Härter, schärfer und gefährlicher als Buffy, die Vampirjägerin – Lesen auf eigene Gefahr!
Vampire, Werwölfe und andere Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten leben als anerkannte, legale Bürger in den USA und haben die gleichen Rechte wie Menschen. In dieser Parallelwelt arbeitet die junge Anita Blake als Animator, Totenbeschwörerin, in St. Louis: Sie erweckt Tote zum Leben, sei es für Gerichtsbefragungen oder trauernde Angehörige. Nebenbei ist sie lizensierte Vampirhenkerin und Beraterin der Polizei in übernatürlichen Kriminalfällen. Die knallharte Arbeit, ihr Sarkasmus und ihre Kaltschnäuzigkeit haben ihr den Spitznamen »Scharfrichterin« eingebracht. Auf der Jagd nach Kriminellen lernt die toughe Anita nicht nur, ihre paranormalen Fähigkeiten auszubauen – durch ihre Arbeit kommt sie den Untoten auch oftmals näher als geplant. Viel näher. Hautnah …
Bei der »Anita Blake«-Reihe handelt es sich um einen gekonnten Mix aus Krimi mit heißer Shapeshifter-Romance, gepaart mit übernatürlichen, mythologischen Elementen sowie Horror und Mystery. Eine einzigartige Mischung in einer alternativen Welt, ähnlich den USA der Gegenwart – dem »Anitaverse«.
Paranormale Wesen in dieser Reihe sind u.a. Vampire, Zombies, Geister und diverse Gestaltwandler (Werwölfe, Werleoparden, Werlöwen, Wertiger, …).
Die Serie besteht aus folgenden Bänden:
Bittersüße Tode
Blutroter Mond
Zirkus der Verdammten
Gierige Schatten
Bleiche Stille
Tanz der Toten
Dunkle Glut
Ruf des Blutes
Göttin der Dunkelheit (Band 1 von 2)
Herrscher der Finsternis (Band 2 von 2)
Jägerin des Zwielichts (Band 1 von 2)
Nacht der Schatten (Band 2 von 2)
Finsteres Verlangen
Schwarze Träume (Band 1 von 2)
Blinder Hunger (Band 2 von 2)
Willkommen in meiner Welt. Einer Welt voller Wesen mit übersinnlichen Kräften, in der blutige Gewalt, aber auch prickelnde Lust auf dich warten. Bist du bereit? Traust du dich?
Seit der Oberste Gerichtshof den Untoten gleiche Rechte gewährt hat, halten die meisten Menschen Vampire für ganz gewöhnliche Leute, nur eben mit spitzen Eckzähnen. Aber ich weiß es besser. Ich habe ihre Opfer gesehen. Ich trage selbst die Narben …
Doch jetzt werden Vampire selbst zu Opfern: Ein Serienkiller bringt sie reihenweise um – und der mächtigste Blutsauger der Stadt will, dass ausgerechnet ich den Mörder finde …
Anita Blake hat einen knallharten Job: die Jagd nach gefährlichen Kriminellen – und nach Untoten. Denn sie ist eine Vampirjägerin – scharf wie ein angespitzter Pflock und raffiniert wie eine Silberkugel.
Als die Stadt von einer Mordserie an hochrangigen Vampiren erschüttert wird, fordert der verführerische Meistervampir Jean-Claude Anita auf, die Taten aufzuklären und den Killer zu stoppen. Gezwungenermaßen taucht sie in das Zwielicht der Nacht ein, wo die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen. Wer dient den Untoten? Wem kann sie trauen? Und auf welcher Seite steht Jean-Claude, dessen Charme sie sich nur schwer entziehen kann? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt – und Anita muss sich ihren geheimsten Ängsten stellen …
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Laurell K. Hamilton (*1963 in Arkansas, USA) hat sich mit ihren paranormalen Romanserien um starke Frauenfiguren weltweit eine große Fangemeinde erschrieben, besonders mit ihrer Reihe um die toughe Vampirjägerin Anita Blake. In den USA sind die Anita-Blake-Romane stets auf den obersten Plätzen der Bestsellerlisten zu finden, die weltweite Gesamtauflage liegt im Millionenbereich.
Die New-York-Times-Bestsellerautorin lebt mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter in St. Louis, dem Schauplatz ihrer Romane.
Website der Autorin: laurellkhamilton.com
Die Bücher der »Anita Blake – Vampire Hunter«-Serie enthalten neben expliziten Szenen und derber Wortwahl potentiell triggernde und für manche Leserinnen und Leser verstörende Elemente. Es handelt sich dabei unter anderem um:
brutale und blutige Verbrechen, körperliche und psychische Gewalt und Folter, Missbrauch und Vergewaltigung, BDSM sowie extreme sexuelle Praktiken.
Laurell K. Hamilton
ANITA BLAKE
Bittersüße Tode
Aus dem amerikanischen Englisch von
Angela Koonen
Digitale Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 1993 by Laurell K. Hamilton
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Guilty Pleasures«
Published by Arrangement with Laurell K. Hamilton
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2003/2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Bittersüße Tode«
Lektorat: Mona Gabriel/Stefan Bauer
Covergestaltung: Guter Punkt, München
unter Verwendung von Motiven © iStock/ BojanMirkovic; iStock/ SergeyChayko
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-0237-9
be-ebooks.de
lesejury.de
Meinem Ehemann Gary W. Hamilton,
der sich nicht gern gruselt,
das Buch aber trotzdem gelesen hat.
Willie McCoy war schon vor seinem Tod ein Blödmann gewesen. Dass er nun tot war, änderte daran nichts. Er saß mir gegenüber in einem grell karierten Sakko. Seine Polyesterhose war hellgrün. Das kurze schwarze Haar hatte er sich aus dem dünnen dreieckigen Gesicht nach hinten geklatscht. Er hatte mich schon immer ein wenig an eine Gestalt aus einem Gangsterfilm erinnert. Die Sorte, die Informationen verkauft, Aufträge ausführt und entbehrlich ist.
Jetzt, wo Willie ein Vampir war, war die Sache mit der Entbehrlichkeit natürlich nicht mehr von Bedeutung. Aber er verkaufte noch immer Informationen und machte Botengänge. Nein, der Tod hatte ihn nicht besonders verändert. Aber für alle Fälle vermied ich es, ihm direkt in die Augen zu sehen. Das war die vernünftigste Vorgehensweise, wenn man es mit Vampiren zu tun hatte. Früher war er ein Schleimkübel, jetzt war er ein untoter Schleimkübel. Das war eine neue Kategorie für mich.
Wir saßen in der klimatisierten Stille meines Büros. Die himmelblauen Wände, die Bert, mein Boss, für beruhigend hielt, machten den Raum kalt.
