Roman
Die Spielsachen des Zauberers Paganini führen ein ruhiges Leben auf dem Dachboden - bis eines Abends ein Ufo ihre Freundin Gina entführt. Hastig bauen sich die Spielsachen ein Raumschiff und brechen zu einer abenteuerlichen Reise ins Weltall auf, um Gina zu retten.
Eine wilde Jagd von Planet zu Planet beginnt, bei der die Spielsachen nicht nur einen furchterregenden Drachen überlisten und ein Geisterschloss auf dem Mars besuchen müssen, sondern auch skrupellose Piraten treffen.
Aber die Spielsachen müssen sich beeilen, Gina zu befreien. Denn sie verlieren bei Sonnenaufgang ihre Lebenskraft ...
Thomas Paul, Jahrgang 1980, lebt und arbeitet in der Nähe von Stuttgart. Er schreibt nicht nur Jugendbücher, sondern auch Fantasy-Romane und Thriller für Erwachsene.
Mehr Infos über seine neuesten Projekte finden Sie auf seiner Homepage.
E-Mail: thomaspaul-autor@web.de
Internet: thomaspaul-autor.de
Das ist die Geschichte des Zauberers Paganini und den Spielsachen aus seiner Wunderkiste. Eigentlich war Paganini kein Zauberer mit echten magischen Kräften, sondern nur ein Taschenspieler, der ein paar Münzen hinter den Ohren hervorzaubern und in seiner Hand verschwinden lassen konnte. Und selbst diese einfachen Tricks gingen regelmäßig schief. Sobald Paganini seinen Zauberstab schwang, zogen die Leute im Publikum ihre Köpfe ein, weil sie ahnten, dass Paganini gleich ein Unglück heraufbeschwor. Und sie sollten meistens recht haben.
Paganini begann seine Show immer damit, mehrere Kerzen anzupusten. Er beugte sich dazu ganz nahe an den Docht, blähte die Backen und spitzte die Lippen, als wollte er ein fröhliches Liedchen pfeifen - und schon entzündete sich eine Flamme auf der Kerze. Dieses Kunststück wiederholte er so oft, bis die Leute vor Begeisterung klatschten. Oder ihm zuriefen: »He, Paganini, dein Mantel brennt!« Natürlich konnte er das Feuer jedes Mal wieder löschen, indem er sich ein Glas Wasser über den Zaubermantel goss.
Aber von da an klappte meistens gar nichts mehr.
Wenn Paganini ein Kaninchen aus seinem Zylinder zaubern wollte, dann sprang es meistens noch vor dem ersten Simsalabim ganz von selbst ins Freie und lief davon. Manchmal versuchte Paganini auch, mit viel Abrakadabra und Dreimal-Schwarzer-Kater seine Kristallkugel fortzuhexen. Sie verschwand tatsächlich, aber nur weil er sie tollpatschig vom Tisch herunterfegte. Und wenn er seinen Zauberstab in einen bunten Blumenstrauß verwandelte, geriet er dabei jedes Mal so sehr aus dem Gleichgewicht, dass er wie ein Tänzer durch sein Zelt wirbelte. Am Höhepunkt der Show wollte Paganini stets sein ganzes Können unter Beweis stellen und nahm eine Säge zur Hand. Mit einem geheimnisvollen Lächeln postierte er sich mit ihr auf der Bühne und ließ sie im Scheinwerferlicht funkeln. Dann fragte er in die Runde: »Wer von euch möchte sich von mir - dem großen Paganini - auseinandersägen lassen?«
Von diesem Augenblick an dauerte es keine drei Sekunden mehr, bis die Menschen schreiend von ihren Stühlen gesprungen waren. Tja, willkommen in Paganinis Zaubershow. Bringen Sie Heftpflaster und Feuerlöscher mit, dann kann Ihnen gar nichts passieren!
Genau betrachtet war Paganini eher ein Clown als ein Magier, der sich jeden Abend zum Gespött der Leute machte. Aber er schaffte es zumindest, ein Lächeln in die Gesichter der Kinder zu zaubern und ihre Augen zum Leuchten zu bringen - und das war der schönste Lohn, den er für seine Arbeit bekommen konnte.
Zum Schluss hatte Paganini jedoch einen ganz besonderen Trick für seine Zuschauer auf Lager. Einen, den kein anderer Zauberer nachahmen konnte.
Ein Trick mit echter Magie ...
Mit viel Trommelwirbel stellte er seine Wunderkiste auf die Bühne und öffnete ihren Deckel. Plötzlich kletterten mehrere Spielsachen daraus hervor: ein Teddybär, ein Schachtelclown, ein rosafarbenes Einhorn, eine gelbe Ente, eine unheimliche Marionette mit einem Kürbiskopf sowie einige andere Figuren. Und sie alle begannen damit, über die Bühne zu toben und Purzelbäume zu schlagen.
Die Kinder im Publikum applaudierten und stampften mit den Füßen auf den Boden. »Schau mal Mama, der Bär dort!«, staunten manche. »Sieh mal, wie hoch das Einhorn springen kann!«, die anderen. »Und der Schachtelclown erst! Er jongliert acht Bälle gleichzeitig!« Die Eltern konnten ihre Kinder nur mit Mühe und Not daran hindern, zu den Spielsachen auf die Bühne zu springen. Sie kniffen angestrengt die Augen zusammen und suchten nach den Fäden, mit denen Paganini die Spielsachen bewegte.
Doch sie fanden keine.
Weil es keine gab.
Die Spielsachen, die dort auf der Bühne so vergnügt ihre Kunststücke aufführten, lebten wirklich!
Die Wunderkiste besaß nämlich eine besondere Gabe: Sie konnte alles in ihrem Inneren zum Leben erwecken, sobald das Mondlicht auf sie schien. Und da Paganinis Zaubershow immer abends stattfand, entwickelten die Spielsachen nach Sonnenuntergang ihren eigenen Willen und fieberten dem Auftritt ungeduldig entgegen.
So reiste Paganini Jahr für Jahr mit den Spielsachen über die Kontinente. Er besuchte ferne Länder, machte Rast auf den Jahrmärkten und Rummelplätzen dieser Welt, und erheiterte unzählige Kinder mit seinen Zaubertricks und seiner Tollpatschigkeit gleichermaßen.
Doch sobald die Show vorbei und das Lachen verhallt war, fühlte sich Paganini schrecklich einsam. Er saß dann oft auf der Bühne, nähte seinen verkohlten Zaubermantel zusammen und träumte in die Sterne.
Manchmal kam der Teddybär namens Bruno zu ihm, setzte sich auf seinen Schoß und legte ihm eine Tatze auf die Hand, um ihn zu trösten. »Du siehst heute wieder so traurig aus, Meister«, schnurrte er.
