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Für Caro, die immer ein offenes Ohr für mich hat und so gern mit mir träumt.

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Teil 1

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Vorsicht ist angebracht

Seit kurzem sind die offenen Kanäle nahe der Camell Street weiträumig abgesperrt, da die Polizei durch starken Verwesungsgeruch auf die Zugänge in das Kanalisationssystem aufmerksam gemacht wurde. Ein Gewaltverbrechen konnte inzwischen ausgeschlossen werden, doch scheinen Tiere in dem Kanal vermehrt zu verenden. Funde sowie Sichtungen von verhaltensauffälligen Katzen und Hunden verhärten diesen Verdacht. Deswegen bittet die Polizei darum, Abstand zu dem abgesperrten Bereich und allen freilebenden Tieren zu halten, die in ihrem Aussehen oder Verhalten auffällig sind. Zudem wird geraten, die eigenen Haustiere nicht unbeaufsichtigt vor die Tür zu lassen, um eine mögliche Ansteckung zu vermeiden. Noch steht nicht fest, was das Verhalten und Verenden der Tiere verursacht, doch das Veterinäramt wird unverzüglich Auskunft geben, sobald die Sache aufgeklärt werden konnte.

Jonathan Beckett, Daily News

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Melody

Keuchend rannte ich um die nächste Ecke, rutschte bei meinem schnellen Tempo aus und schlitterte über den kahlen Beton, bis ich mein Gleichgewicht wiederfand und weiterhetzte. Falls ich fallen oder auch nur innehalten sollte, würde ich auf der Stelle sterben.

Ich traute mich nicht einen Blick zurückzuwerfen, aus Angst vor dem, was ich sehen könnte. Aber die hohen Schreie, die laut von den Wänden um mich herum widerhallten, verrieten mir bereits, dass die Wilden viel zu nah hinter mir waren. Trotzdem hielt ich die Augen starr auf den Gang vor mir gerichtet.

Die schmucklose Betonröhre, die so typisch für das Kanalsystem unter der Stadt war, zog sich in der absoluten Dunkelheit so endlos vor mir entlang, dass sich ihr Ende trotz meiner guten Sicht in der Ferne verlor. Aber das konnte eigentlich nicht sein, da sich die anderen doch direkt vor mir befinden mussten. Hatte ich sie etwa während der Jagd, die gerade auf uns gemacht wurde, verloren?

»Eden!«, schrie ich verzweifelt, wobei die nackten Füße der Wilden über den Boden hinter mir schabten. »Scott!«

Aber niemand antwortete mir.

Kaltes Entsetzen krallte sich in meinem Magen fest, als ich verstand, dass ich meine Begleiter tatsächlich verloren hatte. Und ohne sie würde ich niemals schnell genug einen Ausgang aus der Kanalisation finden, um der geifernden Masse hinter mir zu entkommen.

Tränen brannten mir in den Augen, aber ich würde nicht aufgeben! Ich legte alle Kraft in meine Schnelligkeit, erlangte ein Tempo, das ein Mensch nur mit einem Auto erreichen konnte, und setzte meine Aura frei, um zumindest einige meiner Verfolger von mir fernzuhalten.

Ich keuchte erleichtert auf, als sich der Gang vor mir teilte und sich mir dadurch endlich ein weiterer Weg auftat. Doch meine Erleichterung wich augenblicklich Entsetzen, denn eine einsame Gestalt trat aus einem der Tunnel hervor und sah mir siegessicher entgegen. Sie erinnerte beinahe an einen Menschen, doch ihre Haut war so bleich wie die eines Geistes: Rufus. Kein einziges Haar bedeckte seinen mageren Körper mit den viel zu langen Gliedmaßen. Als er meine Verzweiflung bemerkte, grinste er schief und zeigte mir dadurch seine spitzen Eckzähne.

»Ich habe dir gesagt, dass du mir nicht entkommen wirst, Melody«, rief er mir in dem Moment zu, als ich über eine Unebenheit stolperte. Ich strauchelte, fiel und ließ in einem letzten verzweifelten Versuch mich zu retten, all meine vampirische Kraft frei.

Doch sie reichte nicht.

Bereits im nächsten Moment griffen magere und doch kraftvolle Finger nach mir und zerrten mich mitten unter die Wilden, die gierig zischten. Ich schrie voller Verzweiflung und schlug wie wild um mich, aber meine Hände wurden gepackt und unbarmherzig zu Boden gedrückt.

»Mel, beruhige dich!«

Die bekannte Stimme ließ mich innehalten und die Augen aufschlagen. Der dunkle Tunnel war verschwunden und stattdessen sah ich in Edens dunkelbraune Augen, die mich besorgt musterten. Schwer atmend brauchte ich mehrere Sekunden, ehe ich verstand, dass ich nur geträumt hatte.

»Es ist alles gut«, versicherte mir Eden, der über mir hockte und meine Hände auf die Matratze unter uns drückte. »Du bist hier in Sicherheit.«

»Ja, ich weiß«, brachte ich noch hervor, bevor im nächsten Moment die Tür zu Edens Zimmer hier im obersten Stockwerk des westlichen Polizeireviers aufgestoßen wurde. Neben einer fauchenden Ivy, stürmten auch Scott und Rich herein – die beiden letzteren noch in ihrer Schlafkleidung. Aber als sie Eden sahen, wie er auf mir saß und mich quasi ans Bett pinnte, hielten sie überrascht inne.

»Also ehrlich«, beschwerte sich Rich und stützte die Hände in die schmale Hüfte. »Mir ist es ja egal, was ihr hier so treibt, aber wenn ihr dabei ungestört bleiben wollt, dürft ihr nicht so einen Lärm machen.«

»Was?«, brachte ich hervor und wurde auf der Stelle knallrot. »Was bitte läuft denn in deinem Kopf für ein Film ab? Da ist immerhin noch eine Decke zwischen uns!«

»Mel hatte einen Albtraum und hat wie wild um sich geschlagen«, erklärte Eden ruhig und stieg von mir herunter. »Ich musste sie irgendwie davon abhalten, das Fenster einzuschlagen.«

Mein Blick flackerte zur Seite. Tatsächlich lag ich nah an einem der zwei Fenster, die mir eine weite Aussicht über die tausenden Dächer des Westviertels boten, wenn sie nicht wie gerade mit schweren Vorhängen verdeckt waren. Dadurch, dass sich das Fensterbrett auf einer Höhe mit Edens Bett befand, hätte ich nur kurz zur Seite ausschlagen müssen, um es zu treffen. Und mit meiner übermenschlichen Kraft hätte ich es sofort zerstört.

»Hm«, brummte Scott. Der beeindruckende Mann mit dem dichten Vollbart verschränkte die Arme vor der breiten Brust, während Ivy auf die Matratze kletterte und sich an meine Seite lehnte, um mich weiter zu beruhigen. »Die Sache in den Kanälen steckt dir wohl noch schwer in den Knochen, hm?«

»Euch würde es doch ähnlich gehen, oder?«, fragte ich und dachte an die Falle, die uns Rufus in der letzten Nacht gestellt hatte.

Allein bei dem Gedanken daran, wie ich vor dieser durchsichtigen Mauer stand und keinen Ausweg wusste, erzitterte ich, bemühte mich aber Ivy anzulächeln, damit sie sich nicht sorgte. Doch es fiel mir schwer.

