Wilhelm Bölsche

Von Wundern und Tieren: Neue naturwissenschaftliche Plaudereien

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066111922

Inhaltsverzeichnis


Vorwort
Eine Räubergeschichte aus dem Termitenbau
Amadinens illuminierte Kinderstube
Die Vorfahren des Schmetterlings
Der Kampf um den Maulwurf
Das unheimliche Gila-Tier
Die drei Augen der Blindschleiche
Neues von den Wundern des Olm
Die unsterbliche Amöbe
Goldene Tiere
Liberia und das seltenste Tier auf der Briefmarke
Der Waldrapp, ein verschollenes deutsches Tier
Der Gespensterzug der Lemminge
Die Entdeckung von Landwirbeltieren ohne Lunge
Der Vliesigel, das seltsamste Tier Neuguineas
Tendaguru und der Rekord der Saurier
Der Schatz von Halberstadt
Sirenen
Die Entdeckung des Riesenklippdachses
Die Mammutschnitzer von Predmost
Die Furcht vor dem Menschen
Wie das Tier der fleischfressenden Pflanze ein Schnippchen schlug
Tiere als Schützen
Unterseeische Schiffsangriffe durch Tiere
Aus der Flottenkunst der Tiere
I Unter fremder Flagge
II Das Unterseeboot aus Luft
Das älteste Festungstor
Eine Liebesgeschichte zwischen Unterseeboot und Aeroplan

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Es ist über hundert Jahre her, da kam Alexander von Humboldt von seinen Orinoko- und Kordillerenfahrten zurück, aller Wunder der Tropenlandschaft voll und wie verklärt von der ungeheuren Schau auf die Herrlichkeiten der Natur an einer ihrer irdisch größten Stellen. Daheim aber brannte der Krieg in roten Flammen zum Himmel. Eisern lag die Hand der Fremdherrschaft auf seinem deutschen Volke, und nur ein neuer furchtbarer Kampf verhieß, sie zu brechen. Damals erschienen dem edeln Manne gegen den Sturm dieser Stunde seine Urwälder und Tiere, bei denen er so lange gelebt und mit denen er so manches Abenteuer ausgefochten, plötzlich wie ein fernes blaues Reich des Friedens. Und so widmete er das wundervolle Werk, das er schrieb, die »Ansichten der Natur«, den bedrängten Gemütern, deren Sehnsucht nach den Bergen ging, wo nach den Worten des Dichters die Freiheit wohnen sollte und der Hauch der Grüfte nicht in die reineren Lüfte drang. Die kleinen Naturskizzen meines Büchleins hier sollen selbstverständlich nicht mit den Blättern Humboldts verglichen werden, die heute mit Recht für klassisch gelten. Höchstens, daß man eben an ihnen sehen kann, wie leicht es uns heute gemacht ist, von der Natur zu erzählen, nachdem solche Vorbilder uns den Weg gewiesen haben. Aber mein Büchlein fällt äußerlich in eine ähnliche Zeit. Wieder ist der Himmel blutesrot, und noch ganz anders als damals ringen wir um das Wurzelrecht und Kronenrecht unseres Volksbaumes. Fast ist die Stunde zu groß sogar für das Eingeständnis der Sehnsucht im bedrängten Gemüt. Dennoch meine ich, es trifft etwas zu, das wohl auch Humboldt meinte. Selbst im furchtbarsten eigenen Kampfe hat der Blick auf die große unerschütterliche Ewigkeitslinie der Natur eine beruhigende Macht. Gewiß, daß kein größeres Wunder ist als der Mensch selbst. Aber wenn aus diesem Wunder so die dämonischen Züge glühen wie heute, so sucht der Gedanke das Rätsel der Natur, das uralte, – und er fühlt in ihm die starke Hand, die, wie du sie nun nennen magst, zuletzt doch auch allen Dämon wieder zurückzwingt zu der Ackerscholle und dem Pfluge heilig stillen Werdens auf immer bessere Fernen zu. Um das zu erkennen und sich zu sagen auch in solcher Sturmesstunde, kann kein Bild und Wunder zu klein sein, und wäre es auch nur das Summen einer Mücke oder das leise Geigen des Heimchens hinter dem Herd daheim, für dessen Friedensflamme unsere Helden draußen streiten.


Die meisten Blätter des kleinen Bilderbuchs, die ich hier vereine und die eine unmittelbare Fortsetzung meiner »Stunden im All« bilden, lagen bereits bei Ausbruch des Weltkrieges gedruckt vor. Nur in den letzten wird man leise das Gewitter vom düstern Horizont rollen hören. Zu der Scherzstelle vom Regenwurm sei hier noch nachgetragen, daß dieser merkwürdige Geselle gleich mehreren andern Tieren, deren Genuß dadurch vorübergehend beeinträchtigt wird, gewisse Zeiten im Leben zu haben scheint, wo er einigermaßen giftig wirken könnte.

Friedrichshagen, 1. November 1915

Wilhelm Bölsche


Eine Räubergeschichte aus dem Termitenbau

Inhaltsverzeichnis

Der Mensch mit seinen sonnenhaften Augen ist von Natur ein geborenes Lichtgeschöpf. Dennoch hat ihn seine Kultur vielfältig genötigt, im Finstern zu hantieren, lange hat er in Höhlen hausen müssen, und nachher ersetzten die Höhle die düsteren Gänge und Verliese enger Burgen, die Korridore und Treppen finsterer Schlösser und Häuser. Selbst unsere höchste Technik von heute muß noch im Bergwerk graben, muß Tunnels bohren.

Die Phantasie hat das aber immer mit einem gewissen Grauen empfunden.

