Tarabas

 

I.

Im August des Jahres 1914 lebte in New York ein junger Mann namens Nikolaus Tarabas. Er war der Staatsangehörigkeit nach Russe. Er entstammte einer jener Nationen, die damals noch der große Zar beherrschte und die man heute als »westliche Randvölker« bezeichnet.

Tarabas war der Sohn einer begüterten Familie. Er hatte in Petersburg die Technische Hochschule besucht. Weniger aus echter Gesinnung als infolge der ziellosen Leidenschaft seines jungen Herzens schloss er sich im dritten Semester seiner Studien einer revolutionären Gruppe an, die sich einige Zeit später an einem Bombenattentat gegen den Gouverneur von Cherson beteiligte. Tarabas und seine Kameraden kamen vors Gericht. Einige von ihnen wurden verurteilt, andere freigesprochen. Zu diesen gehörte Tarabas. Sein Vater verwies ihn von Haus und Hof und versprach ihm Geld für den Fall, dass er sich entschlösse, nach Amerika auszuwandern. Der junge Tarabas verließ die Heimat, unbesonnen, wie er zwei Jahre vorher Revolutionär geworden war. Er folgte der Neugier, dem Ruf der Ferne, sorglos und kräftig und voller Zuversicht auf ein »neues Leben«.

Allein schon zwei Monate nach seiner Ankunft in der großen, steinernen Stadt erwachte das Heimweh in ihm. Obwohl die Welt noch vor ihm lag, schien es ihm manchmal, sie läge hinter ihm bereits. Zuweilen fühlte er sich wie ein alter Mann, der sich nach einem verlorenen Leben sehnt und dem keine Zeit mehr bleibt, ein neues anzufangen. Also ließ er sich denn gehen, wie man sagt, machte keinerlei Versuche, sich an die neue Umgebung anzupassen und nach einem Unterhalt zu suchen. Er sehnte sich nach dem zartblauen Dunst seiner väterlichen Felder, den gefrorenen Schollen im Winter, dem unaufhörlich schmetternden Gesang der Lerchen im Sommer, dem süßlichen Duft bratender Kartoffeln auf herbstlichen Äckern, dem quakenden Lied der Frösche in den Sümpfen und dem scharfen Gewisper der Grillen auf den Wiesen. Das Heimweh trug Nikolaus Tarabas im Herzen. Er hasste New York, die hohen Häuser, die breiten Straßen und überhaupt alles, was Stein war. Und New York war eine steinerne Stadt.

Ein paar Monate nach seiner Ankunft hatte er Katharina kennengelernt, ein Mädchen aus Nischnij Nowgorod. Sie war Kellnerin in einer Bar. Tarabas liebte sie wie seine verlorene Heimat. Er konnte mit ihr sprechen, er durfte sie lieben, schmecken und riechen. Sie erinnerte ihn an die väterlichen Felder, an den heimischen Himmel, an den süßen Duft bratender Kartoffeln auf den herbstlichen Äckern der Heimat. Zwar stammte Katharina nicht aus seiner Gegend. Aber er verstand ihre Sprache. Sie begriff seine Launen und fügte sich ihnen. Sie milderte und verstärkte zugleich sein Heimweh. Sie sang die Lieder, die er auch in seiner Heimat gelernt hatte, und sie kannte Menschen genau von der Art, wie auch er sie kannte.

Er war eifersüchtig, wild und zärtlich, bereit, zu prügeln und zu küssen. Stundenlang trieb er sich in der Nähe der Bar herum, in der Katharina bedienstet war. Er saß oft lange an einem der Tische, die zu ihrem Rayon gehörten, beobachtete sie, die Kellner und die Gäste und ging manchmal in die Küche, um auch noch den Koch zu beobachten. Allmählich begann man, sich in der Anwesenheit Nikolaus Tarabas' unbehaglich zu fühlen. Der Wirt drohte, Katharina zu entlassen. Tarabas drohte, den Wirt zu erschlagen. Katharina bat ihren Freund, nicht mehr in die Bar zu kommen. Dahin aber trieb ihn immer wieder die Eifersucht. Eines Abends beging er eine Gewalttat, die den Lauf seines Lebens verändern sollte. Vorher aber geschah folgendes:

An einem schwülen Spätsommertag geriet er auf einen der fliegenden Jahrmärkte, die in New York nicht selten sind. Er ging, ohne bestimmtes Ziel, von einem Zelt zum andern. Gegen wertloses Porzellan schleuderte er sinnlos hölzerne Kugeln, mit Flinte, Pistole und altertümlichem Bogen schoss er auf törichte Figuren und versetzte sie in törichte Bewegung, auf zahlreichen Karussells ließ er sich rundum treiben, rittlings auf Pferden, Eseln und Kamelen, auf einem Kahn fuhr er durch Grotten voll mechanischer Gespenster und düster gurgelnder Gewässer, auf einer Berg- und Talbahn genoss er die Ängste jäher Auf- und Abwärtsbewegung, und in den Schreckenskammern betrachtete er grausame Anomalien der Natur, Geschlechtskrankheiten und berühmte Mörder. Er blieb schließlich vor der Bude einer Zigeunerin stehen, die das Schicksal der Menschen aus den Händen zu weissagen versprach. Er war abergläubisch. Er hatte bis jetzt viele Gelegenheiten wahrgenommen, einen Blick in die Zukunft zu tun, Kartenleger und Sterndeuter befragt und sich selbst mit allerhand Broschüren über Astrologie, Hypnose, Suggestion beschäftigt. Schimmel und Schornsteinfeger, Nonnen, Mönche und Geistliche, denen er begegnete, bestimmten seine Wege, die Richtung seiner Spaziergänge und seine geringfügigsten Entschlüsse. Alten Frauen wich er am Morgen sorgfältig aus, ebenso rothaarigen Menschen. Und Juden, die er zufällig am Sonntag traf, hielt er für sichere Unheilsbringer. Mit diesen Dingen füllte er einen großen Teil seiner Tage aus.

