Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2019 Benjamin Vogt

ISBN: 9783750453791

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Liebe Leser,

in vollkommener Hingabe und Zuneigung widme ich dieses Buch meiner geliebten Ehefrau Ildiko. Wie unschwer zu erkennen ist, birgt die Figur der Remiko Ishtri den ein oder anderen Charakterzug ihrer selbst. Weder mit Gold noch mit schnödem Tand ist ihr Vertrauen aufzuwiegen. Ein Leben lang reine, unverfälschte Liebe, sie zu nehmen, wie sie ist, genauso, wie sie mich mit all meinen nächtlichen Schreibmarotten hinnimmt, birgt wohl das wahre Glück meines Lebens.

Verzeihen Sie bitte, wenn ich ein wenig melancholisch werde, doch eine drei-bändige Reihe mit beinahe tausend Seiten abzuschließen, markiert eine einschneidende Zäsur im Leben eines Schriftstellers. Zunächst Erleichterung, dann innere Leere, bis zu guter Letzt der HORROR VACUI regiert.

Somit will ich abschließend meiner größten Inspiration, neben meiner Familie, meinen Freunden und selbstverständlich unseren vielen Helfern auf der Cityfarm, danken.

Danke, lieber Walter Moers, für die heilsamen Worte, die in alle Ewigkeit meinen Weg als Autor begleiten werden!

Und hier fängt die Geschichte an...

Inhaltsverzeichnis

Wayan: Hauptprotagonist und Erzähler der Geschichte

Remiko Ishtri: Tochter von Martin, alias Kaiser Marquart der Allmächtige

Martin oder Marquart der Allmächtige: Träger des Auges der Wiederauferstehung, Vater von Remiko Ishtri, Adoptivvater von Wayan, Kaiser Lombokiens

Luran: Remiko Ishtris Drachenbulle

Kirack: Wayans Drachenweibchen

Ilia: Helfer von Remiko Ishtri

Xaratos: Oberhaupt des sinistren Kreises, Ausbilder Martins, Meister Remikos

Großwesir Achmadeldibad: Anführer der Widiardara, kämpft in Lombokien gegen die Kulgaren

Innin: Sahmuelin, Begleiterin und Freundin Wayans

Albrecht: Letzter Mönch der schwarzen Bruderschaft in Grubschgau

Nyoman und Made: Vater und Tochter aus dem Volk der Pedanas

Obron: Mischling aus Sahmuele und Mensch, Herr der Drachen in Widiardara, alte Seele

Rog: Oberhaupt der Drachenreiter der Widiardara

Dalia: Aus ihrer Heimat Kasirien verstoßene Falkenfrau, Unterstützerin Wayans

Lord Ignatius: Schmied der kaiserlichen Heeresschmiede

Falkenmann: Kasirier, begleitet Wayan nach Larutan

Kasirien: Land des Eises, harter Winter, kurzer und heißer Sommer

Kulgur: Land der Kulgaren, dem Kaiser treu ergebenes Volk, Träger von Dragolithen

Larutan: Überbegriff für alles nicht lombokische aus Sicht der Bewohner Grubschgaus und Linbers

Pedanas: Von Newosoresch geschaffene gottähnliche Menschen, die sich dem Frieden und der Gelassenheit widmen

Widiardara: Drachenreiter an der Grenze zu Larutan

Suchende

Der Wind fuhr in Remikos wilde Mähne und trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie war wie berauscht vom Gefühl des freien Falls. In rasendem Tempo kam der bodenlos erscheinende Sockel des Gunung Baturs näher. Sie würde aufschlagen und zerschellen, gleich einem Stück Porzellan auf einer Pflasterstraße.

„Wie konnte das nur passieren?“, schnellte ihr durch den Kopf.

Das Letzte woran sie sich erinnerte, war ihr mit Wunden übersäter Drachenjungbulle, der ihren aus tiefstem Herzen gehassten Erzeuger in einer gleißenden Wolke aus Drachenfeuer einhüllte. Danach folgte eine schier endlos erscheinende Phase zermürbender Dunkelheit. Nur Schemen der Ungewissheit, die ihr noch im Gedächtnis verblieben. Ihr eigen Fleisch und Blut hatte sie für seine Zwecke missbraucht und sie skrupellos gebannt.

Was sie sicher wusste: Eine Institution des Glaubens war durch die Hand des amtierenden Kaisers, Marquart den Allmächtigen, ihren Vater Martin, gefallen. Das Orakel des Gunung Batur hatte seine tausendjährige Wacht beendet. Leibhaftig war sie beim Ableben des mächtigsten aller Dragori Lombokiens dabei gewesen. Ihre letzte Hoffnung ruhte nun auf seinem Nachfahren, ihrem Jungdrachen Luran. Wayan hatte ihr aus gutem Grund den Schwebezauber „Makebar“ nähergebracht, doch war sie viel zu aufgeregt, um sich jetzt an ihn zu erinnern. Sollte Luran sie nicht aus der Luft fischen, war es um sie geschehen. In Vorbereitung auf den Moment des Todes, huschten tausenderlei Erinnerungen an ihrem inneren Auge vorüber. Die Gassen ihrer Heimat Grubschgau, die nunmehr verlassene Festung Lokontoras, ihr Stand am Marktplatz und dann: das lächelnde Gesicht ihres kleinen Wayans.

Blitzartig wurde ihr das nahende Ende bewusst. Die Blätter der kargen Gewächse am Grund waren schon zu erkennen, da ging der erlösende Ruck durch ihren Körper. Luran gelang es, die Distanz zwischen sich und seiner Adoptivmutter zu überbrücken. Sie spürte bereits den eiskalten Hauch des Endes im Nacken. Ein Ruck fuhr durch sie hindurch.

Den Göttern sei Dank, sie war Gevater Tod knapp entronnen. Nur die oberflächlichen Fleischwunden der Dragoriklauen, mit denen ihr Retter sie gepackt hatte, zeugten noch von diesem beinahe Desaster.

Noch ließ das pochende Adrenalin in ihren Adern keinen klaren Gedanken zu. Erst als sie sich ein wenig beruhigt hatte, kochten in ihr Zweifel hoch. Wie sollte es für sie weitergehen? Waren Wayan, Alex und Innin überhaupt noch am Leben? Zumindest gab es einen Menschen, dem sie vertraute und bei dem es nicht allzu schwer werden würde, ihn aufzustöbern. Den Anführer der Rebellenarmee, ihrem selbsterwählten Meister, Xaratos.

