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Impressum:
© 2019 Bernd Sternal, Werner Hartmann
Herausgeber: Verlag Sternal Media, Gernrode
Gestaltung und Satz: Sternal Media, Gernrode
www.sternal-media.de
www.harz-urlaub.de
Umschlagsgestaltung: Sternal Media
Vorderseite:
Rückklappenfoto: Bundesarchiv,
Abbildungen: aus den Archiven Werner Hartmann und Bernd Sternal
sowie siehe Bildlegende
1. Auflage August 2019
ISBN: 978-3-7494-7637-4
Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
Danksagung
Bei der Abfassung dieser Arbeit sind mir von verschiedenen Seiten sehr wertvolle Hinweise und Ergänzungen gegeben worden, für die ich mich auch im Namen des Verlags herzlich bedanken möchte. In erster Linie betrifft mein Dank Herrn Fred Flissikowski aus Grieben und Herrn Jörg Helbug aus Auerbach/Vogtland, der mir die Erlaubnis erteilte, seine Erkenntnisse über einige Lancaster-Schicksale für dieses Buch zu verwenden.
Mit diesem Band 4 wird meine Reihe über den Luftkrieg in Mitteldeutschland und Niedersachsen abgeschlossen. Mein besonderer Dank gilt auch dem Verlag Sternal Media in Gernrode.
Werner Hartmann im Juli 2019
Freund-Feind-Kennung
Der Luftkrieg des Zweiten Weltkriegs war eine völlig neue Kriegsform. Seit dem Ersten Weltkrieg hatte sich die Luftfahrt in riesigen Schritten weiterentwickelt. Im Ersten Weltkrieg waren es noch „fliegende Kisten“, die zu einem Großteil aus Holz, Stoff, Draht, Leim und Farbe bestanden und als Bordwaffen nur kleine Maschinengewehre aufzuweisen hatten. Zudem gab es nur ein- und zweisitzige Jäger mit geringer Reichweite. Auch waren die Fluggeschwindigkeiten der Maschinen vergleichsweise gering und die Flugeigenschaften waren von einem Optimum weit entfernt.
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, hatten die Kriegsparteien die unterschiedlichsten Flugzeugtypen zur Verfügung, vom einsitzigen Jagdflugzeug bis zum viermotorigen Bomber mit zehn Besatzungsmitgliedern und großer Transportkapazität. Man hatte auf allen Seiten viel Kraft in die Entwicklung von Militärflugzeugen investiert und gewaltige Fortschritte erzielt.
Die Luftwaffe verfügte zu Beginn des Zweiten Weltkrieges etwa über folgenden Militärflugzeuge: 680 Ju 87 Sturzkampfbomber, 900 Jagdflugzeuge Messerschmitt Bf 109 (Me 109), 220 Zerstörer Messerschmitt Bf 110 (Me 110), 1390 Bombenflugzeuge Heinkel He 111 und Dornier Do 17, 450 dreimotorige Transportflugzeuge Junkers Ju 52, 45 einmotorige Doppeldecker-Schlachtflugzeuge Henschel Hs 123, 240 Marineflieger und eine gewisse Anzahl anderer Typen und Modelle. Insgesamt besaß Deutschland etwa 3.000 Flugzeuge, von denen zwei Drittel auf modernem Stand waren.
Neben dem operativen Einsatz von Flugzeugen über dem Frontgebiet zu Zwecken der Aufklärung oder Bodenunterstützung, wurden auch strategische Bombenangriffe geflogen. Die Angriffe der Alliierten zielten dabei vorwiegend auf das lothringisch-luxemburgische Industriegebiet, während die deutschen Bomber eher direkt Städte wie London angriffen.
Produktion von Messerschmitt Bf 109
Abb.: Bundesarchiv, Bild 101I-638-4221-06 / Höss / CC-BY-SA
3.0, Wikipedia01
Bei diesen ersten Luftkämpfen wuchs bei den Kriegsparteien schnell die Erkenntnis, dass es bei vielen Flugzeugen, die sich gemeinsam in einem engen Luftraum bewegten, schwer ist Freund und Feind auseinander zu halten.
