Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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© 2019 Dr. Anette Huesmann

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ISBN 9783748106043

Buchgenres kompakt

Genres zeigen, was Bücher gemeinsam haben und was sie unterscheidet. Die Entwicklung der Genres im Laufe der Jahrhunderte lässt Erzähltraditionen sichtbar werden: Wo liegen die Wurzeln wichtiger Themen, was erzählten die Bücher dieser Genres früher und was erzählen sie heute?

Eindeutige und klar abgrenzbare Definitionen der Genres und Subgenres gibt es nicht. Viele Bezeichnungen sind im Laufe von Jahrhunderten im allgemeinen Sprachgebrauch entstanden, es finden sich Ungenauigkeiten und Überschneidungen. Außerdem fasst jeder Mensch die Begriffe anders auf. Dennoch gibt es ein allgemeines Verständnis darüber, was man unter den jeweiligen Genres versteht.

In diesem Nachschlagewerk werden zahlreiche Genres und Subgenres beschrieben, ihre Entstehungsgeschichten erläutert sowie historische und aktuelle Beispiele genannt. Ein Index ermöglicht den schnellen Zugriff:

Fehler gehen ausschließlich auf mich zurück. Wer einen Fehler findet oder etwas vermisst – ich freue mich über einen Hinweis unter genre@die-schreibtrainerin.de.

Dr. Anette Huesmann

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Heidelberg 2019

Inhaltsverzeichnis

Teil I: Erzähltradition und Konvention

1 Was sind eigentlich Genres?

1.1 Das Ordnungsprinzip der Genres

Im Verzeichnis lieferbarer Bücher, dem Katalog des deutschen Buchhandels, finden sich mehr als 2,5 Millionen Bücher. Gelistet sind nur Bücher, die aktuell im Buchhandel zu haben sind. Hinzu kommen Bücher in Bibliotheken, Stadtbüchereien und heimischen Regalen, die längst aus dem Handel verschwunden sind. Es kursieren Milliarden deutschsprachiger Titel, die im Buchhandel und in Webshops, in Büchereien, Bibliotheken und öffentlichen Bücherregalen zu kaufen oder zu leihen sind.

Wie soll ich mich als Leser*in orientieren? Bücher lassen sich natürlich nach allen möglichen Kriterien sortieren: chronologisch nach Erscheinungsdatum, alphabetisch nach dem Titel oder den Namen der Autor*innen, und vieles mehr. Ich müsste mich durch Hunderte von Covern, Titeln und Klappentexten wühlen, um ein Buch zu finden, das meinem Geschmack entspricht.

Deshalb präsentieren Buchläden, Webshops, Bibliotheken und Büchereien die Bücher anhand von Merkmalen, die eine erste Orientierung ermöglichen – beispielsweise Genres, Regionen, Themen, Zielgruppen oder andere. Genres sind natürlich nur ein Prinzip, wie man Bücher klassifizieren kann. Genres und andere Ordnungsprinzipien helfen, in der Vielzahl der Bücher die zu finden, die zu den eigenen Interessen passen. Denn die meisten Menschen haben Vorlieben und Abneigungen. Genres helfen, das Enttäuschungspotenzial zu reduzieren. Viele lesen zwar gerne querbeet, dennoch wissen die meisten: Fantasy ist nicht so ihr Ding, Science Fiction schon eher und Krimis kommen meist gut.

Nehme ich ein Buch zur Hand, auf dem Kriminalroman steht, dann erwarte ich von einem Verbrechen zu lesen, das im Laufe der Geschichte aufgeklärt wird. Von einem Liebesroman erwarte ich, dass er von zwei Menschen erzählt, die Liebende sind oder sein könnten, doch erst nach vielen Umwegen zueinander finden.

Auf diese Weise geben Genres eine erste Orientierung, was mich beim Lesen erwartet. Diese Erwartungen, auch Genre-Konventionen genannt, kann ich als Autor*in erfüllen oder brechen.