Auch vor dem Zelt der Zigeunerin blieb er stehen. Auf dem umgestülpten Fass, vor dem sie auf einem Schemel hockte, lagen allerhand Gegenstände, deren sie zu ihrer Zauberei bedurfte, eine gläserne Kugel, gefüllt mit einer grünen Flüssigkeit, eine gelbe Wachskerze, Spielkarten und ein Häufchen Silbermünzen, ein Stäbchen aus rostbraunem Holz und Sterne verschiedener Größe aus blinkendem Goldlack. Viele Menschen drängten sich vor der Bude der Wahrsagerin, aber keiner getraute sich, vor sie hinzutreten. Sie war jung, schön und gleichgültig. Sie schien nicht einmal die Menschen zu sehen. Sie hielt die braunen, beringten Hände gefaltet im Schoß und ihre Augen auf die Hände gesenkt. Unter ihrer grellroten, seidenen Bluse sah man den lebendigen Atem ihrer vollen Brust. Es zitterten sachte die großen, goldenen Taler ihrer schweren, dreimal um den Hals gelegten Kette. An den Ohren trug sie die gleichen Taler. Und es war, als ginge ein Klirren von all dem Metall aus, obwohl man in Wirklichkeit keinen Klang vernahm. Es war, als sei die Zigeunerin gar nicht darauf bedacht, bezahlte Mittlerin zwischen unheimlichen Gewalten und irdischen Wesen zu sein, sondern vielmehr eine der Mächte, die das Geschick der Menschen nicht deuten, sondern selbst bestimmen.

Tarabas zwängte sich durch die Menge, trat vor das Fass und streckte ohne ein Wort die Hand aus. Langsam hob die Zigeunerin die Augen. Sie sah Tarabas ins Gesicht, bis er, unsicher geworden, eine Bewegung machte, als wollte er die Hand zurückziehen. Nun erst griff die Zigeunerin nach ihr. Tarabas fühlte die Wärme der braunen Finger und die Kühle der silbernen Ringe auf seiner flachen Hand. Allmählich, sehr sanft, zog ihn die Frau zu sich herüber, über das dass sein Ellenbogen die gläserne Kugel streifte, sein Gesicht ganz nahe vor dem ihren stand. Die Leute hinter ihm drängten näher, im Rücken fühlte er ihre Neugier. Es war, als stieße ihn diese ihre Neugier zur Wahrsagerin hinüber – und er wäre gerne über das Fass gestiegen, um endlich getrennt von den Menschen zu sein und allein mit der Zigeunerin. Er hatte Angst, sie könnte laut über ihn sprechen, was die anderen vernehmen würden – und schon wollte er sein Vorhaben aufgeben. »Haben Sie keine Angst«, sagte sie in der Sprache seiner Heimat, »keiner wird mich verstehen. Aber geben Sie mir zuerst zwei Dollar, und so, sehen! Viele werden dann weggehen.«

Er erschrak, weil sie seine Muttersprache erraten hatte. Sie nahm mit der Linken das Geld, hielt es eine Weile hoch, damit die Menschen es sähen, und legte es dann auf das Fass. Hierauf sagte sie in Tarabas' Muttersprache: »Sie sind sehr unglücklich, Herr! Ich lese in Ihrer Hand, dass Sie ein Mörder sind und ein Heiliger! Ein unglücklicheres Schicksal gibt es nicht auf dieser Welt. Sie werden sündigen und büßen – alles noch auf Erden.«

Dann ließ die Zigeunerin Tarabas' Hand frei. Sie senkte die Augen, verschränkte die Hände im Schoß und blieb unbeweglich. Tarabas wandte sich, um zu gehen. Die Leute machten ihm Platz, voller Hochschätzung vor einem Mann, der einer Zigeunerin zwei Dollar gegeben hatte. Die einzelnen Worte der Wahrsagerin steckten in seinem Gedächtnis, ohne Zusammenhang, er konnte sie wiederholen, so, wie sie ihm gesagt worden waren. Gleichgültig ging er zwischen Schieß- und Zauberbuden einher, kehrte um, beschloss, das Fest zu verlassen, dachte an Katharina, die er bald, wie gewohnt, abholen sollte, glaubte zu fühlen, dass sie ihm fremd geworden war, und wehrte sich gegen dieses Gefühl. Es war Ende August ... Der Himmel war bleiern und grau, ein schmaler Himmel aus Stein in schmalen Straßen, zwischen hohen, steinernen Häusern. Gewitter versprach man sich seit Tagen. Es kam nicht. Andere Gesetze herrschten in diesem Land, die Natur ließ sich von den praktischen Menschen dieses Landes bestimmen. Sie brauchten augenblicklich kein Gewitter. Tarabas sehnte sich nach einem Blitz, einem zackigen Blitz aus schweren Wolken, aus einem trächtigen, tief über weiten, goldenen Feldern hängenden Himmel. Es kam kein Gewitter. Tarabas verließ den Rummelplatz. Er ging zur Bar, zu Katharina. Er war also ein Mörder und ein Heiliger. Zu großen Dingen war er ausersehen.

