Das Buch gibt einen weiteren Teil der Lebensgeschichte des Autors wider, niedergeschrieben anhand seiner Erinnerung und seinerzeit entstandenen Aufzeichnungen.

Alle in diesem Buch vorkommenden Personen sind oder waren Personen des wirklichen Lebens. Um ihre Privatsphäre zu schützen, sind die Namen, außer dem des Autors, verändert worden.

Für die Lektoratsarbeit geht mein Dank an Frau Verena Korinth.

Quellennachweise:

Das maritime Lexikon, Herr Wesselhöft

www.wesselhoeft.net/Lexikon/Lexikon.htm

Wikipedia – Die freie Enzyklopädie

Seemannsamt Hamburg

Internet allgemein

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2019 Friedrich Synold

Umschlaggestaltung: Sophie Schütt

Satz, Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7494-4121-1

Inhalt

Vorwort

Fiete war auf dem Weg zum Kontor der Reederei Richard Schröder an der Alster in Hamburg. Auf dem letzten Dampfer, der PAUL SCHRÖDER, war ihm das Glück nicht gerade hold gewesen... in Tampa wurde er krankheitshalber abgemustert und nach Deutschland ausgeflogen. Aber nun, zweieinhalb Monate später, war gesundheitlich wieder alles in Ordnung. Fiete war topfit. Und er hatte Glück, denn im Hause der Reederei Schröder wurden gerade Leute gesucht. Ein Mannschaftswechsel auf der CLARITA SCHRÖDER stand an.

Allerdings musste er sich dafür schnellstens mit der Bahn nach Marseille begeben.

Datenblatt: MS.CLARITA SCHRÖDER

Eigner: Reederei
Richard Schröder
Hamburg
Bereederung: Reederei Schröder
Unterscheidungssignal: DAON
Heimathafen: Hamburg
Länge: 115,01 Meter
Breite: 16,46 Meter
Tiefgang: 8,93 / 7,00 Meter
Tonnage Volldecker
GRT:
NRT:
Tdw:
Tonnage Freidecker
GRT: 5.024 t
NRT: 3.264 t
tdw: 7.190 tdw
Cont. Stellplätze
Hauptmotor: 2 Viertakt – Zehnzylinder - Motoren
über Getriebe mit zusammen 4.200
Pse, gebaut von MAN Augsburg
Geschwindigkeit: 15 Knoten
Bauwerft: Orenstein & Koppel und, Lübecker
Maschinenbau Gesellschaft, Lübeck,
Bau Nr. 546
Stappellauf: 11.03.1959
Indienststellung: 1959
Charter Namen: als CLARITA 1978 an die Fiddel
Shipping Ltd. Limassol (Cyp)
Verbleib: 1979 an die National Daring Cia
Nav. SA. Piräus, Griechenland
1979 Mgr. Gold Marine Co. Ltd.
1980 an die National Daring Shipping
Co. SA. Piräus, Griechenland
1982 an die Eri Blue Shipping Co. Ltd.
Valetta (MLT)umbenannt in »Luzon«.
22.09.1982 an Gadani Beach / Pakistan
zum Abbruch.

Erste Reise

MS.»CLARITA SCHRÖDER«

Madagaskar

Anmustern, Küstenreise

Im Laufe des 24. Novembers 1972 trudelte Fiete in Marseille, 45° 17’54. 65« N / 05° 22’07. 44« O, ein und begab sich unverzüglich an Bord seines neuen Arbeitsplatzes, der Clarita Schröder.

An Bord wurde er sofort zum Funker weitergeleitet, welchem er dann sein Seefahrtsbuch mit inliegendem Heuerschein übergab. Kurz darauf wurde er beim Bootsmann vorstellig, der ihn zum Achterschiff führte, um ihm seine neue Kammer zu zeigen.

Hotel zur Schraube!

Die Einrichtung der Kammer war wie auf anderen Dampfern, auf denen er sich in seiner bisherigen Laufbahn bewegt hatte, zweckmäßig und ohne überflüssiges Beiwerk. Er richtete sich ein und nach einer Weile ging er, nun bekleidet mit seinen Arbeitsklamotten, an Deck, wo er auch schon vom Bootsmann erwartet wurde.

