„Sag, wie fühlt sich Deine Seele an?
Ruhig oder aufgewühlt?“
„Rein“.
Dialog zwischen mir und meiner an Demenz erkrankten
Großmutter, wenige Tage bevor ihre Seele den Körper
verließ.
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© 2019 Sabine Wöger / 2. erweiterte Auflage
Illustration: Sabine Wöger
Veröffentlichung: Wolfgang Wöger
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7494-7503-2
Geschätzte Leserinnen und Leser!
Dieses Buch basiert auf einer von mir durchgeführten qualitativen und tiefenpsychologisch angeregten empirischen Untersuchung zum Thema des ärztlich assistierten Suizides bei Demenz vor dem Hintergrund der persönlichen Biographie und Sozialisation. Anlassgebend für die Durchführung dieser Studie waren jene Menschen, welche bereits bei Beginn einer Demenzerkrankung die Inanspruchnahme eines ärztlich assistierten Suizides, etwa in der Schweizer Eidgenossenschaft, überlegen bzw. einen solchen real vollziehen. Um dieses Phänomen besser verstehen zu können, führte ich mit hochbetagten Menschen, ebenso mit den Angehörigen von an Demenz erkrankten Personen, Interviews. Ich forschte nach dem Einfluss frühkindlicher Bindung zwischen den kindlichen Probanden und Probandinnen und deren Eltern, ebenso nach den Auswirkungen einer religiösen bzw. spirituellen Einstellung auf eine von Ungewissheit geprägten Zukunft, etwa durch die Möglichkeit, selbst an einer Demenz zu erkranken. Ein weiteres Forschungsziel lag darin, die internalisierten psychischen Abwehr- und Bewältigungsweisen in belastenden und prägenden Lebenserfahrungen zu erfassen und wie sich diese auf die Einstellung gegenüber ärztlich assistiertem Suizid auswirken.
Vom Ergebnis dieser Studie war ich tief betroffen. Es befürworteten vor allem jene Menschen ärztlich assistierten Suizid bei Demenz, welche an sozialer Einsamkeit und an einem Gefühl des Unwertseins bzw. Nicht-mehr-gebraucht-Werdens in Familie und Gesellschaft litten. Andere hingegen, die von sicheren Bindungserfahrungen berichten konnten und sich in einem liebevollen Umfeld eingebunden wussten, blickten einer Zukunft, trotz Demenz, zuversichtlich und vertrauensvoll entgegen. Weiters wurde die Sorge, anderen zur Last zu fallen, dabei einen Verlust der Würde durch kognitive Beeinträchtigung, Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit von Lebensbedingungen und Strukturen zu erleben, von den Betroffenen als hauptsächlicher Beweggrund für diese Form der Sterbehilfe genannt. In meinem 2019 erschienenen Buch mit dem Titel „Ärztlich assistierter Suizid bei Demenz!? Eine qualitative und tiefenpsychologisch angeregte Studie mit Zugängen aus den integrativen Gesundheitswissenschaften“ ist die Forschungsarbeit ausführlich beschrieben und vor allem für wissenschaftlich tätige Personen interessant.
Das vorliegende Buch „Demenz. Wissenswertes für Betroffene, Angehörige und Betreuende“ resultiert aus der obig beschriebenen Studie und richtet sich an Betroffene, Angehörige und Betreuende. Es enthält wissenswerte Aspekte über das Krankheitsbild einer Demenz: Risikofaktoren, Demenzformen, Pathophysiologie, Symptome, Diagnostik, Phasen und Verlauf. Vor allem kommen hochbetagte Menschen und Angehörige zu Wort. Sie berichten von den ersten Symptomen und welche Irritationen diese innerhalb der Familien ausgelöst haben. Ebenso erzählen sie von belastenden und entmutigenden, von bereichernden und die Zuversicht nährenden Erfahrungen. Sie sprechen über die Entwicklung und Bedeutung emotionaler Bindungen und welche Sinnhorizonte sich ihnen im Laufe der Erkrankung oder in der Begegnung mit den Erkrankten erschlossen haben. Betroffene wie betreuende Angehörige reifen gewissermaßen in die Krankheit hinein. Angehörige entwickeln über die Jahre hinweg eine Expertise dahingehend, in welcher Weise sie den Betroffenen, von den ersten Symptomen bis zur Zeit des Sterbens, hilfreich zur Seite stehen und sie begleiten können. Sie berichten von der Notwendigkeit und dem Gefühl von Entlastung durch die Annahme von Hilfe, da ein liebevolles Da-Sein für den geliebten Menschen und ein achtsamer Umgang mit sich selbst einander nicht ausschließen. An Erkenntnissen, die sich ihnen prozesshaft erschlossen haben, lassen sie die Leser/-innen teilhaben. Die Bereitschaft der Betreuenden, sich auf die veränderten Bedürfnisse der Erkrankten einzulassen und bisherige Begegnungsweisen an die gegenwärtigen Möglichkeiten anzupassen, ist überaus bedeutsam. Gar kann dadurch eine Beziehung bereichert werden, vielleicht in einer zuvor noch nicht erfahrenen Intensität. Seelische und soziale Schmerzen seitens der Erkrankten, ausgelöst durch Einsamkeit und Angst, könnten durch ein herzliches und haltgebendes Miteinander gelindert werden. Wenn sich auch die bisherigen Weisen der zwischenmenschlichen Begegnung verändern, so geht die Person hinter der Erkrankung Demenz niemals verloren!