Je näher er der Bar Katharinas kam, desto klarer wurde ihm auch, so glaubte er, der Sinn der Weissagung. Die Worte der Zigeunerin begannen, sich zu einer sinnvollen Kette aneinanderzureihen. Ich werde also – dachte Tarabas – zuerst ein Mörder werden und dann ein Heiliger. (Es war nicht möglich, dem Schicksal, das gewiss ohne Rücksicht auf Tarabas seine Fäden spann, gewissermaßen auf halbem Wege entgegenzukommen und also das Leben vom nächsten Augenblick an freiwillig zu verändern.)

Als Tarabas die Bar betrat, auf den ersten Blick unter den bedienenden Mädchen Katharina nicht traf und auf die Frage, wo sie sei, die Antwort erhielt, sie habe heute um einen freien Tag angesucht, auch die Erlaubnis hierzu erhalten und solle gegen neun Uhr abends zurückkommen, war er betroffen; und er sah bereits in diesem Vorfall den Anfang des Schicksals, das man ihm prophezeit hatte. Er setzte sich an einen Tisch und bestellte einen Gin bei der Kellnerin, der er als ein Freund Katharinas wohlbekannt war; und er verbarg seine Unrast hinter einer der üblichen witzigen Wendungen, die alte Stammgäste Kellnern gegenüber anzuwenden belieben. Da ihm aber die Zeit zu lang wurde, bestellte er nach dem ersten auch noch ein zweites und ein drittes Glas. Und da er von Natur ein schwacher Trinker war, verlor er bald den sicheren Sinn für die Dinge dieser Welt und für die Umstände, in denen er sich befand, und begann, in überflüssiger Weise Lärm zu schlagen.

Hierauf trat der Wirt, ein kräftiger und wohlgefütterter Bursche, der Tarabas seit langem nicht mehr wohlgesinnt war, auf ihn zu und forderte ihn auf, die Bar zu verlassen. Tarabas fluchte, zahlte, verließ die Bar, blieb aber, zum Kummer des Wirtes, vor der Tür stehen, um Katharina zu erwarten. Ein paar Minuten später kam sie, das Angesicht gerötet, die Haare zerzaust, offenbar in höchster Eile, Angst in den Augen, und, wie es Tarabas schien, schöner als je zuvor. »Wo warst du?« fragte er. »Bei der Post«, sagte Katharina. »Es ist ein Brief gekommen, rekommandiert, ich musste ihn holen, ich war nicht zu Haus, als der Briefträger kam. Der Vater ist krank. Er wird vielleicht sterben. Ich muss nach Hause! So schnell wie möglich! Kannst du mir helfen! Hast du Geld?«

Eifersüchtig und misstrauisch versuchte Tarabas, im Auge, in der Stimme und im Angesicht seiner Geliebten eine Lüge und einen Betrug zu erkennen. Er sah sie mit forschender, vorwurfsvoller Wehmut lange an, und da sie, nunmehr völlig verwirrt, den Kopf senkte, sagte er – und schon kochte in ihm der Zorn –: »Du lügst also! Wo warst du wirklich?« Im gleichen Augenblick fiel ihm ein, dass heute Mittwoch war, ein Tag, an dem der Koch frei war – und sein Verdacht ergriff nun etwas Wirkliches, eine lebendige Gestalt. Schreckliche Bilder rollten blitzschnell durch Tarabas' Gehirn. Schon ballte er die Faust und stieß sie Katharina in die Rippen. Sie taumelte, verlor den Hut und ließ das Handtäschchen fallen. Dieses hob Tarabas hastig auf, durchwühlte es, fortwährend die Frage wiederholend, wo denn der Brief vom Vater sei. Der Brief fand sich nicht. »Ich muss ihn verloren haben! Ich war so aufgeregt!« lallte Katharina, und in ihren Augen standen große Tränen. »So, verloren!« brüllte Tarabas.