Die Briten erkannten das Problem, als deutsche Jäger die britischen Bomberverbände bis nach England verfolgten, um sie kurz vor der Landung abzuschießen. Die britische Luftabwehr konnte keine Gegenwehr leisten, da sie nicht in der Lage war zwischen den eigenen und den feindlichen Flugzeugen zu unterscheiden. Und auch für die Flugzeuge untereinander war eine zweifelsfreie Erkennung oftmals sehr schwierig.
Die deutsche Luftwaffe und die Flak hatten die gleichen Probleme. Deshalb begann man zeitgleich an Systemen zu arbeiten, die eine eindeutige Identifizierung eines erkannten Flugobjektes ermöglichen sollte. Optische Kennzeichnungen, wie im Ersten Weltkrieg, hatten ausgedient, dafür waren die Flugzeuge zu schnell und erreichten zu große Höhen. Es blieben also nur elektronische Systeme und die Signalübermittlung mittels elektromagnetischer Wellen.
Man nannte diese Systeme IFF-Systeme (identification friend or foe) und auf Deutsch Freund-Feind-Erkennung. Diese Technik basiert grundsätzlich auf der Kommunikation eines Abfragegerätes mit einem Antwortgerät.
Radarstation an der Kanalküste, im Hintergrund Flak-Geschütze,
Abb.: Urheber Propagandakompanien der Wehrmacht -
Heer und Luftwaffe (Bild 101 I), 1942
Bundesarchiv, Bild 101I-356-1845-08 / Müller /
CC-BY-SA 3.0, Wikipedia02
Die Briten entwickelten die IFF-Systeme Mark I bis Mark III. Sie trugen den Codenamen Parrot. Forderte ein englisches Abfragegerät ein Flugzeug auf sich zu identifizieren, so sendete das Antwortgerät den verabredeten Code „Squawk your parrot“ (lass deinen Papagei kreischen). Die Bezeichnung Squawk wird noch heute in der Luftfahrt für den Transpondercode benutzt. Im Winter 1941/42 war es den Briten möglich, auch bei mehreren Flugzeugen präzise die feindlichen zu bekämpfen.
Natürlich unterlagen die Sendefrequenz und auch der Identifikationscode der absoluten Geheimhaltung. Konnte der Feind an diese Informationen gelangen, so war das gesamte System „verbrannt“.
Selbstverständlich arbeitete auch die deutsche Seite mit Hochdruck an einer Freund-Feind-Erkennung. Es war die Gesellschaft für elektroakustische und mechanische Apparate mbH (GEMA) aus Berlin, die diese IFF-Systeme entwickelte und zudem die ersten Sonar- und Radargeräte für das Militär.
Zu Beginn des Jahres 1941 stand dann das Bordfunkgerät FuG 25a Erstling für den Einbau in die deutschen Militärflugzeuge zur Verfügung. Das Erstling-Kennungsgerät wurde von der Bodenstation durch Umschaltung der Impuls-Wiederholfrequenz von 3.750 Hz auf 5.000 Hz aktiviert. Das Gerät antwortete daraufhin der Radarstation auf 156 MHz mit einem einprogrammierten Morsecode. Als Codegeber diente ein motorbetriebenes Nockenschaltwerk. Dieses war mit zwei Kodier-Schlüsseln versehen, die jeder einen zehn Bit langen Code darstellten. Für den Einsatz zusammen mit Würzburg-Geräten waren Zusatzgeräte nötig: ein Abfragesender mit dem Decknamen Q-Gerät (Kuh) und der Kennungsempfänger Gemse.
