Oskar Panizza

Visionen: Skizzen und Erzählungen

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066115623

Inhaltsverzeichnis


Die Kirche von Zinsblech
Eine Negergeschichte
Ein Criminelles Geschlecht
Der Corsetten-Fritz
Indianer-Gedanken
Ein scandalöser Fall
Der operirte Jud'
Das Wirthshaus zur Dreifaltigkeit
Der Goldregen.
Ein Kapitel aus der Pastoral-Medizin

Die Kirche von Zinsblech

Inhaltsverzeichnis

"Sind angenehm in Leibkleidern
als nackend, doch tödtliche Farbe,
gehen zertheilt an beiden Orten
den Platz hinauf, lassen sich bloß
sehen als ob sie erscheinen,
ungeredet, und gehen alsdann wieder
hinab in das Grab."—
LuzernerOsterspiel, Todtenauferstehung.


Auf einer meiner einsamen Wanderungen durch Tyrol hatte ich mich eines Abends vergangen. In Folge eines am Nachmittag schief gestandenen Wegweisers fand ich mich bei längst eingetretener Dunkelheit noch mitten im Walde, während ich bei untergehender Sonne längst am Orte meines Ziels hätte eintreffen sollen. Ich kam zwar endlich in ein Dorf, welches ich aber weder in dieser Gegend vermuthete, noch, soviel ich mich erinnerte, auf einer meiner Karten verzeichnet stand. Es mochte jetzt gegen elf Uhr Nachts sein. Alle Hausthüren waren verschlossen; die Fensterscheiben schwarz. Aus Besorgniß um ein Nachtquartier klopfte ich an eine derselben, deren bleiernschepperndes Geräusch die Worte "Zinsblech! Zinsblech!" vernehmen ließ. Dies war aber nur der Laut auf den kleinen runden Scheiben mit Bleieinfassung; die größeren Scheiben, an die ich klopfte, um Einlaß zu erhalten, tönten "Pinzgau! Pinzgau!" Nirgends die Antwort einer menschlichen Stimme. Nach wenigen Schritten stieß ich auf die Ortstafel, wo das einzige Licht im Dorf zu brennen schien, bei dessen Schein es mir gelang auf derselben zu lesen: "Gemeinde Zinsblech; Landgericht Pinzgau". Es folgten noch einige Bemerkungen bezüglich Aushebungsbezirk, Steuereinziehung u.s.w. und am Schlusse hieß es: "Das Orts-Geschenk wird im Haus Nr. 666 gereicht."—Nachdem ich mit meinem Geklopfe "Zinsblech!—Pinzgau!" mehrere, gänzlich menschenleere Straßen durchwandert hatte, wobei mir das Unglück passirte eine Scheibe einzuschlagen, die auf diesen Mord ihres eigenen Ichs mit dem gläsernen Sterbeseufzer "Grinzsau!" antwortete, kam ich an die Kirche. Ein großes, hochaufsteigendes Gebäude im nüchtern-romanischen Stil mit wuchtigen Formen; außen rohbemörtelt; das Dach von Schiefer; am Ende ein hoher Thurm mit in Zacken aufsitzendem Thurmhelm, dessen sich verjüngende Spitze ein goldenes Kreuz, und auf dem Kreuz einen Hahn trug. Merkwürdigerweise stand die Kirchenthür, die mit Schweinfurter Grün angestrichen war, sperrangelweit offen. Ich trat ein und ging, nachdem ich in unglücklicher Richtung an den kupfernen Weihkessel angestoßen war, der mit dem schilpend-abgewetzten Laut "Prinzfrech!" antwortete, vorsichtig durch die Kirchenstühle auf den Altar zu. Vor dem Altar lag eine dicke, wollige Plüschdecke. Alles war mäuschenstill. Ich war so ermüdet, daß ich mich versuchsweise hinlegte.—

Obwohl es beim Eintritt ganz dunkel war, konnte ich doch schon nach kurzer Zeit allgemeine Umrisse, Nischen und Vorsprünge unterscheiden. Die Altäre waren geschmückt mit den in Landkirchen üblichen, eingerahmten Tablettes, auf denen lateinische Sprüche stehen, mit versilberten Leuchtern, Klingelspiel, alles in einfachster, wenig kostspieliger Form; auf Sockeln an der blanken, weißgetünchten Wand herum standen einige Apostel, Märtyrer und Ortsheilige mit ihren stereotypen Werkzeugen und Symbolen in der Hand. Gesichter, Haltung und Gewandung in jener übertrieben brünstigen und pathetischen Darstellungsweise, wie sie das Spät-Rokoko um die Mitte dieses Jahrhunderts bis in die letzte Dorfkirche brachte. Rechts von dem langen Fenster, auf das mein Blick unwillkürlich vor dem Einschlafen gerichtet war, stand ein Petrus mit einem scharf zur Seite gewandten, vollbärtigen Kopfe, in dessen eigenthümlich grinzenden Zügen sich halb Stolz, halb Verschmitztheit ausdrückte; halb, schien es, blickte er auf den auf der anderen Fensterseite stehenden Jeremias, der traurig und verlegen seine Papier-Rolle gesenkt hielt, halb zum Fenster hinaus, seinen großen, schwarzen Schlüssel krampfhaft in das Mondlicht haltend, das scharf am Rand des Kirchendachs herabgleitend, langsam durch das linke Seitenschiff der Kirche strich.—Mit diesem Bild schlief ich ein.—

