Eine Scheidung kann so romantisch sein!
Eigentlich sollte es eine entspannte Reise werden: Lottes Tochter heiratet auf Mallorca, und Lotte freut sich auf eine Auszeit am Strand. Doch plötzlich taucht ihr nerviger Ex-Mann Carl im Hotel auf, dabei lag er eben noch mit Bandscheibenvorfall flach. Und Carl hat seine neue, viel zu junge und schlanke Frau Isabell dabei. Neben ihr im Badeanzug am Strand zu liegen, kommt Lottes Vorstellung von der Hölle ziemlich nah. Doch irgendwann muss Lotte sich nicht nur ihrem Ex stellen, sondern auch noch einem anderen, zugegebenermaßen äußerst attraktiven Stolperstein …
Großartige Unterhaltung für alle, die manchmal reif für die Insel sind - von Bestsellerautorin Silke Neumayer!
Roman
Ullstein
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© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021
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ISBN: 978-3-8437-2476-0
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»In einer halben Stunde landen wir planmäßig auf dem Flughafen von Palma de Mallorca. Das Wetter ist wie vorhergesagt. 26 Grad. Leichte Wolken. Schwacher Wind aus Nordost. Wenn Sie mich fragen, ideales Urlaubswetter.
Wir wünschen Ihnen noch einen schönen und angenehmen Flug. Bitte bleiben Sie bis zur Landung angeschnallt. Wir überfliegen in den nächsten fünfzehn Minuten noch ein kleines Gebiet mit leichten Turbulenzen. Der Service an Bord wird davon nicht beeinträchtigt.«
Turbulenzen! Auch das noch. Lotte krallte sich mit der linken Hand an der Lehne fest. Rechts ergriff sie die Hand ihrer Schwester Lissy, die auf dem Fensterplatz neben ihr saß.
Lotte war eigentlich eine eher furchtlose Person, und Fliegen an und für sich machte ihr auch nicht wirklich etwas aus. Aber bei Turbulenzen hatte sie des Öfteren das Gefühl, sie würde jetzt ganz gerne einfach mal kurz aussteigen und sich die Beine auf festem Boden vertreten, bevor es rüttelnd und schüttelnd weiterging.
So eine kurze Zwischenlandung bei Turbulenzen für ein paar Snacks, die nicht Gefahr liefen, auf der Bluse zu landen, und für ein kurzes Alles-ist-gut-Gefühl wäre echter Service, für den Lotte auch gerne deutlich mehr bezahlen würde.
Sie hatte nicht richtig Angst, aber ihr Magen krampfte sich etwas zusammen, und ihr Kopf spielte das Was-wäre-wenn-Spiel. Was wäre, wenn das Flugzeug jetzt doch …? Was wäre, wenn es das jetzt mit ihrem Leben und der Liebe gewesen wäre …? Was wäre, wenn sie ihre Tochter nie mehr wiedersehen würde …? Und was würde aus all den Pflanzen in ihrer kleinen Gärtnerei werden, die sie zusammen mit Lissy von ihrem Vater geerbt hatte und die niemand so liebevoll pflegen konnte wie sie und ihre Schwester?
Lotte und Lissy waren quasi mit einem grünen Daumen geboren worden. Ihre kleine Gärtnerei war schon seit Jahren in Familienbesitz. Aber so wie es aussah, würde Lottes Tochter die Familientradition wohl nicht weiterführen.
Das Flugzeug rüttelte für ein paar Minuten etwas weniger, und Lotte hatte plötzlich genug von dem flauen Gefühl in ihrem Magen und ihrem Kopf und wurde stattdessen leicht gereizt.
Leicht gereizt zu sein war im Grunde genommen Lottes normale Gemütsverfassung.
Sie wachte meistens am Morgen etwas genervt auf, zur Mittagspause hatte sich das dann schon in ein leises grollendes »Grrrrrrrr« verwandelt, und gegen Abend war es manchmal am besten, Lotte nicht mehr deutlich zu widersprechen oder sie überhaupt nicht anzusprechen oder ihr gleich ganz aus dem Weg zu gehen.
Lotte fand ihren leicht gereizten Gemütszustand hier oben bei Turbulenzen in der Luft genauso wie am Boden zumeist mehr als berechtigt.
War ihr Leben nicht turbulent genug? Reichte das dem Schicksal nicht? Musste es sie auch noch hier in der Luft durcheinanderschütteln?
