Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2020 Hans Bonneval
Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7526-7899-4
Gibt es eine ideale Form des menschlichen Zusammenlebens? Ist es möglich, sich mit anderen innerhalb gewisser Gebiete zu einigen auf eine bestimmte Art, das gemeinsame Leben zu gestalten? Läßt das menschliche Wesen – und wenn ja, unter welchen Bedingungen – ein gedeihliches Miteinander überhaupt zu? Oder sind die Menschen zu eigenwillig, zu egoistisch und unverträglich, so daß nur eine restriktive Zwangsordnung das Auskommen der Bevölkerungen sichern kann? Man betrachte diese Fragestellung nicht bloß als rein theoretische Erwägung, denn wer genau hinschaut, sieht, wie die Restriktionen auf allen Gebieten des Lebens mit großen Schritten auf uns zukommen. Ja, sie haben uns schon weitgehend vereinnahmt. Und wollen wir verhindern, daß uns die Freiheit, unser Leben zu gestalten, noch immer mehr und am Ende ganz genommen wird, dann müssen wir dringend dieser Entwicklung eine Alternative entgegenstellen. Denn wenn es gelingt, eine wirkliche Alternative in die konkrete Vorstellung vieler Menschen zu bringen, wird dies eine starke Wirkung haben und die notwendigen Veränderungen herbeiführen können. Gelingt dies nicht, so wird eine Zwangsordnung kommen.
Die gute Nachricht ist, daß die gesuchte Alternative schon seit hundert Jahren existiert. Der große Eingeweihte des zwanzigsten Jahrhunderts, Rudolf Steiner, hat in übersinnlicher Schau das Wesen des Menschen erforscht und seine Resultate dokumentiert. Die Erkenntnisse zu einer idealen Lebensform finden sich in seinem Werk unter der Bezeichnung der »Dreigliederung des sozialen Organismus«. Sie verdienen vor allem deshalb Beachtung, weil sie die Resultate übersinnlicher Forschungen sind, die nichts mit einer Theorie, Ideologie, Philosophie oder sonstigen phantasieartigen Entwürfen gemein haben. Auch wenn dies zu denken für viele ungewohnt ist, so handelt es sich doch um eine wissenschaftliche Erkenntnis von objektivem Charakter. Insofern steht sie hoch über allen sonstigen Versuchen, mit dem Verstand auf eine ideale Lebensweise zu schließen. Wenn wir also von der sozialen Dreigliederung nach Rudolf Steiner sprechen, so handelt es sich nicht um Steiners Thesen, Meinungen, Annahmen oder Ideen, sondern um übersinnlich vorzufindende Welt-Tatsachen. Diese Tatsachen findet man, wenn man sich in die Idee des Menschen, in das uns allen zugrundeliegende geistige Urbild, auf spirituelle Weise hinein vertieft. Dazu ist nur ein geschulter Eingeweihter in der Lage. Dem allerdings ergibt sich der ganze Sinn des Menschen, der Grund, weshalb er existiert und warum er so ist, wie er ist und vieles weitere mehr. Das übersinnlich angeschaute Wesen des Menschen offenbart, wie wir in der Welt darinnen stehen, wessen wir bedürfen und was wir zum Gesamten beitragen können, und daran läßt sich dann auch die ideale Lebensform für uns ablesen. Wie der Anblick eines Fahrrades dessen Gebrauch nahelegt, läßt das übersinnlich angeschaute Menschenwesen die Notwendigkeiten des sozialen Umganges wie selbstverständlich deutlich werden. Es geht also nicht um die Frage: Wie wollen oder möchten wir in Zukunft leben, sondern: Wie werden wir leben, wenn wir in konstruktiver Weise dem, was der Kosmos mit dem Menschen vorhat, folgen? Wenn wir dem folgen, was Rudolf Steiner als im Menschenwesen veranlagt erkannte. Würde es nicht gelingen, dem zu folgen, so müßte mit Chaos und Zerstörung in jeder Weise gerechnet werden – so Rudolf Steiner.