1.2 Erzähltraditionen erkennen

Diskussionen über Genres sind oft emotional sehr aufgeheizt, ähnlich wie Diskussionen über Literatur versus Unterhaltung (siehe Teil I. Kapitel 3.2). Viele Standpunkte sind mit Wertungen verbunden. Angeblich dienen Genres ausschließlich der Vermarktung und damit dem Kommerz. Diese Haltung berücksichtigt nicht, dass Genres weit mehr sind als das. Genres dienen zum einen der Orientierung und zum anderen machen sie es leichter, Entwicklungen zu erkennen.

In der Literaturwissenschaft tragen typische Hausarbeiten Titel wie „Der Reiseroman zwischen 1750 und 1900“. Denn für eine literaturwissenschaftliche Arbeit ist es notwendig, aus der Vielzahl der Romane ein paar herauszugreifen, die man vergleichen kann. Sind die Geschichten zu unterschiedlich, lassen sich nur schwer Gemeinsamkeiten finden, ihre Inhalte liegen einfach zu weit auseinander. Also wählt man für literaturwissenschaftliche Analysen Romane, die etwas gemeinsam haben. Denn so lassen sich über Jahrzehnte betrachtet Entwicklungen erkennen und analysieren. Dabei greifen Studierende und Wissenschaftler*innen auf ganz unterschiedliche Kategorien zurück, das können Stoffe, Motive oder Gattungen sein – oder Genres.

Das Genre ist nur eines von vielen möglichen Ordnungsprinzipien. Genres schärfen den Blick für Erzähltraditionen und machen sichtbar, wie sich die Interessen der Menschen verändern. Was früher die Leser*innen begeisterte und was sie heute begeistert. So manches Subgenre bringt über Jahrhunderte immer wieder Bestseller hervor, und andere begeistern nur einige Jahrzehnte und verschwinden dann wieder in der Versenkung.

1.3 Genres sind nicht trennscharf

Bereits Aristoteles hat Überlegungen angestellt, worin sich Geschichten unterscheiden, und nach ihm viele Dramatiker*innen und Autor*innen, darunter auch Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller.

Keine Auflistung von Genres und Subgenres gleicht der anderen. In jeder weiteren Veröffentlichung finden sich neue Unterteilungen. Das größte Problem: Es gibt keine einheitlichen Kriterien für die Klassifizierung der Genres und jedes Genre definiert sich anders. Während Krimis und Liebesromane anhand des Handlungsverlaufs einem Genre zugeordnet werden, ist bei den historischen Romanen entscheidend, wann die Geschichte stattfindet.

Je mehr charakteristische Merkmale eines Genres in einem Buch zu finden sind, desto eher wird es diesem Genre zugerechnet. In vielen Romanen gibt es Elemente, die zwei oder drei Genres anklingen lassen. In einem Krimi kann es beispielsweise einen Nebenplot mit einer Liebesgeschichte geben. In diesem Fall ist entscheidend, welcher Bestandteil der Geschichte mehr Raum einnimmt, ob es eher dem einem oder dem anderen Genre zugeordnet wird.

Hinzu kommt, dass sich die Erwartungen der Leser*innen an die Bücher und damit an die Genres im Laufe der Jahrhunderte deutlich verändert haben. Außerdem ist es sehr subjektiv, welche Genres unterschieden werden und ob ein Buch nun diesem oder jenem Genre zugerechnet wird.

Dennoch geben Genres eine erste Orientierung für den Inhalt des Buches. Erhebt man nicht den Anspruch, dass Genre-Konventionen trennscharf sein sollten, so schärfen sie den Blick für Themen, Trends und Traditionen.

1.4 Genres und Subgenres

Im Folgenden wird unterschieden zwischen Genres und Subgenres. Konventionen der Genres umfassen weite Teile des Inhalts bzw. den gesamten Inhalt. Dagegen beschreiben Konventionen der Subgenres nur einen Teil des Inhalts, oft nur einen kleinen Teil. Manche beziehen sich auf den Hauptkonflikt, andere auf Hauptfiguren, den Schauplatz oder weisen auf einen Genre-Mix hin, der kurzerhand zum Subgenre gemacht wird.