»Was dagegen, wenn ich rauche?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich, »allerdings.«
»Verdammt, Sie wollen es mir nicht leicht machen, wie?«
Einen Moment lang sah ich ihn direkt an. Seine Augen waren nach wie vor braun. Er fing meinen Blick auf, und ich schaute sofort auf den Schreibtisch.
Willie lachte, ein keuchendes Gewieher. Das Lachen war das Gleiche geblieben. »Sieh mal an, das gefällt mir. Sie haben Angst vor mir.«
»Nein, keine Angst, bin nur vorsichtig.«
»Sie brauchen es nicht zuzugeben. Ich kann Ihre Angst riechen, fast als würde sie mir ins Gesicht, ins Gehirn wehen. Sie haben Angst vor mir, weil ich ein Vampir bin.«
Ich zuckte die Achseln; was hätte ich sagen sollen? Wie belügt man jemanden, der Angst riechen kann? »Warum sind Sie hier, Willie?«
»Mensch, ich würde so gerne eine rauchen.« In einem Mundwinkel begann es zu zucken.
»Ich wusste nicht, dass Vampire nervöse Zuckungen haben können.«
Seine Hand fuhr in die Höhe, fast hätte er danach getastet. Er lächelte, seine Beißer blitzten. »Manche Dinge ändern sich eben nicht.«
Ich wollte ihn fragen, was sich denn änderte. Wie fühlt man sich, wenn man tot ist? Ich kannte andere Vampire, aber Willie war der erste, den ich schon vor seinem Tod gekannt hatte. Es war ein seltsames Gefühl. »Was wollen Sie?«
»He, ich bin hier, um Ihnen Geld zu geben. Um Ihr Klient zu werden.«
Ich sah zu ihm hin, mied aber seinen Blick. Das Deckenlicht fing sich in seinem Krawattenknopf. Echtes Gold. Früher hatte Willie nie so etwas gehabt. Für einen toten Mann ging es ihm recht gut. »Ich lebe davon, dass ich Tote aufwecke, ohne Scherz. Wofür könnte ein Vampir einen Zombie gebrauchen?«
Er schüttelte den Kopf, zwei schnelle Rucke nach jeder Seite. »Nein, kein Voodoo-Zeug. Ich will Sie engagieren, damit Sie gegen ein paar Mörder ermitteln.«
»Ich bin kein Privatdetektiv.«
»Aber Sie haben einen auf Ihrer Gehaltsliste.«
Ich nickte. »Sie könnten Mrs. Sims direkt engagieren. Sie brauchen deswegen nicht erst zu mir zu kommen.«
Wieder dieses ruckhafte Kopfschütteln. »Aber sie kennt sich mit Vampiren nicht so aus wie Sie.«
Ich seufzte. »Können wir die Sache hier abbrechen, Willie? Ich muss in« – ich schaute zur Wanduhr – »fünfzehn Minuten gehen. Ich möchte meine Klienten nicht allein auf einem Friedhof warten lassen. Das macht sie häufig nervös.«
Er lachte. Ich fand das wiehernde Lachen tröstlich, trotz der Reißzähne. Eigentlich sollten Vampire ein klangvolles Lachen haben. »Darauf wette ich. Darauf möchte ich wirklich wetten.« Sein Gesicht wurde plötzlich ernst, als hätte eine Hand das Lachen weggewischt.
Ich spürte Angst wie einen Schlag in die Magengrube. Vampire können wie auf Knopfdruck ihr Verhalten ändern. Wenn er das konnte, was noch?
»Sie haben von den Vampiren gehört, die drüben im Distrikt umgelegt werden?«
Es klang wie eine Frage, also gab ich ihm Antwort. »Das ist mir bekannt.« In dem neuen Vampirclub-Viertel waren vier Vampire niedergemetzelt worden. Das Herz hatte man ihnen herausgerissen, den Kopf abgeschlagen.
»Sie arbeiten noch mit den Bullen zusammen?«
»Ich arbeite nach wie vor auf Honorarbasis bei der neuen Spezialeinheit.«
Er lachte wieder. »Ja, das Spukkommando. Schlecht ausgestattet und unterbesetzt, klar.«
»Sie beschreiben ungefähr die gesamte Polizeiarbeit dieser Stadt.«
»Vielleicht, aber die Bullen denken wie Sie, Anita. Was bedeutet schon ein toter Vampir mehr? Neue Gesetze ändern daran nichts.«
Seit Addison versus Clark waren erst zwei Jahre vergangen. Dieser Rechtsfall korrigierte unsere Vorstellung dessen, was das Leben war und was der Tod nicht war. Vampirismus war in den guten alten Vereinigten Staaten legal. Wir waren eines der wenigen Länder, die ihn anerkannten. Die Einwanderungsleute drehten durch, während sie versuchten, nun ja, Horden ausländischer Vampire davon abzuhalten das Land zu betreten.
Alle möglichen Fragen wurden vor Gericht ausgefochten. Müssen Erben ihr Erbe zurückgeben? Ist man verwitwet, wenn der Ehegatte ein Untoter geworden ist? Ist es Mord, einen Vampir umzubringen? Es gab sogar eine Bewegung, die ihnen das Wahlrecht verschaffen wollte. Die Zeiten waren, äh, anders als früher.
Ich schaute den Vampir an, der vor mir saß, und zuckte die Achseln. Fand ich wirklich, dass ein weiterer toter Vampir nichts bedeutete? Möglich. »Wenn Sie glauben, dass ich so denke, warum kommen Sie dann überhaupt zu mir?«
»Weil Sie die Beste auf Ihrem Gebiet sind. Wir brauchen die Beste.«
Es war das erste Mal, dass er »wir« sagte. »Für wen arbeiten Sie, Willie?«
Er lächelte, ein verschwiegenes, geheimnistuerisches Lächeln, als wüsste er etwas, das ich ebenfalls wissen sollte. »Das braucht Sie nicht zu kümmern. Die Bezahlung ist wirklich gut. Wir wollen jemanden, der sich im Nachtleben auskennt.«
»Ich habe die Leichen gesehen, Willie. Ich habe meine Ansichten der Polizei mitgeteilt.«
»Was halten Sie davon?« Er beugte sich vor, die zierlichen Hände flach auf dem Schreibtisch. Seine Nägel waren blass, beinahe weiß, blutleer.
»Ich habe der Polizei einen ausführlichen Bericht gegeben.« Ich sah ihn an, knapp an den Augen vorbei.
