Vorbild sein – So ein Mist!
Wieso Kinderziehung mit dem Smartphone so anstrengend ist, welche Rolle Erwachsene dabei spielen und warum alle davon tierisch genervt sind
Die viel zu tiefe Bindung zum Smartphone
Wie fast alle Eltern bin ich der Überzeugung, dass meine Kinder eine viel zu tiefe Bindung zu ihrem Smartphone haben. Jedenfalls eine deutlich intensivere als ich. Stimmt das wirklich? Wie wichtig mir das eigene Gerät tatsächlich ist, lässt sich mit einem ganz simplen Test überprüfen. Dazu rufe ich mir diesen Moment ins Gedächtnis, in dem ich mein Handy nicht finden kann: Hastig jage ich durch die Wohnung, durchsuche hektisch jeden Winkel und verdächtige einzelne Familienmitglieder, was bei ihnen nicht sonderlich gut ankommt. Schon weil ich sie bereits wenige Sekunden später kleinlaut darum bitte, meine Mobilfunknummer anzurufen. Leise kriecht Panik in mir hoch: Was ist, wenn ich es auf lautlos gestellt habe oder der Akku seinen Geist aufgegeben hat? Wie lange ist eigentlich meine letzte Datensicherung her? Und wieso kann ich nicht wie alle anderen auch der Cloud vertrauen? Schließlich ist nicht bloß mein Mobiltelefon spurlos verschwunden, sondern auch so etwas wie meine dritte Gehirnhälfte. Termine, Adressen, Telefonnummern, Nachrichten, Notizen, Fotos und und und …
Kaum aber halte ich das heißgeliebte Schätzchen wieder unversehrt in meinen Händen, reihe ich mich erneut seelenruhig in die Gesellschaft jener Erwachsenen ein, die nur mit einem verständnislosen Kopfschütteln auf die Jugend herabblicken können. Wie Frank-Walter Steinmeier bin ich dann der Ansicht, dass die gefälligst mal den Kopf vom Smartphone heben und sich der Realität zuwenden sollten. Hallo?! Ich meine, wenn das sogar der Bundespräsident sagt …
Vorbild – was soll denn das bitteschön sein?
Wenn es um Smartphones und Kinder geht, dauert es nicht lange, bis der Ruf nach der Vorbildfunktion von uns Erwachsenen laut wird. Aber was genau das ist und wie das ideale Vorbild aussieht, kann keiner so richtig sagen. Nur so viel scheint einleuchtend: Würden erwachsene Menschen vernünftiger mit dem Smartphone umgehen, wäre es automatisch um das Handyverhalten der Kinder besser bestellt. Das klingt zwar gut, aber so einfach verhält es sich leider doch nicht. Denn kaum ein Mensch hat die Kontrolle darüber, ob er ein exzellentes, passables oder eher ein lausiges Vorbild abgibt.
Wir alle sind – ob wir wollen oder nicht – immer Vorbild.
Dummerweise schauen sich Kinder nicht nur die Schokoladenseiten ihrer Eltern ab.
»Letzte Woche«, erzählt Bettina, Mutter einer dreijährigen Tochter, »wollte ich Miriam zum Kindergarten fahren. Als wir auf dem Weg plötzlich im Stau steckten, stieß Miri in ihrem Kindersitz ein lautes ›Fahr doch, du Penner‹ aus. Genau in meinem Tonfall. Da war ich erst mal platt.«
Kinder sind gnadenlose Beobachter, denen nichts entgeht. Natürlich wäre es auch mir viel lieber, wenn sie sich einprägen würden, wie ich neulich der alten Dame über die Straße geholfen, ihr die Einkäufe hochgetragen und dann sogar noch ihre Goldfische gefüttert habe. Fatalerweise sind aber meine Kinder auch in unmittelbarer Hörweite, wenn mir gerade zum dritten Mal der IKEA-Schrank bei der Montage über dem Kopf zusammenbricht und ich einen schwedischen Wutanfall bekomme.
