Zur Erinnerung an meinen Vater Reinhard Freiherrn von und zu
Brenken in Wewer und sein Leben zwischen Kaiserreich und Hitler.
Impressum
Erweiterte Auflage 2020
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Vertrieb: Nicolibri, Alter Hellweg 28, 33106 Paderborn-Wewer, buecher@nicolibri.de
© 2020 Freifrau von Elverfeldt, Isa
ISBN: 9783751987189
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Oder: Zukunft braucht Herkunft
Dieser Teil der Familiengeschichte der von und zu Brenken in Wewer, der wieder eng mit der Geschichte Wewers verbunden ist, beginnt mit den letzten Jahren des Kaiserreichs, vertreten durch das lebenslustige Original Max und führt über meinen Vater Reinhard in eine Zeit voller sich überschlagender Veränderungen und Katastrophen.
Trotz einiger nostalgischer Marotten war im 19. Jahrhundert Friedrich-Carl von Brenken in Erpernburg – und ebenso seinem Sohn Hermann in Wewer – nach den Umwälzungen der Säkularisation die Anpassung an die neuen Gegebenheiten gelungen.
Die Werte der alten Identität und der Einfluss des Schwiegervaters Werner Graf von Haxthausen und des Freundes Joseph Freiherrn von Lassberg, dem Schwager der Dichterin Annette Freiin von Droste-Hülshoff, ließen die Brenken in einer kulturzerstörenden Zeit das Klostergut Holthausen retten und ebenso wertvolle Handschriften des Klosters Böddeken. Unter dem Einfluss des Bischofs Wilhelm Emanuel von Ketteler, der sich der drängenden Sozialen Frage stellte, optierte der Adel für eine erneuerte Kirche.
In seinen wissenschaftlichen Forschungen im Schlossarchiv zu Erpernburg ging Friedrich Carl von Brenken in der Mitte des 19. Jahrhunderts Ursprung und Funktion von Adel und Grundbesitz nach. Weil sie Ritter gewesen seien, so sein Ergebnis, seien die adeligen Vorfahren nicht in der Lage gewesen, ihre Flächen selbst zu bewirtschaften, weshalb sie die Bewirtschaftung ihren Meiern übergeben hätten. Jetzt aber wollten sie Vorreiter für eine effiziente Landwirtschaft sein und damit die frühere Rolle der Klöster übernehmen.1 Da dazu zusammenhängende Flächen notwendig waren, war Friedrich Carl einer der ersten, der sich um eine – freiwillige – Flurbereinigung bemühte, ebenso unterstützte er auch die Privatisierung des Wewerschen Bruchs. Seine „Wiesenmeliorationen“, die Anlage von Flößwiesen zur Ertragssteigerung, führten beim Gut Erpernburg ebenso wie in Wewer zu einem ungeahnten Aufschwung der Landwirtschaft. Auch Friedrich Carls Sohn Hermann, der dann das unterdes mit dem aufgekauften Imbsenschen Besitz und dessen Schloss zusammengelegte Gut Wewer übernommen hatte, vertrat die Belange der Landwirtschaft (der Bauernstand sei der tragende Stand eines Landes, sollte es später heißen2) und der Gemeinde Wewer im öffentlichen Raum. Als Zentrumspolitiker war er Mitglied des Reichstags. Er fand seine Aufgabe in der Verteidigung der Kirche und erfüllte unter großem finanziellem Einsatz die aus der alten Zeit stammenden Verpflichtungen gegenüber Kirche und Gemeinde in Wewer. Beide, Vater und Sohn, waren wissenschaftlich gebildet und weitgereist – Vater Friedrich Carl hatte den Wiener Kongress miterlebt, Hermann viele Reisen unternommen und seine Frau Maria Freiin (Gräfin) von Haxthausen übernahm im Zusammenhang mit der 1862 als sichtbarem Bekenntnis während Bismarcks „Kulturkampf“ erbauten Schlosskapelle weibliche Verantwortung innerhalb der Kirche.3
Nach der Säkularisation war der hiesige Adel nicht generell militaristisch gesonnen, ja sein Verhältnis zum preußischen Staat war zunächst durchaus ambivalent und, verstärkt durch den preußenkritischen Bischof von Ketteler, gab es erhebliche Vorbehalte gegenüber Wehrpflicht und Bürokratie. Dazu passt die Überlieferung, Hermann von Brenken habe einen preußischen Grafentitel abgelehnt. „Der Adel, der nicht zu Hofe ging!“ hieß es über die westfälischen Adeligen.4
Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs erhielten, schufen und gestalteten die Brenken eine Kulturlandschaft in Wewer. Sie bewahrten und retteten nicht nur, sondern schufen Neues und betteten das Imbsenschloss in eine ästhetisch gepflegte, gleichzeitig intensiv bewirtschaftete Umgebung ein. Sie schufen die letzten erhaltenen Identitätsorte unserer Gemeinde, die in einer sich so gravierend verändernden Umgebung für alte wie neue Weweraner Heimat bedeutet.