Sollte sie sich schämen, dass sie keinen weiteren Gedanken an ihre zurückgebliebenen Mitstreiter verschwendete? Sie konnte nicht ahnen, dass diese sich bereits auf dem beschwerlichen Weg den Himmelspass zu überwinden befanden. Gab es überhaupt eine Möglichkeit, ihren jungen Freund Wayan aufzuspüren? Sie war sich nicht einmal sicher, ob er noch auf Matageschs Schöpfung wandelte. Bei all diesen Unwägbarkeiten war es besser, die Stellung in Lombokien zu halten. Leider bedeutete dies für Luran die dräuende Gefahr gefangen, geschlachtet und verwertet zu werden. Nichts sei bekanntlich wertvoller, als die geronnene Macht eines aus Drachenblut gewonnenen Dragolithen.

Aber wo sollte sie mit der Suche nach dem alten Haudegen Xaratos beginnen? Vom Kloster des Gunung Batur zeugten nur noch rauchende Trümmer. Einzig die steinernen Grundmauern standen noch an ihrem Platz. Der einstmals viel besuchte Pilgerort lag in Schutt und Asche. Wohin konnte der gealterte Feldherr mit seiner bunt zusammengewürfelten Truppe geflohen sein? Es stellte sich als weit schwieriger heraus als gedacht, den Plänen des rüstigen Greises auf die Schliche zu kommen. Er hatte sich entgegen seiner großspurigen Ankündigung, Linber im Sturm zu nehmen, nicht getraut, die Hauptstadt des lombokischen Reiches anzugreifen. Wie meine heimlich angebetete Herzensdame bald herausfand, hatte er seine Rebellenarmee aufgeteilt. Seine Taktik war ein hin und her aus Attacke und schnellem

Rückzug auf Versorgungstracks, Steuereintreiber oder geschwächte Soldateneinheiten. Offensichtlich wollte der erfahrene Feldherr nicht, dass bei einem konzentrierten Angriff der kaiserlichen Horden seine gesamte Untergrundbewegung aufflog.

Die unerbittlichen, der Magie mächtigen Jagdtrupps aus dem fernen Osten Lombokiens, ließen sich davon nicht abhalten.

Somit fielen durch die Hand der Kulgaren, den Göttern sei Dank, immer nur einzelne Untergruppen der Rebellen, die für die Gesamtbewegung nur geringfügige Verluste bedeuteten. Zum Glück für die Getreuen Xaratos, unterlief Marquart dem Allmächtigen ein gewaltiger Irrtum.

Mit seiner Reaktion auf die Vorgehensweise der Widerstandskämpfer, spaltete er die Bewohner der lombokischen Lande tiefer denn je.

Er versuchte, in einer Art gnadenlosen Hetzjagd, die Separatistenbewegung im Keim zu ersticken. Jeder, der nur im Verdacht stand mit den Rebellen zu sympathisieren, kam über kurz oder lang in eines der staatlichen Gefängnisse. Genauso erging es den Kriegsgefangenen aus dem fernen Larutan. Der amtierende Kaiser, seine Heiligkeit Marquart der Allmächtige, war von einem verunreinigten Dragolithen besessen. Daher suchte sich der Träger des Auges der Wiederauferstehung seine Opfer bei den Schwächsten der Schwachen, denn es gierte unersättlich nach mehr Lebensenergie. Das antike Artefakt hatte meinen Ziehvater Martin, alias Marquart der Allmächtige, fest im Griff. Von all dem ahnte seine leibliche Tochter Remiko Ishtri wenig, als sie sich auf die Suche nach einem Hinweis zu Xaratos Verbleib machte.

Zunächst würde sie sich nach Lokontora begeben. Dies war der einzige Ort, an dem sie Anhänger seiner Truppe zumindest vermutete. Diese Annahme stellte sich als vollkommener Fehltritt heraus. Weder Marquart noch seine Schergen waren mit Dummheit geschlagen, geschweige denn fahrlässig in ihrem Bestreben den Feinden des Kaisers den Garaus zu machen. Lokontora ließ sich leicht überwachen und noch leichter in eine tödliche Falle verwandeln. Aus der würde es kein Entkommen geben, schnappte sie einmal zu.

„Luran, wir sind eingekesselt! Was sollen wir nur machen?“, flüsterte sie ihrem Jungdrachen zu.

Remiko hörte bereits die schweren Schritte der Getreuen Marquads des Allmächtigen. Die kurz darauf eintreffenden Soldaten standen vor einem Rätsel. „Bei Newosoresch, wo ist dieses Weibsbild mit ihrem Vieh hin? Einfach verschwunden kann´s net sein.“ Ein anderer stimmte lautstark zu: „Als ob sie der Erdboden verschluckt hätte. Warte, da kommt mir eine Idee. Lemach!“

Ein Getöse, als ob die Götter persönlich den Berg einreißen wollten, erschütterte den gesamten Raum. Nur um Haaresbreite entging die findige Magierin während ihrer Stippvisite der verlassenen Brutstätte einer Gefangennahme, indem sie sich mitsamt ihres jungen Drachenbullen versteckte. Jetzt, nachdem Lurans Giftproduktion in voller Stärke eingesetzt hatte, schmolz sie listig ein Loch in die undurchdringliche Wand aus Drachenglas. Indem sie den Durchschlupf wieder hinter sich versiegelte, wandte sie eine tausende Jahre alte List an. Die ursprüngliche Herrin Lokontoras hatte so einst ihr Gelege zu schützen versucht. Ob Luran überhaupt bewusst war, dass er sich an der letzten Ruhestätte seiner Mutter befand? Die Grubschgauerin verzweifelte. Dieses Intermezzo, kam ihr so gar nicht gelegen, denn Luran befand sich gerade in einem Wachstumsschub. Er benötigte mehr Futter denn je, dementsprechend nagte der Hunger an seiner Laune. Mit jedem Herzschlag, den sie länger in der stickigen Gruft zubringen mussten, wurde der Drachenbulle unruhiger. Zumindest war sie um eine wichtige Lektion reicher. Sie nahm sich vor, ihren Erzeuger niemals mehr zu unterschätzen. Von nun an erwartete sie an jeder Ecke das Unerwartete, sonst würde sie schneller der Vernichtung anheimfallen, als sie „Matagesch“ sagen konnte. Jetzt galt es Ruhe zu bewahren. „Psst, Luran! Bitte, bitte sei still!“, flehte sie den Jungbullen an.

„Also eingegraben hat das Stück sich nicht. Sakit, sakit, sakit, sakit! Und unsichtbar hat sie sich auch nicht gemacht.“

Ein Kulgare ergriff das Wort, was sie eindeutig am Dialekt erkannte. „Vielleicht sie ist mit Ampokang durch Wand geflohen? Schwer, aber nix unmöglich.“ Luran knurrte aufgebracht.

