Dies Buch handelt von der so brennenden Krise, in der heute Religion und Wissenschaft stehen. Eine Krise, die unter Umständen zu einer ungeheueren Gefahr für die europaeische Sozietät werden kann. Angesichts dieser Gefahr aber kommt alles auf den glücklichen und endgültigen Austrag des heute so bedenklich in der Schwebe hängenden Problems der exakten Naturwissenschaft an. Das aber will besagen: darauf, daß die völlige Brüchigkeit und Unmöglichkeit der gegenwärtigen mechanistischen Wissenschaft und ihrer Prinzipien ausgesprochen wird. Im besonderen aber kommt alles darauf an, daß man endlich die höchst positive, sichere und im erkenntnistheoretischen, was schließlich bedeutet: religiösen Betracht durchaus ausschlaggebende Bedeutung zweier glorreicher Errungenschaften der bisherigen exakten Naturwissenschaft, an denen diese neuerdings aber höchst bedenklicher und gefährlicher Weise wieder irre geworden ist, daß man die ausschlaggebende, religiöse Bedeutung der Entwicklungstatsache und der Tatsache der Erhaltung einheitlicher Kraft – ich sage besser und exakter: Polarität! endlich mit vollstem Bewußtsein ihrer unausweichlichen Notwendigkeit, ja ihrem hypothesenfreien Charakter nach erfaßt! Denn in Wahrheit beruhen diese beiden so überaus wichtigen wissenschaftlichen Ausmachungen auf Grundlagen, denen unausweichlich axiomatischer Charakter eignet, so daß es durchaus nicht mehr angeht, sie als bloße Hypothesen zu behandeln! –
Soviel über den wesentlichsten Inhalt des vorliegenden Buches.
Aus mehr als einem Grunde mag es sich aber lohnen, daß ich auch noch ein Wort über meinen astronomischen Standpunkt verliere, der im Zusammenhange dieser Arbeit und der Erörterungen über die wissenschaftliche Krise, die sie bietet, wenn auch nur ganz kurz angedeutet, von sicherlich nichts weniger als nebensächlicher Bedeutung ist.
Die Öffentlichkeit weiß von meiner astronomischen Angelegenheit und der von mir ausgesprochenen Unhaltbarkeit der kopernikanischen, heliozentrischen Anschauung. Diese Angelegenheit ist nun neuerdings insofern in ein neues Stadium eingetreten, als meine geozentrische Feststellung inzwischen von zwei Seiten her eine fachmännische Zustimmung erfahren hat.
Ich stand seit Spätsommer vorigen Jahres, anläßlich meiner damaligen Veröffentlichungen in »Nord und Süd«, in einem sehr regen und ausführlichen Briefwechsel mit Ph. Fauth, dem bekannten Mond- und Planetenforscher und Besitzer des Planetographischen Observatoriums zu Landstuhl i. d. Pfalz. Dieser Briefwechsel hat inzwischen aber insofern zu einem nicht unwichtigen Ergebnis geführt, als Herr Fauth mir in einem Brief vom 31. März d. J. ausdrücklich zugestand, daß die Logik meiner geozentrischen Feststellung, die ich ihm, was ich öffentlich bisher noch nicht getan, ihrem Zusammenhange nach mitgeteilt hatte, eine »unantastbare« sei.
Neuerdings kam ich dann noch, anläßlich eines ausführlichen Aufsatzes, den er mir hatte zugehen lassen, in einen nicht minder regen und eingehenden Briefaustausch mit Herrn W. Becker, einem Astronomen der Berliner »Urania«. Der Aufsatz war eine umfangreiche Polemik gegen meine vorjährigen Veröffentlichungen über die Rückläufigkeit Jupiters und der Planeten vom kopernikanischen Standpunkte aus.
Ich konnte Herrn Becker indessen auf einen inzwischen von mir in der »Nationalzeitung« veröffentlichten Aufsatz »Kosmische Rotation« hinweisen, in dem ich meine vorjährige Jupiterfeststellung öffentlich berichtigt hatte. Zugleich übermittelte ich Herrn Becker einen ausführlicheren Aufsatz, in dem ich auch ihm meine geozentrische Feststellung ihrem ganzen Umfange nach vortrug. Bald darauf erhielt ich von Herrn Becker eine Zustimmung, die noch ungleich entschiedener war, als die Einräumung, die mir vorher bereits Herr Fauth gemacht hatte.
