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Joanne Rock, Cat Schield, Kristi Gold

COLLECTION BACCARA BAND 386

IMPRESSUM

COLLECTION BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA
Band 386 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2016 by Joanne Rock
Originaltitel: „Secret Baby Scandal“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein

© 2017 by Catherine Schield
Originaltitel: „Little Secret, Red Hot Scandal“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Monica S. Westing

© 2017 by Kristi Goldberg
Originaltitel: „An Heir for the Texan“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Friederike Debachy

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733724160

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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JOANNE ROCK

Zwischen Sünde und Skandal

Für Profisportler Jean-Pierre Reynaud dreht sich alles ums Gewinnen. Was er da überhaupt nicht braucht, ist eine freche Bemerkung über sein nächstes Spiel – von Tatiana, der attraktiven Tochter seines Trainers! Rache ist süß: Er verlangt, dass sie seine Geliebte spielt. Niemand weiß, dass sie das vor genau einem Jahr tatsächlich war, für eine heiße Nacht …

CAT SCHIELD

Rockstars lieben besser

Rockstar Nate Tucker spielt jeden Lovesong nur für Mia. Sie ist so süß und einfühlsam, ganz anders als ihre eingebildete Zwillingsschwester, die Pop-Prinzessin Ivy. Als er mit Mia eine wunderschöne Liebesnacht verbringt, ist ein Für immer zum Greifen nah. Aber dann dämmert der Morgen, und Nate hört ungläubig, was Mia ihm zu sagen hat …

KRISTI GOLD

Wiedersehen mit dem Texaner

Aus einer tröstenden Berührung wird ein sanfter Kuss, daraus eine sinnliche Umarmung: Dabei weiß Austin genau, dass es für ihn und Georgie kein Happy End geben kann, denn ihre Familien sind verfeindet. Doch sein Begehren nach ihr ist auch nicht verflogen, als er sie nach sechs Jahren wiedersieht. Im Gegenteil. Es ist noch stärker – und hoffnungsloser?

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Zwischen Sünde und Skandal

1. KAPITEL

„Gut gespielt, Reynaud.“ Der Sportreporter, der über das gerade beendete Spiel der New York Gladiators berichtet hatte, wartete mit einem Mikrofon in der Hand, als der Starting-Quarterback der Mannschaft, Jean-Pierre Reynaud, den Presseraum im Coliseum Sports Complex betrat.

Jean-Pierre war auf die Fragen des Journalisten nach seinem dritten gewonnenen Heimspiel vorbereitet. Vor dem voll verglasten Presseraum wartete eine Unmenge von Fans im Coliseum’s Coaches Club. Hier konnten sie die Pressekonferenz miterleben und entspannt einen Drink an der Bar nehmen, bis sich der Verkehr nach dem Sonntagsspiel gelegt hatte.

Nachdem er mit der rechten Hand, mit der er eben noch den siegbringenden Pass geworfen hatte, ein kleines Mikrofon an seine Jacke geklippt hatte, winkte Jean-Pierre der Menge kurz zu. Er würde das Interview geben und in weniger als dreißig Minuten von hier verschwunden sein. Früh genug, um heute Abend noch in einem Privatflieger nach New Orleans zu fliegen. Zum einen musste er sich um eine Familienangelegenheit kümmern.

Und zum anderen? Er plante, unbemerkt das Team seines Bruders, die New Orleans Hurricanes, auszukundschaften, bevor es zum vielfach angekündigten Bruder-gegen-Bruder-Showdown in der zwölften Woche der regulären Spielzeit kam. Das Team gehörte Gervais, dem ältesten der vier Reynaud-Brüder. Der zweitälteste, Dempsey, trainierte die Hurricanes. Und Henri Reynaud, der Bayou-Bomber, wie seine Fans ihn nannten, war der Quarterback des Vereins.

Als das jüngste Mitglied von Louisianas reichster Familie und Miteigentümer des Schifffahrtunternehmens hatte Jean-Pierre die Leidenschaft für das Spiel von seinem Vater und Großvater geerbt, genau wie seine Brüder. Aber er war der Spieler, den die Presse in New Orleans gern „den Verräter von Louisiana“ nannte, weil er es gewagt hatte, eine Karriere außerhalb seines Heimat-Bundesstaates zu starten – und außerhalb des Einflussbereichs seiner Familie.

Bisher hatte es kein NFL-Club geschafft, die Position des Starting-Quarterbacks zwischen zwei Spielern aufzuteilen. Und Jean-Pierre war nicht der Typ, der im Schatten seines Bruders spielte. Also war es ihm egal, was die Sportkritiker dazu sagten.

Als die Gladiators ihm ein Angebot machten, hatte er es freudig angenommen – natürlich erst, nachdem er sich von dem Schock erholt hatte. Der Cheftrainer der Gladiators, Jack Doucet, war ein Feind der Reynauds, nachdem es zum Krach zwischen den Familien im Zusammenhang mit Football gekommen war. Jack war damals stellvertretender Trainer im Texas Team gewesen, das Jean-Pierres Großvater gehört hatte. Die Trennung war nicht nur bitter gewesen, sie hatte auch Jean-Pierres kurze Schulromanze mit Jacks Tochter beendet, als sie nach New York zogen.

Deshalb … ja, es war eine Überraschung gewesen, als Jacks Team Jean-Pierre einen Vertrag bei den Gladiators anbot.

„Sind Sie bereit?“, fragte ein Reporter von einem New Yorker Radiosender, während sich die Zahl der Journalisten um ihn herum vervielfachte.

Jean-Pierre nickte. Er strich sich das noch feuchte Haar aus der Stirn und rückte seine Krawatte zurecht.

Um ihn herum wurde es still. Die Türen waren gesichert worden. Während er darauf wartete, dass die ersten Fragen in seine Richtung abgefeuert wurden, schaute er an den Journalisten vorbei zu den Fans im Coaches Club. Auf riesigen Fernsehbildschirmen, die normalerweise das Spiel übertrugen, wurde jetzt das Geschehen im Presseraum gezeigt. Jean-Pierres Blick wanderte zum Teambesitzer, der an einem Ende der Bar vor einer Handvoll weniger bekannter Promis Hof hielt.

Und gerade als er sich am meisten konzentrieren musste, da sah er sie.

Die Tochter des Cheftrainers, Tatiana Doucet.

Sexy. Und absolut tabu.

Ihr spontaner One-Night-Stand im letzten Jahr hatte jede Chance zunichtegemacht, die frühere Freundschaft zu erneuern. Aber verdammt, er musste sie nur ansehen, und sein Körper stand in Flammen.

Groß und schlank und in einem Kleid, das endlos lange Beine zeigte. Um den Kopf hatte sie einen seidenen Schal wie ein Haarband gewickelt, vermutlich, um die dunkle, lockige Mähne zu bändigen, die ihr bis auf die Schultern fiel. Eine Mähne, in die er seine Hände getaucht hatte, als er den besten Sex seines Lebens hatte. Sie stand im hinteren Teil des Raumes, in der Nähe des Ausgangs, als wollte sie sich die Möglichkeit offenhalten, flüchten zu können, sobald sie ihn sah.