Die hier gemeinte Dreigliedrigkeit zeigt sich dem Geistforscher in der übersinnlichen Schau beispielsweise darin, daß im physischen Leib des Menschen drei verschiedene »Funktionsbereiche« zu unterscheiden sind, die sich stark voneinander unterscheiden, die sich aber doch gegenseitig durchdringen und in wunderbarer Weise zusammenwirken. Man unterscheidet den Nerven-Sinnesmenschen vom Atmungs-Kreislauf-Menschen (rhythmisches System) und vom Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen. Diese drei Körper-Funktions-Bereiche ergeben in ihrem Zusammenwirken schon eine Art Vorbild für die Dreigliederung des sozialen Organismus. Die ideale Gliederung des Gemeinwesens kann also dem Menschenwesen selbst entnommen werden. Besonders hoffnungsvoll stimmt dabei jene Erkenntnis Steiners, die den Kern seines berühmten Frühwerkes »Die Philosophie der Freiheit« darstellt, nämlich daß die Moralität, daß die Freude an der Förderung des Nicht-Ich, des Anderen, der Anderen, daß die Fähigkeit zur selbstlosen Tat, Teil der menschlichen Natur ist. Die niedere Natur des Menschen, die Triebe, Begierden und Instinkte, wirken ungefragt in jedem Menschen. Die höhere Natur ist ebenso veranlagt, muß aber von jedem Einzelnen willentlich ergriffen und ausgebildet werden. Das ist Gegenstand der Kultur. Natürlich muß auch hier die Erziehung die notwendigen Voraussetzungen schaffen, doch der Hauptanteil muß vom Menschen selbst durch Einsicht und guten Willen in Freiheit bewußt gestaltet werden. Wer dies versucht, wer mit Bewußtheit die Sphäre des Moralischen in sich aufsucht, wird unweigerlich auf die Veranlagung zum Höheren in sich treffen. Er wird merken, daß Gerechtigkeit, Mitgefühl, Liebe, daß die selbstlose Hingabe an Andere Bestandteile seines Wesens sind, die darauf warten, aus ihrem Dornröschen-Schlaf durch bewußtes Ergreifen erweckt zu werden. Das aber ist nur in völliger geistiger Freiheit, in Gedankenfreiheit möglich. Und just an diesem Erleben wird deutlich, wie schädlich die Behauptung ist:
der Mensch sei von Natur aus schlecht, unverträglich, hinterhältig etc. Man sollte ihn höchstens als unerzogen oder fehlgeleitet bezeichnen. Aber das ließe sich ändern. Denn die Mittel zu einer angemessenen Erziehung, die in vielerlei Hinsicht eine Selbsterziehung sein muß, liegen vor in den Erkenntnissen Rudolf Steiners, in der spirituellen Wissenschaft der Anthroposophie, und würden beweisen, daß ein auskömmliches Zusammenleben keine Utopie darstellt.
Um das Erfassen dieses komplexen Themas für Leser ohne Vorkenntnisse zu erleichtern, sei hier zunächst auf die Fragen: »Was ist spirituelle Wissenschaft?«, »Wie wird übersinnlich geforscht?«, »Was ist ein Eingeweihter?« und »Wer war Rudolf Steiner?« eingegangen.
Eingeweihte sind Menschen, welche meist schon in früheren Inkarnationen spirituelle Kenntnisse und Fähigkeiten ausgebildet hatten und die von höheren Wesen, wie etwa Engel, Erzengel, Archai, aber auch durch zur Zeit nicht inkarnierte andere menschliche Eingeweihte geschult werden, höhere Bewußtseinsstufen zu erlangen, wodurch es möglich wird, sehr konkret hinter die physische Welt zu blicken.