Herr Becker schrieb mir in einem Brief vom 3. Juni d. J.:
»Ihre Kosmoslehre hat eine so innere Wahrscheinlichkeit, ja, ich halte dieselbe mit zu den durchdachtesten und verständlichsten Kosmosanschauungen. Die Beweise, die Sie für die einheitliche Geschlossenheit des Systems« (des allgemeinen, absoluten, kosmischen Systems) »mit einem Zentralkörper anführen, sind großartig detailliert.« – Ferner über die Beweise, die ich in meinen Briefen dafür aufgestellt hatte, daß außer der Erde kein Himmelskörper Achsenrotation hat:
»Da nun die Erde rotiert und die Bewegungen der Körper nur Ausweitungen der Rotation« (der Erde) »sein können, so muß dann selbstverständlich die Erde der Zentralkörper sein« … »Die Beweise für die Nichtrotation der kosmischen Körper sind überlegt durchgeführt« … »Der ständige Rhythmus von Repulsion und Kontraktion« (den ich als die wesentlichste Bewegung des kosmischen Systems und der Untersysteme nachgewiesen hatte) »läßt … keine Rotation« (der Himmelskörper) »zu«. – »Was ich in meinem großen Aufsatz« (dem oben erwähnten) »über die Rotation der Körper sagte, deren Beweise, abgeplattete Gestalt, Störungen bei den Bewegungen der Trabanten usw. fallen …, gebe ich offen zu, vollständig weg.«
In einem Brief vom 12. Juni aber machte Herr Becker mir dann sogar noch weiter gehende und höchst wichtige Zugeständnisse, indem er vor allem die Prämisse meiner geozentrischen Feststellung, die sich ausdrücklich als eine hypothesenfreie, auf axiomatischer Grundlage beruhende darbietet, voll und ganz anerkannte! – Und etwas später teilte er mir mit, daß es mir vollstens gelungen sei, die Kopernikanische Anschauung zu entkräften; und er schloß ab mit der Erklärung: »Die kopernikanische Theorie ist also für uns erledigt«.
Einerseits das Zugeständnis, von anerkannter fachmännischer Seite, daß die Logik meiner geozentrischen Feststellung »unantastbar« sei – man hat der Logik der kopernikanischen Prämisse bekanntlich noch niemals Unantastbarkeit nachsagen können! –, andrerseits dann sogar die unbedingte Zustimmung, daß meine Prämisse selbst wirklich hypothesenfrei sei: das bedeutet sicherlich einen hochwichtigen Schritt, den die geozentrische Weltanschauung vorwärts getan hat! – Denn hat man den hypothesenfreien, auf axiomatischer Grundlage beruhenden Charakter meiner Prämisse erst einmal zugestehen müssen, so ist damit ein anderes ausgeschlossen, als daß die geozentrische Tatsache als endgültige und absolut exakte Anschauung in Kraft tritt! – Von welcher Tragweite das aber für den endgültigen Ausbau der Wissenschaft, ja für unsere ganze Kultur ist, das will diese vorliegende Arbeit, wenn auch vorerst nur in knappen Umrissen, aussprechen.
Weimar, Juni 1911.
Johannes Schlaf
Man erklärt die Religion heute für eine Privatangelegenheit jedes Einzelnen, will sie in das »persönliche Belieben« stellen; man ist bestrebt, den konfessionellen Religionsunterricht aus der Schule zu entfernen, ja sogar der Austritt aus der Landeskirche spielt nach wie vor seine Rolle.
Zu gleicher Zeit macht sich nun aber in immer größerem Umfang eine Neigung zur Bildung sogenannter monistischer Religionsgemeinschaften geltend; ja man hat sogar allen Ernstes schon den Begriff einer »monistischen Kirche« aufgestellt; und ferner ist man drauf und dran, in den Schulen dem Unterricht in den exakten Naturwissenschaften einen immer größeren Spielraum zu erobern; gewiß nicht ohne die offene oder stillschweigende Erwartung, daß er gerade auch auf die religiöse Erziehung der Jugend einen ganz besonderen und sogar einen besseren Einfluß zu üben geeignet sei, als der konfessionelle Religionsunterricht.
Tritt in alledem nun aber nicht ein ganz entschiedener Widerspruch zu Tage?
Man macht einerseits die Religion zu einer Privatangelegenheit jedes Einzelnen, zugleich aber bildet man monistische Gemeinden oder ist gar auf eine »monistische Kirche« hinaus! Man will den konfessionellen Religionsunterricht ausschalten, ihn zugleich aber durch den naturwissenschaftlichen ersetzen, von dem man sich eine neue und bessere religiöse Ausbildung der Jugend verspricht. Man will also auf der einen Seite die Religion in das persönliche Belieben stellen, zugleich aber macht man sie trotzdem wieder zu einer ebenso gemeinsamen und öffentlichen Angelegenheit, wie das bisherige Religionsbekenntnis eine ist!
Man sollte also doch lieber offen eingestehen, daß man tatsächlich lediglich ein öffentliches und allgemeines Religionsbekenntnis durch ein anderes ersetzen will. Das entspräche alsdann dem wirklichen Tatsachenbestand. Vor allem aber bedeutet es zugleich die einzig denkbare Möglichkeit!
Denn es ist einfach nicht möglich, widerstrebt allem Gesetz und aller Natur von Sozietät, Religion und religiöses Bekenntnis lediglich zur Privatangelegenheit des Einzelnen zu machen und sie so ganz in dessen persönliches Belieben zu stellen. Es kann sich höchstens um gegenseitige Duldung zwischen verschiedenen religiösen Bekenntnissen handeln, die sich noch niemals in aller Welt vermeiden ließen.
