Der Autor

Dirk Laabs – Foto © Thomas Duffé

DIRK LAABS, geboren 1973 in Hamburg, ist Bestsellerautor und Filmemacher. Seit fast 20 Jahren recherchiert er zum Thema Terrorismus, für das ZDF hat er mehrere Filme über rechtsradikale Soldaten und Polizisten in deutschen Behörden gedreht. Den Film „Der NSU-Komplex“ realisierte er für Netflix und die ARD, zuvor hatte er gemeinsam mit Stefan Aust das Standardwerk „Heimatschutz“ über den NSU veröffentlicht. Als Gutachter wurde er von mehreren NSU-Untersuchungsausschüssen geladen. Seine Texte sind in Zeitungen und Magazinen weltweit veröffentlicht worden, darunter Los Angeles Times, The Guardian, stern und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Er hat zahlreiche Preise in Deutschland und im Ausland gewonnen.

Das Buch

Schießtrainings, paramilitärische Übungen, Safehäuser, Erkennungsabzeichen für den „Tag X“: Eine militärisch organisierte rechte Szene von Uniformträgern bereitet sich auf den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung vor. Polizisten und Soldaten vernetzen und radikalisieren sich in Gruppen wie „Nordkreuz“ oder „Uniter“. Sie hegen Umsturzpläne und pflegen Kontakt mit Waffenhändlern, Reichsbürgern, verurteilten Terroristen und einschlägigen rechten Kadern. Ihnen stehen eine unorganisierte Terrorabwehr und Nachrichtendienste gegenüber, die aus dem NSU-Debakel nichts gelernt zu haben scheinen: Sie wollen ihre Informanten um jeden Preis schützen, verhindern Aufklärung und sind zum Teil sogar selbst von Rechtsradikalen unterwandert.
Dirk Laabs führt die Spuren und Stränge zusammen: Er untersucht Tradition und Ausbildung bei Bundeswehr und KSK, wertet geheime Kommunikation des rechten Netzwerks, Gerichtsakten und interne Dokumente des Bundestags aus. Er spricht mit Ermittlern, Insidern und konfrontiert die Verdächtigen. Eine schockierende Darstellung der rechten Gefahr in Deutschland, die immer größer wird.

Dirk Laabs

Staatsfeinde in Uniform

Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:
www.ullstein.de

Econ ist ein Verlag
der Ullstein Buchverlage GmbH

ISBN 978-3-8437-2418-0

© der deutschsprachigen Ausgabe
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021
Umschlaggestaltung: FHCM® Designagentur, Berlin
Autorenfoto: Thomas Duffé
E-Book Konvertierung powered by pepyrus.com
Alle Rechte vorbehalten

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu Urheberrechten
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Prolog
Tag X

Im März 2020, als die Covid-19-Pandemie gerade begann, den deutschen Alltag zu beherrschen, war ich mit meinem Kamerateam auf der Suche nach einem süddeutschen Waffenhändler. Wir drehten für das ZDF den zweiten Film über verfassungsfeindliche Soldaten und Polizisten, die eigene Strukturen gebildet hatten, an ihren Einheiten vorbei. Ein Soldat der Kommando Spezialkräfte (KSK) hatte in einem Verhör durch das Bundeskriminalamt den Waffenhändler als einen wichtigen Kontakt in Baden-Württemberg genannt, dort, wo auch das KSK stationiert ist. Der Kommandosoldat, der vom BKA intensiv verhört wurde, war einer der führenden Köpfe einer Gruppe von Polizisten, Behördenmitarbeitern und Soldaten, die am Tag X eine eigene militärische Struktur aktivieren wollten. Das Konzept des Tag X war mir schon oft untergekommen – Neonazis aus dem Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrund hatten mir während meiner Recherchen zum NSU berichtet, dass man in der Szene ständig über den Tag X spreche und sich auf ihn vorbereite. Thüringer Nazis spähten etwa Krankenhäuser aus, zählten die Betten – wie viele der eigenen »Kämpfer« könnte man dort unterbringen, wenn der Gegenschlag gegen das »Judenregime« in der Hauptstadt geführt wird? Ein in die Jahre gekommener Neonazi bestätigte mir während der Recherchen damals auch, dass an diesem Tag natürlich auch Journalisten und Andersdenkende abgeholt und in Lager gebracht würden. Der Tag X ist für rechtsextremistische Aktivisten das zentrale Ziel, auf das sie hinarbeiten: An diesem Tag, so ihre Logik, bricht die staatliche Ordnung zusammen, der Weg ist dann frei, um selbst die Macht zu übernehmen. Auslöser für den Zusammenbruch des Staates kann vieles sein: eine Naturkatastrophe, eine Pandemie, ein Bürgerkrieg, Terroranschläge.

