Vorbemerkung zur 1. Auflage
Das jagdliche Brauchtum hat selbst in unserer überwiegend von nüchternem, zweckorientiertem Denken bestimmten Zeit seine praktische Bedeutung für den Jagdbetrieb. Darüber hinaus erhöht es in vielfaltiger Weise den ethischen und ästhetischen Wert des Waidwerks. Viele Bräuche lassen sich weit in die Geschichte zurückverfolgen. Andere sind wesentlich jünger, als es mitunter vermutet wird; deshalb müssen sie jedoch nicht geringer zu schätzen sein.
Natürlich hat sich die Art zu jagen im Wandel der Zeit stark verändert. Das vorzeitliche Jagen mit dem Steinbeil, rücksichtslosen Fangmethoden zur Existenzsicherung, mit Pfeil und Bogen, Armbrust, Schwert oder Spieß, zu Pferde, der Drück- oder Riegeljagd des 20. und 21. Jahrhunderts sind Beispiele, die jeweils aus der Zeit verstanden werden müssen. Auch die späteren Auswüchse höfischer Jagd wie Fuchsprellen, prunkvolle Wasserjagden und das eingestellte Jagen galten einmal als Jagd. Das ist heute längst nicht mehr so, da als ein wesentliches Kriterium der Jagd in unserer Zeit die Chance des Entkommens für das Wild gilt.
Es ist das Verdienst von Walter Frevert, die jagdlichen Bräuche im mitteleuropäischen Raum gesammelt und uns an die Hand gegeben zu haben.
Neuerdings werden in der Öffentlichkeit kritische Stimmen laut, die das jagdliche Brauchtum infrage stellen und sogar für überflüssig halten. Nicht nur deshalb sind in dieser Auflage zahlreiche Änderungen und Ergänzungen vorgenommen worden, die sich aus den Erfahrungen und gesetzlichen Neuerungen der letzten Jahre ergeben haben. Dazu zählen z. B. das Versorgen des erlegten Wildes – die erhöhten fleischhygienischen Anforderungen wie auch rechtliche Bestimmungen haben hier eine besonders gründliche Revision notwendig gemacht. Auch die Abschnitte zu den verschiedenen Formen des gemeinsamen Jagens sind unter rechtlichen und Sicherheitsaspekten sorgfältig geprüft und aktualisiert worden.
In diesen, wie auch den anderen Abschnitten, die das Brauchtum im engeren Sinn betreffen, bemüht sich diese Neuauflage des »Jagdlichen Brauchtums« um eine klare und zeitgemäße Darstellung. Die gewisse, gleichsam romantische Überhöhung der jagdlichen Tradition, welche die älteren Auflagen stellenweise noch kennzeichnete, gehört inzwischen zur Geschichte der Jagd. Sie ist vielleicht mit dem Selbstverständnis mancher vorangegangener Generationen eng verknüpft, gehört aber – wie wir an großen Jagdschriftstellern wie Ferdinand von Raesfeld lernen können – keinesfalls unabdingbar zur Jagd selbst. Es kommt heute vielmehr darauf an, das jagdliche Brauchtum lebendig zu halten und nachwachsenden Generationen zu bewahren, indem wir es weiterentwickeln und auf unsere Zeit abstimmen.
Diese Ausgabe ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass das »Jagdliche Brauchtum« nunmehr in einem Band mit dem »Wörterbuch der Jägerei« erscheint. Auch das »Wörterbuch«, das zuvor in fünf Auflagen als selbstständiges Werk gepflegt wurde, ist für diese Ausgabe sorgfältig durchgesehen worden. Wörter, deren aktive Verwendung heute nicht mehr belegt werden kann, sind getilgt worden; ebenso solche, deren Gebrauch regional zu stark eingeschränkt ist oder deren Aufnahme aus anderen Gründen nicht sinnvoll ist. Technische Angaben wurden überprüft; Stichworte, die in Zusammenhang mit nicht mehr gebräuchlichen oder inzwischen gesetzlich untersagten Formen der Jagd stehen, wurden entsprechend ausgewiesen. Die in den vorigen Auflagen des »Brauchtums« noch enthaltenen, ausführlichen Kapitel über Jägersprache wurden – um Doppelungen mit dem »Wörterbuch« zu vermeiden – auf einige grundsätzliche Bemerkungen konzentriert. Auch im »Wörterbuch«-Teil folgt die Neuausgabe dem Bemühen, den einschlägig Interessierten ein aktuelles und der heutigen Jagdpraxis entsprechendes Werk an die Hand zu geben, das die jagdliche Überlieferung angemessen würdigt und dem lebendigen gegenwärtigen Sprachgebrauch Rechnung trägt – und gleichzeitig das ursprüngliche Anliegen des Werkes von Walter Frevert zu bewahren.
In einem von Menschen übervölkerten und von technischen Einrichtungen überbeanspruchten Raum kann der Sinn der Jagd nicht mehr allein in der Befriedigung einer Passion oder im Genießen jagdlicher Freuden liegen; vielmehr ist der Jäger von heute kraft Gesetzes zur Erhaltung und zum Schutz des Wildes in der Lebensgemeinschaft von Mensch und Tier verpflichtet. Dies ist ein Auftrag, der nur in maßvollem, aber auch planvollem Jagen eine überzeugende Erfüllung finden kann. Der Respekt vor echtem Brauchtum führt zu einer gültigen, wenn auch nicht immer gesetzlich verankerten Maxime, der sich alle an der Jagd Beteiligten gern unterwerfen, auch dann, wenn sie allein und unbeobachtet sind.
Die Brauchtumspflege ist zugleich auch ein Teil jagdlicher Öffentlichkeitsarbeit. Die Eindrücke auf Außenstehende können verständnisfördernd, aber auch irritierend wirken. Dessen müssen wir Jäger uns stets bewusst sein.
Dietrich Stahl
Aus der Geschichte
Des Waidmanns Ursprung liegt entfernt, dem Paradiese nah,
Da war kein Kaufmann, kein Soldat,
Kein Arzt, kein Pfaff', kein Advokat,
Doch Jäger waren da!
BUNSEN
Die Ursprünge unseres jagdlichen Brauchtums finden sich sowohl in der vorgeschichtlichen Jagd als auch bei rezenten Naturvölkern. Der Mensch der Steinzeit war vom Sammler zum Jäger geworden.
Die Jagd im Paläolithikum bildete die Grundlage der menschlichen Existenz. Ackerbau und Viehzucht waren noch nicht entwickelt. Hatte die Horde Erfolg auf der Jagd, so war für alles gesorgt, denn das erbeutete Wild lieferte nicht nur Nahrung, sondern auch Kleidung und Material für die Herstellung der notwendigen Gebrauchsgegenstände in Form der Zähne, Knochen und Geweihe, kurz, es lieferte alles, was der damalige Mensch benötigte. Es ist nicht leicht, sich das menschliche Leben in der Eiszeit vorzustellen, denn selbst wenn wir heute allein auf einer einsamen Koliba der Hochkarpaten hausen oder im tiefen Busch afrikanischer Wildnis jagen, sind wir mit zahlreichen Gegenständen ausgerüstet, die dem Steinzeitmenschen unbekannt waren. Wenn wir das Leben der Inuit, soweit sie noch nicht von der Zivilisation beeinflusst sind, betrachten, so können wir uns ungefähr eine Vorstellung der Lebensweise unserer ältesten Vorfahren machen. Auch für den Inuk ist die Jagd alles. Wenn der Seehund ausbleibt oder der Lachsfang nicht gelingt, kann das Hunger, ja den Tod für die ganze Sippe bedeuten.