Das bemerkte auch die kleine, wie ein zehnjähriges Mädchen wirkende, Vampirin, denn ihr sonst so unsteter Blick aus den blassblauen Augen blieb ungewöhnlich lang auf mir ruhen.

»Da kannst du recht haben, aber leider können wir dir nicht dabei helfen, das Geschehene besser zu verarbeiten«, meinte Scott und verzog den Mund.

»Das müsst ihr auch nicht«, versicherte ich ihm und sah zu Eden auf, der nun im Schneidersitz neben mir saß. »Ihr tut schon genug für mich.«

Denn seit mich vor beinahe fünf Wochen ein Wilder in den Knöchel gebissen hatte, waren die Vampire des Westbezirkes für mich zu einem Teil meiner Familie geworden. Zu den Menschen gehörte ich nämlich nicht mehr.

»Schön, dass du das so siehst, Schäfchen«, meldete sich Rich zu Wort und strich sich das blonde Haar zurück. »Aber dann versuch deine inneren Konflikte etwas leiser zu verarbeiten. Ich mag es nicht sonderlich, mitten am Tag aufgeschreckt zu werden.«

»Aber wenn du schon einmal wach bist, können wir uns wenigstens an die Vorbereitungen für unser Treffen mit den anderen Vampiren setzen«, sagte Scott mit einer Spur Humor in der Stimme.

»Was?«, fragte Rich entsetzt. »Hast du mal auf die Uhr geschaut? Es ist gerade einmal vierzehn Uhr.«

»Eine gute Zeit, um an die Arbeit zu gehen, findest du nicht?« Amüsiert klopfte Scott ihm auf die Schulter, als Rich ein tiefes Seufzen ausstieß und den Raum verließ. Dann winkte der große Mann Ivy zu sich heran, die nur ungern den Platz an meiner Seite verließ, aber wie immer die Anweisung ihres Blutpartners befolgte und an ihm vorbei durch die Tür verschwand.

»Ihr beide steht am besten ebenfalls auf. Ich weiß, dass ihr müde seid, aber im Moment sollten wir die wenige Zeit, die wir haben, nutzen«, meinte Scott noch zu uns, ehe er Rich und Ivy aus dem Zimmer folgte und die Tür schloss.

»Tut mir leid, dass ich dich aufgeweckt habe«, sagte ich gefolgt von einem tiefen Seufzen und sah Eden entschuldigend an.

»Das muss es nicht, Mel. Du hast eben einiges zu verarbeiten«, erwiderte er und öffnete die Arme für wenige Zentimeter, was ich als Einladung aufnahm.

Ich schob die Decke beiseite und setzte mich direkt auf seine überkreuzten Beine. Dadurch konnte er mich gut umfassen und seinen Kopf an meine Brust lehnen. Ich genoss die Nähe zu dem meist verschlossenen und oftmals undurchschaubaren Vampir, und strich durch sein schwarzes Haar, wodurch meine innere Ruhe zurückkehrte.

»Hast du wirklich von den Kanälen geträumt?«, fragte mich Eden nach einer Minute.

»Ja«, gab ich widerwillig zu, denn mir fiel das überraschend schwer. Ich wollte nicht, dass mich das Erlebnis der letzten Nacht so schwer traf. Aber ich war dem Tod nur knapp entkommen.

»Es tut mir leid«, sagte Eden leise.

Sofort packte ich etwas mehr von seinem Haar und zog unsanft daran. Ich mochte es nicht, wenn er der alten Schuld verfiel, die das Erlebnis zwischen ihm und Rufus vor fünf Jahren ausgelöst hatte.

»Hatten wir das nicht schon besprochen? Dir muss nichts leidtun«, rügte ich ihn.

Als er zu mir aufsah, erkannte ich zu meiner Überraschung ein hauchfeines Lächeln auf seinen Lippen. »Ja, das weiß ich und werde mir daher keine Schuld daran geben. Aber es darf mir doch noch leidtun, wenn du Albträume hast, oder?«

Ich verzog den Mund. »Viel ist daran nicht auszusetzen.«

Eden zwinkerte mir zu, umfasste mich dann fester und legte mich zurück auf die Matratze.

»Möchtest du noch etwas schlafen?«, fragte er, als er mir folgte und sich neben mir abstützte.

»Scott hat doch gesagt, dass wir aufstehen sollen.«

»Aber er würde uns auch schlafen lassen, wenn wir seiner Aufforderung nicht nachkommen.«

Kurz dachte ich darüber nach, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich fühle mich eigentlich fit genug. Außerdem bin ich sehr neugierig, was wir noch über die Katze herausfinden, die wir in den Kanälen gefunden haben.«

Kurz glaubte ich in Edens dunklen Augen Resignation zu erkennen. Aber er konnte seine Gefühle so perfekt verbergen, dass ich mir nicht ganz sicher war.

»Dann lass uns aufstehen«, pflichtete er mir bei und richtete sich auf.

Mit einem Grinsen sah ich ihn an und rührte mich nicht. »Kann es sein, dass du gern weitergeschlafen und am Ende meine Müdigkeit als Grund vorgeschoben hättest?«

Eden verzog den Mund minimal, was mich nicht nur in meiner Annahme bestätigte, sondern auch zum Lachen brachte. »Du bist so ein Morgenmuffel!«

»Denk daran, dass du mich nicht gerade sanft geweckt hast. Ich habe also allen Grund, schlechte Laune zu haben«, erwiderte er ungerührt.

Auch wenn seine Worte einen gewissen Vorwurf enthielten, wusste ich, dass er mir das raue Wecken nicht übelnahm. Schnell rappelte ich mich auf die Knie hoch.

»Wenn du es mir heimzahlen willst, komm nur her«, forderte ich ihn heraus.

Als Reaktion bekam ich aber nur eine hochgezogene Augenbraue zu sehen. Das war eben typisch Eden.

»Komm schon«, sagte ich und federte immer wieder auf der Matratze auf und ab.

»Woher hast du nur diese Energie?«, fragte Eden mit einem Kopfschütteln, kniete sich dann aber tatsächlich auf das Bett. Doch statt mit mir zu rangeln, drängte er mich einfach zurück, bis ich umfiel. Voller Vorfreude wartete ich darauf, dass er mir folgte, um mich zu küssen. Doch stattdessen beugte er sich zu meinem Bauch hinunter, schob mein Shirt hoch und presste den Mund auf die bloße Haut. Als er mit Druck die Luft ausstieß, ertönte ein lautes Geräusch, das aber in meinem kreischenden Lachen unterging. Es kitzelte so sehr, dass ich glaubte, vor Lachen zu sterben.

»Eden!«, brachte ich hervor und drückte ihn verzweifelt zur Seite.

»Na?«, fragte er ungerührt, als er von mir abließ. »Hast du genug für einen Morgen?«

Ich wollte nur zu gern antworten, aber ich musste immer noch lachen und krümmte mich zur Seite. »Du bist so blöd«, brachte ich dann schließlich hervor.

Eden schnaubte belustigt, was seine Art des Lachens war, und gab mir einen Klaps auf den Po, ehe er sich erneut aufrichtete und das Zimmer verließ.