Was von außen grotesk wirkte, war für die Rechten eine todernste Angelegenheit. Der NSU führte lange Listen, darauf Kasernen und Waffenläden, wo man für den Tag X Waffen und Munition erbeuten könnte. Außerdem hatte die rechte Terrorgruppe Listen aufgestellt, darauf Hunderte politische Feinde und Gegner. Mit denen wollte man am Tag X – und danach – abrechnen.

Von dem Waffenhändler in Baden-Württemberg, einem Ex-Soldaten, erhoffte ich mir Antworten, was seine Gruppe genau vorgehabt hatte. Als ich mit dem Team auf den Hof fuhr, sahen wir den Mann durchs Fenster an seinem Schreibtisch. Er hielt uns für die Polizei, mit der er jeden Moment rechnete, da er sich mit seinem Partner zerstritten hatte. Die beiden kämpften mit harten Bandagen um die Firma, der Waffenhändler erwartete seinen unsanften Rausschmiss. Bisher hatte er die Presse erfolgreich abgeschüttelt, in keinem Artikel über rechtsradikale Soldaten war er bislang aufgetaucht, aber unser Kommen machte ihn nervös. Er versuchte, uns mit ein paar Entschuldigungen und Floskeln abzuspeisen, gab dann aber ein ausführliches Interview und gestand einige Punkte ein: Ja, eine Gruppe, die sich auf den Tag X vorbereitet, gebe es wirklich, ja, man habe intensiv trainiert und, ja, ein KSK-Soldat spiele tatsächlich die führende Rolle – Treffen hätten sogar in der KSK-Kaserne stattgefunden. Vieles erzählte er jedoch nicht: dass er selbst einen Haufen Waffen zu Hause hatte, darunter illegale Waffenteile und dass er eine Zeit lang eine Panzerfaust am Arbeitsplatz versteckt hielt. Auch der Frage, wie weit die Gruppe mit den Planungen für den Tag X schon gekommen war, wich er aus. Bis zu diesem Zeitpunkt war unklar, wie konkret die Gruppenmitglieder bereits die nächsten Schritte geplant hatten.

Aus dem Umfeld des Waffenhändlers wurden uns dann jedoch sensible Daten zugespielt. Aus E-Mails zwischen Gruppenmitgliedern ging hervor, dass man bereits Erkennungszeichen für den Tag X – nicht für eine Übung – entworfen hatte, Abzeichen, sogenannte Patches, die denen der Armee ähnelten. Es waren mehrere sogenannte Pick-up-Points – Treffpunkte – festgelegt worden, wo sich die Soldaten, Polizisten und Gleichgesinnte am Tag X sammeln sollten. Dass es diese Punkte für Übungen gegeben haben soll, war mir bereits bekannt, wir aber bekamen eine Taschenkarte – DIN-A4 – für den tatsächlichen Tag X in die Hände, auf der zentrale Punkte zusammengefasst waren. Der abgelegene »PUP« – Pick-up-Point – habe mehrere Zugangsmöglichkeiten und trage den Codenamen »Süd-Alpha-Grau«, kurz: SAG. Auf der Karte im praktischen Taschenformat fanden sich noch weitere Informationen im Militärjargon :


»SAG ist reiner (überwachter) Sammelraum mit Anschlussverbringung in Gruppenversteck
Aktivierung: Innerhalb / unter 12 Stunden nach nationalem Kommunikationsausfall -oder- Innerhalb / unter 4 Stunden nach Ausruf Extremlage durch Führung

Erreichen sie [sic] PUP SAG nach eigenem Ermessen. – Meldegänger zur Kontaktaufnahme in Fahrzeugwartungshalle senden (Ggf. weitere Personen haben sich im Nahbereich des eigenen Fahrzeuges (+/- 10m) aufzuhalten!)