Wie lange ich geschlafen, kann ich nicht sagen; ich erhielt nur plötzlich einen Stoß in die Seite, wie von einem harten Gegenstand, und erwachend bemerkte ich vor mir einen Mann in einem langen, rothen Gewand, und unter dem Arm ein großes, schiefes Holzkreuz; dieses Holzkreuz war an mich angestoßen. Der Mann kümmerte sich um mich gar nicht, sondern schritt ernst und gemessen dem Altare zu. Und nun erkannte ich, daß er nur Einer unter Vielen war, die in einer langen Reihe geordnet aus den Kirchenstühlen herauskamen in der Richtung zum Altar. Die ganze Kirche war taghell und prächtig erleuchtet. Auf allen Altären brannten Kerzen. Vom Chor herab tönte ein langsameinschläferndes Gesumse der Orgel. Weihrauch und Kerzendampf lagerten sich in festen, bleigrauen Schwaden zwischen die weißgetünchten Pfeiler und die Wölbung. In dem Zug der geheimnißvoll dahinschleichenden Menschen bemerkte ich eine Menge seltsamer Gestalten. Da ging an der Spitze eine junge, prächtige Frau in einem blauen, sternbesäten Kleid, die Brüste offen, die linke halb entblößt; und durch Brust und Kleid hindurch ging ein Schwert, so, daß das Kleid gerade noch getroffen war, als sollte das Kleid dadurch empor gehalten werden. Sie blickte fortwährend mit einem verzückten Lächeln an die weiße, kalkige Decke empor, und hielt die Arme in brünstiger Geberde über die Brust gekreuzt, so daß es den Eindruck gewann, als jubilire sie innerlich über einen Gedanken (wobei ich nochmals bemerke, daß das Schwert links, bei der linken Armbeuge, bis zum Heft fest darinsaß). Dies war die vorderste Person. Aus der hinter ihr folgenden Reihe fielen Manche durch ihre wunderliche Tracht auf. Die Meisten hatten bestimmte Werkzeuge in der Hand. Der Eine eine Säge; der Andere ein Kreuz; der Dritte einen Schlüssel; der Vierte ein Buch; Einer gar einen Adler; und ein Anderer trug ein Lamm auf dem Arme mit herum. Niemand wunderte sich über den Andern. Keiner sprach mit dem Andern. Aus dem Schiff der Kirche führten drei Stufen zu der erhöhten Estrade, wo der Altar stand. Jeder wartete mit seinem in bestimmter Haltung getragenen Werkzeug, bis der Vordere die drei Stufen droben war, um nicht mit ihm zusammenzustoßen. Was mich am meisten wunderte: Niemand wunderte sich über mich. Ich blieb völlig unbemerkt. Und selbst der Mann, der mit seinem schiefbalkigen Kreuz an mich angestoßen war, schien davon nichts bemerkt zu haben. Eine zweite weibliche Person fiel mir durch ihre pathetische Haltung im Zuge auf: eine blonde Frau, nicht mehr jung, mit hübschen aber verwitterten, abgelebten Zügen. Sie trug ein ganz weißes Kleid, ohne Falbe oder Borde; in der Mitte mit einem Strick gebunden. Dieser Strick war aber vergoldet; die Brüste vollständig entblößt. Doch schaute Niemand auf diese üppig quellenden Brüste hin. Reiche, blonde Flechten, vollständig aufgelöst, wallten den ganzen Rücken hinab. Sie trug den Kopf tief auf die Brust gesunken, und schaute verzweifelt auf ihre, nicht wie gewöhnlich gefalteten, sondern nach auswärts umgeknickten Hände (wie es auf dem Theater Verzweifelnde machen); Thränen perlten fortwährend von ihren Wimpern, fielen von da direct auf ihre Brüste, von da auf das Kleid und auch noch auf die stellenweise unter dem Kleid hervorkommenden Füße.—Es wäre unmöglich Alle die aufzuzählen, die hier so still und selbstverständlich, wie zu einer regelmäßigen Uebung, da hinauf wanderten; aber der Mensch mit der verkniffenen Fratze, der anfangs seinen Schlüssel so energisch in das Mondlicht hielt und den ich vor dem Einschlafen unwillkürlich noch auf dem Postament betrachtet hatte, war auch dabei.—Trotz des eintönigen Orgelspiels war mir seit dem Erwachen ein eigenthümliches, zischelndes Geräusch hinter meinem Rücken am Altar nicht entgangen. Ich blickte jetzt um und bemerkte dort einen hochaufgeschossenen, ganz weiß gekleideten Menschen, der fortwährend in den an ihm vorbeiwandernden, theilweise vor ihm haltmachenden Zug hineinflüsterte: "Nehmet hin und esset! Nehmet hin und esset!" Es war eine unsäglich feine Figur: schlank, gracile Glieder, geistvolles Profil, griechische Nase, dunkle, glattgescheitelte Lockenwellen fielen über Schläfe, Ohr und Nacken; ein durchsichtiger, jünglinghafter Flaum um Kinn und Lippen. Nur bemerkte ich an seinen Händen Blut. Er stand am äußersten linken Ende des Altars und schob den je zu zwei vor ihm stillstehenden und auf einem rothen Schemel knieenden Menschen aus dem Zug ein rundes, weiß angestrichenes Stück in den Mund, daß diese unter brünstigem Augen-Aufschlag an die Decke blickten, und flüsterte immer zu: "Nehmet hin und esset! Nehmet hin und esset!" und "Nähmet hin und ässet!" prallte es von den halbkugelförmigen Hohlwänden hinter dem Altar zurück. So weit war Alles gut. Auffallend war mir zwar, woher dieser Mensch die weißen runden Stücke brachte. Er langte wohl fortwährend in den Brustlatz seines Gewandes hinein; dort konnte aber ein Vorrath, eine Tasche u. dergl. von den weißen Münzen unmöglich sein; einmal, weil dieses Austheilen ewig fortging und kein Ende nahm; ferner ein Unterkleid, wie man deutlich sehen konnte, nicht da war; und schließlich die Dünnbrüstigkeit dieses abgehärmten Menschen eine so excessive war, daß, was sich im Profil darbot, nothwendig dem Körper selbst angehören mußte. Auch bewegte er die feine, höchst schlank gebaute Hand so tief nach innen, daß für mich, so weit meine allerdings der Täuschung fähigen Sinne in Betracht kamen, kein Zweifel bestand, daß er die kreidigen Zwölf-Kreuzerstücke aus seinem Körper selbst brachte.