Der Deckname Würzburg-Gerät wurde für das von Telefunken entwickelte mobile Funkmessgerät im Dezimeterwellen-Bereich (Tarnbezeichnungen: Funk-Sende-Empfangsgerät FuSE 62 bzw. Funk-Messgerät FuMG 62; anfangs auch FMG 39; Flak-Messgerät) verwendet, das die Luftwaffe der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg in großem Umfang zur Führung der Nachtjäger und bei der Flak einsetzte.
Ansicht der
Würzburger Radarantenne
Abb.: TME 11-219 Verzeichnis
deutscher Radargeräte, Nachrichtendienst,
Abteilung Pläne
und Operationen, Büro des
Chef-Signal-Offiziers,
22. Dezember 1943,
Wikipedia03
Wie nicht anders zu erwarten setzten beide Kriegsparteien alles daran, die Identifizierungscodes des Feindes auszuspionieren oder durch technische Maßnahmen zu knacken. Dass die Wehrmacht in dieser Hinsicht erfolgreich war ist nicht überliefert, ist jedoch auch nicht vollständig auszuschließen.
Wenn wir uns vorstellen, dass bei Großangriffen der Alliierten gegen Ende des Krieges mitunter 500 alliierte Bomber, die von einer vergleichbar großen Anzahl Begleitjäger flankiert wurden, in einem begrenzten Luftraum von mehreren deutschen Jägergeschwadern bekämpft wurden, so können wir das Getümmel am Himmel erahnen. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass es, trotz ausgeklügelter IFF-Systeme immer wieder zu Fehlabschüssen kam.
Abbildung eines deutschen Riesenradars aus dem
Zweiten Weltkrieg 1945
Abb.: e TM E 11-219 "Verzeichnis deutscher Radargeräte" (eine
Veröffentlichung des US-amerikanischen
Kriegsministeriums), Wikipedia04
Dennoch wurden im Sommer 1944 die ersten britischen Mosquitos mit dem Gerät Perfectos ausgerüstet, das die deutschen FuG 25a aktivierte und damit deren Ortung ermöglichte. Die Verwendbarkeit des Erstlings wurde damit erheblich eingeschränkt, da die deutschen Nachtjäger-Besatzungen als Gegenmaßnahme die Erstling-Geräte ausschalten mussten. Neben der gravierenden zahlenmäßigen und auch technischen Unterlegenheit gegenüber den Alliierten kam nun auch diese gravierende Einschränkung im Luftkampf hinzu.
Wir wissen, dass die Briten ab Ende 1944 durch den Perfectos die deutschen Freund-Feind-systeme umgehen und sogar für ihre Zwecke missbrauchen konnten. Daher kann wohl davon ausgegangen werden, was jedoch nicht nachzuweisen ist, dass auch die US-amerikanischen Flugzeuge das britische Perfectos-Gerät nutzten.
Bis zum Ende des zweiten Weltkriegs war die deutsche Wehrmacht nicht mehr in der Lage, ein sicheres Freund-Feind-System zum Einsatz zu bringen.
Freund-Feind-Systeme sind bis heute eines der wichtigsten Bestandteile der Fliegertruppen und auch der Bodenabwehr. Kein Wunder also, dass diese Systeme zu den bestgeschützten Geheimnissen jeder Armee gehören. So erinnere ich mich als ehemaliger Flugzeugmechaniker gut, wieviel Geheimniskrämerei bei den Luftstreitkräften der NVA um diese Systeme gemacht wurde.
Die heutigen Freund-Feind-Systeme sind technisch-technologisch jedoch von denen des Zweiten Weltkriegs Generationen entfernt; Computer- und Transpondertechnik machen den Unterschied. Die Antwortgeräte heute sind Transponder, die mit einem entsprechenden kryptographischen Code ausgestattet sind. Das Abfragegerät sendet eine Anfrage an das Antwortgerät, erhält dann den Schlüssel und vergleicht die hinterlegte Übereinstimmung. Auf diese Weise lassen sich Freund und Feind identifizieren.