Wichtig! Kein offensives Verhalten an PUP zeigen!
Wichtig! Diese Anleitung streng befolgen!
Wichtig! Anleitungen vor Ort bei Kontaktaufnahme streng befolgen!«


Mithilfe der Koordinaten auf der Taschenkarte und dank eines ortskundigen Informanten fanden wir den Treffpunkt, eine kleine Hütte mitten im militärischen Sperrgebiet, auf dem riesigen Truppenübungsplatz Heuberg, im Süden Baden-Württembergs. In Sichtnähe trainierte auch oft das KSK in einem kleinen, fiktiven Dorf, das aus kleinen Holzhäusern bestand, die beschossen werden konnten. Als Treffpunkt war der Ort für den Tag X gut geeignet, da man sich in der nahen Kaserne etwa mit Lastwagen und anderen Fahrzeugen versorgen könnte.

Die Recherchen zeigten zudem, dass die Gruppe nicht nur lokal aktiv war. Die Mitglieder hatten regionale Strukturen entwickelt, sich in die Gruppen Nord, Süd, West und Ost aufgeteilt. Untereinander verschickten die Mitglieder eine sogenannte S.O.P. für die interne Kommunikation – kurz für Standard Operating Procedure, ein militärisches Konzept, das den optimalen Ablauf einer Operation garantieren soll. In der S.O.P. stand:


»Dieser Chat wurde ins Leben gerufen, um die aktuelle Lage, den aktuellen Stand sowie weiteres Vorgehen an alle Eingeweihte zu übermitteln. … Dabei ist ein Aspekt von höchster Bedeutung. Desto besser die Kommunikation, umso einfacher die Organisation und das Sammeln untereinander am Tag X. Doch bis dahin gilt für jeden von UNS, so wenig wie möglich aufzufallen. Ziel ist es in diesem Chat, mit so vielen vertrauenswürdigen Personen wie nur möglich zu befüllen und somit ein starkes Fundament zu schaffen.«


Wer nur waren diese »vertrauenswürdigen Personen«? Wer war noch Teil dieser Verschwörung? Und was hatten die Verschwörer wirklich vor?

1
Die Gleichgesinnten

Das Gerichtsgebäude am Demmlerplatz in Schwerin überragt alle Gebäude im Viertel Paulsstadt. Es liegt auf einem kleinen Hügel, so wirkt das sandsteinfarbene Gebäude noch mächtiger, die Straßen in der Nähe noch enger. Im Inneren ging es jedoch familiär zu, die Sicherheitsvorkehrungen wirkten im Dezember 2019 improvisiert. Damals begann ein ungewöhnlicher Prozess, der weit über Mecklenburg-Vorpommern hinaus Bedeutung hatte. Die Menschen standen deshalb im geschwungenen Treppenhaus Schlange, um in den großen Saal im ersten Stock zu kommen. Das Landgericht machte dem Polizisten Marko G. den Prozess, 49 Jahre alt, in der DDR geboren, einst Elitesoldat, dann Beamter beim Sondereinsatzkommando in Schwerin, anschließend beim Landeskriminalamt eingesetzt. Er hatte sich den Spitznamen Hombre gegeben, seine Funkkennung bei Bundeswehr und Polizei – da sich gerade die Spezialkräfte im Funk nie mit ihrem richtigen Namen melden. Polizei-Kollegen hatten das Wohnhaus des Mannes mehrfach durchsucht, Zehntausende Schuss Munition und über ein Dutzend Waffen gefunden, darunter eine Maschinenpistole sowie in großer Menge Munition. Beides darf auch ein Elitepolizist unter keinen Umständen bei sich zu Hause lagern, deshalb drohte Hombre eine Gefängnisstrafe.

Marko G. saß in Hamburg in Untersuchungshaft, sodass er vor jedem Verhandlungstag über einhundert Kilometer schwer bewacht durch den Norden Deutschlands gefahren werden musste. In Fuß- und Handfesseln wurde er dann von zwei Wärtern in schusssicheren Westen in den Saal geführt – wie sonst nur gewalttätige Schwerverbrecher. Juristisch ging es um den Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, aber das war nicht der Grund für seine besondere Behandlung. Der Angeklagte war einer der Köpfe einer Gruppe, die zu diesem Zeitpunkt seit drei Jahren deutsche Terrorermittler und Agenten diverser Nachrichtendienste umtrieb – und noch immer beschäftigt. An vielen Orten im Land hatten sich Mitglieder zusammengefunden, darunter viele Elitesoldaten, die in regionale Gruppen aufgeteilt miteinander kommunizierten, Übungen planten, sichere Rückzugsräume suchten, um sich darauf vorzubereiten, die Macht an sich zu reißen, sollte einmal die staatliche Ordnung zusammenbrechen. Einige Mitglieder wollten jedoch nicht so lange warten. Ein Offizier der Bundeswehr, Franco. A., der dieser Gruppe angehörte und unter anderem mit Kontakten zu Waffenhändlern half, soll selbst einen Terroranschlag geplant haben. Marko G. alias Hombre war einer der Männer, der die Logistik der Gruppe organisierte, Waffen besorgte, Munitionslager anlegte, Spendenlisten führte, Botschaften weiterleitete, neue Mitglieder rekrutierte. Einige dieser Rekruten hatten offen darüber gesprochen, politische Gegner an dem Tag der Machtübernahme in Lager zu schaffen und umzubringen. Andere hatten bereits Leichensäcke und Löschkalk gekauft.

