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© 2020 Gerhard Markert
Umschlagbild: Himmelsscheibe von Nebra by Dbachmann / CC BY-SA ,
Wikimedia Commons
Umschlagdesign, Satz, Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7526-9627-1
war in den 70er Jahren ein heißes Thema im Grenzbereich zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Ich ließ mich darauf ein, das Prinzip der Evolution auf die Geschichte der Menschheit auszudehnen, d.h. sie als kulturelle Evolution zu betrachten. Darin bestärkte mich C.D. Darlington mit seinem Buch »Die Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft«, wo die frühen Hochkulturen bruchlos eingebettet erschienen in das Neolithikum der Bauern und Hirten. Obwohl ich nicht den spezifischen Thesen des Genetikers Darlington zustimmte, fand ich den Denkansatz reizvoll. Eine kulturelle Evolution in diesem Sinne habe ich in meinem Traktat »Struktur und Prozess in der Biosphäre« in groben Zügen skizziert. Es wäre interessant eine »Weltgeschichte« so zu schreiben, aber da erginge es mir wie jenen Humanisten, die dies vor fünfhundert Jahren versuchten.
In Darlingtons Literaturverzeichnis fand ich zufällig »The History of Metals« von Aitchison. Damit öffneten sich für einen historisch interessierten Chemiker neue Horizonte. Bücher gab es damals nur wenige; ich musste in die Originalliteratur einsteigen, z.B. die Aufsätze der Wiener Archäologen um Pittioni oder die »Studien zu den Anfängen der Metallurgie« der Stuttgarter Gruppe um Sangmeister. Bald zeigte sich, dass die frühe Metallurgie nur im Zusammenhang mit Besiedelung, Wirtschaft und Handel zu sehen ist. Auch Bergbau und Hüttentechnik gehören dazu, Erzlagerstätten und Plattentektonik, letztlich sogar die Erdgeschichte, die auch den Werdegang eines Lebensraumes beschreibt, der mit seinem Klima die Lebensweise und –art der Menschen prägte. Und für die Frage, wo die Anfänge wirklich waren, brauchte man eine gesicherte Chronologie, die damals durch physikalische Messmethoden in eine Krise geraten war. Ich musste mich also auch damit beschäftigen. So begann ein multidisziplinäres Leseabenteuer, in dem sich Kopien von etwa fünfhundert Aufsätzen ansammelten. Zeitweise schwebte mir ein Buch vor: »Bronze für Europa«, aber die Ergebnisse der Archäometallurgie überschwemmten mich.
Hinzu kamen Ausstellungen über das frühe Mittelalter, die mein historisches Interesse weckten, so dass ich über die Antike hinweg meine Lektüre erweiterte, aber mit dem 16. Jahrhundert setzte ich mir eine Grenze.
Das vorliegende Manuskript ist nicht aus einem Guss entstanden, die Gliederung erst nachträglich. Die Texte sind z.T. mehrfach aktualisiert; das Glockenbecher-Kapitel habe ich in dreißig Jahren viermal neu geschrieben
Zum Titel:
»Geschichte« ist im Lauf der Zeit Geschehenes – im engeren Sinn bezogen auf Menschen. Die Entwicklungsgeschichte der Menschheit ist kulturelle Evolution unter biologischen, klimatischen und geografischen Randbedingungen analog zu dem vorausgegangenen Evolutionsprozess der Biosphäre.
»Abendland« ist jener Teil der Erde und der Menschheit, der im Nordwesten der Alten Welt durch eine charakteristische Entwicklung, d.h. »Evolution«, geprägt wurde.
»Betrachtung« ist nicht gleichzusetzen mit Philosophie, aber doch mehr als Historiographie allein.
»Analytisch« heißt unter Berücksichtigung der sozialen, geografischen, naturgesetzlichen und systemtheoretischen Randbedingungen, also das Gegenteil von Oswald Spenglers Methode im »Untergang des Abendlandes«, der Philosophie (Nietzsche und Goethe) zu Grunde legte.