Beruhigend flüsterte Remiko ihm zu: „Ruhig, bisher ist das noch nie jemandem gelungen. Die bekommen ihre Lektion. Ganz ruhig.“

Als der kulgarische Dragolithenträger versuchte, die Wand mit dem Ampokang Zauber zu durchqueren, geschah mehr, als Remiko zu hoffen gewagt hatte. Der unscheinbare rote Stein an seinem Hals zerbarst und zerfetzte den Ärmsten in tausend Stücke.

„Nichts wie raus hier!“, krakeelte der Lombokier. „Verschissener Drachenschlund, dieser Ort ist verflucht. Rückzug! Wahrscheinlich ist dem Weibsbild genau das Gleiche passiert. Kommt schon, wir rücken ab!“

Trotz dass Lurans Stimmung immer düsterer wurde, wartete die gewitzte Grubschgauerin, bis die Sonne untergegangen war. So leise sie konnte, befreite sie sich. Lokontora war kaum mehr wiederzuerkennen. Überall häuften sich Gesteinstrümmer, viele tapeziert mit den kläglichen Überresten des verblichenen Kulgaren. Sie musste schnellstmöglich hier weg. Sobald es die Breite des Höhleneingangs zuließ, schwang sie sich auf Luran und gab ihm die Sporen. Keine Minute zu früh, denn ein Blitz schlug krachend neben ihr ein. „Sie ist hier! Zu den Waffen!“

Mit nur einem Hub seiner Schwingen hatte Luran sie außer Sichtweite gebracht. Die tiefe Schwärze des Waldes hatte sie schützend eingehüllt. Für den Moment waren sie sicher.

Überschwänglich dankte die ehemalige Kleintierzüchterin ihrem wehrhaften Haustier: „Uff, das war knapp! Tausend Dank! Das hast du echt toll gemacht! Danke! Dafür gibt es nachher etwas Feines zu fressen. Aber bitte sei auf der Hut, mein Hübscher. Da, wo die herkamen, gibt es bestimmt noch mehr.“ Wie Recht sie hatte.

Den Göttern sei Dank, kam dem selbst erwählten Meister Remikos, dem Kriegsfürsten Xaratos, ihre ergebnislose Suche zu Ohren. Er konnte Vasallen und Freunde auf seine Meisterschülerin ansetzen, nicht, dass die Kulgaren sie in die Finger bekamen.

Nachdem dem Jungdrachen, trotz Remikos vehementem Widerstand, vor Hunger der Kragen geplatzt war, machte er sich über eine Herde Rinder her. So konnten Xaratos Helfer endlich Kontakt mit meiner ersten Liebe aufnehmen. Sie wagten es aber erst, als Luran im Blutrausch eine Kuh, die ihr frisch geborenes Kalb zu schützen versuchte, zerfleischte. Der Geruch der angetrockneten Nachgeburt hatte den Drachen angelockt.

„Pssst, pssst, Prinzessin! Hier im Gebüsch.“

Der Schreck fuhr ihr erbarmungslos in die Glieder. Zitternd und verwirrt blickte sie umher. Sich ein Herz fassend, blaffte sie mutig ins Leere: „Komm raus, sonst röste ich dich und mach aus dir ein Grillhähnchen.“ Die undefinierte Stimme antwortete unverzüglich: „Schon gut, Prinzessin. Verzeiht, aber ich ängstige mich.“

Am ganzen Leib schlotternd, kroch ein klein geratener Mittvierziger, auf den Knien robbend, aus einer nur lose geschlossenen Ginsterhecke. Seinen Kopf zierte ein schütterer Kranz ergrauter Haare.

„Ich, ich … Ilia. Bürgermeister… äh... dieses kleinen ...äh… Städtchens.“ Er stotterte unentwegt. „Eure Durchlaucht… ich… ich…“

Remiko fasste den offenbar verstörten Möchtegern-Politiker an den Schultern und sah ihm tief in die Augen. „Beruhigt Euch! Vor mir habt Ihr nichts zu befürchten.“

Er zuckte zusammen. „Aber vor ihm! Xaratos hat jedermann vor Euch gewarnt, Prinzessin.“

Aus einer Mischung von Trotz und Wut stand ihr der Mund halb offen. „Wie habt Ihr mich gerade genannt? Bezeichnet mich noch einmal als Prinzessin und ich werde Euch zeigen, dass Eure Angst vor Luran ein Witz ist im Vergleich zu einem Wutausbruch meinerseits!“ Seine schon vollkommene Verwirrung schien sich noch zu steigern.

„Aber… aber… Euer leiblicher Vater sitzt auf dem Kaiserthron. Eure Nachkommen werden über Generationen hinweg die bekannte Welt beherrschen. Ihr seid eine Prinzessin.“

Beinahe verlor sie die Fassung, als er sie erneut mit dem Adelstitel ansprach.

Forsch erkundigte sie sich: „Was wollt Ihr?“

Er stand ungelenk auf. „Um ehrlich zu sein, möglichst schnell aus der Reichweite dieses Biestes kommen. Meine Stadt braucht mich noch. Aber der Herr hat uns angehalten, Kontakt zu Euch zu suchen, sollte sich die Möglichkeit ergeben.“

Tief ein- und ausatmend, rang sich Remiko ein Lächeln ab. „Dann verratet mir doch bitte, was Euch dennoch bewogen hat, mir Eure Aufwartung zu machen.“ Im Unterton schwang bitterer Sarkasmus mit. Nicht nur, weil Ilias sie in einer höchst angespannten Situation behelligt hatte, sondern auch, dass sie jederzeit der Bauer, dem die Rinder gehörten, überraschen konnte, bereitete ihr Unbehagen. „Verratet mir doch, wo sich Xaratos versteckt hält, dann könnt Ihr unbehelligt Eurer Wege ziehen.“ Er wirkte geknickt. „Leider weiß ich selbst nicht genau, wo sich der Herr befindet. Doch hier in der Nähe gibt es ein provisorisches Lager unserer Verbündeten. Dort sollte…“

Zu mehr kam er nicht, abrupt unterbrochen von Lurans Gier auf mehr. Remiko hörte ihm aus gutem Grund nicht zu. Aus dem Nichts heraus drosch sie unbarmherzig mit Dingin Geschossen auf ihren Schützling ein. „Du Rabauke! Das lässt du schön brav bleiben! Zerbeiß gefälligst auch die Knochen, du faules Ungetüm.“

Schützend stellte sie sich vor das verwaiste Kalb und legte ihre Hände um seinen Hals. „Ruhig Kleiner, ich werde dir helfen.“

Grollend tief fauchte aus ihr „Lingsir“ heraus. Die Nigidich, auch der Hall des Göttlichen genannt, kennzeichnete schon immer wahre Magier.