Deswegen die Fußketten für den ostdeutschen Polizisten Marko G., die Einzelhaft, die Metalldetektoren am Eingang, die große Aufmerksamkeit, die Fernsehteams und vielen Reporter im Saal. Doch wenn eine Gruppe oder Einzelpersonen terroristische Anschläge geplant oder durchgeführt haben, ist allein die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zuständig, nur sie darf überhaupt in Sachen Terror ermitteln. Im Fall von G. zeigten die Bundesanwälte anfänglich großen Arbeitseifer, der einem seltsamen Desinteresse wich, als das BKA erstmals das Haus des Polizisten durchsucht hatte. Man stufte G. auch nach der Durchsuchung weiter nur als Zeugen, nicht als Beschuldigten ein, die mögliche Straftat – der illegale Besitz von Kriegswaffen – sollte die Schweriner Staatsanwaltschaft aufklären. Ermittlungsergebnisse über die Komplizen von G., die anders als Hombre als Terrorverdächtige galten und zentrale Rollen spielten, stellte die Bundesanwaltschaft jedoch nicht zur Verfügung, die Schweriner Kollegen sollten sich einzig um die Waffen und die illegale Munition kümmern. Eine bizarre Situation. Ein Elitepolizist, Scharfschütze, ein Mann, der in dem Schweriner Prozess als Verfassungsfeind beschrieben wurde, vernetzt in ganz Deutschland, Mitglied einer Gruppe, die plant, was man so alles mit den Feinden anstellen könnte, wenn man die Macht einmal übernommen hat – sammelt wie besessen Munition, die bei einer Durchsuchung sichergestellt wird. Danach macht der Mann einfach weiter, hortet wieder Munition, die wird bei einer weiteren Durchsuchung ebenfalls gefunden – man findet also insgesamt zwei Mal einen Haufen Waffen bei ihm. Aber nicht die Anti-Terror-Ermittler des Bundeskriminalamts übernehmen den Fall, sondern die Fahnder vom LKA Mecklenburg-Vorpommern werden vorgeschickt, ausgerechnet die Kollegen von Hombre. In den Tagen des Prozesses war zu spüren, dass sich die Schweriner Staatsanwälte alleingelassen fühlten mit diesem Verfahren, das den Rahmen der Möglichkeiten sprengte, die man in der kleinen Stadt hat, mag das Gerichtsgebäude auch noch so mächtig wirken.

Dass G. ausgerechnet in dem Gebäude am Demmlerplatz in Schwerin der Prozess gemacht wurde, passt jedoch. 1932 war in Mecklenburg-Vorpommern der erste NSDAP-Ministerpräsident gewählt worden, die Nationalsozialisten brauchten nicht einmal einen Koalitionspartner. Hitler selbst hatte zuvor in der Gegend mehrfach im Landtagswahlkampf auf großen Veranstaltungen für die NSDAP geworben, Zehntausende kamen. Ab 1933 hieß die Straße am Gericht dann Adolf-Hitler-Platz. Das Gericht urteilte danach in dem großen Gebäude mit den vielen Säulen unter anderem darüber, welche Menschen im »Großdeutschen Reich« sterilisiert werden müssten, damit sie kein »unwertes Leben« auf die Welt bringen. Nach dem Krieg nutzten der sowjetische Geheimdienst und die Staatssicherheit der DDR den Gerichtskomplex, Menschen wurden in den Räumen des Gerichts misshandelt und gefoltert. Diese deutsche Geschichte vereint auch der Angeklagte in sich, das Erbe der zwei Diktaturen. Der Prozess sollte zeigen, dass er sich gedanklich immer noch mit einer dieser Diktaturen identifizierte.