Was wir Eltern wollen
Keine Sorge, das alles ist völlig normal. Als Eltern sind wir eben weder der dauerlächelnde Dalai Lama noch die selbstlose Mutter Teresa, sondern einfach ganz gewöhnliche, authentische Mütter und Väter. Mal haben wir Geduld und Gleichmut, mal ein flatterndes Nervenkostüm – das hängt eben von unserer jeweiligen Tageszeit und -form ab. Und manchmal klingelt nun mal ständig das Smartphone. Das ist die Welt, unsere Welt, in der Kinder aufwachsen und geprägt werden.
Wir Eltern wollen unsere Kinder gut, liebevoll und beschützt erziehen. Wir wollen ihnen die Basis für ein glückliches, erfülltes Leben bereiten. Und wir wollen, dass sie ihre Potentiale voll entfalten, damit sie später mit Empathie und Eigenverantwortung ihren Platz in der Welt finden können.
Kann schon sein, dass das alles superkitschig klingt, es ist aber darum nicht weniger wahr.
Nur kommt diesem frommen Ansinnen immer wieder etwas dazwischen: Die Kartoffeln brennen an. Das Auto bleibt liegen. Der Chef drückt unsereins noch Extra-Arbeit auf. Die Schwiegereltern kommen mit vorgekochtem Essen und eigener Bettwäsche für eine ganze Woche zu Besuch. Oder das Kind schreibt eine 5 in Mathe. Kurz: das Leben.
Stets sind wir bemüht, auch noch aus der vertracktesten Situation das Beste zu machen. Weil wir unsere Kinder lieben und sie die einzigen Menschen sind, die wir bedingungslos lieben. Obwohl sie es uns nicht immer leicht machen, weil sie vielleicht wieder einmal das Tablet gemopst haben, um heimlich unter der Bettdecke »Clash Royale« zu spielen.
Kindererziehung (mit dem Smartphone) ist anstrengend
Die Crux mit dem Smartphone, der Erziehung und der Vorbildfunktion lässt sich in einem Bild exemplarisch zusammenfassen: dieser Moment, wenn du von deinem Smartphone aufschaust und dein Kind gerade auf sein Smartphone starrt.
Erziehung bedeutet immer auch ein hübsches Stück Selbsterziehung. Nicht fluchen, nicht rauchen oder nicht ständig mit dem Smartphone in der Hand herumlaufen – das ist echt schwer und mühsam. Damit das tatsächlich gelingen kann, bedarf es eines enorm hohen Maßes an Bewusstsein, Reflexion und Disziplin. Intellektuell gesehen sind wir dazu natürlich durchaus in der Lage. Wer jedoch aufgeweckte und putzmuntere Kinder hat, weiß ebenso, dass einem zwischen Kinderschwimmen, täglichem Einkauf, Hausaufgaben und Bettenbeziehen schon mal die Puste ausgehen kann.
Was uns manchmal im hektischen Medienzeitalter zusätzlich unter Druck setzen kann, ist dieser vollkommen bekloppte Wunsch, in der Erziehung perfekt zu sein. Dieses Bedürfnis, alles richtig zu machen, wird auf unterschiedlichsten Kanälen befeuert: vom periodisch erscheinenden Elternbrief im Postkasten über Onlinemagazine bis hin zu Familien-Blogs, Elternabende und Ratgeberbücher von Erziehungsgurus. Das stresst. Möglicherweise treffen diese Angebote deswegen einen empfindlichen Nerv, weil wir partout die Fehler unserer Eltern nicht wiederholen möchten. Stattdessen machen wir lieber unsere eigenen Fehler. Und die unserer Eltern gleich noch dazu. Denn die haben unsereins meist stärker geprägt, als es einem lieb sein dürfte.