Schon wurden einige Passanten aufmerksam und blieben stehen. Jetzt trat der Wirt aus der Bar. Er legte den linken Arm zum Schutz um Katharina und schob sie hinter sich; den rechten streckte er gegen Tarabas und rief: »Machen Sie vor meinem Geschäft keinen Skandal! Scheren Sie sich weg! Ich verbiete Ihnen hier den Aufenthalt!« Tarabas erhob die Faust und ließ sie mitten in das Angesicht des Wirtes sausen. Ein winziger Blutstropfen zeigte sich an der breiten Nasenwurzel des Wirtes, floss die Wange hinunter, wurde ein schmaler, roter Streifen. Ein schöner Schlag, dachte Tarabas, sein Herz freute sich und füllte sich mit noch heißerem Grimm. Das Blut, das er vergossen hatte, entzündete seine Lust, noch mehr Blut zu sehen. Es war, als ob der Wirt erst in dem Augenblick, in dem sein Blut zu fließen begonnen hatte, sein wirklicher, großer Feind geworden wäre, der einzige Feind, den es im gewaltigen, steinernen New York gab. Als nun der Feind in die Tasche griff, nach einem Tuch suchend, das Blut zu trocknen, vermeinte Tarabas, der Wirt suche nach einer Waffe. Deshalb stürzte sich Tarabas auf ihn, biss sich mit gekrallten Händen an seinem Halse fest, würgte, bis der Wirt niederfiel, mit dem Kopf gegen die gläserne Tür der Bar. Ein ungeheuerlicher Lärm erfüllte Tarabas' Kopf. Das Splittern und Krachen des Glases, der dumpfe Aufschlag des feindlichen Körpers, der gemeinsame Schrei gaffender, belustigter und zugleich erschrockener Passanten, der Kellnerinnen und Gäste vereinigte sich zu einem Ozean aus schrecklichen Geräuschen. Mit dem Wirt zusammen, die Hände an dessen mächtigem Hals, war auch Tarabas hingefallen. Er fühlte des Wirtes gespannten muskulösen Bauch durch Rock und Weste. Der geöffnete Mund des Feindes zeigte den roten Rachen, den blassgrauen Gaumen, darinnen sich die Zunge bewegte wie ein seltsames Tier, das blendende Weiß der kräftigen Zähne. Tarabas sah den perlenden Schaum an den Mundwinkeln, die bläulich angelaufenen Lippen, das aufwärtsgereckte Kinn. Eine unbekannte Faust fasste Tarabas plötzlich am Nacken, kniff ihn, würgte ihn, hob ihn hoch. Dem Schmerz und der Gewalt konnte er nicht widerstehen. Seine Faust wurde locker. Er sah sich nicht mehr um. Er sah überhaupt nichts mehr. Furcht erfüllte ihn plötzlich. Mit kräftigen Stößen zerteilte er die Menge, Lärm noch im Ohr, unbestimmten, riesigen Schrecken in der Brust. Mit großen Sprüngen setzte er über die Straße, Verfolger und Rufe und den schrillen Pfiff eines Polizisten hinter sich. Er lief. Er fühlte sich laufen. Er lief, als hätte er zehn Beine, eine großartige Kraft in Schenkeln und Füßen, die Freiheit vor Augen, den Tod im Rücken. In eine Seitenstraße lief er und warf einen Blick zurück. Kein Mensch mehr hinter ihm. Er rettete sich in ein dunkles Tor, kauerte hinter der Stiege, sah und hörte die Schar seiner Verfolger am Haus vorüberrennen. Leute kamen die Treppe herunter. Er hielt seinen Atem an. Eine Ewigkeit, so dünkte es ihn, hockte er still. – Es war wie in einem Grab. In einem Sarg hockte er. Ein Säugling jammerte irgendwo. Kinder schrien im Hof. Diese Stimmen beruhigten Tarabas. Er rückte das Hemd, den Anzug, die Krawatte zurecht. Er stand auf und ging sachte ans Haustor. Die Straße hatte ein gewöhnliches Aussehen. Tarabas verließ das Haus. Schon war der Abend da. Schon brannten die Laternen, und die Fenster der Läden waren schon hell erleuchtet.

II.

Tarabas bemerkte bald zu seinem Schrecken, dass er im Begriffe war, sich wieder der Bar zu näheren. Nun kehrte er um, bog um die Ecke, verlor sich in einer Seitenstraße, war überzeugt, dass er die linke Richtung einhalten müsse, und erkannte ein paar Sekunden hierauf, dass er im Rechteck herumgegangen war und sich nun zum zweiten Mal in der Nähe der Bar befand. Unterdessen hielt er, wie es seine Art war, Ausschau nach einem der Zeichen, die Glück oder Unheil bringen konnten, einem Schimmel, einer Nonne, einem rothaarigen Menschen, einem rothaarigen Juden, einer Greisin, einem Buckligen. Da sich kein einziges Zeichen begab, beschloss er, anderen Dingen schicksalhafte Bedeutung zuzutrauen. Er begann, Laternen und Pflastersteine zu zählen, die kleinen, viereckigen Netzlöcher der Kanalgitter, die geschlossenen und die offenen Fenster dieser und jener Häuser und die Zahl seiner eigenen Schritte von einem bestimmten Punkt der Straße aus bis zum nächsten Übergang. Also beschäftigt mit der Prüfung verschiedenartigster Orakel, gelangte er vor eines jener langen, schmalen und wohltätig dunklen Kinotheater, die damals noch »Bioskope« oder »Kinematographen« hießen und manchmal die ganze Nacht bis zum Morgengrauen ihr vielfältiges Programm abrollen ließen, ohne Unterbrechung. Weil es Tarabas nun vorkam, dass dieses Theater vor ihm plötzlich auftauchte (und nicht, dass er davor gelangt war), nahm er es als ein Zeichen, kaufte eine Karte und betrat den finsteren Raum, geleitet von der gelblichen Lampe des Billetteurs.