In dem großen Gerichtssaal ging es zunächst meist nur um die Indizien, die mit den Waffen und der Munition zu tun haben – wo wurde wann welche Patrone gefunden, welche Pistole, in welchem Zustand? Das mutete sehr deutsch an, eine Unwucht offenbarte sich: Es ging um technische Details, nicht um das Motiv, nicht um die politische Einstellung des Angeklagten. Denn genau über die wurde in Schwerin nicht zu Gericht gesessen. Ein Zustand, mit dem sich die Staatsanwälte jedoch nicht einfach abfinden wollten. Wie bei einer Schnitzeljagd sorgten sie dafür, dass immer wieder Hombres politischer Hintergrund klar wurde und sich beim Beobachter zwangsläufig die Frage aufdrängte: Was wollte der Polizist mit all den Waffen und der Munition? Für wen und wofür bunkerte er dieses Material? Was war der Plan? Kurznachrichten, SMS von Hombre wurden verlesen, in denen er Adolf Hitler feierte oder in denen Asylbewerbern der Tod gewünscht wurde, per Meme – der Schriftzug »Asylantrag abgelehnt« läuft über ein Foto aus dem Zweiten Weltkrieg, auf dem ein Wehrmachtsoffizier einem wehrlosen Menschen am Boden in den Kopf schießt. Einer der Anwälte des Polizisten hielt das für eine lässliche Sünde, verglich die Memes mit Pornobildern, die »dicke Frauen« beim Sex zeigen, die man sich an Weihnachten zuschicke und über die man gemeinsam lachen würde. Das alles sei eine vielleicht fragwürdige Art von Humor, nicht ernst gemeint, Spielereien. Die Waffen, die Munition, ein Spaß, reine Sammelleidenschaft.

Die Staatsanwälte führten trotzdem – oder gerade deshalb – einen Beweis nach dem anderen in den Prozess ein. Sie zeigten, dass Marko G. ein überzeugter Nationalsozialist war, der das »Dritte Reich« bewunderte und sich, wie auch der Richter feststellen sollte, »nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung« befand. Am dritten Prozesstag wurde schließlich eine Kurznachricht des Polizisten verlesen, eine dieser Spuren, von der Staatsanwaltschaft gelegt, schnell vorgetragen, ein Satz, den kaum ein Reporter im Saal zunächst weiter beachtet. Im März 2016 schrieb G. an einen Freund und Komplizen eine Kurznachricht:


»Wir haben in den letzten Monaten knapp 2000 gleichgesinnte vereint (in D)
Haben in jedem Sektor 1–5 safehäuser errichtet und ein weites Netz über ganz Europa zu anderen Nationen gelegt. Auch wenn der unterschied der einzelnen Gruppen nicht krasser sein könnte ist es doch eine Hausnummer auf die jeder stolz sein kann.«


Wir.

2.000 Gleichgesinnte.

In Deutschland.

Vereint.

Mit einem weiten Netz über ganz Europa.

Mutmaßlich unter Waffen.

Ein Grund, um stolz zu sein


Wer sind diese Gleichgesinnten? Wie viele Soldaten sind dabei? Wie viele Polizisten? Wie hängen sie zusammen? Gibt es sie wirklich – oder ist G., Hombre am Ende ein Spinner, ein Aufschneider?


Die Bundesanwaltschaft hatte auf diesen Satz nicht weiter wahrnehmbar reagiert, auch nachdem sie von den Schweriner Kollegen alarmiert worden war. Doch es ist diese SMS-Nachricht, die meiner Recherche eine neue Dringlichkeit verleiht. Einen Ansatz liefert Marko G. selbst. Zu Beginn eines jeden Prozesstages zelebrierte der gedrungene Mann ein Ritual. Er trug immer eine Baseballkappe auf dem Kopf, dazu ein schlichtes Freizeithemd am Körper, die weißen Haare und den weißen Bart kurz geschoren. Nachdem man ihm die Ketten abgelegt hatte, klopfte er sich jedes Mal mit der Hand auf die Brust, da wo das Herz schlägt, und zeigte zu einer Gruppe von Unterstützern in der Galerie, hoch über dem Saal.