Er verstand dieses Gefühl nur zu gut.

Der Druck auf seine Brust allein bei ihrem Anblick war so stark, dass er die erste Frage verpasste. Wie lange war es her, dass sie sich bei einem Spiel der Gladiators gezeigt hatte?

In dieser Saison noch nicht. Seit jener unbesonnenen Nacht, als sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib gerissen hatten, hatte Jean-Pierre sie nicht mehr gesehen.

Jean-Pierre ignorierte, dass sich seine Lungen beim Anblick der Frau, die ihm einst so wichtig gewesen war, unangenehm mit Luft füllten – einer Frau, die ihre Seele gegen ihren Job als Strafverteidigerin eintauschte. Stattdessen konzentrierte er sich auf den Mann, der das Mikrofon hielt.

„Könnten Sie die Frage bitte wiederholen?“ Er hakte den Absatz seines Schuhs auf die Metallstrebe des Stuhls und versuchte, sich zu entspannen und das Interview locker über sich ergehen zu lassen, auch wenn sein Puls wie verrückt hämmerte und seine Körpertemperatur angestiegen war.

Ein leises Lachen seitens der Journalisten sagte Jean-Pierre, dass er etwas verpasst hatte. Die Presseleute drängten sich um ihn, Handmikrofone kamen näher, das Schwenkmikrofon über ihm senkte sich herab. Die plötzliche Spannung im Raum war greifbar.

„Ohne Zweifel ist es eine Frage, die überraschend kommt.“ Der Reporter von Gladiators TV, eine beliebte App für Smartphone-Nutzer, grinste ihn an. „Doch ich muss Sie fragen, was Sie von Tatiana Doucets Bemerkung halten, dass sie nicht gegen den Bayou-Bomber wetten würde, wenn Sie in Woche zwölf gegen das Team Ihres Bruders antreten?“

Das hatte Tatiana gesagt? Das implizierte, dass sie gegen die Gladiators wetten würde, gegen das Team, das ihr Vater trainierte? Oder, noch präziser, sie würde gegen Jean-Pierre wetten.

Ihr Vater würde ausrasten, wenn er das hörte. Nicht nur, weil jemand aus seiner Familie überhaupt auf ein Spiel wettete, was in seiner Familie strikt verboten war. Jack Doucet würde auch toben, weil seine eigene Tochter einen Medienhype zugunsten des Gegners generierte.

Jean-Pierre sah nicht in Richtung Trainer, um dessen Reaktion live mitzuerleben. Er gab schon zu lange Interviews, als dass er sich zweimal hintereinander dabei erwischen lassen würde, unaufmerksam zu sein. Er würde sich von der Presse nicht wegen einer gedankenlosen Bemerkung vorführen lassen, die Tatiana ohne Rücksicht darauf von sich gegeben hatte, wer sie hören könnte. Nein, verdammt. Stattdessen sagte er das Erstbeste, das ihm zur Schadensbegrenzung einfiel.

„Ich vermute, dass Miss Doucet mit ihrer Bemerkung den Gladiators Dampf machen will, damit wir alles geben.“ Er grinste sorglos, auch wenn er sich fühlte, als hätte sie ihm die Zähne ausgeschlagen.

Zehn Journalisten stellten ihre Fragen gleichzeitig, und das Stimmengewirr machte es schwer, etwas zu verstehen. Sie ließen schließlich dem Reporter von der New York Post den Vortritt, einem streitsüchtigen älteren Mann, der alle Journalisten vergraulte, die nicht bereits seit dem Zeitalter der Schreibmaschine ihren Job machten.

„Kommen Sie, Reynaud“, knurrte er mit mürrischem Gesichtsausdruck, während er sich handschriftliche Notizen machte. „Das klang nicht, als hätte sie es scherzhaft gemeint. Wenn nicht einmal die Tochter des Trainers an Sie glaubt …“

„He. Es reicht.“ Jean-Pierre schnitt dem Mann das Wort ab. „Tatiana und ich sind zusammen zur Schule gegangen. Ich kenne sie sehr gut und weiß, dass sie gescherzt hat.“ Er spürte die Unsicherheit im Raum. Solche Bemerkungen gehörten zu den Dingen, die Spiele überschatteten. Spieler. Eine ganze verdammte Spielzeit. Er würde nicht zulassen, dass eine oberflächliche Bemerkung den Gladiators das Rampenlicht stahl.

Deshalb log er.

„Tatsächlich ist es so“, fuhr er fort, „dass Tatiana während der spielfreien Woche als Special Guest meiner Familie mit mir nach New Orleans kommen wird. Sie kann es kaum erwarten, mal wieder dort zu sein.“

Er blickte durch die Scheibe dahin, wo sie eben noch gestanden hatte, doch sie war verschwunden. Ohne Zweifel hatte sie weitere Fragen der Journalisten nicht beantworten wollen. Oder die ihres Vaters.

Oder wollte sie ihn nicht sehen? Das ärgerte ihn mehr, als es sollte. Doch er konnte nicht leugnen, dass er sie vermisste.

Tatiana hatte zwei Jahre an einer Privatschule verbracht, die eine halbe Stunde vom Anwesen der Reynauds entfernt lag. Infolgedessen war sie häufig bei ihm zu Hause am Lake Pontchartrain gewesen, als sie jünger waren.

Das Schweigen, das Jean-Pierres Ankündigung folgte, wäre zum Lachen gewesen, wenn er nicht die Zeit gebraucht hätte, sich für die nächste Runde Fragen zu wappnen, die nichts mit dem gerade beendeten Spiel zu tun hatten.

„Ein Gast der Familie? Oder Ihr Gast?“

„Ärgert es Sie, dass sie Ihren alten Teamkameraden letzten Winter wegen sexueller Belästigung angeklagt hat?“

„Ist sie zur Hochzeit Ihres Bruders eingeladen?“

Die Journalisten bombardierten ihn mit Fragen, doch dieses Mal konnte Jean-Pierre sich aussuchen, welche er beantwortete. Er hatte nicht die Absicht, über die Wochen zu sprechen, die Tatiana und er auf gegenüberliegenden Seiten in einem Gerichtssaal gesessen hatten, während sie als Strafverteidigerin ihr ganzes Talent einsetzte, einen Prozess gegen seinen alten Freund zu gewinnen. Und was die Hochzeit betraf, Gervais plante, seine Prinzessin während der spielfreien Woche in New Orleans zu heiraten – die Woche, in der weder die Gladiators noch die Hurricanes spielten. Aber da Gervais und seine Verlobte alles darangesetzt hatten, die Details geheim zu halten, würde auch diese Frage unbeantwortet bleiben. Er hatte jedoch nichts dagegen, dass die Presse vermutete, Tatiana wäre bei dieser Feier sein Gast.