Ich blieb noch eine Weile liegen und genoss das Hochgefühl, das der junge Vampir in mir auslöste. Eden war so vollkommen anders als ich, aber er wusste verdammt gut mit mir umzugehen. Nie hätte ich erwartet, dass ich einmal so froh sein würde kein Mensch mehr zu sein. Aber erst nachdem ich meine Verwandlung akzeptiert hatte und nun langsam in meinem neuen Leben ankam, wurde mir bewusst, wie langweilig mein altes Leben doch gewesen war.

Ich dachte an meine neue Nachtsicht, die schnelle Wundheilung und meine enorme Stärke. Aber das Leben eines Vampirs brachte mir nicht nur Freuden. Ich hatte meinen Job verloren, meine Menschlichkeit und im Prinzip mein komplettes altes Leben. Bis auf meine beste Freundin Daisy wusste niemand von meiner Veränderung – nicht einmal meine Familie.

Und dann war da noch Rufus …

Ich verdrängte den Gedanken an den Anführer der wilden Vampire und dachte viel lieber wieder an Eden. An ihn und die Bindung zwischen uns. Denn ihm hatte ich es zu verdanken, dass ich nicht zu einer Wilden wurde und stattdessen immer mehr Zuneigung für den schwarzhaarigen, manchmal etwas kaputten Vampir empfinden konnte. Er war mein Blutgefährte und inzwischen gehörte ihm auch mein Herz.

Bei dem Gedanken an das, was wir erst vor ein paar Stunden miteinander geteilt hatten, zog ich sein Kissen heran und atmete tief Edens Geruch nach Wind und Nacht ein. Ja, daran erinnerte ich mich viel lieber als an dunkle, enge Kanäle.

Eden

Ich gab es wirklich nur ungern zu, aber Mel hatte recht. Ich war wirklich ein Morgenmuffel. Aufstehen gehörte zu den Dingen, die ich am liebsten abgeschafft hätte, wenn es möglich wäre, und so abrupt aus dem Schlaf gerissen zu werden, konnte mich den ganzen Tag verfolgen.

Deswegen ging ich wortlos durch den großen Raum, der eher an eine Loftwohnung als an die Etage eines Polizeireviers erinnerte und der mir und meiner Vampirfamilie als Lebensmittelpunkt diente. An der Wand, die dem Fahrstuhl gegenüberlag und gerade von einem gigantischen, lichtundurchlässigen Vorhang verhüllt wurde, blieb ich stehen und zögerte. Dahinter verbarg sich eine große Fensterfront, die einen weiten Blick über die Stadt ermöglichte.

Als ich den Stoff einen Zentimeter zur Seite schob, um einen Blick nach draußen zu erhaschen, traf mich jedoch ein Sonnenstrahl, weswegen ich sofort wieder losließ. Mit einem genervten Stöhnen rieb ich mir über den Arm, der allein bei dem geringen Kontakt mit dem Licht zu brennen begonnen hatte. Früher hatte ich Sonnenlicht sehr gemocht, jetzt steigerte es meine schlechte Laune nur noch mehr. Regen wäre mir um einiges lieber gewesen.

Ivy, die an dem großen Esstisch direkt vor dem Fenster saß, ließ ihren Blick für den Bruchteil einer Sekunde zu mir springen, ehe sie das Buch in ihren Händen vor das Gesicht hielt. Sie wollte meine Laune heute wohl nicht abbekommen.

»Wenn du ins Bad willst, solltest du dich beeilen. Rich besetzt es sonst wieder ewig«, teilte mir Scott mit, der nun angezogen aus einem der insgesamt acht Zimmer trat, die von unserem Wohnbereich abgingen.

Der große Mann mit dem beeindruckenden Äußeren, der uns nicht nur anführte, sondern auch den Frieden zwischen unseren Rudelmitgliedern bewahrte, kannte mich schon lang genug, um zu wissen, dass er mich mit keiner Silbe auf meine schlechte Laune ansprechen sollte. Oder auf mein simples Nicken, das ich von mir gab, bevor ich ins Bad ging und die Tür hinter mir verschloss.

Ich putzte mir die Zähne, saß dabei aber eigentlich mehrere Minuten nur auf dem Rand der Badewanne und döste vor mich hin. Als ich mich schließlich zum Duschen durchringen konnte, löste sich allmählich der feste Griff meiner morgendlichen Laune, sodass ich viel munterer aus dem Bad treten konnte. Inzwischen saß auch Rich am Esstisch, auf dem Scott allerlei Unterlagen ausgebreitet hatte, die wir für die zu bearbeitenden Fälle bei der Nachtpolizei benötigten. Ich reckte mich und erschauerte dann, weil ich nur Unterwäsche trug. Frische Kleidung zu holen, stand nun ganz oben auf meiner To-Do-Liste.

»Schau mal nach dem Schäfchen«, meinte Rich. »Sie ist immer noch nicht aufgetaucht.«

»Wird gemacht. Aber wo ist Scarlett?«

Rich warf mir einen Blick zu, der so deutlich die Frage beinhaltete, ob ich das ernst meinte, dass ich bloß den Kopf schüttelte und auf mein Zimmer zuging. Keiner von uns würde es wagen, Scarlett aufzuwecken, da ihre Rache jedem von uns den Tag verderben würde. Mel konnte froh sein, dass sie die kühle Frau nicht mit ihrem Schrei aufgeschreckt hatte. Die weißhaarige Vampirin war auch so schon schlecht auf sie zu sprechen.

Als ich mein Zimmer betrat, konnte ich nicht fassen, was ich sah.

Mel hatte sich wie eine Katze zusammengerollt, mein Kissen fest im Arm, und schlief tief und fest. Das kann doch nicht wahr sein, dachte ich und lehnte meine Stirn um Stärke bittend an den Türrahmen. So viel also zu dem Thema, dass sie sich fit fühlen würde.

Mit einem leisen Seufzen trat ich zu meinem Bett und hob das Shirt und die Jeans vom Boden auf, die ich vor dem Schlafengehen lieblos dort hingeworfen hatte. Eigentlich wollte ich direkt wieder hinausgehen, um Mel nicht zu wecken, aber ihr friedlicher Anblick ließ mich innehalten, um sie zu betrachten.

Obwohl ich es ihr übelnahm, dass sie weiterschlief, während ich längst aufgestanden war, kam ein zufriedenes Gefühl in mir auf. Seit ich Mel kennengelernt hatte, wuchs es beständig – besonders, wenn ich sie ansah. Also setzte ich mich auf den Rand des Bettes, beugte mich vor und küsste sie ganz sacht auf die Schläfe. Sie seufzte leise und vergrub das Gesicht zufrieden in meinem Kissen, als ich ihr auch noch durch das seidige, braune Haar strich. Etwas versöhnlicher stand ich auf und verließ das Zimmer.

»Was ist?«, fragte Rich, als ich ohne Mel zurückkam.

»Sie schläft«, antwortete ich wortkarg.

Schadenfroh lachte der blonde Mann auf. »Mit ihr hast du es wirklich nicht leicht.«

»Das sagt gerade der, der Scarlett als Blutpartnerin hat?«, fragte ich belustigt, ließ davon aber nichts in meiner Stimme niederschlagen.

