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Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft - Steuern - Recht GmbH

[4]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar.

Print: ISBN 978-3-7910-5116-1 Bestell-Nr. 10600-0001
ePub: ISBN 978-3-7910-5117-8 Bestell-Nr. 10600-0100
ePDF: ISBN 978-3-7910-5118-5 Bestell-Nr. 10600-0150

Daniela Landgraf

Aufstellungsarbeit im Coaching

1. Auflage, April 2021

© 2021 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

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Bildnachweis (Cover): © Jan-Rasmus Lippels // www.frische-fotografie.de

Produktmanagement: Dr. Frank Baumgärtner

Lektorat: Alexander Kurz, Stuttgart

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Ein Unternehmen der Haufe Group

[5]Vorwort

Hallo und herzlich willkommen!

Ich freue mich riesig, dass Sie mein Buch in den Händen halten und sich mit dem Thema Aufstellungsarbeit beschäftigen bzw. beschäftigen wollen.

Ich lernte diese – für mich wundervolle – Art der Arbeit vor mehr als zwölf Jahren kennen. Das war im Jahre 2008 im Rahmen meiner Coaching-Ausbildung. Mein damaliger Ausbilder bot an, dass wir jeweils abends – nach dem offiziellen Programm der Coaching-Ausbildung – mal das Thema Familienaufstellung kennenlernen dürften. Ich war neugierig und natürlich sofort dabei. Es war faszinierend und die Ergebnisse waren phänomenal.

Bei der Arbeit, die uns dort vorgestellt wurde, handelte es sich um eine der klassischen Arten der Familienaufstellung – genauer gesagt um Aufstellungen angelehnt an die Lehre von Bert Hellinger. Die Person, die ihr Thema aufstellte, wählte jeweils aus der Gruppe bestimmte Personen aus, um diese dann stellvertretend für zum Beispiel Familienmitglieder, Mitglieder einer Gruppe (zum Beispiel aus dem Arbeitsumfeld) oder auch für ein Krankheitssymptom aufzustellen.

Ich selbst bin mit einer Gen-Besonderheit geboren, dem sogenannten Tourette-Syndrom. Ich habe es dort erstmalig aufstellen lassen und es war ausgesprochen faszinierend, wie es sich bzw. auch meine Einstellung dazu seinerzeit nach dieser Arbeit verändert hat.

Nein, geheilt ist es nicht und es ist nach wie vor ein ständiger Begleiter in meinem Leben. Doch es ist recht ruhig geworden, die zwanghaften Zuckungen und Bewegungen sind für andere kaum noch bemerkbar. Die damalige Aufstellung war der einschneidende Beginn einer langen Veränderungsarbeit – Veränderung meiner inneren Einstellung und dadurch auch die Veränderung des Syndroms. Mit der Veränderung meiner inneren Einstellung änderte sich auch im Außen jede Menge.

Genau darum geht es in der Aufstellungsarbeit: Manche Dinge können nicht direkt verändert oder geheilt werden, doch durch die Veränderung des Blickwinkels und der eigenen Einstellung können durchaus Wunder geschehen. Ich durfte einige dieser »Wunderheilungen« kennenlernen – korrekterweise sollte ich hier von »Wunder-Veränderungen« sprechen.

[6]Und das führt mich direkt zu einem wichtigen Hinweis: Bitte versprechen Sie einem Kunden niemals Heilung, denn Heilversprechen dürfen von Coaches niemals getätigt werden.

2010 machte ich mich auf den Weg, um das Thema Aufstellungsarbeit vertiefend zu lernen. Ich absolvierte Kurse bei unterschiedlichen Ausbildern und so kam ich dann 2011 über die Paracelsus-Schule auch zu Anja Parchmann.

Anja Parchmann ist die Begründerin der sogenannten Individualsynthese®. Die Therapieform ist eine Weiterentwicklung der klassischen Aufstellungsarbeit. Ein Modul dieser Arbeit ist die Aufstellung mit Gestalttieren. Mich faszinierte die Art und Weise dieser Aufstellungsarbeit sehr und so wurde sie mehr und mehr fester Bestandteil meiner Coaching-Arbeit. Da ich viele Jahre hauptsächlich mit Einzelpersonen gearbeitet habe und somit keine Gruppe von Teilnehmern für die »klassische Familienaufstellung« zur Verfügung stand, entwickelte ich die Arbeit für mich selbst immer weiter. Die kleinen Plastiktiere sind seitdem regelmäßige Begleiter in meinen Coaching-Prozessen.