Nach unserem Wissen um das Leben des vorgeschichtlichen Menschen können wir vermuten, dass bestimmte Bräuche bei der Jagd eine Rolle gespielt haben. Man hat in diluvialen Aufschlüssen bereits durchbohrte Zähne von Wildpferd, Wisent, Hirsch und Wolf gefunden, die zweifellos als Schmuck und Amulette Verwendung gefunden haben. Und an der Spitze durchbohrte Wisenthörner können als Signalhörner gedeutet werden, woraus zu schließen wäre, dass Hörner schon früh zur Verständigung bei der Jagd verwendet wurden. Zu künstlerischen Darstellungen wurde der Mensch schon zeitig durch die Jagd angeregt. In den Höhlen Südfrankreichs und Nordspaniens sind Tierzeichnungen aus der Steinzeit (20 000 bis 10 000 v. Chr.) überliefert, die so naturgetreu sind, dass man zunächst an der Echtheit dieser Kunstwerke zweifelte. Wir kennen Darstellungen des Wildpferdes, des Mammuts, des Riesenhirsches, des Höhlenbären und vieler anderer Tiere, aber auch schon Bilder von jagdlichen Vorkommnissen. Besondere Erlebnisse und Erfolge auf der Jagd wurden in Stein geritzt oder mit Kohle gezeichnet, um durch kultische Beschwörung »Jagdglück« zu bewirken. Auch auf Knochen- und Geweihstücken, die den Charakter von Talismanen oder Amuletten gehabt haben dürften, finden sich Tierköpfe und jagdliche Darstellungen.
Hirschjagd – späteiszeitliche Felsmalerei, Ostspanien
Der Steinzeitmensch fing vor allem Wild in Fallgruben oder Schlingen oder trieb es über steile Felsabstürze, wo es dann hinunterstürzte und sichere Beute wurde. So sind an verschiedenen Stellen Europas Überreste von Wildpferden und anderen Tieren in großer Zahl unterhalb solcher steil abfallenden Felsen gefunden worden. Bei Trontheim in Norwegen befinden sich an einem Felsabsturz die Bilder von Elchen, die vermutlich das Wild mit magischer Kraft bannen sollten, um es an dieser Stelle zum Absturz zu bringen.
Die primitiven Waffen der damaligen Zeit, wie Steinäxte und Steinmesser, zeigen häufig künstlerische Darstellungen, auch Plastiken von Wildköpfen. In den Pfahlbauten des Bodensees gefundene Steinmesser haben vielfach einen Handgriff aus Hirschhorn. Ihre Konstruktion ist im Prinzip genauso wie die unserer heutigen Waidmesser. Aus diesen Funden können wir schließen, dass schon damals, wie auch bei rezenten Naturvölkern, gewisse Bräuche zum Leben und Überleben gehört haben.
Jagd bei den Germanen
Sehr frühe schriftliche Berichte über unsere germanischen Vorfahren geben uns Caesar, Tacitus, Plinius u. a. Begreiflicherweise sind diese Zeugnisse sämtlich aus der Sicht des kulturell viel höher stehenden Römers abgefasst und enthalten nur unvollkommene Angaben über germanische Bräuche. Zwar wird die Jagd verschiedentlich erwähnt, und Caesar berichtet, dass der germanische Jüngling besonders geachtet und berühmt sei, der eine möglichst große Zahl selbst erbeuteter Hörner des Urstiers in seinem Besitz habe. Die Stärke des getöteten Wildes hatte also offenbar bereits eine gewisse Bedeutung.
Die Geweihe von Hirschen scheint man allerdings in germanischer Zeit nur zu Gebrauchsgegenständen verarbeitet zu haben.
Aber in Zeiten, in denen wehrhaftes Wild wie Wisent, Auerochse und Bär noch Beute des Jägers war, spielte der Hirsch nicht die Rolle wie später, obwohl sehr bald das Hirschgeweih zum Symbol männlicher Kraft und Macht wurde.
Aus Gräberfunden und alten Sagen können wir das Bild der Jagd unserer Vorfahren noch etwas ergänzen. Einzelheiten werden uns bereits über die Jagd der Donaukelten berichtet. Der griechische Schriftsteller Arrian (95 bis 180 n. Chr.) beschreibt die im Donauraum wohnenden Kelten sehr genau und gibt eingehende Schilderungen ihrer Jagd. Diese Donaukelten waren bereits waidgerechte Jäger in unserem Sinne. Sie jagten weniger wegen des Wildbrets, sondern vor allem aus Passion und gestalteten die Jagd zu einem Vergnügen, das besonderen Regeln und Bindungen unterlag. Die beliebteste Jagd war die Hasenhetze zu Pferde. Hierbei mussten die schnellen Windhunde, die mit veltris oder vertragus, auch veltragus, bezeichnet wurden, die Hasen fangen und lebend ihrem Herrn bringen.
Nicht für sich, sondern dem Herrn der feurige Vertragus jaget,
der dir den Hasen im Fang unverletzt überbringt.
Neben dem flüchtigen vertragus züchteten die Kelten noch den berühmten Segusierhund. Nach Engelhardt ist dieser canis segusius der Stammvater des Leithundes und damit der Ahne unseres heutigen Hannoverschen Schweißhundes. Dieser Segusier war hervorragend geeignet, das Wild aufzuspüren, da er sehr feinnasig war und auch eine alte (übernächtige) Fährte halten konnte. Wir haben also bei den Kelten bereits Hetzjagden mit Aufspüren des Wildes durch eine besonders hierzu gezüchtete Hunderasse und dann die eigentliche Hetze mit den flüchtigen Windhunden – eine Jagdart, die durch das ganze Mittelalter hindurch bis in die Zeit der höfischen Jagd als edelstes Vergnügen galt.
Bei diesen Hetzjagden der Donaukelten wurden nicht mehr als zwei Windhunde gleichzeitig geschnallt, auch sollte der Hase stets erst einen Vorsprung erhalten, damit er nicht zu schnell gefangen wurde, man wollte ihm die Möglichkeit des Entkommens nicht nehmen. Man gab also schon dem Wild eine Chance, eine Voraussetzung, die für den Begriff der Jagd heute das entscheidende Kriterium ist. Entsprechend seiner Beute musste jeder Jäger einen Geldbetrag in eine gemeinsame Jagdkasse zahlen. An einem bestimmten, der Schutzgöttin der Jagd geweihten Tag im Jahr – als Grieche nennt Arrian diese Göttin natürlich Artemis –, wurde ein Tieropfer dargebracht, und anschließend fand ein großes Fest statt, das aus der Jagdkasse finanziert wurde. Hierbei wurden auch die Hunde nicht vergessen. Sie wurden mit Kränzen und Brüchen geschmückt, ähnlich wie auch heute noch der Schweißhund nach erfolgreicher Arbeit mit einem Bruch geschmückt wird, und erhielten reichlich zu fressen.