Rich grinste breit und präsentierte mir dadurch seine beeindruckenden Eckzähne. »Punkt für dich, Eden. Kannst du mal nach der Katze schauen, während ich im Bad bin? Wenn wir Glück haben, ist sie während der letzten Stunden wieder normal geworden.«

»Das wird wohl eher nicht passiert sein«, erwiderte ich, zog mich aber schnell an und ging dann zu der großen freistehenden Couch, unter deren Tisch wir den stabilen Metallkäfig geschoben hatten, damit das wilde Tier darin nicht durch die ganze Wohnung polterte.

Schon als ich auf wenige Meter herankam, ertönte ein bedrohliches Knurren. Ivy, die mit ihrem Buch immer noch am Esstisch saß, hob den Kopf und knurrte ebenfalls leise. Dann kam sie zu mir und lehnte sich an mich, damit wir zusammen den Käfig betrachten konnten.

Erst letzte Nacht hatten wir herausgefunden, dass Rufus die von ihm gestohlenen Tiere auf eine sehr merkwürdige Art und Weise verändert hatte. Wir wussten nur nicht auf welche und hofften innig, dass er es nicht geschafft hatte, das Vampir-Gen auf sie zu übertragen.

»Was spürst du?«, fragte ich das kleine Mädchen an meiner Seite und legte ihr eine Hand auf das zerzauste Haar.

»Etwas sehr Merkwürdiges«, wisperte sie und krallte die Finger in mein Shirt.

»Fühlt es sich denn wie eine Vampiraura an?«

Ivy neigte den Kopf nachdenklich zur Seite, schüttelte dann aber zu meiner Erleichterung den Kopf. »Nein … Aber kann sie sich bei einem Tier überhaupt genauso anfühlen?«

»Das ist eine gute Frage, Ivy.«

»Sie hat Hunger.«

»Hm«, machte ich. »Das mag sein, aber ich wüsste nicht, was wir ihr geben könnten. Wir werden nichts von dem dahaben, was sie essen will, und ein lebendes Tier besorge ich ihr sicher nicht.«

»Vielleicht mag sie Joghurt?«, fragte Ivy mehr als unschuldig, aber ich durchschaute sie sofort.

»Das hast du jetzt nur gesagt, weil du selbst einen möchtest.«

»Darf ich?«, fragte sie hoffnungsvoll und sah aus ihren blassblauen Augen zu mir auf.

Ein Lächeln zupfte an meinen Lippen. »Aber nur einen.«

Freudig verließ Ivy meine Seite, um zur Küchenzeile zu gehen. Ich sah ihr mit einem Kopfschütteln nach, denn auch sie hatte sich verändert, seit Mel bei uns war. Ihre phänomenalen Fähigkeiten, Personen sowie deren Gemüts- und Gesundheitszustand zu erspüren, machten es ihr nicht leicht, sich für längere Zeit auf eine bestimmte Sache zu konzentrieren. Eher sprang ihr Blick beständig von einem Punkt zum nächsten und machte ihr ein normales Leben unmöglich.

Doch seit Mel sich kontinuierlich mit ihr beschäftigte, besserte sich Ivys sprunghaftes Wesen. Sie wirkte unbedarfter, beinahe fröhlich – eben mehr wie ein einfaches Mädchen, was mich sehr für sie freute. Vielleicht konnte sie irgendwann doch ganz normal leben, ohne ständig von ihren Fähigkeiten abgelenkt und dadurch zur Außenseiterin gemacht zu werden.

Als die Zombiekatze in dem Metallkäfig ein erneutes Knurren von sich gab, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf sie und näherte mich ihr vorsichtig. Sie konnte nicht aus ihrem Gefängnis heraus, sondern einzig durch eine kleine, viereckige Öffnung ihre Umgebung einsehen. Trotzdem traute ich Rufus zu sie auf eine Art verändert zu haben, die ich mir nicht einmal vorstellen konnte. Also war Vorsicht mehr als angebracht.

Ich ging vor dem Tisch in die Knie und blickte durch die Öffnung in den Käfig. Die kleine graue Katze hatte sich in die hinterste Ecke verkrochen und knurrte mich mit aufgestelltem Fell an. So verängstigt wie sie aussah, wirkte sie fast schon normal. Doch die kahlen Stellen und der stumpfe Schimmer ihres Fells ließen bereits vermuten, dass etwas nicht mit ihr stimmte. Und als sie die Lefzen weiter zurückzog, erkannte ich die unnatürlich langen Zähne.

»Was hat er nur mit dir gemacht?«, fragte ich mit bewusst ruhiger Stimme.

Als Antwort bekam ich ein wildes Fauchen, woraufhin das Tier vor zur Öffnung stürzte, um mit ausgefahrenen Krallen zu mir hinaus zu schlagen. Dabei gebärdete sie sich so wild, dass der Käfig umgefallen wäre, wenn wir ihn nicht unter dem niedrigen Tisch verkantet hätten.

Statt zurückzuzucken, schüttelte ich nur den Kopf und richtete mich auf. Auch wenn ich gern mehr über das Tier erfahren hätte, würden wir hier nichts erreichen können, da wir nicht die notwendigen Utensilien besaßen. In ein einfaches Labor konnten wir das Blut der Katze aber auch nicht bringen, da ja niemand von den Vampiren wissen durfte. Nur Adriano, der Anführer der Nachtpolizei-Vampire aus dem Mittelbezirk, besaß die nötige Ausrüstung. Doch zu ihm konnten wir erst, wenn die Sonne untergegangen war.

Also ließ ich die Katze zurück und ging zu Ivy an den Tisch, die, ihren Joghurt löffelnd, durch das Buch blätterte. Sie las nicht wirklich, denn dazu reichte ihre Konzentrationsfähigkeit nicht aus. Aber sie mochte die Ordnung der Buchstaben und ihre Beständigkeit. Sie hatte mir einmal erzählt, dass sie ihr Inneres beruhigen würden.

Das Vampirmädchen war wirklich außergewöhnlich und ich mochte sie gerade deswegen umso mehr.

Mit einem sanften Lächeln im Gesicht strich ich ihr durch das Haar, als ich mich auf den Stuhl neben ihr setzte. Ivy sah nicht zu mir auf, sondern lehnte sich nur an meine Seite und blätterte weiter durch das Buch. Ich ließ sie in Ruhe machen und griff nach einigen der Unterlagen, um sie durchzusehen.

Selbst wenn unsere vorrangige Aufgabe darin bestand, Rufus' Plan zu ergründen, durften wir unsere übrigen Fälle nicht vernachlässigen. Also nahm ich mir eine der Vermisstenanzeigen vor und überarbeitete sie soweit, dass wir in der kommenden Nacht nur noch den Indizien nachgehen mussten. Danach zog ich mir die nächste heran, um die Zeit zu überbrücken, bis die anderen auftauchten.

Nach einer halben Stunde gesellte sich Rich zu mir und Ivy und auch Scott tauchte wieder auf, der den gestrigen Vorfall mit Dread Higgs, dem Chef unseres Reviers, besprochen hatte.

»Und?«, fragte Rich, ohne von den Unterlagen vor sich aufzusehen.

»Higgs ist einverstanden, dass sich alle fünf Reviere im Fall Rufus zusammentun. Wir sollen diese Tiersache so schnell wie möglich lösen und die anderen Fälle notfalls liegen lassen.«

»Oh, da scheint aber jemand sehr beeindruckt von deinen Erzählungen gewesen zu sein. Will er sich nicht selbst das liebliche Tier ansehen?«, fragte Rich mit einem schiefen Grinsen.