»Der Krieg ist der Vater aller Dinge«, sagte Heraklit. »Die Menschheitsgeschichte ist eine Blutspur«, schrieb Herbert Rosendörfer. Aber Kriege, Schlachten und Intrigen sind nicht die Sternstunden der Menschheitsgeschichte. Sie schufen klärende Einschnitte, aber kreativ waren sie nicht. Das Schöpferische wirkt im Zusammenleben der Menschen. Seit mehr als hundert Jahrtausenden lebten die Menschen im Einklang und Wechselspiel mit ihrem natürlichen Lebensraum, und zu Wohlstand kamen sie im friedlichen Zusammenleben.
Ein Grundprinzip der Evolution ist, dass durch kooperative Wechselwirkung Systeme höherer Komplexität entstehen. Dabei erlangen Diffusionsprozesse großes Gewicht.
In Afrika stand die Wiege der Menschheit; die Urmenschen waren Waldwesen der Tropen. Als ihr Lebensraum trockener wurde, mussten sie sich an eine offene Landschaft, die »Savanne«, anpassen. Das war vor einigen Jahrmillionen. Ab wann es »Menschen« gab, ist noch ungewiss. Seit etwa acht Millionen Jahren lebten dort Hominiden, die trotz unterschiedlicher Größe körperlich sehr ähnlich waren. Eine Art unterschied sich in nur einem signifikant von den Übrigen: im Gehirnvolumen. Deshalb erhielt sie als einzige den wissenschaftlichen Namen »Homo«. Der vor zwei Millionen Jahren lebende Homo habilis verstand es schon, aus Geröllsteinen scharfkantige Stücke zu schlagen. Der vor eineinhalb Jahrmillionen lebende Homo erectus hatte nach mehreren hunderttausend Jahren seine Lebensweise so weit entwickelt, dass er die afrikanische Heimat verlassen und auch im gemäßigten Klima nördlich des Mittelmeeres leben konnte. Die Anthropologen sind inzwischen übereingekommen, ihn als Kulturwesen einzustufen, das in der Lage war, Geräte und Kleidung anzufertigen, und das über eine begrenzte aber entwicklungsfähige Sprache verfügte. Ein bahnbrechender Schritt zum Kosmopoliten war die Beherrschung des Feuers. Die ältesten Feuerstellen, die auf europäischem Boden entdeckt wurden, sind etwa 600.000 Jahre alt. Die Steingeräte lassen schon eine differenzierte Spezialisierung erkennen. Von den wahrscheinlich viel häufiger genutzten Holzgeräten blieb kaum etwas erhalten. Nur in Bilzingsleben wurde von einer Karstquelle ein ganzer Lebensraum in Travertin konserviert – auch sorgfältig aus einem Fichtenstämmchen gearbeitete Wurfspeere, die belegen, dass der Homo erectus schon über eine Tradition der Werkzeugherstellung verfügte, für die sprachliche Verständigung nötig war.
Die Anwesenheit der Menschen in Europa beschränkte sich aber weitgehend auf die ‘Warmzeiten’ bis in die Übergangsphasen hinein. In Kaltzeiten genügte ein Ausweichen nach Südeuropa. Bevorzugter Lebensraum waren die offenen, abwechslungsreich gegliederten Waldlandschaften. Als Wohnplatz (Lager) wurden Uferstreifen bevorzugt. Das Schweifgebiet eines Lagerplatzes hatte einen Durchmesser von 20 bis 30 km.