Luftlagekarte Planquadrate Mitteldeutschland
Karte: Archiv Werner Hartmann, Halberstadt
Karten der Flugzeugabstürze im Berichtsgebiet
Am Anfang des Zweiten Weltkriegs war die landwirtschaftlich geprägte Region der Altmark für die alliierten Luftstreitkräfte weitgehend uninteressant. Im Laufe des Krieges änderte sich diese Einstellung der Gegner Deutschlands jedoch zunehmend. Dafür gab es zahlreiche Gründe: Die Nationalsozialsten erkannten die Situation und verlagerten zunehmend militärisch relevante Industriestandorte sowie andere Institutionen von nationaler Bedeutung aus den Großstädten und Ballungsgebieten auf das flache Land, also auch in die Altmark.
(1) 15. Oktober 1940: südlich Plathe (Kalbe/Milde) an der Bahnlinie Stendal-Salzwedel wurde ein britischer Vickers-Wellington T 2464-Bomber abgeschossen.
Der Britische Bomber der 9. Staffel des Bomberkommandos der Royal Air Force war gegen 20.30 Uhr vom Stützpunkt Honington in der Grafschaft Suffolk aufgestiegen: Seine Zielzuweisung war Magdeburg. Zu jener Zeit waren die deutsche Luftabwehr und die Fliegerkräfte noch absoluter Herr der Lage. Von deutscher Seite hatte man im küstennahen Bereich Norddeutschlands, Belgiens und der Niederlande ein System von Scheinwerferanlagen installiert, das flächendeckend die deutschen Gebiete beleuchtete. Diese Anlagen waren gedacht, um in dieser beleuchteten Zone einfliegende Feindflugzeuge zu sichten und mit Nachtjägern vor Erreichung ihres Zieles abzufangen.
Der Fliegerhorst Gardelegen in der Altmark war in diese Abfangmaßnahmen eingebunden, da er nachttauglich war. Dort war zu jenem Zeitpunkt die 1.Gruppe des NJG (Nacht-Jagd-Geschwader) stationiert.
Nachdem die Wellington T 2464/WS-K gesichtet worden war, die vom Staffelführer der 9. Staffel, Squadron Leader J.O. Hinks geflogen wurde, starteten die deutschen Nachtjäger zum Abfangen.
Wrak der Vickers Wellington
Abb.: Jörg Helbig,Jörg Andreé, "...und brennend abgestürzt.",
Schicksale britischer und deutscher Flieger im Zweiten Weltkrieg
- Rekonstruktion der Ereignisse und Spurensuche in Sachsen-Anhalt,
Verlag Veit Scherzer, 2011
Es war Oberfeldwebel Gerhard Herzog mit seiner Messerschmitt Bf 110 C, der um 0.55 Uhr die britische zweimotorige Maschine bei Plathe, 13 km nördlich von Gardelegen, abschoss. Alle sechs Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben. Er bekam diesen Nachtabschuss auch anerkannt, den der Luftbeobachter Hermann Spieß bestätigte. Wilhelm Thurau aus Plathe beobachtete diesen Luftkampf und ihm sind diese Einzelheiten zu verdanken.
(2) 15. Oktober 1940: In den frühen Morgenstunden jenes Tages verloren die deutschen Nachtjäger im Bereich der Altmark ihren ersten Jäger.
Eine aus Richtung Berlin kommender zweimotoriger englischer Hampden-Bomber X 2910 (Handley Page H.P.52 Hampden) geriet gegen 3 Uhr in den Luftkampf mit einem deutschen Nachtjäger Bf 110 C-7 (Werknummer 3629). Geflogen wurde der deutsche Jäger von Leutnant Hans Georg Mangelsdorf. Im Verlauf des Luftkampfes explodierte der englische Bomber um 3.02 Uhr über der Straße Klötze-Oebisfelde in der Luft. Der englische Bomber gehörte zur 5. Gruppe der 44. Squadron. Bei der Explosion kamen 3 Besatzungsmitglieder ums Leben, eines wurde POW (Prisoner of war) – also Kriegsgefangener.
(3)