Als ob die Katze ihn verstanden hätte, fauchte sie auf und brachte den Eisenkäfig zum Erzittern. Ivy rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum, nur Scott beachtete sie nicht.

»Doch, er wollte sie durchaus sehen, aber mir schien es zu gefährlich zu sein. Ich will das Biest lieber nicht in die Nähe eines Menschen bringen. Ich habe auch mit Adriano und Kardia gesprochen. Sie sind schon sehr auf das Tier gespannt.«

»Wann willst du aufbrechen?«, fragte ich.

»Sobald die Sonne untergegangen ist. Also in etwa drei Stunden.«

Er wollte noch etwas sagen, aber die Tür zu meinem Zimmer öffnete sich leise und unterbrach ihn damit. Als ich aufblickte, hob ich eine Augenbraue. Mel trat schlurfend heraus und sah dabei mehr als zerzaust aus. Ihr Haar stand wirr in alle Richtungen ab und auf ihren bloßen Armen konnte ich die Abdrücke von Decke und Kissen erkennen. Mit einem angestrengten Geräusch lehnte sie sich an den Türrahmen und schloss die vom Schlaf gerötete Augen.

»Schäfchen, wer hat dich denn überfahren?«, fragte Rich schadenfroh.

»Ich weiß es nicht, aber sollte ich ihn erwischen, gibt es Tote«, murmelte sie, ehe sie sich von ihrem Anker löste und zu uns kam.

»Vielleicht hätte ich dich doch nicht mehr schlafen lassen sollen«, überlegte ich, während sie den Stuhl neben mir zurecht schob und sich darauf sinken ließ. Schnell legte ich meine Handfläche auf den Tisch, ehe auch schon Mels Stirn ungebremst darauf knallte, weil sie sich nach vorn hatte fallen lassen. Sie hätte den Schmerz wahrscheinlich einfach hingenommen, aber ich wollte nicht, dass sie sich nur aus ihrer schlechten Laune heraus wehtat. Das würde ihr und ihrem Gemütszustand nur noch mehr schaden. Ich wusste das aus Erfahrung.

»Ich fühle mich wie gerädert«, nuschelte sie in meine Hand.

Umsichtig drückte ich ihren Kopf wieder hoch, wodurch sie sich aufsetzen musste. »Was hältst du davon, wenn du ins Bad gehst und ich dir in der Zwischenzeit einen Kaffee mache?«

Sofort leuchteten ihre zartgrünen Augen voller Freude auf. »O ja! Das wäre jetzt genau das Richtige.«

»Dir ist schon bewusst, dass Koffein bei uns nicht wirkt?«, fragte Rich mit einem fiesen Grinsen.

Mel schlug sich schnell die Hände auf die Ohren. »Sowas will ich nicht hören! Hast du schon mal was vom Placebo-Effekt gehört? Mach mir das nicht kaputt.«

Rich lachte gemein. Er liebte es einfach zu sehr, Mel zu ärgern.

Da vibrierte es plötzlich irgendwo auf dem Tisch und Mel begann, schnell durch die Unterlagen zu wühlen. Doch es war Scott, der das Handy unter einer Akte hervorzog und es ihr reichte. Sie nahm es entgegen und erstarrte, als sie den Namen des Anrufers las.

Es war ihr jüngerer Bruder Taylor.

Mel

Mehrere Sekunden starrte ich auf das kleine Gerät zwischen meinen Fingern, weil ich nicht wusste, ob ich rangehen oder meinen Bruder wegdrücken sollte – so, wie ich es bereits seit mehreren Wochen tat. Denn weder Taylor, noch meine Eltern wussten bisher, dass ich inzwischen zu den Vampiren gehörte und ich war mir nicht sicher, ob sie diese Tatsache akzeptieren konnten. Mein Daumen schwebte bereits über dem Symbol zum Auflegen, als Eden mich am Arm berührte.

»Geh ran, Mel«, sagte er ernst. »Er macht sich Sorgen um dich.«

»Ich weiß«, erwiderte ich und seufzte.

»Du kannst nicht ewig davonlaufen«, pflichtete Rich Eden bei und blätterte - scheinbar desinteressiert an meinem Dilemma durch seinen Bericht.

Nach einer weiteren Sekunde des Zögerns gab ich dem fordernden Vibrieren nach und ging ran. Mein Herz pochte heftig und ich kniff die Augen fest zusammen, weil ich das aberwitzige Gefühl hatte, dadurch alles besser überstehen zu können. Ich liebte meinen jüngeren Bruder und glaubte eigentlich nicht, dass er mich von sich weisen würde, aber er war auch meine Verbindung zu unseren Eltern, denen er sicherlich von meiner Veränderung erzählen würde. Und denen traute ich durchaus zu mich wegen meiner Unmenschlichkeit zu verstoßen.

»Hey, Tay«, presste ich hervor.

Statt einer Erwiderung erhielt ich ein solch erleichtertes Seufzen, dass sich sofort mein schlechtes Gewissen meldete. »Gott sei Dank.«

Nur sehr leise drang Taylors Stimme an mein Ohr und mir kamen bei all der Sorge, die diese wenigen Worte ausdrückten, augenblicklich die Tränen.

Taylor war zwei Jahre jünger als ich und seit er zur Welt gekommen war, hatten wir eine besondere Verbindung zueinander, die selbst Geschwister nur selten miteinander teilten. Aber das entstand wohl automatisch, wenn man Eltern hatte, die sich nicht viel um die eigenen Kinder scherten. Egal, wie schlimm die Welt zu uns gewesen war, wir konnten aufeinander bauen. Dass ich ihn nun so lang im Ungewissen gelassen hatte, tat mir so leid, dass ich nach Edens Hand greifen musste. Beruhigend drückte er meine Finger und gab mir dadurch die Kraft weiterzusprechen. Doch Taylor kam mir zuvor.

»Weißt du eigentlich, dass ich in jedem Krankenhaus der Stadt nach dir gefragt habe und kurz davor war, die Polizei zu verständigen?«

Ich verzog das Gesicht. »Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Aber wieso hast du es dann nicht gemacht?«

»Weil ich glücklicherweise Daisy erreicht habe, die mir sagte, dass du noch lebst. Sie wollte mir aber nicht erklären, was los ist und meinte nur, dass du dich schon melden würdest, wenn du soweit bist. Was bitte ist bei dir passiert?« Inzwischen klang er nicht mehr erleichtert, sondern wütend.

»Ziemlich viel. Hör zu, Tay, es tut mir wirklich leid, aber ich musste mit all dem erstmal selbst klarkommen und habe mich einfach nicht getraut mich bei dir zu melden.«

»Dich nicht getraut?«, schrie Taylor nun voller Zorn und so laut, dass ich das Handy von meinem empfindlichen Ohr weghalten musste.

Scott tat freundlicherweise so, als ob er nichts mitbekommen würde, aber Rich stützte gespannt das Kinn in eine Hand und sah aus, als ob er sich gleich Popcorn machen würde, um das Kinofeeling noch zu steigern.

»Was auf der Welt kann bitte so schlimm sein, dass du erst Mut sammeln musst, um es mir zu erzählen? Ich dachte, wir hätten keine Geheimnisse voreinander«, rief Taylor aufgebracht.

