Ein Handbuch für autofreies Leben – das klingt für manche vielleicht etwas absurd. Schließlich ist das Auto aus unserem Alltag kaum wegzudenken. Andererseits: Noch vor 100 Jahren lebten die Menschen ohne Auto, und sie waren dennoch nicht immobil. Es ist also zumindest legitim zu fragen, wie das Auto diese steile Karriere hingelegt und diese enorme Bedeutung für unsere Mobilität gewonnen hat. Und es ist auch sinnvoll darüber nachzudenken, welche Konsequenzen diese Karriere des Autos für unser Leben hat.
Eine Studie des deutschen Umweltbundesamtes zeigte kürzlich, dass 82 Prozent der Deutschen den Wunsch hegen, unsere Städte und Gemeinden mögen so umgestaltet werden, dass man kaum noch auf das Auto angewiesen ist, sondern alle Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen kann.1 Ein spannendes Ergebnis, hieß es bislang doch immer, es müssten mehr und mehr Straßen gebaut werden, weil die Leute dies wünschten. Tatsächlich scheinen die Vorstellungen der Bevölkerung von ihrem zukünftigen Lebensumfeld aber in eine ganz andere Richtung zu gehen – auch wenn sich das in der Infrastruktur und dem Straßenbild bislang kaum widerspiegelt. Steht das Leben mit weniger oder sogar gar keinem Auto vielleicht doch für die Zukunft der Menschheit?
Zumindest zeichnet sich ab, dass das Auto in der Generation der heute Unter-40-Jährigen nicht mehr die Rolle spielt, die es für ihre Eltern noch hatte. Viele sind sehr viel pragmatischer unterwegs und wählen ihr Verkehrsmittel wechselnd nach der Praktikabilität aus. Die Autoeuphorie der Nachkriegsgeneration ist ihnen fremd.
Ich habe selbst mein ganzes bisheriges Leben ohne eigenes Auto verbracht. Hier in Europa, zumal in einer großen Stadt, ist das gut möglich und weitgehend akzeptiert, auch wenn es manche für etwas merkwürdig halten. Als ich jedoch vor einigen Jahren längere Zeit in Kalifornien lebte, machte mich das autolose Leben zu einem echten Exoten. Dort sind die gebauten Strukturen noch sehr viel mehr auf das Auto ausgerichtet – und entsprechend absurd ist die Vorstellung, komplett auf ein eigenes Auto zu verzichten. Unser Glück in Mitteleuropa besteht darin, dass es zumindest Alternativen gibt und dass diese auch meistens recht gut funktionieren.
Genau diese Alternativen möchte ich in meinem Buch auch Menschen näherbringen, deren Mobilität bislang überwiegend vom Auto abhing. Ich möchte Möglichkeiten präsentieren, wie man von der Auto-Abhängigkeit wegkommen kann und dennoch ein ziemlich bequemes – und in mancher Hinsicht vielleicht komfortableres – Leben führen kann.
Im ersten Teil des Buches wird die Problemlage skizziert und darauf eingegangen, warum wir mit unserer Mobilität nicht einfach so weitermachen können wie bisher. Dabei wird auch die Karriere des Autos zum scheinbar unverzichtbaren Verkehrsmittel analysiert und seinen wahren Kosten gegenübergestellt.
Der zweite Teil ist das Herzstück des Buches: Hier finden die Leserinnen und Leser eine Vielzahl von ganz konkreten Tipps, wie man all die Wege, die man bisher nur mit dem eigenen Auto erledigen mochte, auch anders bewältigen kann. Diese Lösungen funktionieren nicht für jede und jeden gleichermaßen, sondern sollen als Vorschläge verstanden werden.
Weil die individuellen Handlungsänderungen aber nicht ausreichend sind, geht es im dritten Teil des Buches um die ebenfalls notwendigen Änderungen in der Politik. Letztlich benötigen wir nicht nur eine Verkehrs-, sondern eine echte Mobilitätswende. Diese zu schaffen und von der Vorstellung des immer weiter fortgesetzten Wachstums wegzukommen, ist eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft.