Aus den schwarzen Schlünden krochen ihr Drachen und Scheusale aller Art ungesehen auf den Eindringling los; in jedem Bergwerk läßt die Sage gespenstische Bergmönche und schwarze Männer umgehen, die den armen Grubenleuten den Hals umdrehen, und im alten Schloßkorridor spukt die weiße Frau. Wo die Dinge aber real bleiben, da bleibt mindestens doch die unheimliche Romantik der »Räuberhöhle« als fester Begriff.

Und doch besaßen wir seit alters wenigstens die Gabe, künstliches Licht da unten mit hineinzuführen. Was würden Wahrheit und Dichtung erst für Grauen geschaffen haben, wenn uns Menschen im ganzen das Los für unser Gesellschaftsleben getroffen hätte, das einem anderen, kleineren, ebenfalls überaus geselligen und tatkräftigen Geschöpf unseres Planeten zugefallen ist – das Los: in den Ländern der hellsten, glühendsten Sonne doch fast sein ganzes unsagbar verwickeltes, millionenköpfiges Staatsleben, fast alle Wunder seines patriarchenhaft gesegneten Liebeslebens in künstlich hergestellten finsteren, von keinerlei Kunstlicht erhellten Schachtgängen auszuleben, ja da drinnen selbst das zu treiben, was das Untrennbarste scheint von Sonne und Licht: seinen ganzen Ackerbau …

Zu den Charaktergebilden tropischer Sonnenlandschaft gehören mitten zwischen der üppigsten sonnenfrohen Vegetation gewisse künstliche Hügel, manchmal bis sieben Meter hoch, steinhart, durchweg von außen abgeschlossen gegen diese Sonnenwelt wie mit solidesten Klostermauern, die finstere Verborgenheit des Innern zu wahren.

Das sind die Bauten der Termiten, seltsamster Insekten, von denen erst allmählich und neuerdings entscheidend bekannt geworden ist, daß die geradezu märchenhaften Taten ihres Soziallebens und »Kulturwesens« fast alles bisher von Ameisen und Bienen Berichtete noch in den Schatten stellen.

Die Termiten sind nach gangbarer Systematik engste Verwandte unserer Küchenschaben oder Schwaden, also körperlich weder den Bienen noch den Ameisen näher vergleichbar.

In solchem, wie gesagt, mehrmillionenköpfigen Staat der auffälligsten tropischen Arten lebt normal nur ein einziges eierlegendes Riesenweibchen, die Termitenkönigin. Bis zu dreißigtausend Eier kann sie an einem Tage legen, ewig so der wimmelnden Volksmasse Abrahams Segen garantierend. Zehn, vielleicht sogar bis fünfzehn Jahre kann sie das so treiben. Und ihr zur Seite steht dabei ebenso lange der ebenfalls nur als einmalige nationale Kostbarkeit vorhandene König.

Zusammen haben die beiden einst den Staat, der später den Hügel bewohnt, individuell neu begründet, indem sie aus einem anderen Staate eines Tages wie zwei Handwerksburschen fortwanderten, sich einten und eine erste schlichte kleine Hütte bauten, in der ihre Hochzeit stattfand und erste Kinderwiege stand. Aber aus dem Segen, der wachsend auf ihnen ruhte, ergab sich bald ein ungeheures Volk um sie, in Kasten geteilt, geschäftige kleine Arbeiter und wehrhafte Soldaten. Dieses »Volk« schützte und fütterte von gewissem Zeitraum an auch das ehrwürdige Elternpaar der Nation, und es fügte durch Unterkellern und Überbauen zu der alten Hütte den kolossalen Staatspalast oder besser: das Staatsbergwerk – bis diese Hütte, in der nach wie vor der Urvater und die Urmutter hausten und die Nation weiter und weiter ergänzten und vergrößerten, nur noch ein einzelnes kleines dunkles Kämmerchen im ganzen, die »Königszelle«, darstellte.

Große Schachte ventilieren diesen Gesamtbau, ohne ihn doch im Innern zu beleuchten. Denn wenn die Termiten auch wenigstens zum Teil selber nicht so unbedingt lichtscheu sind, wie man früher wohl meinte, und mehr als die hellende Sonne die trockenheiße Außenluft ihrer Heimatländer scheuen, so bleibt doch tatsächlich ihr Leben ein extremes Dunkelmännerdasein, dem nicht einmal das winzigste Grubenlämpchen glüht.

Allenthalben in das düstere Staatslabyrinth aber lagern sich kellerartige Sonderräume ein, in denen als der eigentliche Nationalwohlstand tatsächlich der eifrigste Ackerbau getrieben wird, ein regelrechter Bergwerksackerbau, der in Wahrheit nichts anderes ist als eine ebenso raffinierte wie dem Volkswohl ergiebige Pilzkultur größten Stils. Das unterirdische Nährgeflecht der Pilze wird auf besonders präparierten Mistbeeten künstlich gezüchtet und liefert vor allem den »Kinderbrei« für die beständig wie Sand am Meer sich mehrende Jugend des Volkes.

Noch nicht anderthalb Jahrhunderte ist es her, daß wir auch nur ein weniges von diesen Geheimnissen der Termite in ihrem finsteren Hades wissen. Genauere Beobachtung setzte erst neuerlich ein, und ganz besonders ist es der ausgezeichnete Münchener Professor K. Escherich gewesen, der in den letzten Jahren durch Zusammenfassung des älteren und reiche Sammlung neuen Materials unsere Kenntnis aufs glücklichste erweitert hat. Je heller jetzt aber wenigstens das Licht unserer Forschung in den Hades leuchtet, desto seltsamer, desto unerhörter werden seine teils lustigen, teils grausigen Mysterien. Und ein besonders unheimliches Kapitel betrifft da die »Gespenster« im Bau.

Auch im Termitenbergwerk gehen graue Gespenster um, die den braven Arbeiter in seiner Nacht bedrohen, kriechen gräßliche Drachen aus unsichtbarem Höhlengang, die ihn als Beute fortschleppen.