Der Neandertaler war der erste, der in der Kälte zu überleben gelernt hatte. Mit der subarktischen Tundralandschaft kam der Zwang zur Jagd als Hauptnahrungsquelle. Pflanzliche Kost stand nur wenig und kurze Zeit des Jahres zur Verfügung. Der Mensch war auf die in den Tieren gespeicherte Nahrung angewiesen und musste den Herden auf ihren saisonalen Wanderzügen folgen. Der Wanderradius betrug etwa 100 km. Außer den Lagerplätzen der Gruppe gab es Jagdstationen (Schlachtplätze) und Schlagplätze für das steinerne Halbzeug. Gesteine für die Werkzeugherstellung fanden sich in Tagesentfernung (15 – 20 km).
Die technischen Neuerungen zu Beginn des Jungpaläolithikums stammen noch vom Neandertaler: Klingen, Kratzer, Stichel aus Stein sowie Stichel und Geschoßspitzen aus Gehörn, Knochen und Elfenbein. Der älteste Klumpen Birkenpech ist 50 bis 85 tausend Jahre alt; er wurde gezielt durch trockene Destillation gewonnen und diente zur Schäftung von Steinklingen; dazu gehörte auch die Verwendung von Pflanzenfasern. Dies war eine technische Revolution. Für Faustkeile brauchte man handliche Stücke, der Materialverlust durch den Abschlag war beträchtlich. Nun war der Abfall, der Abschlag. das gewünschte Produkt. Außerdem wurden durch die Schäftung die jeweils vorteilhaften Eigenschaften von Holz und Stein kombiniert.
Der größte Teil des Übergangs fällt in das Interpleniglazial 58000 bis 28000 BP1 mit fünf Zwischeneiszeiten (Warmzeiten) von jeweils zwei- bis viertausend Jahren. Vor 30.000 Jahren tauchte der ‚Jetztmensch‘ auf. Die Wissenschaft nannte ihn Cromagno-Mensch, Homo sapiens, schließlich Homo sapiens sapiens, nachdem sie dem Neandertaler auch ein »sapiens« zugestehen musste. Wieso die Neandertaler innerhalb weniger Jahrtausende völlig verschwanden, ist immer noch ein Rätsel. Eindeutige Beweise für eine genetische Vermischung gibt es nicht. Eine gewaltsame Verdrängung fand aber anscheinend auch nicht statt; wahrscheinlicher sind unterschiedlich schnelle Wanderungen bei den Klimaschwankungen. Bei der geringen Bevölkerungsdichte (250000 in ganz Europa) konnten Unterschiede in der Vermehrungsfähigkeit und sozialen Dynamik der Gruppen entscheidend sein.
Der Übergang war ein komplexer Prozess, der von der technologischen Entwicklung der Neandertaler geprägt wurde. Der wesentliche Unterschied um 30.000 BP ist das Auftreten von Schmuck, Kleinplastiken und Höhlenbildern, die auf ein geistig-religiöses System schließen lassen – auf das Leben mit einer ‚jenseitigen‘, animistischen, nur mit dem Geist wahrnehmbaren Welt, die dem Menschen und der Gemeinschaft Stabilität und Dynamik gibt. Die Kleinplastiken aus den Tälern der Schwäbischen Alb geben viel vom geistigen Hintergrund zu erkennen – besonders Idole der Fruchtbarkeit. Bemerkenswert ist ein Mischwesen aus Mensch und Löwe, das nur mit einer transzendenten Welt erklärbar ist. Und die Flöten zeigen, dass es bereits Musik gab. Streufunde aus anderen Teilen des Kontinents belegen, dass die Alb keine einsame Insel der Kultur war. Wenn man schon dem Neandertaler ein ‚sapiens‘ zugesteht, dann sollte man beim Jetztmensch ein ‚religiosus‘ hinzufügen.