Paganini seufzte schwermütig, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden. »Ich frage mich, ob sich die Sterne da oben genauso einsam fühlen wie ich.«
»Einsam?«, wiederholte Bruno. Er deutete mit seiner Schnauze zu den anderen Spielsachen, die gerade fleißig damit beschäftigt waren, die Scherben von der Zaubershow aufzuräumen. »Du bist nicht einsam, Meister. Wir sind doch bei dir!«
Paganini streichelte seinen flauschigen Kopf. »Das stimmt, Bruno. Und dafür bin ich euch sehr dankbar.« Trotzdem glitzerte eine Träne in seinem Augenwinkel, als er den Teddybären wehmütig anlächelte. »Weißt du, jeder von uns ist wie ein Stern dort oben: ein hell leuchtender Punkt im Universum. Aber im Gegensatz zu den Sternen leuchten wir Menschen nicht ewig. Irgendwann werden wir einfach verglühen. Und meine Zeit ist dafür bald gekommen.«
Bruno hatte sich bis zu diesem Moment nie Gedanken über das gemacht, was außerhalb von Paganinis Zelt vor sich ging. Aber er spürte, dass dieses Thema seinen Meister sehr belastete - und dass er es ernst nehmen musste, wenn er ihm helfen wollte. Also hob er seine schwarzen Knopfaugen und linste durch eines der vielen Löcher im Zeltdach hinaus in den Sternenhimmel. »Wie ist das, wenn man verglüht, Meister?«
»Ich weiß es nicht. Niemand weiß das. Vielleicht wird es stockfinster um uns herum. Oder unsere Seele strahlt so hell wie die Sonne. Jeder wird das eines Tages für sich selbst herausfinden müssen.«
Bruno sah den Zauberer ängstlich an. »Verglühen Spielzeuge auch eines Tages, Meister?«, erkundigte er sich.
»Wahrscheinlich, ja. Aber sei unbesorgt. Solange ihr euch tagsüber in der Kiste aufhaltet und sie ins Mondlicht stellt, werdet ihr sehr lange leben.« Paganini bemühte sich wieder um ein Lächeln. Diesmal um eines, das den Teddybären aufmuntern sollte. Und vielleicht nicht nur den Bären ...? »Das Leben ist eine spannende Reise, Bruno, und man sollte in jedem Augenblick so glücklich sein, als wäre es der letzte. Was mich betrifft, bin ich es immer seltener.«
»Was bedrückt dich denn?«
Paganini zuckte mit den Schultern, als wollte er seinen Kummer von sich abschütteln. »Ich fühle mich leer und müde«, sagte er nach einiger Zeit. »Mein ganzes Leben lang reise ich nun schon durch die Welt. Ich habe so vieles gesehen, habe so viele Menschen kennengelernt und so vieles erlebt, dass mein Kopf voll mit schönen Erinnerungen ist ... und trotzdem ist da ein tiefer Schmerz in mir, der mich nicht zur Ruhe kommen lässt. Jedes Mal wenn die Kinder in meiner Show lachen, wird dieser Schmerz ein Stückchen größer. Verstehst du?«
»Ich denke schon«, nickte Bruno. Er versuchte es zumindest. Auch wenn es ihm häufig schwerfiel, Paganini zu verstehen. Immerhin war der Zauberer ein alter weiser Mann und Bruno nur ein Spielzeug aus Plüsch und Watte.
»Ich hatte nie eine eigene Familie«, sagte Paganini. Seine Stimme war auf einmal sehr belegt. Eine Träne rollte über seine Backe.
»Wir sind doch deine Familie!«, protestierte Bruno. »Solange wir zusammenbleiben, ist keiner von uns allein!«
»Du hast ja recht. Ohne euch würde mein Leben nur halb so viel Spaß machen - und ohne eure Hilfe wäre meine Zaubershow nur ein Kaspertheater. Aber tagsüber, wenn ihr leblos in der Kiste liegt und ich niemanden habe, mit dem ich reden oder lachen kann, fehlen mir eine Frau und Kinder. So was könnt ihr mir leider nicht ersetzen.«
Bruno konnte sich nur sehr beschränkt vorstellen, wie Paganini zumute war. Als Teddybär sehnte er sich logischerweise nicht nach einer eigenen Familie, sondern gab sich damit zufrieden, wenn er herumtollen und spielen durfte. Deshalb waren ihm die quälenden Gedanken und Sorgen der Menschen vollkommen fremd. Was vielleicht auch besser so ist, wie Bruno nach reiflicher Überlegung fand. Er wusste nicht viel über die Welt im Allgemeinen und die Menschen im Besonderen, aber er hatte längst begriffen, dass das echte Leben nicht immer so lustig wie das von einem Spielzeug war.
»Und was hast du jetzt vor, Meister?«
Paganini presste seine Lippen aufeinander und versuchte mit aller Macht, sich neue Tränen zu verkneifen. »Ich werde die Zauberei beenden und mir eine neue Lebensaufgabe suchen müssen. Es liegt nicht in unserer Natur, ewig allein zu bleiben. Selbst die Sterne leben in Familien zusammen.« Er zeigte mit dem Finger auf einen bestimmten Punkt am Himmel. »Siehst du den Sternenhaufen dort?«
Brunos Blick folgte dem ausgestreckten Finger. »Ja«, sagte er. Einige der Sterne schienen Linien und Zeichen miteinander zu bilden, je länger er sie betrachtete.
»Diesen Sternenhaufen nennt man den Großen Bären«, erklärte Paganini.
»Wow«, sagte Bruno fasziniert. »Ein Bär im Weltall! Dem würde ich gerne mal ›Guten Tag‹ sagen.«
»Vielleicht wirst du das irgendwann sogar«, scherzte Paganini.
»Gibt es dort oben etwa auch ein Einhorn?«, meldete sich Vicky, das rosafarbene Stoffpony, zu Wort.
»Und eine Ente?«, fragte Gina.
Paganini lachte so sehr, dass Bruno auf seinem Schoß auf- und abhüpfte. »Nein. Es gibt dort oben nur einen Großen Bären, einen Skorpion, einen Widder und ein paar andere Tiere. Aber leider kein Sternzeichen, das nach einem Spielzeug benannt wurde.«
»Och«, machte Peppo, der Schachtelclown. Er gähnte bis über beide Ohren. »Das klingt mächtig langweilig. Kommt Freunde, gehen wir schlafen!« Er katapultierte sich mit seiner Sprungfeder in die Wunderkiste. Die anderen Spielsachen schlossen sich ihm bereitwillig an. Auch Bruno krabbelte von Paganini herunter und tapste mit federleichten Schritten davon. Er freute sich jedes Mal, wenn er mit seinen Freunden noch eine Weile in der Kiste herumalbern durfte, bevor die Sonne aufging und sie ihre Lebenskraft verloren.
Als er die Kiste erreichte, hielt Bruno inne und drehte sich zu dem Zauberer um.
Paganini war längst wieder dazu übergegangen, die Löcher in seinem Mantel zu stopfen. Über seine Wange rollten jetzt so viele silberne Tränen, dass der Teddybär sie gar nicht mehr zählen konnte. Und bei jedem Atemzug stöhnte der Zauberer leise vor sich hin, als würde ihn die Einsamkeit mit einem Schmerz piksen, der noch viel spitzer als die Nadel in seinen Fingern war. Allmählich verstand Bruno, was der Zauberer damit meinte, er wäre einsam: Paganini würde niemals in eine Kiste zu seinen Freunden steigen können, die ihn wärmten und beschützten, wenn er einen Albtraum hatte. Und er würde auch nicht ewig jung und gesund wie ein Spielzeug bleiben, sondern krank werden und sterben, ohne dass er die Dinge ausgekostet hatte, die das Leben so einzigartig machten.
Bruno überlegte, ob er zurückgehen und ihm noch mal die Tatze auf die Hand legen sollte. Aber er spürte, dass Trost und Mitleid nicht mehr ausreichen würden, um die Trauer des Zauberers zu mildern. Wie es Paganini schon sagte: Er musste sich eine neue Lebensaufgabe suchen.