Die physische Welt, die für gewöhnlich als die einzige angesehen wird, ist im Grunde nur die mehr oder weniger erstarrte Kruste sehr viel feinerer, nicht-materieller Welten, die aber die notwendige Grundlage für die physische Erscheinungswelt darstellen. So liegt unter anderem jeder materiellen Welterscheinung eine Idee zugrunde. Ohne eine Idee kann es keine Erscheinung geben. Will der Mensch bewußt eine Handlung begehen, so muß er zunächst eine Idee haben über das, was er tun will. Ohne eine geistige Idee kann er nicht handeln. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Idee alle Einzelheiten beinhalten muß, die zu ihrer Verwirklichung notwendig sind. Und in diesem Sinne ist die gesamte Welt aufgebaut. Es bedarf immer erst einer rein geistigen Idee, einem sogenannten Urbild, damit etwas geschehen kann, damit es ein Dasein geben kann. Nun ist aber eine solche Idee nicht einfach nur ein Gedanke, ein Bauplan, sondern ein Wesen. Denn alles, alles, alles ist wesenhaft. Und solcherart Ursachen-Wesen nennt man von alters her Geister. Es hat also jede Welterscheinung ihren Geist, ihr Ideenwesen, ihr Urbild, welches den Sinn der jeweiligen Erscheinung enthält und zusätzlich die Kraft besitzt, diesen Sinn zur Erscheinung zu bringen, das Erscheinen also zu bewirken. Und dieses ganz aus Sinn bestehende Geistwesen bildet seine Tätigkeit in unseren Gedanken auszugsweise ab. Von einem Eingeweihten, wie Rudolf Steiner einer war, können diese und andere Geister übersinnlich angeschaut und vollkommen zweifelsfrei erkannt und beschrieben werden. Während dem gewöhnlichen Bewußtsein der Sinn einer Erscheinung nur im schattenhaften Abbild als Gedanke erscheint, tritt das Geistwesen dem übersinnlichen Bewußtsein, der geistigen Schau, als eine lebendige Sinngestalt gegenüber. In einer solchen Weise erforschte Rudolf Steiner die Ideen dieser Welt und teilte seine Ergebnisse unter dem Namen »Anthroposophie« der Menschheit mit. Er verfaßte diverse Schriften und hielt zahllose Vorträge, die zum größten Teil mitstenographiert und später als Bücher herausgegeben wurden. Sein Werk umfaßt heute ca. 380 Bände. Dabei wurden fast alle Lebensbereiche auf den sie bewirkenden Sinn hin geistig untersucht und beschrieben. So daß mit der Anthroposophie eine wirklich umfassende Welterkenntnis gegeben ist, eine der vollen Wahrheit entsprechende Welterklärung, welche die Seele des heutigen Menschen dringend braucht, ja, verlangt. Und tatsächlich erkennt man, wenn man genau hinschaut, hinter dem menschlichen Streben immer auch das Verlangen, sich selbst und die Welt zu begreifen. Jeder möchte wissen, wer und was er als Mensch ist, worin der Sinn seines Erdenleben und der Sinn der Menschheit und der Welt besteht. Zumindest spielen solche Fragen in der Jugend eine große Rolle. Da aber das heute propagierte Weltverständnis keinerlei wirklich konsolidierende Antworten auf diese Fragen zu geben vermag, erlischt das Interesse früher oder später, denn es finden sich keine Hinweise auf die Existenz der Anthroposophie in der gewöhnlichen Kultur. Sie wird verschwiegen, ja bekämpft. In manchen Fällen finden Menschen religiöse, spirituelle oder auch naturwissenschaftliche Erklärungen, die ihre Sehnsucht mehr oder weniger zu stillen vermögen. Eine wirklich befriedigende Erklärung bietet die Anthroposophie, einfach deshalb, weil ihr Begründer den Sinn, die Ursachen, eben die Ideen, aus denen die Erscheinungen der gesamten Welt hervorgehen, ganz direkt erforscht und beschrieben hat. Der Sinn einer Erscheinung ist deren Bedeutung für die