Wie kleinteilig man immer weitere Subgenres beschreibt, ist Geschmackssache. Unterhalb des Genres Fantasy könnte man 10, 20 oder 100 Subgenres beschreiben. Je kleinteiliger, desto weniger Bücher passen in eine „Schublade“. In diesem Sinne sind Subgenres noch mehr als Genres sehr individuell.

2 Genres und Vermarktung

Natürlich helfen Genres auch bei der Vermarktung. In Buchläden stehen Bücher eines Genres im gleichen Regal und Webshops haben ähnliche Sortierungen. Ein Buch wird schlicht nicht gefunden, wenn es keinem Genre angehört oder mehreren Genres zugeordnet werden kann, auch Genre-Mix genannt. Deshalb sind Genres ein wichtiges Kriterium für alle Autor*innen, egal ob sie ihre Bücher im Selfpublishing herausgeben oder Verlage ansprechen möchten: Lässt sich ein Buch keinem Genre zuordnen, wird es schwerer mit der Vermarktung.

Viele Verlage erwarten, dass neue Manuskripte bestimmten Genres zugeordnet werden können. Natürlich gibt es auch Verlage, die sich nicht an Genres orientieren und als Zielgruppe verstärkt die Leser*innen literarischer Bücher ansprechen möchten (siehe Teil I. Kapitel 3.2 Literarischer Roman). Bei der Zielgruppe dieser Bücher haben Genres ein schlechtes Image. So wird die Frage, ob sich ein literarisches Buch einem Genre zuordnen lässt, meist nicht gestellt. Verlage, Autor*innen und Leser*innen legen oft großen Wert darauf, dass Genre-Konventionen bei literarischen Büchern keine Rolle spielen – unabhängig davon, ob diese die Konventionen eines Genres erfüllen oder nicht.

Deshalb treffen die meisten Autor*innen vor dem Schreiben eines Buches eine Entscheidung: Orientiere ich mich an den Genres? Erfülle ich die Genre-Konventionen? Ja oder Nein? Von Autor*innen literarischer Bücher wird meist erwartet, dass sie die Genre-Konventionen brechen oder sie nicht berücksichtigen. Von allen anderen wird üblicherweise erwartet, dass sie die Genre-Konventionen kennen und berücksichtigen.

Niemand ist gezwungen, Genre-Konventionen einzuhalten. Eine Autor*in kann die Erwartungen der Leser*innen gezielt brechen oder unberücksichtigt lassen. Doch man sollte eine bewusste Entscheidung treffen.

Hat man sich als Autor*in entschieden, die Genre-Konventionen zu berücksichtigen, dann sollte man wissen, was von den Büchern dieses Genres erwartet wird. Zumindest einige der Erwartungen sollte man erfüllen. Das macht es leichter, im Selfpublishing die Bücher direkt an Leser*innen zu verkaufen. Das macht es auch einfacher, ein Buch einer Agentur oder einem Verlag anzubieten. Denn auch diese möchten wissen, welchem Genre ein Buch angehört. Es sei denn, man wendet sich an Verlage oder Agenturen, die sich literarischen Büchern widmen. Alle anderen wollen sehen, dass ein Buch bestimmte Erwartungen erfüllt – und trotzdem eine neue, überraschende Geschichte erzählt.

Das stellt eine Autorin bzw. einen Autor vor eine große Herausforderung: „Er muss nicht nur die Erwartungen des Publikums erfüllen – sonst riskiert er dessen Verwirrung und Enttäuschung. Er muss diese Erwartungen auch zu frischen, unerwarteten Momenten führen – sonst riskiert er, dass es sich langweilt.“ (Robert McKee, Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens, Alexander Verlag 2007, Seite 94)

3 Keine Frage des Genres

Es gibt weitere Ordnungsprinzipien für Bücher, die je nach Standpunkt mal den Genres zugerechnet werden und mal nicht. Um Klarheit zu schaffen für meine hier vorgestellte Einteilung der Genres, zähle ich diese Ordnungsprinzipien auf, obwohl ich sie nicht zu den Genres rechne.