Ich möchte mich herzlich bei meiner Familie, ganz besonders meiner Frau Simone Holzwarth, bedanken, die mir die Zeit zum Schreiben dieses Buches ermöglicht hat. Ebenfalls bedanken möchte ich mich beim Verein Autofrei leben!, bei denen ich viel Material gefunden habe, und bei allen politischen Weggefährtinnen und -gefährten, mit denen ich diese Themen immer wieder diskutiere. Und ein besonderer Dank geht an Stefan Kraft vom Promedia Verlag für seinen Beitrag zur konzeptionellen Entwicklung des Buches sowie das Lektorat.
Bernhard Knierim,
Berlin, im August 2016
»Die Mobilität, wie wir sie heute praktizieren, ist nicht zukunftsfähig.«
Horst Köhler (damals deutscher Bundespräsident) bei der
ADAC-Preisverleihung »Gelber Engel« am 14. Januar 2010
»Die formulierten Klimaziele von 50 Prozent Reduktion bis zum Jahr 2020 und 80 Prozent bis zum Jahr 2050 sind für den Verkehrsbereich so ersichtlich mit der verkehrspolitischen Realität inkompatibel, dass für eine ernsthafte Diskussion die Bezugspunkte fehlen.«
Enquete-Kommission »Nachhaltige Energieversorgung« des
Deutschen Bundestages, 2002
Wir sind alle immer mehr und immer schneller unterwegs. Noch keine Generation vor uns pendelte so weite Strecken zur Arbeit, kaufte so weit entfernt ein und flog mehrmals im Jahr in den Urlaub. Für viele von uns ist das alles heute selbstverständlich – in anderen Teilen der Erde wirkt es aber wie ein Konzept von einem anderen Stern. Ein durchschnittlicher Mensch in Deutschland legt heute ungefähr 40 Kilometer am Tag zurück. Pro Jahr sind das fast 15.000 Kilometer – und auf ein Leben von 80 Jahren gerechnet 1,2 Millionen Kilometer. In anderen mitteleuropäischen Ländern fallen die Zahlen ähnlich aus. Noch vor weniger als 100 Jahren legten unsere Vorfahren im Schnitt gerade einmal ein Zehntel dieses Wegs zurück.
Der Treiber dieser Entwicklung ist das, was wir landläufig den »technischen Fortschritt« nennen, im Bereich der Mobilität an erster Stelle das Auto: Über 80 Prozent des Verkehrs besteht heutzutage aus Autoverkehr. Der Fuß- und Fahrradverkehr sowie der öffentliche Verkehr sind im Vergleich dazu stark ins Hintertreffen geraten. Diese Entwicklung begann schon in den 1920er-Jahren, als private Automobile aufkamen, aber zuerst noch ein Privileg einiger weniger Reicher waren. In den 1930er-Jahren kam dann die Idee der »Volksmotorisierung« auf, die sich die Nazis auf die Fahnen schrieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte die Massenmotorisierung in Europa – im Wirtschaftswunder-Deutschland vor allem verbunden mit dem VW Käfer, der nun tatsächlich zum »Volkswagen« wurde. Die Zahl der Autos explodierte in dieser Zeit geradezu, und parallel wurden immer mehr Straßen und Autobahnen gebaut. Beides bedingte sich gegenseitig: Mehr Straßen wurden für die immer größere Anzahl an Autos gebraucht. Gleichzeitig machten sie aber die Nutzung des Autos auch attraktiver, so dass immer mehr davon gekauft wurden. Dieser Teufelskreis ist bis heute ungebrochen. Inzwischen fahren über 50 Millionen Kraftfahrzeuge auf deutschen Straßen, in Österreich 6,5 Millionen und in der Schweiz knapp 6 Millionen – Tendenz weiter steigend.
Nicht anders sieht die Situation bei den Transporten aus: Es werden immer mehr Güter über immer weitere Strecken transportiert. Allein innerhalb Deutschlands sind es mehr als 4 Milliarden Tonnen, die pro Jahr durchs Land rollen. So kommt man auf die stolze Zahl von 50 Tonnen pro Bundesbürger. Dazu kann man noch einmal mehr als eine Milliarde Tonnen addieren, die über die Grenze im- und exportiert werden. Von all diesen Gütern werden über 70 Prozent auf der Straße transportiert; die Bahn und das Binnenschiff liegen im Vergleich dazu weit abgeschlagen zurück.
Abbildung 1: Steigerung des Verkehrsaufkommens in Deutschland zwischen 1950 und heute. Die obere Grafik zeigt den Personenverkehr, die untere den Güterverkehr.
