotz ABS und das Bremspedal bebte so stark unter Nicks Schuhen, dass die Vibrationen bis hoch in seinen Kopf strahlten. Selbst dem guten, alten Sinatra schien vorübergehend der Atem zu stocken, denn das Radio setzte für einen Moment aus. Nick achtete jedoch auf nichts davon. Seine Konzentration galt einzig und allein dem Mann auf der Straße, der gleich eine tödliche Begegnung mit einem blechernen Japaner haben würde.
Nun beweg dich endlich!, beschwor Nick sowohl ihn als auch den Toyota.
Aber der Wagen ruckte keinen Millimeter zur Seite, obwohl Nick das Lenkrad bis zum Anschlag gedreht hatte. Zu allem Überfluss breitete der Mann auf der Straße jetzt auch noch die Arme weit aus, als wollte er Nick wie einen alten Freund begrüßen.
Du meine Güte!, begriff Nick entsetzt. Dieser Irre will gar nicht ausweichen. Er will, dass ich ihn ÜBERFAHRE!
Und genau so kam es.
Hilflos musste Nick mit ansehen, wie der Toyota den Mann mit seiner Stoßstange aufgabelte und in die Luft katapultierte. Die Lunge des Mannes gab ein schwaches Umpfff von sich, als er gegen den Kühlergrill donnerte. Nick hoffte ganz kurz, dass der Mann auf der Motorhaube liegen bleiben würde, bis der Wagen angehalten hatte. Doch dann krachte sein Kopf mit einem glockenhellen Schlag gegen die Frontscheibe und hinterließ einen blutigen Abdruck darauf, ehe ihn der Schneesturm und die Fliehkräfte vollends auf das Dach wirbelten. Der Mann drehte einen zirkusreifen Salto über den Toyota hinweg und verschwand zappelnd in der Dunkelheit. Nick war so schockiert, dass er für die nächsten zwei, drei Sekunden nichts anderes tat, als ihm durch den Innenspiegel hinterherzuglotzen. Erst dann fiel ihm ein, dass er noch immer durch die Landschaft bretterte ... und so richtete Nick sein Augenmerk wieder nach vorne (auch wenn er nicht viel tun konnte, außer sich verbissen ans Lenkrad zu klammern). Der Toyota verlor nur sehr mäßig an Geschwindigkeit - um nicht zu sagen gar keine -, aber dafür machte er plötzlich einen unerwarteten Schlenker nach rechts und steuerte auf einen Tannenbaum am Straßenrand zu!
Nick machte sich auf den Zusammenstoß gefasst.
Sofern man sich überhaupt auf so etwas gefasst machen konnte, versteht sich.
Der Baum würde den Toyota glatt in zwei Teile spalten ...
Scheiße. Scheiße. »Scheiße!«
Nick nahm die Hände vom Lenkrad und riss sie schützend vor seinen Kopf. Mit den Füßen trampelte er immer stärker auf das Bremspedal ein und drückte es so weit durch, dass er sich nicht darüber gewundert hätte, wenn das Ding abgebrochen wäre. Das wird wehtun, ahnte er, während der Baum wie ein Fallbeil auf ihn zuraste. Das wird sogar HÖLLISCH wehtun.
Aber dann kam alles ganz anders.
Zwei Meter, bevor der Toyota an der Tanne zerschellt wäre, rempelte er mit den Vorderreifen gegen einen umgestürzten Baumstamm im Schnee ... und kam jäh zum Stillstand. Ein ungeheurer Schlag jagte durch die Karosserie. Irgendwas am Unterboden ächzte und brach scheppernd auseinander, und der Motor ging heulend aus. Nick selbst blieb natürlich auch nicht verschont. Er flog so hart nach vorne, dass ihm der Gurt wie Stacheldraht in die Brust schnitt, und schrammte mit der Stirn am Lenkrad vorbei. Er war sich nicht sicher, ob er für ein paar Sekunden sogar das Bewusstsein verlor. Denn das Nächste, was Nick registrierte, war, wie er benommen in dem Sitz kauerte. Ein lautes Pochen hallte durch seine Brust. Bumm-Bumm. Bumm-Bumm. Nick wusste nicht genau, ob es sein Herz oder die Schmerzen waren, die er da hörte. Aber mit jedem weiteren Bumm-Bumm breitete sich ein furchtbarer Druck hinter seinen Schläfen aus, als würde jemand seinen Kopf mit Helium aufblasen.
Stöhnend sah er sich um.
Der Schneesturm peitschte nach wie vor durch den Wald.
Von einem Hotelzimmer aus betrachtet, hätte Nick diesem Anblick vielleicht etwas Romantisches abgewinnen können. Aber in seinem Auto fühlte er sich so verloren, als wäre er in der Antarktis gestrandet. Obwohl der Motor erst seit einer halben Minute abgestorben war - und mit ihm die Heizung -, kroch bereits die Kälte aus allen Seiten ins Wageninnere herein. Die Scheinwerfer brannten dagegen noch und zeigten ihm einen Ausschnitt des Waldes, der sich vor ihm kilometerweit ins Nirwana erstreckte. Falls sein Auto einen Totalschaden hatte, konnte sich Nick jedenfalls den Gedanken abschminken, zu Fuß weiterzugehen.