Seit ihrer Scheidung von Carl vor sieben Jahren fühlte Lotte sich eigentlich für den Rest ihres Lebens genug durchgeschüttelt. Nach 27 Jahren Ehe mit Mitte vierzig für eine deutlich jüngere Frau so mir nichts, dir nichts verlassen zu werden ist etwas, das wohl keine Frau einfach mal eben so wegsteckt.
Und dabei hatte Lotte sich ihrer Tochter zuliebe immer bemüht, das alles möglichst entspannt zu überstehen und mit Carl, ihrem Ex und Vater von Emma, nicht in einen totalen Rosenkrieg zu geraten. Oder sie hatte es zumindest versucht, das mit dem Waffenstillstand und das mit der entspannten Sichtweise von Affäre, Betrug und Scheidung.
Das gelang Lotte natürlich nicht so wirklich, aber niemand, der Lotte näher kannte, wollte ihr diese Illusion nehmen.
Die Maschine begann als Antwort auf Lottes leichte Gereiztheit wie ein Kuhschwanz beim Melken zu wackeln. Lotte hielt den Becher mit Wasser, der vor ihr auf dem Tablett stand, fest.
Lissy drückte ihr die Hand.
»Tief durchatmen, Liebes. Entspann dich. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Möchtest du noch ein paar Tropfen?«
Lissy hielt Lotte ein Fläschchen mit CBD-Öl unter die Nase.
Von diesem Öl hatte sie Lotte schon vor dem Start ein paar Tropfen auf die Zunge geträufelt. Als Prophylaxe sozusagen. Lissy kannte ihre Schwester eben ziemlich gut.
Lissy war fünf Jahre jünger als Lotte und in vielen Dingen so ziemlich das Gegenteil von ihr. Auf jeden Fall war Lissy meistens sehr entspannt. Schließlich beschäftigte sie sich ja auch ausgiebig mit allen möglichen oft leicht esoterisch angehauchten Trends. Wenn Lotte mal wieder besonders gereizter Stimmung war, dachte sie, dass Lissy sich mit Unsinn beschäftigte. Lissy hatte wohl einfach zu viel Zeit für unnötige Dinge.
»Hier, nimm einfach noch welche. Du machst mich ganz nervös, so nervös, wie du bist … Mund auf.«
Das CBD-Öl, Cannabisöl oder auch Hanföl, war Lissys neueste Wunderwaffe, um Lotte von 180 auf 128 zu bekommen. Laut Hersteller sollte das Öl auf keinen Fall high machen, aber trotzdem eine entkrampfende, entzündungshemmende und angstlösende Wirkung haben. Davon hatte Lotte zwar nichts gemerkt, aber Lissy zuliebe tat sie oft so, als würde das, was Lissy gerade an ihr ausprobierte, seine volle Wirkung in Sekundenschnelle entfalten.
So entspannt, wie Lissy manchmal war, hatte Lotte im Übrigen das Gefühl, dass sie vielleicht doch das richtige Zeug zu sich nahm und nicht nur das von psychoaktiven Substanzen befreite Öl.
Lotte schüttelte den Kopf und biss die Zähne zusammen.
»Ich brauche keine Tröpfchen, ich brauche jetzt was Gescheites.« Lotte war so durchgeschüttelt, sie hatte keine Kraft, so zu tun, als wäre sie relaxed.
Lotte wandte sich an den Steward, der gerade Saft durch den Gang schubste.
»Könnte ich bitte einen Gin Tonic haben?«
»Aber gerne. Macht zwölf Euro 95, und wir akzeptieren kein Bargeld.«
Auch das noch. Und auch noch völlig überteuert.
Lotte fummelte nach ihrem Geldbeutel. Sie war alt genug, um sich noch daran zu erinnern, dass es früher mal Getränke – auch Alkohol – kostenlos im Flugzeug gegeben hatte. Warum konnten die Airlines nicht einfach jedes Ticket zehn Euro teurer machen und dafür die Getränke frei? Man kam sich ja vor wie in einem Supermarkt in drei Kilometer Höhe. Kein Wunder, dass die Menschen immer gereizter wurden.
Lotte fummelte weiter nach dem Geldbeutel, der in ihrer Handtasche eingeklemmt war, die wiederum unter dem Vordersitz eingeklemmt war, und stieß sich dabei den Kopf an der Rückenlehne vor ihr an.
Grrrrrrrrrr.
Lotte hatte endlich Geldbeutel und Kreditkarte gefunden, bezahlt und schüttete den Gin in den Becher mit Tonic.