Bald sind diese »Gespenster« fremde Termiten, die in das Labyrinth der normalen Bergwerksgänge ein noch feineres, für gewöhnlich streng getrenntes Laufnetz für sich eingesponnen haben, von dem aus sie diebische Vorstöße in die Vorratskammern der rechtmäßigen Grubenbesitzer machen.

Bald sind es echte Ameisen, die ebenso aus Geheimgängen, sozusagen aus Wandschränken und unbekannten Hintertreppen, wie langbeinige Spinnen jählings huschend auftauchen und nicht bloß stehlen, sondern auch schon den kleinen hilflosen Termitenarbeiter selbst, dem gerade kein wehrhafter »Soldat« beisteht, gelegentlich überfallen und als Mordbeute verschleppen.

Kleine Käferchen aus der Gruppe der Staphyliniden gleiten wie Gnomen blitzschnell im Finstern vorbei, Kopf und Glieder tief unter einem aalglatten Deckschild verborgen, das die Dienste einer Tarnkappe tut; so unfaßbar wie allgegenwärtig, spielen sie die Hasen in den unterirdischen Kohlfeldern der Pilzgärten.

Ganz scheußlich aber sind die wirklichen »Drachenhöhlen« der Abgrundsnacht da unten, auf die zuerst Escherich bei seinen Studien auf Ceylon aufmerksam gemacht hat.

Besonders in der Nähe der Pilzbeete, wo es stets von Termitenkindern und ammenhaft wartenden und fütternden Arbeitstermiten wimmelt, finden sich flaschenförmige Geheimgelasse, die mit schmaler Pforte in den großen Pilzkeller, der solches Beet umschließt, einmünden. In jeder dieser Extrahöhlen aber lauert ein fettes Ungetüm, das mit seinem flaschenhaft verdickten Bauche genau in die Wölbung paßt.

Dem Blick des Zoologen enthüllt es sich als die wunderlich aufgeschwollene weiße Larve eines karabusähnlichen Käfers namens Orthogonius – also im Sinne unseres Maikäfers als ein »Engerling«. Hier im Termitenschacht aber haben diese Engerlinge sich zu regelrechten Drachen ausgebildet.

Bei Homer lesen wir von der gräßlichen Scylla, die aus engem Felsspalt plötzlich ihre Freßmäuler streckt, um sich am Menschenfleisch harmloser Passanten zu mästen. Und so streckt auch der feiste engerlinghafte Bewohner unseres Geheimschachts nur eben seine spitzen Kiefern aus dem unsichtbaren Hinterhalte seiner Flaschenhöhle vor – wehe aber dem harmlos in die Nähe kommenden Termitenkinde, wehe der nichts ahnend vorbeihastenden treuen Termitenamme! Unerbittlich werden sie gepackt, hereingezogen und bestialisch abgeschlachtet.

Die tückische Falle hat dabei eine ganz frappante Ähnlichkeit mit einer anderen, die bei uns zulande der sogenannte Ameisenlöwe den Ameisen stellt. Bekanntlich wühlt dieser Ameisenlöwe, der ebenfalls bloß die räuberische Larve eines großen, äußerlich libellenähnlichen Fluginsekts ist, im losen Sande zierliche Trichter aus, in deren Mitte er als böser kleiner Minotaurus auf hinabstürzende Ameisen lauert. Das Hinabstürzen befördert er dabei selber durch geschickt zielende Sandwürfe von unten. Auch die kühnste Phantasie würde aber nicht zu erfinden wagen, daß ein Heer solcher Ameisenlöwen ihre Fallgruben mitten im Ameisenhaufen selbst etablierten. Die Engerlinge im Termitenbau haben in ihrer Weise selbst diese tollste Überbietung erreicht!

Kein Wunder, wenn sie an so vorzüglichem Fleck Schmerbäuche bekommen. Fast wie die alte Termitenkönigin selber sehen sie endlich aus. Dabei spielt aber offenbar noch etwas Besonderes mit.

Diese staatserhaltende Dame, die Königin, wird, wie gesagt, in allen späteren Semestern ihres gesegneten Daseins von ihren Vasallen, den Termitenarbeitern, künstlich mit einem besonderen Futter ernährt, das diese Arbeiter in ihrem eigenen Leibe wie in einer natürlichen Milchflasche heranbringen und ihr einfüttern. Dabei aber schwillt nun ihr Leib zu vielfach geradezu kolossalen Maßen an, die sie als wahre Riesin über ihrem Volke thronen lassen. Dieser Umfang spielt im ferneren bei ihr ja wieder seine gute Rolle für die doch ebenfalls bei ihr so märchenhaft kolossale nationale Mutterpflicht. Offenbar aber muß in dem Futter, das man ihr eintrichtert, schon etwas stecken, was gerade auf ihn hinwirkt.

Die bösen Engerlinge haben nun auf ihrer Lebensstufe keinerlei eigene Mutterpflichten; hätten sie sie, so würden sie ohnehin ja doch nur wieder neue Drachen erzeugen, sehr zum Unheil des Termitenvolks. Gleichwohl wirkt auch auf sie offenbar jene Kraft des Futters, das sie vielfältig beim Verzehren ganzer Termiten, die gerade ihre Milchflasche im Leibe gefüllt trugen, einfach mitfressen mußten: sie werden nicht nur wohlgenährt überhaupt, sondern sie bekommen regelrechten künstlichen Königinnenumfang im Sinne königlicher Spezialmast – genau so, als wenn sie selbst gutwillig auf »Königin« von den Termiten gefüttert würden.

Von hier aus ist aber nun wiederum ein höchst wunderbarer Schachzug in diesem verwegenen Spiel möglich geworden.