Frank Sinatra sah das natürlich ganz anders, denn er sang munter aus dem Radio: »The houses are full of lights. The streets are glistening with snow. What a beautiful sight. We walk through a christmas wonderland.«
»Wichser!« Nick streckte den Arm nach dem Radio aus, um Sinatra ein für alle Mal zurück in den Äther zu schicken. Er führte die Bewegung nicht zu Ende. Sein Blick streifte zufällig den Blutfleck, der in einem weiten Bogen über die Frontscheibe geschmiert war. Und in diesem Moment erinnerte sich Nick - langsam aber dennoch glasklar - wieder daran, dass er soeben einen Menschen umgefahren hatte ...
Heilige Scheiße.
Panisch sah er in den Innenspiegel. Der Schneesturm malte so lange Schlieren auf die Heckscheibe, dass Nick hinter dem Auto nicht das Geringste erkennen konnte.
Der Kerl muss schwer verletzt sein. Wenn nicht gar Schlimmeres!
Nicks Panik schäumte über. Er öffnete den Sicherheitsgurt und lehnte sich zum Beifahrersitz. Seine Rippen beschwerten sich natürlich über diese unachtsame Bewegung, aber Nick zerbiss den neuerlichen Schmerz auf den Lippen. Mit zitternden Fingern klappte er das Handschuhfach auf. Darin sonnten sich fünf Dinge im faden Licht der Glühbirne: Erstens, seine Brieftasche. Zweitens, eine Straßenkarte von Los Angeles. Drittens, ein Smartphone. Viertens, eine Pistole Marke Beretta (samt Ersatzmagazin). Sowie - fünftens - eine Taschenlampe. Nick nahm Letztere heraus, schaltete sie ein und kletterte schwungvoll ins Freie.
Er hatte das Gefühl in einen Reißwolf zu laufen. Der Sturm fegte ihm die Wagentür aus der Hand, kaum dass Nick sie geöffnet hatte, und die Luft war so frostig, dass sie wie Glasscherben in seine Lungen schnitt. Nick hielt automatisch den Atem an und faltete den Kragen seines Pullovers ins Gesicht. Das half natürlich nicht viel. Ehrlich gesagt half es gar nichts. Nach nur drei Sekunden hatte ihn die Kälte bis zur Unterhose durchdrungen. Trotzdem verzichtete Nick darauf, zum Kofferraum zu wanken und die Jacke aus seiner Reisetasche zu stöbern, die sich darin befand. Oder sich wenigstens das Nikolauskostüm über die Schultern zu werfen, das auf dem Rücksitz neben den Geschenken lag. Stattdessen überlegte er, ob er den Erste-Hilfe-Kasten mitnehmen sollte, entschied sich allerdings dagegen. Falls der Irre den Zusammenprall überlebt hatte, konnte Nick noch immer zurücklaufen und den Kasten holen.
Doch zuerst wollte er einfach nur nachsehen.
Fahrig ließ er die Taschenlampe im Kreis wandern. Ihr Licht kam nicht weit. Die Schneeflocken reflektierten die meiste Helligkeit und das restliche Licht versickerte nutzlos in der Finsternis. Die Tannenbäume wogten in den Windböen hin und her, als würden sie einen bizarren Tanz aufführen. Manchmal ertönte ein lauter Knall, wenn ein Ast unter dem enormen Gewicht des Schnees zusammenbrach, und der Wind heulte ein schauriges Lied aus dem Unterholz. Nick gab es nur ungern zu, aber Sinatra hatte wesentlich schöner geklungen ...
Er richtete den Lichtstrahl auf die Straße. Die jungfräuliche Schneedecke verriet ihm, dass hier in den letzten Stunden kein Auto mehr vorbeigekommen war - und dass er sich erst gar nicht die Hoffnung machen musste, per Anhalter weiterzufahren, falls sich der Toyota tatsächlich die Achse gebrochen hatte.
Na klasse, das wird ja immer besser.
Nick stakste zum Heck des Toyotas und folgte mit dem Lichtstrahl den Fahrrinnen, die er mit den Reifen in den Schnee gepflügt hatte. Anscheinend war er bei dem Bremsmanöver stärker ins Trudeln geraten, als er dachte, denn die Spuren wiesen einige sehr abenteuerliche Kurven auf. Er konnte von Glück reden, dass nicht noch mehr passiert war. Schnell, aber äußerst vorsichtig, marschierte Nick die Straße hinunter, während er den Lichtstrahl wie eine Machete von links nach rechts (und in regelmäßigen Abständen auch nach hinten) schwenkte. Dummerweise trug er nur ein paar Sneakers, die tief in dem Pulverschnee versanken, sodass seine Füße nach wenigen Schritten feucht waren. Und die Schneeflocken kratzten wie Reißnägel in den Augen, was seine Sicht noch zusätzlich eintrübte. Nick hatte Schnee noch nie gemocht - und jetzt wusste er auch wieso! Aber er durfte nicht aufgeben; musste irgendwie diesen Mann finden.