Lissy blickte auf die Uhr in ihrem Handy und zog ihre linke Augenbraue ganz leicht nach oben.
»Es ist 11.56 Uhr.«
»Irgendwo ist immer Happy Hour«, antwortete Lotte etwas schnippisch und genehmigte sich einen großen Schluck.
»Und ich bin nicht nervös. Nicht wegen dem bisschen Gerüttel. Wenn, dann bin ich genervt, weil meine Tochter in zwei Wochen heiraten will. Und das mit 23. Das wärst du auch, wenn deine Tochter viel zu jung in zwei Wochen heiraten würde.«
Lissy blickte Lotte an. Lotte hatte das leichte Gefühl, Lissy war jetzt auch nicht mehr ganz so entspannt wie sonst.
Lissy holte tief Luft und sagte: »Erstens habe ich leider keine Tochter, und das nicht freiwillig, wie du ganz genau weißt. Und zweitens ist Emma wie eine Tochter für mich, was du auch ganz genau weißt. Und das nicht nur, weil ich die Patentante bin. Und drittens, finde ich, solltest du mehr auf das Karma vertrauen.«
Lotte nahm noch einen Schluck. Sie konnte das jetzt wirklich gut gebrauchen, merkte sie.
»Also, wenn deine Theorie mit dem Karma stimmt, muss ich in meinen letzten Leben eine Massenmörderin gewesen sein oder so.«
Lissy träufelte sich selbst noch ein paar CBD-Tropfen unter die Zunge, atmete einmal tief ein und aus und meinte dann zu Lotte: »Könnte sehr gut sein. Ich kenne da jemanden, der macht Rückführungen in deine früheren Leben, falls du das mal näher ergründen willst.«
Lissy hatte ja durchaus recht. Das eben war gemein von Lotte gewesen. Lissy konnte keine Kinder bekommen und war nicht eben glücklich darüber. Und ihre Schwester war die beste Tante, die man sich für sein Kind nur wünschen konnte.
Seit ihrer Scheidung erkannte Lotte sich selbst manchmal nicht mehr wieder.
Lotte konnte wirklich wegen einer Kleinigkeit hochgehen wie eine Rakete. Von null bis zum Mars in zwei Sekunden.
Sie sollte bei der NASA anheuern. Mit ihrer Gereiztheit könnte man jede Rakete in Sekundenschnelle auf den Mond bringen. Auf jeden Fall sollte sie nicht allzu oft Kundenkontakt haben. Das hatten die beiden Schwestern nach einem kleinen Vorfall in der Gärtnerei gemeinsam beschlossen.
Ein Kunde wollte eine winterharte Palme für seinen Vorgarten kaufen. Lotte musste ihm erklären, dass in Deutschland im Winter leider keine Palmen im Freien überleben. Er könnte also entweder seinen Vorgarten in die Tropen verlegen oder eine Palme in einem großen Topf kaufen und sie im Herbst für 250 Euro in der Gärtnerei bis zum nächsten Frühling abstellen. Der Kunde war empört über die 250 Euro und zeigte Lotte auf seinem Handy ein Foto vom Grundstück seines Nachbarn, auf dem seit Jahren eine Palme gedeihen würde. Und so was wollte er auch.
Lotte blickte auf das Foto.
Darauf war ein schöner üppiger Bambus zu sehen. Genau genommen handelte es sich um Fargesia murielae Jumbo, absolut winterhart.
Lotte seufzte und sagte: »Das ist keine Palme. Das ist Bambus. Haben Sie keine Augen im Kopf?«
Daraufhin wurde der Kunde auch leicht gereizt und bestand darauf, dass das Grünzeug eine Palme war. Die Frau seines Nachbarn hatte die Palme als Setzling von La Gomera mitgebracht und war sehr stolz auf diese Urlaubserinnerung im Vorgarten. Und er wollte jetzt auch so was. Ohne nach La Gomera zu fliegen. Und das hier war doch eine Gärtnerei. Und er wollte jetzt die Chefin sprechen, da Lotte offensichtlich von Palmen keine Ahnung hatte und sicher nur irgend so eine Aushilfskraft war.
Lotte spürte die Schlagadern an ihrem Hals leicht anschwellen. Sie wollte gerade dem Kunden ihren Blumenkübel mit frischer Erde, den sie die ganze Zeit in den Händen hielt, über den Kopf stülpen, damit er endlich aufhörte, dummes Zeug zu reden, da sprang Lissy gerade noch rechtzeitig ein.