Der Bootsmann war von kleinem Wuchs, hatte eine ordentliche Wampe, ein rundes Gesicht, eingerahmt von einem schon etwas angegrauten Haarschopf. Seine Augen blinzelten ab und an mal, ansonsten blickten sie gelassen in die Welt. Seine Nase war wie eine Knolle, die immer rötlich leuchtete und von blauroten Äderchen durchzogen war. Ein gutes Zeichen dafür, dass er sobald sich die Gelegenheit bot, einem guten Tropfen nicht abgeneigt war, wie sich später noch herausstellen sollte.

Er spuckte nie ins Glas.

»So, mein Junge«, begann der Bootsmann einleitend: »wie du wohl schon mitbekommen hast, Lade- und Löschbetrieb, volle Lotte!

Du gehst mit Paul, seines Zeichens auch Matrose, zu Luke eins und deckst mit ihm den Unterraum auf. Paul weiß Bescheid und wird dich richtig einweisen. Nur zu deiner Info: Wir sind für einen Franzmann in Charter und haben eine lange Küstenreise hier auf dem Kontinent vor uns. Wir klappern also sehr viele französische Häfen ab, rauf und wieder runter. Außerdem wird während der Küstenreise fast die komplette Crew gechincht. Ihr habt heute erst den Anfang gemacht. Und denk dran, wenn du hier gut mitspielst, kannst du ordentlich Überstunden reißen. Das sollte dann überhaupt kein Problem darstellen.«

»Gut Bootsmann, alles klar!«, war die kurz gehaltene Antwort von Fiete.

Fiete in voller Montur auf dem Achterdeck der Clarita Schröder 1973

»Okay, denn zisch man ab zu Luke eins. Paul kannst du sofort erkennen, er ist etwas kräftig und hat einen schwarzen Wuschelkopp. Er sieht aus wie ein Kümmeltürke.«

Fiete klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie an und meinte nur lakonisch »Okay«, wobei er sich anschickte nach Luke eins zu gehen.

Was hätte er dem Bootsmann auch sonst erwidern sollen.

Und tatsächlich bestätigte sich die Aussage des Bootsmannes sogleich, als Fiete bei Luke eins eintraf.

Paul war kräftig an der Hüfte, aber nicht zu sehr, hatte einen leicht olivfarbenen Teint und pechschwarze Zotteln auf dem Kopf. Ansonsten wirkte er auf Fiete vom Aussehen her total normal.

»Hallo«, begrüßte Fiete Paul recht freundlich und dieser grüßte ebenso zurück.

»Na, was bist du, der erste neue Decksmann oder Matrose vom Bestatzungswechsel?«

»Ich bin Fiete, Matrose. Ich höre immer und überall Besatzungswechsel? Was ist hier denn los? Kann mich mal jemand aufklären?«

Fiete blickte Paul mit großen, fragenden Augen an.

»Das erzähle ich dir später, lass uns man jetzt die Zwischendecks-Pontons an Deck hieven. Du gehst mit Ulli ins Zwischendeck und schlägst die Pontons an. Ulli, unser letzter Leichtmatrose, geht auch, er hat nur noch ein paar Tage.«

Paul wies auf einen total verlottert wirkenden, schlaksigen, jungen Mann neben sich.

»Wir schnacken später und lass dich von Ulli nicht so vollsülzen, er hat sowieso keinen richtigen Bock mehr.«

»So ab in die Luke und schlagt die Ponton-Deckel vernünftig an, ich lande sie an Deck. Alles klar?«

Dabei drehte er sich um und gab dem Kranfahrer auf dem Kai-Kran ein Handzeichen und der setzte den Kran in Bewegung, schwenkte seinen Ausleger in die Lukenmitte der Luke eins. Der Hahnepot hing bereits am Kranhaken und senkte sich allmählich in die Luke.

Fiete und Ulli warteten bereits im Zwischendeck und schlugen den ersten hölzernen Pontondeckel an. Zügig hievte der Kran Pontondeckel für Pontondeckel aus dem Zwischendeck und nach nicht allzu langer Zeit waren der Lukenschacht des Unterraumes bar seiner Abdeckung und die dort lagernde Ladung bereit zum Löschen.