»Hallo?«, rief er. »Ist da jemand?«
Der Sturm verstreute seine Worte in der Nacht.
»Wenn Sie mich hören können, geben Sie mir ein Zeichen!«
Keine Antwort.
Kein Handzeichen.
Nicht einmal ein leises Stöhnen.
Nur das Heulen des Windes antwortete ihm.
Nick schüttelte es. Aber nicht wegen der Kälte, sondern weil er zunehmend das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Von etwas, das noch viel finsterer war, als die Dunkelheit.
Er hielt inne und sah zu dem Toyota zurück. Nick war höchstens dreißig Meter weit gegangen, und dennoch konnte er die roten Rücklichter des Wagens kaum mehr ausfindig machen. Er musste aufpassen, dass er sich in diesem eisigen Labyrinth nicht verirrte! Unentschlossen ließ er den Lichtstrahl über die beiden Fahrrinnen gleiten, die immer tiefer in den Sturm hinausführten.
Macht es überhaupt noch Sinn, weiterzusuchen?
Mit jedem Schritt, den sich Nick mehr von dem Wagen entfernte, brachte er sich selbst in Gefahr. Irgendwann musste er sich die Gewissensfrage stellen, welches Leben für ihn denn mehr Wert hatte: seines oder das eines irren Selbstmörders. Bestimmt hätte sich Nick mit dieser Entscheidung sehr viel leichter getan, wenn er in seinem Leben nicht schon viel zu oft die falsche Wahl getroffen hätte. Denn manche Entscheidungen hatten einigen Menschen das Leben gekostet ...
So etwas wollte, nein durfte ihm nicht noch mal passieren!
Deshalb blieb ihm gar nichts anderes übrig, als weiterzusuchen. Auch wenn es Nick verdammt schwerfiel. Auch wenn das bedeutete, dass er sich eine böse Erkältung einfangen und bis Silvester im Bett liegen würde. Aber er hätte sich wohl nie wieder im Spiegel in die Augen blicken können, wenn er sich jetzt feige aus dem Staub gemacht hätte.
Also zwang sich Nick unerbittlich durch das Schneechaos. Durch das christmas wonderland, wie es Sinatra bezeichnet hatte. Er durchforstete akribisch jeden Winkel, in dem sich der Mann hätte verkriechen können. Untersuchte jeden verdächtigen Schneehügel, der vielleicht eine zugewehte Leiche war. Und ging in Schlangenlinien von einer Straßenseite zur anderen, um jeden Graben gewissenhaft auszuleuchten.
Nichts.
Absolut gar nichts.
Nick fand noch nicht mal den Schal oder einen Stiefel, geschweige denn einen lausigen Tropfen Blut von dem Kerl!
Der Wald war so unberührt, ja nahezu ausgestorben, dass Nick an seinem eigenen Verstand zweifelte. War es vielleicht möglich, dass er sich den Unfall nur eingebildet hatte? Dass er übermüdet war und mit offenen Augen träumte? Ausgeschlossen!, widersprach ihm sein Gewissen. Ich habe gehört, wie die Lunge des Kerls platzte. Ich habe gesehen, wie er über mein Auto gesegelt ist. Verdammt! Meine Frontscheibe ist so blutig wie eine Schlachtbank! So etwas kann doch keine Einbildung sein!
Mittlerweile hatte Nick die Stelle erreicht, an der die Fahrrinnen des Toyotas wieder gerade wurden. Hier war die Welt vorhin noch in Ordnung gewesen. Nick hielt Ausschau nach den Fußspuren, die der Mann in der Schneedecke hinterlassen haben musste, als er aus dem Wald gerannt war. Doch er fand nichts dergleichen. Alles, was mit dem Irren zu tun hatte, schien sich einfach in Luft aufgelöst zu haben wie eine Fata Morgana. Oder wie ein Gespenst. Nick fröstelte es abermals, und wieder war die Kälte nicht daran schuld. Irgendwas ging hier vor sich, das er sich nicht erklären konnte, aber das mit jedem Augenblick unheimlicher wurde.
Deshalb blieb Nick endgültig stehen. »Hallo? Ist da jemand?«
Er wartete vergeblich auf eine Antwort.
Das war der Wendepunkt für Nick. Sprichwörtlich.
Es grenzte an blanken Wahnsinn, noch länger hier draußen herumzustapfen und nach einem Phantom zu suchen. Zeit, zurückzugehen. Nick hatte seine Pflicht über alle Maße erfüllt. Mehr Hilfe konnte er aus eigener Kraft nicht leisten. Er würde jetzt zu seinem Wagen laufen und mit dem Smartphone die Polizei anrufen (sofern es hier draußen überhaupt ein Funknetz gab). Sollte sich doch der Sheriff um den Irren kümmern!