Welt, ist das Verhältnis des Einzelnen zum Gesamten oder die Beziehung der Weltbestandteile untereinander. Diesen Sinn erfassen wir im Denken. Er ist der einzige Inhalt des Denkens und nur durch dieses zu erfassen. Wann immer wir etwas begreifen, wissen, kennen, erinnern, erkennen – es ist immer Resultat unseres Denken, das aber in gar keiner Weise jene subjektive Fähigkeit unseres Gehirns ist, als welche Naturwissenschaft und Psychologie es verstanden haben wollen. Stattdessen ist das menschliche Denken die Fähigkeit, den Sinn der Welterscheinungen durchaus auch objektiv zu erfassen. Und nur dadurch können wir irgend etwas wissen, daß wir den Sinn einer Erscheinung aus dieser gewinnen, indem wir sie denkend durchdringen. Denn der jeweilige Sinn ist draußen in der Welt tätig und schafft seine Erscheinung. Der Geist, das Ideenwesen, enthält diesen Sinn und bringt ihn zur Erscheinung, und in diesen Prozeß schaltet sich unser Denken ein, sofern wir wirklich denken und nicht nur erinnern. Dadurch geht uns der Sinn, nach welchem die Erscheinung geschaffen und erhalten wird, im Bewußtsein auf. Der Anblick, die Wahrnehmung, enthält diesen Sinn nicht, auch wenn die Naturwissenschaft dies glaubt. Sinn kann nur gedacht und in keiner Weise aufgezeichnet werden. Worte, die wir aufzeichnen, enthalten den Sinn genausowenig wie der Anblick einer Welterscheinung, sondern sind wie dieser Anweisungen zum Denken, in welchen der Sinn uns erscheint.
Das menschliche Denken ist also das Vermögen unseres Geistes, zu den Wahrnehmungen der Sinne den gedanklichen Sinn, hinzuzufügen. Das Gehirn ist ein Aufzeichnungs- und Erinnerungs-Apparat, der nicht etwa Wahrnehmungen und Gedanken abbildet, sondern Zeichen für Gedanken und Bilder aufzeichnet. Bei der Erinnerung werden anhand der Zeichen die Bilder und Gedanken neu erzeugt. Dabei kommt es darauf an, daß wir lernen, mehr und mehr den Gedanken aus dem jeweiligen Objekt oder Objekt-Zusammenhang zu entnehmen, anstatt auf das Wissen, das Erlernte, die Erfahrung zurückzugreifen.
Diese besondere Methode, den Gedanken dem Objekt zu entnehmen, nannte Rudolf Steiner das goetheanische, das produktive, schöpferische oder einfach das neue Denken. Und im Sinne dieser Vorgehensweise habe ich versucht, mich nach dem Studium der Schriften und Vorträge Rudolf Steiners zum Thema der Dreigliederung des sozialen Organismus, in diesen Organismus beobachtend hineinzuleben. Was dann als Resultate dieser Beobachtung mir gedanklich erschien, bildet den Inhalt dieser Schrift. Sie soll nicht vertiefend in die Einzelheiten untertauchen, sondern den Denkprozeß der Leser in eine bestimmte Richtung lenken. Wer Genaueres erfahren möchte, der lese bitte die Werke Rudolf Steiners bzw. die zahlreichen Schriften der anthroposophischen Dreigliederungs-Spezialisten.
Um auch die bereits erwähnten Leser ohne anthroposophische Vorkenntnisse in angemessener Weise an das eigentliche Thema dieser Schrift heranzuführen, war es notwendig, auch in die nun folgenden Kapitel immer wieder anthroposophische Grundkenntnisse einzuflechten. Dies konnte natürlich nicht umfänglich geschehen, da sonst das Thema des Sozialen aus dem Fokus geraten wäre. Ich möchte deshalb raten, jene Passagen mit Bedacht zu lesen, und gründlich zu durchdenken. Denn ohne die Erklärungen zu Geist, Seele, Denken etc. kann die Dreigliederung des sozialen Organismus nicht verstanden werden. Aber gerade das Verstehen dieser Zusammenhänge wird in der nächsten Zukunft dringend erforderlich sein, wenn es mit der Menschheit wieder aufwärts gehen soll.