An dieses Jagdfest der Donaukelten erinnert in unserer Zeit noch mancher Brauch, wie er am Hubertustag, dem 3. November, gepflegt wird – aber gedenken alle Jäger heute beim Schüsseltreiben auch mit solcher Liebe ihrer treuen, vierläufigen Gehilfen? Das Gepfneisch oder die Curée der Parforcejagd war ein entsprechender Brauch.
Es ist sicher, dass die Jagd der Germanen von den Kelten beeinflusst worden ist. Die hohe Auffassung der Kelten vom Waidwerk hatte Einfluss auf die Jagd bei anderen Völkern. Die Jagd wurde immer mehr ein herrschaftliches Vergnügen und als solches durch Bräuche und Zeremonien geprägt, deren genaue Kenntnis und Beachtung für einen gerechten Jäger unabdingbar waren. Das Rotwild, der »edele Hirsch«, rückte immer mehr in den Vordergrund des jagdlichen Interesses. Näheres hierüber finden wir in den leges barbarorum, den Volksrechten, des frühen Mittelalters. In diesen werden auch die Hunderassen geschildert, die in der damaligen Zeit zur Jagd benutzt wurden. Eine große Rolle spielte der Leithund, der leitihund, »qui in legamine praecedens sequentum hominem ducit«, der, am Leitseil vorgehend, den nachfolgenden Menschen führt. Die Leithund-Arbeit war also schon genau bekannt. Außerdem werden der spurihunt und der triphunt erwähnt. Unter spurihunt haben wir wohl ebenfalls einen am Riemen arbeitenden Leithund zu verstehen, während der triphunt der eigentliche Hetzhund war. Hierzu kam noch der erwähnte veltragus oder veltris, der nicht mit der Nase, sondern nach dem Gesicht hetzte.
Olifant aus dem Jahre 1683, Prager Nationalmuseum. Entnommen aus »Lemke/Stoy, Jagdliches Brauchtum«
Eine bedeutende Rolle spielt seit Jahrhunderten das Jagdhorn. In früheren Zeitläuften diente den Jagdbediensteten zur Verständigung und als Zeichen des »gerechten Jägers« ein Ochsen- oder Büffelhorn, während die Edlen ein reich verziertes Horn aus Elfenbein an der rechten Seite zu tragen pflegten. Im Altfranzösischen wird dieses Elfenbeinhorn Olifant genannt. Berühmt ist der Olifant des Rolandliedes. Über »30 Meilen« soll Kaiser Karl den Hornstoß seines getreuen Roland vernommen haben. Er wendet sein Pferd, um seinem Paladin zu helfen, aber seine Hilfe kommt zu spät. Als Roland den Tod kommen fühlt, bettet er sich auf sein Schwert Durandarte, das er vorher vergeblich an den Felsen zu zerschmettern versuchte. Ein Sarazene nähert sich dem Todwunden und will ihm das Horn, »das er nie aus den Händen gibt«, entreißen, da erhebt sich Roland mit letzter Kraft und schlägt mit seinem Olifant Helm und Schädel des Sarazenen in Trümmer. Wohl springt der goldgefasste Rand des Hornes ab, aber das Horn aus hartem Elfenbein bleibt heil. Das vermeintliche Horn Rolands wird heute noch in Frankreich aufbewahrt, es hat ein Gewicht von etwa sieben Pfund.
Hifthorn aus der Sammlung des Musikinstrumenten-Museums in Markneukirchen. Entnommen aus »Lemke/Stoy, Jagdliches Brauchtum«
Das Jagdhorn galt als unantastbar. Herzog Begon – so wird in einer französischen Darstellung des 12. Jahrhunderts berichtet – verirrte sich auf der Nachsuche eines Keilers, der seinen Leithund geschlagen hatte, und traf auf einen Forstwart. Jener erkannte seinen Herrn nicht und griff nach dessen Olifant. Der Herzog streckte den Verwegenen mit einem tödlichen Schlage nieder.
In den leges barbarorum sind zahlreiche Bräuche überliefert, die nun gesetzliche Kraft erhielten. Eingehend wird darin die Wildfolge behandelt, die auch später Gegenstand der jagdlichen Gesetzgebung bleibt. Drakonisch waren die Strafen, die uns in den mittelalterlichen Volksrechten überliefert sind. Wer z. B. einen Hund gestohlen hatte, musste diesem zur Strafe das Weidloch küssen, wer einen Beizvogel entwendete, musste sich sechs Unzen Fleisch super testones, auf den Hoden, von dem Beizvogel kröpfen lassen!
Valentin Wagner, um 1633. Lavierte Federzeichnung aus seinem Skizzenbuch. Jagdsammlung von J. B. von Bistram, Bayerisch Gmain
Mit der Einrichtung der Bannforste im 8.–14. Jahrhundert fiel das Jagdrecht in weiten Gebieten den Königen zu, um später großenteils auf die zahlreichen geistlichen und weltlichen Fürsten überzugehen. Soweit schon ein Eigentum an Grund und Boden entstanden war, bedingte dies doch noch kein Jagdrecht des Eigentümers auf seinen Ländereien. Im Zuge der angedeuteten Entwicklung wurde ihm jenes Recht in zunehmendem Umfang genommen, was gewöhnlich mit einer Beschränkung sonstiger Nutzungsrechte verbunden war. Karl der Große hatte im Brühl bei Aachen bereits einen ausgedehnten Wildpark, und die Jagdgebräuche, die dort gepflegt wurden, beeinflussten die gesamte Jagd der damaligen Zeit.
Welche Zeremonien in den Bannforsten des späten Mittelalters üblich waren, lesen wir z. B. in den Weistümern. Für eine kaiserliche Jagd musste der Forstmeister des Reviers eine weiße Bracke auf einer seidenen Decke und seidenem Kissen mit einem silbernen, vergoldeten Halsband und seidenem Hängeseil bereithalten.
Ferner hatte er dem Kaiser eine Armbrust zu überreichen, mit einem Bogen aus Eibenholz, eine Säule von Elfenbein und Pfeile, deren Spitzen aus Silber, deren Schaft aus Lorbeerholz gefertigt und die mit Straußen- und Pfauenfedern befiedert waren.
Beizjagd
Ein Brauchtum besonderer Art gibt es bei der Beizjagd, der Jagd mit »abgetragenen« Greifvögeln, vor allem Falken und Habichten. Diese Form der Jagd existierte im Orient bereits vor dem Entstehen des griechisch-römischen Kulturkreises. Allerdings haben Griechen und Römer keine Falkenjagd betrieben (Kurt Lindner).