Frohen Mutes wandte sich Nick um. Dabei stöberte er mit dem Lichtstrahl etwas auf, das bis vor wenigen Sekunden noch nicht da gewesen war. Am Straßenrand, keine drei Meter von ihm entfernt, gab es mehrere Schuhabdrücke. Sie stammten nicht von ihm, so viel stand fest. Nick trug bekanntlich Sneakers; die Fußstapfen hingegen wiesen das Profil einer Stiefelsohle auf, mit tiefen Noppen und einem leicht erhöhten Absatz. Stiefel, wie sie der Irre getragen hatte. Das Beunruhigende an diesen Abdrücken war jedoch, dass sie weder auf die Straße führten, noch in den Wald zurückkehrten, sondern sich zu Nicks Auto bewegten!
Der Kerl will doch nicht etwa meinen Wagen klauen?
Nick wollte darüber lachen. Doch ganz so abwegig, wie sich das im ersten Moment anhörte, war dieser Gedanke gar nicht. Der Irre hatte schließlich einen heftigen Unfall überlebt und lief trotzdem putzmunter durch diese weiße Hölle - also warum sollte es ihm nicht auch gelingen, ein waidwundes Auto zurück auf die Straße zu wuchten und damit weiterzufahren? Nichts war unmöglich. Bei Toyota schon gar nicht ...
Nick nahm die Verfolgung auf. Er hob die Lampe über seinen Kopf, damit das Licht möglichst weit strahlte, aber er konnte den Irren nirgendwo entdecken, obwohl dessen Fußstapfen keine dreißig Sekunden alt waren. Anfangs marschierte Nick nur im Stechschritt voran. Mit jedem weiteren Meter legte er jedoch einen Zahn zu, bis er letztlich so schnell rannte, dass seine Sneakers tiefe Kuhlen in den Schnee gruben. Zweimal rutschte er auf dem eisglatten Boden aus und flog der Länge nach hin, aber Nick rappelte sich sofort wieder auf und hinkte weiter, ohne sein Tempo zu zügeln. Nach nur einer Minute kam er zu seinem Ausgangspunkt zurück - und blieb wie angewurzelt stehen.
»Oh nein!«, krächzte er. »Oh bitte ... nein!«
Sein Auto war tatsächlich nicht mehr da!
Ein lähmendes Entsetzen griff nach seinem Herz und schien es zu zerquetschen, denn Nick begriff sofort, was das für ihn bedeutete. Er stand einsam und verlassen in der Wildnis, trug nur einen Pullover und war sechzig Meilen von jeglicher Zivilisation entfernt.
Das war sein Todesurteil!
Nick begann zu schwitzen, obwohl sein Körper in der Kälte wie verrückt zitterte.
Doch dann begriff er seinen Irrtum.
Das hier war nicht die Stelle, an der er mit dem Auto liegen geblieben war. Die Fahrrinnen ließen zwar das Gegenteil vermuten, weil sie ziemlich nahe am Straßenrand entlangführten, aber sie bogen nach acht, neun Metern zurück in die Mitte der Fahrbahn. Der Toyota musste also noch weiter vorne stehen!
Nick eilte wieder los. Der Rückweg kam ihm doppelt so lang und doppelt so kalt vor ... und auch irgendwie doppelt so unheimlich. Nick fühlte sich zunehmend bedrängt, als befände er sich im Sandwich zwischen einem untoten Selbstmörder und einem namenlosen Grauen. Er warf mehrmals einen nervösen Blick über die Schulter. Hinter ihm bleckte nur der Schneesturm seine perlweißen Zähne. Aber das stimmt nicht! Da war jemand, eindeutig. Jemand, der vielleicht keine Fußstapfen im Schnee hinterließ und den Nick auch nicht sehen konnte - aber jemand, der ihn jagte. Und schnell näherkam ...
Nick hätte der Sache auf den Grund gehen müssen, bevor er noch paranoid wurde. Doch in diesem Moment tauchten vor ihm zwei kleine, rote Punkte aus der Dunkelheit auf: die Rücklichter des Toyotas! Nick schickte ein Stoßgebet in den Himmel - Danke! - und beschleunigte seine Schritte. Er blieb jedoch nach wenigen Metern abrupt wieder stehen, denn plötzlich traute er seinem vierrädrigen Freund nicht mehr. Von außen betrachtet wirkte der Wagen vollkommen friedlich und verlassen, doch auf den Scheiben lag bereits eine hauchdünne Schneedecke, sodass Nick unmöglich ins Innere sehen konnte. Was, wenn der Irre hinter dem Lenkrad sitzt und auf mich wartet? Das allein hätte Nick keine allzu große Sorgen bereitet. Er besaß in so ziemlich jeder erdenklichen Kampfsportart den schwarzen Gürtel und konnte mit seinen Händen und Füßen Dinge anrichten, für die man eigentlich einen Waffenschein benötigt hätte. Ja, aber das alles nützt mir gar nichts, wenn dieser Irre meine Beretta im Handschuhfach gefunden hat ...