Die Auswirkungen dieser enormen Steigerung des Verkehrs und von Transporten sind vielfältig. In den letzten Jahren wird am meisten über den Klimawandel diskutiert, der inzwischen als größte Bedrohung für die Menschheit erkannt wurde. Der Verkehr trägt mit rund einem Fünftel zum Ausstoß klimaschädlicher Gase (vor allem Kohlendioxid) bei, insgesamt sind es über 160 Millionen Tonnen pro Jahr. Über 90 Prozent davon stammen aus dem Straßenverkehr. Das Auto verursacht auf der gleichen Strecke fast dreimal mehr Kohlendioxid als die Bahn, zwischen den Lkws und der Güterbahn ist der Unterschied sogar noch größer. Das Flugzeug schneidet nochmals sehr viel schlechter ab, macht aber einen deutlich geringeren Anteil am Verkehrsaufkommen aus. Das heißt im Klartext: Der Verkehr, und vor allem der Straßenverkehr, hat erhebliche Auswirkungen auf das Klima. Nach der Energieerzeugung und der Industrie mit ihren großen Kraftwerken steht er an dritter Stelle der großen Klimaschädiger. Der Familien-Geländewagen und der Kurztrip mit dem Flugzeug sind also nicht umsonst zu Symbolen für klimaschädliches Verhalten geworden.
Abbildung 2: Anteile der Sektoren am Ausstoß klimaschädlicher Gase. Der Verkehr macht rund ein Fünftel aus. (Daten: Umweltbundesamt)
Im Dezember 2015 wurde in Paris nach jahrelangen erfolglosen Verhandlungen endlich ein neues internationales Klimaabkommen verabschiedet. Und auch wenn eine deutlich stärkere Reduktion und eine größere Verbindlichkeit der Ziele wünschenswert gewesen wären, bekannten sich dennoch die Industriestaaten immerhin zu einer erheblichen Verminderung ihres Ausstoßes klimaschädlicher Gase. Dabei muss auch der Verkehr eine erhebliche Rolle spielen; es ist sogar von einer kompletten Dekarbonisierung – also einem Ausstieg aus der Verbrennung von Öl und Gas – die Rede. In Anbetracht unseres heutigen Verkehrssystems wäre das eine enorme Herausforderung.
Um den Klimawandel in einem einigermaßen handhabbaren Ausmaß zu halten, sollte die Erderwärmung den Klimaforschern zufolge unterhalb von 2 Grad Celsius bleiben. Das bedeutet umgerechnet, dass jeder Mensch auf der Erde nur gut 2,5 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr ausstoßen dürfte. Dabei geht es nicht nur um den eigenen Ausstoß, sondern auch um die Produktion, Energie, Transporte und vieles mehr. Auch im Ausland produzierte Produkte müssen fairerweise den Menschen in den Ländern zugerechnet werden, in denen sie letztlich verwendet werden. Tatsächlich ist der Kohlendioxidausstoß pro Kopf weltweit (im Durchschnitt) schon jetzt mehr als doppelt so hoch wie diese 2,5 Tonnen. Und die Unterschiede sind enorm: In Deutschland ergeben sich, wenn man auch die importierten Produkte mit einrechnet, etwa 18,3 Tonnen pro Person und Jahr, in Österreich 21,5 und in der Schweiz 23. Achtmal mehr als das, was wir für die Einhaltung der Zwei-Grad-Grenze ausstoßen dürften. Dieser hohe Ausstoß in Mitteleuropa wird letztlich durch einen extrem niedrigen Ausstoß in vielen Nicht-Industrieländern kompensiert: So erreichen die meisten afrikanischen Länder einen Ausstoß von unter 0,5 Tonnen pro Person und Jahr.
Verschärft wir das Klimaproblem noch dadurch, dass unser – sehr klimaschädlicher – Lebensstandard offensichtlich attraktiv ist. Auch die Menschen in den südlichen Ländern streben die gleiche energieintensive Lebensweise an, die bei uns in den westlichen Ländern vorherrscht. Schon jetzt steigt der Kohlendioxidausstoß beispielsweise in China und Indien rapide an; auch dort sind es inzwischen schon 8,4 bzw. 3,3 Tonnen pro Person und Jahr, Tendenz weiter steigend. Es lässt sich auch kaum begründen, warum den Menschen in diesen Ländern nicht das Recht auf die gleiche Lebensart zustehen sollte, die wir für uns in Anspruch nehmen. Doch gleichzeitig ist klar, dass wir dann innerhalb kürzester Zeit in eine noch viel stärkere Klimakrise hineingeraten würden, als wir sie bereits jetzt erleben.