Die Lebensweise der modernen Menschen im eiszeitlichen Europa unterschied sich kaum von den Neandertalern: Sie folgten den Großwildrudeln auf ihren jahreszeitlichen Wanderungen im Bereich von hundert Kilometern und mehr. Auf den großflächigen Bildern sind die Jagdtiere in erstaunlicher Genauigkeit dargestellt – Pferd, Rind, Ren und Mammut. Als vor etwa 12.000 Jahren das Eis zu weichen begann, drangen Kiefern als erste Bäume in die Tundra vor. Langsam bildete sich ein lichter Birken-Kiefern-Mischwald., der für die Großwildrudel zunehmend ungeeignet war. Die eiszeitlichen Jäger stellten sich auf neue Jagdtiere um – auf Rothirsch, Rind, vor allem Schwein und Reh. Nunmehr gab es auch wenigstens zeitweise pflanzliche Nahrung: Krautpflanzen, Beeren und Haselnüsse. Am Fuße der Picos de Europa entdeckte man im Vorraum einer Höhle eine 2,5 m dicke Kulturschicht. Man konnte 36 Schichten unterscheiden, die ein Alter von 8.650 bis 21.000 Jahren hatten. Aus den Knochenresten zu schließen, diente der Platz vor allem als Basislager für Jagden in den Bergen auf Steinbock und Hirsch. Obwohl das Lager kaum zwei Kilometer vom Meer entfernt war, finden sich erst in den jüngsten Schichten Reste von Fischen aus dem Atlantik, aber der bruchlose Übergang in eine mesolithische Lebensweise deutet sich an.
An der Lebensweise dieser Waldjäger änderte sich zunächst wenig. Der jahreszeitlich bedingte Wechsel des Siedlungsplatzes wurde seltener; der Trend zu Ufersiedlungen wurde durch die Fischerei verstärkt; das Nahrungsangebot begünstigte die Sesshaftigkeit. Die handwerkliche Technik der Geräteherstellung und die Fang- und Jagdmethoden stimulierten sich gegenseitig. Die Fixierung der Mikrolithe als Spitzen und Schneiden wurde verbessert. Seile und Netze aus Bastfasern kamen hinzu. Im Spätmesolithikum (7000 bis 6000 v.Chr.) ermöglichte eine neue Schlagtechnik die Herstellung von Trapezklingen und »Querschneidern« mit vorteilhaften Werkzeugeigenschaften.
So hatten die Großwildjäger der Eiszeit in Europa hinreichend neuen Lebensraum gefunden und Methoden und Geräte in Fortsetzung der technischen Tradition weiter entwickelt, so dass sie in einem kleinen Areal leben, d.h. weitgehend sesshaft werden konnten. So entstanden an der unteren Donau lange Ufersiedlungen mit zeltartigen Hütten, die eine gesellschaftliche Struktur erkennen lassen. Die kürbisgroßen Steinplastiken von Lepenski-Vir geben Zeugnis vom hohen kulturellen Niveau.
Nach dem Rückgang der Gletscher änderte sich die Vegetation nur allmählich; vor allem die Bäume brauchten Zeit.
v.Chr.* | Nacheiszeitliche Wälder im südlichen Mitteleuropa |
11000 | |
Kiefer – Birke | |
10000 | |
lichter Kiefernwald | |
9000 | |
Kiefer – Birke | |
8000 | |
Hasel-Mischwald | |
7000 | |
Eiche mit Esche, Linde, Ahorn |
* Ab hier sind alle Jahreszahlen v.Chr., nicht mehr »vor jetzt« (BP).
1 Before Present
Alle Biomasse entsteht durch Photosynthese, wird also von Pflanzen aufgebaut. Die Tiere leben davon primär oder sekundär als ‘Fleischfresser’. Der Mensch als ‘Allesfresser’ ernährt sich auf den beiden Ebenen der pflanzlichen und tierischen Kost. Dadurch war es den Menschen möglich, die immergrüne Zone (Afrikas) zu verlassen und sich von der in Tieren gespeicherten Biomasse zu ernähren – extrem in den Kältesteppen der Eiszeit. Danach änderte sich die Situation nur hinsichtlich der Reichhaltigkeit des Nahrungsangebots, entscheidend blieb aber weiterhin die ‘Nettoprimärproduktivität’ der einzelnen Pflanzenbiotope Europas.