Nick wünschte sich, er hätte die Pistole mitgenommen. Und er wünschte sich noch viel mehr, dass er vorhin wenigstens so intelligent gewesen wäre, den Wagen abzuschließen.
Cool bleiben, befahl er sich (was ihm bei dem Wetter nicht sonderlich schwerfiel), während er den Lichtstrahl von einem Fußstapfen zum anderen schwenkte. Die Spuren führten in einem weitläufigen Bogen um das Heck des Toyotas und brachen dann auf der Beifahrerseite ab. Ich wusste es! Der Kerl hockt jetzt in meinem Auto, hat die Beretta in der Hand und wartet darauf, dass ich die Tür öffne! Aber die Logik belehrte Nick eines Besseren: Der letzte Fußstapfen lag gut und gerne drei Meter von den Türen entfernt. So weit konnte der Irre weder gesprungen sein, noch hatte er seine Spuren verwischt - dafür wirkte die Schneedecke viel zu gleichmäßig. Demnach konnte er also nicht im Auto sitzen. Er schien sich einfach in Luft aufgelöst zu haben. Mal wieder.
Nick trat unruhig auf der Stelle umher. Er konnte sich nicht entscheiden, was ihm mehr Angst einjagte: Die Möglichkeit, dass der Kerl mit der geladenen Pistole im Wagen auf ihn wartete, oder dass er scheinbar die Fähigkeit besaß, von einem Ort zum anderen zu schweben ...
Hör jetzt endlich auf, herumzuheulen!, ermahnte er sich. Du musst aus diesem Unwetter raus, sonst holst du dir auch ohne eine Bleikugel den Tod!
Er schaltete die Taschenlampe aus, ging in die Hocke und pirschte sich an den Toyota heran. Die schneebedeckten Scheiben und beschlagenen Außenspiegel trugen ihren Teil dazu bei, dass ihn niemand vom Wageninneren heraus sehen konnte. Und der laute Sturm tat sein Übriges, damit Nick unbemerkt die Beifahrerseite erreichte. Er postierte sich unter dem hinteren Seitenfenster, reckte den Kopf nach oben, bohrte ein winziges Spickloch in den Schnee und spähte ins Innere. Das Nikolauskostüm lungerte gelangweilt auf dem Rücksitz und die Geschenke funkelten so traurig wie die vielen Kinderaugen, die soeben in Jessicas Waisenhaus vor einem leeren Weihnachtsbaum saßen. Nick drehte den Kopf nach rechts. Die beiden Vordersitze zeichneten sich nur als Schlieren hinter dem Fenster ab und ließen ihn im Unklaren darüber, ob dort jemand saß oder nicht.
Also auf die harte Tour.
Nick robbte zur Vordertür. Während er die eine Hand nach dem Türgriff ausstreckte, umschloss er mit der anderen die Taschenlampe so, wie man einen Schlagstock halten würde. Dann ging alles blitzschnell: Er riss überfallartig die Tür auf, sprang hoch und schwang die Taschenlampe durch die Luft ... doch der Toyota war leer.
Hinter dem Lenkrad saß kein Irrer.
Niemand bedrohte ihn mit der Pistole.
Alles in dem Wagen war genau so, wie Nick es verlassen hatte.
Selbst das Radio spielte noch. Gerade liefen die Verkehrsnachrichten. Der Moderator sagte, dass der umgekippte Lastwagen geborgen und die Interstate 80 wieder befahrbar sei. Super!, schnaubte Nick. Hättet ihr das nicht schon viel früher erledigen können? Nebenbei öffnete er das Handschuhfach. Die Beretta, das Smartphone, die Brieftasche und die Straßenkarte lagen ordnungsgemäß an ihrem Platz. Nick wartete sehnsüchtig darauf, dass er sich endlich erleichtert fühlte. Aber seine Anspannung wollte nicht von ihm weichen, als würden seine Instinkte noch immer eine Gefahr wittern.
Das Smartphone bezirzte seinen Blick.
Es wird Zeit, die Bullen zu rufen!
Nick beugte sich ins Wageninnere, um das Mobiltelefon herauszunehmen. Dabei sah er zufällig auf die Frontscheibe ... und plötzlich verstand er, was ihm seine Instinkte schon seit mehreren Sekunden so eindringlich mitteilen wollten.
Das Blut!
Es ... es war verschwunden.
Das kann nicht sein. Wider besseres Wissen krabbelte Nick aus dem Auto und kratzte mit dem Fingernagel über die dünne Eiskruste auf der Scheibe. Aber egal, an wie vielen Stellen er suchte, nirgendwo fand er auch nur einen Tropfen Blut.