Die Wut war ein Ausdruck seiner Sorge um mich, aber gerade dieses Wissen machte die Worte umso schmerzhafter. Ich ließ ihn noch eine weitere Minute schimpfen und sah währenddessen zu Eden, der still neben mir saß und ganz leicht mit dem Daumen über meine Hand strich. Er vermittelte mir damit Ruhe, genauso wie es die Wärme tat, die von seinen Fingern ausging. Er gab mir die Stärke, das Handy wieder zu heben und Taylor zu unterbrechen.

»Taylor«, sagte ich gefasst.

Sofort verstummte mein Bruder.

Ich wusste, dass er sich umso mehr beruhigte, je stärker ich mich gab. Auch wenn er nur zwei Jahre jünger und inzwischen über zwanzig war, so war ich noch immer diejenige, die ihm Halt in der Welt gab. Er sah mich als Ruhepol, die ältere Schwester, die immer wusste, was zu tun war und immer die Nerven behielt. Für mich, die so voller Energie und Emotionen steckte, war es nie leicht gewesen, diesem Bild gerecht zu werden, aber für Taylor gab ich mir alle Mühe.

»Ich habe es nicht vor dir geheim gehalten, sondern es dir einfach noch nicht erzählt. Es hat mich einfach zu sehr umgeworfen.«

Taylor schwieg mehrere Sekunden, ehe er tief durchatmete. »Was ist passiert?«

»Das will ich dir nicht am Telefon erzählen.«

»Gut, dann komme ich bei dir vorbei. In einer Stunde habe ich Feierabend.«

»Das wird nicht gehen. Ich habe heute einen wichtigen Geschäftstermin. Ich weiß nicht, wie lang er geht und werde daher wahrscheinlich keine Zeit mehr für dich finden.«

»Ist das dein Ernst, Mel?«, fragte Taylor schon wieder aufgebracht. »Was ist bitte wichtiger als die Familie? Fängst du jetzt etwa schon an, wie Mum und Dad zu werden?«

»Taylor!«, sagte ich so streng, dass nicht nur Rich und Eden eine Augenbraue hoben, sondern auch Ivy den Kopf einzog. Sogar die wilde Katze fauchte. Versöhnlicher sprach ich weiter. »Werde bitte nicht unfair.«

»Entschuldige«, erwiderte Taylor nun zerknirscht. »Ich wollte dich nicht verletzen … Wie sieht es denn morgen aus?«

»Ja, da nehme ich mir gern Zeit für dich. Passt dir achtzehn Uhr?«

»Natürlich.«

Wir schwiegen eine Sekunde und ich schloss die Augen, um die anderen für einen Moment ausblenden zu können. »Es tut mir wirklich leid, Tay. Ich wollte dir keine Sorgen bereiten.«

»Ich weiß, Schwesterherz, mach dir keine Gedanken. Ich freue mich dich morgen wiederzusehen.«

Ein Lächeln zupfte an meinen Lippen. »Ich mich auch. Bis dann.«

Ich legte auf und stieß schwer die Luft aus.

»Das lief doch gut«, meinte Rich und kippelte mit seinem Stuhl vor und zurück. »Wieso hast du dich denn bisher so geziert mit ihm zu sprechen?«

»Noch weiß er ja auch nicht, dass ich ein Vampir bin«, erwiderte ich und drehte mein Handy zwischen den Händen, ehe ich es auf die Tischplatte legte und aufstand. »Ich gehe lieber ins Bad, bevor …«

Ich wurde unterbrochen, als Scarlett ihre Zimmertür öffnete und heraustrat. Die weißhaarige Frau mit dem wilden Wesen warf mir einen vernichtenden Blick zu, als sie ohne eine Begrüßung an uns vorbei in Richtung Bad ging und darin verschwand.

»Bevor was, Schäfchen?«, schnaubte Rich amüsiert. »Scarlett aufsteht? Das kam wohl ein paar Sekunden zu spät.«

Mit einem Stöhnen ließ ich mich zurück auf meinen Stuhl fallen. »Und das alles kurz nach dem Aufstehen. Heute ist ein furchtbarer Tag.«

Frustriert verschränkte ich meine Arme auf dem Tisch und legte den Kopf hinein, um die Welt auszusperren. Zu meinem Glück lenkte Scott Rich mit einer Frage zu den Fallakten ab, weil er sicher wieder eine blöde Bemerkung losgelassen hätte. Stattdessen beugte sich Eden zu mir.

»Ich denke, dass der Tag durchaus sein Gutes hat. Du hast dich eben gut geschlagen und wirst morgen etwas erledigen, was dich schon seit Wochen belastet. Zudem lernst du nachher die anderen Vampire kennen. Das wolltest du doch so gern.«

»Ja«, sagte ich in einem unzufriedenen Ton, weil ich eigentlich nicht wollte, dass mich Eden aufmunterte.

Er beugte sich tiefer zu mir und nun spürte ich seine Lippen an meinem Ohr. »Nach unserer Schicht kannst du ja direkt zu deiner Wohnung gehen und dort schlafen, um fit für dein Gespräch zu sein. Und ich begleite dich gern.«

Den eigentlichen Sinn seines Angebots unterstrich er, indem er mir sacht mit den Fingerspritzen über den Rücken strich, was wiederum einen warmen Schauer bei mir auslöste.

Mein freudiges Wesen schlug sich ungewollt durch und mit einem Lächeln sah ich auf. »Du weißt ganz genau, wie du mich aus der Reserve locken kannst, oder?«

Edens Lippen zuckten verdächtig, doch er ließ sich nicht zu einem richtigen Lächeln verleiten. Stattdessen zwinkerte er mir zu, bevor er aufstand, um mir meinen Kaffee zu machen. Erleichtert atmete ich durch. Eden hatte recht. Nun, da ich endlich mit Taylor gesprochen hatte, ging es mir besser. Selbst wenn er noch nichts von meiner Veränderung wusste.

Vignette

2

Mel

»Wow«, brachte ich hervor, als ich neben Eden an das Gebäude herantrat, in dem sich das Polizeirevier des Mittelbezirks befand. »Ich finde ja unser Revier schon sehr beeindruckend, aber damit hätte ich nicht gerechnet.«

»Du bist hier eben im Bonzenviertel«, meinte Rich herablassend und stellte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf meine andere Seite, um dann ebenfalls hinauf zu sehen.

Ich verstand, was er meinte, denn hier im Zentrum der Stadt schraubten sich die neusten Hochhäuser in den Nachthimmel und berührten beinahe den Himmel mit ihren Spitzen. Vor uns erhob sich eines der beeindruckendsten Glasgebäude, das ich je gesehen hatte. Mit erhabenen Buchstaben über dem Eingang wurde uns mitgeteilt, dass wir das Hauptrevier der Polizei vor uns hatten und ich fragte mich unwillkürlich, wie es die Vampire um Adriano bei all dem Glas schafften, tagsüber die Sonne auszublenden.

»Vielleicht hätte ich doch lieber hier anfangen sollen«, meinte ich scherzhaft, worauf ich nicht nur ein Lachen von Scott erhielt, sondern auch ein angewidertes Schnauben von Scarlett.

»Glaub mir, hier möchtest du nicht arbeiten müssen«, meinte Eden und ließ seine Missbilligung nur geringfügig in seiner Stimme niederschlagen.