»Nicht mal das wollen Sie mir erzählen, wie?«
»Es steht mir nicht zu, polizeiliche Angelegenheiten mit Ihnen zu besprechen.«
»Ich hab denen ja gesagt, dass Sie nicht drauf stehen würden.«
»Stehen worauf? Sie haben mir noch kein bisschen erzählt.«
»Wir wollen, dass Sie die Vampirmorde untersuchen, dass Sie herausfinden, wer sie begeht. Oder was sie begeht. Wir zahlen Ihnen das Dreifache des normalen Honorars.«
Ich schüttelte den Kopf. Das erklärte, warum Bert, dieser gierige alte Gauner, den Termin angesetzt hatte. Er wusste, wie ich über Vampire dachte, aber mein Vertrag verlangte von mir, mit jedem Klienten, der Bert einen Vorschuss gezahlt hatte, wenigstens zu reden. Für Geld würde mein Boss alles tun. Das Problem war nur, dass er meinte, ich sollte das auch. Bert und ich würden uns ziemlich bald mal »unterhalten« müssen.
Ich stand auf. »Die Polizei untersucht die Sache. Ich tue schon, was ich kann, um ihnen zu helfen. In gewisser Weise arbeite ich bereits an dem Fall. Sparen Sie Ihr Geld.«
Er saß da und blickte mich von unten herauf an. Er hatte nicht die starre Reglosigkeit wie solche, die schon lange tot waren, aber schon einen Anflug davon.
Die Angst kroch mir den Rücken herauf und in die Kehle. Ich kämpfte den Drang nieder, mein Kruzifix aus der Bluse zu ziehen und ihn vor mir her aus dem Büro zu treiben. Einen Klienten mit einem heiligen Gegenstand hinauszuwerfen macht nicht gerade einen professionellen Eindruck. Also blieb ich einfach stehen und wartete darauf, dass er sich bewegte.
»Warum wollen Sie mir nicht helfen?«
»Ich bin mit Klienten verabredet, Willie. Es tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann.«
»Nicht helfen wollen, meinen Sie.«
Ich nickte. »Verstehen Sie es, wie Sie wollen.« Ich ging um den Schreibtisch herum, um ihm die Tür zu zeigen.
Er bewegte sich mit einer fließenden Schnelligkeit, die der alte Willie nie gehabt hatte, aber ich sah es immerhin und war einen Schritt außerhalb der Reichweite seiner ausgestreckten Hand. »Ich bin nicht irgendein hübsches Gesicht, das auf miese Tricks reinfällt.«
»Sie haben gesehen, wie ich mich bewegt habe.«
»Ich habe es gehört. Sie sind noch neu, Willie. Vampir oder nicht, Sie müssen noch viel lernen.«
Er sah mich stirnrunzelnd an, die Hand noch immer nach mir ausgestreckt. »Kann sein, aber kein Mensch hätte so gut ausweichen können.« Er kam dicht an mich heran, das karierte Sakko berührte mich fast. So nah beieinander waren wir nahezu gleich groß – oder klein. Seine Augen waren genau auf gleicher Höhe wie meine. Ich blickte so fest ich konnte auf seine Schulter.
Ich musste mich äußerst zusammenreißen, um nicht vor ihm zurückzuweichen. Aber verdammt noch mal, untot oder nicht, er war Willie McCoy. Diese Befriedigung würde ich ihm nicht verschaffen.
Er sagte: »Sie sind kein Mensch, nicht mehr als ich einer bin.«
Ich ging zur Tür und öffnete sie. Ich hatte mich nicht von ihm weg, sondern zur Tür bewegt, und zwar um sie zu öffnen. Krampfhaft versuchte ich die Schweißdrüsen entlang meiner Wirbelsäule davon zu überzeugen, dass darin ein Unterschied bestand. Die Kälte in der Magengegend konnte ich leider nicht täuschen.
»Ich muss jetzt wirklich gehen. Danke, dass Sie die Zusammenarbeit mit Animators, Inc. in Erwägung gezogen haben.« Ich schenkte ihm mein professionellstes Lächeln, es war nichts sagend wie eine Glühbirne und genauso blendend.
In der Tür blieb er stehen. »Warum wollen Sie nicht für uns arbeiten? Ich muss denen was sagen, wenn ich zurückkomme.«
Ich war mir nicht sicher, aber da klang so etwas wie Angst heraus. Würde er bei Versagen Ärger bekommen? Er tat mir Leid, aber ich wusste, dass das dumm war. Er war ein Untoter, um Himmels willen, aber er stand da und sah mich an, und er war trotz allem Willie mit seinen komischen Jacken und den kleinen nervösen Händen.
»Sagen Sie ihnen, wer immer sie sind, dass ich für Vampire nicht arbeite.«
»Eine Firmenvorschrift?« Wieder ließ er es wie eine Frage klingen.
»Aus Beton.«
In seinem Gesicht blitzte etwas auf, als der alte Willie durchkam. War beinahe schade. »Ich wünschte, Sie hätten das nicht gesagt, Anita. Diese Leute mögen es nicht, wenn man ihnen etwas abschlägt.«
»Ich finde, Sie sind schon viel zu lange geblieben. Ich mag keine Drohungen.«
»Das ist keine Drohung, Anita. Es ist die Wahrheit.« Er rückte seine Krawatte zurecht, streichelte den goldenen Knopf, straffte die schmalen Schultern und ging hinaus.
Ich schloss hinter ihm die Tür und lehnte mich dagegen. Mir war weich in den Knien. Aber ich hatte keine Zeit, um mich hinzusetzen und zu zittern. Mrs. Grundick war vermutlich schon auf dem Friedhof. Sie würde dort stehen mit ihrer kleinen schwarzen Handtasche und ihren erwachsenen Söhnen und darauf warten, dass ich ihren toten Gatten aufweckte. Es gab da ein Rätsel mit zwei völlig verschiedenen Testamenten. Also hieß es, entweder jahrelang Gerichtskosten und Auseinandersetzungen bezahlen oder Albert Grundick von den Toten erwecken und ihn fragen.
Alles, was ich brauchte, hatte ich im Wagen, auch die Hühner. Ich zog das silberne Kruzifix aus der Bluse und ließ es für jeden sichtbar hängen. Ich habe diverse Schusswaffen und weiß, wie man damit umgeht. In meinem Schreibtisch liegt eine 9mm Browning Hi-Power. Wiegt etwas über zwei Pfund, hat versilberte Kugeln und dergleichen. Silber tötet keinen Vampir, aber es schwächt sie. Sie sind gezwungen, die Wunde ausheilen zu lassen, mit fast menschlicher Langsamkeit. Ich wischte mir die schweißnassen Handflächen am Rock ab und ging hinaus.
Craig, unser Nachtschichtsekretär, tippte wie wild auf der Computertastatur. Er riss die Augen auf, als ich über den dicken Teppich schritt. Vielleicht lag es an dem Kreuz, das an einer langen Kette baumelte. Vielleicht war es wegen der Schultervorrichtung, die stramm über dem Rücken saß, und der für jeden sichtbaren Kanone. Er erwähnte weder das eine noch das andere. Kluger Mann.