Außerdem passen sie hervorragend in mein Gesamtkonzept hinein, denn ich arbeite nicht nur mit kleinen Plastiktieren, sondern auch mit großen lebendigen Tieren – mit Pferden. Neben den klassischen Trainings und Coachings biete ich auch pferdegestützte Führungskräfte- und Teamtrainings sowie Persönlichkeitsentwicklung an. Häufig lasse ich auch hier – vor allem in der Einzelarbeit – im Vorfeld bestimmte Situationen mit den Symboltieren aufstellen, bevor ich mit meinen Klienten an die Arbeit mit den Pferden gehe.

Im Jahre 2011 fing ich an, die Aufstellungsarbeit mit den Symboltieren mit einer ganz anderen Coaching-Methode – mit Lifo® – zu kombinieren. Lifo® ist eine sogenannte Typologie. Mithilfe von Fragebögen werden dabei bestimmte Verhaltensstrukturen von Menschen aufgezeigt. Sie sind eine große Hilfe im Coaching-Bereich, um beispielsweise Konflikte (mit anderen oder im eigenen Inneren) zu analysieren, zu klären und zu verändern. Bekannter als Lifo® sind hier DISG®, Insight® oder die Biostrukturanalyse. Für die Kombination der Lifo®-Fragebögen mit den Symboltieren erhielt ich im Jahre 2012 den ersten Platz im »Lifo®-At-its-best-Award«.

All meine Erfahrungen und Erkenntnisse der letzten zehn Jahre finden Sie in diesem Buch zusammengefasst. Und nun wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen und gute Erkenntnisse für Ihre Coaching-Arbeit.

Ihre Daniela Landgraf

Hamburg, im Oktober 2020

[13]Teil A: Allgemeiner Teil zum Thema Aufstellungsarbeit

[15]1 Was ist überhaupt Aufstellungsarbeit?

Die Aufstellungsarbeit oder kurz »Aufstellung« gehört in den Bereich des systemischen Coachings. Beim systemischen Coaching wird – wie der Name schon sagt – ein ganzes System aufgestellt. Das System kann eine Familienkonstellation sein, es kann eine Organisation wie zum Beispiel eine Firma sein oder auch etwas Abstraktes, wie die Themen Gesundheit, Finanzen, Privatleben etc. Dabei werden die Mitglieder (oder »abstrakte Themen«, wie zum Beispiel eine Krankheit, die Armut, das Glück etc.) eines Systems mit Symbolen aufgestellt und in Beziehung zueinander gebracht. Dadurch können Beziehungs-Konstellationen, Muster, Zusammenhänge, Glaubenssätze, Überzeugungen, Annahmen und vieles mehr visualisiert und deutlich gemacht werden.

Die systemische Arbeit lebt von der Grundannahme, dass alles innerhalb eines Systems miteinander in Verbindung steht. Eine Veränderung gibt es nur, wenn sich etwas im System bewegt. Oft wollen Menschen, dass sich »die andere Person« verändert oder die äußere Situation. Sie sind in ihren Verhaltens- und Gedankenmustern gefangen und sehen ihren eigenen Anteil an der Gesamtsituation nicht. Es herrscht dann die Meinung, dass sich erst dann etwas verbessert oder verändert, wenn die jeweils andere Person sich verändert. Dann wird auch gerne mal die Frage gestellt: »Was kann ich tun, damit sich die Person verändert? Die muss doch sehen, dass es so nicht geht!« Doch niemand kann einen anderen Menschen verändern, wenn dieser es nicht von sich aus möchte.

Vergleichbar ist das Ganze mit einem Mobile. Sie kennen doch sicher diese Windspiele? Da hängen viele Elemente an unterschiedlichen Fäden. Wenn sich keines dieser Elemente bewegt, passiert auch sonst nichts. Wenn jedoch nur ein Element anfängt sich zu bewegen, dann bewegen sich auch plötzlich alle anderen Teile im Mobile – oder eben im System. Manchmal passiert so etwas von außen, zum Beispiel durch Wind. Doch in der Aufstellungsarbeit geht es darum, dass Ihr Klient sich bewegen soll – zum Beispiel durch die Veränderung von Gedanken und Gefühlen.