Für Remiko nichts Ungewöhnliches, ganz im Gegensatz zu ihrem Begleiter. Ilia stolperte furchtsam einige Schritte zurück. „Ihr klingt wie eine Heimsuchung.“ Sie ließ den schreckhaften Politiker in ihrer Konzentration einfach links liegen.

Ilia quiekte offen beeindruckt: „Seht doch, ein Wunder!“

Ohne Vorwarnung drückte es dem Kalb die Hörner aus dem Schädel, der sich um das Zehnfache vergrößerte. Innerhalb eines Wimpernschlages schwoll dabei sein Leib an, die Hufe sanken durch das immense Gewicht in den Boden und starke Muskelstränge zeichneten sich unter seinem Fell ab.

Fräulein Ishtri stand einfach nur da und strahlte. Schwer atmend, Auge in Auge mit dem nunmehr erwachsenen Stier, hatte sie diese Mammutaufgabe gestemmt. Schweiß troff ihr von der Nase. „Puh, das wäre geschafft. Komm, Luran, wir gehen!“

Der schnaubte wütend, sodass kleine Flämmchen aus seiner Nase züngelten, gehorchte aber beinahe unverzüglich, sobald er sich einen letzten Happen der beinahe zur Gänze verspeisten Mutterkuh genehmigte. Ängstlich, hinter einem Baum hervorquäkend, meldete sich Ilia: „Eilt Euch! Ich will Euch den Weg weisen und schnellstmöglich verschwinden, Eure Hoheit.“

Sie überging seine Anrede einfach. Genervt stieß Remiko hervor: „Jetzt hab dich nicht so. Er wird dir nichts tun.“

Nur Ilias beinahe kahler Schädel lugte hinter dem Baum hervor. „Folgt einfach dem Pfad in Richtung der untergehenden Sonne. In etwa vierhundert Schritt trefft Ihr unweigerlich auf einige Streiter der letzten Hoffnung auf ein freies Lombokien.“

Doch so leicht ließ sich Remiko nicht abwimmeln. „Nix da! Du bringst mich dahin. Keine Widerrede!“

Der in strengem autokraten Anzug gekleidete Ilia senkte demütig sein Haupt. „Wie Ihr wünscht, Majestät.“

Ein verheißungsvoller Pruster entfuhr der einstmaligen Kleintierzüchterin und unehelichen Tochter eines Mönches. „Majestät? Was zur…? Du bist doch nicht ganz klar im Kopf!“

In völligem Unverständnis kratzte sich Ilia an der Halbglatze. „Wie meint Ihr das, Majestät?“

Abermals zuckte sie bei dem Wort „Majestät“ zusammen. „Vergiss es!“

Anscheinend hatte sie aufgegeben. Fast schon im Laufschritt eilte Remikos neuer Führer voran, während die junge Frau dem Drachenbullen mit deutlichen Worten gebot bei ihr zu bleiben. Sie endete mit: „…und wehe du führst dich wieder auf wie eine Saubestie, dann kannst du was erleben!“

Sie waren kaum einhundert Herzschläge unterwegs, da gellte ein markerschütternder Schrei durch das angrenzende Dickicht. „Dragoriii!“

Es kam Bewegung in das leblos wirkende Gehölz. Aus dem Nirgendwo schallte es dräuend: „Halt! Verlasst sofort diesen Ort!“

Remiko war verblüfft. Zwar wackelte hier ein Ast, dort raschelte es im Unterholz, doch zu sehen war niemand. Unverblümt schnarrte ein Bogen, dessen Geschoss nahe den Beinen Lurans zitternd zum Stillstand kam. „Verschwindet, samt Eurem dreckigen Gewürm!“

Remiko wich um keinen Deut zurück. Sie dachte gar nicht daran, sich zu bewegen und zog den Pfeil mit einem Ruck aus dem Boden.

„Ilia, bring den zurück. Und sag diesen Rindviechern, dass ihr Xaratos einen hehren Dienst erweist, solltet ihr in der Lage sein, mich zu ihm zu bringen.“

Eine hagere Gestalt trat aus dem Schatten, um sich dem Gespann aus Drache und Reiterin entgegenzustellen. „In Anbetracht der Tatsache, dass Ihr eine Nachfahrin Marquarts des Allmächtigen seid, werden wir Euch zu Xaratos bringen. Aber zu unseren Bedingungen!“

Remiko blickte skeptisch drein. „Und welche sollen das sein?“

Entschlossen baute sich der dünnhäutige hagere Mann vor ihr auf. „Der Dragori wird in Eisen gelegt, Ihr betäubt. Seid Ihr damit einverstanden?“

Abwägend legte sie ihren Kopf auf die Seite. „Könnt Ihr mir nicht einfach verraten, wo Xaratos ist?“

Luran scharrte derweil aufgeregt mit seinen Klauen im Dreck. Ein unruhiges Kopfschütteln verteilte etliche Spritzer Drachengift in einem Umkreis von mehreren Schrittlängen. Sofort glommen diese auf und beleuchteten die Szenerie in einem unnatürlich flirrenden Licht. Es sah aus wie ein Funkenregen beim Schmieden, denn der Sabber rann der Echse unablässig aus dem Maul. Dort vergraben befand sich wohl etwas Schmackhaftes.

Aufgebracht schnaubte der Drachenbulle in sein frisch gebuddeltes Loch, womit er im Radius etlicher Pferdelängen den Untergrund zum Qualmen brachte. Ein hässliches Knirschen verriet, dass er sein Ziel erreicht hatte. Etwa katzengroß zeugte der erlegte Bawa, ein kleines, schwach magisches Wesen mit Schaufelhänden, nicht unähnlich einem Maulwurf, von Lurans unbändiger Kraft. Der gesamte Erdboden warf schwelende Dampf- und Rauchwolken aus und wölbte sich unter der Hitze.

Da fasste sich der Rebell ein Herz, trat einen Schritt auf meine heimlich Angebetete zu und meinte kreidebleich: „Nein, die Bedingungen sind nicht verhandelbar. Wenn Ihr Euch mit dem Herren treffen wollt, bestehen wir darauf, dass sowohl Ihr als auch Euer Biest unschädlich gemacht werden.“

Erbost warf Luran seinen Knochenplatten bewährten Schädel herum. „Ruhig, Kleiner! Wir müssen uns darauf einlassen.“

Ein schelmisches Grinsen huschte über das eingefallene Antlitz ihres Gegenübers. „Ich werde es so machen, dass es nicht weh tut, Majestät.“

Remikos Augen blitzten. „Wie? Wollt Ihr mich etwa niederknüppeln? Habt Ihr denn keinen Magier in Euren Reihen?“

Sein Grinsen wurde merklich breiter. „Nein! Und weil wir weder Gehirnegelextrakt noch einen Dragolithen mit uns führen, bleibt uns nur die klassische Hau-Drauf-Methode. Ich wollte immer schon ungestraft jemanden adeligen Blutes schlagen.“

Mit Remikos ungestümer Reaktion hatte er nicht gerechnet. Ihr platzte schlichtweg der Kragen.