Letztlich hilft es also nichts: Wir selbst müssen damit anfangen, unsere Produktion von Kohlendioxid und anderen klimaschädlichen Gasen erheblich zu vermindern, wenn wir der Klimakatastrophe entgehen wollen. Und diese Klimakatastrophe ist nicht länger irgendeine Phantasie, sondern wird in Anbetracht von regelmäßigen Unwettern, Wetterkapriolen und fast jährlichen Rekordtemperaturen immer greifbarer. Weniger Autofahren ist dabei sicherlich nur eine Maßnahme von vielen. Andere wichtige Faktoren für den Klimawandel sind beispielsweise die Produktion viel zu vieler zu kurzlebiger Produkte oder der übermäßige Fleischkonsum. Wenn es in diesem Buch vor allem um Verkehr geht, so heißt das nicht, dass wir nicht genauso in anderen Bereichen aktiv werden sollten. Tatsächlich nimmt aber unser Verkehr erheblichen Anteil am Klimawandel, und unsere Verhaltensänderungen in diesem Bereich können eine Menge beitragen.
Das Klima ist zwar momentan ein sehr präsentes Thema, aber bei weitem nicht die einzige negative Konsequenz unseres Verkehrs. Sehr viel weniger diskutiert wird beispielsweise über die Luftverschmutzung, die ebenfalls gravierende Auswirkungen zur Folge hat. Die Abgase durch den Straßen- und den Luftverkehr wirken nicht nur in der Atmosphäre, sondern ebenso am Boden – und zwar sowohl auf die Natur als auch auf die Menschen. Die Stickoxide besonders aus den Abgasen von Verbrennungsmotoren sind für Smog und sauren Regen verantwortlich und beeinträchtigen die Atmung. Und Feinstaub verursacht unter anderem Asthma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Allergien und Lungenkrebs. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass in Deutschland knapp 50.000 Menschen pro Jahr wegen übermäßiger Feinstaubbelastung frühzeitig sterben. Spätestens seit dem »Abgasskandal« im Herbst 2015 ist auch klar, dass die meisten Autos – vor allem Dieselfahrzeuge – noch deutlich mehr Feinstaub, Stickoxide und Kohlendioxid ausstoßen als von den Herstellern angegeben.
Ebenfalls sehr schädlich für viele Menschen – insbesondere für jene, die an großen Verkehrswegen und Flughäfen wohnen – wirkt sich der Lärm aus, den der Verkehr verursacht. Viele Menschen sind einem deutlich höheren Schallpegel ausgesetzt als dies gesundheitlich eigentlich zumutbar wäre. Und die Straße steht an erster Stelle der wahrgenommenen Lärmbelästigung. Mehr als die Hälfte der Deutschen gibt an, sich durch Straßenverkehrslärm belästigt zu fühlen.2 Dieser Lärm wird mit Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar mit der Entstehung von Krebs in Verbindung gebracht. Auch hier geht es also nicht nur um ein kleines Ärgernis, sondern um knallharte gesundheitliche Auswirkungen, von der Beeinträchtigung der Lebensqualität ganz zu schweigen.
Am teuersten für die Gesellschaft wirkt sich jedoch eine andere Folge des Verkehrs aus, nämlich die Unfälle. Auch wenn die Unfallzahlen in den letzten Jahren erfreulicherweise – trotz des wachsenden Verkehrs – tendenziell zurückgehen. Noch immer sterben jedes Jahr auf deutschen Straßen fast 4000 Menschen, in Österreich sind es knapp 500 und in der Schweiz 250. Dazu kommen noch einmal etwa zehnmal mehr Schwerverletzte sowie all diejenigen, die Angehörige verlieren, wegen einer Behinderung ihr komplettes Leben umstellen müssen oder traumatisiert werden. Dennoch akzeptieren wir diesen Blutzoll des Straßenverkehrs ganz offensichtlich; er gilt als unvermeidlicher Kollateralschaden unserer Mobilität. Die größte Angst vieler Menschen ist jeglicher Statistik zum Trotz nicht ein Unfall, sondern der Terrorismus. Milliarden werden ausgeben und Bürgerrechte massiv beschnitten, um terroristische Anschläge zu verhindern – ohne einen Nachweis, dass die durchgeführten Maßnahmen wirklich dazu beitragen, solche Anschläge zu verhindern. Aber darüber, wie viel Straßenverkehr wirklich für ein glückliches Leben notwendig ist und wie viele Todesopfer und Verletzte wir dafür in Kauf nehmen, gibt es keine Debatte.