Zu den Eigenarten, die das königliche Spezialfutter bei der Termitenkönigin hervorbringt, scheint nämlich auch allgemein zu gehören, daß der ungeheure, schließlich einer kleinen Kartoffel vergleichbare Leib dieser Königin einen narkotischen Saft absondert, den die pflegenden Termitenarbeiter mit höchster Wonne schlürfen. Die Lust daran ist so groß, daß es vielfach fast aussieht, als pflegten sie die alte Dame nur deshalb so heiß, weil sie ihnen zugleich diesen Kneiptisch, diese wahre königliche Staatskneipe, eröffnet. Mindestens sind der Trieb zum Pflegen und die Freude an dieser Kneiperei aufs engste bei ihnen aneinander angeschlossen.

Wie aber nun, wenn dieses Narkotikum sich auch bei den Drachen in ihren Höhlen einstellte?

Es ließe sich etwas ganz Nichtswürdiges denken.

Die Engerlingsdrachen kröchen einfach in das offene Termitengewimmel, ja bis in das Heiligtum gar der Königszelle selber hinaus. Äußerlich der Königin höchst ähnlich in der Leibesgestalt, würden sie von den Termitenarbeitern, die sie nicht sehen, sondern nur fühlen können, für wahre Königinnen gehalten, deren gelegentlich auch einmal mehrere nebeneinander nach dem termitischen Hausgesetz nicht ganz unmöglich sind. Man ginge ihnen also gar nicht mehr aus dem Wege, – und ungestört könnten sie ihr scheußliches Räuberhandwerk sozusagen mitten auf der offenen Straße fortsetzen.

Der bekannte Jesuitenpater Wasmann, dessen Philosophie nicht eben jedermanns Sache ist, der aber als Spezialforscher auf diesen Gebieten sich mit Recht allgemeiner Sympathie erfreut, hat gelegentlich da schon von tapferen Orthogoniusengerlingen selbst vermutet, daß sie solche freien Spaziergänge in Königinnenmaske probierten; Escherich hat es gerade von dieser Sorte Käferlarven indessen nicht bestätigen können.

Aber nehmen wir einmal an, andere »Drachen« da drinnen hätten es wirklich gemacht. So mußte die Absonderung auch noch eines königinhaften Narkotikums durch die verkappten Herren Räuber die Situation nochmals ins ganz Tolle weitertreiben.

Die Kneipgelüste der Termitenarbeiter mußten sich nämlich bei Begegnungen mit höchstem Eifer auch diesen Räubern zuwenden. Während die Scheusale rechts und links in die Schar der kleinen Kneipanten im Dunkeln mit Scyllamäulern hineingriffen und nach Herzenslust ihre Opfer massakrierten, strömte die Menge selbst ihnen immer begeisterter entgegen. Da aber der Kneiptrieb so eng mit dem Füttertrieb hier verschwistert war, boten sich die andrängenden Termiten, wenn sie genug gekneipt hatten, gar auch noch den fremden Ungeheuern als freundliche Fütterer dar, suchten sie zu nähren und zu pflegen wie wahrhaftige Königinnen – sie, die im nächsten Moment stets bereit waren, den naiven Fütterer selbst oder irgendeinen seiner Nebenmänner leibhaftig samt dem Futtertopf aufzufressen.

Groteskes Bild: Rausch, sorgende Liebe und rücksichtsloser Mord, alles bunt durcheinander waltend.

Nun ist aber kein Zweifel, daß gerade diese letzte Station der Dinge wirklich existiert.

Gewisse fertige Käfer (also nicht bloß Engerlinge) aus der Gruppe der schon genannten Staphyliniden leben genau so im Termitenbau. Sie haben Riesenbäuche wie Königinnen, laufen frei zwischen dem Termitenvolk herum, schwitzen narkotische Kneipsäfte aus und werden von den Termitenarbeitern mit Königinnenfutter genährt. Letzteres lassen sie sich schon lange ganz gewohnheitsmäßig gefallen, so daß sich sogar ihre Zunge durch Verbreiterung direkt daran angepaßt hat. Und doch sind sie ihrem grundlegenden Wesen nach alte Räuber und Termitenfresser geblieben nach wie vor!

Einen Moment könnte man ja versucht sein, zu hoffen, das letzte Stück dieses ungeheuerlichen Weges sei von selber bestimmt, doch noch wieder auf einen Friedenspfad zu führen.

Wenn nämlich jede Termite, die dem Räuber vor den Mund kam, ihn fortan freiwillig fütterte, so brauchte er ja schließlich keine mehr zu fressen!

Die Beobachtungen sprechen bisher aber gegen diesen letzten Schluß.

Bei den Ameisen, wo ganz ähnliche »lebendige Kneipen« in Gestalt kleiner Käferchen vielfältig im Bau gehalten und ebenfalls gefüttert werden, haben sich diese zweifelhaften Existenzen doch durchweg nebenher noch als arge Räuber auch so erwiesen, und nicht viel anders scheint es bei den Termiten zu stehen. Die allgemeine und extreme Staatskneiperei, bei der echten Königin anscheinend noch eine gemütliche, ja förderliche Zutat, hat eben zur regelrechten Drachenzucht in diesem sonst so wohlgeordneten Staat verleitet.

Ob die amüsante Geschichte aus Mutter Naturs Skizzenbuch hier am Ende doch noch eine besondere Nutzanwendung hat? »Hingegen soll der Branntewein um Mitternacht nicht schädlich sein.« Die Wahrheit dieses ehrwürdigen Satzes wird beim Menschen neuerdings bekanntlich öfter bestritten. Ob auch in der ewigen Mitternacht des dunklen Termitenbaues die Kneiperei, selbst die staatlich konzessionierte, sich schließlich doch nicht recht bewährt hat, indem sie zu solchen fatalen Extravaganzen führte …?