Als der Richter am letzten Tag eines sehr kurzen Prozesses den Polizisten zu einer Bewährungsstrafe verurteilte – ein Jahr und neun Monate Gefängnis –, klatschten dessen Fans auf der Galerie, riefen und jubelten laut. Selbst die Anhänger hatten mit einer höheren, einer Gefängnisstrafe gerechnet, die nicht zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können. Doch G. wurden die Fesseln nicht mehr angelegt, er durfte das Gericht als freier Mann verlassen, seine Freunde empfingen ihn noch vor dem Saal, drückten, umarmten, feierten ihn. Ich filmte diese Szenen, ging mit der Gruppe nach draußen, um mehr über die Unterstützer in Erfahrung zu bringen. Anschließend wertete ich die Bilder mit Unterstützung von Informanten aus. Unter den Männern, so stellte sich heraus, waren Soldaten, ein Offizier der Reserve, ein AfD-Politiker, obsessive Hobbyschützen und ein Mann, der für die Luftwaffe in Rostock in einem Hochsicherheitsbereich Kampfpiloten ausbildet. Viele von ihnen hatten mitgemacht in der Gruppe, die G. organisiert hatte und unter dem Namen Nordkreuz Mitteilungen per Telegram-Messenger austauschte. Einige Gerichtsbesucher hatten Munition finanziert und mit Hombre trainiert, geschossen, keinen Anstoß daran genommen, dass mutmaßliche Rechtsterroristen, die zum engen Kreis der Gruppe gehörten, »Feinde« umbringen wollten, wenn sich die Gelegenheit bieten würde. Polizisten. Kriminalbeamte. Offiziere. Reservesoldaten.


Die Gleichgesinnten.

Auf freiem Fuß.

Unter uns.


Wie gefährlich die Gruppe Nordkreuz war, hatte erst die Aussage einer dieser Gleichgesinnten beim Bundeskriminalamt deutlich gemacht, zwei Jahre bevor Marko G. der Prozess gemacht wurde. Der Offizier der Bundeswehrreserve sagte im Sommer 2017 aus, er habe einer Gruppe von Soldaten und Polizisten angehört, in der Mitglieder konkret darüber diskutiert hätten, ihre Feinde zu »sammeln und umzubringen«. Ein Horrorszenario wurde durch die Aussage des Mannes erstmals konkret: Polizisten und Soldaten als organisierte rechte Terrorgruppe, mit einem Netz über ganz Deutschland. Ich traf den Zeugen im April 2019, noch vor dem Prozess, in seinem Wohnort, einem kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern. Horst S. lebte mit seiner Frau in einem alten Haus in der Nähe eines Sees, vor der Tür mächtige Bäume, ein Firmenwagen und eine mit Kopfsteinen gepflasterte Straße, die ins Nirgendwo zu führen schien. Das Bundeskriminalamt hatte Haus und Grundstück durchsucht, den Offizier der Reserve dann mehrfach als Zeugen befragt. Er sollte eine Schlüsselrolle spielen, um die interne Dynamik der Gruppe zu verstehen.

Horst S. war im zivilen Beruf Personalmanager in einem Unternehmen, das mehrere Callcenter betreibt. Ihm waren früh die Haare ausgegangen, mit seiner Halbglatze und seiner Brille sieht er älter aus, als er eigentlich ist. Seine große Leidenschaft ist das Schießen und sein Dienst bei der Reserve der Bundeswehr, zu der er gehörte. Zuvor hatte er schon als Offizier bei der Luftwaffe gedient. Er war ein typisches Mitglied von Nordkreuz. Ein biederer, seriöser, auf den ersten flüchtigen Blick harmloser Mensch.