—Ich sagte, so weit war Alles gut: Die Leute, die Frau mit dem Schwert in der Brust voraus, marschirten hinter dem Altar herum, um auf der rechten Seite wieder zu ihren Plätzen in den Kirchenbänken zurückzukehren. Aber was war denn auf dieser rechten Seite?—Dort stand ein analoger Mensch,—mehr ein mythologischer Zwitter als ein Mensch,—in einem schwarzen, protestantischen Predigertalar, vorn am Hals die viereckigen, weißen Tablettes oder Bäffchen, hinter denen ein schwarz behaarter Hals zum Vorschein kam; hinten am Gesäß theilte sich das Predigerkleid, und ein schwarzer, affenartiger Wickelschwanz rollte sich dort heraus von so respectabler Länge, daß er, die Breite des Altars überspannend, mit dem Rücken des auf der linken Seite amtirenden weißen Menschen in stete Berührung kam. Unten guckten zwei hufartige Füße heraus, und oben, am Predigerhals saß ein Kopf, dessen wilder Haarwuchs verbunden mit einem gelben Kolorit, eingefurchten, denkfaltigen Zügen, und einer stumpfigen Nase einem deutschen Professoren-Gesicht an Häßlichkeit wenig nachgab. Eine goldene Brille complettirte diese aus Aerger, Bitterkeit und Ekel zusammengesetzte Physiognomie.—Eigenthümlich war es, daß er fast pendelartig dieselben Bewegungen und Gesten machte, wie sein weißes Vis-à-vis,—oder Rück'-gegen Rücken—auf der andern Altarseite.—Er hielt einen schwarzen Becher in der Hand, aus dem er seiner ähnlich wie drüben vorbei-paradirenden Gesellschaft zu trinken gab. Dabei rief er in einem heiseren, grölenden Ton der jedesmal vor ihm knieenden Person zu "Nehmet hin und trinket!" Und jedesmal führte er den Becher hinter sich herum, am Gesäß vorbei, um ihn dann der nächsten Person an die Lippen zu setzen. Was war nun aber das für eine Gesellschaft auf dieser rechten Seite? Eine merkwürdige und ganz anders geartete als drüben! Da war ganz vorne ein Mensch mit einer langen Nase und zurückweichendem Kinn, einen Dreimaster am Kopfe, den ausgemergelten Körper in eine französische Uniform gesteckt à la Louis XV., mit zurückgeschlagenen rothen Rockflügeln, einen Degen zur Seite, in der rechten Hand einen Krückstock, und zu allem Ueberfluß noch unter'm linken Arm eine Flöte; er hielt den Kopf immer schief und sah sehr ausdrucksvoll drein, und schien genau zu wissen, was er that.—Da war ferner ein feiner, eleganter Kerl in spanischem Kostüm, Tricots bis fast an die Lende, Pluderhosen, gestepptes, panzerartiges Wams, darüber einen goldbordirten kurzen Mantel à la Philipp II., Schnallenschuhe, Sammthut mit Straußenfeder; das Gesicht gealtert, aber noch leichtfertig aufgelegt; einen gezückten, blanken Degen in der Rechten tänzelte er, die Champagner-Arie aus Mozart trällernd, die drei Stufen zum Altar hinauf, mit Wohlwollen auf die Ceremonien des schwarzgeschwänzten Predigers sich vorbereitend. Unter den Frauenzimmern bemerkte ich eine in einem weißen, griechischen Gewand mit goldener Falbel, die Arme nackt und mit goldenen Spangen, die Brüste verführerisch halb entblößt; auf dem blonden feingeschnittenen Haupt ein Königsdiadem, und unter dem Arm eine Lyra; mit ihren fröhlichen, fast ausgelassenen Manieren bildete sie einen wirksamen Gegensatz zu der blonden, schluchzenden Frau auf der andern Seite.—Es waren noch manche wunderbare, wie es schien, aus allen Gegenden und Zeiten zusammengewürfelte Gesellen da. Da war einer in einem langen, dunkeln, schleppenden Magister-Gewand, Barett auf dem ernsten Gesicht, eine düstre, grübelnde Scholastenmiene, unter dem Arm ein geheimnißvolles Buch mit böhmischen Lettern, der mit zu Boden gewandtem Blick schweigend in der Reihe einherging. Gleich hinter ihm ging ein junges Mädchen mit mildem, weichem Gesichtsausdruck, die einen abgehauenen, bärtigen Kopf auf einer Schüssel trug. Der Kopf schien der eines Denkers zu sein; das Mädchen lächelte und schien mit einem heitern Gedanken beschäftigt zu sein. Aber weitaus die prominenteste Figur in dem ganzen Zug war ein untersetzter, starkknochiger Mann mit rundem glattrasirtem Gesicht und Stiernacken im schwarzen Predigergewand, (dasselbe Predigergewand, welches der geschwänzte Mensch rechts am Altar trug,) der mit emporgeworfenem Kopf und selbstbewußter Miene einherging, unter dem linken Arm eine Bibel, unter dem rechten eine Nonne; dies war überhaupt das einzige Paar im ganzen Zug.