Ich zog meine hübsche kleine Cordsamtjacke darüber. Sie beulte sich über der Waffe, aber das war in Ordnung. Ich bezweifelte, dass die Grundicks und ihre Anwälte das bemerken würden.
Am Ende hatte ich auf dem Heimweg die Sonne aufgehen sehen. Ich hasse Sonnenaufgänge. Sie bedeuten, dass ich mich übermäßig eingespannt und die ganze verdammte Nacht durchgearbeitet habe. In St. Louis stehen mehr Bäume am Highway als in jeder anderen Stadt, durch die ich schon gefahren bin. Fast bin ich bereit, zuzugeben, dass die Bäume im ersten Licht der Dämmerung schön aussehen, fast. Mein Apartment sieht in der Morgensonne immer deprimierend weiß und fröhlich aus. Die Wände haben dieselbe Vanilleeisfarbe wie in jedem Apartment. Der Teppich hat jedoch einen hübschen Grauton, der dem allgemein üblichen Hundehaufenbraun vorzuziehen ist.
Das Apartment ist eine geräumige Zweizimmerwohnung. Man hat mir gesagt, es habe einen schönen Blick auf den Park in der Nachbarschaft. Mich kann man nicht zur Bestätigung heranziehen. Wenn es nach mir ginge, hätte es nicht mal Fenster. Mit den schweren Vorhängen, die den hellsten Tag in kühlen Dämmer legen, komme ich einigermaßen zurecht.
Ich schaltete das Radio leise ein, um die Geräusche meiner tagaktiven Nachbarn zu überdecken. Bei zärtlicher Chopin-Musik zog mich der Schlaf in die Tiefe. Eine Minute später klingelte das Telefon.
Eine Minute lang lag ich da und verfluchte mich dafür, dass ich vergessen hatte, den Anrufbeantworter einzuschalten. Wenn ich es vielleicht ignorierte? Nach dem fünften Klingeln gab ich es auf. »Hallo.«
»Oh, Verzeihung. Habe ich Sie geweckt?«
Es war eine Frau, die ich nicht kannte. Falls sie mir etwas verkaufen wollte, würde ich gewalttätig werden. »Wer sind Sie?« Ich blinzelte die Nachttischuhr an. Es war acht. Ich hatte schon zwei Stunden geschlafen. Hurra.
»Ich bin Monica Vespucci.« Sie sagte es, als würde das alles erklären. Aber das tat es nicht.
»Ja.« Ich versuchte hilfsbereit zu klingen, ermutigend. Ich glaube, es hörte sich wie ein Knurren an.
»Meine Güte, äh, ich bin die Monica, die mit Catherine Maison zusammenarbeitet.«
Ich schmiegte mich um den Hörer und versuchte zu denken. Nach zwei Stunden Schlaf denke ich nicht besonders ergiebig. Catherines Name kannte ich, sie war eine gute Freundin. Wahrscheinlich hatte sie die andere mir gegenüber erwähnt, aber ich konnte sie ums Verrecken nicht einordnen. »Sicher, Monica, ja. Was wollen Sie?« Das klang grob, auch für meine Ohren. »Es tut mir Leid, wenn ich nicht freundlich erscheine. Ich bin um sechs von der Arbeit gekommen.«
»Mein Gott, Sie meinen, Sie hatten nur zwei Stunden Schlaf. Wollen Sie mich erschießen, oder was?«
Ich antwortete nicht darauf. So grob bin ich auch wieder nicht. »Wollten Sie etwas, Monica?«
»Sicher, ja. Ich schmeiße eine Junggesellinnenparty für Catherine. Wissen Sie, sie heiratet nächsten Monat.«
Ich nickte, dann fiel mir ein, dass sie mich nicht sehen konnte, und murmelte: »Ich gehöre zur Hochzeitsgesellschaft.«
»Oh, klar, ich weiß. Schöne Kleider für die Brautjungfern, meinen Sie nicht?«
Eigentlich nicht. Das Letzte, wofür ich hundertzwanzig Dollar ausgeben wollte, war ein rosa Abendkleid mit Puffärmeln. Aber es war Catherines Hochzeit. »Was ist mit der Party?«
»Oh, ich schweife ab, nicht? Und Sie sehnen sich nach Schlaf.«
Ich fragte mich, ob es wohl etwas nützen würde, sie anzuschreien, ob sie dann schneller vorankäme. Nein, wahrscheinlich würde sie flennen. »Was möchten Sie bitte, Monica?«
»Also, ich weiß ja, dass es sehr kurzfristig ist, aber ich mache immer bei allem Schnitzer. Ich wollte Sie schon vorige Woche anrufen, aber es kam einfach nicht dazu.«
Das konnte ich mir vorstellen. »Weiter.«
»Die Junggesellinnenparty ist heute Abend. Catherine sagt, dass Sie nichts trinken, also habe ich überlegt, ob Sie den Fahrer machen könnten.«
Ich lag einen Augenblick lang da und dachte nach, wie wütend ich werden sollte und ob es mir etwas nützen würde. Wenn ich wacher gewesen wäre, hätte ich vielleicht nicht ausgesprochen, was ich dachte. »Finden Sie nicht, dass es reichlich kurzfristig ist, wenn Sie wollen, dass ich fahre?«
»Ich weiß. Es tut mir so Leid. Ich bin einfach zerstreut in letzter Zeit. Catherine sagte mir, dass Sie meistens entweder am Freitag oder am Samstag freihaben. Haben Sie diese Woche am Freitag frei?«
Tatsächlich war das der Fall, aber ich wollte meinen einzigen freien Abend wirklich nicht für diesen Hohlkopf am anderen Ende der Leitung opfern. »Ich habe heute Abend frei.«
»Großartig! Ich gebe Ihnen die Wegbeschreibung, und Sie können uns nach der Arbeit abholen. Ist das in Ordnung?«
Nein, aber was hätte ich sagen sollen. »Ist mir recht.«
»Stift und Papier?«
»Sie sagten, Sie arbeiten mit Catherine, richtig?« Ich fing gerade an, mich an Monica zu erinnern.
»Aber ja.«
»Ich weiß, wo Catherine arbeitet. Ich brauche keine Wegbeschreibung.«
»Oh, wie dumm von mir, natürlich. Dann sehen wir uns gegen fünf. Machen Sie sich schick, aber keine Absätze. Vielleicht wird getanzt.«
Ich hasse Tanzen. »Sicher, bis dann.«
»Bis heute Abend.«
Sie legte auf, als ich den Hörer noch am Ohr hatte. Ich schaltete den Anrufbeantworter ein und schmiegte mich wieder in die Laken. Monica arbeitete mit Catherine, also war sie Anwältin. Das war eine erschreckende Vorstellung. Vielleicht gehörte sie zu den Leuten, die nur bei der Arbeit gut organisiert sind. Eher nicht.