Soweit man also bei dieser recht unklaren »Privatangelegenheit des Einzelnen« eine solche Duldung, ein solch möglichst friedliches Gleichgewicht verschiedener religiöser Bekenntnisse im Sinn hat, hat man Recht und befindet sich auf dem rechten Wege. Alles übrige aber bedeutet eine höchst bedenkliche Unklarheit in einem wesentlichsten Punkte. – Nämlich darin, daß nach wie vor ein paar größere religiöse Bekenntnisse vorhanden sind und sein werden und neben ihnen eine Anzahl von mehr oder weniger freien Sekten und Bekenntnissen, denen aber nur eine Minderzahl von Staatsgenossen angehört. Da nun aber ausnahmslos alle diese Bekenner Angehörige eines Staates und durch ganz besondere organische, politische und sonstige völkisch sozietäre Interessen miteinander verbunden sind, Interessen, die in staatlichen Gesetzen, Satzungen und Einrichtungen formuliert sind, und da unweigerlich je und je alle diese staatlichen Interessengruppen in gegenseitiger organischer Abstufung standen und stets in ihr stehen werden, so ist ein anderes undenkbar, als daß sich das mit dem religiösen Bekenntnis all dieser Staatsgenossen genau so verhält! Auch das wird nach wie vor seine Formulierung und öffentliche Regelung erfahren müssen. (Nichts anderes kann ja auch der Sinn und Verstand sein, der diesen neuen monistischen Gemeinden, oder gar einer neuen »monistischen Kirche« eignet!)
Es ist bei alldem nun aber durchaus unvermeidlich, daß jene Bekenntnisse, auf welche sich die Mehrzahl der Staats- und Volksgenossen einigt – sie werden zugleich die religiös wichtigsten und stärksten sein – das in einem ganz besonderen Grade sind, was im übrigen auch alle Nebenbekenntnisse sind: nämlich Staatsreligion oder Religion von Staatsbürgern! – Nur daß die Nebenbekenntnisse den anderen gegenüber untergeordneter Natur sind. Das ist eine ganz natürliche und aus allem Wesen von Sozietät heraus sich ergebende Tatsache und Ordnung! An der nach wie vor in allem wesentlichen nichts zu ändern sein wird. Das schließt dann aber weiter sofort ein, daß ein allgemeiner Religionsunterricht des Bekenntnisses, auf das sich die Mehrzahl der Staatsbürger einigt, auch in den Schulen statthat, und aus dem Unterrichtsplan der Schulen nicht ausgeschaltet werden kann. Daß sich hierbei nach wie vor Schwierigkeiten ergeben werden, da wo entweder eine katholische oder eine protestantische oder sonst eine religiöse Enklave besteht, ist wohl wahr, aber niemals zu vermeiden. Es kann einzig darauf ankommen, ein möglichst tolerantes Gleichgewicht der hier einschlägigen Interessen zu erreichen und aufrecht zu erhalten.
Eine andere Sache ist nun allerdings die, daß die hauptsächlichsten christlichen Konfessionen heute wieder mal in einer Krise stehen, die sogar eine recht brennende ist! –
Man sollte indessen in den Mitteln, sie ihrer Lösung entgegenzuführen, beileibe nicht unvorsichtig vorgehen! Ein höchst bedenkliches Mittel aber würde es bedeuten, den konfessionellen Religionsunterricht prinzipiell und als solchen auszuschließen! Da es sich, wie wir schon sahen, ja doch überhaupt um nichts anderes handeln kann als um die Ersetzung des einen konfessionellen Religionsunterrichts durch einen anderen, neukonfessionellen, so sollte man jenen nur mit der größten Vorsicht ausschalten; wenn das übrigens wirklich in einem so radikal antichristlich-antikirchlichen Sinne vonnöten sein sollte, wie man gegenwärtig meint!
Vor allem nun aber hüte man sich darauf auszugehen, den Religionsunterricht in den Schulen durch den exaktnaturwissenschaftlichen zu ersetzen! Und zwar deshalb, weil die exakten Naturwissenschaften grade in ihrer gegenwärtigen Verfassung nichts weniger als zu einem solchen Ersatz geeignet sind! Denn die exakten Naturwissenschaften stehen selbst in einer nur zu brennenden Krisis! – Was aber die monistische Religionsbewegung anbetrifft, die neuerdings eine so bedeutende Ausbreitung gewonnen hat, so ist sie zwar sicher eine sozietäre Erscheinung von großer Wichtigkeit, andererseits darf man sich aber nicht verhehlen, daß sie in ihren tragenden Prinzipien vorderhand noch sehr schwankt. Und zwar aus keinem anderen Grunde, als weil sie allzu einseitigen Anschluß an die exakte Naturwissenschaft nimmt und diese noch lange nicht in der Lage ist wahr zu machen, was sie verspricht: nämlich die Heilsüberzeugungen des religiösen Glaubens durch endgültig ausgemachte wirkliche Tatsächlichkeiten zu ersetzen.
Das beruht aber, wie ich schon bei anderer Gelegenheit (in meinem erkenntnistheoretischen Buch »Das absolute Individuum und die Vollendung der Religion«, Oesterheld & Co., Berlin W.) nachgewiesen habe, auf einer unvermeidlich zwiespältigen Eigenschaft der exakten Wissenschaften!