Sie stand wie von Zauberhand plötzlich zwischen Lotte und dem Kunden, griff elegant nach dem Blumenkübel und sagte lächelnd zu dem Kunden: »Kein Problem. Sie kriegen Ihre Palme. Kommen Sie einfach mit in den Außenbereich, ich habe dahinten in der Ecke einige ganz wunderschöne Exemplare. Ich bin sicher, sie werden Ihnen gefallen.«
Lissy blickte Lotte eindringlich an und entwand ihr den Kübel. Lotte ließ widerstrebend los, und Lissy verkaufte dem glücklichen Kunden schließlich eine eins fünfzig hohe »Bambuspalme« für über hundert Euro.
Nach diesem kleinen Vorfall hatten die beiden Schwestern ein längeres Gespräch. Über Kundenservice, Gelassenheit, Achtsamkeit, eventuell tägliche Meditation. Das war das, was Lissy empfahl.
Über doofe Kunden. Eingebildete Lackaffen. Komplett Irre. Absolut Ahnungslose. Das war so, wie Lotte die Sache sah.
Am Ende konnten sich die Schwestern darauf einigen, dass Lotte im Moment etwas weniger Kundenkontakt ganz guttun würde und sie mehr mit den Pflanzen als mit den Kunden sprechen sollte. Die Pflanzen widersprachen Lotte nicht ganz so häufig, wie Menschen das zu tun pflegten.
Lissy nahm vorsichtshalber noch einmal zwei Tropfen von dem CBD-Öl und meinte dann weiter: »Auf jeden Fall bist du nervig, undankbar, und du übertreibst. Und du solltest dich einfach nur freuen, dass deine Tochter ihre große Liebe gefunden hat.«
Lotte wusste ja selbst, dass sie seit der Scheidung nervig war. In Deutschland gab es pro Jahr mehr als 150 000 Scheidungen, da war sie jetzt mal wirklich kein Einzelfall. Außerdem war ihre Trennung ja auch schon so lange her, sieben Jahre, um genau zu sein. Also gab es mittlerweile schon über eine Million mehr getrennte Paare, da sollte sie sich wirklich nicht mehr so anstellen.
Lotte seufzte auf und blickte Lissy reumütig an.
»Du hast recht. Tut mir leid, Lissy. Das eben war echt blöd, ich weiß doch, wie gerne du selbst ein Kind hättest. Ich weiß gar nicht, was ich manchmal ohne dich machen würde.«
»Du würdest verhungern, weil du alle Kunden vergraulen würdest.«
»Dann würde ich Kartoffeln, Gemüse und Obst anbauen und mich einfach nur noch davon ernähren«, gab Lotte zurück.
Lissy nahm Lotte einfach den Gin Tonic weg.
»Du musst nachher noch Auto fahren, meine Liebe. Du weißt, wie ungerne ich mich im Ausland ans Steuer setze.«
Lissy übergab den noch fast vollen Becher mit dem Gin Tonic dem Steward, der ihn einfach in den Müllsack warf und mit seinem Wägelchen weiterfuhr.
Lotte blickte dem Gin sehnsüchtig hinterher. Aber Lissy hatte recht. Sie hatten einen Leihwagen gemietet und mussten noch ein paar Kilometer bis zum Fincahotel fahren, bevor sie sich an den Pool legen konnten.
»Ich freue mich übrigens auf den Pool. Der sah echt schön aus. Und ja, ich sollte mich auf die Hochzeit freuen. Auch da hast du recht. Und außerdem kann ja Carl mit Isabell wegen dem Bandscheibenvorfall nicht kommen. Das ist doch wirklich sehr schade, dass Emma ihre Hochzeit so ganz ohne ihren Vater und seine unglaublich junge neue Frau mit den überaus definierten Oberarmen feiern muss.«
Lotte konnte sich diese Bemerkung jetzt echt nicht verkneifen. Und bei dem Gedanken, dass diesmal ihr Ex-Mann mitsamt neuer Frau nicht wie sonst an allen größeren Familienfeiern teilnehmen konnte, hob ihre Stimmung durchaus erheblich.
»Lotte!«
»Was denn? Etwas Schadenfreude darf doch sein. Es gibt schließlich gute Schmerzmittel. Ich bin sicher, Carl muss nicht allzu heftig leiden, und Isabell ist bestimmt eine ganz wundervolle Krankenschwester. Die kann ihn absolut problemlos ins Bett heben und wieder heraus, so durchtrainiert, wie die ist.«
»Charlotte!« Lissy zischte als Antwort Lottes vollen Namen.