Ich fühle Beauftragung, alles nur denkbar Mögliche auszuschöpfen, sodass Menschen, trotz Demenz, ein tragfähiges Wozu für ein Leben mit dieser schicksalhaften Zuwendung entwickeln und dass sie Angst in Vertrauen wandeln können. Sollte das Maß des Zuträglichen die individuellen Möglichkeiten übersteigen, dann vertraue ich darauf, dass es etwas gibt, was uns Menschen übersteigt, auffängt, uns zu trösten und zu heilen vermag. Auch wenn uns manche Situationen unüberwindbar erscheinen, so warten in uns doch bisher ungeahnte Kräfte auf Entfaltung. Jedoch erschließen und entfalten sich diese oftmals erst im Durchschreiten einer herausfordernden Lebenssituation.
Befindlichkeiten, eindrückliche Wesensmerkmale und Charismen der im Buch vorgestellten an Demenz erkrankten Menschen habe ich in Form von Handpuppen dargestellt, die von mir nach den Gesprächen mit den Erkrankten „geschöpft“ wurden. Da im Zuge dieses kreativen Prozesses auch unbewusste Wahrnehmungen im Form einer Puppe Gestalt annehmen, spreche ich von einem „Schöpfungsprozess“. Dieser verweist zudem auf Möglichkeiten zur sinnstiftenden Integration von existenziellen, persönlichen Erfahrungen in den künftigen Lebensentwurf, weshalb ich diese Methode auch im Rahmen der Logotherapie anwende. Aus Holzmehl wird ein „Haut-Teig“ gefertigt, mit dem dann in einem mehrstündigen Prozess der mimische Ausdruck herausgearbeitet wird. Zuletzt wird die Puppe „belebt“, indem sie über den Arm gestreift, der Kopf mit dem Zeigefinger geführt und die Arme mit dem Mittelfinger und Daumen bewegt werden. Welches Anliegen Sie auch zum Erwerb dieses Buches bewogen hat, ich hoffe, dass Sie dadurch Unterstützung und Entlastung erfahren.
Das Wort Demenz setzt sich aus dem lateinischen Wort „de“ (abnehmend) und „mens“ (Geist, Verstand) zusammen. Demenz ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters und tritt abseits des natürlichen Alterungsprozesses auf. Die Erkrankung imponiert durch ein ätiologisch heterogenes klinisches Syndrom, das durch einen schwerwiegenden Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit infolge einer schleichenden, ausgeprägten und langanhaltenden Funktionsstörung des Gehirns charakterisiert ist (Förstl & Lang, 2011b, S. 4). Hierbei kommt es zu keiner Eintrübung des Bewusstseins. Die kognitiven Beeinträchtigungen werden gewöhnlich von Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens und/oder der Motivation begleitet.
Eine „primäre Demenz“ wird durch das Absterben von Nervenzellen und einen damit einhergehenden geistigen Abbau im Gehirn verursacht. Die auslösenden Faktoren für diesen Prozess sind vielfältig und bislang ungenügend erforscht (Steurenthaler, 2013, S. 28–29). Bei rund 10 % aller demenziellen Erkrankungen handelt es sich um „sekundäre Demenzen“, auch „Folgedemenzen“ genannt. Sie entstehen nicht direkt im Gehirn, sondern treten infolge einer anderen Erkrankung auf. Sekundäre Demenzen, so Frohn und Staack (2012, S. 46), können beispielhaft durch den dauerhaften und übermäßigen Konsum von Alkohol, Drogen oder Medikamenten auftreten, ebenso infolge von systemischen Krankheiten, die das Gehirn als eines von vielen Organen betreffen (Falk, 2015, S. 57).