Das Wewersche Schloss beherbergte die große Familie Hermann von Brenkens und seiner Frau Maria und wurde lebendiger Mittelpunkt eines ländlichen, mit dem Dorf in vielfältiger Weise verbundenen Wirtschaftsbetriebes.
Es gibt gar keine Geschichte, nur „ehemalige Gegenwarten“, so formuliert Andreas Kilb in der FAZ am 5.9.2018 das, was auch mich bei meinen Blicken in die Vergangenheit bewegt. Ich versuche, die damaligen Menschen nicht nur aus dem Blickwinkel von heute zu betrachten, sondern wieder so viel wie möglich selbst zu Wort kommen zu lassen. So habe ich mich nicht allein auf die erschütternden, geschichtlich so interessanten Kriegsbriefe konzentriert, sondern zeige die Menschen wieder in allen möglichen Lebenssituationen, bis zu den zarten Jungmädchenaufzeichnungen aus einer adeligen Welt, die aber in dieser Hinsicht nicht viel anders war als bei allen anderen Menschen dieser Zeit.
Als eine der beiden letzten gebürtigen Brenken-Nachkommen aus Wewer war es aber auch mein persönliches Anliegen, in den drei Bänden der Geschichte meiner 1957 mit dem Tod meines Vaters in der männlichen Linie zu ihrem Ende gekommenen Familie der Freiherren von und zu Brenken die sich in bisherigen Darstellungen zu findenden Fehldeutungen richtigzustellen, auch wenn dadurch einige liebgewordene Legenden zerstört wurden. Dazu habe ich eine Darstellung zur Verfügung gestellt, die sich auf das beschränkt, was aus den unterschiedlichen, bisher unbenutzten Quellen nachweisbar ist. Dabei ergab sich für die Familiengeschichte eine größere Bedeutung Wewers als Erpernburgs, dessen für die Familie bedeutsame Geschichte erst 1711/12 durch den von Wewer aus erfolgten Schlossbau beginnt, ein Datum, das demnach für die Geschichtsschreibung der 1962 neu begründeten Erpernburger Linie als Gründungsdatum von Bedeutung ist.
Um die in diesem Buch erwähnten Besitzer des Brenkenschen Gutes Wewer und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen in der Zeit „vom Paternalisten zum Bürger“ einordnen zu können, zu Beginn noch einmal ihre Daten:
Friedrich Carl Freiherr von und zu Brenken (1790-1867), mein Ur-Urgroßvater, lebte in Erpernburg.
Sein Sohn Hermann Freiherr von und zu Brenken (1820-1894), mein Urgroßvater, lebte von 1848 bis zu seinem Tod 1894 in Wewer.
Dessen Sohn Max Freiherr von und zu Brenken (1862-1917), mein Großonkel, lebte von 1894 bis zu seinem Tod 1917 in Wewer.
Dessen Bruder Dietrich Freiherr von und zu Brenken (1850-1927), mein Großvater, lebte nach 1917 bis zu seinem Tod 1927 in Wewer.
Dessen Sohn Reinhard (1892-1957), der letzte Brenken und mein Vater, lebte von 1927 bis zu seinem Tod 1957 in Wewer.
1 Brenken, Güter-Arrondierung.
2 Eine Feststellung, die dann in der NS-Zeit allerdings missbraucht wurde.
3 Vgl. Elverfeldt, Wewer Band IV, S. 115 f, 124 zur emanzipatorischen Vorreiterrolle adeliger Frauen, ein Thema, das ebenso wie die gesamte Kirchenkampfzeit noch auf die Beachtung durch die historische Forschung wartet.
4 Auf die häufige Frage, warum sie dennoch im Ersten Weltkrieg für den Kaiser kämpften, lautet eine der möglichen Antworten, dass sie es als Paderborner Husaren taten.
