Seneca: Thyestes

 

 

Seneca

Thyestes

Tragödie in fünf Akten

 

 

 

Seneca: Thyestes. Tragödie in fünf Akten

 

Übersetzt von Wenzel Alois Swoboda

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Francisco de Goya, Saturn verschlingt einen Sohn, 1823

 

ISBN 978-3-86199-995-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-86199-542-5 (Broschiert)

ISBN 978-3-86199-543-2 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden um 52 n. Chr. Der Text folgt der Übersetzung von Wenzel Alois Swoboda.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Personen

 

Atreus

Thyestes, Brüder

 

Plisthenes

Tantalus

Ein Knabe, Kinder des Thyestes

 

Vertrauter des Atreus

 

Ein Bothe

 

Der Schatten des Tantalus

 

Die Furie Megära

 

Chor der Männer von Mycenä

 

Erster Akt

Erste Szene

Tantalus, Megära kommen die charonische Stiege hinauf.

 

TANTALUS.

Ha! wessen grimmer Zorn treibt mich herauf

Vom Jammerhaus, wo ich mit gierem Munde

Nach Speisen hasche, die mir stets entgleiten?

Wer von den Göttern und zu welchem Unheil

Führt mich hierher in der Lebendigen

Behausungen? Hat man noch wild're Qual

Ersonnen, als den brennend heißen Durst

In Stromes Mitten? Als des Hungers Pein,

In dem ich ewiglich verschmachten muß?

Soll ich etwa den Stein des Sisyphus

Auf meine Schultern laden? Soll das Rad

In schnellem Schwung die Glieder mir verrenken?

Droht mir die Pein des Tityus, soll ich,

In weiter Höhle ausgestreckt, ein Fraß

Der Vögel seyn, daß grimmig in mein Fleisch

Sie hau'n, und was der Ungethüme Hunger

Auffraß bey Tag, zu ewig frischem Fraß

Den nimmersatten sich bey Nacht ergänze?

Nun welche neue Pein ist mir bestimmt?

Auf denn, du grauser Schattenfürst, der du

Stets neue Qual den Leidenden verhängst,

Vermehre meine Martern, wenn du kannst,

Daß selbst der großen Höllen-Pforte Wächter

Davor erbebt, der Acheron davor

Erschrickt, ich selbst davor erzittern muß!

Ersinn' etwas! – Ha sieh'! da kommt die Brut,

Die mir entstammt, die mich, den Urahn selbst

Im Frevelthun besiegt, daß neben ihnen

Ich ein schuldlos gerechter Mann erscheine,

Die nie gewagten Gräu'l vollbringen wird. –

Ist wo im Reiche der Verdammniß noch

Ein Plätzchen leer, durch mich wird es besetzt.

So lange Pelops Haus besteht, soll Minos,

Der strenge Höllenrichter, niemahls feyern.

MEGÄRA.

Auf, schreite fürder, fluchenswerther Geist,

Empöre dein verruchtes Haus zur Wuth!

Zur Wette üb' es Laster aller Art;

Der Mordstahl geh' von Hand zu Hand darin,

Und keine Scheu, kein Maß erkenn' ihr Grimm!

Die Herzen stachle blinder Zorn, die Wuth

Der Ahnen rase fort, und eine Reihe

Von Missethaten erbe auf die Enkel!

Nie habe Einer Muße, zu bereu'n

Den alten Frevel, neuer spinne stets

Sich an, ja er verdopple sich, und weil

Die Rache eine Unthat trifft, so werde

Gleich eine and're grausere vollbracht!

Dem übermüth'gen Brüderpaar entfalle

Das Zepter, und wenn flüchtig sie umher,

Des Frevelstammes Söhn', im Elend irren,

Erhebe sie des Glückes falscher Schein

Auf's neu'; bald läch'le tückisch es dem einen,

Und bald dem andern! Nieder von der Höh'

Des Thrones in des Elends Abgrund stürze

Der Mächtige, und aus dem Staube steige

Zum Herrschersitz, der jüngst ein Bettler war!

So schwank', ein Ball des launigen Geschicks,

In stätem Wogen auf und ab ihr Thron!

Um Frevel müssen sie geächtet flieh'n,

Und gönnt ein Gott Rückkehr in's Vaterland,

So sey es nur zu neuer Frevelthat!

Zum Abscheu sey'n sie jedem und sich selbst!