Doch zurück zum Wind, der von außen kommt: In der Aufstellungsarbeit ist dieser Wind vergleichbar mit Veränderungen, die neu in das System hineinkommen, zum Beispiel durch Familienzuwachs, durch einen neuen Mitarbeiter oder durch Krisen. In solchen Fällen ordnet sich das System zunächst einmal neu – manchmal im Positiven, manchmal aber auch im Negativen.

Wenn ein Wind von außen jedoch ausbleibt, dann muss sich etwas im System selbst bewegen, damit es als Ganzes in Bewegung kommt. Im systemischen Coaching ist das dann die Person mit dem Veränderungswunsch, die sich verändern sollte oder möchte.

[16]Was bedeutet das in der Praxis?

Hierfür ein einfaches Beispiel:

Beispiel:

Eine Klientin kommt mit einem privaten Thema zu Ihnen. Sie möchte zum Beispiel, dass ihr Mann häufiger zu Hause ist.

Ihre Erwartungshaltung könnte die Folgende sein: Sagen Sie mir, was ich tun kann, damit mein Mann häufiger zu Hause ist. Wie kann ich meinen Mann dazu bringen? Er soll sich ändern!

Diese Beispiele sind beliebig austauschbar: Manchmal soll das Kind besser in der Schule werden, ein anderes Mal ist der Wunsch vorhanden, dass der Chef die eigene Arbeit mehr anerkennt und wertschätzt.

Häufig machen Coaching-Kunden das Umfeld, die äußeren Umstände oder andere Menschen verantwortlich für ihr Leiden und ihre Probleme. Die eigene Verantwortung und die Möglichkeit, durch das eigene Handeln Dinge zu verändern, kommt Klienten am Anfang oft gar nicht in den Sinn. Wenn sich Klienten wünschen, das Verhalten von bestimmten Personen solle sich doch bitte ändern, dann ist eine der ersten Lektionen, zu verstehen, dass genau das nicht geht. Niemand kann einen anderen Menschen verändern, ohne dass dieser selbst einen Veränderungswunsch hat. Jeder kann nur sich selbst verändern – erst durch die Veränderung der eigenen Einstellung oder des eigenen Verhaltens, verändert sich die Wahrnehmung der Dinge und im besten Fall auch das Verhalten anderer Menschen uns gegenüber.

Genau hier kommt die Aufstellungsarbeit ins Spiel mit dem Ziel, Verhaltensmuster auf beiden Seiten zu erkennen. Durch das Verändern von Verhaltensmustern und Ansichten der Klientin wird sich in der Folge mit großer Wahrscheinlichkeit auch das Verhalten des Mannes verändern. Wie das genau funktionieren kann? Darüber erfahren Sie mehr im Laufe des Buches.

Abschließend ist zu sagen, dass die Aufstellungsarbeit ein Sammelbegriff für verschiedene Methoden ist. In diesem Buch geht es ausschließlich um die Arbeit mit Symboltieren.

[17]2 Woher kommt die Aufstellungsarbeit?

Die Aufstellungsarbeit soll ihren Ursprung bei den sogenannten indigenen Völkern haben. Indigene Völker ist eine Sammelbezeichnung für Ureinwohner aller Kontinente. Diesen Urvölkern war die Wichtigkeit von Ahnen und Beziehungen zu den Ahnen von jeher bekannt. Bei ihnen herrscht ein intuitives Wissen darüber, dass unsere Vorfahren einen starken Einfluss auf unser aktuelles Leben haben.

In unserer Kultur hielt die Aufstellungsarbeit in den 1930er Jahren Einzug durch Jacob Levy Moreno (1889–1974), dem Begründer des sogenannten Psychodramas. In den 1960er Jahren wurde die Aufstellungsarbeit weiter professionalisiert. Eine bekannte Vertreterin hierzu ist Virginia Satir (1916–1988). Sie wird oft als Mutter der Familientherapie bezeichnet. Sie entwickelte die sogenannte Familienskulptur. Mithilfe der Familienskulptur werden festgefahrene Kommunikationsmuster und unsichtbare Verbindungen aufgezeigt. Dadurch können Konflikte und krankmachende Bindungen erkannt und aufgelöst werden. Zu echter Bekanntheit kam die Aufstellungsarbeit in den 1980er Jahren durch Bert Hellinger (1925–2019). Seine Art der Aufstellungsarbeit ist jedoch sehr umstritten, da sie vielen als zu dogmatisch gilt.