3.1 Gattung

Der Gattungsbegriff in der Literaturwissenschaft ist vielschichtig und wird seit Jahrhunderten kontrovers diskutiert. Es gibt zahllose unterschiedliche Definitionen, die sich im Laufe der Jahre immer wieder wandeln. Zum Teil sind Untergattungen und Subgenres deckungsgleich, was die Unterscheidung und Definition umso schwieriger gestaltet.

Üblicherweise wird in der Literaturwissenschaft die Gesamtheit der Texte unterteilt in erzählende Texte und Sachtexte, heute oft auch Fiction und Nonfiction genannt. Bei den erzählenden Texten werden drei Gattungen unterschieden: Epik, Lyrik und Dramatik. Diese Dreiteilung geht auf Aristoteles zurück und wurde unter anderem von Johann Wolfgang von Goethe aufgenommen. Epik meint erzählende Texte, Lyrik Kurztexte und Dramatik Bühnenstücke. Ausgehend von dieser Dreiteilung werden anhand von formalen und inhaltlichen Kriterien weitere Untergattungen unterschieden. Welche genau, da gehen die Meinungen weit auseinander.

Ich verwende den Gattungsbegriff sehr pragmatisch, am Buchmarkt orientiert und nur in Abgrenzung zum Genre. Entsprechend klassifiziere ich innerhalb der Gattung Epik die Texte nach ihrer äußeren Form, vor allem anhand ihrer Länge. So unterscheide ich zwei Untergattungen: Kurzgeschichten und Romane. Kurzgeschichten sind rein formal kürzere Texte, Romane längere. Die Literaturwissenschaft macht den Schnitt meist bei rund 200 Seiten: Alles über 200 Seiten wird zu den Romanen gerechnet, alles darunter zu den Kurzgeschichten.

Auf dem Buchmarkt sind andere Unterteilungen üblich, die sich an der Art der Veröffentlichung orientieren. Kurzgeschichten werden in Sammlungen, sogenannten Anthologien, herausgegeben. Damit in einem Buch mehrere Kurzgeschichten untergebracht werden können, sind prototypische Kurzgeschichten zwischen drei und 30 Normseiten lang. Ein prototypischer Roman hat etwa eine Länge zwischen 250 und 350 Seiten. Unter den Romanen mit hohem Marktpotenzial finden sich oft noch deutlich höhere Umfänge wie 600, 800 oder gar 1000 Seiten. Bei literarischen Romanen gibt es auch deutlich schmalere Werke mit 150 oder 120 Seiten.

3.2 Literarischer Roman

Weit verbreitet ist die Annahme, dass es zwei Arten von Romanen gibt: literarische Romane und Unterhaltungsromane, auch Feuilletonliteratur versus Genreliteratur genannt. Dahinter steckt die These, dass Unterhaltungsromane einem Genre angehören, literarische Romane dagegen nicht. Diese Betrachtungsweise greift für mich zu kurz (siehe auch: Teil I. Kapitel 1.2 Erzähltraditionen erkennen). Auch in der Literaturwissenschaft werden viele literarische Romane einem Genre zugeordnet, beispielsweise dem Genre Gesellschaftsroman, Bildungsroman oder Schelmenroman.

Deshalb ist die Einteilung von Romanen in zwei Kategorien „Feuilletonliteratur“ und „Genreliteratur“ nicht möglich. Zum einen gibt es kein Entweder – Oder. Es lässt sich nicht zweifelsfrei für jede Art von Roman sagen, wo er nun hingehört, ob zur Literatur oder zur Unterhaltungsliteratur. Schon die Begriffe sind problematisch, da sie unterstellen, dass Literatur nicht der Unterhaltung dient. Zum anderen wird dabei übersehen, dass auch literarische Romane einem Genre angehören können.