Brunos Watte raschelte, als ein Gedanke durch seinen Kopf raste. Wir müssen ihm dabei helfen wieder glücklich zu werden, beschloss er - und setzte das sofort in die Tat um, indem er zu seinen Freunden in die Kiste kletterte und ihnen dort von seinem Plan erzählte. Er musste sie nicht lange überreden. Die meisten Spielsachen stimmten ihm sofort zu, dass sie ihren Meister dringend aufheitern sollten. Nur die Marionette Sam war dagegen und verzog sich in eine Ecke. Aber das war bei ihm nichts Neues. Sam war sehr griesgrämig und wollte mit den anderen nichts zu tun haben. Wer in seine kalten Augen blickte, der wartete unweigerlich darauf, dass er irgendwas Böses ausheckte. Und meistens übertraf er die schlimmsten Befürchtungen sogar noch bei Weitem. Deshalb ließen ihn die Spielsachen in Ruhe.
»Wie sollen wir unserem Meister denn nun helfen?«, fragte Vicky.
Bruno kramte eine Kerze aus seiner Bauchtasche, zündete sie an und bildete mit seinen Freunden einen verschwörerischen Kreis um die tänzelnde Flamme. »Kennt ihr Madame Amelie?«, flüsterte er.
»Die Wahrsagerin?«, platzte es aus Peppo hervor.
»Pst!«, verlangte Bruno. »Genau die meine ich. Sie reist uns seit Wochen hinterher und schlägt ihr Zelt immer genau neben unserem auf.«
»Was ist mit ihr?«, erkundigte sich Vicky.
»Habt ihr nie bemerkt, wie sich Amelie und Paganini ständig anschmachten, wenn sie sich begegnen?« Bruno wartete keine Antwort ab, sondern fuhr im selben Atemzug fort: »Beide sind ineinander verliebt, aber beide sind leider auch so schüchtern, dass keiner den ersten Schritt wagen möchte.«
»Ich verstehe«, sagte Kasimir, der Nussknacker. Er war immer sehr skeptisch und vorsichtig. Vor allem bei Brunos Ideen. Weil die Pläne des Teddybären meistens genauso in einer Katastrophe endeten wie Paganinis Zaubertricks. »Du willst die beiden miteinander verkuppeln.«
»Wie romantisch!«, schwärmte Clara, die Elfe. Sie schoss mit ihren Flügeln quer durch die Kiste, fiel Bruno um den Hals und drückte ihm einen Kuss auf die Nase.
»Hör auf damit!«, sagte Bruno. Er rieb sich beschämt übers Gesicht. Was für ein Glück, dass es trotz der Kerze so düster in der Wunderkiste war und niemand sehen konnte, wie rot seine Backen anliefen.
Doch so leicht wurde er Clara nicht los. Sie flog zwischen seinen Armen hindurch, drückte ihm einen zweiten, sehr viel zärtlicheren Kuss auf die Wange und setzte sich danach auf den Rand von Peppos Schachtel. Die anderen Spielsachen kicherten belustigt.
»Genug jetzt!«, forderte Bruno. Er klang strenger als er beabsichtigt hatte. »Wir müssen uns überlegen, wie wir Paganini und Madame Amelie zusammenbringen.«
»Ich weiß nicht«, flüsterte Pitch, der Golfball. Er war das Nesthäkchen in der Gruppe und wurde nur selten von den anderen ernst genommen. So wie jetzt. Deshalb musste Pitch auch mehrmals auf- und abspringen, um sich Gehör zu verschaffen. »Madame Amelie ist irgendwie gruselig. Sie trägt nur schwarze Klamotten und ihr Zelt ist voller Totenschädel! Brrr!« Er schüttelte sich am ganzen Leib.
»Die Totenschädel sind doch nur aus Plastik«, sagte Peppo.
»Sie sind trotzdem gruselig«, beharrte der Golfball.
»Du fürchtest dich ja selbst vor deinem eigenen Schatten!«, lästerte Vicky.
»Gar nicht wahr!«, behauptete Pitch und rollte beleidigt davon. Irgendwann, das nahm er sich fest vor, würde er den anderen seinen Mut beweisen. Wenn sie ihm nur mal die Chance dazu geben würden!
»Außerdem sind die Totenschädel in Amelies Zelt lange nicht so unheimlich wie der Kürbiskopf von unserer Marionette«, machte Peppo neckisch weiter. »Habe ich recht, Sam?«
Aus der hintersten Ecke der Kiste ertönte ein Scharren, als würde jemand Messerklingen aneinanderreiben. Dann funkelten zwei hasserfüllte Augen zu Peppo herüber. »Wenn du meinst«, knurrte die Marionette mit einer Stimme, dunkel wie die Nacht. »Aber ich finde, dass Pitch recht hat: Madame Amelie ist schon etwas seltsam. Wer weiß? Vielleicht ist sie sogar verrückt - genau wie ihr!«
»Warum sollten wir verrückt sein?«, erkundigte sich Kasimir.
»Weil Ihr Spielsachen seid und keine Liebesboten! Eure Idee kann ja nur schiefgehen. Und am Ende ist unser Meister noch trauriger als zuvor.«
»Danke für diesen sinnlosen Beitrag«, sagte Bruno sarkastisch.
»Gern geschehen«, gab Sam im selben Tonfall zurück und verkrümelte sich noch tiefer in die Ecke, wo er seine finsteren Gedanken schmiedete. Niemand wusste, was in seinem Kürbiskopf vor sich ging, doch keiner wagte es, ihn dabei zu stören. Denn Sam hätte mit seinen Krallen jedem Spielzeug die Nähte aufreißen können ...
»Also!« Bruno klatschte in die Tatzen. »Kennt jemand von euch ein passendes Rezept für die Liebe?«
Clara fühlte sich natürlich sogleich angesprochen. Sie schwang ihren Zauberstab (der klein wie ein Streichholz war, aber leider keine magischen Kräfte besaß), und verkündete: »Ich habe eine brillante Idee!«
»Dann lass mal hören!«, forderte Peppo sie auf.
»Also«, sagte die Elfe, »wir machen Folgendes ...«
In dieser Nacht kamen die Spielsachen erst zur Ruhe, nachdem das Mondlicht verblasst war und die Sonne ihre Fühler in das Zelt hereinstreckte. Aber selbst als sie ihre Lebenskraft verloren hatten und nur wie normale Gegenstände herumlagen, waren ihre Gesichter mit einem Lachen erfüllt. Paganini wunderte sich zwar ein wenig darüber, als er einen Blick in die Kiste warf, doch er konnte nicht wissen, was seine kleinen Freunde im Schilde führten.
Bereits am nächsten Abend schritten die Spielsachen zur Tat.
Während sich Paganini bei seiner Show mal wieder selbst zur Lachnummer kürte und mit dem Kerzentrick die halbe Bühne abgefackelte, flog Clara wie eine wild gewordene Hummel durch das Zelt. Sie drehte einen Looping, sauste im Tiefflug über das Publikum hinweg ... und donnerte absichtlich gegen die Kristallkugel auf dem Tisch. Die schwere Kugel fiel mit lautem Getöse herunter, hüpfte über die Bühne und kegelte die Zuschauer reihenweise von den Stühlen. Von dort rollte sie immer schneller davon, aus dem Zelt, geradewegs zu Madame Amelie.