Juli 2020, Hans Bonneval
Die spirituelle Welterklärung Rudolf Steiners in Form der Anthroposophie faßt das Zusammenleben der Menschen, das soziale Gefüge, als einen Organismus auf. Dabei spielt es keine Rolle, aus wieviel Teilnehmern ein solcher Organismus jeweils besteht. Schon ein zusammenlebendes Paar bildet einen sozialen Organismus, ebenso eine Familie, eine Schulklasse, eine Kollegenschaft, ein Verein, eine Mannschaft, eine Partei, eine Gemeinde, ein Volk, ein Staat und natürlich die Gesamtbevölkerung der Erde. Wo immer ein Zusammenwirken von Menschen stattfindet, handelt es sich um einen sozialen Organismus. Die entscheidende Frage für die Menschen ist: »Wie muß ein solcher Organismus gelenkt und gestaltet werden, damit durch ihn für alle Beteiligten ein zufriedenstellendes Auskommen möglich wird?« Denn so, wie es Störungen im schaffenden Prozeß eines Pflanzen-, Tier- oder Menschenorganismus geben kann, die wir gewöhnlich als Krankheiten, Unpäßlichkeiten oder auch als Behinderungen bezeichnen, so können auch soziale Organismen erkranken, unpäßlich oder behindert sein. Das bedeutet, daß, so wenig der menschliche Organismus beliebig behandelt und versorgt werden kann, weil ihm ein ganz bestimmtes Konzept, eine Idee zugrunde liegt, so wenig ist dies beim sozialen Organismus der Fall. Auch ihm liegt ein Plan, eine Idee, zugrunde, die, wenn sie nicht beachtet wird, zu Fehlfunktionen und Krankheiten, ja bis hin zum Tode der jeweiligen Gemeinschaft und sogar auch ihrer Mitglieder führen kann. Will man also erreichen, daß die menschlichen Gemeinschaften in sich harmonisch leben können, so muß man – wie man dies bei seinem physischen Organismus auch praktiziert – den Sinn und die Funktionsweise der einzelnen Organe und ihr Zusammenwirken als Organismus zu ergründen und zu beachten suchen. Solange dies allerdings nur rein äußerlich, materialistisch betrieben wird, wie es in der Natur- und Sozialwissenschaft heute der Fall ist, kann man gewiß eine erstaunlich große Menge an Erkenntnissen gewinnen, doch der Sinn, die Idee des Einzelnen und der Gesamtheit erschließen sich nicht bzw. nicht vollständig. Das hat zur Folge, daß auch bei bestem Willen – sofern vorhanden – die sozialen Einrichtungen den tatsächlichen Bedürfnissen nicht oder nicht in vollem Umfang entsprechen. Nach Rudolf Steiner wird es nur Niedergang geben können, solange die spirituellen Grundlagen des Menschen und der Menschheit nicht erkannt und berücksichtigt werden. Erkannt sind sie durch Rudolf Steiner. Doch das verträgliche Funktionieren der sozialen Organismen fordert auch von deren Teilnehmern bzw. Mitgliedern ein grundsätzliches Erkennen.