Nick trat irritiert zurück. Hatte er sich den Unfall etwa doch eingebildet? Oder einen Sekundenschlaf gehabt und das alles geträumt? Er konnte beides nicht gänzlich ausschließen (obwohl er weder an das eine noch an das andere glaubte). Und als wäre das nicht schon verwirrend genug, fügte seine Fantasie noch eine dritte Erklärung hinzu; eine, die noch viel haarsträubender klang: Was, wenn sich jemand einen schlechten Scherz mit dir erlaubt? Wenn Nick gerade zur besten Sendezeit durch das Weihnachtsprogramm flimmerte und unfreiwillig den Clown der Nation spielte? Nick hoffte beinahe, dass es so war; dass es eine rationale Erklärung für all das gab. Auch wenn er natürlich wusste, wie falsch diese Vermutung war. Kein Scherzbold würde bei dieser Affenkälte stundenlang hier oben auf der Lauer liegen und auf so ein leichtsinniges Opfer wie Nick warten. Und falls doch, musste dieser Kerl noch viel verrückter sein, als Nick bislang angenommen hatte ...
Du solltest weiterfahren, meldete sich eine mütterliche Stimme in seinem Kopf. Dir bekommt die Höhenluft nicht. Und außerdem, fügte sein knurrender Magen hinzu, wartet auf uns ein leckerer Weihnachtsschinken.
Das war ein Argument, dem Nick nicht widerstehen konnte.
Er knallte die Beifahrertür zu und stakste auf die andere Seite des Wagens. Die Schneeflocken bissen ihm so hart ins Gesicht, dass seine Nase pochte und die Haut auf den Wangen völlig wund gerieben wurde. Stöhnend hebelte Nick die Fahrertür auf, doch der Sturm fegte sie gleich wieder zu. Nick musste mit beiden Händen an der Tür zerren, um sie ein zweites Mal zu öffnen. Aber auch jetzt gelang es ihm nicht, hinters Lenkrad zu klettern.
Ein lauter Schrei hielt ihn davon ab.
»Feigling!«
Nick drehte sich zu der Stimme um und schaltete die Taschenlampe wieder ein. Der Lichtstrahl tastete über den Waldrand. Die zerfurchten Baumstämme sahen Nick anklagend an, als wollten sie ihn des Mordes bezichtigten. Mr. Preston, Sie haben einen Mann totgefahren und Fahrerflucht begangen. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen? Nick schüttelte sich den Gedanken aus dem Kopf, um gar nicht erst ein schlechtes Gewissen aufkommen zu lassen. Herrgott, was war heute nur los mit ihm? Er sah nicht nur Gespenster, nein, jetzt hörte er auch Stimmen, die gar nicht existierten. Wenn er nicht aufpasste, verlor er hier oben noch den Verstand!
Fluchtartig schwang er sich auf den Fahrersitz. Gerade, als er die Tür schließen wollte, streifte ein neuer Schrei sein Ohr. Diesmal war er deutlich näher. Und sehr viel aggressiver.
»Feigling!«
Nick überlegte ernsthaft, ob er den Schrei ignorieren sollte. Vielleicht war er nur ein Kurzschluss in seinem übermüdeten Kopf. Oder ein Echo des Sturmes. Nick zog es sogar in Erwägung, ob Sinatra im Radio ein weiteres - bislang unbekanntes - Weihnachtslied angestimmt hatte. Doch dann ertönte der Schrei von Neuem. Und jetzt klang er ganz bestimmt nicht mehr wie eine Einbildung.
»Du elendiger Feigling hast mich umgefahren, und nun haust du einfach ab? Schäm dich!«
Nick leuchtete abermals mit der Taschenlampe nach draußen. Der Wald war noch immer furchtbar unheimlich und düster, aber lange nicht mehr so leer wie gerade eben noch.
Auf der anderen Straßenseite stand der fremde Mann!
Nick erkannte die Stiefel, den Schal und die Jacke sofort wieder, obwohl er in dem Schneegestöber auch weiterhin kaum mehr als einen Schemen von alledem sah. Der Mann hatte seine Kapuze noch tiefer in sein Gesicht geschlagen. Ein paar lange, zottelige Haare flatterten darunter wie schwarze Flammen umher, und seine Augen verschluckten den Lichtstrahl der Taschenlampe, als gäbe es in ihnen nichts außer ewige Dunkelheit. Nick verlor sich eine ganze Weile in diesem gespenstischen Anblick, ehe er den Lichtstrahl langsam abwärts bewegte. Er suchte nach Platzwunden, Knochenbrüchen oder gar abgerissenen Gliedmaßen. Der Kerl hätte zerfetzt und aus allen Körperöffnungen bluten müssen, weil ihn der Toyota zwanzig, dreißig Meter weit durch die Luft geschleudert hatte. Doch Nick fand nicht den kleinsten Kratzer an ihm.
