Gelegentlich verschiedener kleinerer und größerer Vorträge, die ich über die Kinematographie hielt — auf der 80. Naturforscher-Versammlung in Cöln, in den Naturwissenschaftlichen Vereinen zu Düsseldorf und Krefeld, im Gewerbe-Verein zu Essen, auf dem 41. Verbandstag der Rheinisch-Westfälischen Bildungsvereine zu Wesel, im Künstlerverein Malkasten und in der Aula der Luisenschule zu Düsseldorf — machte ich die Beobachtung, daß in weiten Kreisen ein reges Interesse für dieses Gebiet herrscht. Und wer auch nur einmal die lebenden Lichtbilder gesehen hat und etwas Sinn für die »Natur der Dinge« besitzt, wird fragen: wie kommt die wunderbare Wirkung zustande, wer ist der Erfinder?
Der Gedanke, es möchten ihrer viele sein, die eine kurze Beantwortung dieser Frage wünschen, veranlaßte mich, den Inhalt meiner Vorträge, teilweise ergänzt, in vorliegender Schrift niederzulegen. Ich war mir dabei bewußt, daß hier die Aufgabe, den Gegenstand verständlich zu machen, ungleich schwieriger war: beim Vortrage konnte ich alles demonstrieren — ich konnte Wunderscheibe, Lebensrad, Projektionsmodell des Malteserkreuzes und Kinematograph selbst vorführen, während ich hier auf den toten Buchstaben und die flache Buchillustration angewiesen bin. Meinem Wunsche, wenigstens einiges Anschauungsmaterial beizugeben, kam nun der glückliche Umstand zu Hilfe, daß sich verschiedenes aus den Abbildungen selbst leicht herstellen läßt: der Leser braucht nur die Figuren der Tafel auszuschneiden und mit Schnur zu versehen bezw. anzuheften, dann hat er Wunderscheibe, Lebensrad und Malteserkreuz-Modell. Einen Taschenkinematograph stellt das Heft, so wie es ist, selbst dar. Außerdem ist ein kleines Stückchen Film beigefügt.
Bei dem kleinen Umfange der Schrift konnte nur ein gedrängter Überblick über das Gesamtgebiet der Kinematographie gegeben werden. Näheres über die Konstruktions-Anordnungen und über die technische Seite überhaupt findet man in meinem »Handbuch der praktischen Kinematographie«, während ich die Geschichte der Kinematographie in einer besonderen Arbeit eingehend behandele.
Um ein gutes Illustrationsmaterial zu bieten, ließ ich die Klischees mit einigen Ausnahmen als Holzschnitte neu anfertigen, und zwar zum Teil nach den Originalabbildungen oder nach besonders entworfenen Zeichnungen. Verschiedenen Verlegern und Autoren habe ich für die bereitwillig erteilte Reproduktions-Genehmigung zu danken: Herr Hofrat Professor Dr. Eder in Wien und der Verlag von Wilh. Knapp in Halle a. S. gestatteten die Wiedergabe zweier Porträts aus Eder's »Geschichte der Photographie«, die Firma Léon Gaumont in Paris und die dortige Zeitschrift L'Illustration die Reproduktion mehrerer Filmbilder, die Urban-Trading Co. in London die Einfügung eines Bildes aus ihrem Betriebe, Professor Demeny überließ mir eine Aufnahme, womit ich seine »Photographie der Sprache« illustrieren konnte.
Düsseldorf, Dezember 1909.
Der Verfasser.
Die wunderbare Wirkung der kinematographischen Lichtbilder beruht auf einer Täuschung unseres Auges. Was uns da auf der weißen Wand gezeigt wird, ist in Wirklichkeit eine große Reihe einzelner Bilder, die den Gegenstand oder die Szene in immer neuen Momenten einer Bewegung wiedergeben und die mit sehr großer Geschwindigkeit aufeinander folgen. Wenn sich nun in unserem Auge die vielen Einzelbilder zu einem einzigen lebenden Bilde zusammensetzen, so wird das bewirkt durch die »Dauer des Lichteindruckes«. Unser Auge läßt nämlich einen Eindruck, den es empfangen hat, nicht sofort wieder fahren, hält ihn vielmehr eine gewisse Zeit fest, allerdings nur den Bruchteil einer Sekunde. Infolgedessen werden sehr rasch aufeinander folgende Eindrücke ineinander verschwimmen.