Erst jetzt, als es zu spät war, dämmerte mir, dass ich die Einladung einfach hätte ablehnen können. Verdammt. Ich war zu schnell gewesen. Also gut, wie schlimm könnte es werden? Fremden Leuten zusehen, wie sie sich bis zur Besinnungslosigkeit voll laufen lassen. Mit etwas Glück würde sich irgendjemand in meinem Wagen übergeben.
Nachdem ich wieder eingeschlafen war, träumte ich das merkwürdigste Zeug, über diese Frau, die ich nicht kannte, über eine Kokoscremetorte und über Willie McCoys Beerdigung.
Monica Vespucci hatte sich einen Button angesteckt, auf dem stand: »Vampire sind auch Leute.« Das war kein viel versprechender Anfang für den Abend. Ihre weiße Bluse war aus Seide, der hohe, ausgestellte Kragen rahmte eine dunkle Sonnenbankbräune ein. Die Frisur war kurz und fachmännisch geschnitten, das Make-up perfekt.
Der Button hätte mich drauf stoßen müssen, welche Art Junggesellinnenparty sie geplant hatte. An manchen Tagen bin ich einfach schwer von Begriff.
Ich trug schwarze Jeans, kniehohe Stiefel und eine karmesinrote Bluse. Meine Haare waren dazu wie maßgeschneidert, über die Schultern der roten Bluse ringelten sich schwarze Locken. Das kräftige Schwarzbraun meiner Augen passte zu den Haaren. Nur meine Haut stach dagegen ab, zu blass, germanische Blässe zu südländischem Aussehen. Ein Verflossener hat mich mal als kleine Chinapuppe bezeichnet. Er meinte es als Kompliment. Ich fasste es nicht so auf. Es hat seinen Grund, warum ich mich selten verabrede.
Die Bluse war langärmlig, um die Messerscheide am rechten Handgelenk und die Narben am linken Arm zu verdecken. Die Pistole hatte ich im Kofferraum eingeschlossen. Ich glaubte nicht, dass die Junggesellinnenparty dermaßen aus dem Ruder laufen würde.
»Es tut mir so Leid, dass ich es bis zur letzten Minute hinausgeschoben habe, Catherine. Darum sind wir nur zu dritt. Alle anderen hatten schon etwas vor«, sagte Monica.
»Sich vorzustellen, dass die Leute am Freitagabend etwas vorhaben«, sagte ich.
Monica starrte mich an, als versuchte sie herauszufinden, ob ich einen Witz gemacht hatte oder nicht.
Catherine warf mir einen warnenden Blick zu. Ich schenkte den beiden mein unschuldigstes Lächeln. Monica lächelte zurück. Catherine ließ sich nicht täuschen.
Monica tänzelte den Bürgersteig entlang und freute sich wie ein beschwipstes Honigkuchenpferd. Sie hatte beim Essen nur zwei Gläser getrunken. Ein schlechtes Zeichen.
»Sei nett«, flüsterte Catherine.
»Was habe ich denn gesagt?«
»Anita.« Sie klang wie mein Vater, wenn ich bis spät in die Nacht aus gewesen war.
Ich seufzte. »Ihr seid für mich kein Spaß heute Abend.«
»Ich plane genau das Gegenteil.« Sie reckte die Arme zum Himmel. Sie trug noch ihr Bürokostüm, das inzwischen verknittert war. Der Wind wehte durch ihre langen kupferroten Haare. Ich habe nie entscheiden können, ob Catherine mit kurzen Haaren schöner wäre, weil man dann zuerst ihr Gesicht sähe, oder ob es vielmehr das Haar war, das sie schön machte.
»Wenn ich einen der wenigen freien Abende aufgeben muss, dann habe ich die Absicht, mich zu amüsieren – und zwar prächtig«, sagte sie.
Da klang eine gewisse Schärfe heraus. Ich sah prüfend zu ihr auf. »Du hast doch nicht vor, bis zum Umfallen zu trinken oder?«
»Vielleicht.« Sie machte ein selbstgefälliges Gesicht.
Catherine wusste, dass ich das Trinken nicht schätzte oder besser gesagt kein Verständnis dafür hatte. Ich mag es nicht, wenn meine Hemmschwellen gesenkt werden. Wenn ich schon die Absicht hatte, über die Stränge zu schlagen, dann wollte ich zumindest, dass es nicht zu sehr ausufert.
Wir hatten meinen Wagen zwei Blocks entfernt auf einem Parkplatz stehen lassen. Auf dem mit dem schmiedeeisernen Zaun drum herum. Unten am Fluss gab es nicht viele Parkplätze. Die engen Backsteinstraßen und alten Bürgersteige waren für Pferde, nicht für Autos gebaut. Die Straßen waren frisch gewaschen von einem sommerlichen Gewitterregen, der während unseres Abendessens heruntergekommen war und wieder aufgehört hatte. Die ersten Sterne funkelten über uns wie Diamanten, die sich in Samt verfangen haben.
»Beeilt euch, ihr Langweiler«, rief Monica.
Catherine sah mich an und grinste. Als Nächstes musste ich erleben, wie sie Monica hinterherrannte.
»Um Himmels willen«, murmelte ich. Wenn ich beim Abendessen etwas getrunken hätte, wäre ich vielleicht auch gerannt, aber ich bezweifelte es.
»Jetzt sei kein Partymuffel«, rief Catherine zu mir zurück.
Partymuffel? Ich holte auf. Monica kicherte. Irgendwie hatte ich geahnt, dass sie das tun würde. Catherine und sie lehnten sich aneinander und lachten. Vermutlich über mich.
Monica beruhigte sich so weit, dass sie ein unheilvolles Bühnenflüstern hinkriegte. »Wisst ihr, was hinter dieser Ecke wartet?«
Tatsache war, dass ich es wusste. Der letzte Vampirmord hatte nur vier Blocks entfernt stattgefunden. Wir befanden uns »im Bezirk«, wie die Vampire es nannten. Die Menschen nannten den Stadtteil das Hafenviertel oder Blutviertel, je nach Menschenschlag.
»Das Guilty Pleasures«, sagte ich.
»Oh, pfui, du verdirbst die Überraschung.«
»Was ist das Guilty Pleasures?«, fragte Catherine.
Monica kicherte. »Oh, klasse, die Überraschung ist gar nicht verdorben.« Sie hakte sich bei Catherine unter. »Es wird dir gefallen, das verspreche ich.«
Catherine vielleicht; mir bestimmt nicht, aber ich bog trotzdem mit ihnen um die Ecke. Die Reklame war ein wirbelndes Neonlicht in frischem Blutrot. Der Symbolgehalt war an mich nicht verschwendet.