In etwa 10 % der Fälle liegt der Demenz eine behandelbare Ursache zugrunde. Dies kann beispielsweise eine schwere Schilddrüsenunterfunktion, eine Neuroborreliose oder ein Vitamin-B-12-Mangel sein. Auch Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose können im Verlauf der Erkrankung eine Demenz entwickeln, ebenso an Mongolismus leidende Menschen. Eine positive Assoziation zwischen Morbus Down in der Familienanamnese und dem Vorkommen von Morbus Alzheimer ist fragwürdig. Einige Studien bestätigen dies (Heyman et al., 1984), andere widerlegen diese Annahme (Huff et al., 1988). Die indifferente wissenschaftliche Meinung könnte sich aus der niedrigen Prävalenz des Down-Syndroms in der Normalbevölkerung erklären. In seltenen Fällen tritt bei Patientinnen und Patienten mit Acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS) im Endstadium ein demenzielles Syndrom auf. Hingegen entsteht bei etwa 90 % der Erkrankten eine Demenz auf der Grundlage von Erkrankungen, die zu einer Degeneration der Neuronen führen. Dazu zählen neben der Alzheimerkrankheit, die mit Abstand die häufigste Ursache für ein demenzielles Syndrom darstellt, die „vaskuläre Demenz“. Diese tritt infolge von Arteriosklerose oder eines apoplektischen Insultes auf. Ursächlich können auch die Pick Krankheit, auch „frontotemporale Demenz“ genannt, die Demenz bei der Parkinsonkrankheit, auch „Demenz mit Lewy-Körperchen“ genannt, oder die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung für den Symptomenkomplex verantwortlich sein (Diehl et al., 2005, S. 4).
Bedeutendster Risikofaktor für das Entstehen der Alzheimerkrankheit ist das steigende Lebensalter. Mehr als zwei Drittel der Menschen mit Demenz sind Frauen. Sie haben nicht etwa ein höheres Erkrankungsrisiko, sondern leben im Durchschnitt länger und sind daher in den Altersgruppen mit steigender Demenzwahrscheinlichkeit stärker vertreten (Sütterlin et al., 2011, S. 7, 13).
Neben dem Alter gilt das Vorhandensein von Erstgradangehörigen mit einer Demenzerkrankung als hochgradiger biologischer Risikofaktor (Breteler et al., 1992). Bei einer 90-jährigen Person erhöht sich das bei etwa 14 % liegende Spontanrisiko fast um ein Drittel, sofern bei einem Erstgradangehörigen eine Demenz vorliegt (van Duijn et al., 1993). Das Alzheimererkrankungsrisiko ist jedoch auch bei jenen Personen erhöht, bei denen Erstgradangehörige an einer anderen neurologischen Erkrankung leiden (Mayeux et al., 1991).
Ein weiterer Risikofaktor für Demenz, welcher in epidemiologischen Studien gewonnen wurde, ist ein niedriges Körpergewicht bei Frauen (Black et al., 2002, S. 56–66), ebenso vorausgehende Kopfverletzungen oder ein Schlaganfall, insbesondere in Kombination mit anderen kardiovaskulären Risikofaktoren (Anttila et al., 2004, S. 539; Fratiglioni et al., 1993). Zwischen Morbus Parkinson in der Familienanamnese von Erstgradangehörigen und dem Auftreten von Morbus Alzheimer, insbesondere bei Männern mit frühem Erkrankungszeitpunkt, besteht ebenfalls eine positive Assoziation (Hofman et al., 1989).