Schon oben sagte ich: Soweit war die Sache ganz gut. Und die Sache wäre auch weiterhin ganz gut gewesen: Der linke Zug ging, wie ich mir die Intention dachte, rechts um den Altar herum, der rechte links herum, um auf diese Weise in ihre respective Kirchenstühle zurückzukehren. Wie aber, wenn diese zwei Züge von so heterogenem Charakter sich hinter dem Altar begegneten. Und das mußten sie!—Ich versäumte leider dieses Zusammentreffen. Fortwährend beschäftigt mit dem Durchmustern besonders des rechten Zuges hörte ich nur plötzlich eine gelle heisere Lache aufschlagen. Ich wandte mich um, und sah den schwarzgeschwänzten Menschen, der auf der rechten Seite den Kelch mit dem verdächtigen Inhalt kredenzte, sich mit einer höhnischen Fratze nach der andern Seite umsehen, wo der weiße, sanfte Mann bleich und starr wie ein Todter stand. Hinter dem Altar sah ich die Spitzen beider Züge sich mit verdächtigen Mienen gegenseitig messen. In diesem Moment verlöschten sämmtliche Kerzen; ein dicker, schweflicher Dampf verbreitete sich im ganzen gewölbten Haus; das einschläfernde Summen der Orgel wurde von einem keifenden, gilfenden Aufschrei, wie von einem blechernen Accord unterbrochen, als hätte man eine der Orgelpfeifen mit einem Beil verwundet. Es entstand ein fürchterlicher Tumult; man hörte harte Körper stürzen, Werkzeuge aufschlagen, Leuchter und Schüsseln zu Boden fallen, weibliches Wehklagen, männliche Kernflüche, Lachen und Schreien und dazwischen rief eine mokante, kropfige Stimme (die, glaube ich, dem Schwarzen angehörte) mit einem eigenthümlichen, jüdelnden Jargon: "Ja, ja!—Nähmet hin und ässet!—Ja, ja!—Nähmet hin und trinket!"—Halb aus Furcht erschlagen zu werden, halb aus Unmöglichkeit in der stickigen Luft weiter zu athmen, tappte ich mich im Finstern dem Ausgang zu, der, ich wußte, zur Rechten lag. Im Vorübergehen streifte ich am Weihkessel an, der mit einem "Springsau!" mir den Abschied gab, und gelangte glücklich ins Freie.—