Ursprünglich waren die Menschen durch soziale Instinkte unbewußt geführt. Später, als die Instinkte verblaßten, empfingen sie die Konzepte zum verträglichen Verhalten innerhalb ihrer sozialen Organismen in Form von Gedanken, die ihnen eingegeben wurden. Die Priester, Schamanen und Druiden erlebten durch ihre Riten und Kulte göttliche Offenbarungen. Wie z. B. Moses, empfingen sie Gesetze bzw. Gebote, die dogmatisch das Verhalten bis in alle Einzelheiten regelten. Auf diese Weise entstanden die verschiedenen Volkskulturen. Es war durchaus nicht so, daß man Jahrtausende herumprobiert hat, bis man Verhaltensweisen, Werkzeuge und Herstellungsverfahren der Kulturgüter endlich gefunden hatte. All dies wurde den verschiedenen Stämmen und Völkern bis ins Kleinste durch göttlichgeistige Wesen über die Kulte übermittelt. Das ist der eigentliche Gehalt der alten Religionen und Kulte: die tatsächliche Verbindung zu den höher entwickelten Wesen des Kosmos, den Göttern bzw. Engelwesenheiten.
Doch die Welt hat sich weiterentwickelt. Der Mensch wurde bewußter und selbständiger, während die Verbindung zu den göttlichen Lehrern allmählich dahinschwand. Heute können die alten dogmatischen Mitteilungen der Götter kaum noch verstanden und angewandt werden, ja, das Praktizieren alter Rituale und Techniken ist in vielen Aspekten sogar gefährlich, weil sich viele Verhältnisse aus der Gründerzeit der Religionen stark – z. T. bis in ihr Gegenteil hinein – verändert haben. Insofern war eine Erneuerung der alten spirituellen Praktiken und eine Neufassung der überlieferten Weisheiten notwendig. An die Stelle der dem mehr passiven Menschen einst geoffenbarten religiösen Weisheiten ist nun die aktive Erforschung der göttlich-geistigen Welt in Form der Anthroposophie getreten. Rudolf Steiner empfing nicht im alten Sinne Offenbarungen, sondern er erforschte die Welt-Ideen aktiv und fügte der Naturwissenschaft hinzu, was dieser fehlt: den Sinn des Einzelnen und des Ganzen, der in Form geistiger Wesen eine nicht-physische Weltensphäre bevölkert und die Ursache für alle Welterscheinungen darstellt. Ohne eine genaue Kenntnis der Ursachen des Seins, das heißt ohne eine Kenntnis der geistigen Welt, kann die physische Welt nicht verstanden und adäquat behandelt werden.
Da jeder Welterscheinung ein Ideenwesen zugrunde liegt, existiert auch für jeden Menschen eine Idee, ein Ursachenwesen und zwar in Form seines Iches. Das uns als Menschen ausmachende Ich ist zunächst der Repräsentant der Idee des persönlichen Menschen, der wir sind, mit allem, was zu uns gehört. Diese Idee ist in ihrer Gesamtheit der Geist oder das Geistige, das unserer Existenz zugrunde liegt, das Urbild, von dem nur immer ein Auszug, nämlich die Persönlichkeit, auf der Erde inkarniert. Dieser die Persönlichkeit bildende Auszug aus unserem Gesamtgeist erscheint dem auf der Erde lebenden Menschen zunächst als sein Ich, als das, was er selbst ist, als der Mittelpunkt dessen, was er erlebt und gelernt hat, was er weiß und kann und aus dem heraus er seinen eigenen Willen zum Tun entfaltet. Damit aber dieses Ich von sich und von der Welt wissen kann, bedarf es dessen, was man ziemlich unscharf die Seele, besser aber das Bewußtsein oder den Astralleib nennt. Dieser Seelen- oder Astralleib ist auch Teil der großen Mensch-Idee. Und ebenso ist es mit dem physischen Leib. Damit der individuelle Menschengeist in Form des Iches in der physischen Welt leben und in diese eingreifen kann, bedarf es eines physischen Leibes als Gefäß und Werkzeug mitsamt der Stofferzeugung, dem sogenannten Ätherleib, und auch diese komplexe Leibes-Erscheinung ist Teil der umfassenden, in der geistigen Welt lebenden, Idee des Menschen, welche das uns hier auf der Erde erscheinende Ich repräsentiert. Das, was uns sagen läßt: »Ich existiere«, ist der Teil unseres Gesamt-Geistes, der die geistige Welt verlassen hat für dieses Erdenleben. Der Mensch besteht also nicht – wie die Naturwissenschaft annimmt – lediglich aus dem physischen Leib, sondern aus diversen nicht-stofflichen, in sich geschlossenen Gliedern, die sich gegenseitig durchdringen und zusammenwirken. Diese nicht-stofflichen Wesensglieder können nicht mit dem sinnlichen Gegenstandsbewußtsein, in dem wir alle leben, erfaßt werden, sondern um diese wahrzunehmen bedarf es der Ausbildung höherer Bewußtseinsstufen, wie sie Rudolf Steiner ausgebildet hatte.