Das bedeutete, dass er dafür sorgen musste, dass sie ihn wirklich zu der Hochzeit begleitete. Das Interesse der Medien an ihnen würde nicht nachlassen.

Sie kannte sich in der Sportwelt gut genug aus, um zu wissen, dass ein Kommentar wie der ihrige nicht einfach stehen bleiben konnte. Sie würde helfen müssen, das Feuer zu löschen, das sie entzündet hatte. Nur Gott allein wusste, warum sie es getan hatte, denn eigentlich war sie im Privatleben genauso umsichtig wie im Gerichtssaal.

„Haben Sie noch irgendwelche Fragen zum Spiel?“, fragte Jean-Pierre.

Sein Blick wanderte zum Coaches Club, und er bemerkte, dass beide, Jack und seine Tochter, verschwunden waren. Vermutlich machte er Tatiana gerade die Hölle heiß. Ihr alter Herr hatte den Sport immer über seine Familie gestellt. Es war okay, für ihn zu spielen, doch ein guter Vater war er nicht.

Jean-Pierre beantwortete noch ein paar Fragen zum Spiel, dann sprang er auf und übergab das Mikrofon dem nächsten Spieler. Tevon Alvarez, Pro-Bowl Star der Gladiators.

„Du hast es wieder geschafft, unter Druck Haltung zu bewahren“, murmelte Tevon in Jean-Pierres Ohr, als er ihm auf die Schulter schlug. „Ich bewundere es, wie du mit der Journaille umgehst.“

„Ich bin daran gewöhnt, jede Woche den gemeinsten Angriffen in der NFL zu begegnen“, erwiderte er. „Diese Pressetypen sind bei Weitem nicht so Furcht einflößend.“

Jean-Pierre trat in den privaten Tunnel, der zur Lounge der Spieler führte, kehrte auf halbem Weg aber um zum Coaches Club. Er würde durch den Privateingang eintreten, dort, wo die Administration der Gladiators ihre Büroräume hatte.

Auf keinen Fall würde er das Stadion verlassen, ohne mit Tatiana gesprochen zu haben. Sie mochte ihm seit dem letzten Winter erfolgreich aus dem Weg gegangen sein, doch mit ihrer heutigen Bemerkung zur Presse hatte sie sich zurück in seine Welt katapultiert. Jetzt würde sie dort bleiben müssen, egal, wie lange es dauerte, bis dieser neue Skandal wieder vergessen war.

Im Berufsleben war Tatiana Doucet oft für ihren kühlen Kopf gelobt worden und die Fähigkeit, ihre Gedanken zu ordnen und eine vernünftige, intelligente Diskussion zu führen. Deshalb war es unfair, dass sie ausgerechnet an dem Tag, an dem sie die wichtigste und privateste Ankündigung ihres Lebens machen musste, dummes Zeug redete. Und dazu noch vor einem Journalisten. In aller Öffentlichkeit.

Tatiana wischte sich mit einer Cocktailserviette über die Stirn. Was hatte sie sich dabei gedacht, an der Eiscremebar solch eine impulsive Bemerkung einem Fremden gegenüber zu machen? Sie hatte das Presseschild des Reporters nicht gesehen – er musste es abgenommen haben. Sein Aufnahmegerät hatte er ganz offensichtlich aber nicht abgeschaltet. Im Nachhinein war ihr klar, dass der Mann sie geködert hatte, eine Bemerkung über das bevorstehende Spiel der Hurricanes zu machen.

Und sie hatte ihm direkt in die Hände gespielt, weil sie wegen Jean-Pierre nervös gewesen war. Unbeabsichtigt hatte sie einen markigen Spruch von sich gegeben, über den die Sportwelt wochenlang reden würde. Ihr Vater würde ihr an die Kehle gehen, sobald er sie fand. Bis jetzt hatte sie ihm entkommen können. Die unterirdischen Gänge des Coliseum waren eng und hallten, was es leicht machte, einem Trainer, der wie ein wütender Bulle tobte, einen Schritt voraus zu bleiben.

Die Konfrontation mit ihrem Vater konnte sie aufschieben, doch die Unterhaltung mit einem anderen Mann, der jeden Grund haben würde, wütend auf sie zu sein, konnte nicht warten.

Mit dem Starting-Quarterback der Gladiators, Jean-Pierre Reynaud.

Sie war nicht lange genug im Coaches Club geblieben, um die Antwort zu hören, die Jean-Pierre dem Reporter gab. Sie hatte sich auf dem Absatz umgedreht und aus dem Staub gemacht. Doch irgendwie musste sie Jean-Pierre finden, bevor sie heute Abend abreiste. Was sie zu sagen hatte, war nur für seine Ohren bestimmt.

Sie hatte sich zu Recht nach der einzigen Nacht, die sie jemals gemeinsam verbracht hatten, von ihm ferngehalten, da ihre Trennung genauso leidenschaftlich wie der Sex gewesen war, wenn auch nicht so erfüllend. Als sie sich ein paar Jahre nach ihrer – dank ihrer Eltern – gescheiterten Romanze wiedertrafen, standen sie auf entgegengesetzten Seiten in einem Prozess wegen sexueller Belästigung, den sie vor einem Jahr gegen Jean-Pierres früheren Teamkameraden geführt hatte. Jean-Pierre war fast täglich im Gericht gewesen, bis sie den Fall gewonnen hatte. Sie hatte sich über den Sieg gefreut, bis ein zorniger Jean-Pierre sie damit konfrontierte, dass sie den Ruf eines unschuldigen Mannes ruiniert hatte.

Selbst jetzt konnte sie noch nicht verstehen, wie aus dem Streit die leidenschaftlichste Begegnung geworden war, die sie je erlebt hatte. Was sie jedoch genau verstanden hatte, waren seine eisigen Worte am nächsten Morgen.

Dieser Fehler wird sich nicht wiederholen.

Sie hatte ihm Frühstück zubereitet und gehofft … ja, was? Dass sie die Chance auf gegenseitiges Verständnis hatten, obwohl ihre romantische Vorgeschichte gezeigt hatte, dass sie nicht zusammenpassten? Stolz und Scham angesichts ihrer Dummheit hatten sie monatelang schweigen lassen. Aber heute Abend musste sie über den alten Verletzungen stehen und ihm ein letztes Mal gegenübertreten.

Je schneller sie es hinter sich brachte, desto besser, denn sie musste nach Hause. Tatiana überlegte, wo sie Jean-Pierre finden könnte. Ganz sicher nicht im Coaches Club. Vielleicht sollte sie die Security vor der Spielerlounge nach Jean-Pierres Verbleib fragen. Oder sollte sie sich besser auf die Suche nach seinem Wagen in der Tiefgarage machen? Dann würde sie ihn auf keinen Fall verpassen.