Der Apolipoprotein-E-Genotyp (ApoE-Genotyp) ist der bislang größte genetische Risikofaktor für die spätmanifeste, sog. „lateonset“-Form, der Alzheimer-Demenz. Das Apolipoprotein E4 (ApoE4) transportiert unter anderem Cholesterin zu den Neuronen, die für die Myelinproduktion und somit für den Informationsaustausch innerhalb der Zellen verantwortlich sind (Villeneuve et al., 2014). Von ApoE gibt es drei kodominante Allele1. Nach Schätzungen tragen etwa 20 % der Bevölkerung das e4-Allel in sich, was mit einem zweifach erhöhten Risiko einhergeht, an Alzheimer zu erkranken (Finckh, 2006, S. 1010). Ebenso, so Mons et al. (2016, S. 28-29), scheint für ApoE-e4-Träger/-innen auch das Risiko für andere Demenzformen und kognitive Einschränkungen erhöht zu sein. Forschende vermuten eine Gen-Lebensstil-Interaktion bei der Entstehung kognitiver Erkrankungen. Die Autoren und Autorinnen erachten bei jenen Personen, die ein erhöhtes Risiko für Hypercholesterinämie und kardiovaskuläre Erkrankungen aufweisen, eine ApoE-Genotyp-Bestimmung für sinnvoll. In einigen Studien konnte nachgewiesen werden, dass ApoE-e4-Träger/-innen besser auf Ernährungsumstellungen und körperliche Aktivitäten reagieren als auf die Gabe von Statinen2 (Villeneuve et al., 2014).
Trotz zahlreicher Studien, die Aufschluss über weitere mögliche Risikofaktoren bringen sollen, besteht beispielsweise über den Einfluss von Noxen, wie Alkohol, Nikotin, Adipositas, hoher Blutdruck und Hypercholesterinämie, keine sichere Erkenntnis. Dennoch verweist das Ergebnis einer Vielzahl von Untersuchungen auf die Annahme, dass bei etwa zwischen einem Drittel und der Hälfte aller Demenzen vom Typ Morbus Alzheimer vermeidbare Risikofaktoren zugrunde liegen.
Noch nie zuvor erreichten Menschen ein derart hohes Lebensalter wie seit Beginn des 20. Jahrhunderts. So sehr ein langes Leben bei weitgehend erhaltener Selbstständigkeit und kognitiv-geistiger Unversehrtheit erstrebenswert ist und unter diesen Voraussetzungen als „würdevolles Altern“ bewertet wird, so sehr beunruhigt die Tatsache, dass sich mit steigendem Lebensalter das Risiko, an Demenz zu erkranken, erhöht.
Die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, steigt nach dem 65. Lebensjahr steil an. Betrachtet man nur die Bevölkerung über 65 Jahre, wird der Anteil zwischen 6 und 9 % betragen, wobei die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, mit zunehmendem Alter steil ansteigt: Sie verdoppelt sich etwa mit jedem 5. Lebensjahr. Mit rund zwei Drittel aller Fälle ist die Demenz vom Typ Alzheimer die häufigste Form (Sütterlin et al., 2011, S. 6).
Die jährlichen Neuerkrankungen an Demenzen werden gemäß Wancata et al. (2001) in Österreich von 23.600 im Jahr 2000 auf voraussichtlich 65.500 im Jahr 2050 steigen. 2050 wird die Zahl der Erkrankten also etwa auf 230.000 angestiegen sein (Österreichische Alzheimergesellschaft, 2016). Dies entspricht einem 2,8-fachen Anstieg der Absolutzahlen. Mitte des 21. Jahrhunderts werden jährlich etwa 37.900 Personen an einer Alzheimerdemenz und etwa 7.900 Personen an einer vaskulären Demenz erkrankt sein (BMASGK, 2015, S. 20). Zurzeit leben in Österreich insgesamt 634.000 Personen im Alter von 75 und mehr Lebensjahren. Die Zahl der Menschen in dieser Altersgruppe wird sich voraussichtlich bis 2040 auf 1,26 Millionen verdoppeln. Für das Jahr 2050 lässt die Prognose des BMASGK (2009, S. 47) eine Zahl von 1,45 Millionen erwarten. Innerhalb von 30 Jahren werden etwa zwischen 0,9 und 1,7 % der Gesamtbevölkerung Europas von Demenz betroffen sein.
Der Anteil von Personen mit einer Demenz vom Typ Morbus Alzheimer beträgt ca. 5 % der europäischen Gesamtpopulation. Bei den 30- bis 59-Jährigen sind 0,02 %, bei den 60- bis 69-Jährigen 0,3 %, bei den 70- bis 79-Jährigen 3,2 % und bei den 80- bis 90-Jährigen 10,8 % betroffen (Rocca et al., 1991). Die Zahl der Erkrankten weltweit wird sich nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation bis zum Jahr 2050 auf 152 Millionen Menschen verdreifachen. Grund sei eine alternde Bevölkerung. Beinah zehn Millionen Menschen entwickeln jährlich eine Demenz, sechs Millionen stammen dabei aus Ländern mit mittleren und unteren Einkommen (WHO, 2018). Die jährlich entstehenden Kosten schätzt die WHO weltweit auf etwa 692 Milliarden Euro. Bis zum Jahre 2030 dürften sich diese mehr als verdoppeln.