Es war noch immer Nacht; doch sah man im Osten die Dämmerung heraufkommen. Ich eilte so rasch wie möglich diejenigen Gassen entlang, von denen ich glaubte, daß sie mich am schnellsten ins Freie bringen; ich kam an einem erleuchteten Fenster vorbei; Bäcker schoben dort gerade auf langen Brettern das neue Brod in die Röhren; ich war nur froh mich wieder in irdischer Gesellschaft zu finden. Doch eilte ich, aus dem Dorf zu kommen, holte, auf der Landstraße angekommen, tüchtig aus, und gelangte nach mehrstündigem Marsch gegen Morgen in eine kleine Ortschaft von harmlosem Aussehen mit freundlichen Leuten, überall offenen Thüren, und einer wenig präponderirenden Kirche, dagegen mit einem vortrefflichen Wirthshaus, wo ich nicht säumte, mich zu restauriren.—

Acht Tage später las ich,—inzwischen in die Kreisstadt gelangt,—im Amtsblatt folgende Bekanntmachung:

"In vergangener Nacht wurden in der hiesigen Ortskirche grauenhafte Zerstörungen angerichtet. Die Bildsäulen der Heiligen und Kirchenväter wurden von ihren Sockeln gestürzt, die Embleme ihnen aus der Hand gebrochen, Arme und Beine abgeschlagen ec.—Da die ziemlich leicht zugängliche Armenbüchse unberührt gelassen, auch sonst Werthvolles nicht entwendet worden, stellt sich das Ganze als ein Akt rohen Muthwillens und moralischer Verderbtheit dar. Verdacht richtet sich gegen einen Handwerksburschen, der spät Nachts in's Dorf kam und es gegen Morgen in der Richtung nach ——* verließ. Es wird gebeten, auf denselben zu vigiliren. Derselbe, von dem jede nähere Beschreibung fehlt, ist im Betretungsfalle festzunehmen und anher einzuliefern."—

Gemeinde Zinsblech. Landgericht Pinzgau.
Der Bürgermeister ** (Datum.)


Eine Negergeschichte

Inhaltsverzeichnis

Tantam vim et efficaciam
nonnulli phantasiae et
imaginationi in proprium
imaginantis corpus tribuerunt.
Benedicti XIV; de imaginatione et ejus viribus.


Erst ganz kurz hatte ich mich in einer der östlichen Vorstädte Hamburgs als Arzt und junger Anfänger niedergelassen. Der große Weltverkehr dieser Seestadt hatte stets einen eigenthümlichen Reiz auf mich ausgeübt. Durch billiges Honorar und unentgeldliche Armen-Behandlung hatte ich mir bald eine zahlreiche Clientèle, freilich meist geringere Leute, herangezogen. Ich wohnte ganz frei, fast wie auf dem Land. Ich hatte den Sommer als ersten Aufenthalt gewählt, um von der mir noch ganz fremden Stadt, meinem künftigen Aufenthaltsort, einen möglichst günstigen Eindruck zu bekommen. Auf einer großen Wiese vor meinen Fenstern lagerten immer große Carawanen oder kleinere Trupps seltener Thiere oder fremdartiger Menschen, die meist von London herübergekommen waren, und hier ihre weiteren Verschickung in's Innere Europas warteten. Ganz in meiner Nähe lag auch die Irrenanstalt.—

Es war ein schöner Junimorgen. Meine Sprechstunde sollte eben beginnen. An der Thüre, die zum Wartezimmer führte, hörte ich ein seit einer Viertelstunde immer wachsendes Summen und Schwirren, unterbrochen von Kindergeschrei, von dort wartenden, meist ärmeren Leuten,—als plötzlich die Thüre meines Wohnzimmers, die zum Hausgang führte, mit einem energischen Griff aufgerissen wurde, und ein Neger zu mir in's Zimmer trat. Gleich hinter dem Neger kam mein Aufwarte-Mädchen mit besorgten Blicken hereingestürmt, um mir das unreglementmäßige Eintreten des Fremden zu erklären und zu entschuldigen. Ohne sich irgend wie abhalten zu lassen, sei der schwarze Mensch, als er meinen Namen an der Zimmerthüre gelesen, an ihr vorbeigeschossen und habe die Thüre aufgerissen ... so oder ähnlich drückte sie sich aus. Ich erwog, welche Bestürzung der schwarze Mensch im Wartezimmer, wo sich Kinder befanden, verursacht haben würde, und, indem ich mein Warte-Mädchen beruhigte und abtreten ließ, forderte ich den Neger mit einer freundlichen Handbewegung zum Sitzen auf. Dieser Mensch hatte mich aber bereits mit einer Fluth von Phrasen und einem Durcheinander von Kauderwelsch übergossen: "... halloo! Sie sind der Dokter?—You are the doctor!"-"Jawohl!"—"Ich habe Ihnen eine wichtige Consultation vorzutragen;—ich habe Ihnen aine sehr wichtige Mittheilung, aine sehr erfreuliche Mittheilung zu machen;—sehr wichtig und sehr erfreulich vor mich; ich waiß nicht, ob auch vor Sie.—Aber ich glaube, daß Sie ein guter Docter sind, der hat ain Herz,—at least I presume;—Sie werden kaum glauben, was ich Ihnen werde erzählen, das haißt, Sie können kaum glauben, wenn Sie gesunde Kopf haben,—ich meine, Sie werden höchst wahrscheinlich nicht glauben,—aber es ist doch wahr,—es ist furchtbar wahr,—es ist fast zu toll, um wahr zu sain.—I'm a nigger;—that is, I have been a nigger!—Ich habe Neger gewesen!—oh,—ich bin Neger gewesen!—Ich bin Neger nicht mehr!..."—