Maximale Nettoprimärproduktivität (Trockenmasse) | g / m2 · a |
Tundra, Hochgebirge | 400 |
bewaldetes Bergland, Grasland, seichtes Meer | 1500 |
nördl.Mischwald, Auwald, See, südl.Waldland | 2000 |
gemäßigter Laubwald | 3000 |
Sumpf, Marsch, Lagune | 4000 |
Dabei ist Europas gemäßigte Zone deutlich im Vorteil. Entscheidend ist das gleichzeitige Angebot von Wasser, Licht und Wärme (lange Sommertage!). Das locker bewaldete Gebiet bot den Tieren nicht nur reichlich Nahrung sondern auch Unterschlupf, was vor allem für mittelgroße Tiere, wie Reh und Schwein, wichtig war. Dies erforderte aber auch vom Menschen eine Anpassung der Jagdmethoden und Geräte.
Um 6000 v.Chr. waren in Europa fünf deutlich verschiedene Klimazonen zu unterscheiden, die den Menschen unterschiedliche Entfaltungsmöglichkeiten boten.
Durch die Eisschmelze stieg der Meeresspiegel um 140 m und überflutete die Küstenstreifen (K), was in flachen Regionen zu beträchtlichen Landverlusten führen konnte.
A Mediterrane (Halb)inselwelt
Ausdehnung der immergrünen Pflanzengemeinschaften (Hülsenfrüchte, Gräser, Wein, Olive, Feige), wenig Großwild, viel Niederwild und Fische
Zunahme der sesshaften Bevölkerung. Bereits vor 7000 v.Chr. gelangte der Obsidian der Insel Melos nach Griechenland; d.h. das Meer war zumindest auf Sichtweite schon befahren.
B Nördliche mediterrane Küstenzone
Der feuchte Mischwald wurde durch den Anstieg des Meeresspiegels auf einen schmalen, nicht mehr existenzfähigen Streifen reduziert. An seine Stelle traten Pflanzengemeinschaften, die an Trockenperioden angepasst waren. Großwild gab es nur noch in den Bergen. Ufersiedlungen mit Fischerei, Früchtesammeln und Niederwildjagd.
C Balkan-Region
Während der Eiszeit Rückzugsgebiet der mitteleuropäischen und ukrainischen Flora, die sich von hier aus regenerieren konnte; landschaftlich vielgestaltig auf engem Raum: lichter Eichen-Buchen-Wald, Walnuss-Hasel-Wald, Steppe mit Baumgruppen, ausgedehnte Uferzonen für Fischerei, Bergland für Großwildjagd, optimal für das Zusammenleben verschieden orientierter Kulturgruppen.
D Westliche maritime Mischwaldzone
Typische Landschaft für Garten- und Baumkultur auf Basis von Wurzeln, Stauden, Nüssen, Früchten und Schalentieren mit Haltung von Schwein und Hund.
Die Produktivität dieser Sammler-Jäger-Fischer-Wirtschaft in den Feuchtbiotopen war mindestens so hoch wie in den ersten Ackerbaukulturen auf Getreidebasis.
E Baltisch-karpatischer Gürtel
In den ehemaligen Urstromtälern entstand von Jütland bis zum Dnjestr ein fluss- und seenreiches Waldland. Dort lebte eine handwerklich sehr geschickte, weitgehend sesshafte Bevölkerung, die vorwiegend von der Fischerei lebte, in Fortsetzung der pleistozänen Tradition.
Als »Neolithisches Paket« versteht man die Kombination von Pflanzenanbau, Tierzucht, Sesshaftigkeit, Wohnen in festen Häusern, Keramik und geschliffenen Steingeräten. Im Spätmesolithikum fehlen allerdings nur die beiden ersten Merkmale; in Zentralasien gab es nämlich sogar eine mesolithische Keramik. Nach der klassischen Vorstellung von Gordon Childe kam diese Kulturrevolution aus dem Vorderen Orient.