Hermann von und zu Brenken, mein Urgroßvater, der zusammen mit seiner Frau Maria von Haxthausen, meiner Urgroßmutter, so viele Spuren in und um Wewer hinterlassen hat, wählt seinen vierten Sohn, Max (2.10.1862 - 6.4.1917), zum Nachfolger für den Fideicommiss Wewer. Max, der zuvor eine Offizierslaufbahn eingeschlagen hatte, tritt mit dem Tod des Vaters im Jahr 1894 sein Erbe an und kehrt damit in sein Elternhaus nach Wewer zurück.5 Mit ihm ist seine Ehefrau Ferdinandine, geb. Heereman von Zuydtwyck (4.7.1868 - 24.4.1940), Tochter des Friedrich Jakob H. v. Z. und der Isabella Freiin von Fürstenberg aus Stammheim, die er am 1.5.1890 in Herstelle geheiratet hatte. Ferdinandines Vorname erinnerte an den ihrer Urgroßmutter Ferdinandine, geborene von Haxthausen, der Schwester von Max’ Großvater Werner von Haxthausen. Ferdinandine von Haxthausen hatte den Kölner Engelbert Heereman von Zuydtwyck, Mitglied einer eigentlich aus Holland stammenden Familie, geheiratet. Schon nach fünf Ehejahren verwitwet, war sie schließlich in ihre Heimat zurückgekehrt und hatte in Herstelle an der Weser das Burggelände und das Gut Kemperfeld erworben und ausgebaut, wo sie als die geliebte “Tante Dine“ der Annette von Droste zu Hülshoff lebte.
Politisch und kirchlich bleiben Max’ Aktivitäten wohl auf die Gemeinde Wewer beschränkt, wo er als Gemeindevertreter tätig ist. Der Kirche von Wewer stiften er und seine Frau in alter Tradition Fahnen und Paramente, also Gewänder für die gottesdienstliche Verwendung. Auch der große Deckenleuchter der Kirche soll von ihm gestiftet, in Kriegszeit jedoch überstrichen worden sein, damit er nicht zur Metallgewinnung eingezogen würde.6
Max als königlich preußischer Offizier. Er trägt den „Ulanka“ genannten Waffenrock mit Epauletten. In der rechten Hand hält er den typischen, „Tschapka“ genannten Helm der Ulanen, mit der linken Hand stützt er sich auf den Säbel. Im Nachruf der Presse wird er Oberleutnant a. D. des Düsseldorfer Ulanen-Regiments genannt. Rechts: Dies könnte ein Verlobungsbild sein: Ferdinandine mit Schnürtaille, Max dieses Mal in einer „Litewka“ genannten Uniform.
Max ist die schillerndste Brenkensche Persönlichkeit der jüngeren Familiengeschichte, mit Freude am Genuss, durchaus auch dem Alkohol, mit Vergnügungsreisen, seiner Gamsjagd in Tirol und allen Freuden des adeligen Landlebens, die er mit spleenigen Freunden wie Gisbert von Romberg teilt, dessen für den katholischen westfälischen Adel ungewöhnliche, verschwenderische Eskapaden ihn zum „Tollen Bomberg“ der Anekdoten und des Films machen. Mit Romberg, von dem sich der konservative Adelsverein ausdrücklich distanziert, treibt Max von Brenken auch in Wewer übermütige Scherze, so durch Schießübungen auf die Terrassenbeleuchtung, wie lange im Dorf berichtet wird. Mit Romberg interessiert er sich jedoch auch für physikalische Experimente, wozu die Apparaturen in den hohen Regalen des östlichen Saales des Schlosses bereitstanden, in dem seine Eltern bei ihrem Einzug den alten Brenken/Imbsenschen Kamin aus der Alten Burg, die Erinnerung an die erste Wewersche Brenkengeneration, aufgestellt hatten. In diese Zeit fällt auch die Sammlung technisch wertvoller Farbfotografien auf Glasplatten mit südlichen Reisemotiven und Abbildungen von Militärs. Diese Dias seien nach einem Verfahren hergestellt, das Gisbert von Romberg erfunden habe.7
Ein großes Südzimmer des Schlosses, links neben dem „großen Salon“, soll Max als Vogelzimmer benutzt haben. Dazu soll unter der Decke ein Gestänge angebracht gewesen sein, der Fußboden sei mit Sand ausgestreut gewesen.
Um 1900 ziehen stämmige Doppelponys auch mal einen Schlitten über den Schlosshof mit dem berühmten, von Max’ Eltern erbauten Torgebäude.