Paganini rannte ihr fluchend hinterher. Ohne groß darüber nachzudenken, wohin er eigentlich ging, platzte er in das Zelt der hübschen Wahrsagerin. Die las gerade einem Mann aus der Handfläche und hätte allen Grund gehabt, Paganini zu beschimpfen. Doch dann sah sie seine zerbeulte Mütze (die noch immer rauchte), die gutmütigen Augen sowie sein zaghaftes Lächeln, und - schwupps! - plötzlich geschah ein Wunder. Ganz ohne Beschwörungsformeln oder billigen Tricks. Und natürlich ohne in einer Katastrophe zu enden!
Die beiden lernten sich endlich richtig kennen und vergaßen schlagartig die Welt um sich herum.
So kam es, dass der Zauberer Paganini und die Wahrsagerin Amelie zusammen durchs Land zogen und auf der Bühne standen. Da Amelie noch viel schusseliger war als Paganini, wurde die Show natürlich nicht gerade besser, aber wenigstens fühlte sich keiner von beiden mehr allein. Irgendwann hängten sie das Zauberhandwerk an den Nagel (was so manche Pflasterfabrik in den Ruin trieb), kauften sich ein Häuschen und gründeten eine Familie. Die Jahre vergingen wie im Flug, bis ...
... tja, bis Amelie und Paganini eines Tages verglühten.
Genau so, wie es der Zauberer dem Teddybären gesagt hatte.
Von diesem Moment an wurde es sehr still um die Spielsachen.
Man vergaß sie einfach in der Hektik des Alltags. Ihre Wunderkiste landete auf dem Dachboden des Hauses und versank zwischen all dem anderen Gerümpel. Und damit verblassten auch die Erinnerungen an die glorreichen Zeiten auf den Rummelplätzen. Bald wusste niemand mehr, wer Paganini war und was er Großartiges getan hatte. Außer seine kleinen Freunde. Ihnen fehlte der alte Zauberer so sehr, dass sie in jeder Nacht aus der Kiste stiegen und ihre Kunststücke übten, als würde Paganini irgendwann wieder zurückkommen. Aber das passierte natürlich niemals. Und wenn die Sehnsucht besonders groß wurde, saßen die Spielsachen stundenlang am Fenster und träumten in die Sterne hinauf, um sich an die Geschichten zu erinnern, die ihnen Paganini über das Weltall erzählt hatte.
In einer solchen Nacht wurden die Spielsachen zu Planetenjägern ...
Langsam erhob sich der Mond hinter dem Horizont. Sein blauweißes Licht ergoss sich wie eine Flutwelle von den Bergen herab und rauschte in die dunklen Straßen der Stadt. Es plätscherte lautlos über die vereisten Autos, brach sich an den Häusern und ließ den Schnee in hunderten Farben schillern. Dieser Januar war ungewöhnlich kalt. Und furchtbar trist. Die Weihnachtsbeleuchtungen waren seit gut einer Woche aus den Gärten verschwunden, und wo noch vor kurzem Tannenwedel und bunte Nikoläuse die Fenster geziert hatten, wuchsen jetzt die Eisblumen über die Glasscheiben. Manchmal rüttelte der Wind an den kahlen Ästen der Bäume oder peitschte den Pulverschnee in dichten Schleiern über die Dächer. Ansonsten wirkte die Stadt jedoch so erstarrt, als würde sie einen Winterschlaf halten.
Nach wenigen Augenblicken erreichte das Mondlicht ein kleines Haus an der Stadtgrenze. Dort kletterte es geschmeidig an der Wand hinauf und sickerte durch ein Fenster in den Dachboden. Im Nu hatte es die staubige Dunkelheit unter die Möbelstücke verdrängt und den Raum mit einem gespenstischen Schimmer erfüllt. Eine Spinne, die gerade an einem der Dachbalken ihr Netz knüpfte, machte eine Pause und beobachtete das Licht dabei, wie es immer schneller über den Boden kroch und schließlich auf eine Kiste traf, die genau unter ihr stand.
Plötzlich geschah etwas Seltsames.
Kaum hatte das Mondlicht die Kiste berührt, begannen die goldenen Zeichen an ihrer Außenseite zu leuchten. Die Kreise und Quadrate, Dreiecke und Rauten wurden heller und heller und schienen regelrecht zu brennen, während in der Kiste ein leises, unheilvolles Poltern ertönte.
Die Spinne wandte sich fluchtartig ab und verkroch sich hinter den Balken.
Gleichzeitig zuckten winzige Funken aus den Zeichen hervor. Sie wuchsen wie Efeuranken über die gesamte Kiste und hüllten sie in einen Mantel aus purer Energie, der knisterte und pulsierte und sich immer enger um die Kiste zusammenballte, um ihre magischen Kräfte zu entfesseln. Für einen Moment sah es so aus, als würden die morschen Holzwände einfach verglühen. Doch die Funken und goldenen Zeichen erloschen beinahe im selben Augenblick wieder.
Auf dem Dachboden wurde es wieder friedlich still. Nur die alte Standuhr in der Ecke tickte emsig vor sich hin, als wäre nicht das Geringste passiert. Tick-Tack. Tick-Tack. Die Zeiger auf dem Ziffernblatt sprangen eine Raste weiter. Es war jetzt kurz nach sechs Uhr abends.
Die Spinne lugte hinter dem Balken hervor. Ihre Vorderbeine zuckten, aber sie traute sich nicht, an ihrem Netz weiterzuarbeiten, sondern blieb in ihrem Versteck. Sicher war sicher.
Und sie sollte recht behalten, denn auf einmal quietschten die rostigen Scharniere der Kiste. Ganz vorsichtig hob sich ihr Deckel einen Spaltbreit an. Schwarze Knopfaugen spähten aus dem Inneren hervor und sahen sich aufmerksam nach allen Seiten um. »Die Luft ist rein«, sagte eine freundliche Bärenstimme (was prompt mit einem Gelächter beantwortet wurde). Danach klappte der Kistendeckel ganz auf und Bruno, der Teddybär, schwang sich ins Freie. Als er mit einem leisen Rumms auf dem Holzboden landete, wirbelte der Staub in dicken Flocken unter seinen Füßen davon. Bruno gähnte herzhaft und streckte sich so ausgiebig, bis seine Nähte spannten.
»Kommt, meine Freunde! Die Nacht gehört uns!«, verkündete er.
»Jippie!«, schrien die Spielsachen und drängelten aus der Kiste.
Peppo, der Schachtelclown, war der Erste. Leider war seine Sprungfeder nicht mehr so elastisch wie früher, als er noch meterhohe Saltos auf der Bühne schlagen konnte, und deshalb blieb er mit seiner karierten Schachtel an der Kiste hängen und kippte nach vorne. Er ruderte mit den Armen, um den Sturz noch irgendwie zu verhindern, doch es war zu spät. Bäuchlings schlug er auf die Bretter.
Pitch, der Golfball, ging da schon etwas geschickter zu Werke - aber auch sehr viel rabiater: Er hüpfte im hohen Bogen aus der Kiste und landete ausgerechnet auf Peppos Kopf.
»He!«, schimpfte der Clown.
»T’schuldigung«, murmelte Pitch und suchte das Weite.