Er setzte sich – und zwar nicht, wie er es sonst gewohnt war, auf einen Eckplatz, sondern in die Mitte, zwischen die anderen, nahe der Leinwand, obwohl er hier die Bilder weniger genau sehen konnte. Er war aber entschlossen, seine ganze Aufmerksamkeit den Vorgängen auf der Leinwand zu schenken. Dies wollte ihm eine Zeitlang nicht gelingen, sei es, weil er gerade in die Mitte der Handlung geraten war, sei es, weil er zu nahe der Leinwand Platz genommen hatte. Er musste den Kopf recken, weil die Reihe, in der er saß, viel zu tief gelegen war, und bald schmerzte ihn der Nacken. Allmählich nahm ihn die Handlung gefangen, deren Anfang er zu erraten versuchte, als hätte er eines der Rätsel zu lösen, die in den illustrierten Zeitschriften standen und mit denen er sich oft die Stunden zu vertreiben pflegte, in welchen er auf Katharina warten dass es auf der Leinwand um das Schicksal eines sonderbaren Mannes ging, der unschuldig, und sogar aus edlen Grünen, nämlich um eine schutzlose Frau zu verteidigen, ein Verbrecher geworden war, ein Mörder, Dieb und Einbrecher – und der, unverstanden von der schutzlosen Dame, deretwegen er so viel Grausiges verübt hatte, ins Gefängnis kam in eine fürchterliche Zelle, zum Tode verurteilt wurde und zum Schafott schließlich geführt. Als man ihn, wie es üblich ist, nach seinem letzten Wunsch fragte, bat er um die Erlaubnis, mit seinem Blut den Namen der Geliebten an die Zellenwand malen zu dürfen, und um das Versprechen der Behörde, dass sie niemals diesen Namen auslöschen lassen würde. Er schnitt sich mit dem Messer, das ihm der Henkersknecht geliehen hatte, in die linke Hand, tauchte den rechten Zeigefinger in das Blut und schrieb an die steinerne Wand der Zelle den süßesten aller Namen: »Evelyn«. Die ganze Geschichte spielte, wie an den Kostümen zu erkennen war, nicht in Amerika, auch nicht in England, sondern in einem der sagenhaften Balkanländer Europas. Unbewegt starb der Held auf dem Schafott. Die Leinwand wurde still und leer. Das angenehme Surren des Apparates verstummte, ebenso das Klavier, das die Dramen begleitete. Ein paar Augenblicke war Tarabas der Überlegung überlassen, ob das Stück, das er gesehen hatte, einen so deutlichen Hinweis auf sein eigenes Erlebnis bedeuten mochte, dass er es als eines der besonderen Zeichen nehmen dürfe, die ihm, seiner Meinung nach, der Himmel zu schicken pflegte. Gewiss war jedenfalls ein Zusammenhang zwischen ihm und dem Helden vorhanden, zwischen Katharina und Evelyn. Ehe Tarabas noch dazu gelangen konnte, diesen Zusammenhang genauer festzustellen, belichtete sich wieder die Leinwand, und ein neuer Film begann.

Der behandelte eine biblische Geschichte, nämlich die Art, wie Dalila Simson die Haare abschnitt, um ihn schwach zu machen und gefügig den Philistern. War Tarabas bereits unter dem Einfluss des vorigen Stückes geneigt gewesen, sich der irdischen Gerechtigkeit zu überliefern und das heldenmütige Geschick zu erleiden, das ihn dem Mann auf dem Schafott anzunähern geschienen hatte, so wurde er jetzt durch die Gestalt Simsons, der noch als Geblendeter Rache an den Philistern und an Dalila nahm, verführt, sich eher den viel heroischeren Tod Simsons zu wünschen. Und, eine Beziehung herstellend zwischen Dalila und Katharina, begann er, die beiden zu verwechseln. Er überlegte, auf welche Weise es möglich wäre, unter den gänzlich von den biblischen verschiedenen amerikanischen Umständen an der Welt der Philister Rache zu nehmen, nach der Art des judäischen Helden. Musste es doch auch in New York Wunder geben wie im alten Lande Israel. Und mit Hilfe Gottes, der wahrscheinlich ein Gönner Tarabas' war, konnte man die mächtigen Säulen der Gefängnisse und Gerichte stürzen. Kraft fühlte Tarabas in seinen Muskeln. Ein starker Glaube lebte in seinem Herzen. Er war Katholik. Lange schon hatte er nicht mehr die Kirche besucht. Als junger Mann und Student, der Revolution ergeben, hatte er dem gefürchteten Gott seiner Kindheit den Gehorsam und den Glauben gekündigt und war kurz hierauf dem Aberglauben an Schornsteinfeger, Schimmel und rothaarige Juden anheimgefallen. Aber immer noch hegte und liebte er die Vorstellung von einem Gott, der die Gläubigen nicht verließ und der die Sünder liebte. Gewiss: Gott liebte ihn, Nikolaus Tarabas. Er war entschlossen, nach dem Ende des Programms sich der irdischen Gerechtigkeit zu stellen, in frommer Zuversicht auf die himmlische Gnade.