Die französischen Schauerleute standen bereits abwartend an der Lukenkimming, als Fiete und Ulli wieder das Hauptdeck betraten.

Paul gab ihnen einen Wink: »Kommt wir gehen nach Achtern und machen eine Smoke. In einer Stunde ist sowieso Ausscheiden.«

Fragend blickte er Fiete an: »Was ist mit dir? Heute Abend an Land? Gibt echt geile Weiber hier.«

»Nee, nee, lass man stecken. Erstens sind mir hier einfach zu viele abgehalfterte Fremdenlegionäre und zweitens habe ich auch keine Mücken, bin einfach blank. Muss erstmal ein paar Überstunden kloppen, damit ich endlich wieder etwas flüssig bin. Die Küstenreise dauert ja noch.«

»Okay, ist schon richtig, von nichts kommt nichts!«

Die Docker arbeiteten in mehreren Schichten, ergo auch die ganze Nacht durch. Sollten sie es schaffen während ihrer Schicht den Unterraum komplett zu löschen, dann würde auch sofort wieder für Tamatave, den letzten Löschhafen auf Madagaskar zugeladen.

Die Ladung stand schon bereit.

Im Verlauf des nächsten Vormittages sollte die Clarita bereits wieder auslaufen. Den nächsten Hafen den sie anlaufen sollten war Dünkirchen. 51° 17’54. 65« N / 05° 22’07. 44« O

›Die kleine Reise durch die Biskaya und den englischen Kanal wird wohl schon eine Woche in Anspruch nehmen. Während sich die Küstenreise fortsetzt, könnten wir ja schon mal die Unterräume aufklaren.‹, waren die Gedanken die durch Fietes Gehirn wanderten.

In Dünkirchen sollte dann volles Rohr geladen werden, allerdings lagerten noch Teile der Ladung in Lagerschuppen von Rouen sowie Bordeaux.

›Hoffentlich sind bis Bordeaux auch alle fehlenden, neuen Leute an Bord. Aber nicht mein Problem.‹

Fiete trieb die Neugier einfach um.

»Sag mal, weshalb hauen hier denn eigentlich so viele Leute ab?«, tief sog Fiete den Rauch seiner Zigarette ein und blickte fragend zu Paul hinüber.

»Menschenskinder, etliche Crewmitglieder sind schon eine recht lange Zeit an Bord, darunter sind natürlich auch einige, die jetzt ihr Schröder-Jahr absolviert haben. Dichter als im Augenblick kommen wir nicht an Hamburg heran. Das hier ist nun die beste Chance für die Jungs um abzumustern.«

»Was ist denn überhaupt ein ›Schröder-Jahr?‹ Oder was muss ich darunter verstehen?«

»Weißt du das tatsächlich nicht? Ach so, du bist ja kein Reederei-Fahrer. Okay, ein ›Schröder-Jahr‹ will heißen, du bist 18 Monate durchgehend an Bord und da wir in dieser Zeit durch die ganze Weltgeschichte gegurkt sind, dabei allerdings eine sehr gute Zeit und Häfen hatten, bietet sich hier an der Küste nun die beste Gelegenheit abzumustern.«

»Mannomann, 18 Monate an Bord, das ist aber ein ganz schön langer Törn.«

Fiete blickte Paul beinahe ehrfurchtsvoll an.

»Aber ganz geile Reisen, mein Freund, das schwöre ich dir nackend in die Hand. Da verrinnt die Zeit beinahe unmerklich.«

»Na, da lasse ich mich ja mal überraschen, was uns auf unseren Reisen alles erwartet.«

Urplötzlich wechselte er das Thema: »Hier an der Küste bei den Franzmänner hätte ich an und für sich mit besserem Wetter gerechnet«, dabei blickte er mit Sorgenfalten auf der Stirn zum dunklen, wolkenverhangenen Himmel.

»Und saukalt ist es auch noch.«

»Na, nun lass man, Hauptsache ist doch, dass es dabei nicht auch noch regnet! Okay, dann lasst uns man in die Messe gehen und essen.«

Auf dem Weg nach Achtern kam ihnen der Bootsmann entgegen und augenblicklich sprach er die beiden an.

»Paul, du machst jetzt ja Ausscheiden?«

Paul nickte zustimmend.