Um es ganz deutlich zu sagen: Wer unentwegt sein Bestes gibt, damit eine hundertprozentig gute Erziehung mit Smartphones und anderen wichtigen Dingen des Lebens glückt, der kann dieses Rennen gar nicht gewinnen, weil so etwas wie hundertprozentig gute Erziehung überhaupt nicht existiert. Genauso wenig wie es keine hundertprozentige Sicherheit im Leben gibt. Folglich dürfen wir Erziehung allgemein und Medienerziehung insbesondere ruhig etwas entspannter angehen und gnädiger im Anspruch an die eigene Elternrolle sein.
Zank um das Smartphone
»Der kürzeste Weg zum Familienkrach ist«, gesteht Bernd, Vater einer 12-jährigen Tochter, »wenn ich Sophie abends auffordere, das Smartphone aus dem Zimmer zu bringen, damit sie in Ruhe schlafen kann.«
Natürlich ist es vollkommen richtig, das Smartphone nachts aus dem Kinderzimmer zu verbannen. Mit solchen Ansagen haben wir nur das Wohl unserer Kinder im Sinn. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie diese Erziehungsmaßnahmen auch gut finden müssen. Unsere Kinder sind ja nicht doof. Sie protestieren, weil sie etwas als ungerecht empfinden, eine für sie angenehmere Option aushandeln oder eine Grenze austesten wollen. Diesen alltäglichen Konflikt sollen, können und müssen Eltern souverän aushalten. Unnötig kompliziert wird es immer dann, wenn sich so mancher Elternteil nicht damit zufriedengibt, dass das Kind sein Smartphone weglegt, sondern dass es das auch noch einsehen soll. Sorry, aber diese Schleife ist nun wirklich zu viel verlangt.
Sicher, ständige Reibungen und Auseinandersetzungen um das Smartphone sind für alle Beteiligten anstrengend und zermürbend, jedoch auch ein unverzichtbarer Prozess in der Kindererziehung. Denn wann immer Menschen aufeinandertreffen – ganz gleich, ob sie groß oder klein sind –, treffen auch ihre verschiedenen Bedürfnisse aufeinander. Dass es da zu Dissonanzen kommt, ist unumgänglich. Von klein auf müssen Kinder beständig ihre Grenzen ausloten, um so tastend auszuprobieren, wie weit sie gehen können. Und das bleibt bis zu den letzten Zügen des Pulverfasses namens Pubertät so. Vermutlich legen sich viele Eltern darum frühzeitig einen großzügigen Rotweinvorrat zu.
Warum Autorität auch im Medienzeitalter unverzichtbar bleibt
Kinder wollen und brauchen autoritäre Eltern, die klare und nachvollziehbare Ansagen machen. Leider hat der Begriff der Autorität durch die Vergangenheit einen frostig-militärischen Beigeschmack. Zum Glück leben wir nicht mehr in einer Zeit, in der jeder Einspruch von Kinderseite als frech zurückgewiesen und Gespräche mit »ich dulde keine Widerrede« herzlos abgewürgt wurden. Nur ist das weichgespülte Gegenteil auch keine Lösung. Wir tun – wenn auch aus Liebe – Kindern keinen Gefallen, wenn wir ihnen jedes Steinchen aus dem Weg räumen. Denn das beschützt sie nicht, sondern hindert sie in ihrer Entwicklung. So müssen Kinder etwa auch lernen, mit Frustration umzugehen. Was sie brauchen, ist eine »positive Autorität«, wie sie der verstorbene Kinderpsychologe Wolfgang Bergmann proklamiert hat. Diese Autorität »muss auf der eine Seite die Forderungen, Regeln und Normen ganz präzise formulieren«, so Bergmann, »und gar keinen Zweifel daran lassen, dass sie diese Regeln auch durchsetzen wird – einfach weil sie so wichtig sind! Auf der anderen Seite muss sie einen großen Kreis der Gelassenheit, der Großzügigkeit beschreiben. Denn die Anwendung der Regel, die Befolgung der Normen findet ja in einer überaus komplizierten und zerrissenen Welt satt.«
Höchste Zeit also, die eigenen Propeller am Helikopter abzuschrauben.