Max verlebt die letzten Jahre des stolzen Kaiserreiches mit adeliger Geselligkeit und vielen Kontakten zu den benachbarten 8. Husaren in Schloss Neuhaus. Ende Februar 1914, wenige Monate vor dem am 28.7.1914 beginnenden Ersten Weltkrieg, unternimmt er, wohl von Hamburg aus, mit seiner Frau Ferdinandine eine Schiffsreise mit der Deutschen Ost-Afrika-Linie über Lissabon, Marseille und Neapel. Schon zuvor gibt es eine Pilgerbescheinigung: „Der Pilger Max v. Brenken aus Wewer bei Paderborn (z. Z. in H. Münden) hat sich vom 18. März bis? April im Kath. Deutschen Hospiz in Jerusalem aufgehalten. Jerusalem, den 5. April 1893.“
Wegen des entgegengesetzten und ihm wohl zu schaffen machenden Leumunds bemüht er sich, sich als durchaus aktiven Verwalter seines Erbes und Bewahrer von Archiv und Tradition dazustellen. Kurz vor seinem Antritt hatte ein Rentmeisterwechsel stattgefunden, der neue Rentmeister Wilhelm Schütte war in die Alte Burg eingezogen und hatte sie nach wahrscheinlich 40 Jahren Leerstand wieder mit Leben gefüllt. Max kümmert sich um weitere Gebäudereparaturen, Neubauten und die Schlossmodernisierung. Die Separation, als für die bäuerliche Wirtschaft unabdingbare Privatisierung der Gemeinflächen das große Thema des 19. Jahrhunderts, ist weitgehend abgeschlossen und damit auch der Gutsbesitz konsolidiert. Dennoch hat Max ordentlich zu wirtschaften, um Apanagen und Renten bezahlen zu können. Mehrmals gibt er (deshalb?) in Busch bei Dörenhagen und vielleicht auch in Wewer Land zu Siedlungszwecken ab (1897 0,23 ha, 1899 bis 1900 zusammen 65 ha, und 1909 noch einmal 27 ha).8
Max’ Vater Hermann hatte in seiner Zeit trotz seines eigentlichen Interesses und seiner Ausbildung die Landwirtschaft nicht selbst bewirtschaftet. So sind zu Max’ Zeiten das angekaufte Gut Warthe und auch die kleine Landwirtschaft und die Ziegelei auf der Wilhelmsburg verpachtet, ebenso die Mühle an der Alme und das Haus am Bogen in Paderborn. Größere Erträge bringen jedoch die Flößwiesen und der von seinem Vater aufgebaute Wewersche Wald. Auch bei Dörenhagen gibt es zusammen immer noch rund 150 ha Wald mit zwei Forsthäusern. Vom Schlosshof in Wewer aus wird die kleine eigene Landwirtschaft mit den Flächen auf und unterhalb des Ziegenberges bewirtschaftet, doch der größte Teil der landwirtschaftlichen Flächen ist (nach dem Stand von 1897, drei Jahre nach seinem Antritt) an 250 Kleinpächter verpachtet. Max unterhält einen großen Haushalt und die Schlossgärtnerei, seine ganz besondere Liebe gehört dem in Wewer allgemein gepflegten Obstbau.9
Als er am 6.4.1917 durch eine Lungenentzündung stirbt, wird er aus vielen Tätigkeiten gerissen. Das Schloss beherbergt unter der Leitung seiner Frau Ferdinandine ein Kriegslazarett, französische Kriegsgefangene bauen gerade die dann nach ihnen benannte „Franzosenbrücke“ und auch an den Gewächshäusern wird wieder gebaut. Noch im Kriegsjahr 1917 hat Max sich von der berühmten Baumschule Hesse in Weener sechs Sumpfzypressen (Taxodium) liefern lassen. Eine davon ist vermutlich das bis vor kurzem trotz eines Blitzschadens durch seine Herbstfärbung besonders hervorstechende Exemplar an der Alme zwischen Schloss und Alter Burg gewesen. Um gewisse Umgestaltungen der weiteren Schlossanlage vorzunehmen, bediente sich Max im Jahr 1909 eines Gartenarchitekten.10 Er erinnerte sich auch des einzigartigen, südländisch anmutenden Sandsteinbogens von 1672, der nach Art eines Spalierbogens plastisches Astwerk mit Laub und Früchten zeigt. Der Bogen hatte möglicherweise bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Schlosshof gestanden und war dann abgebaut und eingelagert worden. An der südlichen Schlosszufahrt neu aufgebaut, wird der Bogen durch Max zum Wahrzeichen des Schlosses. Auch der Torbereich des Schlosshofes wurde neu gestaltet. Ein barocker Wappenstein mit dem Imbsenwappen und den Initialen von Jobst Gottfried von Imbsen fand einen neuen Platz in der Außenwand des neuen Torgebäudes und hält so die Erinnerung an den Erbauer des Schlosses wach. In die Bruchsteinmauer, die den äußeren Weg zum Tor nach Norden hin abgrenzt, ist außerdem ein Allianzwappen Imbsen/Ense eingefügt, und in die Innenseite der Mauer eine Art Grabstein, möglicherweise eines Geistlichen, mit der Jahreszahl 1630.
Gemälde der Schlossterrasse mit bunten Pfauen, 1913. (Privatbesitz).