»Wieso?«, fragte ich und sah meinen Freund und Blutgefährten neugierig an. Der Wind, der an diesem Abend stark durch die Straßen pfiff, verfing sich in seinem Haar und zerzauste es, was Eden einen verwegenen Ausdruck verlieh. Mit seinen behandschuhten Fingern strich er sich die schwarzen Strähnen wieder glatt. In diesem Moment hätte ich mich am liebsten in seinem Anblick verloren, aber seine Worte rüttelten mich auf.

»Die Atmosphäre dort wäre nichts für dich.«

»Was meinst du damit?«

»Du bist zu dumm, um den Sinn hinter ihren Machenschaften zu verstehen«, warf Scarlett kalt ein.

»Ich bin nicht dumm«, fauchte ich sie an, weil mir ihre ständigen Seitenhiebe an die Substanz gingen. Die weißhaarige Frau sah herablassend zu mir und lächelte, als ob sie mich nur aus der Haut fahren sehen wollte.

»Nein, das bist du wirklich nicht«, sagte Scott und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. »Aber du bist zu ehrlich, Mel. Du würdest die Intrigen, die Adriano so gern spinnt, nicht erkennen. Das tun die Wenigsten. Außerdem ist sein Team … anstrengend.«

Rich lachte in seiner typischen gemeinen Art. »Wie nett du das umschreibst.«

Irritiert blickte ich die beiden Männer an. Ich hatte sie bisher nie so über andere Vampire sprechen hören. Fragend wandte ich mich wieder an Eden. »Worauf genau muss ich mich gleich einstellen?«

Ganz leise seufzte Eden, was mir deutlich seinen Unmut zeigte. »Sie reden von Karis und Toja. Die beiden tragen hinter ihrem Lächeln oftmals ein zweites Gesicht. Außerdem machen sie nie etwas aus irgendeiner Laune heraus, sondern immer aus einem bestimmten Grund. Dennoch sind sie sehr nett, aber auch manipulativ. Sei einfach vorsichtig bei den beiden.«

»Okay, und wie erkenne ich sie?«

»Oh, lass dich überraschen, Schäfchen«, fiel Rich Eden ins Wort. »Du wirst die beiden sofort erkennen.«

»Sie kommen«, wisperte Ivy, die sich an Scott lehnte und in ihrem schwarzen Mantel ein wenig verkleidet wirkte. Uns anderen sah man hingegen anhand der Kleidungsstücke an, dass wir zu einer Polizeieinheit gehörten, weswegen die Menschen, die zuhauf um die frühe Abendstunde unterwegs waren, automatisch einen Bogen um uns machten. Diesen respektvollen Abstand war ich bisher nicht gewohnt, er bestärkte mich aber in dem Gefühl, zu etwas sehr Wichtigem zu gehören. Aber durch die zahlreichen Leute war mir nicht aufgefallen, dass sich Personen auf uns zu bewegten, die ebenfalls schwarze Mäntel der Nachtpolizei trugen. Nun hob Scott eine Hand, um eine zarte Frau zu begrüßen, die mit Freude im Gesicht zu uns trat.

»Hallo, Scott«, rief sie mit einer zarten Mädchenstimme, die perfekt zu ihrer kleinen Gestalt, dem blonden Haar und dem Schlafzimmerblick passte. Sie sah viel zu lieb und sanft für eine Polizistin aus. Und ihre Erscheinung brachte Scarlett dazu, den Mund voller Ekel zu verziehen. Aha, ihre Abneigung bezog sich also nicht nur auf mich.

Da stolperte die zarte Frau plötzlich und gab ein überraschtes Geräusch von sich, ehe sie auch schon stürzte. Sie wäre wohl hart gefallen, wenn eine Vampirin aus ihrem Rudel sie nicht aufgefangen hätte.

Rich lachte voll Schadenfreude. »Schusselig wie eh und je, hm?«

Fasziniert betrachtete ich die beiden, die sich zusammen mit sechs weiteren Frauen um uns herum verteilten.

Mir lagen unendlich viele Fragen auf der Zunge und Eden schien das zu spüren, denn er beugte sich zu mir, um mir leise ins Ohr zu flüstern. »Das ist Irina mit ihrer Vampirtruppe. Sie achten auf den Ostbezirk der Stadt und haben daher die gehobeneren Viertel unter ihren Fittichen. Bei ihnen wirst du niemals einen Mann finden, denn Irina duldet keinen in ihrem Team.«

»Wieso nicht?«, fragte ich leise dazwischen.

Eden hob leicht die Schultern. »Ich weiß es nicht, aber es ist wohl ihre Eigenart, die mit steigendem Alter immer ausgeprägter wird. Rich nennt sie und ihre Truppe gern unsere Nymphen.«

Der Name brachte mich fast zum Lachen, denn ich verstand sofort, worauf er basierte. Die acht Frauen waren allesamt von ausgesuchter Schönheit, zart und jung. Keine von ihnen sah älter als zwanzig aus, was hieß, dass keine von ihnen älter als zweihundert Jahre alt sein konnte.

Irina hatte ihren Beinahesturz schon wieder vergessen und kniete sich nun vor den Käfig, der neben Scott auf dem Pflaster stand. »Ist das die ominöse Katze?«

»Ja, aber sei lieber vorsichtig. Sie ist sehr aggressiv«, brummte Scott.

Wie um seine Worte zu unterstreichen, fauchte das Tier und schlug im nächsten Moment mit der Pfote durch die schmale Öffnung. Irina quiekte überrascht und zog ihre Hand mit einem Ruck zurück. Nur ihre schnellen Reflexe bewahrten sie vor den scharfen Krallen.

»Was für ein wildes Vieh«, murrte die zarte Frau und ging auf Distanz.

»Was hast du erwartet, Irina? Es wird dir wohl kaum die Finger ablecken«, bemerkte nun eine neue Stimme und eine Gruppe von sechs weiteren Vampiren verteilte sich um uns herum. Zu ihnen gehörten zwei Frauen und vier Männer, von denen einer neben die kleine Frau trat und auf den metallenen Kasten sah. Er wirkte im Gegensatz zu Scott eher schmächtig und nicht sonderlich stark. Aber ich wusste, dass dieser Eindruck täuschte. Durch seinen offenen und neugierigen Blick kam er mir sehr nett vor, doch ein Zug um seinen Mund ließ mich die Stirn runzeln.

»Du hast es schon gemerkt?«, fragte Eden so leise, dass sogar ich ihn kaum verstehen konnte, und zog mich an den Rand der Ansammlung, die wir inzwischen bildeten.

»Wer ist er?«, fragte ich ebenso leise.

»Marlo, der Anführer des Nordbezirks. Halte zu ihm bitte ein wenig Abstand.«

»Wieso?«

»Er sieht zwar nicht so aus, aber er ist ein skrupelloser Mann, der sich selten unter Kontrolle hat. Man muss erst lernen mit ihm umzugehen.«

»Sie sind alle so unterschiedlich«, murmelte ich, während ich meinen Blick über jeden einzelnen der inzwischen achtzehn Vampire gleiten ließ. Und dabei fehlten noch zwei Gruppen.