»Fiete, was ist mit dir? Du bist ja richtig ausgeruht«, meinte er, zwinkerte irgendwie kumpelhaft: »Du könntest ja mit Deckswache gehen, bis Mitternacht?«

»Ja, geht klar, überhaupt kein Problem.«

»Gut, dann geh man in die Messe zum Essen und danach meldest du dich bei der Nachtwache an der Gangway.«

»Okay!«

Das Abendessen war sehr schmackhaft, aber recht flott erledigt und danach begab Fiete sich zur Gangway, um sich zur Nachtwache zu gesellen.

Es gab allerdings nicht sehr viel zu tun in der Zeit bis Mitternacht, nur hier und da mal den Schauerleuten zur Hand gehen. Und so zogen sich die Stunden hin. Fiete war um Mitternacht heilfroh, abgelöst zu werden, um dann unverzüglich seine Koje aufzusuchen.

Am nächsten Tag im Verlauf des Vormittages hieß es »Klar Vorn und Achtern« und die Clarita verließ, seeklar, Marseille, um vorerst einmal die freie See zu erreichen, weiter durch das beinahe winterlich, unruhige Mittelmeer zu pflügen, mit Kurs auf die Straße von Gibraltar.

Nachdem die Clarita Schröder Gibraltar passiert hatte und in dem Nordatlantik auf westlichen, später auf nördlichen Kurs ging, wurde die See doch etwas unruhig.

Aus West blies der Wind hier nun schon mit sechs bis sieben Beaufort und er ließ den Dampfer ordentlich rollen. Dieser Teil der Küstenreise sollte so circa neun Tage in Anspruch nehmen.

Da die Clarita nur zu einem Teil angeladen war, als Ballastschiff aber weit aus dem Wasser herausragte, wurden einige Tagelöhner und Wachgänger zum Lukenreinigen eingeteilt. Die zweite Hälfte der Leute wurde zum Reinigen aller beweglichen Teile an den Lukendeckeln beordert.

Es war zwar saukalt und ein kräftiger Wind fegte über das Deck, aber glücklicherweise war es verhältnismäßig trocken.

Etwas Salzwasserspray hing ja immer in der Luft, damit lebten die Jungs vom Deck. Die Arbeiten gestalteten sich als gut machbar und so kamen die Jungs gut voran und bis Dünkirchen waren die beweglichen Teile aller Luken gut im Fett und alles wieder gangbar.

Am späten Nachmittag eines weiteren grauen Tages Anfang Dezember liefen sie dann Dünkirchen 51° 02’38. 91« N / 02° 21’15. 75« O an.

Nach einer kurzen Revierfahrt machten sie an der Stückgutpier, in der Nähe der Route du Quai de Saint-Pol, fest.

Fiete fühlte sich auf der Clarita recht wohl, hatte sich gut eingelebt und war nun auch fester Wachgänger der 08:00/12:00 Wache.

In der Mannschaftsmesse trieb Klaus, der Messbüdel, sein Unwesen. Ein unkomplizierter junger Mann aus Hamburg mit etwas längerem, strähnigen Haar, Brille und losem Mundwerk, aber Fiete verstand sich auf Anhieb mit ihm. Was auch die komplette Zeit auf der Clarita anhielt.

In Dünkirchen kamen dann auch weitere neue Besatzungsmitglieder an Bord. Klaus, E-Assi, Manfred, Ing.-Assi, Norbert, Decksmann und der Bäcker-Kochsmaat Michael. Nun konnte man sich endlich wieder ein paar Namen merken, denn Fiete ging davon aus, dass die ›Neuen‹ auch eine gewisse Zeit an Bord blieben.

Die Küstenreise war natürlich weiterhin hektisch, ein ewiges Auf und Zu der Luken war dem winterlichen Wetter geschuldet. Denn die Kartonage, die bereits geladen war, durfte auf keinen Fall nass werden.

In Dünkirchen waren dann aber auch die letzten Stückgüter gelöscht und die Deckscrew konnte sich voll auf die Verladearbeiten konzentrieren. Einige der Jungs waren immer in den Luken im Einsatz, um die verschiedenen Partien für die verschiedenen anstehenden Löschhäfen zu markieren und separieren.