Das sieht auch Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort so, der als Kinder- und Jugendpsychiater und ärztlicher Direktor im Zentrum für Psychosoziale Medizin im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) tätig ist.
»Als Kinderpsychiater bin ich immer ein bisschen allergisch auf Eltern, die die Freunde ihrer Kinder sein wollen. Ihnen bringen wir immer als Erstes bei, wie man Eltern wird«, erklärt Schulte-Markwort in seinem Büro. »Wir sagen ihnen, dass sie als Eltern Verantwortung übernehmen müssen. Eltern müssen auch mal sagen, wo es langgeht. Eltern müssen vor allem ihr Kind auch mal an die Hand nehmen. Der Tobsuchtsanfall einer Dreijährigen vor dem Kleiderschrank, der darauf zurückführt, dass sich keiner traut, am Abend vorher die Kleider herauszulegen, ist hausgemacht. Natürlich ist für mich auch Respekt wichtig. Darum ist es gut, wenn Kinder selber aussuchen können. Aber ich habe den Eindruck, dass gerade bei den Jugendlichen große Ratlosigkeit herrscht. Ich hatte heute Morgen mit einem 18-jährigen, komplett ratlosen Mädchen zu tun. Da muss ich sie an die Hand nehmen. Es gibt aber viele Eltern, die sich davor scheuen. Mein Eindruck ist, dass wir heute nicht mehr so eine genaue Vorstellung von Autorität haben. Sie gilt im Grundsatz eher als etwas Negatives. Eltern wissen nicht, wie sie Autorität eigentlich ausfüllen sollen. Viele meiner Behandlungen leben davon, dass ich eine Autorität in einem guten Sinne bin. Die Kinder brauchen den Rahmen und sie brauchen die Entlastung.«
Zusammengefasst also lässt sich sagen: je unklarer die Eltern, desto orientierungsloser die Kinder. Das gilt auch für die Vorbildfunktion im eigenen Medienkonsum.
Wie der eigene Medienkonsum aussieht
Wie groß und bedeutend ihre Vorbildrolle in Sachen Medien tatsächlich ausfällt, ist vielen Eltern nicht klar.
Das stellte auch Dr. Karin Knop vom Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft von der Mannheimer Universität fest, die mit Kollegen maßgeblich an der Studie »Mediatisierung mobil. Handy- und Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen« mitgewirkt hat. »Wir haben in unseren Studien herausgefunden«, so erzählt die akademische Rätin in ihrem Büro am Rheinufer, »dass manchen Eltern wirklich erst durch unsere Befragungen bewusst geworden ist, was sie selbst vorleben.«
Warum ist das so? Vielleicht weil wir immer wieder vergessen, dass wir Kinder nicht nur mit dem erziehen, was wir ihnen sagen, sondern vor allem mit dem, was wir tun. Das eine ist der eigene Anspruch, das andere die eigene Haltung. Und immer dann, wenn diese zwei Punkte stark auseinanderklaffen, hagelt es von den Kindern Widerspruch. Völlig zu Recht.
Ein Beispiel, das fast schon ein Klassiker ist, betrifft den Fernsehkonsum:
Benni ist acht Jahre alt und stinksauer. Jeden Samstag darf er eine Stunde fernsehen. Nur dieses Wochenende geht das nicht. Die Eltern fahren mit ihm zu Freunden. Da gibt’s zwar Kaffee und Kuchen, aber keine anderen Kinder, und die Glotze bleibt dort ebenfalls aus. Natürlich kann Benni seine Sendung später auch in der Mediathek sehen, so wie vielleicht unsere Eltern schon die eine oder andere Sendung aufgenommen haben. Aber das ist überhaupt nicht dasselbe. Denn nicht der Cartoon spielt eine Rolle, sondern das feste Ritual. Und das fällt nun aus.