Zu einer hochentwickelten Kunst wurde die Beizjagd in der Zeit des Hohenstaufenkaisers Friedrich II. (um 1200). Als Zeugnis ist uns sein berühmtes Buch »De arte venandi cum avibus« (Von der Kunst des Jagens mit Vögeln) erhalten. Mit neuen Erkenntnissen wurde die Beizjagd verfeinert und hat dann mit Kaiser Maximilian I. (um 1500) eine außergewöhnliche Blütezeit erlebt. Das Kulturgut der Falknerei lebt noch heute unter den Falknern fort, die sich im Deutschen Falkenorden, im Verband Deutscher Falkner und im Orden Deutscher Falkoniere zusammengeschlossen haben. Zum Schutze der Greifvögel, insbesondere der Wanderfalken, haben deren Mitglieder sich strenge Regeln auferlegt, kontrollieren in ihren eigenen Reihen den Erwerb von Beizvögeln unter sorgfältiger Beachtung der einschlägigen Schutzbestimmungen und tragen wertvolle Forschungsergebnisse sowie wichtige Beobachtungen auf dem Gebiet der Greifvogelkunde bei.
Jagdliteratur
Die Anfänge der deutschen Jagdliteratur lassen sich bis in das hohe Mittelalter zurückverfolgen. Überragend waren zunächst allerdings Werke, die in Frankreich entstanden sind. Abgehandelt wurden anfänglich vor allem die Beizjagd, der Vogelfang und die Hetzjagd zu Pferde, dazu als spezielle Themen der Leithund und seine Führung.
Hinsichtlich der jagdlichen Bräuche im Mittelalter und in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit muss hier vornehmlich auf die in letzter Zeit erfreulicherweise stark angewachsene jagdgeschichtliche Literatur, insbesondere auf die Arbeiten des Bamberger Jagdhistorikers Dr. Dr. h. c. Kurt Lindner verwiesen werden.
Eine umfangreiche deutsche Jagdliteratur beginnt im 17. und 18. Jahrhundert. Besonders zu erwähnen ist das »Neuw Jag vnnd Weydwerck Buch«, 1582–1604, herausgegeben von Sigmundt Feyerabendt. Es ist dies ein Sammelwerk, aus sechs selbstständigen Büchern bestehend, und behandelt das gesamte Wissen jener Zeit über die Jagd. Sehr interessant ist, dass in diesen Büchern das deutsche Waidwerk geschildert wird und dass die Betonung deutscher Art und Jagdauffassung überall festzustellen ist. Die vorbildliche Jagdausübung der Deutschen wird in diesem Werk immer wieder hervorgekehrt. Aus der jagdlichen Literatur des 18. Jahrhunderts seien nur die beiden bekanntesten Werke, Hanns Friedrich von Flemming »Der vollkommene Teutsche Jäger« (1719) und Heinrich Wilhelm Döbels »Jäger-Practica« (1746) erwähnt. In beiden Büchern ist jedoch auch noch französischer Einfluss festzustellen, so sind sehr viele Kommandos, Zurufe und Bezeichnungen in französischer Sprache aufgeführt, speziell soweit es sich um die Parforcejagd handelt.
Ein bleibendes Verdienst des Kupferstechers Johann Elias Ridinger ist es, dass er uns mit seinen zahlreichen Arbeiten eine umfassende Darstellung des Wildes und des Jagdbetriebes seiner Zeit, insbesondere an den deutschen Fürstenhöfen, hinterlassen hat.
Das im Laufe des 18. Jahrhunderts deutlich gestiegene Ansehen der Jäger und Forstleute belegt ein Zitat von Friedrich von Schiller aus dem Jahre 1790: »Nein, bei Gott, ich hielt Euch Jäger für sehr gemeine Menschen, deren Thaten sich über das Töten des Wildes nicht erheben. – Aber Ihr seyd groß: Ihr wirket unbekannt, unbelohnt, frei von des Egoismus Tyrannei, und Eures stillen Fleißes Früchte reifen der späten Nachwelt noch. Held und Dichter erringen eitlen Ruhm: Führwahr, ich möcht ein Jäger sein!«
Von den jüngeren jagdlichen Klassikern sind vor allem Carl Emil Diezel, »Erfahrungen auf dem Gebiete der Niederjagd« (1849) und Ferdinand Frhr. von Raesfeld, »Das Rotwild« (1899), »Das Rehwild« (1906), »Das deutsche Weidwerk« (1914) und »Die Hege in der freien Wildbahn« (1920) zu nennen. Diese Werke lebten alle in wiederholten Überarbeitungen und zahlreichen Neuauflagen bis in die jüngste Vergangenheit fort.
Falconier, den Falken abwerfend (nach einem Kupferstich von E. Ridinger)
Einstige Jägerausbildung
Über die Ausbildung zum Berufsjäger im 18. Jahrhundert, in Anlehnung an Johann Friedrich v. FLemming, sei zusammenfassend berichtet:
Ein Lehrling, der die Jägerei erlernen wollte, musste drei »Behänge« oder Lehrjahre aushalten, bevor er wehrhaft gemacht wurde, d. h. den Hirschfänger und den Lehrabschied erhielt. Im ersten »Behang« wurde der Jägerlehrling auch Hundejunge genannt, seine Tätigkeit bestand in erster Linie in der Pflege und Fütterung der Hunde, insbesondere der Leithunde. Im zweiten Jahr hieß er Lehrbursche und durfte bereits das Jagdhorn an der Hornfessel tragen, was ihm im ersten Jahr nicht erlaubt war. Er wurde nun von seinem Lehrherrn, dem Lehrprinzen, in allen waidmännischen Gebräuchen und in allen Zweigen der Jagd ausgebildet, dadurch wurde er hirschgerecht. Aber auch in forstlichen Fragen sollte er sich unterrichten, um so holzgerecht zu werden. Durch das Abführen des Leithundes und das Dressieren der anderen Jagdhunde wurde er hundgerecht. Auch das Schießen musste fleißig geübt werden, damit er schießgerecht wurde. Aber dass es auf das Schießen allein nicht ankam, wurde schon damals betont: »Denn wenn einer noch so gut schießen kann, versteht aber sonst nicht viel, so heißt er zwar ein Schütze, aber noch kein Jäger.«
Im dritten Jahr seiner Ausbildung wurde der Lehrling Jägerbursche genannt, und nach Beendigung der drei Behänge wurde er feierlich wehrhaft gemacht. Der Lehrprinz versammelte zu dieser Zeremonie eine Reihe gestandener Jäger und begann mit einer feierlichen Ansprache an den Jägerburschen, der zur linken Hand seines Lehrherrn, mit Hornfessel und Hirschfängergurt angetan, stand. Dann nahm der Lehrprinz mit der linken Hand den Hirschfänger, mit der rechten Hand gab er dem Jägerburschen eine Ohrfeige und sprach dabei: »Dies leidest du jetzt von mir, und hinfort nicht mehr, weder von mir noch von einem andern!« Alsdann wurde der Hirschfänger feierlich überreicht, »nicht zu dem Ende, daß du es zu unnützen Händeln und Ungelegenheiten, sondern wozu es eigentlich gemacht, was vernünftig, redlich und rühmlich ist, nämlich zur Ehre der löblichen edlen Jägerey, deines künftigen Herrn, zur Beschützung seines und deines ehrlichen Namens, Leib und Lebens, am meisten aber auf Jagden führest und gebrauchest!« Danach wurde dem Jägerburschen der Lehrabschied überreicht oder auch nur gezeigt und erst am nächsten Morgen ausgehändigt; dieser Brauch ist wohl so zu erklären, dass man befürchtete, der frisch gebackene hirsch- und holzgerechte Jäger könnte bei dem nun folgenden Fest seinen Lehrabschied, der für ihn ein wichtiges Dokument war, einbüßen. Der Jägerbursche steckte alsdann den Hirschfänger zu sich, bedankte sich in wohlgesetzter Rede, und die Anwesenden stießen in ihre Hifthörner, gratulierten ihm zu seinem Ehrentage und wünschten Wohlergehen allezeit. Zu dem folgenden Festschmaus wurde der junge Jäger durch die beiden ältesten anwesenden Jäger wie ein Bräutigam zu Tische geführt, auf seine Gesundheit wurde zuerst getrunken und ihm »der Willkomm« gebracht. Es ist berichtet, dass derartige Feste »gemeiniglich« bis zum nächsten Morgen dauerten, manchmal sogar mehrere Tage.