Das war ein sicheres Zeichen, dass es jetzt doch besser war, den Mund zu halten. Auch Lissy – normalerweise die Ausgeglichenheit in Person – konnte ab und an die Zähne zeigen, falls es Lotte allzu sehr übertrieb. Und Lissy konnte das Thema Carl und Isabell nicht mehr so gut hören. Wahrscheinlich, weil sie es in den letzten Jahren ständig hatte hören müssen.
»Bin ja schon ruhig. Ich freue mich einfach. Ich habe wochenlang gedacht, ich muss die ganze Zeit neben Carl und Isabell am Pool oder am Strand liegen. Keine schöne Vorstellung, wie du dir denken kannst. Und dann kam in letzter Minute sozusagen dieser kleine Vorfall mit der Bandscheibe. Ein Wunder! Der Himmel hat ein Einsehen! Endlich mal eine Familienfeier ohne die ganze Familie. Und dann noch auf Mallorca. Du hast völlig recht, ich brauche gar keinen Gin oder die Tropfen. Ich muss nur an Carls Bandscheibenvorfall denken, und schon ist die Welt in Ordnung. Absolut und vollkommen in Ordnung.«
Lotte war echt ein Stein vom Herzen gefallen, als sie erfahren hatte, dass Carl leider doch nicht zur Hochzeit seiner einzigen Tochter kommen konnte.
Die gemeinsamen Familienfeiern, die sie Emma zuliebe pflichtschuldigst in den letzten Jahren absolviert hatte, waren für Lotte der blanke Graus gewesen.
Weihnachtsfeiern, die sie nur mithilfe von viel Glühwein überlebt hatte. Ostern gemeinsam brunchen – Lotte hätte sich am liebsten in einen Hasen verwandelt und wäre davongehoppelt. Emmas Geburtstagsessen – Lotte hatte vorsichtshalber ein paar Fotos von ihren Lieblingspflanzen gemacht und die Bilder unter dem Tisch immer wieder heimlich angeschaut, um sich zu beruhigen. Einmal ging sie sogar auf die Toilette, um dem Abbild einer Zamioculcas zamiifolia heimlich ihr Leid zu klagen.
Und dann war da noch Carls fünfzigster Geburtstag, der natürlich groß gefeiert wurde und zu dem sie selbstverständlich auch eingeladen war. Lotte hatte sich so mit Rotwein abgefüllt, dass sie sich später zu Hause heimlich übergeben hatte.
Es war ja »so großartig«, dass sie und Carl sich als Eltern noch so gut verstanden. Gerne hätte sie ab und zu Isabell etwas Pflanzendünger in den Champagner gegeben, aber Lotte war ja keine Mörderin. Sie war nur die verletzte und versetzte Ex-Frau. Einfach sitzen gelassen wegen einer jüngeren, schöneren, durchtrainierteren Blondine.
Grrrrrrrrrrr.
Alles an Isabell war auch dazu angetan, einen als Ex-Frau auf die Palme zu bringen.
Isabell war nicht nur schlappe fünfzehn Jahre jünger als sie. Nein, Isabell hätte sicherlich als Model durchgehen können, war aber leider dafür etwas zu klein geraten. Ansonsten war alles an dieser Frau wie direkt aus einer Zeitschrift. Und das ohne Photoshop.
Isabells Haar war natürlich honigblond und fiel ihr in langen Wellen über die Schultern. Sie hatte einen perfekten Busen, der offensichtlich keine Schwerkraft kannte und den sie gerne nur mit leichten Fähnchen bedeckte, die mehr zeigten als verhüllten. Lotte hatte die Vermutung, dass der Busen nicht ganz echt war, wusste aber nicht, wie sie das rausbekommen sollte, ohne ihn mal kurz anzufassen.
Das traute sie sich dann doch nicht.
Und zu alldem hatte Isabell sich etwas aufgebaut und bezeichnete sich selbst als Influencer.
Lotte hatte erst »Influenza« verstanden und auf vierzig Grad Fieber gehofft, bis Emma sie darüber aufgeklärt hatte, was ihre Stiefmutter denn damit meinte. Es war – leider – nicht die Grippe.