Dann kommt der Sonntagabend. Irgendwie findet das Abendessen etwas früher als gewöhnlich statt. Zwar trödelt Benni beim Zähneputzen und Schlafanzug anziehen nicht mehr als an anderen Tagen, aber heute treibt ihn sein Vater besonders zur Eile an. Auch Bennis Mama liest zügiger als sonst aus dem Buch vor, manchmal legt sie auch eine CD ein. Denn: Einmal in der Woche möchten die Eltern in Ruhe ihren Tatort genießen. Auch so ein Ritual.
Und was macht Benni jetzt? Schließt der Junge Punkt 20:15 Uhr die Augen und schläft auf der Stelle ein? Nein, natürlich nicht. Benni praktiziert nun genau das, was wir selbst schon als Kinder veranstaltet haben: Erst liegt er mit scheinwerfergroßen Augen hellwach in seinem Bett, hört durch die Wände das Stimmengewirr des Fernsehkrimis, schleicht dann lautlos in den Flur, um heimlich durch den Türspalt mitzuschauen. Irgendwann wird es ihm zu gruselig oder zu langweilig, er öffnet die Wohnzimmertür ganz und verkündet mit gespielter Untröstlichkeit: »Mama, ich kann nicht schlafen.«
Was wir bei anderen Medien besonders gut können
Beim Fernsehen können Eltern noch exzellente Vorbilder sein. Wir alle kennen die ungeheuer starke Sogwirkung des Fernsehens und wissen, dass in der Kiste zu jeder Tages- und Nachtzeit etwas läuft. Wann immer sie auch eingeschaltet wird, lässt sich doch nach ein paar Runden des Rumzappens zwischen dem miserabel synchronisierten Anpreisen eines Bauchmuskeltrainers und einer der unzähligen Kochsendungen etwas halbwegs Interessantes finden. Trotzdem schalten wir den Fernseher nicht dauernd ein, obwohl die Verführung da ist und wir es jederzeit könnten. Denn irgendwann haben wir eine wichtige Lektion gelernt: Wir widerstehen. Der Kasten bleibt in der Regel genau so lange aus, bis der richtige Zeitpunkt kommt. Aber der Fernseher klingelt, bimmelt und vibriert ja auch nicht, sondern steht stumm im Wohnzimmer.
Ganz im Gegensatz zum Smartphone, das immer am Körper oder maximal eine Armlänge entfernt ist und alles unterbrechen darf: die Stille, die Arbeit, den Spielplatzbesuch, das Abendessen. Und wie läuft es da mit dem Widerstehen? Warum ist das Smartphone eine so willkommene Nervensäge? Und welche Haltung leben wir hier unseren Kindern vor?
»Es gibt ein tolles Foto aus den 50er Jahren«, erklärt Dr. Tomke van den Hooven, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie aus Karlsruhe. »Da laufen zwei Herren gemächlich, die Hände auf dem Rücken, die Straße entlang, und so ein vierjähriger Knirps läuft in genau der gleichen Körperhaltung hinterher. Und das sagt eigentlich alles. Kinder lernen durch Nachmachen, aber von realen Personen.«
Höchste Zeit also, sich mal gründlich darüber Gedanken zu machen, was wir so alles mit dem Wischkasterl, wie die Österreicher sagen, so anstellen.
Das Smartphone unboxed
> Kalender
> Telefonbuch
> Kurznachrichten (WhatsApp, Threema etc.)
> Soziale Netzwerke (LinkedIn, Xing, Facebook etc.)
> Internetzugang (Wikipedia, Google etc.)