Amadinens illuminierte Kinderstube

Inhaltsverzeichnis

Aus unseren Kinderstuben pflegt uns fürs Leben eine kleine Gespensterei nachzufolgen, die unausrottbar fest bleibt. Im Märchen kommt es vor: das Kind geht durch den finstern Wald, da funkeln plötzlich aus der Dunkelheit ein paar rotglühende Augen. Alle dämonischen Schauer der Nacht vereinigen sich in diesem Zuge. Wölfe und Teufel haben solche Augen.

Später lernt man dann, daß allerhand Tieraugen wirklich so leuchten, gefährliche wie ganz harmlose; Katzen und Eulen sind das bekannteste Beispiel, aber der Schmetterlingssammler merkt mit Staunen, wie auch die Augen seiner Schwärmer, die abends so wild um Winde und Geißblatt gaukeln, aufglühen gleich kleinen brennenden Kohlen, und im Berliner Aquarium habe ich das unheimliche Phänomen in seltener Kraft an den großen Glotzern der dicken Ochsenfrösche beobachten können. Unheimlich bleibt es aber immer.

Wie oft habe ich von schönen und sehr gebildeten Lippen gehört, daß die Katzenaugen sich wirklich selber ihr Licht dabei anstecken, daß sie irgendwie »phosphoreszieren«, wie die gangbare Meinung es den Johanniswürmchen oder den winzigen Erzeugern des herrlichen Meerleuchtens zuschreibt.

Von solchen Leuchtkäfern und Leuchtinfusorien weiß man zwar heute, daß auch ihr nächtlicher Glanz mit wirklichem Phosphorschein nichts zu tun hat, sondern auf gewissen Stoffwechselprodukten dieser Lebewesen beruht, die bei ihrer Verbindung mit Sauerstoff Licht hervorbringen. Aber es bleibt hier doch wirklich bei »Eigenlicht«, und warum sollte also das Katzenauge nicht eine ähnliche Kraft bewähren? Und wenn wir von gewissen leuchtenden Fischen, die es in der ewig dunkeln Tiefsee gibt, gar hören, daß ihre Leuchtorgane an besondere Nerven angeschlossen sind, also willkürlich bald in Kraft gesetzt und bald wieder »abgedreht« werden können, so scheint uns auch Frau Kätzin sehr deutlich etwas derart zur Verfügung zu haben, denn jeder merkt, wie auch ihre Glühäugelchen, wenn sie im Dämmer schleicht, bald aufglänzen, bald wieder verlöschen.

Es ist jetzt etwas über hundert Jahre her, daß Prevost zum erstenmal die damals für die ganze Medizin und Zoologie nicht nur kühne, sondern geradezu ungeheuerliche Behauptung aufstellte, das Leuchten des Katzenauges sei nur eine ganz zufällige Reflexerscheinung für den Beschauer, die durchaus nichts mit eigener Leuchtkraft oder gar Willkür des Tieres selbst zu tun habe. Katzenaugen leuchteten überhaupt niemals im absolut Dunkeln, sondern es bedürfe dazu stets eines (wenn auch ganz schwachen) einfallenden Dämmerlichtes, das dann vom tiefen Grunde des Auges je nach Stellung für den Zuschauer zurückgeworfen (reflektiert) würde.

Noch mehr als drei Jahrzehnte später mußte unser damals größter deutscher Physiolog, Johannes Müller, diese richtige Deutung gegen ernsthafte wissenschaftliche Gegner verteidigen, und es ist amüsant, heute seine eigenen Worte darüber zu hören, die zugleich die Sinnestäuschungen berühren, denen jeder ungeübte Urteiler bei so delikaten Dingen zu unterliegen pflegt.

»Wer,« sagt Müller, »für das Leuchten der Katzenaugen aus Neigung eingenommen, dem empfehlen wir, wie wir getan haben, eine Katze in einen absolut dunkeln Raum mit sich zu nehmen und sich vom Gegenteil zu überzeugen, dabei aber die durch eine schnelle Bewegung unserer eigenen Augen und durch Zerrung des Sehnerven entstehende, bloß subjektive Lichtempfindung nicht zu verwechseln. Ein neuerer Versuch, den ich mit einer Katze in einem absolut dunkeln Raum, in einem Keller der hiesigen Anatomie, in Gegenwart mehrerer angestellt, fiel ganz negativ aus. Eine Person hielt die Katze. Diese Person wurde von mir im Dunkeln an einen Ort gestellt, den die anderen Anwesenden nicht kannten, den sie aber wahrnehmen mußten, falls die Katze Licht aus den Augen ausströmte. Alle sahen nichts, bis auf einen, dieser wollte zwei feurige Kreise gesehen haben. Sogleich ließ ich diesen seinen Arm nach der Gegend ausstrecken, wo er die Kreise gesehen haben wollte. Dann wurde die Tür geöffnet, und nun zeigte sich, daß der Arm nach der entgegengesetzten Seite von derjenigen, wo die Katze gehalten wurde, hinwies, zu nicht geringer Belustigung. Offenbar hatte derjenige, der die zwei feurigen Kreise sah, seine eigene Empfindung gesehen. Bei rascher Wendung der Augen im Dunkeln sieht man wegen Zerrung der Sehnerven sehr leicht zwei feurige Kreise, welche nichts als die gesteigerten Empfindungen der Sehnerven sind.«

Die Sache wurde aber wissenschaftlich erst ganz sicher, als der Nachweis glückte, daß zwar bei Katzen, Eulen und Konsorten das Augeninnere besonders gut reflektierte, tatsächlich aber bei richtiger Einstellung auch bei jedem beliebigen anderen Auge der Erfolg im Sinne der Theorie herausgezaubert werden könne, und zwar schließlich auch beim Menschen selbst. Brücke, einer der genialsten Schüler Müllers, konnte zum erstenmal zeigen, daß das menschliche Auge, wenn man es in dunklem Raum mit einer Blendlaterne bestrahlte und dann einen Beobachter an dieser Lichtquelle vorbei hineinblicken ließ, für diesen Beobachter leuchtete! Und es war eigenartigerweise ein dritter Physiolog ersten Ranges und anderer großer Schüler Johannes Müllers, dessen Auge zum erstenmal zu diesem Experiment benutzt wurde, also zum erstenmal ein Menschenauge mit »Katzenlicht« zeigen sollte: Emil du Bois-Reymond.