»Federschütze mit dem Schießpferde.« Stich nach einer Zeichnung von J. E. Ridinger
Zum Jäger schlagen
Das Beispiel der Wehrhaftmachung eines Berufsjägers des 18. Jahrhunderts wirft bei uns die Frage auf, welcher Brauch heute angemessen wäre, einen Jungjäger nach bestandener Prüfung in feierlicher Form in die Reihen der Jäger aufzunehmen. Man hört gelegentlich den Ausdruck »zum Jäger schlagen« und verbindet damit fälschlicherweise Hiebe mit dem Hirschfänger auf das Hinterteil. Diese Handlung ist jedoch herkömmlich eine Bestrafung, keine Ehrenbezeugung. Gleichwohl ist bei vielen Jägern das Bedürfnis eines würdigen Abschlusses der anstrengenden Vorbereitungszeit und der nicht minder aufregenden Jägerprüfung vorhanden. Ohne Anspruch auf allgemeine Gültigkeit wird der folgende, in manchen Kreisen übliche Brauch beschrieben.
Bei der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses und der Aushändigung der Prüfungszeugnisse hält der Vorsitzende eine kurze Ansprache, lässt einen Prüfling stellvertretend für die übrigen vortreten und schlägt ihm dreimal mit einem Hirschfänger sanft auf die rechte Schulter mit den Worten:
»Der erste Schlag soll dich zum Jäger weihen,
der zweite Schlag dir Waidgerechtigkeit verleihen,
der dritte Schlag sei ein Gebot:
was du nicht kennst, das schieß nicht tot!«
Im Übrigen kann ein verpflichtender Handschlag beim Überreichen des Prüfungszeugnisses sicher sämtliche Schläge früherer Zeiten – wer weiß wohin – ersetzen. Verpflichtet werden soll der Jungjäger auf waidgerechtes Jagen unter Beachtung der Belange von Hege sowie Tier- und Naturschutz. Jedes übertriebene Pathos ist zu vermeiden.
Von dem hirschgerechten Jäger wurde in vergangenen Zeiten der sogenannte Federschütze unterschieden. Dieser hatte nur das jagdliche Handwerk erlernt, er musste mit Netzen und Garnen und den Hühnerhunden umzugehen wissen. Den Federschützen war nicht gestattet, Hornfessel und Jagdhorn, geschweige denn den Hirschfänger zu tragen, »sondern dieses kam allein den hirschgerechten und vom großen Weydwerke dependirenden zu, welches dann auch nicht mehr als billig ist«. Derartige Differenzierungen kennen wir heute nicht mehr.
Leithund
Zahlreiche Bräuche woben sich um den Leithund. Der Besuchsjäger oder Besuchsknecht, der den Leithund führte, streichelte dem Hund zur Belohnung und Ermunterung mit einem eichenen Bruch über den Rücken und sprach ihn dabei mit Waidsprüchen an. War der Leithund nicht interessiert und lebhaft genug, sondern »kaltsinnig und faul«, so musste er »genießen«. Zu diesem Zweck wurde nach der Erlegung eines Hirsches etwas Wildbret vom Halse abgeschärft und in die Schalen eines Hirschlaufes fest eingeklemmt. Dann wurde von dem Hirsch aus, der verdeckt wurde, sodass der Leithund ihn nicht sehen konnte, mit einem in Schweiß getauchten Hirschlauf eine einige 100 Schritt lange künstliche Schweißfährte gelegt, und der Leithund nun zu dieser Schweißfährte gebracht. Unter Zusprüchen des Führers gelangte der Hund zu dem Hirsch und wurde veranlasst, das Wildbret aus den Schalen zu fressen. Alsdann wurde der Hund abgeliebelt, indem man ihn wieder mit einem Eichenbruch streichelte. Man nannte das den »Genuss« des Leithundes oder das Genossenmachen. Der Leithund wurde von einer gerechten Fährte niemals abgezogen, sondern abgetragen. Die Leithunde hatten alte, traditionelle Namen, wie Hirschmann, Waldmann, Gesell, Söllmann, Hela oder Hele.
J. E. Ridinger: Hirschgerechter Jäger
In diesem Zusammenhang soll auch die »curée des chiens« oder deutsch das »Gepfneisch« Erwähnung finden. Nach vollendeter Hetzjagd wurde der Hirsch an Ort und Stelle aufgebrochen und zerwirkt. Die hierbei üblichen Bräuche haben sich in Frankreich über Jahrhunderte erhalten. Nach beendigtem Zerlegen erhielt der Leithund, der den gehetzten Hirsch bestätigt hatte, zunächst Herz und – nach Abschlagen des Geweihs – das Haupt des Hirsches; später folgten auch die anderen Hunde. Alsdann wurden auf der Innenseite der Hirschdecke Feist, Hirn, Lunge, Leber, Milz, auch kleine Wildbretstückchen mit Schweiß vermischt; außerdem wurden klein geschnittenes Brot und Käse mit Schweiß übergossen dargereicht. Nachdem die Hundejungen alles säuberlich vorbereitet, auch eine Schüssel mit frischem Wasser daneben gestellt hatten, stießen die Jäger in ihre Hörner, und auf dieses Signal stürzten sich die Hunde auf den Fraß. Die Jägerjungen passten mit Ruten bewaffnet auf, dass alle Hunde zu ihrem Recht kamen. Mit einem Waidgeschrei und einem Umtrunk endete diese alte Zeremonie. Anlässlich der Internationalen Jagdausstellung in Düsseldorf 1954 wurde eine solche curée von französischen Parforcejägern bei Fackelschein vorgeführt.