Vermutlich nur aus der Ferne erlebt Max die Schrecken des Ersten Weltkriegs und den frühen Tod seiner beiden Neffen Wilhelm und Wilderich aus Erpernburg auf den Schlachtfeldern in Russisch-Polen. Den Untergang des Deutschen Reiches erlebt er überhaupt nicht mehr, nicht die Straßenschlachten der Spartakisten, die das Leben seines späteren Nachfolgers, meines Vaters, prägen werden. Vielleicht hätte jedoch ihn, den Bonvivant, auch das nicht erschüttert und er hätte weiter seine exotischen Parkbäume gepflegt und sein Heimatdorf Wewer verschönert. Denn in Wewer hatte es zwar zu jeder Zeit die üblichen kleinen Scharmützel gegeben, die es gibt, wo Menschen zusammenleben, doch niemals eine Revolution.
Nach Erzählungen, die noch im Nachbarort Alfen bekannt sind, war Max nicht nur in Tirol, sondern auch zu Hause als jagdbesessen bekannt. Der Wewersche Wald sei der reinste Zoo gewesen, weil Max das Wild mit aus dem Osten waggonweise angelieferten Eicheln und Kastanien (?) gefüttert habe. Um die Alfener Jäger auszusperren, seien die Jagdflächen der Wilhelmsburg eingezäunt gewesen, was es ihnen aber tatsächlich umso leichter gemacht habe.11
Das Schloss von Süden vor der Befestigung des Almeweges von 1899. Von links zwischen den Bäumen bis fast zum rechten Ende des Schlosses sind die alten, möglicherweise vom Vorgängerbau des Schlosses stammenden Bruchsteinmauern zu erkennen. Es fehlen noch Schlossbalkon und Torbogen.
Max ist mit Tirol verbunden, wo er eine Gamsjagd pachtet, und setzt sich offensichtlich im Jahr 1915 in der Presse für die Belange eines deutsch-österreichischen Tirols ein. Bis zu seinem Tod ist er Mitglied des Vereins der Reichsdeutschen in Graz mit dessen „Hilfsausschuss für Steiermark und die südlichen Alpenländer“.
Im Schloss hängen die Wände voller Gamskrickel und auf der Torweide zum Dorf hin laufen ebenso wie in den großen Ställen des Torhauses Gemsen und Rehe, die voller Stolz auf Fotos festgehalten werden.
Oft erzählt wurde in meiner Kindheit die Anekdote mit dem Telegramm aus Tirol. Von dort habe Max nach einem besonderen Jagderlebnis ein Telegramm an seine Frau Ferdinandine geschickt mit der kurzen Nachricht: „Heute Kapitalen geschossen. Morgen mehr.“ Der der Jägersprache unkundige Posthalter hatte sich darauf keinen Reim machen können und gab an Ehefrau Ferdinandine weiter: „Heute Kapital verschossen. Morgen mehr.“ Vielleicht war diese Deutung auch naheliegender, jedenfalls soll die treue Ehefrau umgehend Geld geschickt haben.
Auch dies waren noch Erinnerungen an Max’ Vater Hermann: Links: Der noch heute vorhandene „Geheimgang“ zur Alme, von Hermann vielleicht weniger romantisch für Küchenabwasser benutzt. Rechts: An Kirchenfenster oder Geländer erinnernde Sockelbemalung im Esszimmer.
Als Inhaber des Brenkenschen Fideicommisses Wewer muss Max Rechenschaft über seine Wirtschaft ablegen, was er im März 1907 tut. Ein weiteres Mal geschieht es dann nach seinem Tod 1917 durch den Rentmeister.12 Testamente und Fideicomisspflichten bilden einen verpflichtenden Rahmen, für dessen Beachtung sein Rentmeister Wilhelm Schütte sorgt, der noch von Max’ Vater Hermann eingearbeitet worden ist.
Das Schloss mit Kapellenturm, Balkon, Torbogen, Almebrücke und der alten Imbsenschen Sägemühle, nach 1909. (Radierung, Ausschnitt, Schlossarchiv).