Sie lief den Weg zurück, den sie gekommen war, schoss um eine Ecke und stieß fast mit dem Gesuchten zusammen.

„Oh!“ Mit einem überraschten Aufschrei griff sie nach seinem Arm.

„Pst“, warnte Jean-Pierre, zog sie an sich und legte den Finger an ihre Lippen. „Dahinten im Gang lauert ein Kamerateam.“ Er deutete in Richtung Rampe, die rechts vor ihm lag.

Tatiana verkrampfte bei seiner Berührung. Seinem Duft. Seiner Männlichkeit. Sie war ihm so lange aus dem Weg gegangen, doch aller Logik zum Trotz − er ließ sie nicht kalt. Mit seinen ein Meter neunzig war er so groß, dass er zu ihr herabblicken musste. In seinen Augen funkelten grüne und goldene Pünktchen. Zu Schulzeiten hatte sie sich schwer in ihn verliebt, eine junge Liebe, die an der Feindschaft zwischen den Familien zerbrochen war. Das Leben war weitergegangen, natürlich. Und die zweitausend Meilen, die sie voneinander trennten, erwiesen sich als ein ebenso effektives Abschreckungsmittel wie der öffentlich ausgetragene Kleinkrieg. Doch als er zu den Gladiators wechselte und sie ihn gelegentlich auf Partys traf, fühlte sie sich zu ihm hingezogen wie eh und je. Diese Anziehungskraft beruhte aber offensichtlich nicht auf Gegenseitigkeit, seinen kalten Worten nach dem Prozess nach zu urteilen.

Sie nickte nur, wusste, dass sie auf jeden Fall der Presse aus dem Weg gehen mussten. Auf keinen Fall durften die Journalisten hören, was sie Jean-Pierre zu sagen hatte.

Er sah sie finster an, bewegte sich nicht.

„Was ist?“

„Wir könnten uns von ihnen finden lassen“, schlug er vor und ließ seinen Blick über sie wandern, während er den Gedanken abzuwägen schien. „Sie könnten uns dabei fotografieren, wie wir uns küssen.“

Der Gedanke an einen Kuss sollte nicht wie ein Blitz bei ihr einschlagen. Vor allem nicht, da Jean-Pierre über diese Idee eher leidenschaftslos nachdachte.

„Spinnst du?“ Ihre Stimme schnellte eine Oktave höher, als sie nach seinem Ärmel griff und ihn in die andere Richtung zog.

Er bewegte sich nicht vom Fleck.

„Es würde den Spekulationen ein Ende setzen, dass wir verfeindet sind“, überlegte er laut. Sie sahen sich einen Moment schweigend an, bis sie Schritte am anderen Ende des Gangs hörte.

„Wir sind Feinde“, erinnerte sie ihn und zog noch fester an seinem Arm. „Nur weil du und mein Vater den Riss so weit gekittet habt, dass du in New York spielen kannst, bedeutet es nicht, dass die Reynauds und die Doucets plötzlich Freunde sind. Als dein Großvater meinen Vater feuerte, kam das einer Kriegserklärung gleich.“

Ihr Vater war mit der ganzen Familie von New Orleans nach New York gezogen, hatte sie aus der Schule genommen und verlangt, dass sie ihre Beziehung mit Jean-Pierre beendete. Mit ihren damals siebzehn Jahren hatte Tatiana sich dem Willen der Eltern gebeugt … und Jean-Pierre hatte der Vergangenheit angehört. Bis zu dem Tag, als er sich ihr nach der Urteilsverkündung näherte und ihre alten Gefühle eine leidenschaftliche Nacht lang außer Kontrolle geraten waren.

„Denkst du, das weiß ich nicht?“ Er lief neben ihr her, wobei er sie tiefer in die nicht öffentlichen Bereiche des Stadions führte. „Ich würde uns Opfer dieses Krieges nennen, nicht Feinde. Aber egal wie, es wäre mir lieber gewesen, diese Feindseligkeiten wären vor der Presse nicht erwähnt worden.“

Er nickte einer der Wachen vor den Umkleidekabinen zu, als sie den gesicherten Bereich passierten.

„Das ist mir klar.“ Ihr Herz raste, auch wenn sie sich mahnte, einen kühlen Kopf zu behalten. Und seine Hand an ihrer Taille zu ignorieren, als er sie durch die schwere Eisentür zur Tiefgarage schob. „Ich habe keine Übung mehr im Umgang mit der Presse, sonst wäre ich bei einem Fremden nie so gedankenlos gewesen. Es war dumm von mir. Tut mir leid.“

Er nickte nur.

„Mein Wagen steht dort drüben.“ Er drückte die Funkfernbedienung an seinem Schlüsselbund, und die Lichter eines grauen Aston Martin blitzten zweimal auf. „Ich kann dich nach Haus fahren, und unterwegs … reden wir.“

„Danke.“ Die Zeit, es ihm zu sagen, lief ab. „Ich bin mit dem Taxi zum Spiel gekommen lassen, deshalb wäre es nett, wenn ich mit dir fahren könnte.“

Sie hatte ihre Ankunft so gelegt, dass sie erst wenige Minuten vor Spielschluss im Stadion eintraf. Sie hoffte, ihrem Vater nicht zu begegnen, und wollte so wenig Zeit wie möglich außer Haus verbringen.

Jean-Pierre hielt ihr die Tür zu seinem Sportwagen auf. Sie ließ sich auf den bequemen Ledersitz fallen. Kaum saß auch er, fuhr er schon los. Der Verkehr ums Stadion herum hatte sich gelegt, und sie erreichten schnell den Highway. Bei dieser Geschwindigkeit würden sie in zehn Minuten vor ihrer Haustür stehen. Ihr wurde flau im Magen, als ihr bewusst wurde, wie wenig Zeit ihr blieb, ihre kühle, ruhige Ansage zu machen.

„Du hast meine Antworten in dem Interview nicht gehört, oder?“, riss Jean-Pierre sie plötzlich aus ihren Gedanken.

„Nein. Ich habe den Coaches Club in der Sekunde verlassen, als ich das Gesicht des Reporters auf dem großen Monitor über der Bar erkannte. Ich wusste, dass er dich damit, was ich ihm gerade gesagt hatte, in die Enge treiben würde. Deshalb bin ich gegangen, bevor mein Vater ausrasten und mich vor fünftausend Fans fertigmachen konnte.“

„Ich habe der Presse gesagt, dass es ein Scherz war.“ Er sah sie an, als sie sich der Ampel vor dem Lincoln Tunnel näherten.