Der Käse spielte bei den Leithunden eine große Rolle. Man sollte den Leithunden häufig faulen Käse zu fressen geben, da dies ihrer Nase sehr zuträglich sei. Das Äußere der Leithunde wird bei allen Jagdschriftstellern der alten Zeit eingehend beschrieben. Die originellste Schilderung liefert MYNSINGER über die »Jagdhund und Laitthund«:
»Die oren sind Im lang und das Maul hanger und die Naslöcher sind Im weit geschlitzt, er ober lefftz hanget Im auch herab, und sein stymm ist hell und der swantz ist nit zu lang und sein arsloch ist hinden weitt. Das sind die zaichen des Adels.«
Der Leithund wurde geführt am Hängeseil, welches aus Bockshaaren verfertigt sein sollte. Zusammengeschlungen hing das Hängeseil auf der rechten Seite des Jägers, der Hund wurde also rechts geführt. Die Halsung musste mit einem Wirbel versehen sein, wie das heute noch bei der Schweißhundhalsung üblich ist. In der linken Hand trug der Besuchsknecht einen Packen Eichenbrüche, mit denen er die gearbeiteten Fährten verbrach und den Leithund abliebelte.
War der mit dem Leithund bestätigte Hirsch zur Strecke gekommen, so wurde der alte Brauch des Geweih-Vortragens geübt. Nachdem das Geweih mit drei Schlägen des Waidblattes vom Haupte getrennt – abgeschlagen – war, wurde es zunächst dem Jagdherrn vorgetragen. Alsdann wurde von dem Oberjägermeister oder, wenn dieser von Adel war, in seiner Vertretung vom ältesten anwesenden Jäger das Geweih dem Leithund vorgetragen, wonach alle anderen Jäger entsprechend ihrer Rangordnung folgten. Dabei wurde der Leithund mit Waidsprüchen wie dem nachstehend wiedergegebenen angesprochen.
»Söllmann hin, hin zu der Fährd
Die der edele Hirsch von Feldern gegen Holtze einthät
Gegen Holtz, kam der edele Hirsch stolz,
Mit seiner edelen Kron, Gott hat sie ihm aufgethon,
Mit seinen stolzen Tritten hat heute den Tod erlitten.
Söllmann hin, du hast Recht, habe Danck,
Das ist heute ein guter Anfang.
Söllmann, du hast heute den edelen Hirsch verfangen,
Nach ihm trägst du groß Verlangen,
Mach dich frisch und fröhlich, du geneust zur Stund
Des edelen Hirsches Wildbret fein,
Ehre soll mein Jägerrecht seyn,
Söllmann halte dich zu mir wie ich zu dir,
So trag ich hier des edelen Hirsches Gehörn dir für.
Heute ging es durch Haber und Korn,
Ob's gleich dem Bauern thäte Zorn,
Und mußte seinen Schweiß vergießen
Daß du dessen kannst genießen
Söllmann, du hast Recht, habe Danck
Ist ein guter Anfang.«
Sodann erhielt der Leithund Hirn und Teile des Kopfes zum Genossenmachen. Die Ansprachen waren in den einzelnen Gegenden verschieden, aber inhaltlich etwa gleich. Der Jagdherr nahm nun einen Humpen Wein und trank dem Oberjägermeister auf aller rechtschaffenen Waidleute Gesundheit zu, danach kreiste der Humpen in der Rangordnung unter allen Anwesenden bis zum letzten Besuchsknecht. Zum Schluss wurde auf den Hift-, Jagd- und Flügelhörnern geblasen und ein »Waidgeschrey« angestimmt. Von diesem Waidgeschrei oder Waldgeschrei wurde damals bei jeder sich bietenden Gelegenheit reichlich Gebrauch gemacht. Bei Hetzjagden, bei Zwangstreiben, bei Bestätigungstreiben, bei Haupt- und Kontrajagden – immer musste die Jägerei ein »Waidgeschrey« hören lassen. Zu Beginn der Jagd wurde auf den Jagdhörnern geblasen und dazu »Joho, hoch do, hoch do« geschrien. Wurde während des Treibens ein Hirsch gesehen, so wurde »Juch-Hirsch« geschrien.
Das Tajo-Rufen beim Anblick des gejagten Hirsches ist französischen Ursprungs und war bei der Parforcejagd üblich. Auch die französische Reitjagd kennt ein Tajo-Signal, das beim Anblick des gehetzten Hirsches von den Piqueuren geblasen wurde. Vielfach wurde dem Waid- oder Jagdgeschrei mit schnellem Rhythmus dreimal ein »Wolauf« vorangesetzt. Auch der alte Ruf »Ho – Rüd – Ho«, das heutige »Horrido«, ist ein solcher Jagdschrei. Begleitet wurden die Jagdschreie meistens durch Hornsignale. Die ältesten überlieferten Jagdsignale finden wir in dem 1582 von Johann Feyerabendt herausgegebenen »Neuw Jag vnnd Weydwerck Buch«.
In der neueren Literatur sind diese alten Signale in dem Jägerbrevier von Johann Georg Theodor Grässe (2. Aufl. Wien 1869) abgedruckt.
Waidsprüche
Zum Brauchtum der alten Jägerei gehörten weiterhin die Waidsprüche. Dies waren Sinnsprüche, die in der Hauptsache mündlich überliefert wurden und vom 14. bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts – zumeist in kaum veränderter Form – gebräuchlich waren. Sie betrafen in erster Linie die Hirschjagd, da der Hirsch das bedeutendste Wild jener Zeit war und nur der hirschgerechte Jäger etwas galt. Die anderen waren Federschützen oder etwa gar »Böhnhasen«, wie Döbel die nicht richtig ausgebildeten Jäger nennt, die nach V. Malitz (1824) »zur Schande der hirsch-und forstgerechten Jäger, des Erzpatriarchen Nimrod und des Gottes genannten Waldpflegers Sylvan den wehrhaften Hirschfänger tragen«.
Die derzeit bekannte älteste Sammlung jagdlicher Spruchdichtung ist uns in einer Handschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts überliefert. Die darin enthaltenen 23 Waidsprüche lassen auf Ursprung und Entstehung im 14. Jahrhundert schließen. Im Gegensatz zu jüngeren Waidsprüchen werden in diesen neben dem Hirsch auch andere Wildarten, nämlich Wildschwein, Bär und Hase, angesprochen. Wir müssen annehmen, dass die Waidsprüche von den Jägern selbst erdacht und nicht von höfischen Poeten zusammengereimt sind. Das beweist ihre derbe volkstümliche Sprache.
Eine Sammlung alter Waidsprüche findet man in dem bereits erwähnten Jägerbrevier von Grässe. Eine Auswahl soll hier folgen:
»Auf, auf, mein lieber Weidmann, mit Weidmannsheil,
Daß uns, so Gott walt, was Gutes werde zutheil!«
»Joho, mein lieber Weidmann, gleichfalls mit Heil,
Daß Gott dir und mir gebe all gute Weil!«
»Weydemann, lieber Weydemann, hübsch und fein,
Was gehet hoch wacht vor den edlen Hirsch
Von den Feldern gegen Holtze ein?
Das kann ich dir wohl sagen:
Der helle Morgenstern, der Schatten und der Atem seyn
Geht vor dem edlen Hirsch von Feldern gen Holtze rein.«
»Weydemann, tu mir kund, wodurch wird der edle Hirsch verwund?
Das kann ich dir wohl sagen:
Tuts nicht der Jäger und sein Leithund
So bleibt der edle Hirsch unverwund.«
»Weydemann, lieber Weydemann, hübsch und fein,
Sage mir, wann mag der edle Hirsch am besten gesund seyn?