Ich habe deshalb ein eigenes Modell entwickelt: Ich gehe davon aus, dass sich Romane auf einem Kontinuum anordnen lassen. Auf der einen Seite stehen für mich die Klassiker der Literatur wie Friedrich Hölderlin (1770 – 1843) und Johann Gottfried Herder (1744 – 1803), auf der gegenüberliegenden Seite ordne ich die sogenannten Heftromane an wie „Der Bergdoktor“. Dazwischen befindet sich ein weites Feld von Romanen aller Art. Ungefähr in der Mitte siedle ich Romane an, die national und international ein breites Publikum erreichen, also im sogenannten Mainstream liegen und damit dem Geschmack einer großen Mehrheit entsprechen.

Die Romane entlang des Kontinuums unterscheiden sich dadurch, wie sie mit den Regeln des traditionellen Erzählens umgehen. Mit Regeln meine ich bestimmte Regelmäßigkeiten, die spannenden Geschichten zu eigen sind. Dazu gehören beispielsweise ein zusammenhängender Handlungsverlauf, ein dramatisierter Plot mit Höhepunkten und Wendepunkten, starke Hauptfiguren und vieles mehr. Diese Regelmäßigkeiten, kurz Regeln genannt, können bei allen Romanen auftreten, einzeln oder auch alle gemeinsam.

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich immer wieder viele Menschen mit diesen Regeln beschäftigt, früher Bühnenstücke daraufhin analysiert, später auch andere Werke wie Romane und Filme. Einer der ersten, der über diese Regeln geschrieben hat, war Aristoteles in seinem Buch „Poetik“, das etwa um 335 v. Chr. entstanden ist. Nach ihm haben sich viele andere damit beschäftigt wie der Dramatiker Gustav Freytag (1816 – 1895) oder auch Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) und Friedrich Schiller (1759 – 1805). Deshalb gibt es viele theoretische Werke, die sich mit diesen Regeln beschäftigen und diese auch zum Teil sehr detailliert beschreiben.

Betrachte ich nun die Romane auf dem Kontinuum, so gehe ich davon aus, dass diese Romane sich darin unterscheiden, wie sie mit den Regeln des traditionellen Erzählens umgehen. Heftromane setzen diese Regeln sehr schablonenhaft um, das macht diese Geschichten so vorhersehbar. Die Bücher des Mainstreams bemühen sich ganz im Sinne McKees darum, die Regeln zwar umzusetzen, aber überraschende und einzigartige Werke zu schaffen. Das heißt, die Regeln werden frei interpretiert, sind aber dennoch umgesetzt.

Je weiter wir uns auf dem Kontinuum auf die den Heftromanen gegenüberliegende Seite bewegen, weg vom Mainstream in Richtung literarische Romane, desto mehr haben wir es mit Kunst zu tun. Und Kunst heißt, Regeln brechen. Das heißt, in literarischen Romanen werden ein oder zwei oder sogar alle Regeln des traditionellen Erzählens gebrochen.

Doch es gibt noch weitere Unterschiede, beispielsweise die Sprache. Bei den Heftromanen steht die Geschichte im Vordergrund. Die Sprache dient hier in erster Linie als Medium, um die Geschichte zu erzählen. Entsprechend unauffällig und unaufgeregt ist die sprachliche Umsetzung der Texte. Je weiter wir uns auf diesem Kontinuum in Richtung Kunst bewegen, desto eigenständiger wird die Sprache. Desto wichtiger wird ihr Anteil am Werk. Handelt es sich um einen literarischen Roman, so ist die Sprache meist ein eigenständiger Teil des Kunstwerks, der wesentlich zur Ästhetik des Werkes beiträgt.

Auch der Umgang mit der Realität und der Abbildung des normalen Lebens ist sehr unterschiedlich. Heftromane bleiben oft nahe am Alltagsleben, sie spiegeln die Wünsche, Träume oder Ängste vieler Menschen. Die Romane des Mainstreams dagegen bewegen sich meist weit weg von der Realität, sind phantasievoll, kreativ und überraschend. Literarische Romane dagegen bemühen sich häufig um die Reflexion der Realität. Analysen, Betrachtungen und Reflexionen einzelner Punkte bereichern diese Werke um einen weiteren, unverwechselbaren Aspekt. Entsprechend originell und individuell sind diese Werke, was sie mit allen Kunstwerken gemeinsam haben.