[18]3 Grundsätzliches zum Thema Aufstellungen

In diesem Buch geht es ausschließlich um die Arbeit mit Symboltieren. In der klassischen Aufstellungsarbeit wird häufig mit anderen Personen als sogenannte Stellvertreter gearbeitet. Am bekanntesten sind hierbei wohl die Familienaufstellung, bei der Beziehungen von einzelnen Mitgliedern einer Familie visualisiert werden, und die Organisationsaufstellung, bei der es um Strukturen und Beziehungen innerhalb einer Organisation geht (zum Beispiel innerhalb einer Firma oder einer Abteilung).

Die Person, deren System aufgestellt werden soll (zum Beispiel bei einer Familienaufstellung), sucht sich zunächst Stellvertreter für sich selbst und für andere Personen innerhalb ihrer Familie und stellt diese intuitiv im Raum auf. Die jeweiligen Stellvertreter repräsentieren nun das aufzustellende System. Dabei geht es jedoch nicht um Schauspielerei, sondern um die intuitiven Wahrnehmungen und Gefühle. Es ist eine sehr wirkungsvolle Methode, allerdings benötigen Sie hierfür immer eine Gruppe von mehreren Personen.

Im Einzelcoaching ist es einfacher, Aufstellungen mit Symbolen durchzuführen. Dafür eignet sich im Grunde genommen alles, was ein Kinderzimmer oder die Natur hergibt. Sie können mit Spielzeugfiguren, Püppchen, Legosteinen, Bauklötzchen, Papierkärtchen, aber auch mit Steinen und anderen Gegenständen aus der Natur (Äste, Blätter, Gras etc.) eine Aufstellung durchführen.

Meiner Meinung nach ist jedoch der Einsatz von Symboltieren ganz besonders spannend. Sie sind vielseitig vom Aussehen und vom Charakter her (groß, klein, wild, zahm etc.) und haben sehr unterschiedliche Lebensräume (auf dem Land, im Wasser, in der Luft). Warum genau das in der Coaching-Arbeit so interessant ist, das erfahren Sie im Laufe dieses Buches.

Bitte erlauben Sie mir an dieser Stelle noch einen kleinen Warnhinweis: Zu Beginn dieses Kapitels haben Sie erfahren, dass die klassische Aufstellungsarbeit häufig mit anderen Menschen als Stellvertreter durchgeführt wird. Bitte führen Sie keine Aufstellungsarbeit mit »echten Menschen« als Stellvertreter durch, solange Sie in diesem Bereich nicht professionell ausgebildet worden sind. Das gehört ausschließlich in die Hände von Personen, die eine entsprechende Ausbildung und auch die notwendigen Erfahrungswerte haben. Die obige Kurzbeschreibung der Aufstellungsarbeit ist rein informativ.

[19]4 Vorgehensweise bei Aufstellungen

Eine Aufstellung mit Symbolen kann bei vielen Themen sinnvoll und hilfreich sein. Wenn Menschen zu Ihnen ins Coaching kommen, dann meistens deswegen, weil sie ein bestimmtes Thema bearbeiten wollen. Sie kommen vielleicht an der einen oder anderen Stelle allein nicht weiter, haben einen Konflikt mit anderen Personen oder mit sich selbst oder sind belastet durch sonstige private oder berufliche Themen.

Jeder Mensch sieht die Welt aber aus seinem eigenen Blickwinkel. Wenn zwei Menschen das Gleiche erleben, heißt es noch lange nicht, dass sie auch das Gleiche wahrnehmen und fühlen.

Wie meine ich das?

Stellen Sie sich zwei Freundinnen vor. Die eine von beiden liebt laute Musik, viele Menschen und Trubel. Die andere ist naturverbunden und möchte am liebsten den ganzen Tag in der Natur verbringen. Viele Menschen und Trubel sind ihr ein Gräuel.