Diese Eigenschaft des Auges können wir im täglichen Leben beobachten. Ihnen wird das folgende Experiment bekannt sein; sonst ist es leicht anzustellen. Wenn man im Dunkeln ein glimmendes Streichholz (also eines von der schlechten Sorte!) hinreichend rasch umherschwingt, so sieht man nicht — wie man annehmen sollte — einen sich weiter bewegenden leuchtenden Punkt, sondern einen feurigen Kreis.
Genauere Untersuchungen hierüber wurden zuerst angestellt von Ritter d'Arcy im Jahre 1765. Er schwang ein Stück glühender Kohle im Kreise herum mit zunehmender Geschwindigkeit. Nun kommt ein Moment, wo der leuchtende Kreis grade geschlossen ist. Dann wissen wir: der Lichteindruck an einer Stelle, z. B. A in Figur 1, wirkt genau so lange Zeit nach, als die Kohle für eine Umdrehung braucht. Arcy fand auf diese Weise, daß die Dauer des Lichteindrucks im Auge ungefähr 1/8 Sekunde beträgt.
Das erste Bildinstrument, das auf dieser Eigenschaft des Auges beruhte und das sich rühmen kann, der Urahn des Kinematographen zu sein, war die im Jahre 1825 erfundene Wunderscheibe, auch Thaumatrop genannt. Es ist eine Pappscheibe, die beiderseits eine Zeichnung hat, vorn z. B. einen Vogel und hinten einen Käfig, und die man mittels zweier daran geknüpfter Fäden in Umdrehung versetzt. Bei rascher Umdrehung sieht man dann den Vogel im Käfig sitzen. Wenn Sie die Figur 2 der vorgehefteten Tafel ausschneiden, dann haben Sie eine richtige Wunderscheibe. Sie müssen nur rechts und links, wo die Punkte sind, ein Loch stechen, zwei Fäden, je etwa 10 bis 15 cm lang, schneiden und durch jedes Loch einen solchen Faden ziehen. Die beiden Enden eines jeden Fadens werden am besten verknotet. Nun nimmt man die Fäden in die Hände und läßt sie zwischen Daumen und Zeigefinger rollen, wobei dann die Scheibe in rasche Umdrehung gerät.
Wie es zur Erfindung der Wunderscheibe gekommen ist, davon erzählt der englische Mathematiker Babbage ein interessantes Stück. Eines Tages fragte ihn der berühmte Gelehrte John Herschel, mit dem er zu Tisch saß, wie man es wohl fertig bringen könne, beide Seiten eines Geldstücks gleichzeitig zu sehen. Und drauf zeigte er ihm die Lösung der scherzhaft gestellten Aufgabe, indem er das Geldstück auf dem Tisch kreisen ließ: ein Experiment, das Sie leicht nachmachen können. Der Versuch läßt sich auch in der Weise anstellen, wie es Figur 3 veranschaulicht, indem man nämlich das Geldstück mittels zweier Nadeln hebt und durch Dagegenblasen in Rotation versetzt. — Babbage nun erzählte davon seinem Freunde Dr. Fitton, und dieser zeigte ihm ein paar Tage darauf ein kleines Spielzeug, das er ausgedacht und womit sich der Herschelsche Versuch vorzüglich demonstrieren ließ: es war die Wunderscheibe.
Die Wunderscheibe wurde bald ein flotter Handelsartikel und fand weite Verbreitung. So einfach und unscheinbar dies Spielzeug auch war: es war doch ein wichtiges Prinzip darin festgelegt und es gab zweifellos mancherlei Anregung. Nun lag das Problem in der Luft, eine größere Anzahl von Bildern in ähnlicher Weise zu kombinieren, und tatsächlich wurde die Lösung bald darauf, im Jahre 1832, fast gleichzeitig an zwei Stellen gefunden. Sowohl Plateau in Gent, wie Professor Stampfer in Wien, konstruierten unabhängig voneinander das Lebensrad. Der eine nannte sein Instrument »Phenakistiskop«, der andere »Stroboskop«.