„Natürlich war es ein Scherz. Ich dachte, ich spreche mit einem Gladiator Fan, und habe herumgealbert.“ Sie wusste aus Erfahrung, dass sie das Ego des Mannes nicht streicheln musste, aber ebenso wenig gefiel ihr der Gedanke, dass er glauben könnte, sie hätte es ernst gemeint. „Du und Henri, ihr spielt beide extrem gut. Bei zehn Spielen würde ich jedem von euch fünf Punkte geben.“

„Sehr großzügig von dir.“ Er schaltete runter, als die Autos vor ihm bremsten. „Zurück zu dem Interview. Ich habe nicht nur gesagt, dass du scherzt, sondern auch, dass du in der spielfreien Woche mein Gast bist und dass du es nicht abwarten kannst, mal wieder nach Louisiana zu kommen.“

Er sagte das so tonlos, dass sie hoffte, sich verhört zu haben. Das konnte er nicht gesagt haben. Er mochte sie nicht einmal mehr. Das hatte er ihr deutlich zu verstehen gegeben, als er das letzte Mal ihr Haus verließ.

„Nein. Das hast du nicht getan.“

„Oh doch, das habe ich. Was hätte ich denn sonst sagen soll, Tatiana?“ Er nahm eine Hand vom Lenkrad und lockerte die Finger.

Oh Gott, wie hatte er in die ganze Welt hinausposaunen können, dass sie eine Woche zusammen verbringen würden?

„Es ist nur …“ Sie schluckte hart und versuchte, die Anwältin in sich zu befragen und einen vernünftigen Grund vorzubringen. Doch alle Gründe, die ihr in den Sinn kamen, waren Dynamit für ein Gespräch. „Es geht nicht“, sagte sie schließlich lahm.

„Oh doch, und wir werden eine super Show abziehen, denn deine Bemerkung könnte einen Medienaufruhr verursachen, der den Fokus vom Team nimmt. Und das kann ich mir im Moment nicht leisten.“ Er lockerte seine Krawatte. So unrasiert, wie er war, und in diesem sexy Wagen sah er für die ganze Welt wie ein Playboy mit ausschweifendem Lebenswandel aus.

Doch Äußerlichkeiten täuschten. Der Mann führte weder ein ausschweifendes Leben, noch war er ein Playboy. Jean-Pierre Reynaud war einer der ernsthaftesten und am härtesten arbeitenden Männer, die sie je kennengelernt hatte. Und er verfolgte gnadenlos seine Ziele. Deshalb verstand sie sofort, dass er nicht nachgeben würde, was die Show für die Presse betraf.

„Du verstehst nicht …“, begann sie, wurde aber sofort von ihm unterbrochen.

„Du bist diejenige, die nicht versteht.“ Er verließ den Highway, und sie wünschte, sie könnte die Uhr zurückdrehen und für einen anderen Ausgang des Abends sorgen. Damit sie mehr Zeit hatte. Sie sah sein energisches Kinn, die angespannten Schultern. „Ich hatte keine Zeit, den Plan mit dir abzusprechen. Du hast mich vor meinem Team, der Liga, der Presse und den Fans in Verlegenheit gebracht. Ich stand unter Zugzwang.“

„Du hast recht. Den Teil verstehe ich.“ Ihre Brüste schmerzten. Sie musste unbedingt nach Hause.

„Ausgezeichnet. Du bist auch bereits zur Hochzeit meines Bruders eingeladen.“ Er breitete weiter seinen Plan vor ihr aus, der niemals Wirklichkeit werden würde. „Wir nehmen zusammen an der Zeremonie teil, und dann bleibst du bis nach dem Spiel der Gladiators gegen die Hurricanes in der darauffolgenden Woche in New Orleans. Ich werde zum Training pendeln, aber wir werden oft genug zusammen sein, um fotografiert zu werden. So können wir den alten Gerüchten um unsere Familie und um uns entgegenwirken.“

Nur ein Reynaud konnte ernsthaft über ein „Pendeln“ zwischen New York und New Orleans nachdenken. Sie hätte gelacht, wenn sie nicht so bestürzt, ja fast panisch wäre. Aber sie hatte gelernt, mit unerwarteten Konsequenzen umzugehen. Jetzt würde Jean-Pierre es auch lernen müssen.

„Schön.“ Es war besser, zuzustimmen, als Energie in einen unnötigen Streit zu verschwenden. Sie wusste bereits jetzt, dass sich seine Pläne in Luft auflösen würden. „Du wirst mich vielleicht nicht mehr in New Orleans haben wollen, wenn du erst einmal gehört hast, was ich zu sagen habe.“ Sie biss die Zähne zusammen, als sie sich ihrer Wohnung am Central Park West näherte. Der Schmerz in ihrer Brust wurde stärker. „Kommst du mit rein, damit wir unser Gespräch fortführen können?“

„Natürlich. Wir müssen einiges planen.“

Im Fahrstuhl wurde ihr bewusst, dass sie ihre wichtige Ankündigung so lange hinausgezögert hatte, bis gleich keine Worte mehr nötig waren. Sie war nicht stolz darauf. Aber sie war müde und fühlte sich unwohl. Und trug er nicht zur Hälfte die Schuld an dieser unmöglichen Situation?

„Ja, wir müssen viele Dinge planen.“ Sie drehte sich zu ihm um, sprach schnell. „Aber anders, als du denkst.“

„Ich verstehe nicht.“

„Erinnerst du dich an die Nacht im vergangenen Winter?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab, als sie ein Wimmern aus ihrer Wohnung hörte. „Ich hätte es dir früher sagen sollen, aber du bist am nächsten Morgen mit den Worten gegangen, dass es ein Fehler war. Und dann, nun …“ Sie schüttelte den Kopf, ungeduldig mit sich und den Entschuldigungen, die jetzt keine Rolle spielten, wo ihr Baby auf der anderen Seite der Tür quengelte. „Komm rein und lern deinen Sohn kennen, Jean-Pierre.“

2. KAPITEL

Seinen Sohn?

Ihre Worte und das Geschrei des Babys drangen langsam in sein Bewusstsein. Benommen, verwirrt und mit einem Gefühl, als würde der Boden unter seinen Füßen schwanken, stand Jean-Pierre im Foyer und wartete darauf, dass sie zurückkehrte, wohin auch immer sie verschwunden war.

„Mr Reynaud?“ Eine ältere Frau in einem schlichten grauen Kleid trat zu ihm. „Miss Doucet bittet Sie, ins Wohnzimmer zu kommen. Es ist am Treppenhaus vorbei links.“

Ihre Worte rissen ihn aus der Lethargie, und seine Füße fingen an, sich zu bewegen.

Schnell.

Er brauchte Antworten. Tatiana hatte mit ihrer unbedachten Äußerung heute Abend nicht nur seine Karriere ins Trudeln gebracht. Sie hatte das größte Geheimnis, das sie für immer aneinanderbinden würde, für sich behalten.

„Tatiana?“ Ihr Name kam scharf über seine Lippen, als er den geräumigen Wohnbereich mit Blick auf den Central Park betrat.