Von Dünkirchen ging es weiter nach Rouen, 49° 26’49.91« N / 01° 03’21. 75« O, an der Seine.

In Rouen stiegen weitere neue Leute ein und die, die Fiete nun schon kennengelernt hatte von der alten Crew, die verschwanden allmählich.

Der neue Koch, Jürgen und ein Leichtmatrose, Uwe vervollständigten die Crew. Die Kombüse hatte komplett neue Leute. Somit konnte sich das ja nur positiv auf das Wohlergehen an Bord auswirken.

Weiter ging die, unter Spannung verlaufende, Küstenreise.

Nach Ladeende in Rouen und Auslaufen wurde auf der Seine seeklar gemacht. Denn nun ging es wieder durch den englischen Kanal, danach nach Süden, hinein in die Biskaya, zum letzten Ladehafen in Frankreich, nach Bordeaux. 44° 50’31. 33 N / 00° 33’58. 92 W

Obwohl Bordeaux der letzte Ladehafen war, lag die Clarita schon gut im Wasser, sehr viel Freibord war da nicht mehr. Es wurden noch einige der 20-Fuß-Container an Deck geladen, da die Clarita noch keine Vorrichtungen für die Container Ladung hatte, weder in den Luken noch an Deck. Deshalb wurde also eine doppelte Lage Stauholz an Deck platziert, sodass die Containerfüße genau auf dem Stauholz abgesetzt werden konnten.

Das Stauholz unterbindet, unter Druck auf Stahl die Rutschgefahr. Der Laschgang der Franzmänner erledigte die restlichen Lascharbeiten, damit die Container bei Seegang nicht zu wandern begannen.

In Bordeaux kamen noch die letzten neuen Leute an Bord und am 20. Dezember war die Crew endlich komplett. Fiete war nun schon fast einen Monat an Bord, als sein Dampfer am 22. Dezember voll abgeladen, endlich den Hafen von Bordeaux verließ mit Kurs auf Südafrika.

Endlich war die Küstenreise Geschichte. Die Reise ging nach Tamatave … Das Ziel stand fest, Madagaskar, im indischen Ozean. Die voraussichtliche Dauer der Ausreise nach Madagaskar sollte 30 Tage Seetörn betragen. Die Seewachen waren eingeteilt und besetzt, somit war alles im grünen Bereich. Ruhig zog die Clarita ihre Bahn und durchpflügte das Wasser des Atlantiks mit südlichem Kurs.

In zwei Tagen war Heiligabend. Fietes erstes Weihnachten auf der Clarita Schröder!

Madagaskar Reise – Bordeaux / Tamatave

Der erste Seetag, wie konnte es anders sein, begann natürlich damit, klar Schiff zu machen: Farbewaschen an sämtlichen Aufbauten, Mittschiffs und Achtern.

Fiete klingen heute noch die Worte des Bootsmannes in den Ohren, so als wäre es gestern gewesen, sein Spruch vor versammelter Deckscrew in der Mannschaftsmesse lautete: »Und Jungs, bedenkt mir eins! Unser Dampfer ist im besten Alter für ein Schiff und die Arbeit wird uns sicherlich nicht ausgehen!«

Wie immer er das auch gemeint haben mochte, er sollte Recht behalten.

Nachdem sie allesamt die Messe verlassen hatten, sprach Paul Fiete an.

»Komm mit, wir machen Mittschiffs die Aufbauten, der Scheich hat die Anderen für die Back und das Hauptdeck eingeteilt. Ist für dich auch besser wegen deiner Wache, falls der »Piepstengler«, der Zweite Offizier, Herr K. dich doch mal braucht. Norbert und Uwe sind auch noch bei uns. Lass uns man auch gleich zwei Pützen mit Kaustik-Soda (Natriumhydroxid) anmischen zur Reinigung des Holzdecks.«

Zügig war alles vorbereitet, ein Frischwasserschlauch für die weiß gestrichenen Aufbauten, etwas Scheuermittel gegen die Roststreifen, die sich unter den Scharnieren der Schotten zeigten. Natürlich gehörten ein paar Schwabber und Lappen auch dazu.