Ich muß hier den Leser auf einen Punkt aufmerksam machen. Der Neger, der hier vor mir stand, und sich um keinen Preis setzen wollte, war schwarz. Dieß wird vielleicht Manchem als eine höchst überflüssige Bemerkung erscheinen; sie ist es aber nicht, wie der Leser am Schlusse dieser absonderlichen Sprech-Zimmer-Debatte, womit die Geschichte überhaupt zu Ende ist, erkennen wird. Ich füge hinzu: Der Neger war nicht nur schwarz; es fehlten auch jene bräunlichen Tinten und helleren Flecke, wie man sie bei den etwas entfernter vom Aequator wohnenden Stämmen findet. Der Mann war ganz schwarz; jene Schwärze mit bläulichem Anhauch, wie es bei uns ein frisch gewichstes Ofenrohr darbietet; mit einem Wort, ein echter Sudan-Neger.—Er war abendländisch gekleidet, trug einen hellcarirten, doppelten Ueberzieher im englischen Schnitt, einen eleganten braunen, façonirten Filzhut, keine Handschuhe, dicke, auffallend große Stiefel, die er fertig gekauft zu haben schien, und, in Unkenntniß ihres Bau's, rechts und links verwechselt hatte; die ganze Gestalt kräftig, untersetzt; das Gesicht bartlos, wulstige Lippen, breitgequetschte Nase, ein großes sprechendes Auge, kurze aber gut entwickelte Stirn, und, ich wiederhole nochmals, die Haut ganz schwarz.—Ich muß sagen, das Erscheinen dieses Menschen in meiner Sprechstunde war mir nicht besonders angenehm; der wilde schwarzblütige Pathos, mit dem er sich, wie der Leser bemerkt haben wird, ziemlich aufdringlich bei mir eingeführt hatte, ließ mich befürchten, ich möchte nicht so rasch mit ihm fertig werden. Inzwischen war es l Uhr geworden. Im Wartezimmer neben drängte und stieß es an die Thüre; es war jedenfalls schon voll; und fortwährend klingelte es, und es kamen neue Patienten.—Auf der andern Seite beunruhigte mich der Gedanke, daß ich in orientalischen Krankheiten und unter den Tropen vorkommenden Leiden höchst ungenügend orientirt war; in Neger-Pathologie wußte ich nun schon gar nichts.—Die Suada, die der Mann mit immer heftigerer Gesticulation hervorbrachte, ließ sogleich erkennen, daß er ursprünglich englische Cultur-Verhältnisse durchgemacht, und dann erst von hier aus sich das Deutsche angeeignet hatte, welches er mit englischem Accent sprach.—Das Haupt-Leiden der Engländer, wenn sie sich in tropischen Gegenden aufhalten,—sagte ich mir rasch,—ist das Saufen; sie leiden alle an der Leber;—und die erste Leidenschaft, die wilde, uncivilisirte Völker bei ihrer Berührung mit Abendländern diesen nachmachen, ist der Schnapsgenuß;—vielleicht,—dachte ich mir,—leidet der Mann an der Leber. Und in diesem Sinne unterbrach ich das unaufhörliche Kauderwelsch dieses Menschen, das ich dem Leser unmöglich Alles vorführen kann, mit den Worten: "Mein lieber Freund, sind Sie krank, und wo fehlt es Ihnen?"—"Krank?"—replicirte mein schwarzes Vis-à-vis sehr heftig, und riß die Augen auf,—"krank,—nein! ich sein nicht krank; ich bin ganz gesund, gesünder als vorher ..."—"Ja, was wollen Sie dann von mir?"—frug ich etwas ärgerlich.—"Bitte, Docter,—haben Sie gute Herz und hören Sie mich an!"—In diesem Moment kam mir der Gedanke, daß der Bursche ein Almosen verlange, und, um dasselbe möglichst groß ausfallen zu machen, im Begriff sei, mir eine Schicksals-Tragödie zu erzählen. Ich griff daher in mein Portemonnaie, nahm ein kleines Geldstück und hielt es ihm hin. "Was haben Sie Docter?" frug der Neger und wich vor meiner Hand zurück.—"Eine Kleinigkeit für Sie,—um Ihnen zu helfen!"—"Geld?"—schrie er,—"ich brauch kein Geld, hab' ich selbst Geld,"—und hieb mit der rechten übermäßig großen Hand auf seine rechte Hosentasche;—"Geld ist Schmutz!"—fügte er hinzu, und holte mit der enormen schwarzen Pratze einen Haufen Münzen aus der Hosentasche, und hielt sie mir zitternd vor das Gesicht.—"Hier Docter, wollen Sie Geld?—Geld ist Schmutz!" schnaubte der Neger, und war einen Schritt näher auf mich zugekommen, mich mit den weißen Kugeln seiner Augen bedrohlich beobachtend. Wie ich diese schwarze Hohlhand, in der bunt durcheinander Gold-, Silber- und Kupferstücke von nicht unbeträchtlichem Werth lagen, vor meinen Augen zittern sah, und sah die kittgelben schmutzigen Nägel, und die affenartige Krümmung derselben, und roch den eigenthümlichen Neger-Schweiß, kam mir das Gefühl, ich befände mich einem Thier gegenüber, welches mich jeden Moment mit einem Schlag seiner Pranke zerschmettern könne. Ich beschloß daher so sanft wie möglich diesem erregten Menschen gegenüber zu verfahren.—