An der Wand hingen gerahmte Fotos von Tatiana und ihrer Familie. Tatiana mit ihrem Vater bei ihrer Examensfeier. Die Doucets vor einem Wolkenkratzer im Zentrum der Stadt, an der Tür das glänzende Messingschild mit dem Namen ihrer renommierten Anwaltskanzlei. Jedes Foto erinnerte an ein Leben, das er mit ihr hätte haben können, wenn ihre Familie sie nicht gezwungen hätte, sich von ihm abzuwenden.

Ein Feuer brannte im Kamin. Und daneben, in dem warmen, flackernden Licht, entdeckte er sie auf einem dunklen Ledersofa mit einem kleinen, in eine Decke eingewickelten Wesen an ihrer entblößten Brust.

Ihrem Baby.

Seinem … Sohn.

Seine ganze Welt war plötzlich auf den Kopf gestellt.

„Tut mir leid“, sagte sie leise. Zärtlich berührte sie den kleinen Fuß, der sich freigestrampelt hatte. „Ich habe New York verlassen, als ich im sechsten Monat war, damit es niemand herausfand. Ich wollte, dass du es als Erster erfährst.“

Er trat weiter in den Raum, wie magisch angezogen von dem Anblick der Frau und des Kindes. Er versuchte, sich auf die beiden Menschen zu konzentrieren und was sie für ihn bedeuteten.

„Was ist mit deiner Familie?“ Hatte er etwa in Jack Doucets Team gespielt, und der Kerl hatte diese Neuigkeit vor ihm geheim gehalten? In dem Fall würde die Doucet-Reynaud-Fehde wieder aufleben, denn mit solch einer Verlogenheit könnte Jean-Pierre nicht umgehen. Er setzte sich auf den Sessel ihr gegenüber, mit dem Rücken zum Central Park, den Blick auf das Einzige gerichtet, was zählte. Tatiana musste unbedingt weitersprechen und erklären, warum er von dieser Entwicklung in ihrem Leben nichts erfahren hatte.

„Sie weiß nur, dass ich einen langen Urlaub genommen habe. Ich konnte es ihnen nicht sagen, bevor du es weißt.“

Er verstand das alles nicht. Wer verheimlichte so etwas vor seiner Familie? Jean-Pierre mochte seinen Brüdern nicht mehr so nahestehen wie einst, doch ein derart einschneidendes Ereignis würden sie niemals voreinander verbergen. Er hatte ihr erzählt, wie viel Schmerz eine solche Geheimniskrämerei seiner eigenen Familie bereitet und seinen Halbbruder verletzt hatte. „Ich glaube, das musst du mir genauer erklären.“

„Ich musste so viele Dinge organisieren“, fuhr sie fort. „Ich brauchte eine gute Hebamme. Zuerst habe ich um Beurlaubung gebeten. Doch dann merkte ich, dass ich meine Funktion in der Kanzlei ändern musste, sodass ich Recherchen anstellen und Schriftsätze anfertigen konnte, statt vor Gericht zu gehen.“

„Wohin bist du von New York aus gegangen?“

„In die Karibik. Saint Thomas hat ein gutes Krankenhaus. Das war wichtig für den Fall, dass ich eins brauchte. Ich habe eine Villa am Strand gemietet.“ Ihre Stimmte bebte leicht. „Ich habe versucht, diskret zu sein und die Schwangerschaft vor der Presse und der Familie zu verheimlichen. Ich wollte erst mit dir reden, damit wir überlegen, wie wir die Zukunft regeln. Doch als ich alles vorbereitet hatte und dich anrufen wollte, setzten drei Wochen zu früh die Wehen ein.“

Das nahm ihm den Wind aus den Segeln.

„Ist alles in Ordnung mit ihm? Mit dir?“ Angst breitete sich in Jean-Pierre aus und überlagerte alle anderen Emotionen. Die Frau seines Bruders, Fiona, hatte ein Baby verloren. Er kannte die Gefahr.

„Es ist alles in Ordnung. Eine Geburt in der siebenunddreißigsten Woche ist im Bereich des Normalen. César hat knapp drei Kilo gewogen.“

Die Angst wich einem unerwarteten Gefühl der Zärtlichkeit.

„César“, wiederholte er. Sein Blick fiel auf die Decke und den winzigen Fuß, der hervorlugte.

„Nach deinem Urgroßvater und meinem …“

„Großvater“, unterbrach er, wissend, dass es in beiden Familien einen César gab. Er kannte den Stammbaum der Doucets fast so gut wie seinen eigenen. Er war zu Gast in ihrem Haus gewesen, als er mit Tatiana zusammen war, bevor Jack von seinem Großvater aus dem Team gefeuert wurde.

„Unser Sohn ist fünf Wochen alt. Wir sind gerade vor zwei Tagen von Saint Thomas hierhergekommen. Seine Nanny, Lucinda, ist mit mir gereist. Sie hat heute Abend auf ihn aufgepasst, als ich zu dir wollte.“

Das musste die Frau sein, die er vorhin kennengelernt hatte.

„Darf ich ihn sehen?“ Jean-Pierre wollte das Stillen nicht unterbrechen, doch die schmatzenden Geräusche des Säuglings klangen nicht mehr so gierig wie vorhin, als er gekommen war.

„Natürlich.“ Tatiana bewegte das Bündel in ihrem Arm. Sie hob das Baby hoch und bedeckte ihre Brust. „Da ist ein Tuch.“ Sie deutete mit dem Kopf auf ein weißes Baumwolltuch, das neben ihr auf dem Sofa lag. „Für deine Schulter, wenn du …“

Sie verstummte, als er mit sicherem Griff das Baby nahm. Mindestens die Hälfte der Gladiators hatte Kinder, deshalb war er geübt im Umgang mit ihnen. Aber sein eigenes zu halten …

„Er hat die Augen der Reynauds.“ Braun mit grünen Flecken. Die winzigen Hände waren von den Ärmeln seines Hemdchens verdeckt. Aber die Gesichtsfarbe des Jungen war gut – rosa und gesund. Die dunklen Haare standen ihm zu Berge, wie vom Wind zerzaust.

„Ich war im letzten Jahr nur mit dir zusammen. Mit keinem anderen Mann“, sagte Tatiana leise. Ihre schwarzen Locken streiften Jean-Pierres Schulter, als sie sich vorbeugte, um das Kind anzusehen. „Es ist dein Sohn.“

„Ohne Frage.“ Er vertraute ihr bedingungslos. Ihm mochte nicht gefallen, dass sie ihm die Schwangerschaft verschwiegen hatte – ja, er war unglücklich darüber –, doch er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie nicht so schnell mit einem Mann ins Bett ging.

„Darf ich?“ Sie streckte die Hände nach César aus. „Nur, um ihn zu Ende zu stillen.“

Wortlos reichte er ihr das Baby. Er beobachtete, wie sie die andere Brust entblößte. Ihm war bewusst, dass viele Frauen in solch einem Moment Privatsphäre bevorzugten. Doch er hatte bereits so viel verpasst, dass er erleben wollte, wie sie den winzigen Säugling an die Brust legte und ihm half, die dunkle Spitze zu finden.