Abgesehen von den schlimmen sozialen Folgen solcher Unfälle verursachen sie alleine in Deutschland etwa 42 Milliarden Euro pro Jahr an Folgekosten – vor allem im Medizin- und Pflegebereich. An dieser Zahl lässt sich auch die Ungerechtigkeit unseres Verkehrs verdeutlichen: Diese Kosten – ebenso wie die Folgen von Klimaschäden, Luftverschmutzung und Lärm – tragen nämlich nicht etwa die Verursacher, sondern alle Bürgerinnen und Bürger zusammen, in diesem Falle durch die Zahlungen in die Kranken- und Pflegekassen. Man spricht daher von »externen Kosten«. Nur die Tatsache, dass die Ausgaben nicht dort anfallen, wo sie verursacht werden, macht den Verkehr so billig, wie er ist. Müssten diese Beträge mit dem Verkehr selbst gezahlt und damit »internalisiert« werden, wäre insbesondere der Auto- und Lkw-Verkehr sehr viel teurer. Die tatsächlich gezahlten Kosten des Verkehrs – z.B. über den Kaufpreis und Steuern – spiegeln die realen Aufwendungen nicht einmal annähernd wider, auch wenn Autobefürworter gerne das Gegenteil behaupten (siehe dazu Kapitel 3.2).
Nur beim Autoverkehr akzeptieren wir ganz selbstverständlich die Verschmutzung, den Lärm und nicht zuletzt den Blutzoll, den er fordert. Würde uns jemand mutwillig die gleiche Menge Abgase in die Nase blasen oder durch Dauerschreien einen vergleichbaren Lärm verursachen wie ein Auto, würde er sofort festgenommen werden. Jede andere Technologie, die jährlich alleine in Deutschland, Österreich und der Schweiz knapp 5000 Tote verursacht, weltweit sogar eine Million, würde sofort als höchst gefährlich verboten werden. Beim Auto haben wir uns hingegen offensichtlich daran gewöhnt, all dies hinzunehmen.
Eine weitere Konsequenz des Verkehrs besteht in der Flächenversiegelung. In Deutschland sind heute schon etwa 16.000 Quadratkilometer als Verkehrsfläche betoniert; das sind 5 Prozent der Gesamtfläche des Landes. Und jeden Tag kommen weitere Flächen dazu, wird also letztlich Natur in Straßen, Parkplätze und andere Verkehrsinfrastruktur umgewandelt. 20 Hektar – die Größe von 28 Fußballfeldern – werden in Deutschland im Schnitt pro Tag in Straßen verwandelt. Insgesamt gehen täglich sogar 87 Hektar Naturraum verloren, wenn man auch die Flächen für neue Häuser und Industrieanlagen miteinbezieht; in Österreich sind es 21 Hektar. Umgerechnet auf alle einzelnen Einwohner beträgt die Verkehrsfläche schon jetzt über 200 Quadratmeter pro Person – verglichen mit durchschnittlichen 46 Quadratmetern Wohnraum. Das heißt also, dass wir viermal mehr Fläche für den Straßen- und sonstigen Verkehr aufwenden als für unser eigenes Wohnen. Und dieser Vergleich soll bitte nicht als Plädoyer für eine Ausweitung der Wohnfläche mit weiteren negativen Auswirkungen auf das Klima missverstanden werden.
Die Papiere zu den Nachhaltigkeitszielen der deutschen Bundesregierung enthalten daher auch schon seit einigen Jahren das sinnvolle Ziel, keine neuen Flächen mehr zu verbauen. Die Umsetzung dieses Ziels würde bedeuten: Wann immer etwas Neues gebaut wird – ob es nun Straßen sind oder Häuser, müsste im Gegenzug eine gleichgroße Fläche an einer anderen Stelle in Natur zurückverwandelt werden. Aber von solch einer Politik sind wir noch weit entfernt. Leider ist dies aber nicht das einzige Nachhaltigkeitsziel, das wir deutlich verfehlen.