Zwischenzeitlich waren auch schon alle Herkulestampen, an denen die Schietbrooken, seit dem Auslaufen aus Bordeaux Außenbords hingen, gekappt und der lästige Inhalt: Holzreste, Fegsel, Dreck, Abfälle und Sonstiges mehr, was sich so im Laufe der Küstenreise nach den Reinigungsarbeiten angehäuft hatte, war bereit im grauen Wasser des Atlantiks zu versinken.

Das Meer war gnädig. Das Wetter war im Moment ganz brauchbar, es herrschte fast kein Wind, der Himmel war bedeckt und es war immer noch ziemlich frisch.

Und dann ging es los, irgendwie freuten sich alle wieder unter sich und endlich auf See zu sein: alles geregelt, Wache gehen, zutörnen, Überstunden kloppen… endlich wieder richtig Geld verdienen.

Das Farbewaschen ging den Vieren ganz flott von der Hand. Der Schmutz und Staub der europäischen Seehäfen verschwand peu à peu. Unter den Scharnieren der Schotten hatten sich deftige Roststreifen gebildet, die auch entfernt werden mussten, denn die Küstenreise hatte sich doch ziemlich in die Länge gezogen.

Irgendwann meinte Norbert: »So, Jungs, ab geht’s, Smoke-Time!«

In der Messe angekommen war nichts von Messbüdel Klaus zu sehen. Nichts war aufgebackt. Also holten sie sich selbst den Kaffee und die Muggen aus der Pantry und setzten sich an ihre Back.

Plötzlich erschien Klaus, etwas außer Atem mit einem leicht geröteten Gesicht. Seine langen Haare hingen wirr an seinem Kopf herab und der Blick durch seine Brille wirkte etwas unstet.

»Hast du dir wenigstens deine kleinen Wichsgriffel gewaschen?«, rief Paul quer durch die Messe und Klaus errötete augenblicklich bis in die Haarspitzen. Er wirkte scheinbar ertappt.

Fiete blickte Paul über die Back hinweg fragend an.

»Tja Fiete, musst du wissen, unser Klaus ist immer etwas notgeil und zieht öfter mal am Bändsel!«

Paul grinste nur verschmitzt. Fietes Blick ruhte weiterhin irritiert auf Paul.

»Du meinst, er geht los und schüttelt sich einen?«

Fietes Blick war immer noch total ungläubig.

»Wat bist du blauäugig, natürlich, der Bengel schüttelt sich jeden Tag bestimmt ein-, zweimal sein Ding.«

Und beinahe schon ernsthaft entrüstet schaute Norbert Fiete an: »Hast du das etwa noch nicht mitbekommen?«

Dann fuhr er ganz relaxt fort: »Ganz alte Geschichte, er muss nur aufpassen, dass er keine Blasen an den Händen bekommt!«

Nun begannen natürlich alle herzhaft zu lachen, Klaus hatte sich derweil in seine Pantry verzogen.

An der Nachbarback saß der blonde, hochaufgeschossene Jungzimmermann Jochen und zog sich schon mal ein Bier rein. Norbert warf nur einen kurzen Blick hinüber, während er etwas abfällig meinte: »Er kann es einfach nicht lassen, ist schon wieder bei der ersten Smoke am Saufen!«

Paul nickte zustimmend, sagte aber etwas nachdenklich: »Lass ihn doch, ist doch nicht dein Problem. Los, Attacke, hoch die morschen Knochen, es geht weiter.«

Und damit war die Smoke-Time auch beendet.

Paul, Norbert, Fiete und Uwe waren den ganzen Tag über intensiv mit Farbewaschen beschäftigt und hatten beim Ausscheiden zwei Drittel der Aufbauten gereinigt.

Der Scheich hatte zwischenzeitlich auch mal vorbeigeschaut, genickt und war sofort wieder verschwunden.

»Hast du das mitbekommen?«

Norbert sah Fiete an: »Dass er etwas rumeiert und ’ne Fahne hat? Das ist mir schon öfter aufgefallen.

Vielleicht hat er Probleme. Er sieht ja nun auch nicht gerade wie ein Adonis aus. Okay, damit muss er selbst klar kommen.«

Damit war das Thema vorerst abgehakt.