Allein, Müdigkeit überfiel ihn – und außerdem begann das Programm von neuem. Tarabas blieb sitzen, während vor, hinter ihm und neben ihm die alten Zuschauer gingen und neue Zuschauer kamen. Fünfmal sah er das Programm des Kinematographen ablaufen. Endlich kam der Morgen, und man schloss das Haus.

III.

Es hatte in der Nacht geregnet. Der Morgen war frisch, die Pflastersteine waren noch nass. Sie trockneten aber schnell im herben, beständigen Morgenwind. Schon ratterte der Spritzwagen durch die Straßen und netzte das Pflaster aufs Neue.

Tarabas beschloss, sich dem ersten Polizisten auszuliefern, der ihm begegnen würde. Da aber vorläufig keiner kam, überlegte Tarabas, dass es günstiger wäre, erst den dritten anzusprechen – und zwar der Zahl Drei wegen, die ihm immer Glück gebracht hatte. Ob der Wirt tot war oder am Leben, hing höchstwahrscheinlich davon ab.

Der erste Polizist überholte Tarabas. Es war eigentlich keine Begegnung. Jene, die ihm Angesicht in Angesicht entgegenkamen, waren für Tarabas Begegnungen. Nun kam einer, schlenkernd mit dem Gummiknüppel, morgenmüd und gähnend: der erste also. Um die Begegnung mit dem zweiten so lange wie möglich hinauszuschieben, bog Tarabas in die nächste Seitengasse. Aber hier stieß er auf einen andern, der munter und jugendlich aussah, als hätte er soeben erst den Dienst angetreten. Tarabas lächelte ihm zu und kehrte sofort um. Nicht vor dem Gesetz, das ihn bereits verfolgen mochte, fürchtete er sich, sondern davor, dass die Prophezeiung schneller erfüllt werden könnte, als er gedacht hatte. Nun bleibt mir noch der letzte, dachte Tarabas, und dann ist alles in Gottes Hand!

Auf der Hauptstraße aber, in die er zurückgekehrt war, zeigte sich wohl eine halbe Stunde lang kein Polizist mehr. Schon begann Tarabas, sich geradezu nach einem dritten zu sehnen. In dem Augenblick aber, in dem einer auftauchte, am äußersten Ende der breiten Straße und in deren Mitte – und der schwarze Helm ragte gegen das tiefe Grün des Parks, der die Straße abschloss –, in diesem Augenblick erscholl die helle Stimme eines der ersten Zeitungsjungen von New York.

»Krieg zwischen Österreich und Russland!« schmetterte die Stimme des Jungen. – »Krieg zwischen Österreich und Russland!« – »Krieg zwischen Österreich und Russland!«

Der Polizist kam heran und blickte in die morgenfrische Zeitung, Tarabas über die Schulter.

»Es ist Krieg«, sagte Tarabas zum Polizisten, »und ich werde in diesen Krieg gehen!«

»Dann kommen Sie auch lebendig zurück!« sagte der Polizist, hob die Hand an den Helm und entfernte sich.

Tarabas lief ihm nach und fragte, wie man am raschesten zur russischen Botschaft komme. Hierauf, nachdem ihm Auskunft zuteil geworden, rannte er, mit langen Schritten, der Botschaft entgegen, dem Krieg entgegen. Und Katharina, der Wirt und seine Missetat waren ausgelöscht und vergessen.

IV.

Angesichts des gewaltigen Hafens von New York, der großen, bräutlich-weißen Schiffe, vor dem ewigen Anschlag eintöniger, dunkelgrüner Wellen an Planke und Stein, dem Gewoge der Träger, der Matrosen, der Beamten, der Zuschauer, der Händler, verlor Nikolaus Tarabas vollends die Erinnerung an den vorhergegangenen Tag. Die Herzen kühner, törichter und leicht berauschter Menschen sind unergründlich; nächtliche Brunnen sind es, in denen die Gedanken, die Gefühle, die Erinnerungen, die Ängste, die Hoffnungen, ja die Reue selbst versinken können und zeitweise auch die Furcht vor Gott. Tief und dunkel, ein wahrer Brunnen, war Nikolaus Tarabas' Herz. In seinen großen, hellen Augen aber leuchtete die Unschuld.