In den Künsten wie Musik und Malerei ist es üblich, sich intensiv mit den Regeln und Regelmäßigkeiten zu beschäftigen, beispielsweise mit Tonarten und Farbkomposition. Je besser man die Regeln kennt und sie in einem Werk umsetzen kann, desto gezielter kann man sie brechen. Große Künstler*innen wie Picasso haben sich zunächst intensiv mit den Grundlagen ihrer Kunst beschäftigt, bevor sie begannen, die Regeln zu brechen und Neues zu schaffen.

Kunst heißt außerdem, eine möglichst große Wirkung zu erzielen. Je geringer die Mittel und je größer die Wirkung, desto kunstvoller. Gemäß diesem Grundsatz interpretieren literarische Romane die Regeln des traditionellen Erzählens sehr frei oder brechen sie. Je größer die Wirkung des Romans und je eigenwilliger das Schreiben, desto eher wird ein Roman der Literatur zugerechnet. Natürlich ist dabei die Beurteilung der Wirkung eines Romans sehr subjektiv, wie wir es auch in anderen Künsten beobachten.

Doch nicht selten macht sich bemerkbar, dass die Regeln des traditionellen Erzählens darauf abzielen, Spannung aufzubauen. Heftromane nutzen altgediente Muster und ein begrenztes Repertoire an Stoffen. Da die Regeln des traditionellen Erzählens sehr schablonenhaft umgesetzt werden, ist der Spannungsaufbau überschaubar. Romane des Mainstream dagegen interpretieren die Regeln sehr viel freier und schaffen eigenwillige, neue Werke. Trotzdem sind sie noch regelhaft genug, dass die Geschichten sehr viel Spannung aufbauen. Je mehr Regeln gebrochen werden, desto größer ist das Risiko, dass die Spannung auf der Strecke bleibt. Deshalb erreichen etliche literarische Romane nur ein begrenztes Publikum. Denn viele Leser*innen schätzen es, wenn ein Roman spannungsvoll geschrieben ist.

Doch es gibt auch Gegenbeispiele: Literarische Romane, die viele Regeln sehr eigenwillig umsetzen und damit ein hohes Maß an Individualität erreichen, und dennoch ein breites Publikum ansprechen. Diese Romane brechen die Regeln so gekonnt, dass die Spannung nicht auf der Strecke bleibt. Dazu gehört für mich beispielsweise „Das Parfum“ von Patrick Süskind, erstmals erschienen 1985 in der Schweiz.

Und natürlich können alle Romane, egal ob Klassiker, Mainstream oder Heftroman, einem Genre angehören – oder eben nicht. Je mehr von den Merkmalen eines Genres auf einen Roman zutreffen, desto eher ist er diesem Genre zuzuordnen. Treffen die Genre-Merkmale nicht zu oder sind es Merkmale verschiedener Genres, so ist der Roman nicht eindeutig einem bestimmten Genre zuzuordnen oder enthält einen Genre-Mix. Und ähnlich wie literarische Romane die Regeln des traditionellen Erzählens eigenwillig umsetzen oder sie brechen, gehen sie mit den Genres um. Sie brechen die Erwartungen oder setzen sie auf einzigartige, neue Weise um oder sie ignorieren sie oder sie mixen die Erwartungen gleich mehrerer Genres. Das heißt nicht, dass sie jenseits der Genres stehen. Das heißt vielmehr, dass sie oft nicht eindeutig einem Genre zugeordnet werden können, im Gegensatz zu vielen Romanen des Mainstream.