In Stichworten liest sich Max von Brenkens betriebliche Tätigkeit so: Nach der früheren Einverleibung des Imbsenschen Besitzes von 412 ha in das Brenkensche Fideicommisvermögen erfolgten durch Max weitere Arrondierungen, sodass der Fideicommissbesitz nun eine Größe von 1.245 ha hat. Hinzu kommt das Allodialvermögen, also freier Grundbesitz, wie das zuvor gekaufte Gut Warthe. An seine vier Schwestern fallen in den Jahren 1903 und 1904 Auszahlungen mit 70.000,- Mark an. Die wirtschaftlichen Verbesserungen der landwirtschaftlichen Grundstücke werden fortgeführt, z. B. die 1866 unter seinem Vater begonnenen Wiesenmeliorationen. 1913/14 folgt die Anlage von Drainagen auf den Flächen Nonenplatz und Niedernhof. Aufwendig erweist sich der Siekdamm in Borchen, der zum Wasserrecht für die Almemühle gehört. Im Wald geht es um den immer wichtigen Wegebau (evtl. unter Einsatz einer Feldbahn, denn Max besitzt Feldbahngleise),13 auch um Chausseebefestigung, 1899 um den Neubau des angekauften Forsthauses Weltsöden, auch um den Bau von Wildgattern (allerdings vermutlich zum jagdlichen Vergnügen) und natürlich um weitere nach der Separation notwendig gewordene Aufforstungen.
Der Schlossbalkon mit dem Brenkenschen und Heeremanschen Wappen wurde von dem mit dem Dombaumeister Güldenpfennig verbundenen Paderborner Architekten Franz Mündelein entworfen und von dem Wewerschen Maurermeister Kruse im Jahr 1907 angebaut. Die durch Ketten verbundenen Blumen- und Fruchtgehänge am Balkon bilden in barocker Art außer Blumen und Früchten auch heimisches Gemüse ab, was das Garteninteresse des Bauherrn Max von Brenken widerspiegelt.
Auf dem Hof Wilhelmsburg fehlen für eine intensive Landwirtschaft Gebäude. Deshalb kommt es 1899 zum Bau eines Schweinestalls und der Vergrößerung des Wohnhauses links der Hofeinfahrt, drei Jahre später auch zum Bau eines Arbeiterhauses.14 Es folgen aufwendige Brunnenbohrungen, die sich aber als vergeblich erweisen. Auf Gut Warthe erfolgt im Jahr 1900 der Bau der (in den 2010er Jahren für den Straßenbau abgerissenen) Feldscheune südlich der jetzigen B 1 und die Aufstockung des Güldenpfennigschen Gutshauses, dessen Dach undicht geworden war.
Das 1902 umgebaute Kutscherhaus mit dem neobarocken Giebel im Jahr 2009 vor einem neuerlichen Umbau.15
Die 1910 errichtete Bruchsteinbrücke über die Alme zum Burggelände. Rechts: Das Forsthaus Weltsöden. (Fotosammlung Lieftüchter).
Aber noch mehr verändert und modernisiert Max das Gelände rund um das Wewersche Schloss und drückt ihm seinen eigenen Stempel auf: 1902 Bau des originellen Kutscherhauses durch Aufstockung des Pferdestalls und unter Verwendung von manieristischen Bauteilen der ehemaligen Schlossbrücke, 1905/06 Anlage von Bohrbrunnen und Wasserleitung, 1907 dann der Anbau des Balkons an der Südseite des Schlosses. Zur Gestaltung der Schlossumgebung gehören auch der Wiederaufbau des manieristischen Steinbogens (1909) und die Anlage der originellen, in Tierformen geschnittenen Hecken.16 Im Jahr 1910 folgt der Neubau eines Gärtnerwohnhauses neben der Großen Scheune bei der Alten Burg und der Ersatz der dortigen Alme-Holzbrücke durch eine Bruchsteinbrücke. Der Almeweg vom Schloss zur Alten Burg wird 1899 befestigt. Als Letztes folgen im Jahr 1916 schließlich die Treibhäuser und die aus Zement errichtete „Franzosenbrücke“.
Max von Brenken als „Grandseigneur“ auf der Schloss-terrasse. Der begabte Zeichner hält in den Händen vielleicht sein Zeichenbuch.
Max von Brenkens Wewersche Zeit von ungefähr 23 Jahren (1894 bis 1917) kann also in der Fortführung der väterlichen Tradition durchaus als eine Zeit ständiger Bautätigkeiten zur Verbesserung der einzelnen Betriebszweige und ebenso der Bewohnbarkeit des Schlosses betrachtet werden. Im Gedächtnis bleibt seine Zeit jedoch – nach dem Wegfall der Tierhecken – besonders durch den nicht zu übersehenden Schlossbalkon und das Kutscherhaus. Eine Fotoaufnahme prägt die persönliche Erinnerung an ihn: Eine Zigarre genießend, in korrekter Kleidung auf einem Rohrstuhl an seinem Steintisch neben dem Kastanienbaum auf der Schlossterrasse sitzend.