»Ja, genau dich meine ich, du Saftsack!«, schimpfte der Mann. »Du weißt genau, was du getan hast!«
»T’schuldigung«, murmelte Nick. Im selben Moment fiel ihm auf, dass er viel zu leise gesprochen hatte und der Mann ihn unmöglich in dem Sturm verstehen konnte. Daher räusperte sich Nick und rief ihm so laut wie möglich zu: »Geht es Ihnen gut?«
»Ich kann noch laufen, falls du das meinst ... aber du hast mich ziemlich übel erwischt.« Der Mann machte zur Verdeutlichung einen Schritt nach vorne. Zumindest versuchte er das. Sein linkes Bein klappte bei der geringsten Belastung einfach wie eine Stelze unter ihm weg, sodass er gegen einen Baum wankte und sich daran festklammern musste. Sein entspanntes Gesicht verriet jedoch, dass die Schmerzen wahrscheinlich nur halb so schlimm waren, wie er gerade eben vortäuschte. Trotzdem erreichte der Mann mit seiner wehleidigen Nummer das, was er offenbar wollte: Nämlich Nicks Mitleid zu wecken ...
»Warten Sie, ich helfe Ihnen!« Obwohl Nick spürte, dass an dem Mann irgendwas faul war, sprang er ohne zu zögern aus dem Auto und eilte auf ihn zu. »Es tut mir leid, dass ich Sie umgefahren habe. Sie ... Sie waren plötzlich auf der Straße und ich konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen ...«
»Ich bin mal gespannt, wie du diese Story dem Richter verkaufen willst«, knurrte der Mann unversöhnlich. »Und nun komm endlich her und hilf mir! Oder willst du mich etwa auch noch erfrieren lassen?« Er wollte sich von dem Baum lösen, aber er spielte seine schwer verletzte Rolle so überzeugend, dass er jammernd zurücksackte. Sofern er das wirklich nur spielte ...
Nick war sich diesbezüglich nicht mehr ganz sicher. Er fühlte sich so schuldig, dass er alles andere um sich herum vergaß. Linkisch balancierte er über den glitschigen Asphalt. Nur noch wenige Schritte, dann konnte er sich aus nächster Nähe davon überzeugen, wie es wirklich um den Mann stand. »Ich kann Sie nach Jackson mitnehmen und zu einem Arzt bringen«, bot er dem Fremden an. »Selbstverständlich übernehme ich die Behandlungskosten ...«
»Ich denke, das wird nicht mehr nötig sein.«
Nick stutzte. »Wieso? Geht es Ihnen etwa schon wieder besser?«
»Mir geht es gleich hervorragend.« Ein hinterlistiges Lächeln spaltete die Lippen des Mannes, und in seinen finsteren Augen regte sich ein Blick, als hätte sich soeben ein Grab geöffnet. Nicks Grab.
Nick konnte sich diesen boshaften Sinneswandel des Mannes nicht erklären. Aber egal, welche Ursache er auch hatte ... er bedeutete nichts Gutes. Vermutlich wäre Nick trotzdem zu ihm gegangen; pflichtbewusst und hilfsbereit, wie er nun mal war. Doch im selben Moment streifte ihn etwas an der Wange, das ihn schlagartig auf der Straße verharren ließ: nämlich ein warmer Lufthauch!
Nick drehte irritiert den Kopf in den Wind.
Tatsächlich.
Von Süden wehte eine lauwarme Brise die Straße herauf; kaum dicker als eine Haarsträhne und so schwach wie der flache Atem eines Menschen. Aber diese Brise war mit einer unheilvollen Hitze geschwängert, die es eigentlich in dieser Kälte nicht geben durfte.
Was zum Teufel ist hier nur los?
Nick ging auf den merkwürdigen (und irgendwie auch sehr betörenden) Wind zu - und schrie entsetzt auf. Denn die Dunkelheit spuckte vor ihm noch etwas ganz anderes aus, als nur diese warme Brise: nämlich zwei grelle Scheinwerfer, die auf ihn zurasten!
Sein Körper reagierte, lange bevor Nick überhaupt begriff, was diese Lichter zu bedeuten hatten. Er ließ sich einfach nach hinten fallen, rollte sich über die Schulter ab und blieb im Schnee liegen. Eine halbe Sekunde später rauschte ein Lastwagen samt Anhänger an ihm vorbei! Der Fahrer hupte empört und wedelte zornig mit den Fäusten, aber er unternahm keinen Versuch, den Vierzigtonner auf dem rutschigen Untergrund abzubremsen. Das hätte für ihn sonst ebenfalls im Straßengraben geendet ...
Nick spürte die zermalmende Kraft der Reifen, die nur einen knappen Meter neben ihm durch den Schnee walzten; und der Sog des Lastwagens wirbelte eine Wand aus Schnee und Eissplittern vom Boden auf, die sich wie Bienenstiche in Nicks Haut bohrten. Er rollte sich immer weiter zusammen, um dem Eisregen so wenig Trefferfläche wie möglich zu bieten. Erst als das metallene Ungetüm an ihm vorbeigedonnert war und sich der aufgewirbelte Schnee größtenteils gelegt hatte, wagte er es, den Kopf zu heben und den Rücklichtern hinterherzustarren.