Nach dem Abendessen saßen alle noch in der Messe beisammen, quatschten über Dies und Das und tranken dabei ein Bier zusammen. Danach seilte Fiete sich ab, ging duschen und machte sich fertig für die 08:00/12:00 Wache. Er hielt noch ein kleines Nickerchen auf der Backskiste und dann ging es für ihn auf die Brücke: Wachablösung.

Der Zweite Offizier, Fietes Wachoffizier, Herr K. war bereits auf der Brücke und hatte seine Wache übernommen, ebenfalls verweilten der Kapitän und der Erste Offizier noch im Ruderhaus. Alle begrüßten sich freundlich und nach kurzem Wortwechsel verabschiedeten sich der Kapitän und der Erste mit einem: »Gute Wache!«

Der Wachtörn war ruhig und Fiete hing seinen Gedanken nach, betrachtete die Sterne und natürlich das Seegebiet vor ihnen, um im Zweifelsfall entgegenkommende oder querlaufende Schiffe sofort zu melden. Aber es war einfach nichts los und so weckte er pünktlich die nachfolgende Wache und begab sich kurz nach Mitternacht in seine Koje.

Am nächsten Morgen wurden die Reinigungsarbeiten von Paul, Norbert, Uwe und Fiete mit Erfolg im Mitschiffsbereich fortgesetzt und nachmittags, so gegen 05:00 Uhr waren sie fertig und dann stand das Ausscheiden an.

Sonnabend auf See, nachmittags, allgemeine Kammerstunde!

Die Tagelöhner genehmigten sich schon mal das eine oder andere Bier beim Reparieren ihrer Klamotten oder dem gründlichen Reinigen der Kammer.

Die Kammerstunde war immer ganz locker und die Stimmung meistens prächtig.

Die Sonne hatte auch schon mal versuchsweise durch die immer noch dicke Wolkendecke gelugt, dort wo der Wind die Wolken aufgerissen hatte.

Und die Temperaturen stiegen stetig, langsam wurde es wärmer.

Am nächsten Tag, Sonntag, war Heiligabend.

Achterkante Mittschiffs hatte die Deckscrew bereits eine große Persenning über die beiden gesicherten Ladebäume der Luke drei gespannt und die Lukendeckel mit einigen Tischen und Bänken bestückt. Ein herrlicher Platz zum Feiern oder Relaxen.

Die Luke drei war zur Partyzone umgestaltet worden!

Am Sonntag, dem Heiligabend, war bis Mittag Zutörnen angesagt.

Fiete war mit Uwe auf der Back und sie versuchten, am Ankergeschirr den Rost zu entfernen.

Achterkante Aufbauten, über den Ladebäumen der Luke drei
kann man gut die Persenning erkennen.

Roststecken, Rostschutz auftragen: das war der Auftrag.

Es wollte kein gescheites Gespräch aufkommen, jeder verrichtete stoisch seine Arbeit und hing dabei seinen Gedanken nach.

Ab Mittag war das Zutörnen beendet, auf dem Schiff herrschte absolute Ruhe. Jeder stimmte sich ein klein wenig auf Heiligabend ein.

Sonntagabend 06:00 Uhr, sie schrieben den 24.Dezember 1972.

Der Dampfer befand sich Heiligabend auf der Höhe von Porto.

Kein Weihnachtsbaum schmückte den Vormast und die voll abgeladene Clarita durchpflügte den Atlantik immer noch auf südlichem Kurs.

Alle saßen irgendwie erwartungsvoll in sehr ordentlichen sauberen Klamotten in ihrer Messe. Einer der Seelords hatte seinen Tangodiesel aufgestellt und von dort her erklang leise, beinahe zaghaft, Weihnachtsmusik. Und dann tischte Klaus auf, die Augen der Jungs wurden immer größer. Es duftete mit einem Mal nach Gänsebraten, Rotkraut und dicker, brauner Soße.

Klaus gab sich die größte Mühe mit den Vorbereitungen und wurde dabei tatkräftig von Uwe unterstützt.

Da hatte der Smut sich aber nicht lumpen lassen und zur Ehre des Tages ein richtiges Festmahl auf die Beine gestellt.

Und die Jungs hauten ordentlich rein, denn das war das Beste, was sie seit langer Zeit vorgesetzt bekommen hatten. Da hatte der Koch mal so richtig gezaubert.

Die Stimmung war ausgezeichnet.