Doch Max kann auch aufbrausend sein und die Gerichte beschäftigen, wenn er sich nicht respektiert wähnt. So kommt es zu langen juristischen Auseinandersetzungen, nachdem ein auswärtiges Behördenmitglied ihn als Mitglied des Wewerschen Gemeinderats nach lautem Wortwechsel aus einer Sitzung verbannt hat.
Das von Max von Brenken im Jahr 1900 aufgestockte Guts- und Gasthaus von Gut Warthe.
Auch Karl Liebknechts Provokation vor der Schlossterrasse bleibt nicht ohne Folgen und Max teilt die Geschichte genüsslich der Presse mit. Anlass zur Veröffentlichung ist eine demagogische Bemerkung Liebknechts, dem späteren Mitbegründer der Kommunistischen Partei. Liebknecht hatte in der 94. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, dem er von 1912 bis 1916 (?), noch im linken Flügel der SPD, angehörte, sinngemäß behauptet, dass das Benehmen der Arbeiterjugend auf fremden Grundstücken besser sei als das von „Angehörigen höherer Stände“. Max von Brenken schickt der Zeitung dann wohl einen sarkastischen Bericht über seinen früheren Zusammenstoß mit „Herrn Dr. Liebknecht“, der in seiner Zeit als Referendar in Paderborn einen Ausflug zum Schloss in Wewer unternommen hatte. „Obwohl der Besitzer vor seiner Haustüre stand, pflanzte sich Liebknecht etwa 15 Schritte vor ihm auf, ohne die geringste Notiz von ihm zu nehmen.“ Liebknecht hatte diese Situation sicher als äußerst befriedigend empfunden, während Max ob so viel Missachtung vor innerer Wut getobt hatte. Er hatte Liebknecht erfolglos verklagt, und hatte sich sagen lassen müssen, dass „er eine Warnungstafel hätte anbringen müssen“.17
Zwei Tiere aus der berühmten Weißdornhecke an der Straße nach Paderborn: (Foto Tersluisen. 1960er Jahre).
Dieses vor der Schlossterrasse vermutlich 1915 aufgenommene Foto veröffentlichte die Presse von den Patienten des Vereinslazaretts Schloss Wewer mit ihren Ärzten und Pflegern. (Brenken’sches Archiv, Wewer).
Max erlebt in seiner Zeit in Wewer die Jahre des ersten Weltkriegs. Zwar ist das Kriegsgeschehen fern, doch verwandelt seine Frau Ferdinandine das Schloss in ein Lazarett für verwundete Soldaten. Und französische Kriegsgefangene bauen 1916 im Park anstelle einer älteren Holzbrücke die „Franzosenbrücke“ aus Zement, womit der Ziegenberg an den Park angebunden wird. Im selben Jahr, ein Jahr vor Max’ überraschendem Tod, entstehen noch die zwei Gewächshäuser – vielleicht in Erinnerung an seine Reisen in den Nahen Osten – in Form einer Moschee.18
Ferdinandine Freifrau von und zu Brenken im Jahr 1912.
Max Freiherr von und zu Brenken hatte 1890 Ferdinandine Freiin Heereman von Zuydtwyck aus Herstelle an der Weser geheiratet. Farbdias erinnern an die Hochzeitsreise nach Venedig. Als junge Frau vom Lande, zu deren Zeit Erklärungen über den Inhalt der Ehe vor jungen Mädchen schamhaft umgangen wurden, nun die Ehefrau eines welterfahrenen Lebemannes mit der Vorliebe für das schöne Geschlecht (was auch nicht ohne Folgen blieb), wusste sie ihn anscheinend wohl dennoch zu nehmen und in der Todesanzeige ihres Mannes kann sie schließlich auf eine 27-jährige, „überaus glückliche“ Ehe verweisen. Mit ihren vielen Aktivitäten ist sie im Dorf noch lange in guter Erinnerung. Sie übernimmt Patenschaften bei kinderreichen Familien, weshalb viele Mädchen den zusätzlichen Vornamen Ferdinandine erhalten haben sollen. Zu Namenstagen und zu Weihnachten werden sie mit Geschenken bedacht.
Das Schlosspersonal vor der „Villa Therese“, einem aus den beim Schloss abgebauten manieristischen Teilen errichteten Gartenhaus, die später noch einmal am Kutscherhaus Verwendung finden.