Wir gingen drei breite Stufen hinauf, und da stand ein Vampir vor der offen stehenden Tür. Er hatte einen schwarzen Bürstenschnitt und kleine helle Augen. Seine massigen Schultern drohten das schwarze T-Shirt zu sprengen. War Gewichtestemmen nicht überflüssig, wenn man tot war?
Schon auf der Schwelle waren Stimmen, Gelächter und Musik zu hören. Der üppige Lärm vieler Leute auf engem Raum, die entschlossen sind, sich zu amüsieren.
Der Vampir stand neben der Tür, sehr still. Es war aber noch ein wenig Bewegung in ihm, eine gewisse Lebendigkeit, um es mal so zu nennen. Er konnte nicht mehr als zwanzig Jahre tot sein, wenn überhaupt so viel. Bei Dunkelheit sah er fast menschlich aus, sogar für mich. Er hatte heute schon gegessen. Seine Haut sah rosig und gesund aus. Verdammt nah daran, was man das blühende Leben nennt. Eine Mahlzeit frisches Blut hat eben diese Wirkung.
Monica drückte seinen Arm. »Oooh, fühlt mal diese Muskeln.«
Er grinste mit blitzenden Fängen. Catherine stieß den Atem aus. Das Grinsen wurde breiter.
»Buzz hier ist ein alter Freund, stimmt’s, Buzz?«
Buzz, der Vampir? Bestimmt nicht.
Aber er nickte. »Geh rein, Monica. Dein Tisch wartet.«
Tisch? Welche Art Einfluss hatte Monica? Das Guilty Pleasures war einer der heißesten Clubs im Bezirk, und sie nahmen keine Reservierungen entgegen.
An der Tür hing ein großes Schild. »Keine Kreuze, Kruzifixe oder andere heilige Gegenstände.« Ich las es und ging daran vorbei. Ich hatte keine Lust, mein Kreuz loszuwerden.
Eine wohltönende, melodiöse Stimme umströmte uns. »Anita, wie gut, dass Sie kommen.«
Die Stimme gehörte Jean-Claude, Besitzer des Clubs und Meistervampir. Er sah aus, wie man sich einen Vampir vorstellt. Weiche Locken und der hohe weiße Kragen eines altertümlichen Hemdes bildeten ein Durcheinander. Spitze ergoss sich über bleiche, langgliedrige Hände. Das Hemd war geöffnet, gestattete den Blick auf eine schlanke, nackte Brust, die von noch mehr schäumender Spitze eingerahmt war. Die meisten Männer hätten so ein Hemd nicht tragen können. An dem Vampir sah es äußerst männlich aus.
»Ihr beide kennt euch?«, fragte Monica verblüfft.
»Oh, ja«, antwortete Jean-Claude. »Mrs. Blake und ich sind uns schon einmal begegnet.«
»Ich habe die Polizeiarbeit im Hafenviertel unterstützt.«
»Sie ist ihr Vampirexperte.« Er ließ das letzte Wort sanft und gefühlvoll und einen Hauch obszön klingen.
Monica kicherte. Catherine starrte Jean-Claude mit großen, unschuldigen Augen an. Ich fasste ihren Arm, und sie zuckte zusammen, als würde sie aus einem Traum erwachen. Ich brauchte nicht zu flüstern, denn er hätte mich ohnehin gehört. »Wichtiger Sicherheitstipp: Sieh einem Vampir niemals in die Augen.«
Sie nickte. In ihrem Gesicht waren erste Anzeichen von Furcht zu erkennen.
»Einer so schönen jungen Frau würde ich niemals etwas antun.« Er nahm Catherines Hand und führte sie an seine Lippen. Eine leichte Berührung, und Catherine errötete.
Er küsste auch Monica die Hand. Dann sah er mich an und lachte. »Haben Sie keine Angst, meine kleine Lebensspenderin. Sie werde ich nicht anrühren. Das wäre gemogelt.«
Er kam dicht neben mich. Ich starrte unverwandt auf seine Brust. In der Spitze verborgen war eine Brandnarbe. Sie hatte die Form eines Kreuzes. Wie viele Jahrzehnte war es her, dass ihm jemand ein Kreuz auf die Haut gedrückt hatte?
»So wie Sie mit einem Kreuz einen unfairen Vorteil hätten.«
Was sollte ich sagen? In gewisser Weise hatte er Recht.
Es war jammerschade, dass ein einfaches Kreuz nicht ausreichte, um einem Vampir zu schaden. Jean-Claude hätte sonst tief in der Scheiße gesteckt. Das Kreuz musste leider gesegnet sein und die Unterstützung des Glaubens haben. Ein Atheist, der vor einem Vampir mit dem Kreuz wedelte, war wirklich eine traurige Figur.
Er hauchte mir meinen Namen auf die Haut. »Anita, woran denken Sie?«
Die Stimme war so verflucht wohltuend. Ich wollte aufschauen und sehen, welcher Gesichtsausdruck diese Worte begleitete. Es faszinierte Jean-Claude, dass ich teilweise immun gegen ihn war. Obendrein trug ich eine kreuzförmige Narbe auf dem Arm. Die Narbe belustigte ihn. Jedes Mal wenn wir uns trafen, tat er sein Bestes, um mich in seinen Bann zu ziehen, und ich tat mein Bestes, um ihn zu ignorieren. Bisher hatte ich gewonnen.
»Sie haben sich noch nie beschwert, dass ich ein Kreuz trage.«
»Da waren Sie bei der Arbeit; jetzt nicht.«
Ich starrte auf seine Brust und fragte mich, ob die Spitze so weich war, wie sie aussah. Wahrscheinlich nicht.
»Sind Sie sich Ihrer Kräfte so unsicher, kleine Lebensspenderin? Glauben Sie, dass Ihre ganze Widerstandskraft in diesem Stück Silber an Ihrem Hals steckt?«
Das glaubte ich nicht, aber ich wusste, dass es mir half. Jean-Claude war eingestandenermaßen zweihundertundfünf Jahre alt. In zwei Jahrhunderten gewinnt ein Vampir eine Menge Kraft. Er deutete an, dass ich ein Feigling sei. Das war ich nicht.
Ich griff mir in den Nacken, um die Kette zu lösen. Er entfernte sich von mir und drehte mir den Rücken zu. Das Kreuz goss Silber in meine Hände. Eine blonde Frau erschien neben mir. Sie reichte mir eine Garderobenmarke und nahm das Kreuz an sich. Wie nett, ein Garderobenmädchen für Devotionalien.
Ohne das Kreuz fühlte ich mich nicht mehr vollständig angezogen. Ich schlief und duschte sogar mit dem Ding.
Jean-Claude trat wieder zu mir. »Sie werden der Show heute Abend nicht widerstehen können, Anita. Einer wird Sie in seinen Bann schlagen.«
»Nein«, sagte ich. Knallhart sein ist schwierig, wenn man auf jemandes Brust starrt. Man braucht dazu wirklich Augenkontakt, aber das konnte ich vergessen.