Um 10.000 v.Chr. wurde im Fruchtbaren Halbmond die Landwirtschaft erfunden, d.h. genauer gesagt das absichtliche Aussäen von ährentragenden Gräsern und die Haltung von Ziegen und Schafen – wahrscheinlich auch die damit verbundene Sesshaftigkeit. Der Ursprung liegt im Scheitel des Halbmonds in den Hügelflanken der Gebirge. Dort überschnitten sich die Verbreitungsgebiete einiger charakteristischer Wildformen von Schaf, Ziege, Einkorn und Emmer. Das Neolithikum dehnte sich (u.a.) bis nach Zentralanatolien aus und entwickelte sich weiter, ohne das Kerngebiet zwei Jahrtausende lang zu verlassen. Erst im siebten Jahrtausend begann eine Expansion nach Westen. Charakteristisch für Anatolien war die Tellkultur mit Siedlungen wie Çatal Hüyük. d.h. eng zusammen gebaute, rechteckige Häuser aus Lehmziegeln mit Flachdach. Mehrere Kulturschichten bildeten die charakteristischen, Tell genannten Hügel.
Nach Europa kam die neolithische Lebensweise auf zwei Wegen: über den Balkan und längs der Mittelmeerküste; im östlichen Mitteleuropa kamen wahrscheinlich noch Einflüsse aus Zentralasien hinzu. Die traditionelle, anatolische Tellkultur breitete sich nach Westen allerdings nur bis in den ägäischen Raum aus, der um 6200 v.Chr. weitgehend erschlossen war. Die Lehmziegelhäuser wurden – landschaftlich bedingt – durch Holzständerbauten mit Flechtwerk abgelöst. Die bergige Küstenlandschaft der Ägäis eignete sich optimal für den Anbau der »Trias Weizen, Wein, Olive«. Diese drei Kulturpflanzen deckten ein breites Nahrungsspektrum ab, wuchsen auf unterschiedlichen Standorten und beanspruchten verschiedene Erntezeiten. Dies ermöglichte eine kleinräumige Lebensweise, was nicht eine hohe Bevölkerungsdichte zur Folge haben musste, aber die Voraussetzung für Arbeitsteilung und Spezialisierung – die spätere urbane Revolution – bot. An tierischer Nahrung standen neben Schaf und Ziege auch Jagdwild in den Bergen und vor allem Fisch zur Verfügung. Dieses Wirtschaftssystem breitete sich am Küstensaum des westlichen Mittelmeeres zügig aus.
Ausbreitung der Landwirtschaft
1 | 10.000 | Erste Formen der Landwirtschaft |
2 | 8.500 | Neolithikum in Zentralanatolien |
3 | 6.500 > 6.200 | Ägäisches Neolithikum |
4 | 6.000 | Balkan-Neolithikum (Körös) |
5 | 6.000 | Erschließung der Adriaküste und Siziliens |
6 | 5.900 > 5.400 | .... der ligurisch-iberischen Küste und Inseln |
7 | 5.800 > 5.200 | Protoneolithikum an Rhone und Oberrhein |
8 | 5.500 > 5.200 | Ausbreitung der Linienbandkeramik |
9 | 4.000 | Neolithisierung des nördlichen Flachlandes |
Problematischer war die Neolithisierung jenseits des Balkangebirges in der humiden Klimazone. Der Bestand an Kulturpflanzen und Haustieren blieb zwar der gleiche, aber die Behausungen waren überwiegend zeltartige Hütten des spätmesolithischen Typs. Ob die bäuerliche Bevölkerung nur aus Einwanderern oder auch aus ehemaligen Wildbeutern bestand, ist ungewiss. Diese Kulturzone endete – klimatisch bedingt – am Donauknie.
