Hinweis: Wie im Vorgänger-Gedichtband »Lebenslauf« (obgleich dort nicht extra angemerkt) sind in den vorliegenden Gedichten die Satzzeichen zum Teil nicht regelkonform gesetzt.

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© 2019 Matthias Freytag

Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7494-4044-3

Inhalt

»GPS«

Wo warst du gerade

Vor fünf Minuten?

Du weißt noch

Der Szene Handlung und Text?

Und nochmals vor fünf

Und Zeitsprung zurück:

Bis jenseits von Wissen

Und auch Vermuten …

Kein Strich mehr

Von deinem – wie jedem Stück.

Was wird mit dir sein

In fünf Minuten?

Du weißt es so sicher

Wie filofaxed?

Und nochmals in fünf

Und Zeitsprung nach vorn:

Bald endet auch Ahnung –

Auf allen Routen

Entschwindet was aufquillt

Aus dunklem Born …

Erschütterung

Schau fortgeschleudert diesen kleinen Ball

Und denke dir, er bliebe schweben.

Auf ihm dann stell dir vor zu leben

Wie auf der Erde hier – sieh seinen Drall

Schnell um die eigne Achse und erkenn,

Wie auf gebognem Boden stehend

Du hinfliegst durch die Tage drehend

Auf einem haltlos eilenden

Geschoß – und wirf noch vielfach größren Ball

Und denk ihn dir aus Feuermasse

Und schweben bleibend auch und lasse

Um ihn den ersten drehn, mit einem Schwall

Von andren – und vertausendtausendfacht

Denk sie dir alle, kreiselkreisend,

Ganz ohne Ziel ins Ferne reisend –

Und du dabei – durch grenzenlose Nacht...

Gewichtung

Daß einer steigt, wie viele müssen fallen?,

Ein Leben: tausend Tode als Entgelt,

Für eine Zärtlichkeit so viele Krallen –

Ist so das Gleichgewicht der Welt?

Die Splitter Glücks auf einem Berg von Nöten:

Gilt ein Bejahen so unendlich mehr?

Und als Essenzen aller Klagen böten

Sekunden Jubels uns genug Gewähr

Für die Vollkommenheit der Schöpfungswerke?,

Und unser Hadern, statt wir voller Lob

Die Welt verehren, zeigte: wir sind Zwerge,

Die die Erkenntniskraft erst wenig hob …?

Heimweh

Was treibt mich ruhelos hinauszusehn

Und stellt sich vor mich hin als feste Scheibe,

Was heißt mich wandern mich beschwörend: bleibe,

Und hält mich so mich drängend fortzugehn?,

Was spricht zu mir und läßt mich nichts verstehn

Wenn ich die Worte, sie zu fassen, schreibe,

Was wächst aus solch zerrißnem Zeitvertreibe?

Ach, wär’s April in mir, der über den

Verwirrten Seelenhimmel seine Wolken

Dahinjagt zwischen Schattengrau und Blendung

Und allen Winter aus den Lüften fegt.

Befreites Frühlingsblühen würde folgen

Und Sommer daraus, drängend zur Vollendung

In reifer Frucht, die Samen in sich trägt.

Fremde Trilogie

I

Fremd ward mir die Heimat. Fremder

Kann die Fremde mir nicht sein.

Keine Tür führt mehr hinein,

In den Strudeln überschwemmter

Wege reißt mich’s als ein Fremder

Nur vorüber. Nicht blieb mein

Außer dem Vertriebensein,

Auch mein jahrlang eingestemmter

Ankerpfahl im Hoffnungslande

Ist verloren – riß das Seil

Mitten durch, mich überrannte

Springflutwoge. Alle Lande

Gingen unter. Nichts mehr heil

Was ich einmal Heimat nannte …

II

Immerfort von Ort zu Ort getrieben,

Irgendwo die Nacht in fremdem Zimmer,

Hin- und hergejagt von Talmi-Glimmer:

Herz das sich der Fremde hat verschrieben

Und zugrundegeht in ihren Hieben –

Was zu suchen war ich aufgebrochen?

Finde keine Spur, seit wieviel Wochen?,

Zwischen Heim- und Fernweh aufgerieben.

Alles falsch gewesen. All das Fahren

Steckt im Dreck nur fest. Mein blindes Jagen

Findet sich nur. Ferne Nikobaren

Wären ihm zu nah – zu weit. Ist innen,

Wie ein Kreisel: auch bei den Phäaken

Müßt ich Glück entbehren. Kein Entrinnen.

III

Auf dem Weg zurück, woraus ich mich entwand,

Welcher? Presse auf mich nieder zu entfliehn …

Riß nur wie entzwei: bei jedem Weiterziehn

War ich innen einer Streckbank aufgespannt.

Floh von Eismondbergen. Doch wär fast verbrannt

In der Glut des Schienenlaufs, und durch mich hin

Schnitten Rädersägen; bitter wie Strychnin

Schmeckte jeder Atemzug im fremden Land.

Durch die Nacht gefahren mach ich Raststation.

Morgen ist es endlich. Und aus Wüstenfron

Kehr ich wieder in vertrauteres Gebiet.

Heimkunft, haus-geborgen. Aber Tage drehn:

Und wohin ich fahr wird wieder Nacht erstehn.

Und der Morgen flieht ins Ferne – das mich zieht.

Weltreise

Das Wegerkunden unsres Zeitverdingens,

Und wie’s entgolten wird muß uns genügen,

Ob’s Stunden der Erfolge, des Mißlingens,

Daraus die Tage sich zusammenfügen.

Die vielen Tage dann, die zu den Jahren

Sich mehren, weiten und die wir durchqueren

Mit banger Zuversicht gleich Pilgerscharen,

Die einen namenlosen Gott verehren.

Und Jahre bilden sich zu Lebensläufen,

Und Ziele waren nichts als Raststationen,

Von denen Souvenirs sich in uns häufen,

Viel Kitsch – doch manche, die sich lohnen.