Er lachte. Der Klang schien meine Haut zu streifen wie ein Pelz. Warm und ganz leicht nach Tod fühlte es sich an.
Monica griff nach meinem Arm. »Es wird dir gefallen, das verspreche ich dir.«
»Ja«, sagte Jean-Claude. »Diese Nacht werden Sie nie vergessen.«
»Ist das eine Drohung?«
Er lachte wieder mit diesem schrecklichen Beiklang. »Dies ist ein Ort der Lust, Anita, nicht der Gewalt.«
Monica zog mich am Arm. »Beeil dich, die Vorstellung fängt gleich an.«
»Vorstellung?«, fragte Catherine.
Ich musste lächeln. »Willkommen im weltweit einzigen Vampirstripteaseclub, Catherine.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Pfadfinderehrenwort.« Ich drehte mich um und sah zur Tür; ich weiß nicht, warum. Jean-Claude stand vollkommen still, ohne Aufmerksamkeit für irgendetwas, als wäre er überhaupt nicht da. Dann bewegte er sich, eine bleiche Hand hob sich an seine Lippen. Er blies mir quer durch den Raum einen Kuss zu. Das nächtliche Vergnügen hatte begonnen.
Unser Tisch stand fast auf der Bühne. Der Raum war voller Alkoholdunst und Gelächter, es gab immer ein paar gespielte Schreie, wenn der Vampirkellner um die Tische herumging. Da war eine unterschwellige Angst zu spüren. Von der eigentümlichen Art, die man auf Achterbahnen oder bei Horrorfilmen bekommt. Harmloser Schrecken.
Die Lichter gingen aus. Schreie hallten durch den Raum, hoch und schrill. Einen Moment lang war die Furcht echt. Jean-Claudes Stimme kam aus der Dunkelheit. »Willkommen im Guilty Pleasures. Wir sind hier, um Ihnen zu dienen. Um Ihre verwerflichsten Gedanken wahr zu machen.«
Seine Stimme war wie das Rascheln von Seide in den kurzen Stunden der Nacht. Verdammt, er war gut.
»Haben Sie sich je gefragt, wie es wäre, meinen Atem auf der Haut zu spüren? Meine Lippen an Ihrem Hals. Die harte Berührung der Zähne. Den süßen scharfen Schmerz des Bisses. Wie Ihr Herz verzweifelt gegen meine Brust pocht. Ihr Blut in meine Adern fließt. Sie sich hingeben. Mir Leben schenken. Und wissen, dass ich wahrhaftig nicht ohne Sie, ohne Sie alle, leben kann.«
Vielleicht war es die Intimität der Dunkelheit; wie auch immer, ich hatte das Gefühl, als spräche er nur zu mir, mir allein. Ich war seine Auserwählte, seine Einzige. Nein, das stimmte nicht. Jede Frau im Club fühlte jetzt dasselbe. Wir waren alle seine Auserwählten. Und vielleicht steckte da mehr Wahrheit drin als in allem anderen.
»Der erste Herr heute Abend teilt Ihre Fantasie. Er wollte wissen, wie sich der süßeste aller Küsse anfühlt. Er hat ihn bereits erlebt, um Ihnen erzählen zu können, dass es wunderbar ist.« Er wartete, bis die Stille die Dunkelheit ausfüllte, bis mein Herzschlag laut zu hören war. »Philip ist heute Abend bei uns.«
Monica hauchte: »Philip!« Ein kollektives Stöhnen lief durch das Publikum, dann setzte ein leiser Sprechchor ein. »Philip, Philip …« Er schwoll an wie ein inständiges Flehen.
Die Lichter gingen an wie am Ende eines Films. Eine Gestalt stand in der Bühnenmitte. Ein weißes T-Shirt lag eng an seinem Oberkörper; kein Muskelmann, aber gut gebaut. Nicht zu viel des Guten. Eine schwarze Lederjacke, enge Jeans und Stiefel vervollständigten die Aufmachung. Man hätte ihm überall auf der Straße begegnen können. Sein dickes braunes Haar berührte die Schultern.
Musik schwebte in die dämmrige Stille. Der Mann wiegte sich dazu, die Hüften kreisten ganz sacht. Er begann aus der Lederjacke zu gleiten, bewegte sich fast in Zeitlupe. Die leise Musik fing an zu pulsieren. Und sein Körper bewegte sich rhythmisch wiegend. Die Jacke glitt zu Boden. Er schaute eine Minute lang ins Publikum und ließ uns sehen, was es zu sehen gab. Narben überzogen die Wölbung der Arme, die Haut hatte weiße Hügel aus Narbengewebe herausgebildet.
Ich schluckte schwer. Ich war nicht sicher, was sich abspielen würde, aber ich wettete, dass es mir nicht gefallen würde.
Er strich sich mit beiden Händen das Haar aus dem Gesicht. Dabei stolzierte er mit wiegenden Schritten am Bühnenrand entlang. An unserem Tisch blieb er stehen und schaute zu uns herab. Sein Hals sah aus wie der Arm eines Fixers.
Ich musste wegsehen. All die netten kleinen Bissmale, die hübschen kleinen Narben. Ich sah, dass Catherine in ihren Schoß starrte. Monica saß nach vorn gebeugt, die Lippen halb geöffnet.
Er griff das T-Shirt mit starken Händen und zog. Es schälte sich reißend von seiner Brust. Schreie aus dem Publikum. Ein paar riefen seinen Namen. Er lächelte. Das Lächeln war blendend, brillant, sexy, zerging auf der Zunge.
Da war Narbengewebe auf seiner glatten nackten Brust, weiße Narben, rosa Narben, neue Narben, alte Narben. Ich saß da und starrte mit offenem Mund.
Catherine flüsterte: »Großer Gott!«
»Er ist wundervoll, nicht wahr?«, sagte Monica.
Ich sah sie von der Seite an. Ihr ausgestellter Kragen war verrutscht und hatte zwei Einstiche freigelegt. Ziemlich alt, fast vernarbt. Jesus Maria.
Die Musik steigerte sich mit einem Schlag zu pulsierender Heftigkeit. Er tanzte, wiegte sich, drehte sich im Kreis, warf die Kraft seines Körpers in jede Bewegung. Über dem linken Schlüsselbein war ein weißer Wulst von Narben, ausgefranst und scheußlich. Mein Magen zog sich zusammen. Ein Vampir hatte seine Zähne durch das Schlüsselbein gejagt, an ihm gerissen wie ein Hund an einem Stück Fleisch. Ich wusste das, weil ich eine ähnliche Narbe hatte. Ich hatte eine Menge ähnlicher Narben.