Es scheu' ihr Grimm kein Unrecht, kein Verboth;

Der Bruder müsse seinen Bruder fürchten,

Der Vater seinen Sohn, der Sohn den Vater;

Die Kinder sterben unter Schmach und Graus,

In wild'rem Graus geboren! Buhlerey

Und Unzucht sey des Hauses kleinste Schuld!

In Kriege zieht hinaus weit über's Meer,

Mit Menschenblute dünget ferne Lande,

Und wenn des Siegers Uebermuth in Staub

Getreten mächt'ger Fürsten Häupter, ha!

Dann harre das verbuhlte Weib daheim

Des Manns mit meuchelmörderischem Dolch!

Recht, Wahrheit, Treu' und Bruderliebe werde

Mit Füßen hier getreten, fortgebannt!

Den Himmel selbst verwirrt mit euern Sünden;

Wenn hell am Himmel glänzt der Sonne Licht,

Die Welt im heitern Tag sich freudig sonnt,

Da werd' es plötzlich Nacht, der Tag entfliehe! –

Auf, Tantalus, hinein zur Königsburg!

Haß, Mord und Tod, sie gehen ein mit dir!

Auf! weih' dein Haus zu Gräu'l und Frevel ein!

Die Säulen schmückt, mit Lorber kränzt die Pforten,

Und zündet helle Freudenfeuer an;

Es tritt ein hoher, werther Gast in's Haus! –

Es werde eine Schreckensthat vollbracht,

Weit grausamer, weit gräßlicher, als die

Einst Thracien mit Schaudern sah! Was zaudert

Die Hand des wilden Ohm's? Wie, weint Thyest

Noch seine Kinder nicht? Wann hebt er denn

Die Glieder, in des Erzes Brodeln heiß

Gesotten, aus der Gluth? Zerstückt die Leiber!

Besprengt mit ihrem Blut den väterlichen Herd!

Auf! deckt den Tisch! Und komme du als Gast

Zum grausen Mahl! Dir ist es ja nicht neu.

Heut' bist du frey, heut' magst du dich erquicken,

An diesem Mahle deinen Hunger stillen,

Heut' iß dich satt. – Sieh', Wein, mit Blut gemengt,

Trinkt man; du siehst's, und trinkst nicht mit?

Ha, fand ich endlich ein Gericht, wovor

Dir selber grauet? – Halt! Wo rennst du hin?

TANTALUS.

Fort zu dem Pfuhl der Qual, fort zu dem Strom,

Deß Wasser meiner Lipp' entflieht, wenn sie

Darnach im Durste hascht; zum Baume fort,

Der voll von Früchten meinen Hunger höhnt! –

Laß mich zurück in meinen finstern Kerker,

Und wenn ich noch zu wenig elend bin:

So bannt mich noch an einen wildern Strand,

Stürzt in das Bette mich des Phlegetons,

Wo Feuerwogen siedend mich umbrausen! –

Die ihr dort unten grause Qualen leidet,

Vom Schicksal euch verhängt; der fürchtend du

In ungeheurer Höhle liegst, stets bang'

Erwartend, wann der Sturz des Felsens dich

Zermalmt; du, den der Leu'n Gebrüll erschreckt;

Du, den die grimme Schaar der Furien

Umstrickt, der du der Fackeln Loh', die dich,

Schon halb verbrannt, umzischt, von dir abwehrst,

O höre mich, hört Alle Tantals Ruf,

Der gern zu euch hinab sich stürzen möchte!

Ertragt, – o glaubet mir, der es erfuhr! –

Tragt eure Qual zufrieden, murret nicht!

Darf ich noch nicht von hier zur Hölle flieh'n?

MEGÄRA.

Erst muß dein Fluch dein eig'nes Haus empören,

Mord bring' hinein und heiße Schlachtenwuth!

Mit Blutdurst füll' das Herz der Könige,

Und wilden Aufruhr weck' in ihrer Brust!

TANTALUS.

Nein, nimmermehr! Qual zu erdulden wohl

Bin ich verdammt, doch zu verbreiten nicht.

Wie gift'ger Qualm aus der gebrost'nen Erd'

Aufsteigt, wie Pest, die Tod den Völkern bringt,

Ward ich hierher geschleppt. Soll ich, der Ahn',

Zu grauser Unthat selbst die Enkel reitzen? –

O du, der Götter großer Vater,