„Ihr verfluchten Bastarde, schert euch in die Unterwelt! Ich, eine Adelige? Dass ich nicht lache. Luran, auf jetzt! Wir gehen!“

Mit eine gehörigen Portion Wut im Bauch, ließ sie den verdutzt dreinblickenden, ausgemergelten Vagabunden stehen.

Er lief ihr hinterher. „So wartet doch!“

Durch einen plötzlichen Stopp knirschten Lurans Klauen bedrohlich auf dem kiesigen Untergrund. Er machte auf dem Absatz kehrt und bäumte sich drohend und Feuer schnaubend zum Schutz Fräulein Ishtris auf. Warnend taxierte er das kleine Grüppchen Rebellen. Zwar war er kaum größer als eine stattliche Kuh, doch hinterließ er, derart aufgebracht, mächtig Eindruck.

Dem hageren Widerstandskämpfer schlotterten die Knie, Ilia nahm unterdessen schreiend Reißaus. Die Kräfteverhältnisse lagen klar auf der Hand. „Was ist nun? Gebt ihr mir den Aufenthaltsort meines Meisters Preis, oder soll ich nachhelfen?“

Augenblicklich schlug der Rädelsführer seine Augen nieder. „Verzeiht, Eure Majestät. Selbstverständlich verraten wir Euch, wo sich Xaratos befindet.“

Zufrieden grinsend, tätschelte Remiko die Flanke ihres wehrhaften Schützlings. „Gut gemacht, Luran. Vielen herzlichen Dank!“

Trotz allem sollte es noch ein weiter Weg sein, bis sie endlich ihr Ziel erreichte.

Minumakan

Vor uns weitete sich das ewige Nichts aus Steinen und Sand ins Unendliche.

Beständig rauschte das unnachahmliche Rieseln, der alles unter sich begrabenden Dünen, hinter uns her, als ob sie uns verfolgten. Dörfer vernichtende, in der Sonne glänzende Kolosse aus bewegter Masse. Sie zu überqueren glich eher mit einem Sieb Wasser zu schöpfen, als normal zu laufen. Ständig rutschten wir in den weichen Hängen ab. Damit war man viel zu oft gezwungen wieder ganz von vorne anzufangen. Eisernes Schweigen begleitete uns. Viel zu reden hatten wir bereits seit Längerem nicht mehr.

Fliegen? Ein Ding der Unmöglichkeit. Sowohl meiner Drachendame als auch dem sonst so wohl genährten Falken klebte die verhornten Zungen am Gaumen. Der Durst war ein schlimmerer Feind als alle Armeen dieser Welt. Innin gebot uns, bei jeder Gelegenheit zu rasten, um unsere Kräfte zu schonen, doch es half nur wenig. Schritt für Schritt verdorrten wir zu leibhaftigen Mumien. Ich jedenfalls fühlte mich so. Kein Lebewesen rührte sich in der aus Sand und flirrender Hitze bestehenden endlosen Weite der Minumakan. Eine Wüste aus dem Bilderbuch. Von hier gab es kein Entrinnen. Sollten wir nicht bald auf irgendeine Art von Hilfe oder Trinkwasser stoßen, wäre es um uns geschehen. Ein dumpfer Schlag riss mich aus meiner dämmrigen Lethargie. Kirack war mit Innin auf den Schultern zu Boden gegangen. Kein erbostes Kreischen, kein Widerstand.

Ich vernahm die gestaltlosen Gedanken meiner halbwüchsigen Drachendame. Sie wollte sich ihrem Schicksal ergeben, was bedeutete, elendiglich zu verrecken. Sollte nicht bald ein Wunder geschehen, wäre auch ich dem Ruf der Minumakan gefolgt. Ich setzte mich, um in Ruhe nachzudenken. Dabei nickte ich wohl ein, derart erledigt war ich.

Tap, tap, tap. Jemand hackte auf meinem Kopf herum und zog unbarmherzig an meinen Haaren. Es war der unscheinbare blass-braune Gefährte des Falkenmannes.

„Gscht, lass das!“, versuchte ich ihn zu vertreiben. Als Antwort zwickte er mir heftig in die Nase, zog abermals an meinen Haaren und kreischte heißer in mein Ohr. Aus meiner Umnachtung erwachte ich mutterseelenalleine. Als eingewehter Haufen war die sonst so starke Sahmuelin, samt meinem Jungdrachen, kaum mehr zu erkennen. Der Falkenmann lag völlig entkräftet zwei Drachenlängen von mir entfernt. Vor Schreck watete ich durch die weichen, knöcheltiefen Hinterlassenschaften der Minumakan.

Ich wollte den Kasirier anschreien, doch nur ein trockenes Hüsteln entfuhr meiner Kehle.

„Falkenmann! FALKENMANN! Wir sterben hier.“ Er versuchte sich aufzurichten. Aus trüben, dem Übergang nahen, weiß verklebten Augen, starrte er mich an. „Der letzte Weg.“

Er machte eine röchelnde Atempause. „Niemand kann ihm entgehen. Kein Mensch, weder Sahmuele noch Dragori. Wenigstens bleibt uns die Gewissheit, dass es auch kein Kaiser kann! Unsere Genugtuung. Wir sind entkommen!“

Er lachte heißer in seinen Bart. „Bete zu Matagesch und Newosoresch. Auf dass sie uns in ihre Arme schließen.“

Ein Zornesfunke durchzuckte mich. Aufzugeben war ich nicht bereit, auch wenn unsere Lage ziemlich düster aussah.

Ich schüttelte ihn aus Leibeskräften am Kragen. „Falkenmann! Bei den Göttern, hilf mir! Der Wind wird uns begraben. Ihr müsst aufstehen.“

Der hustete bitterlich. „Ich muss gar nichts! Nur sterben muss ich! Jetzt kannst du zeigen, was in dir steckt, schließlich bist du der Eine…“

Mit diesen Worten ließ er mich zurück. Er sackte in sich zusammen. Ich war allein und so verzweifelt wie nie. Vor uns eine undurchdringliche Wand aus Staub. Nichts außer gelbem Sand und schwarzem Vulkangestein. Hinter uns die vereisten Pässe des Dalith. Sollten Kirack, Innin und der Falkenmann wirklich sinnlos sterben, nachdem wir so viel durchgemacht hatten? Es war zum Verzweifeln. Ich alleine trug die Schuld an unserer Misere. Hätte ich nicht darauf gedrängt, uns nach Larutan durchzuschlagen, würden wir jetzt gemütlich auf dem Anwesen Alexanders Wein schlürfen. Remiko wäre gewiss bei mir und Kirack hätte einen Spielgefährten. Wie würden meine Lehrmeister auf diese scheinbar ausweglose Situation reagieren? Da blitzte ein Funken Restverstands durch den hintersten Winkel meines von Durst vernebelten Gehirns. Für einen Moment stand ich wieder als frierender Jüngling neben Torvic in Cabinas verlassenem Bergdorf.