Zu den diskutierten ökologischen und gesundheitlichen Problemen des Verkehrs kommen auch noch soziale Probleme: Unser heutiges Verkehrssystem beruht zu einem großen Teil auf dem Auto – was für die meisten Menschen auch gut funktioniert. Für einige bringt diese Auto-Fokussierung aber erhebliche Einschränkungen mit sich oder macht sie sogar überwiegend immobil: Menschen mit Behinderungen oder sehr alte Menschen, die nicht selbst Auto fahren, können in vielen ländlichen Gegenden kaum selbstständig mobil sein. Wenn ein öffentlicher Nahverkehr nicht vorhanden ist oder nur wenige Male täglich fährt, sind diese Menschen auf den Fahrdienst durch andere angewiesen. Das gleiche gilt für Menschen, die aus anderen Gründen auf ein Auto oder sogar auf einen Führerschein verzichten. Würden hingegen mehr Menschen vom Auto auf den öffentlichen Verkehr umsteigen, könnte ein sehr viel besseres Angebot dieses Verkehrs geschaffen werden – und damit auch Menschen ohne Auto mobiler machen.
Ein weiterer Aspekt ist die Gerechtigkeit: Die Menge an Verkehr, die ein Mensch verursacht, korreliert stark mit dem Einkommen. Menschen in Haushalten mit einem hohen Einkommen legen durchschnittlich mehr als doppelt so viele Kilometer am Tag zurück als Menschen in einem Haushalt mit niedrigem Einkommen. Gleichzeitig leben wohlhabendere Menschen eher in ruhigen Stadtbezirken oder am Stadtrand, während ärmere Menschen besonders oft an den großen Verkehrsachsen oder in der Nähe von Flughäfen leben. Das bedeutet zugespitzt: Die Personen, die den größeren Teil des Verkehrs mit all seinen Belastungen wie Abgasen, Lärm und Gefahren verursachen, sind gleichzeitig die, die deutlich weniger darunter zu leiden haben. Und die Menschen, die den größten Teil der Folgen des Verkehrs abbekommen, sind umgekehrt jene, die kaum Schuld daran tragen.
Auch im globalen Maßstab sieht es im Übrigen nicht besser aus: Den Löwenanteil der Klimagase, die sich schon jetzt in der Atmosphäre befinden und die täglich ausgestoßen werden, verursachten wir in den Industriestaaten. Gleichzeitig haben aber die Menschen in vielen der Länder, die bislang kaum etwas zum Klimawandel beigetragen haben, deutlich stärker unter den Folgen zu leiden. Das gilt beispielsweise für die Bevölkerung in weiten Teilen von Bangladesch, die durch den steigenden Meeresspiegel und zunehmende Überflutungen akut bedroht ist – zumal dort auch nur wenige Mittel für einen besseren Küstenschutz vorhanden sind. Und das gilt in besonderem Maße auch für viele Inselstaaten insbesondere im Pazifik, die im Laufe des nächsten Jahrhunderts untergehen werden.
Ein weiteres Problem des Verkehrs bleibt die Energieversorgung. Auch wenn die Ölpreise seit der letzten großen Krise wieder deutlich gefallen sind, ist dennoch unstrittig, dass Erdöl eine endliche Ressource ist. Die »Peak-Oil«-Theorie geht davon aus, dass das Produktionsmaximum zumindest des leicht förderbaren Öls bereits überschritten wurde. Daher wird in den letzten Jahren immer tiefer und aufwändiger gebohrt. Auch unkonventionelle Fördermethoden wie die Ölgewinnung aus ölhaltigem Sand und das Fracking gewinnen dadurch an Bedeutung. Das bedeutet aber auch, dass mit diesen neuen Fördermethoden die Gefahren enorm zunehmen. Unglücke wie das der »Deepwater Horizon« im Golf von Mexiko im Jahr 2010 – einer risikoreichen Bohrung in extrem tiefem Wasser – werden damit leider häufiger werden. Und dennoch ist auch mit dieser zunehmend aufwändigen Förderung das Ende des Erdöls absehbar. Eine Mobilität der Zukunft kann daher nicht mehr vom Erdöl abhängen.