Die große Schlossküche, die durch die Kellertür unter der Terrasse zu erreichen ist, ist sicher der Treffpunkt des gesamten Personals und wohl auch der Freier der Mädchen. Noch zu ihrer goldenen Hochzeit erzählt mir eines der vier damaligen Gartenmädchen, Anna Kruse, verheiratete Lottritz,19 voller Begeisterung von ihrer „guten alten Zeit“, die auch nach so vielen Jahren noch ungetrübt scheint. Ihre Beschreibungen, bei denen sie immer wieder in das Plattdeutsche verfällt, lassen die Zeit von Max und Ferdinandine von Brenken wieder aufleben: „Auch der Kutscher, ein Glahn aus Wewer, der die verschiedenen Pferde auf dem Schlosshof zur Verfügung hatte, schaute dort (in der Schlossküche) herein und erzählte. Eingehüllt in seinen langen Kutschermantel musste er so manche Nacht vor Baron Max’ Stammlokal, der Weinhandlung Kirchmeyer in Paderborn, auf die Rückfahrt warten. Kutscher und Wagen standen jedoch immer dem ganzen Dorf zur Verfügung. Wer schnell zum Arzt oder zum Krankenhaus kommen musste, brauchte nur zum Schloss zu gehen und wurde nach Paderborn gebracht. Auch ich wurde so zu meiner Blinddarmoperation gefahren. Wenn beim Schloss viel Besuch kam, fuhren die Kutschen auf dem Schlosshof vor, wo sie wendeten. Die Frau Baronin trat dann auf die Terrasse, wo sie ob ihrer Vornehmheit vom Personal sehr bewundert wurde. Sehr fein ging die Frau Baronin des Sonntags auch über den Aschenpatt an den Kleingärten des Paggelskamps entlang über den ‚Baronninenpatt‘ zur Kirche.20 Zum Weißen Sonntag wurden die ärmeren Kinder von Baron Max ausgestattet und von der Frau Baronin bekamen alle Mädchen zu Weihnachten eine Schürze. Zu Neujahr gingen dann alle zum Glückwünschen zum Schloss, in der Hand einen Fichtenzweig mit einem angebundenen Spekulatius, wofür sie eine Mark erhielten. Von dieser Mark kaufte meine Mutter mir einmal, als gerade die Großmutter gestorben war, eine schwarze Schürze.“
Im Gegensatz zu seinen Standesgenossen wissen viele Weweraner – allen seinen charakterlichen Mängeln zum Trotz – Max von Brenken mit seinen Eskapaden genauso zu nehmen, wie es auch seine Ehefrau tut, und bescheren ihm keinen schlechten Nachruhm. Anna Lottritz, das ehemalige Gartenmädchen vom Schloss, erinnerte sich noch an die verschiedensten Aussprüche des als sehr leutselig geltenden Barons. Auch bei Hartmanns gegenüber der Kirche (später Tischlerei Henke, jetzt Bank) habe er Patenkinder gehabt, möglicherweise, weil die Mutter früher im Haus gearbeitet hatte.
Blick über die Alme nach Norden. Am rechten Ufer ist neben der Großen Scheune das von Max von Brenken gebaute Gärtnerhaus zu sehen. (Ausschnitt aus einer Postkarte, vermutlich aus den 1960er Jahren).
Schloss mit Alme, neuem Weg und Tierhecke. Die Legende besagt, dass die Tiere die Mitglieder des Reichstags darstellen. (Foto meines Vaters).
Messgewand in der traditionellen, feierlichen Casel-Form. Jugendstilapplikationen mit Stifterwappen auf wertvollem Stoffmaterial von der damals bekannten Krefelder Manufaktur.( Begutachtung Friederike Frfr. Ebner von Eschenbach, Potsdam). Möglicherweise gehören auch weitere Casel zu der Stiftung. Rechts der gestiftete außergewöhnliche Kronleuchter.
Am 6.4.1917 teilt Ferdinandine in der Todesanzeige mit, dass der Freiherr Max von und zu Brenken, Fideicommissherr auf Wewer, im 55. Lebensjahr und im 27. ihrer überaus glücklichen Ehe an Lungenentzündung gestorben sei. Die stille Beisetzung finde am 10.4. statt, danach das Seelenamt. Die Zeitung druckt einen Nachruf. „Am Karfreitage starb auf seinem Schlosse in Wewer an einer Lungenentzündung der Fideikommißbesitzer Freiherr Max von und zu Brenken, Oberleutnant a. D. des Düsseldorfer Ulanenregiments. Er war geboren in Wewer am 2. Oktober 1862 und trat nach dem am 13. Mai 1894 erfolgten Tode seines Vaters, der von 1874 bis 1884 als Zentrumsmitglied den Wahlkreis Paderborn=Büren im Reichstage vertrat, das Fideicommiß Wewer an. Im Jahre 1890 hatte er sich mit Ferdinande Freiin Heereman von Zuydtwyck aus Herstelle vermählt.
Er blieb kinderlos. Infolgedessen geht das Fideikommiß an seinen älteren Bruder Dietrich Frhrn. von und zu Brenken auf Erpernburg über. (…) .“21