Der eigenartige Fund, der jetzt endgültig eine Jahrtausende alte Volksmeinung umwarf, ist damals (auf der Wende zu den fünfziger Jahren) in Fachkreisen besonders noch berühmt geworden, weil sich an ihn unmittelbar einer der größten medizinischen Fortschritte aller Zeiten anschloß: nämlich die Erfindung des sogenannten Augenspiegels durch Helmholtz – dieses wunderbaren Apparates, der es dem Arzt fortan ermöglichte, ein vollkommenes Bild der Netzhaut am lebendigen Auge zu gewinnen. Helmholtz kam einfach darauf, als er seinen Schülern eben jene Brückesche Theorie des menschlichen Augenleuchtens in möglichst anschaulicher Form vortragen wollte: er konstruierte in Zeit von acht Tagen einen kleinen optischen Hilfsapparat dazu, und plötzlich erschien etwas noch viel Bedeutsameres als bloß das Katzenleuchten eines Menschenauges – zum erstenmal hatte, wie er selbst berichtet, ein Mensch die Freude, eine lebendige menschliche Netzhaut mit all ihren verzweigten Blutgefäßen und der Eintrittsstelle des Sehnervs in der eigenen natürlichen Vergrößerung durch ihre zugehörige natürliche Linse klar vor sich liegen zu sehen.

Hier aber sei nun ein kleiner Sprung erlaubt.

Von den Wundern des Katzen- und Menschenauges wenden wir uns zu einem der lieblichsten Schönheitswunder der Natur – einem kleinen Vögelchen von juwelenhafter Herrlichkeit.

Mancher wird es kennen, denn obwohl seine Heimat der ferne Eukalyptuswald Australiens ist, sieht man es doch seit Mitte der achtziger Jahre nicht selten in unseren Liebhaberkäfigen. Ein altes Volksmärchen läßt den lieben Gott, nachdem er alle Tiere hübsch angemalt, den Stieglitz noch aus den letzten übriggebliebenen Farbkleckschen zusammenstoppeln. Nun, in diesem Sinne möchte man vermuten, er habe umgekehrt sein gesamtes Werk mit frischesten Farben bei der Amadine, wie das Vöglein heißt, begonnen, denn mit solcher genialen Pracht und zugleich doch solcher edlen Einfachheit der Pinselführung ist kaum ein zweiter Vogel im großen Erdenatelier bedacht worden. Die schönste Abart der sogenannten Frau-Goulds-Amadine, getauft nach der Gattin des großen Spezialisten der australischen Vogelwelt, Gould, wirkt bei einfachster Gestalt eines kleinen Sperlingsvogels durch die Folge ihrer Farben, die in ungetrübter Schöne wie ein vom Prisma gebrochenes Lichtspektrum über ihren zierlichen Körper gehen. Rücken und Flügel vom durchsichtigsten Grasgrün, das gegen die dunkeln Schwanzspitzen in ein zartes Himmelblau verdämmert; am Halse durch ein ähnliches Blauband und einen schwarzen Samtstrich davon getrennt, eine leuchtend blutrote Kopfkappe, die tief bis über die Wangen herabfällt und prachtvoll gegen das Elfenbeinweiß des Schnabels und die schwarze Kehle steht; wiederum zu diesem Grün und Rot aber die Brust mit einem breiten Felde des unvergleichlichsten Lila, und ganz scharf wieder dagegen abgesetzt, aber herrlich in der Farbenharmonie zugleich einklingend, der Bauch mit dem sattesten Dottergelb.

Seiner engeren Verwandtschaft nach gehört dieses Farbenwunder zu den sogenannten Webefinken, jener Vogelgruppe, zu der unter anderen auch der berühmte Siedelweber oder Siedelsperling zählt, eines der merkwürdigsten »sozialen Tiere« der Erde. Er lebt nämlich nicht nur gesellig in großen Scharen, die ihre Nester dicht gedrängt in den gleichen Baum bauen, sondern die Schutzdächer dieser Nester werden zu einem gemeinsamen Dach verschmolzen, das, allmählich immer mehr verstärkt, zuletzt wie ein ungeheurer Heuschober in den afrikanischen Buschbäumen hängt und die darunter liegenden, immer wieder neu eingebauten Nesterkolonien gleich einer alten Zyklopenmauer beschirmt, in deren Schutz die Generationen eines Dorfs aufwachsen. Solche Leistung läßt wohl auf manches Verblüffende auch sonst in dem Liebes- und Gesellschaftsleben dieser Vetternschaft der Weber schließen, aber was von den Amadinen gerade hier bekannt geworden, das schießt doch im eigentlichen Sinne »den Vogel ab«.

Schon seit längerer Zeit war es den Anatomen aufgefallen, daß die kleinen, noch nicht flüggen Nestjungen dieser und verwandter Prachtfinken (wie der Liebhaber dieses zumeist farbenschöne Völklein im ganzen zu benennen pflegt) in ihren »Spatzenecken«, wie der Volksmund das wohl bei Menschenkindern bezeichnet, nämlich in den Mund- oder Schnabelwinkeln, beiderseitig gewisse dick vorspringende Kugeln zeigten. Bei den jungen Frau-Goulds-Amadinen saß jederseits genau ein Paar solcher Anhängsel, und jede Kugel war schön blau mit einem dunkeln Ring – eine so auffällige Färbung bei einem solchen Nestling, daß sie klärlich irgend etwas Bedeutsames markieren mußte. Wuchs das Junge sich aus, so verschwand der ganze Spuk wieder vollkommen – es mußte sich also um etwas handeln, das speziell nur die Kinderstube anging.