Kurz zusammengefasst heißt das: unser jetziges Verkehrssystem – und das heißt an erster Stelle der Autoverkehr – bringt eine Menge sehr grundlegender Probleme mit sich. Aber es gibt nicht nur Probleme, sondern es gibt auch Vorschläge für Lösungen. Im Bereich der Auto-Mobilität sind das momentan vor allem drei: »Biokraftstoffe«, Elektroautos und selbstfahrende Autos.
Die »Biokraftstoffe« sollte man korrekterweise als »Agrokraftstoffe« bezeichnen, weil die Vorsilbe »Bio« einen falschen Eindruck erweckt: Es geht dabei mitnichten um biologischen oder ökologischen Anbau, sondern um industrielle Landwirtschaft in riesigem Umfang. Auf diese Weise werden Pflanzen angebaut, aus deren Früchten sich Kraftstoffe für Autos gewinnen lassen. Entweder man baut ölhaltige Pflanzen wie Raps, Soja oder Ölpalmen an. Aus diesen lässt sich entweder reines Pflanzenöl oder mit Hilfe eines chemischen Umwandlungsprozesses (»Umesterung«) Biodiesel gewinnen. Dieser Kraftstoff kann dann in einem normalen Dieselmotor verwendet werden. Für die andere Möglichkeit der Herstellung werden stärkehaltige Früchte wie Mais oder Getreide oder zuckerhaltige Pflanzen wie Zuckerrübe und Zuckerrohr verwendet. Aus diesen lässt sich mit Hilfe einer Gärung – ähnlich wie bei der Herstellung von Schnaps – und einer nachfolgenden Aufreinigung Ethanol gewinnen. Dieser Kraftstoff wird normalem Benzin beigemischt; der inzwischen handelsübliche E10-Kraftstoff beinhaltet beispielsweise 5 bis 10 Prozent Bioethanol. In eigens dafür modifizierten Motoren lässt sich Ethanol aber auch pur verwenden.
Die Probleme, die diese sogenannten Agrokraftstoffe der ersten Generation mit sich bringen, sind vielfältig: Zum ersten weisen sie eine schlechte Energiebilanz auf. Von der Energie, die letztlich im Produkt steckt und beispielsweise zum Autofahren verwendet werden kann, ist nur ein kleiner Anteil tatsächlich gewonnene Energie. Der größere Anteil der enthaltenen Energie wird jedoch im Prozess zugeführt: durch die Produktion des Kraftstoffs, die Trocknung, den Anbau der Pflanzen und den Transport. Die Agrokraftstoffe enthalten also letztlich indirekt einen großen Anteil von fossilen Kraftstoffen. Daraus resultiert auch die schlechte Klimabilanz: Betrachtet man nur die Herstellung der Kraftstoffe und die Verdrängung anderer Pflanzen, die sonst auf den gleichen landwirtschaftlichen Flächen angebaut wurden (die sogenannten direkten Landnutzungsänderungen), so ist die Klimabilanz bei den meisten heimischen Agroenergiepflanzen maximal ein Drittel besser als bei der Verwendung von herkömmlichem, fossilem Diesel oder Benzin. Das ist schon wenig, aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Tatsächlich führt aber der Anbau der Agroenergiepflanzen auch noch zu sogenannten indirekten Landnutzungsänderungen: Wenn immer mehr solcher Energiepflanzen angebaut werden, müssen an anderer Stelle neue landwirtschaftliche Flächen entstehen, da wir ja auch nach wie vor Nahrungsmittel benötigen. Im schlimmsten Falle werden Wiesen, die eigentlich eine positive Klimawirkung haben, zu Feldern umgewandelt, oder es wird sogar Regenwald abgeholzt – mit langfristigen katastrophalen Auswirkungen auf das Klima. Bezieht man auch diesen Effekt der indirekten Landnutzungsänderungen mit ein, dann schneiden die Agrokraftstoffe sogar deutlich schlechter ab als die fossilen Kraftstoffe.