Ihm folgten Walkie und Talkie. Wie der Name schon andeutete, waren die beiden Brüder Funkgeräte für Kinder. Walkie lungerte meistens die ganze Nacht faul vor dem Fernseher herum. Talkie war dagegen ein richtiges Nervenbündel. Seine Schaltkreise heckten einen Streich nach dem anderen aus - zum Leidwesen seiner Freunde -, und es gab wohl keinen Gegenstand im Haus, den er nicht schon zerkratzt, verbogen oder kaputtgemacht hatte.
Peppo wollte sich gerade aufrichten, da sprangen die beiden ebenfalls auf seine Schachtel und drückten ihn unsanft nieder.
»Upps!«, sagte Talkie, ohne sich weiter um den Clown zu kümmern. Und sein Bruder Walkie gähnte ein lahmes »Verzeihung!« aus dem Lautsprecher, bevor er von Peppo herunterrutschte.
»Passt doch auf!«, schrie der Clown so zornig, dass die beiden Funkgeräte ihre Antennen einzogen.
Clara, die Elfe, versuchte ihn nach oben zu wuchten, aber sie schaffte es mit ihren winzigen Flügeln nicht. Erst als Bruno hinzueilte, kam Peppo wieder zum Stehen. »Danke«, seufzte er und wischte sich mit der Handfläche den Schmutz von der roten Nase. »Jetzt weiß ich, wie sich eine Treppenstufe fühlt ...«
Vicky und Kasimir verließen als Nächstes die Kiste. Da der Nussknacker viel zu alt und gebrechlich war (und auch ein bisschen faul), nahm ihn das Einhorn auf den Rücken und galoppierte mit ihm über die Holzwand. Gerade noch rechtzeitig, denn hinter ihnen bäumte sich ein wahres Ungetüm auf: Levin. Er war die erstaunlichste Figur der ganzen Truppe. Sein Körper bestand aus blauen und grünen, roten und gelben Bauklötzen, die sich fast einen Meter auftürmten. Das war RIESIG für ein Spielzeug! Levin konnte leider nicht sprechen, sondern nur mit seinem Mund klackern. Schnell, wenn er sich freute. Laut, wenn er wütend war. Und wenn er scharf nachdachte, knirschte er manchmal mit seinen Zähnen. Aber dafür besaß Levin eine Fähigkeit, um die ihn die anderen stets beneideten: Er war ein Formwandler und konnte seine Bauklötze nach Belieben drehen und wenden, sodass er sich praktisch in alles verwandeln konnte, worauf er Lust hatte.
Mit einem Schritt stieg er aus der Kiste und trampelte davon.
»Und was ist mit mir?«, quakte Gina, die Ente. Sie war viel zu klein und ihre Räder zu schwer, als dass sie sich aus eigener Kraft aus der Kiste hätte befreien können.
»Warte! Das haben wir gleich!« Bruno stellte sich auf die Zehenspitzen, beugte sich über die Holzwand und hob die Ente nach draußen.
Nun waren alle komplett und der Spaß konnte beginnen.
Das hieß, bis auf einen ...
»Stopp! Da fehlt doch jemand«, bemerkte Bruno. Er drehte sich einmal im Kreis und sah die Spielsachen nacheinander an. »Wo ist Sam?«
»Wo wird er schon sein?« Vicky deutete herablassend auf die Kiste. »Der Kürbiskopf will mal wieder nichts mit uns zu tun haben.«
Bruno seufzte und wandte sich abermals zu der Kiste um. »Na los, Sam! Wir warten auf dich!«
»Lasst mich bloß in Ruhe!« Sam packte den Deckel und schmetterte ihn zu.
Doch so einfach ließ sich Bruno nicht abschütteln. Er öffnete wieder die Kiste und spähte ins Innere. Sam kauerte in der hintersten Ecke - wo auch sonst? - und hielt das Steuerkreuz in den Händen, an denen seine Fäden befestigt waren. »Was willst du?«, schnauzte er den Teddybären an.
»Warum bist du heute wieder so mürrisch?«
»Mürrisch? Ich bin nicht mürrisch. Ich sehe nur keinen Sinn darin, jede Nacht Purzelbäume und Zaubertricks zu üben. Unser Meister ist gestorben, wann begreift ihr das endlich? Er wird nie wieder mit uns verreisen. Wir können also genauso gut in der Kiste bleiben und faulenzen.«
Bruno ließ ein wenig seine Schultern hängen, angesichts dieser deutlichen Worte. Keiner von ihnen dachte gerne an die Zeit zurück, als Amelie und Paganini von ihnen gegangen waren, und sie hatten sich alle geschworen, nie darüber zu reden. Aber da Sam dieses Tabu jetzt brach, wurden die Spielsachen wieder so betroffen wie damals, als es in diesem Haus totenstill geworden war. »Vielleicht sieht uns der Meister aus den Sternen zu, wenn wir die alten Zeiten aufleben lassen?«, gab Bruno zu bedenken.
Sam rollte die Augen. »Du und deine Sterne! Seit dir der Meister von dem Großen Bären erzählt hat, träumst du von nichts anderem mehr!«
»Was ist so falsch daran, Träume zu haben?«, verteidigte sich Bruno.
Sam schnaubte verächtlich. »Der Meister hätte dir auch erzählen sollen, dass Träume wie Seifenblasen sind: Irgendwann zerplatzen sie einfach. Der Meister ist das beste Beispiel dafür. Er ist sein ganzes Leben hinter irgendwelchen Träumen hergerannt und war dabei nur unglücklich. Also lass mich gefälligst mit deinen Sternen zufrieden!« Er sprang urplötzlich vor und riss die Krallen nach oben. Bruno keuchte erschrocken und befürchtete, dass ihn Sam auseinanderreißen wollte. Doch so weit ließ es die Marionette nicht kommen. Jedenfalls noch nicht. Stattdessen hämmerte Sam den Kistendeckel erneut so kräftig zu, dass Bruno gerade noch seine Schnauze zurückziehen konnte, bevor er sie eingeklemmt hätte.
Womms!
Aber selbst davon ließ sich der Teddybär nicht unterkriegen. Er war nicht nur sehr gutmütig, sondern auch sehr hartnäckig - so wie sich das eben für einen echten Bären gehörte -, und deshalb wagte er sofort einen zweiten Versuch, die störrische Marionette aus der Kiste zu locken. »Wenn du nicht freiwillig herauskommst, werde ich dich dazu zwingen müssen«, sagte er drohend.
Zuerst hatte es den Anschein, als würde ihn Sam ignorieren. Doch dann behauptete er: »Wie willst du das anstellen? Mich kann niemand zu etwas zwingen!«
Die Herausforderung nahm Bruno gerne an. Er drehte sich zu seinen Freunden um, die in einem großen Sicherheitsabstand hinter ihm warteten. »Levin, wärst du bitte so freundlich und würdest unseren Kürbiskopf aus der Kiste holen?«
Levin, der Bauklotz-Mann, klackerte mit den Zähnen. Tock-Tock-Tock. Das sollte wahrscheinlich so viel heißen wie: mit dem größten Vergnügen! Er fegte den Kistendeckel auf, packte die Marionette an den Füßen und zerrte sie ins Freie.