Das kann ich dir wohl sagen für:
Wenn die Jäger sitzen und trinken Bier und Wein
Pflegt der Hirsch am allergesündesten zu sein.«
»Weydemann, lieber Weydemann, sag mir an:
Was ist weißer dann der Schnee
Was ist grüner dann der Klee
Schwärzer als der Rab'
Und klüger dann der Jägerknab?
Das kann ich dir wohl sagen:
Der Tag ist weißer als der Schnee
Die Saat ist grüner als der Klee
Die Nacht ist schwärzer als der Rab'
Schöne Mädchen klüger dann der Jägerknab.«
»Der Teutschen fleiß war in gemein Jagen,
Reiten, nicht viel still seyn
Lauffen, Rennen und auff solch weiß
Zu suchen narung und die speiß.«
»Der Teutsche wohl gewohnt der Kelt
Auff dem Gebirg ligt biß er fellt
Die großen Bären in den Schnee
Und tracht, daß ihm kein Hirsch entgeh.«
»Ein edler Jäger wohlgemut
Zog aus mit seinem Leithund gut
Sucht fürhin in dem Holtze
All sein Gemüt stund ihm dahin
Das er wollt jagen, jagen in sein'm Sinn
Einen edlen Hirschen stoltze.«
Trinksitten
Von den Germanen wird berichtet, dass sie nach beendeter Jagd die mit Met gefüllten Humpen fleißig kreisen ließen, und zahlreiche Trinksitten der Jäger haben sich bis heute erhalten. Der von der Jagd heimkehrende Jäger hatte nicht nur Hunger, wie uns in der Bibel von Esau berichtet wird, sondern vor allem großen Durst. So war es bei vielen Gelegenheiten, z. B. beim Geweihvortragen üblich, dass die gesamte Jägerei aus einem großen Humpen trank, der reihum ging. Bei der Wehrhaftmachung des hirsch- und holzgerechten Jägers wurde ihm der Willkommenstrunk geboten. Nach größeren Jagden gab es festliche Schmäuse, bei denen nicht wenig getrunken wurde. Flemming beschreibt, wie die Jagdpagen den Willkomm dem Oberjägermeister brachten. der ihn dann dem Jagdherrn feierlich reichte. Sobald der Jagdherr trank, wurde von der Jägerei auf den Flügel- und Hifthörnern geblasen und dazu ein »Weydgeschrey« gemacht. Weiter heißt es bei Flemming: »Bey solcher angestellter Herrschaftlichen Lust wird es niemahlen, sonderlich wegen Bier und Wein so genau genommen, welches der Herrschaft zu hohen Ehren gereichet, und kan ein Jeder bey solcher Lust sich ein klein Räuschgen trincken.« Dass die damaligen Sitten auch sonst nicht ganz arglos waren, erfahren wir aus der Bemerkung: »Findet sich auch etwan unter den Zuschauern (nämlich des Jagdfestes) ungefehr ein schönes Kleppel- oder Grasse-Mädgen, da siehets umb die Jungferschafft gefährlich aus und kan so genau nicht hergehen ...«
Jägerrecht
Ein alter Brauch ist das Jägerrecht. Man unterschied früher das Große und das Kleine Jägerrecht. Die Jäger erhielten ursprünglich ihren Lohn großenteils in Naturalien. Diese bestanden in erster Linie aus Teilen des erlegten Wildes. In den einzelnen Gegenden wurde das Jägerrecht verschieden gehandhabt. Im Allgemeinen gehörten zum Großen Jägerrecht das Haupt, der Hals mit dem Vorschlag bis zur dritten Rippe, die Decke, das Geräusch, also Lunge, Herz, Leber, Nieren, der Mehrbraten und das Feist.
In Österreich gehörte außerdem noch der sogenannte Jägergriff zum Großen Jägerrecht. Hierunter ist das Wildbret zu verstehen, welches nach dem Auslösen der beiden Rippenseiten, der »Wandl«, an den Keulen zu beiden Seiten übrig bleibt, also ein Teil der Dünnung. Es wird deshalb Jägergriff genannt, weil es auf jeder Seite ungefähr eine Hand voll ausmachte. Man griff das Wildbret, zog es straff an und schärfte es bis zur Keule mit dem Waidmesser los.
Vielfach wurde das Große Jägerrecht auf die Jägerei aufgeteilt, sodass alle Jäger bis hinauf zum Oberjägermeister einen bestimmten Anteil am Jägerrecht erhielten. Außer diesem Jägerrecht erhielten die Jäger je nach den Umständen und Verhältnissen pro Jahr mehrere Stücke Wild als Deputat. So bekamen in Tirol die Hilfsjäger jährlich zwei Gamsböcke, die sogenannten »Hosengams«, weil sich aus den Decken die kurzledernen Hosen machen ließen. Auch Fallwild und vor allem gerissenes Wild stand den Jägern zu. Aber schon frühzeitig ertönten Klagen darüber, dass unehrliche Jäger ihre Hunde Wild reißen ließen, um dann diesen »Wolfsriss« in Besitz zu nehmen. Später wurden das Große Jägerrecht und die übrigen Deputate durch Geld abgelöst, meistens in Form von Schussgeldern. Das Kleine Jägerrecht wird später behandelt, da dieser Brauch heute noch überall üblich ist (vgl. S. 113).
Hirschgerechte Zeichen
In alten Zeiten galt ein Jäger nicht als hirschgerecht, wenn er nicht die hirschgerechten Zeichen beherrschte. Die Arbeit mit dem Leithund, insbesondere das Bestätigen des Hirsches, setzte voraus, dass der Jäger fährtengerecht war, d. h., er musste eine Fährte richtig ansprechen und auch wiedererkennen können. Natürlich musste er eine Tierfährte sofort von einer Hirschfährte unterscheiden und nach der Fährte und sonstigen Zeichen die vermeintliche Stärke des Hirsches angeben können. Hierfür hatte die Jägerei die sogenannten hirschgerechten Zeichen zu erlernen. Kaiser Maximilian I., der »großmechtig Waidman«, hat uns die alten, gerechten Zeichen in seiner Schrift »Von des Hirschen Wandlung« überliefert. Deren Schluss lautet mit den Worten von Th. G. von Karajan: »Wenn du ein guter Jäger werden willst, so jage den Hirschen lange und tüchtig mit den Leithunden, dann wirst du eine Menge Merkmale sehen, die ich dir nicht vollständig beschreiben kann. Und sei unverdrossen und nicht lässig, und lass nicht ab, so erjagst du das Wild, denn der schlafenden Katze läuft die wachende Maus selten ins Maul, und das nur, wenn sie's aufsperrt.«
Beispiele »Hirschgerechter Zeichen«.
Links oben: Tritt eines Alttieres
Rechts oben: rechter Tritt eines Hirsches mit a: Burgstall, b: Fädlein, c: Reiflein.