Dollarscheine tauchten in Händen auf wie Pilze nach dem Regen. Monica schwenkte ihr Geld wie eine Flagge. Ich wollte Philip nicht an unserem Tisch haben. Um bei dem Lärm gehört zu werden, musste ich mich dicht zu Monica hinüberbeugen. »Bitte, Monica, hole ihn nicht hierher.«
Als sie sich zu mir umdrehte, wusste ich schon, dass es zu spät war. Philip von den vielen Narben stand auf der Bühne und sah zu uns herab. Ich starrte in seine ziemlich menschlichen Augen.
Ich konnte den Puls an Monicas Hals sehen. Sie leckte sich über die Lippen; ihre Augen waren riesig. Sie stopfte ihm das Geld vorn in die Hose.
Ihre Hände spürten den Narben nach wie nervöse Schmetterlinge. Sie lehnte das Gesicht an seinen Bauch und begann sie zu küssen, hinterließ ihre Markierung aus rotem Lippenstift. Währenddessen ging er langsam in die Knie, zwang ihren Mund höher und höher hinauf bis an seine Brust.
Er kniete, und sie presste ihre Lippen auf sein Gesicht. Er streifte sein Haar vom Hals fort, als wüsste er, was sie wollte. Sie leckte ein frisches Bissmal, ihre Zunge war klein und rosa wie die einer Katze. Ich hörte ihren Atem in einen zittrigen Seufzer übergehen. Sie biss ihn, schloss den Mund über der Wunde. Philip zuckte vor Schmerz oder vor Überraschung. Ihre Kiefer schlossen sich, ihre Kehle arbeitete. Sie saugte an der Wunde.
Ich sah über den Tisch hinweg zu Catherine. Sie starrte auf die zwei, sprachlos vor Verblüffung.
Die Menge wurde wild, kreischte, winkte mit Geld. Philip löste sich von Monica und wechselte zu einem anderen Tisch. Monica sackte nach vorn, der Kopf sank ihr in den Schoß und ihre Arme erschlafften.
War sie ohnmächtig? Ich streckte die Hand aus, um sie an der Schulter zu rütteln, und merkte, dass ich sie nicht anfassen wollte. Ich berührte sie sacht. Sie regte sich, drehte den Kopf nach mir. Ihre Augen hatten die träge Sattheit, die einem Sex verschafft. Ihr Mund sah blass aus, der Lippenstift fortgewischt. Sie war nicht ohnmächtig geworden; sie sonnte sich im Nachglühen.
Ich zog mich von ihr zurück, rieb die Hände an meiner Jeans ab. Meine Handflächen war schweißnass.
Philip war auf die Bühne zurückgekehrt. Er hatte aufgehört zu tanzen. Er stand einfach nur da. Monica hatte ein kleines rundes Mal an seinem Hals hinterlassen.
Ich spürte die erste Berührung eines alten Geistes, der über die Menge strömte. Catherine fragte: »Was passiert hier?«
»Das ist in Ordnung«, beruhigte Monica sie. Sie saß mit halb geschlossenen Augen aufrecht auf ihrem Stuhl, leckte sich die Lippen, reckte die Arme über den Kopf.
Catherine beugte sich zu mir. »Anita, was ist das?«
»Ein Vampir«, antwortete ich.
In ihrem Gesicht schien Angst auf, hielt aber nicht an. Ich sah, wie ihre Furcht unter der Macht des Vampirgeistes verebbte. Sie drehte sich langsam zu Philip hin, der wartend dastand. Catherine war nicht in Gefahr. Die Massenhypnose war nicht persönlich und nicht von Dauer.
Der Vampir war nicht so alt wie Jean-Claude und auch nicht so gut. Ich spürte den Druck und das Strömen von über hundert Jahren Macht, aber es war nicht genug. Ich spürte ihn zwischen den Tischen hindurchkommen. Er gab sich wirklich alle Mühe, damit die armseligen Menschen ihn nicht kommen sahen. Er würde einfach in ihrer Mitte erscheinen, als wäre es Magie.
Man schafft es nicht oft, einen Vampir zu überraschen. Ich drehte mich um und beobachtete, wie er auf die Bühne zuschritt. Jedes menschliche Gesicht, das ich sah, war entzückt, wie blind der Bühne zugewandt, voller Erwartung. Der Vampir war groß. Er hatte hohe Wangenknochen, ein perfektes Gesicht, wie gemeißelt. Er war zu maskulin, um schön zu sein, und zu perfekt, um echt zu sein.
Er schlenderte durch die Zuschauer in einem Bilderbuchvampiraufzug, schwarzer Smoking, weiße Handschuhe. Einen Tisch von uns entfernt blieb er stehen, um mich anzusehen. Das Publikum hielt er mit seinem Geist in der Hand, wo es hilflos wartete. Aber ich saß da und schaute ihn unentwegt an, nur nicht in seine Augen.
Sein Körper versteifte sich vor Verblüffung. Es gibt nichts Besseres, um den Kampfgeist einer Frau zu stärken, als einen hundert Jahre alten Vampir aus der Ruhe zu bringen.
Ich sah an ihm vorbei zu Jean-Claude. Er starrte mich an. Ich prostete ihm zu, und er antwortete mit einem Nicken.
Der große Vampir stellte sich neben Philip. Philips Augen waren so leer wie die der Zuschauer. Der Zauber, oder was es sonst war, verflog. Mit einem Gedanken weckte der Vampir das Publikum, und alle keuchten. Magie.
Jean-Claude sprach in die plötzliche Stille hinein. »Das ist Robert. Heißen Sie ihn auf unserer Bühne willkommen.«
Die Menge tobte und schrie. Auch Catherine klatschte mit ihnen. Augenscheinlich war sie beeindruckt.
Die Musik wechselte wieder, sie hämmerte und pochte durch den Raum, fast schmerzhaft laut. Robert der Vampir begann zu tanzen. Er bewegte sich mit gezügelter Gewalt, ruckte im Takt der Musik. Dann schleuderte er seine weißen Handschuhe in die Zuschauer. Einer landete vor meinen Füßen. Ich ließ ihn liegen.
Monica sagte: »Heb ihn auf.«
Ich schüttelte den Kopf.
Von einem anderen Tisch lehnte sich eine Frau herüber. Ihr Atem roch nach Whiskey. »Sie wollen ihn nicht?«
Ich schüttelte den Kopf.
Sie stand auf, wahrscheinlich, um sich den Handschuh zu holen. Monica kam ihr zuvor. Die Frau setzte sich wieder, sie sah nicht glücklich aus.
Der Vampir hatte abgelegt, er zeigte eine glatte Brustfläche. Er ließ sich auf die Bühne fallen und machte Liegestütze auf den Fingerspitzen. Die Leute rasten. Ich war nicht weiter beeindruckt. Ich wusste, dass er ein Auto zusammendrücken konnte, wenn er es wollte. Was sind ein paar Liegestütze im Vergleich dazu?