Isabell hatte neben ihrem Ehemann einen sehr erfolgreichen Lifestyle-Blog, auf dem sie nette, wahrscheinlich ziemlich übertriebene Geschichten aus ihrem tollen Leben mit Carl postete, Gesundheits-, Wellness- und Fitnesstipps gab und nebenbei oder vielmehr hauptsächlich völlig überteuerte Klamotten und Kosmetik verkaufte.
Der Blog hieß »Love. Isabell.com«, und Lotte hatte ihn heimlich in »Hate. Isabell.cotz« umgetauft.
Aber ganz heimlich, nur Lissy wusste davon.
Emma hätte das nicht wirklich lustig gefunden. Sie verstand sich zu Lottes heimlichem Leidwesen ganz gut mit ihrer Stiefmutter.
War vielleicht auch kein Wunder – schließlich könnten Isabell und Emma fast Geschwister sein.
Der Shop ging wohl ab wie Schmidts Katze, und dabei hätte Isabell es gar nicht nötig gehabt, überhaupt Geld zu verdienen, denn Carl besaß ein sehr gut gehendes Bauingenieurbüro.
Wenigstens war Carl finanziell gesehen bei der Scheidung mehr als großzügig gewesen. Das war wohl der Versuch, sein schlechtes Gewissen mit Geld zu betäuben. Hatte wohl ganz gut geklappt – für Carl zumindest. Lotte hingegen musste feststellen, dass ein gebrochenes Herz wirklich nicht mit Geld zu flicken war.
Trotz Carls Großzügigkeit gegenüber Lotte blieb aber sicher noch genug für die neue Ehefrau übrig. Carls Büro hatte über fünfzig Angestellte und konnte sich vor Aufträgen nicht retten.
Und jetzt hatte Carl vier Tage vor Abflug dieser wirklich üble Bandscheibenvorfall ereilt.
Wie schade!
Manchmal war das Schicksal eben doch gerecht.
Wenigstens die Hochzeit ihrer einzigen Tochter würde Lotte in Ruhe erleben können, ohne sich jede Sekunde zurück in ihre Gewächshäuser zu wünschen.
Lotte seufzte kurz auf, zog die Sonnenbrille runter und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück.
Das Gewackele hatte auch endlich aufgehört, und das Flugzeug glitt wieder geschmeidig durch die Luft.
Lotte fing ihre eigenen Gedanken ein. Sie würde sich jetzt wirklich mal einfach entspannen. Vor ihr lagen zwei wundervolle Wochen auf einer wundervollen Insel – gekrönt am Ende von einer von ihrer Tochter und einer deutsch-spanischen Hochzeitsplanerin sicher perfekt organisierten Hochzeit. Nun gut, ihre Tochter war viel zu jung, um zu heiraten, und Lotte hielt die Ehe mittlerweile sowieso für den Sieg der Hoffnung über die Vernunft.
Aber was sollte es? Emma könnte sich ja wieder scheiden lassen. Und wieder heiraten und wieder scheiden lassen und wieder heiraten und wieder …
»Bitte klappen Sie die Rückenlehnen wieder senkrecht nach oben und bleiben Sie weiterhin angeschnallt sitzen. Wir landen in Kürze in Palma de Mallorca.«
Lotte schreckte auf.
Sie war wohl für ein paar Sekunden eingeschlafen. Sie blickte aus dem Fenster – unter ihr war schon deutlich die Insel zu erkennen. Sie schwebten gerade an Cap Formentor vorbei über die Bucht von Alcúdia. In ihrer Ehe mit Carl war sie öfter auf der Insel gewesen, seit ihrer Scheidung allerdings nicht mehr.
Lotte blickte nach unten, sah kleine Dörfer, Felder, winzige weiße Windmühlen und merkte, dass ein Gefühl sich in ihr ausbreitete, das sie lange nicht mehr gespürt hatte.
Lotte überlegte, was das denn für ein Gefühl war. Und dann erkannte sie es.
Sie freute sich.
Das war einfach Vorfreude. Ein leichtes, luftiges Kribbeln im Bauch. Mallorca wartete auf sie. Ein paar wunderschöne Tage am Meer mit ihrer Tochter und deren Verlobtem, ihrer Schwester, später auch mit ein paar Freunden.
Lotte lächelte unwillkürlich.
Lissy blickte die Mundwinkel ihrer Schwester erstaunt an, lächelte auch und drückte leicht Lottes Hand.
Und Lotte überlegte sehr entspannt: Vielleicht wirkten die CBD-Tropfen doch nach. Was sollte schon schiefgehen?