Nun, in die Kinderstube des Tieres spielt ja so manches für sich hinein. Bald müssen die kleinen Lebensanfänger nach urgegebenem Gesetz in ihr noch einmal Züge der Ahnen wiederholen, sozusagen Großvaters Maske aufsetzen, ehe sie ihr eignes Gesicht endgültig bekommen. Vielfach aber unterliegen sie auch besonderen Anpassungen dort, die nur den Nutzzwecken der Kinderstube selbst dienen, gleichsam Wiegen- und Windelanpassungen darstellen, wenn man es menschlich ausdrücken soll. Sorgsame Beobachtung wies nun nach, daß es sich bei den jungen Amadinen um einen Fall der letzteren Art allein handle, aber um einen ganz unerwarteten.

Wir alle kennen ein Bild aus dem trauten Leben der Mutter bei uns. Es ist tiefe Nacht, alles weithin still und dunkel. Nur in der Kinderstube dämmert ein blasser Schein. Dort läßt die treue Mutter ein Nachtlichtlein brennen, um sogleich orientiert zu sein, wenn das Kleine etwas braucht. Dunkel, immerzu recht dunkel ist es aber auch in der Kinderstube solchen niedlichen Webervögelchens, – in seinem fast ganz geschlossenen Webernest. Und wenn der alte Vogel durch die kleine Öffnung einfliegt und die hungrigen Kleinen atzen soll, so wäre auch ihm wohl zu gönnen, daß er da drinnen ein Nachtlichtchen finden könnte, das ihm den Weg zu den sperrenden Schnäbelchen wiese. Es ist aber in der Tat dafür gesorgt, daß er es findet!

Sobald er seine Kinderstube besucht, leuchtet es ihm nämlich von da drinnen entgegen wie kleine Lämpchen. Und diese Lämpchen sitzen sogar höchst sinnreich gerade da, wo sie wirklich am besten auf den Weg weisen: nämlich eben in den Schnabelwinkeln der kleinen Schnäbel selbst. Es ist, als trage jede Jungamadine dort einige winzige, aber vollkommen wirksame Glühbirnen angeheftet, deren Glanz das finstere Stübchen illuminiert. Nichts anderes als solche angewachsenen Glühbirnen sind eben die bewußten geheimnisvollen Kugeln mit ihrem Blau – Leuchtorgane der Nestjungen zur Orientierung des fütternden Vogels im finsteren Nest.

Das war nun, als man endlich darauf kam, eine Entdeckung, wie sie die Tierkunde selten erlebt hat. Leuchtende Vögel, und zwar zu so sinnreichem Zweck!

Auch hier mußte die Frage entstehen: konnte es ein echtes Leuchten sein wie bei den Johanniswürmchen oder Tiefseefischen? Prinzipiell hätte schließlich nichts im Wege gestanden, daß es selbst das war, die Nestjungen hätten dann in ihren Glühbirnen eine echte oxydierende Leuchtsubstanz produzieren müssen. Chun, der jüngst verstorbene treffliche Leipziger Zoologe, hat nach sorgfältigster Analyse indessen anders entschieden.

Amadinens blaue Leuchtkugeln leuchten tatsächlich nach der Methode des Katzenauges. Ohne selber Augen zu sein, wirken sie doch als raffinierter Reflektierapparat. Sie fangen, konzentrieren und strahlen hell zurück die schwachen Stäubchen Dämmerlicht der nicht absolut schwarzen Neststube, genau wie das Katzenauge aus der Dämmernacht, die uns als vollkommenes Dunkel erscheint, doch noch gleichsam einen roten Funken sammelt. Das Wunderbarste aber ist, daß auch dieses reflektierte Licht hier in den Dienst eines bestimmten Nutzzweckes tritt. Und daß es ausdrücklich in einem besonderen Leuchtorgan nur für diesen Zweck erzeugt wird, anstatt nebenbei zu entstehen wie im funkelnden Katzenauge!

Das macht Amadinens illuminierte Kinderstube zum Exempel einer Lebensleistung, die bisher einzig in ihrer Art ist und mit der gleichsam ein neues Kapitel der Naturgeschichte beginnt.


Die Vorfahren des Schmetterlings

Inhaltsverzeichnis

In dem lieblichen Schöpfungsbilde der Bibel sehen wir, wie die junge Erde sich mit allerlei Getier belebt. Vögel schwingen sich in die Lüfte, Fisch und Walfisch tummeln sich im Meer, das Vieh geht zur Weide, und der Wurm wühlt sich durch den Grund. Aber einen hat der Chronist vergessen: den Schmetterling, der über die Blüten gaukelt. Wieviel fehlte der irdischen Landschaft, wenn er nicht wäre!

Goethe hat bei Gelegenheit seiner Metamorphose der Pflanzen einmal gesagt, der Schmetterling sei selber eigentlich nur eine Blüte, die sich eines Tages vom Stengel gelöst habe und frei fortgeflattert sei. Er dachte dabei wohl an die wunderbare Wasserpflanze Vallisneria, bei der sich die männlichen Blüten in der Tat selbsttätig von den Stielen ablösen, um sich durch das Wasser zu den weiblichen tragen zu lassen. Aber noch in einem tieferen Sinn hatte er recht.