Immerhin: als er das Schiff bestieg, kaufte er alle Zeitungen, die in der letzten Stunde erreichbar waren, um nachzulesen, ob sich nicht doch irgendeine Nachricht von dem Mord eines gewissen Tarabas an einem gewissen Wirt einer bestimmten Bar fände. Es war, als suchte Tarabas nach dem Bericht eines Vorgangs, dessen Zeuge lediglich er gewesen wäre. Wichtiger schien ihm das Schiff, die Kabine, die er bewohnen sollte, schienen ihm die merkwürdigen Passagiere, die es führen mochte, der Krieg und die Heimat, denen er entgegenfuhr. Den heimatlichen Feldern fuhr er entgegen, dem Geschmetter der Lerchen, dem Gewisper der Grillen, dem süßlichen Duft bratender Kartoffeln auf den Äckern, dem silbernen Staketenzaun, ringsum geschlungen um das väterliche Gehöft wie ein geflochtener Ring aus Birkenholz, dem Vater, der Nikolaus früher grausam erschienen war und nach dem er sich jetzt wieder sehnte. In zwei mächtigen, schwarzgrauen Hälften lag der Schnurrbart des Vaters über dem Mund, eine gewaltige Kette aus struppigem Haar, oft im Laufe des Tages gebürstet und gekämmt, natürliches Abzeichen häuslicher Allgewalt. Sanft und blond war Tarabas' Mutter. Liebling des Vaters waren die zwölfjährige Lusia gewesen und die Cousine, Tochter des frühverstorbenen, sehr reichen Onkels Maria. Ein fünfzehnjähriges Mädchen, oft im Streit mit Nikolaus Tarabas, zanksüchtig und hübsch. Alles lag weit, unsichtbar noch, aber schon fühlbar, hinter den dunkelgrünen Wogenkämmen des Ozeans und weiter, dort, wo er sich dem Himmel entgegenwölbte, um sich mit ihm zu vereinigen.

In den Zeitungen stand nichts von einem Mord an einem Barwirt. Tarabas warf sie, alle auf einmal, ins Meer. Wahrscheinlich war der Wirt nicht gestorben. Eine kleine Schlägerei war es gewesen, nichts mehr. In New York und in aller Welt kamen täglich tausende dergleichen vor. Als Tarabas sah, wie Wind und Wasser die Zeitungen davontrugen, dachte er, nun sei Amerika endgültig erledigt. Eine Weile später fiel ihm Katharina ein. Er war gut zu ihr gewesen, sie hatte ihm die Heimat ersetzt – und ihn nur ein einziges Mal belogen. Glücklich war Tarabas in diesem Augenblick. (Glück allein konnte seine Großmut wecken.) Möge sie sehen, dachte er, was ich für ein Mann bin und was sie an mir verloren hat. Trauern wird sie um mich, vielleicht wird sie auch, wenn es wahr ist, was sie mir erzählt hat, ihren kranken Vater besuchen. Trauern soll sie jedenfalls um mich! Und er ging hin und schrieb ein paar Zeilen an Katharina. Der Krieg riefe ihn. Ausharren möchte Katharina. Treue erwarte er von ihr. Geld schickte er ihr eben. Und er schickte ihr in der Tat fünfzig Rubel, die Hälfte des Reisegeldes, das er von der Botschaft bekommen hatte.

Erleichtert (und auch ein wenig stolz) betrieb er dann weiter den Müßiggang eines Schiffspassagiers, spielte Karten mit Fremden, führte Gespräche ohne Sinn; sah die hübschen Frauen oft mit begierigen Augen an, und kam es mit einer von ihnen zu einer Unterhaltung, vergaß er nicht, zu erwähnen, dass er als russischer Leutnant der Reserve in den Krieg ziehe. Hie und da glaubte er auch in den Augen der Frauen Bewunderung – und Verheißungen – zu lesen. Aber dabei ließ er es bewenden. Die Seereise behagte ihm. Sein Appetit war mächtig, sein Schlaf ausgezeichnet. Cognac und Whisky trank er viel. Auf dem Meere vertrug man sie weitaus besser als zu Lande.

Gebräunt, gekräftigt, neugierig auf die Heimat und begierig auf den Krieg, verließ Tarabas eines Morgens im Hafen von Riga das Schiff.

V.

Er musste nach Cherson einrücken, zum Kader seines Regiments. Mit ihm verließen zwei junge Männer das Schiff, Soldaten, Offiziere. Er hatte sie während der Seefahrt nicht gesehen. Nun fragte er sie, ob sie auch einrückten. Jawohl, sagten sie, in die Petersburger Garnison; sie seien aber aus Kiew. Wäre man einmal beim Regiment, wer weiß, ob man da noch Urlaub bekäme, die Heimat zu sehen. Also führen sie zuerst nach Hause, und dann erst zum Regiment. Sie rieten ihm, das gleiche zu tun.

Dies leuchtete Tarabas ein. Der Krieg hatte eine brüderliche Ähnlichkeit mit dem Tode bekommen. Wer weiß, ob man da noch Urlaub erhielt – sagten die beiden. In Tarabas' Zimmer, im Schrank, hing die Uniform, die er liebte, ähnlich liebte wie Vater, Mutter, Schwester und Haus. Dank seinen Beziehungen und seinem Geld war es dem alten Tarabas gelungen, die Gnade des Zaren anzurufen und dem Sohn die Charge eines Leutnants zu erhalten – ein paar Monate schon, nachdem der unselige Prozess vergessen worden war. Dies erschien Nikolaus Tarabas nur selbstverständlich. Seiner Meinung nach war er es, der dem Zaren die Gnade erwies, im Dreiundneunzigsten Infanterieregiment als Leutnant zu dienen. Es wäre ein schwerer Schaden der russischen Armee widerfahren, wenn man Tarabas degradiert hätte.