Siehe Abbildung 1: Das menschliche Gehirn besteht etwa aus 100 Milliarden Nervenzellen, sogenannten Neuronen, die durch Weiterleitung elektrischer und chemischer Energie miteinander kommunizieren. Die für die Kommunikation zwischen den Nervenzellen zuständigen Kontaktstellen werden als Synapsen bezeichnet. Diese heften sich an Dendriten3 einer anderen Nervenzelle oder an die motorische Endplatte einer Muskelzelle. In Abbildung 1 sind sie durch grüne Punkte dargestellt.
Siehe Abbildung 2: Der synaptische Spalt trennt die Zellen voneinander. Alleinig ein elektrischer Impuls könnte diesen Spalt nicht überwinden, weshalb die Übertragung über zwei Kommunikationswege erfolgt: Zum einen werden die Informationen durch elektrische Impulse weitergeleitet, zum anderen erfolgt die Informationsübertragung auf biochemischen Weg über Moleküle, auch als „Trägersubstanzen“, „Botenstoffe“ oder „Neurotransmitter“ bezeichnet. Sie sind maßgeblich an der Steuerung von Befinden und Verhalten beteiligt. Der am meisten verbreitete Neurotransmitter, zugleich Trägersubstanz aller das zentrale Nervensystem verlassenden Nervenfasern, ist das Acetylcholin. Die roten Punkte in Abbildung 2 markieren die Neurotransmitter, die blauen Punkte skizzieren die definierten Kontaktstellen für die Übergabe bzw. Aufnahme der Trägersubstanzen am Dendriten. Axone, auch als Nervenfasern oder Neuriten bezeichnet, haben definierte Kontaktstellen, an denen Botenstoffe an die andere Zelle abgegeben werden. Trifft nun ein Nervenimpuls unmittelbar vor der Synapse auf, löst er die Ausschüttung des Neurotransmitters aus, der in den Bläschen des präsynaptischen Neurons gespeichert ist, siehe rote Punkte. In weiterer Folge können diese Moleküle dann den synaptischen Spalt überwinden und an den Rezeptoren unmittelbar nach der Synapse andocken. Diese Rezeptoren sind nur für bestimmte Neurotransmitter empfänglich, vergleichbar mit einem Schlüssel, der nur in ein bestimmtes Schloss passt.
Siehe Abbildung 3: Bei der Alzheimererkrankung wird das Amyloidvorläuferprotein (APP) in krankhaftes Amyloidbeta 40 (Aβ40) umgewandelt. Es lagert sich in Form von Plaques, das sind Beta-Amyloid-Ablagerungen, zwischen den Nervenzellen und rund um die kleinen Gefäße in der Großhirnrinde ab.
Aβ40 behindert dort die Kommunikation, wie in Abbildung Nr. 3 ersichtlich (Förstl et al., 2011a, S. 59–60). Die Plaques wiederum führen zu einer gestörten Glukoseverwertung der Nervenzellen, was den Heißhunger auf Süßes von Menschen mit Alzheimerdemenz erklärt (Grond, 2014, S. 17). Sowohl Volumen als auch Dichte der Plaques nehmen mit Fortdauer der Erkrankung zu. Eine weitere Auffälligkeit besteht in der Veränderung innerhalb der Zelle und betrifft die Tau-Proteine, welche für die Stabilisierung des Transportsystems in den Nervenzellen zuständig sind. Ist ihre Funktion gestört, zerfallen die Transportbahnen und die Nervenzellen sterben durch den gestörten Stoffwechsel nach und nach ab. Sind die Transportbahnen zerfallen, bündeln sich die Tau-Proteine und verfilzen die Neurofibrillen in den Nervenzellen zu sogenannten „Tangles“, das bedeutet Bündel. Da dieser Prozess zunächst in der Gedächtnisregion des Gehirns erfolgt, ist die Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses eines der ersten Symptome der Alzheimerkrankheit (Förstl et al., 2011a, S. 59–60).