Wenn wir nach den Angaben Rudolf Steiners den auf der Erde lebenden Menschen in seiner gröbsten Einteilung beschreiben wollen, so finden wir ihn bestehend aus Körper, Seele und Geist. Wobei der Geist das eigentliche, ewig existierende Menschenwesen selbst darstellt, welches sich durch die Erfahrungen eines jeden Erdenlebens bereichert. Geist ist Idee und Ursache zugleich und prinzipiell unvergänglich. Die Seele dagegen überlebt zwar den Tod des Leibes, aber auch sie erleidet nach einer gewissen Zeit im Nachtodlichen eine Art Auflösung. Das Ich, der inkarnierte Teil des Gesamt-Geistes, kehrt auf einem langen Weg der Auswertung des vergangenen Erdenlebens – um die Erträgnisse des vergangenen Erdenlebens bereichert – zurück in die geistige Welt in seinen Gesamt-Geist. Die Idee des persönlichen Menschen wächst in der Regel durch jedes Erdenleben in erheblichen Maße. Und da sich die Erdenverhältnisse ständig ändern, werden die erworbenen Fähigkeiten immer wieder neu auf die Probe gestellt und durch neue Erfahrungen erweitert. Zwar erfolgt die Weiterentwicklung der Menschheit heute nicht mehr durch Zwang, aber sie ist als ein Plan veranlagt, dessen Befolgung dem Menschen im Zuge seiner Entwicklung zu einem freien Wesen zu gewissen Teilen anheimgestellt ist. Wir finden in unserm Leben allerlei zu lösende Probleme und Aufgaben vor und folgen dabei unbewußt diesem Plan, ganz individuell besser oder schlechter. Daraus ergeben sich dann nach dem Tode die Erträgnisse des Lebens, unsere Stärken und Schwächen, unsere hilfreichen und hinderlichen Taten und all das vergleichen wir mit dem Menschheits-Entwicklungs-Plan, woraus sich dann das Maß der Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung dieses göttlichen Planes ergibt. Durch die nachtodliche Auswertung des vergangenen Lebens ergibt sich, was nach der östlichen Weisheit das Karma genannt wird, das Schicksal, und wir schmieden daraus bereits den Plan für das nächste Erden-Leben, welches zu diesem Zeitpunkt noch in weiter Ferne liegt. Soweit zur menschlichen Wesenheit.