„Nur für die Iklim Sedang wurde einst die Magie gepflegt und gefördert.“

Dann kam da noch irgendetwas von wegen Wind und Wetter beherrschen, doch ganz genau konnte ich mich an seinen Wortlaut nicht erinnern. Dies könnte unsere Rettung bedeuten. Hatte nicht Xaratos die Bauernaufstände mit Hilfe eines einfachen Zaubers niedergeschlagen? Und das ohne einen Tropfen Blut zu vergießen?

Wieso war ich nicht früher darauf gekommen? In meiner Verzweiflung mobilisierte ich die letzten Reserven, die in mir steckten. Nahm alle Kraft zusammen, konzentriert auf die Energien der ewigen Ordnung. Selbst wenn es mich das Leben kostete, wäre ich doch in der Lage gewesen Kirack und Innin vor dem sicheren Tod zu bewahren. „Ujan!“

Zweifel kamen in mir auf. War ich zu schwach? Kein müder Tropfen fiel vom Himmel. Ohne darüber nachzudenken, begann ich auf meine eigene Art zu den Göttern zu beten: “Ujan, Ujan, Ujan, Ujan…“ Tausend Mal wiederholte ich die Zauberformel in meinem nunmehr vollkommen zur Ruhe gekommenen Geist. In einem Augenblick der Schwäche nahm mir die flirrende Umgebung beinahe Alles. Ich verschmolz mit diesem Wüstenabschnitt zu einer Einheit, überblickte die halbe Minumakan in ihrer unendlichen Schönheit, die ich erst jetzt zur vollen Gänze begriff. Sie war keinesfalls leblos. Überall kreuchte und fleuchte es. Meinen menschlichen Körper empfand ich nur noch als weit entferntes, unwichtiges, aber dennoch zu tragendes Bündel aus Knochen und Fleisch. Ballast, den ich beinahe abwarf, hätte mich nicht ein ohrenbetäubender Donnerschlag aus meiner Trance geweckt. Lila Wolken stoben in den Himmel, bauten sich zu gewaltigen Gewittertürmen auf, in denen kreischend die Blitze umherzuckten. Erst der prasselnde Regen auf meiner Haut holte mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Jeder Tropfen war lebensspendende Flüssigkeit, die meine Begleiter nähren würde. Inmitten dieser ausgedörrten Ödnis war es mir gelungen, dem Himmel ein wenig Feuchtigkeit abzuringen. Ich kämpfte mit einer Ohnmacht, kam nicht einmal auf meine Beine. Immer wieder schoben sich schwarze Balken in mein Sichtfeld. Unbewusst unterschätzte ich die mannigfaltigen Zusammenhänge der Gefilde Matageschs. Einst hatte mich ein Magiekundiger gewarnt: „Du bist der Zündfunke, nicht mehr oder weniger! Einmal in Gang gesetzt, wirst du kaum in der Lage sein, die Macht Newosoreschs aufzuhalten!“

Jetzt erst verstand ich, was das bedeutete.

Ich hatte alle Energien aufgebracht, die mir zur Verfügung standen, den Rest besorgten die komplizierten Wechselwirkungen im Geflecht der göttlichen Ordnung.

Ein wahrer Gewittersturm legte sich über weite Teile der Minumakan. Ich hatte meinen Zweck als Katalysator für die Kräfte der Natur erfüllt. Als mich das Unbewusstsein heimsuchte, tobte ein Orkan bisher unbekannten Ausmaßes. Die von mir herbeigerufene Macht Newosoreschs wütete in voller Stärke, was uns sehr zum Vorteil gereichte. Die wenigen verbliebenen, dornenbewährten Büsche hielten stand, während sich eine wahre Sintflut über den alsbald gesättigten Wüstenboden ergoss. Ausgedörrte Flussläufe wurden reaktiviert und verwandelten sich in reißende, schlammbraune Ströme. Millionen Samen im trügerisch leblosen Boden der Wüste nahmen gierig das lebensspendende Nass auf.

In der vagen Hoffnung, dass wir gerettet waren, bekam ich leider nicht viel von dem von mir heraufbeschworenem Wunder mit.

Bereits in halber Umnachtung, nahm ich noch Innins gepresste Lobpreisung an die Götter wahr. „Bei Matagesch! Ehre sei den Göttern! Sie haben uns gerettet. Dank sei den Himmlischen in der Höhe!“

Dass dieses Wetterphänomen wenig bis nichts mit einer bewussten Willensentscheidung unserer Schöpfer zu tun hatte, wollte sie gewiss nicht wahrhaben. Das Einzige, das für uns jetzt zählte: Der Durst war besiegt. Es regnete!

Jemand flößte mir vorsichtig etwas Flüssiges ein. Meine spröden, von Rissen übersäten Lippen brannten unter dem kostbaren Nass wie Feuer. Derjenige, oder besser gesagt diejenige, richtete mir sogar ein provisorisches Kopfkissen. Wer sonst außer Innin legte eine derart liebevolle Fürsorge an den Tag? Der Falkenmann keinesfalls! „Langsam Wayan, sonst verschluckst du dich.“

Unendliche Dankbarkeit erfüllte mein Herz. Als ich mich umsah, erkannte ich erst was vor sich ging. Die von mir heraufbeschworene Erfrischung hatte, neben der notwendigen Durst stillenden Wirkung, noch einen wunderschönen Nebeneffekt. Das unwirkliche staubgelbe Einerlei wich einem zarten Hauch aus grün, das kaum drei Sonnenaufgänge später in einem Augen verwöhnenden Blütenmeer gipfelte. Im Eiltempo zog, ähnlich dem lombokischen Jahreszyklus aus Frühling, Herbst und Winter, das ewige Drama aus Werden und Vergehen an uns vorüber.

Wären da nicht Kiracks Hunger bedingte, unzumutbare Launen gewesen, hätten diese Tage ein kleiner Schritt in Richtung Paradies bedeuten können. Zumindest Innin empfand die abermals aufkommende Hitze als wohltuend und gesundete schnell, womit ihre strahlend gute Laune zurückkehrte.