Doch Horst S. war spätestens 2017 in das Visier verschiedener Sicherheitsbehörden geraten, weil er Kontakt zu einer rechtsradikalen Gruppe names Thule-Seminar gesucht hatte, die unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes stand. Aber das allein hatte die Beamten nicht beunruhigt. Hinzu kam, dass er sich bei der Gruppe Nordkreuz engagierte, was dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) aufgefallen war. Die Tarnung, der unschuldige Anschein, dass man sich lediglich mit zivilen Mitteln gemeinsam auf eine potenzielle Katastrophe vorbereiten wollte, so die Legende der Gruppe, wurde schnell unglaubwürdig, zu eindeutig war die interne Kommunikation. Nicht nur gehörten Nordkreuz diverse Mitglieder an, die Waffen und Munition sammelten und fast schon besessen trainierten, wie man eine bewaffnete Auseinandersetzung führt. Der Schlüsselzeuge Horst S. bestätigte dem BKA auch, dass die Mitglieder untereinander nicht nur diskutierten, wie man sich auf eine Überschwemmung oder einen Schneesturm vorbereiten muss, sondern zudem, wie man eine chaotische Situation im Land ausnutzen könnte, um abzurechnen – mit den Feinden im Land. Eines der Mitglieder, der Anwalt Jan Hendrik Hammer aus Rostock, hatte Steckbriefe von Politikern angelegt, deren Engagement, insbesondere für Flüchtlinge, ihm nicht gefiel. Hammer war früher Mitglied in der FDP und saß in der Bürgerschaft von Rostock. Das Bundeskriminalamt konfrontierte Horst S. mit Aussagen des Anwalts Jan Hammer, der innerhalb der Gruppe offen zum Terror aufgerufen haben soll. Horst S. bestätigte den BKA-Ermittlern in seinen Verhören und später mir während unseres Treffens in seinem Haus, dass Hammer tatsächlich immer radikaler geworden sei. Beim Bundeskriminalamt hatte Horst S. ausgesagt: »In diesen Gesprächen wurde deutlich, dass der Jan einen ziemlichen Hass gegen die Linken hat und das Geld, das dort rausgeschmissen wird. Der Jan hat einen Ordner mit Namen, Adressen und Lichtbildern von Personen, die aus seiner Sicht ›schädlich‹ für den jetzigen Staat sind, so wie er ihn sieht und die nach seiner Meinung ›weg‹ müssten.« Horst S. hatte den Eindruck, wie er mir erzählte, dass das BKA über elektronische Aufzeichnungen dieser Gespräche verfüge. Man habe ihm den genauen Wortlaut der erschreckenden Sätze Hammers vorgelegt, er sollte sie dann nur noch bestätigen, so erklärte es mir der Reserveoffizier.

In mehreren langen Verhören versuchte der Bundeswehrreservist sich beim Bundeskriminalamt von der Gruppe zu distanzieren, deren Mitglieder im Kern immer radikaler geworden seien. Auch mir gegenüber verteidigte er seinen Einsatz für Nordkreuz: Es sei ihm nur um eine Art bürgerliche Pflicht gegangen, im Fall einer Katastrophe vorbereitet zu sein, ohne dass er genau begründen konnte, warum er dem Staat nicht zutraute, mit einer solchen Situation allein fertig zu werden. Zumal er ja selbst der Bundeswehrreserve angehört, die genau bei einem solchen Szenario im Notfall zum Einsatz kommen würde. Er erklärte mir stattdessen, dass es praktisch einen Auftrag des damaligen Innenministers Thomas de Maizière gegeben habe, sich als Bürger auf eine Katastrophe vorzubereiten. Er diktierte mir dazu die Nummer einer Drucksache des Bundestages in mein Notizbuch – 17/12 051. In dem Dokument spielte die Bundesregierung im Jahr 2013 verschiedene Katastrophenszenarien durch: ein folgenschwerer Zusammenbruch des Stromnetzes etwa, zudem den Ausbruch einer Pandemie, ausgelöst durch einen neuartigen Grippevirus, mit dem sich Millionen Deutsche anstecken und an dem schlimmstenfalls auch Millionen Bürger sterben könnten. Das klang damals wie ein sehr absurdes Szenario. Dass die Männer um Offizier Horst S. sich sogar konkret auf eine solche Situation vorbereitet haben wollen, Wasser, Lebensmittel, Munition gebunkert hatten, sollte später auch zur Folge haben, dass sie als Spinner durchgingen und von vielen Medien nicht ernst genommen wurden.

Doch ein Jahr später wurde ein ähnliches Szenario, wenn auch nicht so katastrophal, Wirklichkeit. Covid-19 beherrschte das Leben der Menschen. Wollte man nach Mecklenburg-Vorpommern reisen, musste man plötzlich auf den Autobahnen und Bundesstraßen an Polizeisperren vorbeikommen – Besucher aus anderen Bundesländern durften nicht mehr ohne Weiteres einreisen. Die Szenarien wurden mit jedem Tag beängstigender. Hatten die Nordkreuzler am Ende recht, weil sie sich rechtzeitig auf eine Katastrophe vorbereitet hatten? Die Covid-19-Pandemie schien ein Geschenk für Gruppen wie Nordkreuz zu sein. Denn Zeugenaussagen und die interne Kommunikation zeigen, dass es nie nur der Plan vieler Gruppenmitglieder war, eine solche Katastrophe bloß zu überleben und sich in die Wildnis zurückzuziehen. Sie wollten das Chaos vielmehr aktiv nutzen, um mit den eigenen Feinden abzurechnen. So bestätigte Horst S. den Inhalt eines Gesprächs mit dem Anwalt aus Rostock im Zusammenhang mit einer möglichen Krise: »Hier wurde an mich herangetreten als Bundeswehrsoldat. Zum Beispiel mit der Fragestellung, ob man als Uniformträger diese Leute aus den Ordnernim Krisenfall leichter durch Polizeisperren bekommen kann. Um diese Personen dann zu einem Ort mit Tötungsabsicht zu verbringen.«