"Sait ßwai Jahren war ich eccentric dancer im Royal Garden in London,—Docter!—und hab viel schmutzig Geld gemacht;"—nahm mein Besucher den Discurs wieder auf, und zeigte vor Freude die zwei Reihen seiner großkalibrigen Zähne; denn die Bestürzung, in die er mich gebracht, war ihm nicht entgangen.—"Sagen Sie mir, wo es Ihnen fehlt,"—begann ich nun meinerseits sehr ruhig und entgegenkommend,—"damit ich Ihnen helfen kann; da drinnen warten einige fünfzig Personen!"—fügte ich hinzu, auf die geschlossene Thür des Warte-Zimmers weisend.—"All right!"—sagte der Neger, brachte das Riesen-Stück-Fleisch mit den gelben Fingernägeln leer wieder aus der rechten Hosentasche zurück, trat einen Schritt weg, stellte sich in Positur und fuhr dann fort: "Ich bin aus Pululi...."—"Von mir aus von wo der Pfeffer wächst!"—entgegnete ich mißmuthig, und stand vom Stuhl auf.—"Nein!—nicht von Pfeffer-Küste!"—replicirte der Schwarze mit einer heftigen Gesticulation, ohne meine Wendung verstanden zu haben,—"Pfeffer-Küste ist weiter gegen Sonnen-Untergang;"—"Weiter, weiter, weiter!—Damit wir zu ihrer Krankheit kommen."—"Ich uar der beste dancer in mein Dorf; wir tanzen auf Holzschuhen und singen sehr schöne Lieder dazu—so!"—in diesem Moment machte der Neger einen Luftsprung, während dessen er mit dem rechten Fuß die Decke meines ziemlich hohen Zimmers berührte, von da ein kleines Stückchen Speis mit herabnehmend; dabei stieß er einen offenbar Freude andeutenden, lange-gurgelnden, scheußlichen Laut aus, und fiel zuletzt mit dem herabkommenden Fuß mit solcher Wucht auf den Boden, daß mehrere Gläser auf meinem Schreibtisch umstürzten, und er selbst wie in eine Staubwolke eingehüllt schien. Im Neben-Zimmer fing ein Kind heftig zu schreien an.—"Ja, Docter, ich uar beste dancer in Nikowikdwanga! Aber zu maine große Unglück. Ich habe nie in Wasser gesehen, weil der große Neger-Geist verbietet Sudan-Völker, sich in Wasser zu sehen; und Spiegel haben wir nicht. Ich habe nie in Wasser gesehen. Ich habe nicht gewußt, daß ich schwarz bin. Und das dancing hat mich in Unglück gestürzt!..."—"Was soll aber ich mit dem Allen?" ich,—"Kommen Sie zu Ihrer Krankheit!"—"Aine schöne Tag kommt ain Mann zu mir, und fragt mich, ob ich will gehen zu mächtige Volk von Engländer, die am ganze Körper Kleider tragen, und dancing und singen in ein Haus voll mit ein Meer von Licht;—und er zeigt mir Hand mit schmutzig Gold,—so!"—und dabei griff mein schwarzer Besucher wieder in die rechte Hosentasche und hielt mir einen Haufen stinkenden Geldes in dem schwarzen Kübel seiner Hand dicht vor die Nase. Und ich traute mich nicht zurückzuweichen, aus Furcht, der Neger möchte mir noch näher auf den Leib rücken. Ich sagte nur: "Und dann?"—"Ich bin gegangen mit diesem Mann, weil ich glaubte, daß Geld rein ist und nicht schmutzig. Und hab' bestiegen eine große englische Schiff, und wir sind gefahren ßuai Monate auf dem Meer, und während ßuai Monate ich hab' nicht gesehen in Wasser, weil der große Neger-Geist verbietet Sudan-Volk, sich im Wasser zu sehen. Und ich hab' nicht gewußt, daß ich war schwarz. Und dann, wir kamen nach Liverpool."—"Weiter, weiter, weiter!" drängte ich.—"In Liverpool, Docter! sah ich kolossal viel blinzelnde Menschen zwischen große Häuser spazieren mit Gesicht wie Mehl und Kreide,—scheußlich!—scheußlich!"—"Weiter, weiter!—Haben Sie das Klima nicht vertragen?"—"Klima?—Was ist Klima?—Luft war gut; Essen war gut; Wohnung sehr hart; aber diese Menschen! mit das grinsende Gesicht! und alle dicht hintereinander spazierend, und mich anstarrend mit dem Kalk-Gesicht!"—"Daran gewöhnt man sich doch!?"—"Oh yes, Docter!—daran gewöhnt man sich; ich habe mich auch daran gewöhnt; ich habe sogar englisch gelernt;—aber aine Tag, als ich in Lancaster-Street spazieren gehe, schaue ich durch ein Block Wasser...."—"Ein Block Wasser,—was soll das heißen?"—"Ich schaue durch ein Block Wasser, welches in einem Haus ist, und hinter dem die Leute hin- und hergehen und schöne Sachen zum Verkauf aufstellen."—"Es wird ein Schaufenster gewesen sein?"—-"Well, es uar ein Block festes Wasser."—"Es war eine Glasscheibe!"—"Well, Glas ist festes Wasser!" —"Wenn Sie wollen, in Gottes Namen!—Was weiter?"—"Well, Docter, ich schau in den Block; es uar ein Versehen, weil der große Neger-Geist verbietet Sudan-Volk in festes Wasser zu sehen; aber ich schaue hinein, und Docter, was sehe ich?"—"Nun, vielleicht war es gutes Spiegelglas; Sie werden sich selbst gesehen haben?"—"Ein schwarzes Scheusal!—Ein fletschender Gorilla!—Ich glaubte zuerst ein Thier stehe im Laden und schaut heraus; aber die uaißen Menschen, die vorüber gingen, haben sich auch in dem Block Wasser gesehen; und jetzt sah ich, daß ich uar das scheußliche Thier; jetzt ich wußte, daß ich uar schwarz; und daß Abends die Engländer applaudiren, wenn ich thu singing und dancing, weil ich uar schwarzes Neger-Thier; und daß sie spritzen aus hundert Röhren künstliches Licht, damit sie mich besser sehen können!"—"Mein Gott, Sie fassen die Sache höchst sonderbar auf; auf diese Unterschiede in der Hautfarbe konnten Sie doch schon früher kommen!"—"Ja, und jetzt hab' ich gefunden Kalk-Gesichter von uaiße Engländer und noch mehr von Engländerinnen sehr pretty,—ja, sehr schön;-und dann hab' ich geflucht dem großen Neger-Geist, der Sudan-Volk hat schwarz angestrichen; und ich habe beschlossen, daß ich muß werden uaiß...."—"Sie haben beschlossen weiß zu werden?—Ja, das wird Sie wenig helfen!"—"Was? Docter, wissen Sie nicht, daß wir haben was in unser Kopf, das Alles kann ändern?!"—"Was haben wir in unserem Kopfe?"—"Wir haben Etwas, das Alles kann machen, wie es will!"—"Das versteh' ich nicht; was soll das heißen?"—"Well, wenn schwarze, häßliche Sudan-Volk hat so Etwas in sein Hirn, dann muß Engländer und Deutsche auch haben?" "Ja, wir haben doch keinen Farbtopf, der Alles anstreicht, wie wir wollen?!"—"Nix Farbtopf!—oder Farbtopf im Kopfe;—nix falsche Farb,—echte Farb!"—"Ja, und was war das Resultat Ihrer Anstrengungen?"—"Well, Docter, nachdem ich ßuai Monate bin jeden Tag gegangen zu dem Wasser-Block und hab' hineingeschaut, und hab' mir gesagt: Poppy, du mußt uaiß werden, und hab' fast nichts mehr gegessen, und nicht mehr geschlafen, und bin so schwach geworden, daß ich konnt' nicht mehr dancing und singing, und Mister hat mich weggeschickt, und bin ganze Nächte herumgelaufen, um zu suchen ein Wasser-Block, zum Hineinschauen, weil Nachts alle sind verschlossen, und bin dann zum Fluß gelaufen, und habe hineingeschaut ein Stunden, ßuai Stunden, ganze Nacht,—endlich, Docter, nach ßuai Monate,—nachdem ich uar wie ein Hund,—konnt' nicht mehr reden, nicht schlucken, aber immer noch in mein Kopf das helle Bild von mein Gesicht, das wunderschöne uaiße Negerbild...."—"Nun?" frag ich voller Erwartung.—"Well, Docter, nach ßuai Monat, eines Tags, plötzlich,—it was a wonderfall sight!—ich bin geworden uaiß...."—"Weise oder weiß?"—"Well,—eine Morgen, in Lancaster-Street, wie ich schaue in Wasser-Block,—ich bin gehabt,—oh, ich habe gehabt uaiße Farb,—wunderschöne uaiße Gesicht,-oh, I tell you Docter, ich uar schönste Mann in Liverpool; und alle Leute haben mich angeschaut; und ich bin gegangen zu main Master, und hab' gesagt, ich kann wieder dancing und singing. Aber der hat mich auf Schiff geschickt nach Hamburg...."