Doch damit nicht genug: Auch die Wasserbilanz dieser Kraftstoffe nimmt sich desolat aus: Für die Herstellung eines Liters Kraftstoff werden zwischen 1400 und 20.000 Liter Wasser benötigt. In Mitteleuropa, wo Wasser bislang kein Problem darstellt, mag das noch tragbar sein, aber in vielen tropischen und subtropischen Gegenden, wo ein Großteil der verwendeten Pflanzen wächst, ist eine solche Herstellung überhaupt nicht nachhaltig. Und auch die Bilanz der benötigten Ackerflächen für die Herstellung der Agrokraftstoffe verdeutlicht ein weiteres Problem: Um alleine den Energieverbrauch des Verkehrs in Deutschland zu decken, würde man mehr Anbaufläche benötigen, als das Land insgesamt groß ist. Tatsächlich steht aber gerade einmal ein Drittel des Landes tatsächlich als landwirtschaftliche Fläche zur Verfügung, und auf dieser Fläche müssen natürlich auch nach wie vor Nahrungsmittel angebaut werden. So müsste der überwiegende Teil des Anbaus von Agroenergiepflanzen in anderen Regionen der Welt stattfinden. Schon heute wird ein großer Teil des beigemischten Ethanols im deutschen E10-Kraftstoff importiert. Das führt letztlich zu einer Art neuem Kolonialismus für die Energiebereitstellung, der sich bereits in einem massiven Aufkauf von landwirtschaftlichen Flächen, dem »Land Grabbing«, durch große Konzerne und Investoren andeutet.3 Außerdem führt der riesige Bedarf an landwirtschaftlichen Flächen zwangsläufig immer zu einer Konkurrenz zwischen dem Anbau von Pflanzen zur Energiegewinnung und zur Nahrungsmittelherstellung. Mehr Nachfrage nach Agrokraftstoffen hat damit auch höhere Preise von Nahrungsmitteln auf dem Weltmarkt zur Folge. Die zugespitzte Formel »Tank oder Teller« ist also durchaus nicht falsch. Auch industrielle Rohstoffe sollen zudem in Zukunft immer stärker aus landwirtschaftlichem Anbau gewonnen werden, was die Konkurrenz um Flächen weiter verschärft.
Befürworter der Agrokraftstoffe bestreiten all das inzwischen kaum noch, verweisen aber auf neue Technologien, die diese Probleme lösen sollen. Die sogenannten Agrokraftstoffe der zweiten und dritten Generation beruhen tatsächlich nicht mehr auf dem Anbau von Pflanzen wie Mais, Soja, Zuckerrohr, Zuckerrüben, Ölpalmen oder Getreide, die auch direkt zur Nahrungsmittelproduktion verwendet werden könnten. Stattdessen sollen hier ganze Pflanzen statt den Früchten verwendet werden, und sie können dazu noch auf weniger wertvollen Anbauflächen wachsen. Alternativ werden sogar Algen ins Spiel gebracht. Auch bei diesen Pflanzen, selbst wenn sie anspruchsloser als die Agroenergiepflanzen der ersten Generation sind, bleibt aber das prinzipielle Problem der Flächenkonkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion bestehen. Selbst Behälter zum Anbau von Algen benötigen viel Fläche, Wasser und Ressourcen. Zudem ist der Prozess der Kraftstoffherstellung auf diesem Wege energetisch noch aufwändiger. Die Energiebilanz der hergestellten Kraftstoffe ist daher ebenfalls vernichtend. Als neues Problem kommt der Einsatz von Risikotechnologien hinzu: So wird für die Herstellung von Agrokraftstoffen der zweiten und dritten Generation an gentechnisch veränderten und dadurch leichter aufzubrechenden Pflanzen geforscht, die dann auf riesigen Flächen angebaut werden müssten. Eine weitere Risikotechnologie stellt die »synthetische Biologie« dar, mit deren Hilfe Bakterien mit ganz neuen Eigenschaften künstlich hergestellt werden, um die Kraftstoffherstellung möglichst einfach zu bewerkstelligen. Die Gefahren, die von solchen künstlich hergestellten Bakterien ausgehen, sind bislang kaum abschätzbar.
Aus all diesen Gründen besitzen die Agrokraftstoffe inzwischen zu Recht kein gutes Image mehr. Dafür wird aber eine andere Technologie immer stärker propagiert: das Elektroauto. Fast alle Autohersteller und politischen Akteure sind sich darüber einig, dass die Zukunft der Mobilität in elektrisch angetriebenen Autos liege. Auch hier bringt eine genauere Betrachtung aber zahlreiche Schwierigkeiten zutage.
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