Die Entdeckung der Alzheimererkrankung geht auf den 1864 in Bayern geborenen und 1915 in Frankfurt am Main verstorbenen Neuropathologen Dr. Alois Alzheimer zurück. Der Mediziner befasste sich mit histopathologischen Studien über die Hirnrinde und beschrieb erstmals im Jahre 1906 im Rahmen eines Vortrages bei der 37. Versammlung Südwestdeutscher Irrenärzte das „eigenartige Krankheitsbild“ seiner Patientin Auguste Deter. Bei ihr machte sich frühzeitig eine auffällige Gedächtnisschwäche bemerkbar, welche mit Desorientierung und Halluzinationen einherging. Die Obduktion des Gehirns von Frau Deter zeigte eine Reihe von Anormalitäten, etwa dass die Hirnrinde um ein Vielfaches dünner war als die Norm und sich im Gehirn Stoffwechselprodukte in Form von Plaques ablagerten. Innerhalb der Nervenzellen, sogenannten Neuronen, fanden sich seltsame gebündelte Strukturen, welche an verfilzte Fasern erinnerten. Außerhalb der Nervenzellen war eine Anhäufung von Eiweißklumpen zu erkennen, welche Alois Alzheimer als „senile Plaques“ bezeichnete. Die Veränderungen an den Neurofibrillen konnte der Arzt durch die Einfärbung mit einem Färbemittel feststellen (Deutsche Alzheimergesellschaft e. V. Selbsthilfe Demenz).
Die Alzheimerkrankheit ist eine alterskorrelierte, unheilbare, degenerative zerebrale Erkrankung mit unbekannter Ursache, jedoch charakteristische neuropathologische und neurochemische Merkmale aufweisend. Diese schwerste Form der Demenz macht etwa 60 bis 70 % aller Demenzerkrankungen aus und zeichnet sich durch einen langsam fortschreitenden Untergang von Nervenzellen und Nervenzellkontakten aus. Die Alzheimerdemenz beginnt schleichend. Sie entwickelt sich langsam und stetig über einen Zeitraum von zwei bis drei Dekaden, wobei es bereits vor Auftreten der ersten Symptome zu einer Anreicherung von Aβ40 kommt. Die durchschnittliche Krankheitsdauer beträgt laut Weyerer (2005, S. 15) vom Zeitpunkt des Auftretens der ersten Symptome bis zum Ableben der Erkrankten 4,7 bis 8,1 Jahre.
Etwa ein Drittel aller Demenzpatientinnen und -patienten erfahren bereits drei Jahre vor der Diagnosestellung kognitive Defizite (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, 2008, S. 20), Symptome treten erst im letzten Drittel der Krankheit auf (Grond, 2014, S. 17). Diese sind Folge des allmählichen Verlustes von Hirnsubstanz, was auch als „Hirnatrophie“ bezeichnet wird und die sich stetig verschlechternde Beeinträchtigung der Gedächtnisfunktion erklärt. Symptomatisch treten drei Störungsgruppen zutage: die kognitiven Störungen, die Verhaltensstörungen und die somatischen Störungen.
Die kognitiven Beeinträchtigungen zeigen sich durch ein verringertes Konzentrationsvermögen. Die schwindende Fähigkeit, in komplexen Zusammenhängen zu denken, geht mit einer reduzierten Urteilsfähigkeit einher. Das veränderte Zeitempfinden ist für die zeitliche und örtliche Desorientierung verantwortlich. Wortfindungsstörungen sind zunehmend von inhaltlicher Armut begleitet. Gegenstände und Erlebnisse können nicht mehr präzise benannt oder beschrieben werden. Letztendlich folgen Dysarthrie und Aphasie, Apraxie und Agnosie4. Die überwiegende Mehrzahl der Erkrankten weist neuropsychiatrische Symptome wie Apathie, Angst, Depressivität und/oder erhöhte Irritierbarkeit auf.
Die Verhaltensstörungen, „Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia“ (BPSD), umfassen Störungen der Aktivität, des Affektes und der emotionalen Balancierungsfähigkeit, Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus, Wahnvorstellungen, Angst und Panik, motorische Unruhe, Enthemmungsphänomene wie auch unbewusstes Horten und Verstecken von Gegenständen (Weissenberger-Leduc, 2009, S. 17).