»Lass mich sofort los!«, schrie Sam außer sich vor Wut. Er strampelte mit den Beinen und klammerte sich so fest an den Kistenrand, dass seine Krallen tiefe Furchen in das Holz ritzten. Doch Sam hatte gegen Levin nicht die geringste Chance. Mit einem belustigten Klackern stellte ihn der Bauklotz-Mann zwischen die Spielsachen auf den Boden. Sam verschränkte beleidigt die Unterarme vor der Brust und sorgte mit einem finsteren Blick dafür, dass den anderen das Lachen im Halse stecken blieb.
»Na siehst du!«, sagte Bruno feixend. »War doch gar nicht so schlimm.«
»Noch ein Wort und ich vergesse mich!«, warnte ihn Sam.
»Jetzt reg dich ab«, griff Vicky ein. »Wir haben einen ganzen Abend voller Spaß und Abenteuer vor uns.«
»Spaß?« Sam musterte den Dachboden. »Hier?«
Vicky ließ ihren Blick ebenfalls durch den Raum gleiten, aber sie sah ihr trostloses Zuhause mit ganz anderen Augen, denn sie zuckte nur unbekümmert die Schultern. »Warum nicht? Wir können spielen, uns aus den Möbeln eine Burg bauen oder neue Zaubertricks einstudieren.«
Sam machte ein Gesicht, als hätte ihm Vicky vorgeschlagen, dass sie aufräumen, putzen oder die Staubkörner zählen sollten, die es hier oben wie Sand am Meer gab. »Nein, danke. Ohne mich.« Er wollte sich gerade zur Kiste abwenden, da landete Levins Hand auf seiner Schulter und hielt ihn fest. Sam schlug sie jedoch grob von sich herunter. »Ihr könnt allein im Dreck herumtollen wie die Schweine!«, wetterte er. »Aber ich bin der Kürbiskönig - und darum ziehe ich es vor, in der Kiste zu bleiben. Da drin ist es wenigstens sauber. Und nun lass mich vorbei!« Sam rempelte den Bauklotz-Mann zur Seite und stapfte los.
Jetzt musste Bruno seinen letzten Trumpf ziehen, um die Marionette aufzuhalten: »Wenn du keine Lust auf Spielen und Zaubern hast, können wir auch eine Schneeballschlacht machen«, schlug er vor.
Boing! Sam hielt wie versteinert inne. Ganz langsam drehte er den Kopf über die Schulter und sah den Teddybären lauernd an. »Eine Schneeballschlacht?«, hakte er nach. »So richtig mit Abschießen und Einseifen?«
Bruno nickte. »Genau so eine meine ich. Deshalb heißt es ja Schneeballschlacht.«
Sams Blick graste über die Gesichter der anderen und flog danach zum Fenster. Schneeflocken prasselten gegen die Scheibe. Der Wind nagte an den Dachschindeln und die klirrende Kälte drückte durch alle Ritzen herein. Dieses Wetter war ganz nach Sams Geschmack - und wie geschaffen für seine Gemeinheiten. Es flackerte in seinen Augen. »Also gut. Unter einer Bedingung.«
»Welche?«
»Es gibt keine Regeln.«
»Keine Regeln«, bestätigte Bruno (was er schon sehr bald bereuen sollte).
Ein hinterlistiges Lächeln spaltete Sams Mund. Seine nadelspitzen Zähne blitzten im Mondlicht. »Worauf wartet ihr dann noch? Auf in die Schlacht!« Er stürmte los. Das Steuerkreuz polterte hinter ihm über den Boden und Sam hätte sich beinahe in seinen eigenen Fäden verheddert. Doch er war so in Fahrt, dass ihn wahrscheinlich nicht mal ein Stahlseil hätte bremsen können. Er sprang auf einen Stuhl, von dort auf einen krummen Tisch und öffnete das Fenster. Der Wind schmetterte ihm eine eisige Gischt um die Ohren. Sam wankte unter der Naturgewalt, aber selbst das konnte seinen Eifer nicht mehr abkühlen. Entschlossen kletterte er aufs Dach und stakste davon.
Das alles geschah in nur wenigen Sekunden.
Die anderen Spielsachen glotzten ihm verblüfft hinterher.
»Wow.« Kasimir blinzelte verdutzt. »Was hat ihn denn gestochen?«
»So habe ich Sam noch nie erlebt«, pflichtete ihm Clara bei.
»Ja, das ist unheimlich«, fröstelte es Pitch.
»Unheimlich hin oder her ... wir dürfen ihn da draußen nicht lange warten lassen«, fand Bruno.
»Wieso? Hast du Angst, dass er Frostbeulen bekommt?«, spottete Peppo.
Levin klackerte. Das würde ich gerne mal sehen!
»Nein«, antwortete der Teddybär. »Wir sollten Sam nicht verärgern. Sonst igelt er sich für den Rest des Jahres in der Kiste ein und kommt erst wieder an Halloween heraus, um uns zu erschrecken - so wie jedes Jahr.«
Nicht dass irgendjemand Sam so lange vermisst hätte (mal ganz zu schweigen von seiner mürrischen Laune). Aber allein die Vorstellung, dass die Marionette wütend werden könnte, entfachte in jedem von ihnen ein beklommenes Gefühl.
Schnell krochen, flogen und rollten die Spielsachen nach draußen. Auf dem Dach lag eine tiefe, unberührte Schneedecke, in der Pitch und Gina fast vollständig versanken. Walkie und Talkie erkannte man auch nur noch anhand ihrer Antennen, die wie Fahnenmasten aus der weißen Pracht ragten, und Clara musste mit ihren winzigen Flügeln gegen die Windböen ankämpfen, die sie hierhin und dorthin schleuderten. Eigentlich war es blanker Irrsinn, unter diesen Bedingungen aufs Dach zu klettern. Doch das Schneegitter an der Regenrinne war hoch genug, um die Spielsachen notfalls abzufangen. Und außerdem leuchtete der Mond so hell, dass der Schnee blendend weiß strahlte.
»Passt bloß auf! Manche Stellen sind tückisch glatt!«, sagte Kasimir - und rutschte prompt aus. Seine Holzbeine schlenkerten senkrecht in die Luft, als er nach hinten in den Schnee kippte und kopfüber darin stecken blieb.
»Danke für die Warnung«, lachte Vicky, während sie ihn aus seinem eisigen Bad fischte.
Bruno und die anderen krochen unterdessen zum Dachfirst hinauf. Sams Fußabdrücke zeichneten eine verräterische Spur in den Schnee, doch die Marionette selbst war verschwunden. Ratlos blieben Bruno und Peppo auf dem Gipfel des Daches stehen und sahen sich weiträumig um. Von hier oben bot sich ihnen ein fantastischer Ausblick über die gesamte Stadt. Die vielen beleuchteten Fenster, die Autoscheinwerfer und Straßenlaternen verliehen der Dunkelheit eine warme Note. Und die Sterne wirkten so nahe, dass Bruno glaubte, er müsste nur die Hände ausstrecken und könnte sie wie Kirschen vom Himmel pflücken.
»Sam?«, rief Peppo. »Wo steckst du?«
»Hier!«, hallte eine Stimme durch die Nacht.
Die Spielsachen drehten sich in alle Richtungen. »Wo denn?«, fragte Peppo.
»Na, hier!« Sam trat hinter dem Schornstein hervor. In seinen Pranken hielt er zwei Schneebälle, die mindestens so groß wie sein Kopf waren (und fast doppelt so schwer). Er holte zum Wurf aus und ...