Großer Gott!
Die Erkenntnis, dass er gerade nur knapp dem Tod entronnen war, erzeugte ein panisches Wummern hinter seiner Stirn. Aber da gab es noch eine zweite Erkenntnis; eine, die ihm eine zentimeterdicke Gänsehaut über den Körper jagte: Der Mann hat mich absichtlich auf die Straße gelockt. Er wusste, dass der Lastwagen kommt. Verdammte Scheiße ... dieser Irre wollte mich TÖTEN!
Nick stemmte sich hoch. Der Schock saß so tief in seinen Knochen, dass er zitternd gegen den Toyota sackte und in der kommenden Minute nichts anderes tat, außer tief durchzuatmen. Danach sah er endlich zu dem Mann zurück.
Es überraschte ihn nicht, dass er spurlos fehlte.
Eben wie ein echtes Gespenst.
Eine weitere Gänsehaut war im Anmarsch und ließ seinen Rücken zu einem dicken Panzer anschwellen.
Jetzt reiß dich gefälligst zusammen! Gespenster ... hast du ’nen Knall?
Nick hätte sich gerne zusammengerissen. Im Normalfall gelang ihm das auch immer, weil er ein sehr disziplinierter Mensch war. Aber jetzt konnte er nicht einmal ansatzweise seine Nervosität bändigen. Weil er unablässig das Gefühl hatte, dass hier etwas Böses, Grauenvolles sein Unwesen trieb ... und ihn aus allen Seiten einkesselte. Um wenigstens etwas anderes zu tun, als nur zu zittern und frieren, fischte er seine Taschenlampe aus dem Schnee, die er fallen gelassen hatte. Er ließ den Lichtstrahl einmal quer über die umstehenden Bäume wandern. Doch es blieb dabei: Der Mann war fort.
Und daran sollte sich Nick jetzt endlich ein Beispiel nehmen!
Er wollte sich gerade wieder hinter das Lenkrad klemmen, da stolperte der Lichtstrahl über ein Schild, das ungefähr an der gleichen Stelle aus dem Boden ragte, an der der Mann zuletzt gestanden hatte. Nick hob fragend die Augenbrauen. Er hätte schwören können, dass dieses Schild vorhin noch nicht da gewesen war. Andererseits ... dieser Schneesturm verleitete ihn bekanntlich dazu, Dinge zu sehen, die es gar nicht gab, und Dinge zu übersehen, die direkt vor ihm standen.
Ich brauche wohl dringend Schlaf!
Diesmal sah sich Nick sehr, sehr gründlich nach beiden Seiten um, ehe er die Straße ein zweites Mal überquerte. Er blieb unterhalb des Schildes stehen und beleuchtete es argwöhnisch, als rechnete er damit, dass es ebenfalls jeden Augenblick verschwinden könnte. Das Schild war alt und rostig, aber der Besitzer hatte sich erst kürzlich die Mühe gemacht, die Buchstaben mit weißer Farbe nachzumalen. Fingerlange Eiszapfen wuchsen an den Rändern des Schildes empor, wie die Zacken an einer Briefmarke. Eine dicke Schneehaube lag auf der oberen Kante und schirmte die Aufschrift ein wenig von dem Sturm ab, sodass Nick sie problemlos lesen konnte:
GILLMANS Tankstelle
Benzin · Snacks · Autoservice
24 Stunden geöffnet
3 Meilen
Dem Himmel sei Dank! Nick war gerettet! Im Nu warf er sich auf den Fahrersitz. Der Motor orgelte kurz, als Nick den Zündschlüssel drehte. Ansonsten zickte der Toyota aber nicht weiter herum, sondern sprang beim zweiten Versuch an. Nick setzte zurück auf die Straße und bewegte das Lenkrad ein paar Mal hin und her. Er war kein Mechaniker, aber ein Gefühl sagte ihm, dass die Vorderachse keinen nennenswerten Schaden erlitten hatte. Zügig fuhr er los, die Straße hinunter.
Um Gillman frohe Weihnachten zu wünschen.
3 Meilen.
Nick behielt die Anzeige im Armaturenbrett scharf im Auge und zählte jeden Meter mit, den er der Tankstelle näherkam. Er glaubte nicht wirklich daran, dass die Angabe auf dem Schild stimmte. Wenn er ehrlich war, glaubte er noch nicht einmal daran, dass die Tankstelle bei diesem Wetter geöffnet hatte. Oder dass sie überhaupt noch existierte. Umso erstaunter war er deshalb, als bereits nach 2,8 Meilen ein verschwommener Lichtfleck an der rechten Straßenseite auftauchte. Eine winzige Oase inmitten dieser kargen Eiswüste.
Ohne es bewusst zu steuern, gab Nick ein klein wenig mehr Gas.
Der Lichtfleck entpuppte sich als Scheinwerfer, der den Vorplatz einer heruntergekommenen Tankstelle erhellte (wobei Baracke