Tarabas stieg also in den Zug, der in seine Heimat fuhr. Er kündigte seine Ankunft nicht an. Überraschungen zu erleben, Überraschungen zu bereiten war seine Lust. Wie ein Befreier wollte er heimkommen! Wie mochten sie sich fürchten, so nahe der Grenze! Sicherheit und Sieg wollte er ihnen bringen!

Frohgemut ließ sich Tarabas im überfüllten Zug nieder, gab dem Schaffner ein überraschendes Trinkgeld, erklärte, er sei ein »besonderer Kurier« in besonderen Angelegenheiten des Kriegs, schob den Riegel vor und betrachtete mit Wollust die Passagiere, die, trotz ihrem unbestreitbaren Recht, in seinem Kupee Platz zu nehmen, dennoch im Korridor stehen mussten. Eine außergewöhnliche Zeit, die Leute hatten die Pflicht, sich mit ihr abzufinden und einem außergewöhnlichen »Kurier des Zaren« die Bequemlichkeit zu lassen, die für seine besondere Aufgabe unentbehrlich war. Von Zeit zu Zeit ging Tarabas in den Korridor, musterte hochmütig die Armen, die da stehen mussten, zwang die Müden, die auf ihren umgestülpten Koffern saßen, aufzustehen und ihm Platz zu machen, stellte befriedigt fest, dass alle ohne Widerspruch seinem blitzblauen Auge gehorchten und ihn sogar mit einigem Wohlgefallen ansahen, und mit übertriebener Strenge gab er dem Schaffner, so dass es alle hören konnten, Befehle, Tee zu kochen und dies und jenes von den Stationen zu holen. Manchmal riss er die Kupeetür auf und beschwerte sich über die allzu lauten Gespräche der Passagiere im Korridor. Sie brachen in der Tat sofort ihre Unterhaltungen ab, wenn sie Tarabas erblickten.

Befriedigt und belustigt von der eigenen Klugheit wie von der Torheit der anderen, verließ Nikolaus Tarabas den Zug am Morgen nach einem ungestörten, gesunden Schlaf. Kaum zwei Werst trennten ihn noch vom väterlichen Hause. Freilich erkannten und begrüßten ihn der Stationschef, der Portier, die Gepäckträger. Auf ihre herzlichen Fragen erwiderte er mit amtlicher Geschäftigkeit, er sei in allerwichtigstem und allerhöchstem Auftrag aus Amerika zurückberufen worden, immer den gleichen Satz wiederholend, ohne das freundliche Lächeln zu verlieren und den Glanz seiner blitzblauen Kinderaugen. Als ihn der und jener fragte, ob er zu Hause angekündigt worden sei, legte Tarabas einen Finger an den Mund. Also gebot er Schweigen und weckte Respekt. Und als er sich ohne Gepäck, so, wie er New York verlassen hatte, vom Bahnhof entfernte und den schmalen Landweg einschlug, der zum Hause des Geschlechtes Tarabas führte, legte einer der Beamten nach dem anderen den Finger an den Mund, genauso, wie es Tarabas getan hatte, und alle glaubten sie zu wissen, dass Tarabas, ihnen seit seiner Kindheit vertraut, ein großes Staatsgeheimnis mit sich trage.

Um die Stunde, in der man, wie er wusste, zu Hause Mittag aß, kam Nikolaus an. Er ging, um die »Überraschung« vollkommen zu machen, nicht den breiten Weg hinan, der zu seinem Hause führte und den die schlanken, zarten und so lang entbehrten Birken zu beiden Seiten begleiteten, sondern über den feuchten, schmalen Pfad zwischen den breiten Sümpfen, den die vereinzelten Weiden, zuverlässige Wegweiser, bezeichneten und der im halben Bogen hinter das Haus führte und unter dem Fenster Nikolaus Tarabas' endete. Im Dachgiebel lag sein Zimmer. Wildes Weinlaub, alt schon, feste und biegsame Ruten, von hartem Draht durchflochten, wucherten an der Wand, bis zu den grauen Schindeln des Daches. Statt der Stiege die Weinlaubruten zu benutzen war für Tarabas eine Kleinigkeit. Das Fenster – mochte es auch geschlossen sein – mit einem seit der Kindheit geübten Griff zu lockern und lautlos aufzustoßen schien ihm ebensoleicht. Er zog die Schuhe aus und steckte sie in die Rocktaschen, wie er in der Kindheit getan hatte. Und, gewandt, ohne Laut, wie er es als Knabe gewohnt gewesen, klomm er die Wand empor; zufällig war das Fenster offen; einen Augenblick später stand er in seinem Zimmer. Er schlich zur Tür und schob den Riegel vor. Der Schlüssel steckte noch im Schrank. Man musste sich sachte mit der Schulter gegen den Schrank lehnen, wollte man verhüten, dass er knarre. Jetzt war er offen. Säuberlich über Bügeln hing die Uniform. Tarabas legte den Zivilanzug ab. Er zog die Uniform an. Den Säbel befreite er mit geschwinden Händen von der papierenen Hülle. Der Gürtel knarrte. Schon war Tarabas gerüstet. Er ging auf Zehen die Treppe hinunter, klopfte an die Tür des Speisezimmers und trat ein.

Vater und Mutter, die Schwester und die Cousine Maria saßen auf ihren gewohnten Plätzen. Man aß Kascha.