Bei diesen vielen unterschiedlichen Arten von Romanen gibt es für mich kein besser oder schlechter, keine guten oder schlechten Romane. Alle Romane haben ihre Daseinsberechtigung. Die oft ideologisch geführte Diskussion um den Wert von Romanen scheint mir vollkommen am eigentlichen Sinn von Romanen vorbeizugehen. Denn alle Romane erfüllen auf ihre Weise einen bestimmten Zweck. Egal was es ist, ob Romane unterhalten oder entspannen, ob sie erbauen, aus der Wirklichkeit entführen, zum Nachdenken anregen oder ästhetische Bedürfnisse erfüllen, ob es literarische Romane sind oder Heftromane – wenn sie ihren Zweck erfüllen, dann sind sie gut.

3.3 Komödie

Humor ist für mich kein Genre und auch kein Subgenre. Ähnlich wie die Ästhetik bei literarischen Büchern kann der humorvolle Blick auf eine Geschichte oder einen Sachverhalt hinzukommen. Folglich kann es humorvolle Bücher in allen Genres geben, das gilt für Romane ebenso wie für Sachbücher.

Humorvoll erzählte Romane werden gelegentlich als Komödie bezeichnet, eine Beschreibung, die für mich unabhängig ist vom Genre. Kurz zum Begriff der Komödie: Die Komödie als Bühnenstück hat eine sehr lange Tradition. Früher gab es für Bühnenstücke sehr umfangreiche Anforderungen, welche Eigenschaften sie aufzuweisen hatten, damit sie als Komödie eingeordnet wurden. Diesen Eigenschaften ist anzumerken, dass sie schon jahrhundertealt sind. Beispielsweise sollten die Figuren einer Komödie der Unterschicht angehören. Diese Zuordnungen sind heute nicht mehr zeitgemäß. Die heute übliche Definition, was unter einer Komödie zu verstehen ist, erscheint im Vergleich zum historischen Begriff der Komödie viel pragmatischer: Filme, Bühnenstücke und auch Romane werden als Komödie bezeichnet, wenn sie humorvoll sind und darauf abzielen, die Menschen zum Lachen zu bringen.

Das humorvolle Erzählen ist natürlich nicht auf ein Genre beschränkt. Ein Krimi kann eine Komödie sein, ebenso eine Horrorgeschichte oder ein Fantasyroman. In diesem Sinne gehe ich davon aus, dass die Kategorie Komödie zum Genre hinzukommen kann. Gleiches gilt für die Unterarten der Komödie, beispielsweise die Parodie (verzerrende Übertreibung) oder die Satire (verletzender Spott).

3.4 Zielgruppe

Klassifizierungen, die sich ausschließlich an der Zielgruppe festmachen, zähle ich nicht zu den Genres. Denn Genres lassen sich anhand der Textinhalte klassifizieren, Zielgruppen dagegen werden anhand der Merkmale der Lesenden definiert.

Alter

Es gibt eine Reihe von Ordnungsprinzipien, die sich nach dem Alter der Zielgruppe richten. Das gilt vor allem für Bilderbücher, Kinderbücher und Jugendbücher. Meist wird davon ausgegangen, dass Bilderbücher sich an Kinder bis sieben Jahre richten, Kinderbücher an Kinder ab acht und Jugendbücher an Jugendliche ab zwölf Jahren.

Seit einigen Jahren finden sich in Deutschland weitere Bezeichnungen, wie sie in den USA üblich sind: Young Adult und New Adult. Young Adult richtet sich an junge Menschen zwischen 12 und 17 Jahren, New Adult zwischen 17 Jahren bis Mitte zwanzig.

Neu hinzugekommen ist auch die Bezeichnung All Age, synonym wird gelegentlich auch der Begriff Crossover verwendet. Damit sind Bücher gemeint, die Jugendliche ab zwölf Jahren ansprechen, aber auch Erwachsene aller Altersstufen.

Jedes Genre kann es auch als Kinder- oder Jugendbuch geben. Die Klassifizierung Kinderbuch oder Jugendbuch ist nicht Teil der Genres, sondern ergänzt das Genre.

Geschlecht

LiebesromaneEntwicklungsromane