Die Raupe, die träg im Blattwerk der Pflanze hängt, immer nur auf Fressen und Wachsen bedacht und in der Farbe oft grün wie das Blatt, das sie verzehrt, hat in ihrem Stande etwas von der Pflanze selbst, die bloß erst emporwachsend Sprossen und Blätter treibt. Der Schmetterling aber, der aus dieser Raupe durch das Knospenstadium der Puppe eines Tages ersteht, gleicht der Blütenbildung an solcher Pflanze. Wie sie, tritt er in reifer Entfaltung gleich ganz hervor. Wie sie, lebt er wesentlich nur der Liebe. Wie sie, prangt er durchweg in herrlichen Formen und Farben. Der Kenner weiß sogar, daß Schmetterlinge nach Vanille und anderem Aroma – lebhaft duften können. Und zum Überfluß ist der Schmetterling verknüpft mit dem Leben der Blume. Seit grauen Zeiten ist er ihr Liebesbote geworden, der ihr selber unentbehrlich ist, den sie mit Näschereien füttert, dem sie ihren Duft und ihre Farben entgegenbringt.

Seit grauen Zeiten! Aber auch das Graueste muß zuletzt einmal angefangen haben. Auch unser Schmetterling mit all seiner Blumenschöne und Blumenliebe muß zuletzt auch einmal auf Erden entstanden sein.

Solange Menschen sich erinnern, war er da, aber das ist doch nur eine ganz kurze Zeit. Wir blicken zurück in die wunderbaren Wälder der Urwelt, durch die noch kein Menschenschatten mit Menschengröße und Menschenqual ging. Und wir sehen im Steinkohlenwald, diesem Sumpfforste gigantischer Schachtelhalme und Bärlappe, noch keine leiseste Spur eines gaukelnden Schmetterlings. Wohl war das fliegende Insekt als solches schon da. Sei es nun, wie die einen wollen, aus einem trilobitenhaften Krebs damals hervorgegangen, der sich mit schwerfälligem Erstlingsfluge aus einer austrocknenden Pfütze so zur nächsten besseren rettete, – sei es, wie andere vermuten, auf einem langen Wege vom Tausendfuß gekommen: genug, es schwirrte, obwohl in wirklich noch einigermaßen mühseliger Form, im kleinen unseren Aeroplanen von heute noch vergleichbar, die auch vielleicht erst bei unseren Enkeln einmal schmetterlingshaft zierlich werden.

Seltsam freilich: in der relativen Größe, an Insektenmaßen selbst gemessen, waren diese ersten lebenden »Aeroplane« des Steinkohlensumpfs die Riesen ihres Geschlechts. Nie wieder sind Insekten auf Erden überhaupt so kolossal geworden. Da flog mit »halbstarrem System«, das sich erst nach oben aufrichten, aber noch nicht nach hinten gefaltet übereinanderlegen ließ, der Koloß Meganeura, dessen Flügel zusammen an dreiviertel Meter spannten. Aber Meganeura war kein Schmetterling, näher verwandt war der Riese den heute noch in jener Methode fahrenden Libellen.

Lange noch auch in der mittleren Urwelt hat es prachtvolle Flieger aus den Kreisen dieser Nichtschmetterlinge gegeben, wenn auch keine ganz so kolossalen in der Folge mehr – so flog noch in der berühmten Lagune von Solnhofen zur Jurazeit die herrliche Kaligramma Haeckeli, bei der jeder Vorderflügel über 12 Zentimeter maß und auf allen Flügeln riesige Kreisflecken wie bei unsern Pfauenaugen standen; sie war keine Libelle, sondern eine Nächstverwandte jenes hübschen Insekts, das aus unserm allbekannten »Ameisenlöwen« als seiner häßlichen Larve steigt.

All diese Urweltler lehren uns aber nichts über den engeren Werdegang unseres Schmetterlings. Überschlagen wir ungeheure geologische Zeiträume nach jenen Steinkohlensümpfen und ihren riesigen Meganeuren und machen erst wieder halt in jenen viel näheren, obwohl immer noch urweltlichen Wäldern der Tertiärzeit, wo der Bernstein als Harzträne von den Fichtenstämmen perlte und gerade Spuren des Insektenlebens wie in einem Archiv aufbewahrte, so finden wir dort in der Tat schon den Schmetterling vollendet. Der niedliche Bläuling gaukelte schon am Tage um die Bernsteinbäume, der dicke Schwärmer nahte sich abends den Waldblüten. Noch war auch damals die Zahl nicht groß, die grenzenlose Prachtentfaltung muß erst in unseren eigenen Tagen liegen; aber die Stunde war erfüllt, darüber ist kein Zweifel. Zwischen damals und jenem nebelfeuchten Farnwalde von so viel früher muß die Schöpfungsstunde des Schmetterlings gelegen haben, da er nicht einzeln wie jeder von heute aus seiner Puppe, sondern im ganzen gleichsam aus einem anderen Insekt hervorgekrochen war. Was könnte das aber für ein Insekt gewesen sein?

Wir betrachten einen Moment genauer den heutigen Falter, irgendeinen Admiral oder Trauermantel des Tals oder den wundervollen Apollo der Hochgebirgsmatte, und zweierlei erscheint uns als sein Charakteristisches im Gegensatz zu allem sonst vertrauten Insektenvolk. Seine Mundwerkzeuge bilden statt harter und roher Beißer eben jenen feinen Saugrüssel, mit dem er den Blütennektar nascht. Und eben seine blütenhaft bunte Farbenpracht entsteht durch eine Art köstlichen Pelzes, dessen schuppenförmigen Haare lose in dem zugrunde liegenden nackten Glasflügel wurzeln. In der Herkunft dieser beiden Besonderheiten muß das Geheimnis der Schmetterlingsherkunft stecken. Hier mag uns aber ein kleines Erlebnis bedeutsam werden, das wohl ein jeder von uns einmal durchgemacht hat.