»Verstehst du nun, warum ich mir nicht sicher war, ob du unter ihnen nicht jemanden interessanteren als mich finden würdest?«

Ich sah zu Eden auf und betrachtete meinen manchmal so unsicheren Blutgefährten, der die Lippen nur minimal zusammenkniff, während er die Befürchtung, die er gerade ausgesprochen hatte, in Gedanken weiter verfolgte. Ich liebte es, wie sein schwarzes Haar im Licht der Straßenlaternen schimmerte, genauso wie ich seine Verschlossenheit und das ruhige Wesen mochte. Je länger ich ihn betrachtete, desto mehr Dinge fielen mir auf, die Eden einzigartig und für mich unwiderstehlich machten, sodass mein Herz vor Freude sang.

»Nein«, sagte ich deswegen mit tief empfundener Ehrlichkeit. »Das verstehe ich immer noch nicht.«

Eden löste seinen Blick von den anderen und betrachtete mich mit milder Überraschung, ehe er für den Bruchteil einer Sekunde lächelte und dann seine Gefühle wieder hinter seiner neutralen Miene verschloss. »Du bist glatt die Merkwürdigste von uns, wenn du solche Sachen sagst. Das ist dir bewusst?«

Ich streckte ihm die Zunge heraus, was Eden zu einem amüsierten Schnauben veranlasste.

»Na, ihr beiden Turteltauben«, sagte eine sinnliche Frauenstimme hinter uns und im nächsten Moment legten sich zwei Arme um uns. Ich sah auf und erkannte Kardia, die mich anlächelte, während sie den Kopf an Edens lehnte.

Noch immer gefiel mir die innige Freundschaft zwischen der schönen Engländerin und Eden nicht, aber ich akzeptierte sie und konnte Kardia immer besser leiden. Heute trug die Anführerin des Südbezirkes ihr langes schwarzes Haar in einer aufwendigen Hochsteckfrisur, die gewollt so wirkte, als ob sie nur nachlässig hochgebunden worden war, aber Kardias aristokratisches Gesicht mit den sinnlichen Lippen besonders betonte. Neben ihr fühlte ich mich immer wie ein Trampel. Wie ein stummer Schatten stand ihr Blutgefährte Arthos hinter ihr.

»Hallo, Kardia«, begrüßte Eden seine Freundin, während sich ihre sechs anderen Vampire unter die Gruppe mischten. »Kommst du ungewollt später oder hattest du noch etwas zu erledigen?«

Zu meiner Verwunderung verzog die ältere Frau den Mund und nahm die Arme von uns. »Um ehrlich zu sein, habe ich den Moment unserer Ankunft etwas in die Länge gezogen.«

Bevor sie weitersprechen konnte, ertönte ein höhnisches Lachen. »Kardia, es ist ja so wundervoll, dich zu sehen«, flötete Irina und klang dabei, als würde sie eine Pfütze voll Schlamm ansprechen.

»Hallo, Irina«, erwiderte Kardia in dem gleichen höflichen Tonfall, jedoch mit einer zusätzlichen Spur Verachtung. »Wie kommt es, dass du hier bist? Mich hätte es nicht gewundert, wenn du aus Angst vor dem Schmutz der Straße Zuhause geblieben wärst.«

»Nicht jeder kann sich im Dreck so wohlfühlen wie du, meine Liebe«, erwiderte Irina. Deutlich spannte sich die Atmosphäre an und Arthos gab sogar ein leises Knurren von sich.

»Und das ist der Grund, warum wir uns nicht so häufig treffen«, murmelte mir Rich zu, der die offensichtlich verunsicherte Ivy zu uns schob. All die Sätze, die das eine ausdrückten und etwas ganz gegensätzliches meinten, mussten das kleine Mädchen beinahe um den Verstand bringen.

»Lasst uns vorgehen und die anderen ihren Streit unter sich ausfechten«, seufzte Eden und gab Scott ein Zeichen, ehe er nach meiner Hand griff und mich Richtung Revier zog.

»Ich hätte nicht gedacht, dass euer Verhältnis untereinander so angespannt ist«, gab ich zu und warf noch einen Blick zurück zu Irina, die Kardia noch immer angiftete.

»Es liegt an dem Leben als Vampir«, erklärte mir Scott mit seiner brummenden Stimme, als er uns mit dem Käfig in der Hand folgte. »Das lange Leben und die Auswirkungen des Vampir-Gens fördern nicht nur unsere exzentrischen Eigenheiten, sondern auch die wilde Seite in uns hat durchaus seinen Einfluss. Wir sind Rudel, die sich gegenseitig dominieren wollen, sobald wir aufeinandertreffen.«

Kurz dachte ich an den Berserker, wie meine Freunde den Ausbruch unserer wilden Seite nannten, dann musste ich lachen. »Wenn ich die anderen so betrachte, habe ich wirklich die beste Gruppe erwischt. Ihr versucht nicht eure Stärke zu demonstrieren.«

»Warum wohl, Schäfchen?«, meinte Rich und zeigte mir bei seinem Grinsen die eindrucksvollen Reißzähne. »Weil wir wissen, dass wir die Besseren sind.«

Zuerst wollte ich über seinen Scherz lachen, aber selbst Scott blieb ernst, was mir sagte, dass er Rich durchaus recht gab. Eden neigte bestätigend den Kopf, als ich mit einem Blick zu ihm sah, der eindeutig fragte, ob das ernst gemeint war. Für eine Sekunde blitzten auch seine kraftvollen Eckzähne auf, als er vor Stolz lächelte. Zwar wusste ich nicht, worin die Vampire die Stärke ihrer Gruppen maßen, aber das Wissen, dass meine Gruppe wohl eine der besten war, schmeichelte mir ebenfalls.

»Ich mag mein Rudel«, erklärte ich und ignorierte einfach Scarletts herablassendes Schnauben.

Eden

Als wir das riesige Foyer des Hauptreviers betraten, zog ich unwillkürlich die Schultern um wenige Millimeter an. Ich wusste nicht, wieso, aber ich mochte die Atmosphäre in diesem neuen Gebäude nicht. Dabei sah alles durch die hellen Fliesen, die gut sieben Meter hohe Decke und die Glasfront des Eingangs einladend und freundlich aus. Doch die kühle, klare Struktur gefiel mir nicht. Das Gebäude war zweckmäßig eingerichtet und sah so steril aus, dass ich mich niemals in dieser Umgebung wohlfühlen könnte. Ich mochte den alten Charme unseres Reviers lieber.

»Wow«, sagte Mel schon wieder. »Wie nobel. Wo lebten die Vampire um Adriano denn vorher? Das Gebäude kann schließlich noch nicht sehr alt sein.«

»Es wurde tatsächlich erst vor sieben Jahren fertiggestellt, aber Adrianos Rudel hatte ihr Revier damals bereits in einem der anderen Hochhäuser des Mittelbezirks. Adriano mag es gern etwas … exklusiver«, erklärte ich.

»Hah! Mal wieder schön umschrieben«, bemerkte Rich und strebte an den Informationsschaltern vorbei zu den Fahrstühlen auf der linken Seite der Halle. Ich nutzte das und hielt Mel an der Hand zurück, damit wir ein wenig zurückfielen.

»Was ist?«, fragte sie beinahe alarmiert.

»Wenn wir Adriano und seine Truppe treffen, würde ich gern unsere Beziehung vor ihnen geheim halten«, eröffnete ich ihr.