Bei an Demenz erkrankten Menschen ist das Phänomen der unzureichenden Krankheitseinsicht, sogenannte Anosognosie, bekannt. Dieses Phänomen ist mit einer Beeinträchtigung von Exekutivfunktionen, wie Urteils-, Problemlösungsvermögen und/oder kognitiver Flexibilität, assoziiert (Kessler & Supprian, 2003, S. 541– 544). Den Erkrankten sind die kognitiven Beeinträchtigungen nicht bewusst, was weitreichende Folgen mit sich bringen kann. Beispielsweise haben Betroffene keine Einsicht in die krankheitsbedingte Fahruntüchtigkeit und verwehren den Entzug der Fahrlizenz. Auch könnte eine Fehleinschätzung der persönlichen finanziellen Situation existenzielle Krisen zur Folge haben.
Zu den somatischen Störungen zählen Appetitlosigkeit und Malnutrition5, Inkontinenz sowie Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes.
Insbesondere lösen Gedächtniseinbußen, die in keinem Verhältnis zum Lebensalter stehen, bei den Betroffenen enorme Beunruhigung aus. Morbus Alzheimer tritt auch bei Menschen auf, die das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Eine dieser selten auftretenden Form ist die familiäre/erbliche Form der Alzheimerkrankheit, welche durch einen Gentest feststellbar ist. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung tritt die erbliche Form selten auf. Bei weniger als 1 % aller Fälle von Alzheimer handelt es sich um diese Form. Diese Erkrankung beruht gemäß Förstl et al. (2011a, S. 48) zum Teil auf bereits bekannten autosomal-dominanten Mutationen. Solche liegen dann vor, wenn in einer Familie mehrere Personen, meist aus zwei oder drei aufeinander folgenden Generationen, von einer Demenz oder von anderen psychiatrischen Erkrankungen betroffen sind. Die Wahrscheinlichkeit einer Vererbung an die Kinder liegt bei 50 %. Trägt ein Kind dieses Gen in sich, hat es eine 100%ige Wahrscheinlichkeit, an der familiären Form zu erkranken.
Um den familiär und genetisch bedingten Alzheimer besser erforschen zu können, wird in den USA seit 2008 und in Deutschland seit 2011 die Langzeitstudie „Dominantly Inherited Alzheimer Network“ (DIAN) durchgeführt. Forschungserkenntnisse von DIAN sollen die Entwicklung von Frühtests für alle Formen von Morbus Alzheimer beschleunigen. Ein weiteres bedeutendes Forschungsziel dieser Studie liegt in der Verzögerung oder Verhinderung des Krankheitsausbruchs. Alle direkten Nachkommen von an einer erblichen Form der Alzheimerdemenz erkrankten Personen können an der DIAN-Studie teilnehmen, ohne dass sie erfahren müssen, ob sie selbst Träger/-innen des Alzheimergens sind (DIAN, 2018).
Bei der Alzheimerdemenz werden drei Krankheitsstadien unterschieden: „leichtgradig“, „mittelgradig“ und „schwer“. Die Übergänge zwischen den Stadien sind höchst variabel und erschweren eine genaue Einschätzung.
Ist die selbstständige und unabhängige Lebensführung eingeschränkt, jedoch noch möglich, wird von einem „leichten Schweregrad“ gesprochen. Komplizierte tägliche Aufgaben überfordern die Erkrankten. Fehlende Spontanität, Antriebsmangel, eine depressive, schwankende und auch reizbare Stimmungslage prägen diese Phase. Im „Stadium der Mittelgradigkeit“ erfahren die Erkrankten erhebliche Beeinträchtigungen in der selbstständigen Lebensführung und bedürfen der Unterstützung anderer. Einfache Tätigkeiten können noch ausgeführt werden. Betroffene wirken unruhig und zeigen oftmals ein abweisendes Verhalten. Bei einem „schweren Verlauf“ ist die selbstständige Lebensfähigkeit zur Gänze aufgehoben. Gedanken können nicht mehr nachvollziehbar nach außen kommuniziert werden. Unruhe, Nesteln und ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus prägen das schwere Krankheitsstadium (Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, 2008, S. 18).