Beide gehen jetzt zusammen zu einem Waldfest am See. Hier braucht man nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was die eine und was die andere am Ende des Abends zu diesem Abend sagen wird.

Wie wir die Welt empfinden und was wir wahrnehmen, hängt von unserer Grundeinstellung, unseren Werten, unseren Überzeugungen, unseren Emotionen und unseren Erlebnissen ab. Aus dem Neurolinguistischen Programmieren, kurz NLP, wird dazu häufig folgender Satz zitiert: »Die Landkarte ist nicht das Gebiet.«

Doch was bedeutet dieser Satz?

Jeder Mensch hat eine innere Landkarte. Auf dieser Landkarte sind Annahmen und Ansichten gespeichert, zum Beispiel wie die Welt (aus Sicht dieser Person) ist, wie sie zu sein hat, was gut, was schlecht ist, was man zu tun oder zu lassen hat, wie man sich benimmt und so weiter.

Die eigene Landkarte wird häufig als »Gesetz« gesehen. So ist die Welt eben! Jeder hat seine eigenen Begründungen für diese »Realität«. Und es werden immer wieder Beweise für diese angenommene Realität gefunden, denn alles andere wird »ausgeblendet«. Es handelt sich um das Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Das, was die eigene Realität stärkt und unterstützt, wird wahrgenommen, alles andere wird schlichtweg übersehen.

[20]Doch andere Menschen sehen die gleiche Situation, die gleiche Begebenheit oder das gleiche Umfeld eventuell ganz anders. Und auch diese Menschen bekommen immer wieder die Bestätigung dafür, dass das, was sie sehen und wahrnehmen die »echte Realität« ist.

Mal angenommen, zwei Menschen mit unterschiedlichen Wahrnehmungen und Interpretationen einer Situation begegnen sich. Sie haben unterschiedliche innere Landkarten. Beide befinden sich jedoch auf dem gleichen Gebiet. Das Gebiet kann beispielsweise der Arbeitsplatz sein, eine Familiensituation, eine zwischenmenschliche Situation oder Ähnliches.

Beide Personen haben also unterschiedliche Betrachtungsweisen zu diesem Gebiet – und dadurch entstehen häufig Missverständnisse, Vorwürfe oder Probleme.

Sehr gut lässt sich dies auch am Beispiel der Religion veranschaulichen. Gläubige Menschen sind fest davon überzeugt, dass ihre Religion die richtige ist. Andere Religionen werden als falsch angesehen. Doch niemand, wirklich niemand von uns kennt die ganze, die vermeintlich »echte« Wahrheit. Eine wirkliche Objektivität gibt es nicht, da immer der Faktor Mensch mit seinen Wahrnehmungsfiltern, also den Emotionen, Einstellungen, Überzeugungen, Stimmungen, Glaubenssätzen und der selektiven Wahrnehmung, eine Rolle spielt. Wie ein »Gebiet« also wirklich aussieht, weiß niemand! Wir nehmen die Welt ausschließlich durch unsere Sinneskanäle und durch unsere Wahrnehmungsfilter wahr.

Warum ist es wichtig, sich damit zu beschäftigen?

Durch unterschiedliche Realitäten und Wahrnehmungen entstehen häufig Konflikte. Es werden Erwartungshaltungen an Menschen gestellt, die diese vielleicht gar nicht erfüllen können. Manchmal wissen andere Personen noch nicht einmal etwas von bestimmten Erwartungshaltungen anderer Personen an sie selbst.

Wie oft wird über Realitäten gestritten (»Du hast schon wieder …!« – »Nein, habe ich nicht!«)? – bis hin, dass ganze Kriege durch unterschiedliche Wahrnehmungen entstehen. Kriege im Kleinen (innerhalb von Familien oder Organisationen) und Kriege im Großen (zum Beispiel über den richtigen Glauben).

Doch was hat das Ganze jetzt mit der Aufstellungsarbeit zu tun?

Eines der Hauptziele in der Aufstellungsarbeit ist es, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Durch die Aufstellung der Beteiligten wechselt Ihr Kunde, Klient, Coachee (wie auch immer Sie ihn nennen möchten, ich werde diese Begriffe im Folgenden abwech[21]selnd verwenden) die Ebene. Wir sprechen hier von der sogenannten Meta-Ebene. Die Meta-Ebene kann auch als Vogelperspektive bezeichnet werden.