»Halt!«, schrie Bruno. »Die Bälle sind viel zu ...«
Pflopp! Einer der Schneebälle landete mitten im Gesicht des Teddybären und schnitt ihm das Wort ab. Wenige Sekunden später traf ihn auch schon der zweite Schneeball - Pflopp! - und hüllte ihn vollständig in eine weiße Schale. Nur die beiden Knopfaugen waren jetzt noch zu erkennen. Eine Mohrrübe dazu und Bruno wäre der perfekte Schneemann gewesen!
»Keine Regeln«, schrie Sam, während er sich bückte und mit den Pranken die nächsten Schneebälle von den Dachschindeln kratzte. »Das waren deine Worte, Bruno.«
Dem konnte der Teddybär nicht widersprechen. Zumal sein Mund von dem Schnee ohnehin vereist war.
Pflopp! Sam zielte mit dem dritten Schneeball auf Vicky, die zusammen mit Kasimir soeben den Dachfirst erreichte. Doch das Einhorn war sehr viel wendiger als Bruno und duckte sich unter dem Geschoss hinweg. Der Leidtragende war mal wieder Kasimir ... Er wurde von den Füßen gefegt und schlitterte mehr als anderthalb Meter in die Tiefe. Sam kümmerte sich nicht weiter um die beiden. Er hatte bereits ein anderes Opfer im Auge. Pflopp! Sein vierter Schneeball streifte Peppo zwar nur am Kopf, aber die Wucht reichte dennoch aus, um den Schachtelclown so wild auf seiner Sprungfeder wippen zu lassen, dass ihm schlecht wurde.
Bruno schüttelte sich endlich aus seiner weißen Verpackung. »Das bedeutet Krieg!«, verkündete er und formte nun ebenfalls einen Schneeball mit den Tatzen. »Angriff!«
Das ließen sich die Spielsachen nicht zweimal sagen.
Sie verteilten sich auf dem Dach und bombardierten Sam mit großen und kleinen Schneebällen. Vor allem Levin nahm ihn schwer unter Beschuss. Mit seinen vier Armen mutierte der Bauklotz-Mann zu einer regelrechten Schneekanone. Während er mit der einen Hand den Schnee aufhob und mit der anderen zu einer Kugel formte, benutzte er seine dritte und vierte Hand zum Werfen. Clara war jedoch auch nicht ganz ohne. Sie schnappte sich ihren Schneeball, flog hoch in die Luft und ließ ihn direkt auf Sam herunterfallen. Und Gina erst! Die Ente konnte mit ihren Flügeln natürlich keine Bälle werfen (genauso wenig wie sie damit fliegen konnte), aber sie wusste sich auf andere Weise zu verteidigen: Sie ließ ihre Holzräder so schnell über das Dach rollen, dass der Schnee in das Gesicht der Marionette spritzte.
Sam gluckste vor Freude. Er sprang hinter den Schornstein und erwiderte das Feuer. Pflopp! Pflopp! Pflopp! Dicke und kleine, runde und eiförmige Schneebälle schwirrten hierhin und dorthin, zerplatzten am Kamin oder an den Dachgaupen und verschonten keines der Spielzeuge.
»Schnell! Wir müssen ihn umzingeln!«, schrie Bruno. Er wedelte hektisch mit den Tatzen.
Levin und Peppo begannen damit, den Schornstein in einem großen Bogen von rechts zu umrunden. Vicky und Kasimir übernahmen die linke Flanke. Bruno und die anderen hielten die Stellung an der Front und gaben ihnen Feuerschutz.
»Kommt nur!«, rief Sam hysterisch. Er empfing Vicky mit einem sauberen Treffer ins Gesicht und drängte Peppo mit einem ähnlichen Schuss wieder ein wenig zurück. »Ihr könnt mich nicht besiegen!«
»Das werden wir ja sehen!« Gina löste sich aus der Gruppe und raste geradewegs auf Sam zu. Kurz bevor sie ihn erreichte, schwang sie sich um neunzig Grad zur Seite. Ihre Räder blockierten und pflügten sich durch den Schnee, der sich dadurch immer höher zu einer Welle auftürmte und die Marionette unter sich begrub. Sam hob die Arme schützend vor seinen Kopf und taumelte nach hinten. Doch er tat Gina und den anderen nicht den Gefallen, sich zu ergeben. Stattdessen schaufelte Sam zwei neue Schneebälle vom Dach. Als er Gina damit anvisierte, loderte sein Blick. Seine Zähne waren gefletscht.
Bruno kannte diesen Ausdruck. Er hatte ihn oft genug bei Sam erlebt - und gleichzeitig zu fürchten gelernt.
Auch Gina dämmerte, dass diese Schneeballschlacht kein harmloser Spaß mehr war, sondern bitterer Ernst. Sie schwang sich erneut herum und versuchte davonzufahren, doch ihre Räder drehten sich auf dem eisglatten Boden nur nutzlos durch, ohne von der Stelle zu kommen.
Sam lächelte finster.
Er lächelte wie ein Raubtier, das sich gleich auf seine Beute stürzte.
»Sam, warte!« Bruno hetzte auf ihn zu und wedelte mit den Tatzen, um das Unvermeidbare noch irgendwie zu verhindern. Aber kurz bevor er sich zwischen Gina und Sam werfen konnte, rutschte er aus und landete auf den Knien.
»Ich habe gewonnen«, verkündete Sam. Dann warf er die beiden Schneebälle mit ganzer Kraft auf Gina. Pflopp! Pflopp!
Allein der erste Treffer reichte aus, um die gelbe Ente vom Dachfirst zu stoßen. Doch der zweite Treffer machte das Unglück perfekt: Der Schneeball verlieh Gina so viel Schwung, dass sie wie auf Skiern über das Dach nach unten sauste. Sie versuchte abzubremsen, indem sie mit ihren Rädern gegenlenkte und den Schnabel in den Schnee bohrte, aber damit kam sie erst recht ins Trudeln. Hilflos streckte sie einen Flügel nach Peppo aus, der sie auffangen wollte. Sie verfehlten sich um Haaresbreite.
Nun gab es nur noch das Schneegitter, das Gina vor dem Abgrund retten konnte.
Sie wäre vermutlich einfach daran hängen geblieben.
Aber vor dem Gitter hatte sich eine Eiskuppe gebildet, die wie eine Sprungschanze wirkte. Gina wurde von ihr so weit in die Höhe katapultiert, dass sie über das Gitter hinwegschoss! Die Ente quakte. Panisch warf sie sich herum und flatterte mit den Flügeln, um sich irgendwie in der Luft zu halten - um irgendwie zurück aufs Dach zu kommen! -, und für einen winzigen Augenblick schien sie tatsächlich schwerelos über dem Abgrund zu hängen. Aber dann streckte die Schwerkraft ihre unsichtbaren Klauen nach der Ente aus und zerrte sie in die Tiefe.
Ein letztes Mal sah Gina ihre Freunde an.
Bitte helft mir!, flehten ihre angsterfüllten Augen, bevor sie von dem Abgrund verschluckt wurde.
Für eine zähe Sekunde herrschte entsetztes Schweigen auf dem Dach. Die Spielsachen konnten nicht glauben, was soeben geschehen war - was Sam getan hatte! -, und fühlten sich wie in einem Traum, der urplötzlich zum Albtraum geworden war. Vicky löste sich irgendwann als Erste aus der Schockstarre und rutschte auf dem Hosenboden das Dach hinunter. »Gina!« Die anderen schlossen sich ihr ohne zu zögern an. Abgesehen von Sam natürlich, der sich seelenruhig gegen den Schornstein lehnte und schadenfroh grinste.