Die Picksche Krankheit, auch als frontotemporale Demenz bezeichnet, ist nach Morbus Alzheimer die zweithäufigste Form der früh beginnenden degenerativen Demenzen. Es handelt sich um einen Abbau von Nervenzellen im Stirn- und Schläfenbereich des Gehirns. Die bildgebende Diagnostik zeigt eine einseitige frontotemporale Atrophie. Da manche Patienten und Patientinnen charakteristische Pick-Körper aufweisen, die unter anderem Tau-Protein und Ubiquitin enthalten, spricht man auch von einer „Pick-Atrophie“. Diese Form der Demenz beginnt im mittleren Lebensalter und ist durch frühe, langsam fortschreitende Persönlichkeitsveränderung und durch den Verlust sozialer Fähigkeiten charakterisiert. Weiters kommt es laut Falk (2015, S. 58) zu Beeinträchtigungen von Intellekt, Gedächtnis und Sprachfunktionen, zu Apathie und gelegentlich auch zu extrapyramidalen Phänomenen. Das mittlere Diagnosealter liegt bei 58 Jahren, wobei Männer ein dreimal höheres Erkrankungsrisiko aufweisen als Frauen. Leitsymptome der Pickschen Krankheit sind die progrediente Aphasie, die fortschreitende Persönlichkeitsveränderung in Verbindung mit Störungen der Verhaltenssteuerung. Verstärkt kommt es bei dieser Form der Demenz zu Störungen des angemessenen Sozialverhaltens, einhergehend mit Distanz- und Verantwortungslosigkeit. Ebenso treten laut Berlit (2007, S. 206) Depressivität und Ängstlichkeit wie auch eine euphorische Stimmungslage zutage.
Vaskulär bedingte Demenzen weisen oftmals eine Insultanamnese und krankhafte Veränderungen der Gehirngefäße auf. Man spricht auch von sogenannten „gefäßbedingten Demenzen“. Im Zuge von Schlaganfällen geringen Ausmaßes kommt es zu wiederholt auftretenden Hirndurchblutungsstörungen, weshalb auch von einer „Multiinfarktdemenz“ gesprochen wird.
In weiterer Folge stirbt das Gewebe der betroffenen Hirnregionen, aufgrund des daraus resultierenden Sauerstoffmangels, ab (Falk, 2015, S. 69).
Im Unterschied zur Alzheimerdemenz beginnt die vaskuläre Demenz plötzlich und verläuft zumeist phasenhaft, nachdem beispielsweise eine „transitorisch ischämische Attacke“ (TIA) erfolgte. Dies ist eine mit neurologischen Symptomen einhergehende Durchblutungsstörung des Gehirns, welche sich innerhalb von 24 Stunden wieder zurückbilden sollte. Vaskuläre Demenzen sind nicht heilbar. Symptome sind nächtliche Verwirrtheit, Depressionen, somatische Beschwerden, Affektinkontinenz, Bluthochdruck, Arteriosklerose und neurologische Herdausfälle (Heiss, 1982, S. 225). Jedoch ist eine relative Stabilität der Persönlichkeit gegeben. In fortgeschrittenen Stadien lassen sich Alzheimer-Demenz und vaskuläre Demenz nicht mehr sicher voneinander unterscheiden.
Die Behandlung intendiert die Minimierung von Risikofaktoren, die Förderung der Fließeigenschaften des Blutes und somit der Gefäßdurchblutung (Falk, 2015, S. 69).
Die durchschnittliche Krankheitsdauer vom Beginn der Symptome bis zum Tod der Erkrankten liegt laut Weyerer (2005, S. 15) zwischen 4,7 und 7 Jahren.
Etwa 20 % aller Demenzen werden im Zuge der Parkinsonkrankheit und als „Demenzen mit Lewy-Körperchen“ diagnostiziert. Diese charakteristischen Strukturen werden histologisch in bestimmten Gehirnregionen, dem Neokortex, dem limbischen Kortex, den Basalganglien und dem Hirnstamm, nachgewiesen. Diese Demenz tritt bei Männern doppelt so häufig auf wie bei Frauen. Die Krankheitsprogression verläuft schneller als bei der Alzheimerdemenz. Neben den kognitiven Störungen liegen ebenso visuelle Halluzinationen, Parkinsonsymptome und Aufmerksamkeitsfluktuationen vor. Letzte treten durch eine schwankende geistige Verfassung zutage. Die Patienten und Patientinnen wirken einmal hellwach und aktiv, dann wieder in sich gekehrt, verwirrt und orientierungslos. Die Diagnose unterstützende Merkmale sind Stürze und flüchtige Bewusstseinsstörungen (Berlit, 2007, S. 221–222; Hirsch, 2009, 317–318).