Links unten: linke Tritte eines Hirsches (Kreuztritt)
Rechts unten: linke Tritte eines Hirsches (Vierballenzeichen)
In diesem Buch, das um 1500 geschrieben wurde, sind etwa 20 gerechte Zeichen aufgeführt, nach denen man den Hirsch ansprechen sollte. Bei den späteren Schriftstellern steigt die Zahl der Zeichen ständig. Döbel zählt in seiner »Jäger-Practica« 72 hirschgerechte Zeichen auf. Zweifellos spielte hierbei ein gewisses Geltungsbedürfnis der Jäger mit. Man machte die Sache absichtlich schwierig und kompliziert, um dadurch an Bedeutung und Ansehen zu gewinnen. Natürlich trugen auch die »Besuchsknechte« dazu bei, um sich nach einer Suche mit dem Leithund ihrem Jagdherrn gegenüber als hirschgerecht und fährtenkundig auszuweisen. Immerhin ist in diesen 72 Zeichen ein guter Teil der gesamten Fährtenkunde und der Lebensweise des Rotwildes verankert. In der neueren Literatur wurden diese 72 Zeichen in dem Buch »Frevert/Bergien: Die Führung des Schweißhundes« aufgeführt.
Höfisches Brauchtum
Wenn auch die Bräuche, die sich bei den Prunkjagden des 18. Jahrhunderts herausbildeten, mehr ein höfisches Zeremoniell als eigentliches jagdliches Brauchtum waren, so sollen doch einige dieser Bräuche hier erwähnt werden. Beschränken wir uns darauf, die Gebräuche bei einer Hetzjagd zu schildern, auf die noch der Ausdruck Jagd anwendbar ist. Die höfischen Jagdfeste, bei denen Hunderte von Menschen, Hunden und Pferden mitwirkten, bei denen ein unerhörter Aufwand mit Kostümen aller Art, bei denen Mummenschanz und allerhand Allotria getrieben wurden, waren keine Jagd mehr, sondern Ausfluss eines barocken Feudalismus, der mit der Französischen Revolution sein Ende fand. Aber die Jagd mit der spursicheren Hundemeute auf den mit dem Leithund bestätigten Hirsch war keineswegs eine französische Erfindung des 18. Jahrhunderts, sondern eine uralte keltische und germanische Art zu jagen, die durchaus als Waidwerk bezeichnet werden kann. Dass man vielfach zum »eingestellten Jagen« überging, dass man auch bei Hetzjagden Tücher und Netze verwandte, wurde mit der Notwendigkeit begründet, eine größere Menge Wild zur Strecke zu bringen, was auf der Pirsch allein mit den damals unzureichenden Büchsen nicht möglich gewesen wäre.Die gelegentlich in den Schlosshöfen veranstalteten »Fuchsprellen« waren grausame Tierquälereien, die wir in ihren merkwürdig motivierten Auswüchsen längst verabscheuen.
Hatten die Besuchsknechte den zu jagenden Hirsch mit dem Leithund bestätigt, so wurde der an einem bestimmten Punkt harrenden Jagdgesellschaft Meldung erstattet. Der Besuchsjäger musste an der Fährte, an Schritt und Schrank und an anderen gerechten Zeichen erkennen können, um was für einen Hirsch es sich handelte. Nach französischer Sitte musste der Besuchsknecht Losung des bestätigten Hirsches, in seinem Hifthorn verwahrt, mitbringen und dem Jagdherrn vorzeigen. Auf den Befehl zum Beginn der Jagd blies die Jägerei ein Signal und schloss ein Waidgeschrei an. Sämtliche Jäger waren in ihrer besten Kleidung, in grüner oder grauer Farbe, mit Hirschfänger und Hornfessel angetan. Die Hetzhunde wurden in Koppeln von Hundejungen oder, wenn diese nicht zahlreich genug waren, von Bauern, die in grüne Wämser und Hosen gesteckt waren, geführt. Handelte es sich um eingestellte oder eingerichtete Jagden, so trug die Jägerei lange Stöcke, sogenannte Jagdstöcke. Hatten die Hirsche, die erlegt werden sollten, schon gefegt, so wurden die Stöcke entrindet, wurde dagegen auf Kolbenhirsche gejagt – was man damals durchaus nicht unwaidmännisch fand – oder handelte es sich um eine Saujagd, so durfte die Rinde nicht entfernt werden.
War der Hirsch von den Hetzhunden gestellt, so sprang ein Jäger hinzu und schlug ihm die Sehnen oberhalb der Sprunggelenke an den Hinterläufen mit dem Waidblatt, das übrigens im Gegensatz zum Hirschfänger auf der rechten Seite getragen wurde, durch, sodass der Hirsch hinten zusammenbrach und nicht mehr entkommen konnte. Sobald der Jagdherr heran war, wurde dem Hirsch von diesem oder einem Gast der Fang mit dem Hirschfänger gegeben. Die Verwendung der Büchse, um einen Fangschuss zu geben, war insbesondere bei der grande vénerie Frankreichs verpönt. »Jamais de carabine« lautet der Wahlspruch der bedeutendsten französischen Meute des Marquis von Chambray.
Nach Beendigung der Jagd wurde das Wild auf Eichenbrüche gestreckt und verblasen, und zwar geschah dies in drei Sätzen auf Flügelhörnern und Hifthörnern, nach jedem Satz ertönte ein Waidgeschrei. Für die stille Poesie einer andächtigen Stunde der Totenwacht, die der heutige Jäger am gestreckten Hirsch verbringt, hatte man damals noch keinen Sinn. Hifthornblasen und Waidgeschrei, Hundegebell und Rossewiehern waren Ausdruck der höchsten Lust des Jagens.
»Das umstellte Jagen« oder »Hirsche in den Lappen« (Kupferstich von J. E. Ridinger)
Nach dem Verblasen der Hirsche überreichte der Oberjägermeister dem Jagdherrn einen Bruch von einer Eiche oder einer Kiefer, der am Hut befestigt wurde. Sämtliche Teilnehmer der Jagd schmückten sich daraufhin mit Brüchen, und auch dem Leithund, der den Hirsch bestätigt hatte, wurde an der Halsung ein kleiner Bruch befestigt. Es war also Brauch, dass alle Teilnehmer an der Jagd sich mit Brüchen schmückten, unabhängig davon, ob sie selbst ein Stück erlegt hatten oder nicht. Einen entsprechenden Brauch finden wir heute noch bei den Reitjagden, bei denen in Deutschland allerdings kein Wild mehr zur Strecke kommt. Solche Jagden haben hierzulande nur noch sportlichen Zweck und Charakter.
Hatte ein Jäger sich unwaidmännisch verhalten, so erhielt er als Strafe die »Pfunde«, mehr oder weniger deftige Schläge mit dem Hirschfänger oder Waidblatt auf die Kehrseite.
Der Hirsch wurde an Ort und Stelle zerwirkt, und die Hunde bekamen das Gepfneisch. Nach Hetzjagden wurde auch vielfach der Brauch des Ehrenlauftragens geübt, der aber französischen Ursprungs ist. Man löste zu diesem Zweck die Läufe über den Oberrücken so ab, dass die Decke bis an das Sprunggelenk noch daran blieb. In diese Decke wurde ein Schlitz gemacht, und nachdem der Hautteil einige Male durchgestreckt war, wurde der Lauf als Ehrenzeichen an den Hirschfänger gehängt. Den rechten Hirschdukaten