In diesem Moment fuhr draußen vor meiner Wohnung ein Wagen vor, und ich hörte zwei Männer eilfertig vom Bock springen. Ich war von der Rede meines Besuchers fast starr geworden. Das Geräusch des Wagens hatte, wie es schien, auch ihn stutzig gemacht. Noch zitternd und glühend von der Aufregung seiner Erzählung stand der Neger erwartungsvoll vor mir; das Blut-Roth seines Gesichtes hatte seiner schwarzen Farbe die Mischung von Bronce geliehen. Die weißen Augen waren gespannt und erwartungsvoll auf mich gerichtet. Aber gleichzeitig zeigte mir sein beschleunigter Athem und die furchtsamen Kopfwendungen nach der Thür, daß er irgend welche Gefahr wittere, mir unbekannt woher. Inzwischen hörte ich draußen an dem Gesumme und Gemurmel an der Hausthür, daß etwas Außergewöhnliches vorgegangen sein müsse. Auch das Sprechzimmer nebenan kam in Unruhe. Vielleicht hatte man einen plötzlich Verunglückten gebracht.—"Ja, und womit kann ich Ihnen nun dienen?"—frug ich jetzt mit der größten Ruhe mein Vis-à-vis.—"Well, Docter, ich bitte Sie um ain Zeugniß, daß ich bin uaißIrrenhaus