„Was für ein herrlicher Tag!“

Der Falkenmann schien das ganz und gar nicht so zu sehen. „Verschissener Drachenschlund! Was soll denn dieses falsche Getue? Wir müssen dringend Beute machen. Mein Falke ist schon ganz mager und schwächlich auf der Brust. Er schafft noch nicht einmal den Kedis. Bursche, sei froh, dass dein Biest so sanftmütig ist. Jeder vernünftige Dragori hätte uns bereits zerfleischt und wäre weitergezogen.“

In der Tat machte sich ein gewisser Unmut in Kirack breit. Sie war es leid die Sahmuelin herumzutragen, mich mit den anderen zu teilen und ständig, entgegen ihrer ureigenen Instinkte, zu Fuß zu gehen. Darum war ich bemüht den unzufriedenen Drachen zu beschäftigen, so gut es eben ging. Ich ließ sie Dinge suchen, die ich extra für sie versteckte, holte mir Rat bei meinen Begleitern, was aber kaum nennenswerte Früchte trug, da sie sich fortwährend zankten. Zu guter Letzt beugte ich mich Kiracks ungestümen Luftmachen, bevor es weiter ausartete und gefährlich wurde. Es genügte mir vollauf, dass sie mich mit Freude unter einem Berg aus Sand begrub, indem sie wuchtig mit den Flügeln schlug. Für sie war es ein kleiner Spaß, doch mir ging der in jeder Ritze haftende, Haut aufscheuernde Riesel auf den Nerv. Als ich ihr dies in ziemlich harschen Worten verbot, verlegte sie sich darauf die Hänge der ausufernden Dünen zu spiegelglatten Rutschbahnen zu versengen. Bemerkte man diesen Dragoristreich nicht rechtzeitig, kam man auf dem unscheinbaren Drachenglas zu Fall und schleuderte haltlos bis zum Sockel des Sandberges. Um ein Haar wäre damit Innins Genesung zum Teufel gegangen. Den Göttern sei Dank, riss ihre frisch geheilte Wunde nur oberflächlich auf.

Gelinde gesagt, war Kiracks unberechenbares Verhalten ein selbst verschuldetes Ärgernis. Von Anfang an hätte ich mit ihr mehr unternehmen müssen. Die kurzen Ausflüge, die uns der Falkenmann zugestand, reichten bei weitem nicht aus, um das halbwüchsige Drachenweibchen auszulasten. Sukzessive zwang sie mich immer ausgedehntere Rundflüge zuzulassen, da sie sich schlichtweg weigerte, zurückzufliegen oder zu landen.

Hunderte Schrittlängen über der Minumakan wurde mir erst bewusst, wie weit ab vom Schuss sich unsere Truppe bewegte. Der vom Himmelspass aus zu sehende grüne Streifen, befand sich immer noch in weiter Ferne. Wir würden gewiss eine Ewigkeit benötigen, um dorthin zu gelangen. Ich schätzte mindestens einen halben Mondzyklus. Nach einer besonders zeitintensiven, jagdbedingten Abwesenheit stellte sich heraus, dass es keine besonders gute Idee war die streitbare Innin mit dem hasserfüllten Falkenmann allzu lang allein zu lassen.

Gerade weil meine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt waren, artete der Streit aus, denn der Hunger verleidete selbst den ausgeglichensten Gemütern die gute Laune. Die Beiden hatten sich richtig in der Wolle. Zunächst sah es nach einer ihrer üblichen Kabbeleien aus. Ich ging nicht davon aus, dass sie handfesten Streit hätten. Lautstark zeterte Innin den Alten an: „Du grober Schlächter lässt das gefälligst bleiben. Weder Wayan noch Kirack wollen das lernen! Wehe dir!“ Jetzt war ich schon ein wenig verwundert. „Was will ich nicht lernen?“

Verlegen kratzte sich Innin am Kopf.

Sofort schoss der Falkenmann scharf dazwischen: „Dieses dreckige Sahmuelenstück will mich nicht an Kirack ranlassen. Du willst doch auf alle Eventualitäten vorbereitet sein, oder nicht, Wayan?“

Ich hatte keinen blassen Schimmer worum es ging. Auf meinen ratlosen Blick hin, versuchte sich Innin zaghaft in einer Erklärung: „Dieser…“ Sie zögerte, wohl da sie kein passendes Schimpfwort für ihn fand. „Dieser… Mensch wird euch zu Mördern machen.“

Erbost schritt der ihr gegenüber ein: „Das ist eine dreiste Lüge! Was er mit diesem Wissen anfängt, ist doch ihm selbst überlassen. Was soll verkehrt daran sein den Bengel in die Kunst des Tetajen Makebar einzuführen?“

Innin setzte zum Sprechen an, doch der beinahe greise Kasirier bannte sie dreist mit einem Tidak Bisah. Umgehend begann er zu dozieren: „Solltest du je in die Situation kommen in einen Luftkampf verwickelt zu werden, schau, dass du die höher gelegene Position…“ Ruppig gab ihm die zum Schweigen verdammte Sahmuelin eine Kopfnuss. Er ging zu Boden, wodurch sein Zauber brach.

Sie ereiferte sich: „Kein Wort weiter! Dazu kommen wir, wenn er alt genug ist. Seine Seele wurde, den Göttern sei Dank, noch nicht mit derartigem Gedankengut besudelt!“

Wütend rappelte sich der Falkenmann auf, bereit zum Gegenschlag. Um dem zuvorzukommen, denn Kirack stand bereits in den Startlöchern für eine zünftige Prügelei, ergriff ich notgedrungen das Wort: „Beruhigt euch! Ist das nicht meine Entscheidung? Mir gefällt es gar nicht, als Kleinkind behandelt zu werden.“

Erbost begannen beide gleichzeitig zu protestieren. „RUHE!“ Obwohl ich es gar nicht wollte, fuhr krachend ein Blitz aus meiner Hand in den Boden. Sofort hatte ich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. „Entschuldigt! Innin, du kennst zwar Torvic nicht, aber du weißt wer meine Meister in Grubschgau waren. Lord Hagen war alles andere als zimperlich mit mir. Glaubst du wirklich, man könnte mich noch schocken?“

Sie nahm mich zur Seite und redete eindringlich im Flüsterton auf mich ein: „Falkenmänner sind knochenhart. Ich wage sogar zu behaupten, wahrhaft grausam. Ihre Methoden sind furchtbar. Er wird dich und Kirack quälen, bis aufs Blut schinden, versuchen euch zu brechen, um ein gefügiges Werkzeug für seine Zwecke zu erhalten. Ich habe es dir schon gesagt und ich sage es dir wieder. Lass dich nicht auf ihn ein!“

Um ehrlich zu sein, hatte ich mit Kasiriern andere Erfahrungen aufzuweisen.