> Kamera
> Videokamera
> Fotoalbum
> Wörterbuch
> Fahrkartenautomat
> Wettervorhersage
> Schreibmaschine
> Landkarte
> Walkman
> Musikbox
> Kino
> Spielgerät
> Shop
> Scanner
> Diktiergerät
> Wecker
> Uhr
> Lupe
> Spiegel
> Zeitung
> Buch
> Notizbuch
> Hotelbuchung
> Restaurantester
> Flohmarkt (eBay)
> Taschenrechner
> Sporttrainer
> Kompass
> Taschenlampe
> Wasserwaage
> Und Telefon (fast vergessen)
Was wir mit dem Smartphone machen und was es mit uns macht
All diese Dinge stecken heute gebündelt in einem einzigen, handflächengroßen Gerät, das sich auch noch mühelos in die engste Hosentasche zwängen lässt. Kaum zu glauben, dass noch vor wenigen Jahrzehnten die ersten Computer solche gigantischen Ausmaße hatten, dass darin technische Mitarbeiter in weißen Kitteln zwischen Riesenröhren herumlaufen konnten.
Viel zu schnell haben wir uns an den bequemen Komfort des Smartphones gewöhnt, um noch mit Ehrfurcht über diese enorme technologische Leistung zu staunen. Als vor über zehn Jahren das erste iPhone herauskam, war es auf Anhieb ein durchschlagender Erfolg für die Firma Apple. Viele andere Hersteller zogen mit eigenen internetfähigen Mobiltelefonen nach. Seitdem sind wir on. Immer und überall. Heute gehört das Smartphone längst zum Lebensstandard, vermutlich ist es sogar das weltweit meistgenutzte Gerät überhaupt.
Wir Smartphonistas haben unabhängig von unserem Alter eine emotionale Bindung zu unserem Gerät aufgebaut. Forscher vermuten, dass dies am Touchscreen liegt. Weil Maus und Tastatur wegfallen, ist eine direkte Berührung möglich. Es entstehe der Eindruck, so der Designforscher Fabian Hemmert im Gespräch mit dem SZ-Magazin, »dass man digitale Inhalte anfassen kann«.
Die Menschen lieben ihr Smartphone noch aus anderen Gründen.
Das Gerät ist einfach schön und ästhetisch. Es liegt angenehm in der Hand und seine intuitive Nutzerfreundlichkeit macht es so wunderbar leicht bedienbar. Zudem verspricht es seinem Besitzer, zeitliche und räumliche Unabhängigkeit zu erlangen, und liefert darüber hinaus dieses beruhigende Gefühl, stets alles dabeizuhaben.
»Über WhatsApp bin ich in Kontakt mit meinen Freunden und der Familie«, verrät Helena aus Hamburg, Mutter einer 14-jährigen Tochter. »Spiegel online hält mich immer auf dem Laufenden, eine Tageszeitung lese ich gar nicht mehr. Ich nutze Google Maps, Wetterapps, den Wecker und die Kamera, um Fotos und Filme zu machen. Im Auto oder beim Joggen höre ich Musik oder Hörspiele mit dem Smartphone.«
So konnte sich das Smartphone mit seinen vielfältigen Funktionen und Apps nach und nach in unser aller Leben einschleichen und unentbehrlich machen. Weil es Spaß macht, weil es praktisch, idiotensicher und vor allem, weil es irre bequem ist. Nie zuvor war Kommunikation leichter und unverbindlicher: mit Freunden plaudern, Oma und Opa die neuesten Enkel-Fotos senden, ja selbst zu den eigenen Kindern gibt es den direkten Draht.
Diese beschwingte Leichtigkeit geht auch nahtlos ins Berufsleben über, das den ständigen Griff zum Gerät ohne schlechtes Gewissen legitimiert.