»Passt bloß auf, dass ihr nicht auch vom Dach herunterfallt!«, ermahnte Peppo seine Freunde.
Voller Sorge schlitterten die Spielsachen bis zur Dachkante und beugten sich zaghaft über das Schneegitter. Ihre Blicke trudelten in die Tiefe. Das Haus war nicht sonderlich hoch, aber aus der Perspektive eines Spielzeugs betrachtet, schien der Boden einen halben Kilometer unter ihren Füßen zu liegen. Der Garten war so riesig, dass er ihre Blicke völlig überforderte, und die Schneeflocken in der Luft erschwerten ihnen zusätzlich die Sicht. Überall gab es dunkle Schatten. Und jeder Einzelne davon hatte irgendwie Ähnlichkeiten mit einer Ente. Rastlos klapperten die Spielsachen die Umgebung ab; sahen zu den Apfelbäumen, untersuchten den Gartenteich und spähten bis zur Hecke am Ende des Grundstücks hinüber, obwohl Gina niemals so weit hätte fliegen können. Aber bei diesem Wind konnten die Spielsachen nicht einmal das zweifelsfrei ausschließen.
»Sieht sie jemand von euch?«, fragte Kasimir.
»Nein«, sagte Vicky betrübt.
»Wartet, vielleicht kann ich mehr erkennen.« Clara schoss wie ein geölter Pfeil in die Luft und kreiste über den Garten. Weit kam sie nicht.
Levin klackerte aufgeregt mit dem Mund und zeigte auf eine Stelle neben der Hauswand. Seht mal!
Von einer bösen Vorahnung begleitet, folgten die Blicke der Spielsachen seinem Finger. Ihre Befürchtung reifte schnell zur Gewissheit heran. Unter ihnen, zwischen der Regentonne und einem Holzstapel, lag Gina. Jedenfalls ein paar Teile von ihr ... Die Spielsachen erkannten eines der Holzräder. Die Achse. Und etwas, das wie ein Flügel aussah. Der Rest ihrer Freundin befand sich jedoch in dem tiefen Loch, das Gina beim Aufschlag in die Schneedecke gerissen hatte.
»Um Himmels willen!« Clara stürzte zur Unglücksstelle hinab und landete neben dem Loch. »Gina? Alles in Ordnung mit dir?«
Sie bekam keine Antwort.
Das Loch schwieg sie an wie ein Grab.
Aber irgendwas musste Clara zumindest darin gesehen haben, denn sie kniete sich an den Rand und streckte ihre Hände nach unten. Sie bekam sogleich etwas zu fassen, das sie unter Aufbietung all ihrer Kräfte aus dem Loch wuchtete. Es war natürlich Gina. Die Ente sah ziemlich ramponiert aus (sofern die Spielsachen das im Mondlicht beurteilen konnten). Doch die gute Nachricht war, dass Gina mit ihrem zweiten Flügel wackelte und ein paar Schmerzlaute von sich gab. Sie lebte! Die Spielsachen auf dem Dach seufzten erleichtert. Währenddessen zog Clara die Ente vollends aus dem Loch, bettete sie in den weichen Schnee und begutachtete ihre Schäden. Dann drehte sie sich zu den anderen um und wedelte hektisch mit der Hand. Kommt herunter, bedeutete die Geste. Das schaffe ich nicht allein.
Jetzt war schnelles Handeln gefragt.
Und damit kannte sich Bruno bestens aus. »Walkie und Talkie, ihr holt den Erste-Hilfe-Koffer!«, befahl er den Funkgeräten.
»Etwa Mullbinden und ein Pflaster?«, fragte Talkie.
»Natürlich nicht. Ich denke da eher an Klebeband, einen Schraubendreher und die Heißklebepistole.«
»Wird gemacht!«, sagte Walkie. Er stieß seinen Bruder mit der Antenne an und huschte mit ihm durch das offene Fenster zurück in den Dachboden.
Bruno wandte sich an Sam, der noch immer am Schornstein lehnte und keine Anstalten machte, auch nur den kleinen Finger zu rühren. »Sag mal, bist du irregeworden? Warum hast du Gina vom Dach heruntergestoßen?«, schrie er und ballte kampflustig die Tatzen.
Sam zeigte sich weder von seinem Geschrei noch von der Drohgebärde beeindruckt. Warum auch? Er war einen ganzen Kopf größer als der Teddybär und um ein Vielfaches stärker. »So ist das nun mal bei einer Schneeballschlacht«, rechtfertigte er sich. »Ich wollte eben gewinnen.«
»Du hättest Gina beinahe umgebracht!«
»Jetzt mach mal halblang, Puschel. Sie ist ein Spielzeug. Sie kann gar nicht sterben«, antwortete Sam gelassen. »Und im Übrigen hast du gesagt, dass es keine Regeln bei dieser Schneeballschlacht gibt. Also worüber beschwerst du dich eigentlich?«
Die Watte in Brunos Bauch blähte sich vor Zorn auf. »Dass es keine Regeln gibt bedeutet nicht, dass du deinen Verstand ausschalten sollst!«
Jetzt regte sich auch ein wütender Funke in Sams Gesicht. »Werd bloß nicht frech, Puschel«, warnte er ihn. »Du vergisst wohl, dass ich der Kürbiskönig bin!«
Das war zu viel. Bruno wollte sich auf ihn stürzen und ihm eine ordentliche Abreibung verpassen, doch Peppo hielt ihn an der Schulter zurück. »Lass es!«, verlangte er. »Wir haben Wichtigeres zu tun.« Der Schachtelclown nickte bezeichnend zu Walkie und Talkie, die soeben den Werkzeugkoffer daherschleppten. Dieser war bis oben hin beladen mit Schraubendrehern und Ersatzteilen, einer Rolle Panzerklebeband sowie mit der lebenswichtigen (und batteriebetriebenen) Heißklebepistole, die schon so manches Spielzeug vor der Müllhalde bewahrt hatte.
Bruno nickte einsichtig. Er konnte sich Sam später noch vorknöpfen. Jetzt mussten sie erst mal Gina verarzten ... oder besser ausgedrückt: zusammenkleben.
»Folgt mir!« Er ging mit den Spielsachen an dem Schneegitter entlang bis zu dem Regenrohr, das senkrecht nach unten in den Garten führte. Ein gefährlicher Weg - aber es war nun mal der schnellste, um Gina zu erreichen. Auf Brunos Anweisung hin schlangen die Spielsachen ihre Arme um das Rohr und rutschten in den Garten hinab. Da Levin mit seinen vier Händen gleichzeitig klettern und etwas halten konnte, überreichten ihm Walkie und Talkie den Werkzeugkasten, bevor auch sie ihre Antennen um das Rohr bogen und nach unten glitten.
»Und was ist mit mir? Kann mich jemand tragen?«, quengelte Pitch, der Golfball.
»Sorry, Krümel. Du bleibst hier.« Bruno zog ihn von dem Regenrohr weg und setzte ihn in den Schnee. »Das ist viel zu gefährlich für dich.«
»Aber ich will auch helfen!«
»Das weiß ich. Trotzdem musst du hierbleiben.«