Erst 300 Jahre später begann die Neolithisierung Mitteleuropas – mit einem völlig anderen Wirtschaftssystem, das die gesamte Laubwaldzone vom Ärmelkanal bis zum Schwarzen Meer erfasste – die Linienbandkeramik (LBK).
Das System war optimal an die humide Laubwaldzone zwischen den Alpen und dem variszischen Mittelgebirgsgürtel angepasst und enthielt auch Elemente, die nicht aus dem Donauraum, sondern aus dem Rhonebecken stammten. Diese Wirtschaftsweise konnte nur in dieser Landschaft selbst entstanden sein; erstaunlich ist nur, wie die Komponenten von jenseits von Balaton und Genfer See zueinander fanden. Die höhere Beweglichkeit hatte das von Südwesten kommende nomadisch lebende Hirtenvolk, das sich auf die Weide im lockeren Mischwald spezialisiert hatte. Dafür kamen Schaf und Ziege nicht in Betracht, sondern nur Schwein und Rind. Wie DNS-Analysen ergaben, stammten die Rinder aus dem Osten, nicht vom bodenständigen Auerochsen. Die kulturelle Wurzel der Hirten lag aber im Westen, wie die La-Hoguette-Keramik und eine Kulturpflanze, der im Westen heimische Schlafmohn, belegen. In Verbindung mit den Ackerbauern von der Donau entstand die charakteristische Siedlungslandschaft von Rodungsinseln im lichten Laubwald. Bevorzugte Bäume für die Waldweide waren Esche und Ulme wegen ihres kräftigen Stockausschlages, sowie Eiche und Buche für die Schweinemast. Von den Kulturpflanzen aus Anatolien übernahmen die Bauern der LBK nur jene, die in ihr System passten: so nur die im Frühjahr auszusäenden Arten, Einkorn und Emmer, nicht das Wintergetreide, Weizen und Gerste, weil die abgeernteten Felder im Winter als Weide für das Vieh dienten, das nebenbei noch düngte.
Einblick in die strukturelle Situation der LBK geben die Befunde der Grabungen bei Schwanfeld/Ufr., wo eine Gruppe von vier Hofplätzen über Generationen hinweg bestand. Die dort gefundenen Feuerstein-Inventare zeigen mesolithische Tradition und bestehen zu 50% aus Hornstein der näheren Umgebung, zu 30% aus baltischem Kreidefeuerstein und 1% aus Radiolarit vom Balaton. Die Importe fanden sich jeweils nur auf einem Hofplatz. Demnach wurde einer der Höfe von Wildbeutern aus dem Norden, zwei von einheimischen Hirten bewirtschaftet und einer von »Balaton-Leuten«.
Die Neolithisierung Europas war ein komplexer Prozess, der selbst mit DNS-Analysen nur teilweise geklärt werden kann. Dass anatolische Bauern bis nach Mitteleuropa gelangten, ist erwiesen. Sie haben aber wohl nicht die mesolithischen Ureinwohner gewaltsam verdrängt; die optimalen Lebensräume überlappten sich nur wenig. Im Laufe der Zeit übernahmen die Wildbeuter aber doch die Landwirtschaft teilweise oder ganz. Aus ihrer Tradition stammt zu erheblichem Anteil das technische Wissen für ein Leben im humiden Klima mit kalten Wintern.
Die Kooperation führte gelegentlich auch zur Fusion, wobei neue Kulturen entstanden: Nördlich des Balkans kam es um 6000 v.Chr. zu einer Verschmelzung der anatolischen Ackerbauern mit den mesolithischen Wildbeutern (1). Wo diese Kultur mit den Rinderhirten aus dem Rhonebecken Kontakt bekam, ist unsicher (2), aber daraus ging um 5500 v.Chr. die LBK hervor, die sich bis in die norddeutsche Tiefebene ausbreitete. Die an der Küste lebenden Wildbeuter hatten lange Handelsbeziehungen mit der LBK, bevor sie um 4000 v.Chr.