„Du bist so …“ Wunderschön, dachte er, sagte jedoch, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen: „… vertraut mit ihm.“

Eine Vertrautheit, um die er sie beneidete, wie er feststellte.

„Ich hatte schon mehr Zeit mit ihm.“ Sie biss sich auf die Lippen, vielleicht ahnte sie, wie sehr ihn die Bemerkung traf. Als sie sich zu ihm drehte, schimmerten Tränen in ihren Augen. „Niemand hat mir gesagt, was für eine emotionale Zeit das ist.“ Sie wischte sich mit der Hand über die Augen „Ich wusste, dass die Schwangerschaftshormone eine Frau emotional werden lassen können, doch nach der Geburt … Du weißt, dass ich nicht der Typ bin, der sich der Presse gegenüber unvorsichtig äußert. Doch heute Abend war ich so nervös, dass ich diese Bemerkung ohne nachzudenken rausposaunt habe.“

So beunruhigend das für Tatiana zu sein schien, es erklärte einiges.

„Das habe ich in der Pubertät durchgemacht. Ich weiß, was die Hormone mit einem machen können.“

Sie kicherte. „Ich habe mit Vernunft gutes Geld verdient. Mit logischem Denken. Es ist, als hätte ich plötzlich eine andere Software in mir.“

Sie deutete auf die Babyutensilien auf dem Tisch – eine halb offene Wickeltasche, deren Inhalt herausquoll, ein Stapel Zeitungen und ein paar zusammengefaltete Tücher. Keine absolute Unordnung, doch für eine Frau, die der Welt gern Perfektion zeigte, grenzte dies vermutlich schon an ein Chaos.

„Vielleicht bekommen Männer deshalb keine Kinder. Damit sie sich ihr logisches Denken bewahren.“

„Ausgerechnet du willst die Stimme der Vernunft sein?“ Sie zog eine Augenbraue hoch, ihre Stimme war sicher und fest.

So kannte er sie.

„Definitiv.“

„Vergiss nicht, dass ich damals in eurem Garten war, als du meintest, es wäre eine gute Idee, aus der zweiten Etage in den Swimmingpool zu springen.“ Ein Lächeln zog über ihr Gesicht, als sie auf das Baby in ihren Armen blickte.

Es nahm ihm fast den Atem. Kein Wunder, dass sie heute Abend so gut ausgesehen hatte. Sie hatte dieses Strahlen einer jungen Mutter.

„Die kleine Verstauchung war ein geringer Preis für den Wahnsinnssalto.“ Er brauchte ihr Lächeln.

Ihr Vertrauen.

Denn seit ihm das Ausmaß des Geheimnisses bewusst geworden war, das sie vor ihm gehabt hatte, schmiedete er Pläne.

„Egal, ich verlasse mich auf meinen eigenen Verstand, auch wenn meine Hormone im Moment verrücktspielen.“

„Na schön. Aber weil du eine vernünftige Frau bist, weiß ich, dass du dem ersten Schritt zustimmen wirst, den ich geplant habe.“

„Wir müssen es unseren Familien sagen.“ Ihre Blicke trafen sich, das Feuer spiegelte sich in ihren Augen wider.

Sie war eine wunderschöne Frau. Eine intelligente, hart arbeitende Frau. Und die Chemie zwischen ihnen stimmte, sonst wäre es gar nicht erst so weit gekommen.

„Das ist der zweite Schritt. Als Erstes müssen wir heiraten.“

Es tat unendlich weh, einen Mann, der ihr mal viel bedeutet hatte, sagen zu hören, dass er zum Schein eine Ehe eingehen wollte. Das bewies ja, dass sie ihm nichts mehr bedeutete.

Tatiana atmete tief durch. Sie konnte sich heute Abend nicht noch mehr Emotionen leisten. Vorsichtig legte sie das Baby über die Schulter, damit es ein Bäuerchen machte. Sie musste für ihren Sohn stark sein, auch wenn Jean-Pierres halbherziger Vorschlag alte Gefühle in ihr weckte. Sie würde diese Gefühle im Keim ersticken.

„Nach unserem letzten Treffen bist du mit den Worten gegangen, dass unser Zusammensein ein Fehler war und dass sich dieser Fehler nicht wiederholen würde.“ Sie sah ihn an. „Reden wir uns doch nicht ein, wir könnten eine Beziehung, die von Feindseligkeit geprägt ist, in eine Ehe führen. Egal, wie abgeklärt wir an die Sache herangehen. Du magst ein hervorragender Stratege auf dem Spielfeld sein, aber César und ich sind keine Figuren, die du nach deinem Willen herumschieben kannst.“

Jean-Pierre zog eine Augenbraue hoch. „Du sagst also Nein zu meinem Vorschlag?“

„Definitiv.“

„Ich werde dich wieder fragen.“

„Und ich werde dich bitten zu gehen, wenn du meine Wünsche nicht respektierst“, entgegnete sie und betete, dass er keine Charmeoffensive startete, denn dann könnte sie schwach werden.

„Na schön. Jedenfalls für den Moment. Denn ich möchte bleiben. Darf ich ihn nehmen?“ Er streckte schon die Arme nach César aus. „Du musst müde sein.“

Sie wollte ablehnen, denn es war tröstlich, den warmen Körper des Babys zu spüren, doch sie war tatsächlich müde. Und sie konnte Jean-Pierre diese Zeit mit César nicht verwehren. Er hatte bereits fünf Wochen im Leben seines Sohnes verpasst.

„Danke.“ Sie glättete das Spucktuch, das er übers Jackett gelegt hatte, wobei sie zu ignorieren versuchte, was für einen attraktiven Anblick dieser Mann bot, während er seinen Sohn – ihr gemeinsames Kind – zärtlich hielt. „Es ist zwar verführerisch, ihn die ganze Zeit auf dem Arm zu halten, aber ich lerne langsam, mir auch etwas Ruhe zu gönnen.“

„Ich wünschte, ich wäre da gewesen, um dich zu unterstützen“, sagte er. „Kindererziehung ist ein Teamsport.“ Er klopfte zweimal auf den Rücken des Babys, und nachdem es ein Bäuerchen gemacht hatte, legte er den Säugling sicher in die Armbeuge. „Deshalb bleibe ich dabei, dass wir heiraten sollten. Es wäre das Beste für unseren Sohn.“

„Ich glaube nicht, dass ein Kind etwas von Eltern hat, die nicht glücklich sind und nur gezwungenermaßen zusammenbleiben. Wir denken besser darüber nach, wie wir uns die Erziehung teilen können.“ Nervös schloss sie ihr Kleid. Welche Frau wollte einen Heiratsantrag über dem Kopf eines Neugeborenen beantworten, die Brüste wund, der Körper erschöpft von der physischen Odyssee einer ersten Schwangerschaft?