Kommen wir auf den sozialen Organismus zurück, so müssen wir auch ihn auf ein geistiges Ideen-Wesen zurückführen, von welchem jeder wie auch immer geartete Organismus des Sozialen ein Abbild in sich trägt als die ihn hervorbringende und lenkende Idee, die wiederum ein Teil der Mensch-Idee ist. Man kann aus der Idee des Menschen übersinnlich herauslesen, daß und wie der Mensch sich sozialisieren muß. Diese Idee, der Sinn also, kann aber nicht durch die Methoden der heutigen Wissenschaften gefunden werden – schon gar nicht durch eine psychologisch grundierte Soziologie. Eine materialistische Sozialwissenschaft rechnet nicht mit dem Geist, rechnet nicht mit einer lebendigen Idee, welche sich in Form der Gemeinschaften realisiert, und je tiefer diese Wissenschaft forscht, desto tiefer gerät sie in die menschlichen Triebe, Begierden und Instinkte und leitet aus diesen soziale Gesetze ab. Überspitzt formuliert fordert die psychologisch unterlegte Sozialwissenschaft das hemmungslose Ausleben der tierischen Natur und behauptet dann, daß doch im Grunde jeder sich selbst der Nächste sei, daß der Mensch opportunistisch und zu jeder Untat fähig sei. Würde sie die Idee des Menschen und Welt und damit auch den Sinn des sozialen Organismus erkennen, wie diese in der Anthroposophie dargelegt sind, so würde sie das Gegenteil vorfinden. Sie würde finden, daß jenes psychologische Dogma vom Ausleben der Triebe den Hauptgrund für die festzustellenden Defizite im Sozialen bewirkt. Durch ihren Materialismus hat die Wissenschaft, welche das Weltbild der Weltbevölkerung maßgeblich prägt, die natürliche Entwicklung des Menschen unterbrochen und in einen Abwärtstrend geführt. Das hat bewirkt, daß heute ein gewaltiger Überhang in den Menschen besteht an unerfüllter Sehnsucht nach seelisch-geistiger Entwicklung. Das materialistische Weltbild der Wissenschaft hat allen Sinn aus der Welt entfernt, hat einen Hunger, einen Durst nach Sinn entstehen lassen, der durch Diversität und Überangebot an digitalen Informationen kompensiert werden soll. Doch dieses Vorgehen korrumpiert nicht nur die Seele des sinnsuchenden Menschen, sondern auch jede Form des sozialen Organismus. Bildschirme zeigen keine Realität, sondern Imitate. Lautsprecher übermitteln keine Stimmen oder Klänge, sondern Imitate dieser. Das Echte fehlt jeweils. Ich kann auch per Funk nicht sozial werden, ich müßte schon den anderen Menschen wirklich gegenübertreten für eine vollgültige Begegnung. Wir schneiden das Erleben des Seelischen und Geistigen, das sich bei einer echten Begegnung überträgt, durch die Technik ab. Ich erlebe dabei sehr wohl meine Gedanken und Gefühle, wenn der andere spricht, aber nicht die seinigen. Wir reduzieren unsere Verbindung auf das rein Materielle. Übertragen auf den sozialen Organismus bedeutet dies, wir reduzieren ihn auf die Triebe, Begierden und Instinkte. Die Zukunft des Menschen liegt aber in der Realisierung geistiger Ideale, welche die Triebe und Begierden entschärfen und harmonisieren. Was in alter Zeit die Natur durch uns regelte, muß jetzt von uns bewußt erkannt und durchgeführt werden. Und gerade weil die Technik uns oberflächlich glauben macht, daß sich der soziale Austausch durch sie verstärkt hätte, erlebt der tiefergründig Schauende das Gegenteil. Die Menschen verlieren einander seelisch-geistig. Es besteht ein großer Unterschied zwischen einem Telefonat, bei dem ich letztlich nur meine aus den Worten meines Gesprächspartners generierten Gedanken und Gefühle erlebe, und einem leibhaftigen Treffen bei dem ich zusätzlich zu meinen auch noch seine Gedanken und Gefühle durch meine höheren Sinne erlebe. Das ergibt erst ein soziales Erleben. Und gerade der Organismus des Sozialen muß erlebt werden, um zu werden, was er sein soll. Man gehe nur in ein Kaufhaus oder einen Supermarkt und frage sich, ob das Gefühl der Gemeinsamkeit aufkommt.
Das alles will nicht sagen, daß man die Technik nicht nutzen sollte, aber man sollte versuchen, zu durchschauen, was wirklich vorliegt und das wird nur gelingen, wenn man die geistigen Forschungsresultate Rudolf Steiners berücksichtigt.