Obwohl, wenn ich über die Zeit bei Torvic nachdachte, war seine Art der Wissensvermittlung alles andere als ein Zuckerschlecken. Er ließ mich mit bloßen Händen steinige Geröllfelder beackern, zwang mich stundenlang in beißender Kälte einen Gebirgsbach umzuleiten und knüpfte mein täglich Brot an wahnwitzige Bedingungen. Er war sich nicht einmal zu schade, mich den Lupoden zum Fraß vorzuwerfen. Bei ihm hatte ich gelernt, sowohl die Kälte als auch den Hunger wahrhaft zu fürchten. Sollte hingegen Innin Recht behalten, ging ich in meiner jugendlichen Unvernunft davon aus, dass mich der Falkenmann nur stärken würde. Was sollte schon geschehen?

Wild entschlossen forderte ich laut heraus: „Ich will lernen, egal welches Risiko es in sich birgt. Was soll schon passieren? Außerdem bist du doch da und stehst mir zur Not gewiss zur Seite. Sei doch kein Spielverderber.“

Wütend pfefferte sie mir ein „Wenn du meinst, dies sei ein Spiel, dann mach!“ entgegen.

Sie drehte mir den Rücken zu. Ich wusste zwar nicht, was ihr derart sauer aufstieß, doch verhinderte meine Neugier, dass ich dieses Mal Rücksicht auf die Launen der Sahmuelin nahm. Hätte ich es doch nur getan. Diebisch rieb sich der Kasirier die Hände. „So, jetzt wird erstmal eine Runde geflogen. Schauen wir mal, was dein Biest so drauf hat. Kedis!“

Als wäre er aus dem Nichts gekommen, zog der anmutige Falke schrill kreischend seine Bahnen über uns. Der kluge Vogel blieb aber in luftiger Höhe. Ich war davon ausgegangen, dass der Falkenmann ihn reiten wollte. Weit gefehlt.

„Steig auf Kirack und folge ihr einfach.“

Er deutete in den Himmel, bevor er sich zwanglos setzte, die Augen schloss und auf keine meiner Fragen mehr antwortete. Ob er nicht wollte oder konnte, blieb mir schleierhaft. Nachdem auch Innin nicht mehr mit mir zu reden gedachte, wohl da sie eingeschnappt war, zog es mich in die Luft. Nur der imposante Jagdvogel zeigte uns den Weg. Zunächst war es nur ein ruhiges Dahingleiten. Eine lang gezogene Rechtskurve, eine wenig gewagte Spirale und eine sanfte Landung zu Füßen des Falkenmannes. Er wendete sich der Sahmuelin zu. Wie jemand derart falsch zu schleimen vermochte, war mir ein echtes Rätsel. „Lady Innin, würdet Ihr uns die Ehre geben und das Opfer spielen?“ Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie ihren Rivalen, holte tief Luft, eindeutig um zu widersprechen, schien sich aber im selben Moment eines Besseren zu besinnen. Sie klang in diesem Moment ziemlich hochmütig gegenüber unserem Begleiter. „Na gut, wenn es sein muss! Aber nur Wayan zuliebe!“

Abermals rieb sich der Falkenmann freudig die Hände. Er wandte sich mir zu. „Im Zuge deines Versagens während der großen Wanderung, würde ich euch raten eure Zielgenauigkeit zu verbessern.“

Die Sahmuelin rümpfte skeptisch die Nase. „Was genau gedenkst du mit mir anzustellen?“

Verlegen blickte er sich um. Als er offensichtlich kein geeignetes Ziel fand, meinte er lapidar: „Versuch den Makebar. Es genügen zwei bis drei Meter Höhe. Sobald Kirack dir zu nahekommt, lässt du dich einfach fallen. Der Sand wird deinen Sturz schon bremsen.“

Womit keiner gerechnet hatte, war der Übereifer Kiracks. Sie stieß zwar zielgenau auf ihr „Opfer“ herab, doch ahnte sie voraus, dass Innin sich fallen lassen würde und glich die Differenz einfach aus. Mir blieb für einen kurzen Moment das Herz stehen. Panisch riss ich sie an den Hörnern in die Höhe. Mein Dragorimädchen war, den Göttern sei Dank, so behutsam, dass sie die Hüterin des alten Wissens nicht über die Rhonech schickte, sondern nur in Drachenmanier in den Sand stieß. Zutiefst erschrocken kauerte Innin am Boden. Unverletzt, aber mit zerstörter Funktionskleidung, welche sie von den Nomaden erhalten hatte, sah man ihr den Schock deutlich an. Die verbliebenen Fetzen, die sie am Leib trug, hingen kaum wahrnehmbar und ziemlich pietätslos an ihr herum, so zielgenau waren Kiracks Krallen auf sie herabgefahren. Ganz offensichtlich fühlte sie sich durch die Aussagen des Falkenmannes beleidigt. Den Tränen nahe weigerte sich die Sahmuelin aufzustehen.

Ich fasste mir ein Herz. „Kenak!“

Innerhalb eines Wimpernschlages war sie wieder akkurat bekleidet und stand bald erhobenen Hauptes vor uns. „Respekt, dein Dragori hat ein ausgezeichnetes Koordinierungsvermögen.“

In der Tat hatte ich, außer Kirack ihr Ziel auf telepathischem Weg einzugeben, nichts getan. Weder war es mir gelungen sie zu lenken noch hatte ich sie in irgendeiner Art und Weiße beeinflusst. Aufgeregt wand ich mich, in Erwartung eines Lobes, an den Falkenmann: „Uuund?“ Stattdessen bekamen wir einen Rüffel. „Himmel, Arsch und Kasatan. Ihr habt die Aufgabe nicht erfüllt! Sakit!“

Völlig unvorbereitet durchfuhr es mich wie ein glühendes Eisen. Ich wollte schreien, nur waren meine Zähne vor unsäglicher Pein wie zusammengeschweißt. So schnell der Schmerz gekommen war, endete er auch wieder. Innin hatte fassungslos ihre Pranken über dem Kopf zusammengeschlagen. Bevor sie zu einer Schimpftirade ansetzen konnte, schritt ich präventiv ein, um keinen weiteren Streit aufkommen zu lassen: „Schon gut, Innin! Ich habe einen Fehler gemacht. Lass stecken!“

Ihr gefror der Widerspruch in der Kehle, als sie meine Entschlossenheit weiterzumachen, spürte. Hocherfreut riss der Falkenmann triumphierend seine Hände in die Höhe, wobei Kirack gar nichts mehr mit sich anzufangen wusste. Durch den Raby, die Verbindung zweier Seelen, hatte sie meine Schmerzen leibhaftig mitbekommen. Der gestandene Drache zitterte angsterfüllt und hatte sich bereits zur Hälfte panisch im gelben Sand eingegraben.