(3) Elemente aus Ackerbau und Viehzucht übernahmen, die zu ihrem Lebensraum passten. An dessen östlichem Ende kam es um 4500 v.Chr. zu einer Kooperation (4) mit den nordpontischen Hirten, von denen sie Elemente der Weidewirtschaft übernahmen
Um 5100 v.Chr. kam die westliche LBK in eine Krise, bedingt oder verstärkt durch länger anhaltende Trockenheit. Es machte sich dabei ein Kulturwandel bemerkbar, so dass man von einem Übergang vom Alt- zum Mittelneolithikum spricht. Erste Anzeichen fand man im nördlichen Ober-Rhein-Gebiet (Hinkelsteinkultur). In den folgenden Jahrhunderten bildeten sich auf dem Boden der LBK vom Niederrhein bis zum Karpatenbecken fünf lokale Gruppen (2a bis e).
Eine der Nachfolgekulturen ist die Michelsberger Kultur; sie entstand um 4300 v.Chr. im Neuwieder Becken, von wo aus der Süden und Osten erfasst wurde. Am dichtesten besiedelt und impulsgebend war das Gebiet am Mittel- und Oberrhein. Die durch umlaufende Gräben gesicherten Siedlungen lagen auf Kuppen und Geländespornen und waren mehrere Hektar groß – im Ursprungsgebiet bis zu 100 ha. Die Wohn- und Wirtschaftsgebäude waren klein, nicht massiv und nur 5 – 10 Jahre genutzt. Anscheinend war immer nur ein Teil des umfriedeten Geländes bebaut und bewohnt. Vermutlich wurde Brandrodungsfeldbau betrieben, in dem die Rinderzucht große Bedeutung hatte. Die Siedlungen waren durch Wege miteinander verbunden, die den Prototyp des mitteleuropäischen Altwegenetzes bildeten.
In den voralpinen Feuchtbodengebieten entstand um 4500 v.Chr. ein eigener Typ von Siedlungen: die Pfahlbaudörfer. Ihre Ursprungsgebiete lagen am Nordwest- und Südostende der Alpen. Um 3800 v.Chr. hatte sich der Bogen im nördlichen Alpenvorland geschlossen. Wald und Wasser waren die prägenden Lebensräume; Feldwirtschaft wurde wenig betrieben. Charakteristisch war ein hochentwickeltes Handwerk, das sehr früh das Arbeiten mit Metall aufgriff. Die Siedlungstopographie an Seeufern und die Wirtschaftsstruktur lassen einen spätmesolithischen Ursprung vermuten. In den nördlichen Küstengebieten hielten Wildbeuter noch lange an ihrer Lebensweise fest. Wie Einzelfunde von Importware erkennen lassen, hatten sie wohl Tauschhandelsbeziehungen zur bäuerlichen Bevölkerung, aber keinen Anlass, deren Technik zu übernehmen. Erst um 4000 v.Chr. war es so weit, dass Ackerbau und Haustierhaltung an der Ostsee übernommen wurden.
Neolithische Kulturen 5000 – 3000 v.Chr.
1 Ertebølle > Trichterbecher-Kultur
2 LBK-Nachfolger
3 Pfahlbausiedlungen
4 Epicardial
5 Balkan-Chalkolithikum [ Varna]
6 Nordpontische Hirtenkultur (Kurgan) > Schnurkeramik
7 atlantisches Megalithikum [ Golf von Morbihan]
8 iberisches Neolithikum
9 Sesklo – Dhimini – Larissa [ Troia]
Als um 5000 v.Chr. in Mesopotamien die erste urbanen Strukturen sich bildeten, entstanden auch auf dem Boden der LBK Werke regionaler Funktion: die Kreisgrabenanlagen