Der bittersüße Pakt von Smartphone und Beruf
Werfen wir einen näheren Blick auf die Erwachsenenwelt. Es stimmt schon: Das Smartphone hat vielen Arbeitnehmern eine deutlich größere Flexibilität beschert. Der gegenwärtige Aufenthaltsort spielt keine Rolle mehr. Dieser minimierte Computer erlaubt es, ortsunabhängig zu agieren und reagieren. Damit wird telefoniert, geplant, verwaltet, organisiert und genetworked, bis die Fingerspitzen glühen. Es gibt ja immer etwas zu tun, und mit dem Smartphone lassen sich viele Dinge auch mal schnell zwischendurch in der U-Bahn erledigen. Das ist sehr praktisch. Auch nach Feierabend, auch am Wochenende, selbst im Urlaub.
»Ich checke meine E-Mails, beruflich und privat«, erklärt Wolf, Handelsvertreter aus Hagen, »und empfinde es als Privileg, dass ich damit von jedem Ort der Welt aus arbeiten kann.«
Nur ist es irgendwann auch total normal geworden, noch am späten Abend seine Mails zu kontrollieren. Das ist ein schleichender Prozess. »Als mir mein Arbeitgeber das Smartphone zur Verfügung gestellt hat, habe ich mich zuerst gefreut«, erzählt Wolf. »Dann kamen die ersten Mails am Samstagabend, und ich spürte die unausgesprochene Aufforderung, sie sofort beantworten zu müssen. Reagiere ich nicht, spukt die Mail trotzdem weiter in meinem Kopf herum. So oder so bin ich damit beschäftigt.«
Diese Zwickmühle ist die große Schattenseite der ständigen Erreichbarkeit. Denn im Gegensatz zur privaten Kommunikation müssen in beruflichen Schreiben oft Entscheidungen getroffen werden. Das geht aber nicht immer auf Knopfdruck, sondern muss auch überlegt sein. Ärgerlicherweise kommen im Beruf noch die üblen Unsitten vieler E-Mail-Schreiber hinzu, die einem bis zu Hause aufs Smartphone verfolgen. Mal setzen sie Vorgesetzte und Kollegen in CC und den Empfänger damit unter Druck oder sie laden per Mail Arbeiten, Aufgaben und Aufträge bei anderen ab. Bevorzugt am späten Freitagnachmittag, Ergebnisse bitte am Montagmorgen.
Da muss ich kurz ran
Anfangs war die Nutzung des Smartphones noch eine verheißungsvolle Erleichterung. Doch was macht das eigentlich mit uns, wenn das Smartphone klingelt und wir so plötzlich Küchen, Supermärkte, Zugabteile und Spielplätze kurzzeitig zum Homeoffice umfunktionieren?
Klaus Hurrelmann nennt das »eine Entgrenzung, die sehr eng mit dem Voranschreiten der digitalen Kommunikation und digitalen Kontakten zusammenhängt«. Hurrelmann arbeitet als Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin. Der Jugendforscher ist einer der federführenden Autoren der großen »Shell Jugendstudie«, die unter anderem zeigt, unter welchen Bedingungen Jugendliche heute leben.
Natürlich ist es wichtig, wenn der fast schon totgeglaubte Kunde sich endlich meldet. Oder falls die Kollegen bestimmte Unterlagen im Büro nicht finden können, die sie gerade dringend benötigen. »Wenn ich Tätigkeiten aus Arbeit und Freizeit zu jeder Zeit und an jedem Ort durchführen kann«, warnt Hurrelmann, »dann verliere ich einen Schutzraum und kann mich nicht mehr abgrenzen.«
Wenn der Beruf ins Privatleben platzt
Mit diesem Dilemma ist der Arbeitnehmer allerdings nicht alleine, die ganze Familie bekommt das hautnah zu spüren. Ständig grätscht das Smartphone überall rein: ins Wäscheaufhängen, in den Wochenend-Ausflug, ins gemeinsame LEGO-Spiel oder ins Vorlesen eines Buches.