Ihr Kunde schaut bei der Aufstellung von außen auf das System. Er kann das gesamte System aus der Distanz betrachten, ohne emotional direkt mit eingebunden zu sein. Natürlich geht es um sein Thema, doch aus der Meta-Perspektive heraus ist vieles einfacher zu erkennen und es kann ein Perspektivwechsel erfolgen.

Aufgestellt werden kann grundsätzlich alles:

Die Vorgehensweise in Kürze:

  1. Thema besprechen. Worum geht es?
  2. Auswahl eines Symboltieres für den Coachee
  3. Auswahl der Symboltiere für die anderen Beteiligten, die Situation etc.
  4. Anschauen der aufgestellten Tiere und Gesamtbild wahrnehmen
  5. Dann als erstes den Coachee erzählen lassen, was er wahrnimmt
  6. Unterstützende Fragen durch den Coach zur Reflexion dessen, was dort zu sehen ist
  7. Mögliche Veränderungsprozesse visuell darstellen
  8. Manchmal hilft schon die reine Erkenntnis, um Dinge zu verändern.
  9. Manchmal sind weitere Interventionen – also der Einsatz von weiteren Methoden – notwendig, um das Thema zu klären. Als Coach sollten Sie einen prall gefüllten Methoden-Koffer haben.

[22]5 Stockende Prozesse

Es wird ganz bestimmt irgendwann einen Kunden für Sie geben, bei dem der Prozess ins Stocken gerät. Situationen, in denen Sie denken: »Wie gehe ich denn damit jetzt um?« oder »Was fange ich denn damit an, wie soll ich weiter vorgehen?«. Vor allem, wenn Sie mit der Coaching-Tätigkeit beginnen, sind Unsicherheiten absolut normal. Nicht umsonst gibt es die alten Weisheiten: »Übung macht den Meister« und »Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen«.

Manchmal kommen Gedanken wie:

Glauben Sie mir, gerade bei Coaching-Anfängern ist das normal. Doch auch erfahrene Coaches kommen manchmal an den Punkt, an dem sie nicht mehr weiterwissen.

Doch wie geht es in solchen Momenten tatsächlich weiter?

Bitte machen Sie sich immer wieder deutlich: Ein Großteil der Arbeit im Coaching ist Beziehungsarbeit. Gelernte Techniken helfen und unterstützen, aber die Beziehung zwischen dem Coach und dem Coachee ist die eigentliche Arbeit. Als Coach sind Sie Sparringspartner, Spiegel, Provokateur, Aufdecker und Anheizer – je nach Kontext. Doch eines sind Sie nicht: ein Freund! Ihr Kunde darf sie zwischendurch so richtig (entschuldigen Sie die saloppe Sprache) »blöd« finden. Coaching ist für die meisten Klienten ein anstrengender Prozess, zumindest, wenn es um tiefgreifende Veränderungsprozesse geht. Wenn Sie als Coach ein Thema aufdecken, dann kann es durchaus sein, dass Ihr Klient erst einmal mit Ablehnung reagiert. Auch das ist halbwegs normal, denn wenn wir mit unseren eigenen Schatten (also unseren eigenen negativen und bisher nicht gesehenen Seiten) konfrontiert werden, dann tut das erst einmal weh. Wenn also ein Klient mit totaler Ablehnung reagiert, kann es sein, dass Sie genau den wunden Punkt getroffen haben.

Ich möchte Ihnen hier fünf Tipps mit an die Hand geben, wie Sie mit stockenden Prozessen umgehen können:

  1. Nehmen Sie die Reaktion nicht persönlich. Wenn Ihr Klient unwirsch reagiert, bohren Sie eher noch ein bisschen tiefer in dieser Wunde herum. Mit ein bisschen Übung werden Sie sich hier immer mehr zutrauen. Es gibt zwei mögliche Reaktionen Ihres Kunden: Entweder er geht auf die Provokation ein und ist weiterhin arbeitsbereit, [23]dann machen Sie weiter. Oder: Er stellt sich stur. Sie haben vielleicht das Gefühl »mit einer Wand« zu reden. Ihr Kunde ist in der absoluten Abwehr-Haltung. Dann nutzen Sie eine der vier folgenden Interventionen.
  2. Verbalisieren Sie, was Sie wahrnehmen. Sagen Sie dem Klienten ruhig, dass Sie das Gefühl haben, hier nicht weiterzukommen. Er merkt es ja ohnehin und ist vielleicht froh darüber, dass es angesprochen wird. Sie könnten anschließend auf eine der drei folgenden Interventionen hinweisen nach dem Motto: »Ich habe da eine Idee. Wir treten ja gerade irgendwie auf der Stelle. Lassen Sie uns mal etwas ausprobieren …«
  3. Machen Sie einen krassen Break. Lassen Sie sich etwas Ungewöhnliches, total anderes einfallen: Wie wäre es mit einem kurzen Spaziergang, einer Meditation, einer Atem-Übung? Sie könnten auch Musik anmachen und den Klienten bitten, mit seinen Bewegungen der Musik zu folgen (ob das sinnvoll ist, hängt von der Mentalität des Klienten ab). Machen Sie etwas Überraschendes, etwas, womit der Klient in dem Moment gar nicht rechnet! Hauptsache, es ist ein merkbarer und fühlbarer Break, der ihm dabei hilft, auf andere Gedanken zu kommen.
  4. Wenn dieser stockende Prozess bei der Aufstellungsarbeit selbst erfolgt, der Klient als solches aber nach wie vor arbeitswillig ist, dann könnten Sie bewusst von außen ein weiteres Symbol in die Aufstellung einbringen. Beispiel: Das mit den Tieren aufgestellte Bild ist irgendwie »starr«. Kein Tier soll oder will sich bewegen, der Klient ist ratlos, was er mit dieser Aufstellung anfangen soll. Dann haben Sie hier zwei Möglichkeiten: Fordern Sie den Klienten auf, irgendein Tier zu wählen und es dazu zu stellen. Er muss in diesem Moment überhaupt nicht wissen, wozu das gut ist und was es sein könnte. Doch dieses neue Tier verändert das Aufstellungsbild. Dann könnten Sie mit Ihrem Klienten darüber sprechen, was sich verändert hat, ob es positiv oder negativ ist und was dieses »Neue« sein könnte. Spannenderweise ergeben sich dadurch oft völlig neue Perspektiven – dieses »Neue« könnte ein neuer Job sein, ein Mediator, eine räumliche Veränderung, die Wahrheit, die Lüge oder was auch immer. Bei dieser Intervention geht es darum, den Klienten auf neue Gedanken zu bringen, die er bisher noch nicht hatte.
    Eine etwas weniger elegante, aber auch gangbare Möglichkeit ist, dass Sie selbst irgendein weiteres Symboltier in die Aufstellung hineinbringen. Meine Empfehlung ist jedoch, es den Klienten auswählen zu lassen.
  5. Wenn gar nichts mehr geht, brechen Sie die Sitzung ab. Sagen Sie dem Kunden: »Ich habe das Gefühl, wir kommen hier gerade nicht weiter! Lassen Sie uns beim nächsten Mal weitermachen. Die Zeit holen wir ein anderes Mal nach!« Manchmal ist ein Klient froh darüber, ein anderes Mal werden Sie sinngemäß etwa folgende Reaktion erleben: »Nein, nein, lassen Sie uns bitte jetzt weiter machen!« Im schlechtesten Fall kann es auch passieren, dass Sie nicht der richtige Coach für diesen Kunden sind. Dann ist das sprichwörtliche Ende mit Schrecken für beide Seiten sinnvoller als ein Schrecken ohne Ende.

[24]6 Must-Dos

Manche Punkte sollten zu Beginn eines Coachings so selbstverständlich sein, dass sie normalerweise nicht noch einmal erwähnt werden müssen. Doch manchmal sind Dinge einfach zu selbstverständlich und so naheliegend, dass sie dann doch leicht in Vergessenheit geraten können. Aus diesem Grunde liste ich sie hier vorsorglich einmal auf:

Der Vollständigkeit halber hier noch einige Regeln und »Must-dos« für das Coaching als solches:

Drei weitere Selbstverständlichkeiten möchte ich aufgrund der enormen Wichtigkeit hier noch erwähnen:

Wo es »Must-dos« gibt, gibt es natürlich auch »Don’ts« und »No-Gos«.