Ein Ort mit Tötungsabsicht. Ein monströser Satz, der während der Hochphase der Corona-Pandemie – mit den Polizeisperren und der eingeschränkten Bewegungsfreiheit – noch monströser klang, weil das Szenario – »Uniformträger« schmuggeln ihre Feinde auf Lastwagen an Polizeisperren vorbei, um sie an einem anderen Ort umzubringen – plötzlich nicht mehr völlig abwegig schien.

Doch auf den Straßen herrschte während des Corona-Lockdowns im April kein Chaos, sondern gähnende Leere. Große Ruhe. Keine Anschläge. Keine Mobilisierung. Kein Putsch. Während der Pandemie schlug vielmehr die Stunde des Staates, er zeigte sich bei aller Nervosität handlungsfähig. Die Exekutive setzte dafür weitreichende Maßnahmen durch, die nicht zuletzt die Bewegungsfreiheit der Bürger extrem einschränkte. Ist mit der ausgebliebenen Reaktion der Umstürzler erwiesen, dass diese Art von Verschwörern, selbst wenn der Tag X, die Katastrophe, das Chaos, in greifbare Nähe rückt, nicht handlungsfähig sind – stellen sie also gar keine Gefahr dar? Hatte sich damit auch die Bedrohung, die eine Gruppe wie Nordkreuz darstellt, erledigt?

Zentrale Stellen innerhalb der deutschen Terrorabwehr gehen davon aus, dass diese Verschwörer nur und erst dann gefährlich werden, wenn der Tag X tatsächlich gekommen ist und der Staat die Kontrolle verloren hat. Das jedoch ist ein großes Missverständnis. Wieder und wieder haben Rechtsterroristen gezeigt, die zuvor oft über diesen Tag X geredet hatten, dass sie meist eben nicht auf den Moment warten, an dem die Chance für einen Umsturz ihnen quasi in den Schoß fällt. Sie schlagen zu, wann immer es ihnen passt oder sie eine Möglichkeit dazu sehen. Oder wenn der innere Handlungsdruck zu groß wird, wenn sie nicht mehr warten wollen oder können, auf den fernen Tag X. Der NSU ist das beste Beispiel. Die Gruppe hatte große Pläne, wollte das System stürzen, beschränkte sich dann aber auf feige, hinterhältige Morde. Der Hass der Rechtsterroristen kann also jederzeit in Aktionismus und Terror umschlagen, jede Strategie vergessend. Ein großer Traum vieler Rechtsextremisten ist zudem: den Tag X, das Chaos, den Kontrollverlust des Staates, selbst herbeizuführen, mit einem Anschlag, der etwa verschiedene Gruppen in der Bevölkerung gegeneinander aufhetzt, indem man etwa gezielt Migranten tötet, die – so der Plan – dann blutig zurückschlagen, was am Ende einen Bürgerkrieg auslöst. Beamte, Soldaten, Polizisten bereiteten sich offenbar ebenfalls auf dieses Szenario vor, das schon seit langer Zeit in rechtsextremistischen Kreisen diskutiert wird. Obwohl sie einen Amtseid geschworen hatten und die Stützen des Staates sein sollen.

Die Vertreter der Exekutive hatten selbst während der Pandemie bewiesen, dass sie, wenn sie wollen, schnell handeln können. Wenn es jedoch um Rechtsterroristen und Feinde in den eigenen Reihen ging, um Extremisten bei Polizei und Bundeswehr, das haben die letzten Jahre auch gezeigt, hat der Staat viel zu oft zu lange zugeschaut – und selbst die größten Chancen verpasst, um zu verhindern, dass eine kleine, aber gut vernetzte Gruppe von rechtsradikalen Soldaten die Bundeswehr mit kontrolliert. Skandale wurden einfach nur überstanden und dienten nicht dazu, wirkliche Reformen bei der Bundeswehr – und der Polizei – anzustoßen. So wuchs eine rechtsextreme Szene auch in Bundeswehr- und Polizeikreisen heran, die seit Anfang der 1990er-Jahre fast ungestört vor sich hin wuchern durfte. Bis fast dreißig Jahre später die kritische Masse erreicht war.