Ein Beispiel: Bruno ist Berufsbetreuer, also gesetzlicher Vormund für Menschen, die nur schwer alleine Geschäfte tätigen können. Wann immer seine Klienten ein Problem haben, wenden sie sich telefonisch an Bruno. Und der hilft ihnen, wenn sie in Not sind. Oft kommt so ein Anruf, wenn er mit seiner Familie beim Abendbrot sitzt. Bruno hebt dann die Hand, damit alle leise sind und nicht mit dem Geschirr klappern, dann geht er ran und verlässt mit seinem Smartphone die Küche.
Ein anderes Beispiel beobachtete ich neulich in einer Pizzeria: Ein vierjähriger Junge quengelt laut herum, weil seine Mutter einen Anruf nach dem anderen tätigt. Zwischendrin flötet sie immer wieder: »Mami hat gleich Zeit für dich, Mami muss nur noch schnell etwas erledigen.«
Wir alle kennen ähnliche Situationen aus eigener Erfahrung. Und natürlich ist es ein Drama, wenn heute Beruf und Familie in unserer Gesellschaft schwer unter einen Hut zu bringen sind. Aber es ist vor allem ein Drama für die Kinder. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das ist keine Elternschelte. Nur suchen wir doch alle händeringend nach dem richtigen Maß und der richtigen Balance. Viele Eltern haben ohnehin schon oft das unangenehme Gefühl, nicht genügend Zeit für ihr Kind zu haben, und klammern sich darum an das Smartphone als Kompromisslösung. Es spricht nichts dagegen, hin und wieder in seiner Freizeit auch berufliche Dinge zu erledigen, aber sie sollten bewusst und reglementiert stattfinden.
Dennoch müssen wir uns ehrlich eine berechtigte Frage stellen: Was löst das eigentlich in Kindern aus, wenn wir sie für einen Anruf stehenlassen? Und sei es nur kurz.
Die damit vermittelte Botschaft lautet: Du bist in einer Warteschleife, das Smartphone darf alles und der Anruf ist wichtiger als dein selbstgemaltes Bild.
Natürlich müssen Kinder lernen, dass es auch andere notwendige Dinge gibt und sie manchmal warten müssen. Wenn es die Ausnahme ist. Aber beim Smartphone leben wir auf fatale Weise etwas vor, das sich schon ein paar Jahre später rächt, sobald es von Kindern nachgeahmt wird und wir mehr oder weniger hilflos darauf reagieren.
Finde den Fehler
Frage an die Grafikdesignerin Rita, Mutter der 12-jährigen Hella:
Was machen Sie alles mit dem Smartphone?
Rita: »Ich arbeite sehr viel mit dem Smartphone, auch unterwegs.«
Was würden Sie sich im Zusammenhang mit Ihrem Kind und Smartphone wünschen?
Rita: »Ich würde mir wünschen, dass das Smartphone nicht so eine große Rolle im Leben meines Kindes spielen würde. Tut es aber. Es beunruhigt mich, dass die Tendenz steigend ist. Ohne geht scheinbar nicht wirklich.«
»Ja, gleich«
Weil viele von uns aber gerne arbeiten und der Job auch Spaß macht, ist es besonders schwierig, eine klare Grenze zu ziehen. »Da ich selbständig bin, hat das Smartphone einen großen Vorteil«, erzählt Olga, die ihren Lebensunterhalt als Fachjournalistin verdient. »Auch im Urlaub geht mir so kein Auftrag durch die Lappen. Da es sich mengenmäßig im Rahmen hält und mir meine Arbeit Spaß macht, stresst mich das nicht.«
Die Familie allerdings schon.
»Olga ist ein Kontrollfreak«, findet ihr Freund Thomas und schüttelt den Kopf. »Sie kann nicht mal zwei Wochen im Urlaub abschalten. Ständig hat sie ihr iPhone in der Hand.«
Thomas ist Arzt. Wenn er nicht in seiner Praxis arbeitet, dann hat er frei. Auch der Kopf.
Möchten Sie gerne weiterlesen? Dann laden Sie jetzt das E-Book.