Sie wusste, dass es albern war, sich jetzt darüber Gedanken zu machen, aber sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sie im Moment aussah. Und ja, sie wünschte, sie hätte Jean-Pierre in einem ihrer schicken Stella-McCartney-Kleider treffen können, aber sie passte noch nicht wieder hinein.

„Ich glaube nicht, dass dein Vater viel davon hält, dass sein Enkel in zwei Haushalten aufwächst.“ Er wickelte die Decke um das Füßchen des Kindes.

„Mein Vater hat sich mehr um seine Spieler als um seine eigene Tochter gekümmert, deshalb nehme ich zu dem Thema keinen Rat von Jack Doucet an.“ Sie liebte ihren Vater, doch sie hatte als Teenager darunter gelitten, dass er seinen Spitzensportlern mehr Zeit und Aufmerksamkeit schenkte als ihr.

„Natürlich.“ Jean-Pierre stimmte schneller als erwartet zu. „Wir haben im Moment beide viel zu verarbeiten. Wir reden morgen weiter. Ich lege César ins Bett, wenn du möchtest.“ Er legte eine Hand über ihre, eine zärtliche Geste, die alle Emotionen aufwühlte, die sie in letzter Zeit nicht kontrollieren konnte.

Aber egal, wie freundlich er jetzt seine Hilfe anbot, sie konnte nicht vergessen, dass er das letzte Mal einfach gegangen war. Bei aller Höflichkeit, er war immer noch der Sportler, der wochenlang sauer auf sie gewesen war, während sie systematisch seinem früheren Mannschaftskameraden sexuelle Belästigung nachwies. Anschließend war er weiter für den Mann eingetreten. Abgesehen von der Anziehungskraft, die immer wieder aufloderte, hatten sie und Jean-Pierre nichts gemeinsam.

Außer, dass sie jetzt die Verantwortung für das wertvolle Leben trugen, das sie geschaffen hatten.

„Ich habe für nachts eine Nanny. Sie legt ihn ins Bett. Sie kennt seine Routine.“ Sie sah Jean-Pierre in die Augen. „Tut mir leid. Du kannst es demnächst tun, aber bitte, können wir es heute Abend dabei belassen? Wir müssen so viel klären.“

Tatiana zog ihre Hand unter seiner hervor und wollte das Baby nehmen. Sie war erschöpfter als nach achtzehn Stunden Wehen. Sie hatte nicht geahnt, wie anstrengend das Gespräch mit Jean-Pierre sein würde.

Doch jetzt, wo er die Wahrheit kannte, war die Last auf ihren Schultern etwas geringer geworden.

„Ich bin sicher, dass die Nanny großartig ist. Doch da ich schon einige Wochen verloren habe, die ich nie nachholen kann, würde ich ihn gern ins Bett legen.“

In seinen kühlen Worten schwang glasklar der Vorwurf mit, dass sie ihm nicht früher von der Schwangerschaft erzählt hatte.

„Komm mit.“ Zu müde, um zu streiten, stand sie auf und führte ihn die geschwungene Treppe hinauf.

„Ist es gut für dich, so viele Stufen zu laufen?“ Er war plötzlich neben ihr, die Hand auf ihrem Rücken.

„Kein Problem. Ich hatte keinen Kaiserschnitt, ich bin gut in Form.“ Zumindest bildlich gesprochen. Ihre Figur ließ noch zu wünschen übrig.

„Pass auf dich auf.“ Er nahm die Hand von ihrem Rücken, als sie die obere Etage erreichten und sie ihm den Weg zum Kinderzimmer zeigte.

Die Nanny begrüßte sie, zog sich dann aber diskret in ihr eigenes Schlafzimmer zurück.

„Das tue ich.“ Tatiana beugte sich über die antike Wiege, die sie online gekauft und ins Haus hatte liefern lassen, noch bevor sie aus der Karibik zurückgekehrt war, und schlug die blaue Babydecke zurück. „Ich bin froh, wenn wir endlich mit meiner Familie gesprochen haben.“

„Wir können gleich morgen früh zu deinen Eltern fahren. Aber ich würde gern kurz danach nach New Orleans aufbrechen.“ Behutsam legte er César neben ein Stofftier in die Wiege.

„Du wirst es deiner Familie sagen?“ Sie wusste, dass seine Eltern, Theo und Alessandra Reynaud, seit Jahren geschieden waren und nicht einmal mehr ihren Hauptwohnsitz in Louisiana hatten. Alessandra arbeitete in Hollywood. Theo reiste durch die Welt und lebte vom Geld seiner Familie. Aber Jean-Pierres Großvater, Leon, agierte in der Öffentlichkeit immer noch wie der Patriarch der Reynauds.

Leon, der Tatianas Vater gefeuert hatte und damit verantwortlich für die Fehde zwischen den Doucets und Reynauds war. Ihr wurde flau im Magen bei dem Gedanken, ihm gegenübertreten zu müssen.

„Meine Familie kann warten. Wir müssen dorthin, um die Worte, die ich heute Abend in dem Fernsehinterview gesagt habe, in die Tat umzusetzen. Nämlich, dass du vor dem Spiel der Gladiators gegen die Hurricanes zu Gast bei den Reynauds sein wirst.“

„Dir muss jetzt doch klar sein, dass es unmöglich ist.“ Sie deutete auf die Wiege. „Ich kann New York nicht verlassen.“

„Wir sind jetzt eine Familie, Tatiana, ob es dir gefällt oder nicht.“ Seine Stimme klang geduldig, sein Körper sprach eine andere Sprache. „Es ist wichtiger denn je, dass du mit mir nach Louisiana kommst. Es gibt viel zu besprechen.“

Ihr Blick fiel auf César, der friedlich schlummerte und nichts von der Spannung zwischen seinen Eltern mitbekam. Natürlich hatte Jean-Pierre recht. Sie mussten einen Weg finden, das Kind gemeinsam aufzuziehen. Auch wenn es keine Hochzeit geben würde. Keine vorgetäuschte Liebesgeschichte, mit der die Feindseligkeit zwischen ihnen vertuscht werden sollte.

Vielleicht könnte sie mit der Zeit eine friedvolle Zukunft für ihren Sohn mit ebenso kühlem Kopf erwirken, wie sie Gerichtsfälle abhandelte. Sie würde ihre verrücktspielenden Schwangerschaftshormone und ihre Gefühle für Jean-Pierre in den Griff bekommen – Schmerz, Abneigung, Anziehungskraft. Eine gefährliche Mischung.

„Ich brauche ein eigenes Zimmer“, sagte sie schließlich, hob das Kinn und legte das Fundament für einen riskanten Kompromiss. „Ich werde mit dir gehen, aber ich ziehe keine Show für die Presse oder unsere Familien ab.“