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Weltweit gesuchte Terroristen
Am 13. Februar 2008 wurde Imad Mughniyeh, ein führendes Mitglied der Hisbollah, in Damaskus getötet. »Ohne diesen Mann ist die Welt erträglicher geworden«, erklärte Sean McCormack, der Sprecher des US-Außenministeriums. »Auf die eine oder andere Weise hat er seine gerechte Strafe bekommen.«1 Mike McConnell, der Direktor des Inlandsgeheimdienstes, fügte hinzu, Mughniyeh »war verantwortlich für mehr Tötungen von Amerikanern und Israelis als irgendein anderer Terrorist außer Osama bin Laden«.2
Auch in Israel war die Freude grenzenlos, da »einer der meistgesuchten Terroristen in den USA und Israel« zur Rechenschaft gezogen worden sei, wie es in der Londoner Financial Times hieß.3 Unter der Überschrift »Ein weltweit gesuchter Terrorist« wurde in dem Artikel berichtet, Mughniyeh sei nach dem 11. September »auf der Liste der meistgesuchten Personen« von Osama bin Laden verdrängt worden und habe fortan nur noch den zweiten Platz eingenommen.4
Die Terminologie ist korrekt, zumindest nach den Regeln des angloamerikanischen Diskurses, der die Welt als die politischen Klassen in Washington und London definiert (zuzüglich all derer, die in bestimmten Fragen momentan mit ihnen übereinstimmen). Beispielsweise ist üblicherweise zu lesen, »die Welt« habe geschlossen hinter George Bush gestanden, als er die Bombardierung Afghanistans befohlen habe. Das mag auf »die Welt« zutreffen, aber kaum auf die Welt, wie eine internationale Gallup-Umfrage zeigte, die nach Ankündigung der Bombardierung durchgeführt wurde. Die globale Zustimmung war eher spärlich. In Lateinamerika, wo man einige Erfahrung mit dem Gebaren der USA hat, reichte die Zustimmung von zwei Prozent in Mexiko bis sechzehn Prozent in Panama, und diese Unterstützung beruhte auf der Voraussetzung, dass man die Schuldigen identifizierte (was laut FBI acht Monate später noch immer nicht der Fall war) und dass zivile Ziele verschont blieben (sie wurden sofort angegriffen).5 Weltweit gab es hingegen eine überwältigende Mehrheit für diplomatische und rechtliche Maßnahmen, die von »der Welt« allerdings kurzerhand abgelehnt wurden.
Auf den Spuren des Terrors
Wenn wir »die Welt« zur Welt erweitern, finden wir möglicherweise ein paar andere Anwärter auf den Titel des meistgehassten Erzverbrechers. Aufschlussreich ist hierbei die Frage nach den Gründen.
Die Financial Times berichtete, die meisten Anschuldigungen gegen Mughniyeh seien unbegründet, aber »einer der wenigen Fälle, in denen seine Beteiligung mit Sicherheit nachgewiesen werden kann, [ist] die Entführung des TWA-Flugs im Jahr 1985, bei der ein US-Marinetaucher getötet wurde«.6 Das war eine der beiden terroristischen Gräueltaten, die Zeitungsredakteure in einer Umfrage veranlasste, den Terrorismus im Nahen Osten zum wichtigsten Thema des Jahres 1985 zu erklären; das andere war die Entführung des Kreuzfahrtschiffs Achille Lauro, bei der Leon Klinghoffer, ein körperbehinderter Amerikaner, brutal ermordet wurde.7 So weit das Urteil »der Welt«. Vielleicht sah die Welt die Sache etwas anders.
Die Entführung der Achille Lauro war eine Vergeltung für die Bombardierung von Tunis, die eine Woche zuvor vom damaligen israelischen Ministerpräsidenten Schimon Peres angeordnet worden war. Zu den Schreckenstaten, die seine Luftwaffe dabei beging, zählte die Tötung von fünfundsiebzig Tunesiern und Palästinensern mit intelligenten Bomben, die sie in Stücke rissen, wie aus der lebhaften Schilderung des israelischen Journalisten Amnon Kapeliouk hervorging, der vom Ort des Geschehens berichtete.8 Washington kooperierte, indem es darauf verzichtete, seinen Verbündeten Tunesien davon zu unterrichten, dass die Bomber unterwegs waren, obwohl der Sechsten Flotte und dem US-amerikanischen Geheimdienst der bevorstehende Angriff wohl kaum entgangen sein dürfte. Außenminister George Shultz teilte dem israelischen Außenminister Jitzchak Schamir mit, Washington habe »beträchtliche Sympathie für die israelische Handlungsweise«, die er mit allgemeiner Billigung eine »legitime Reaktion«9 auf die terroristischen Angriffe nannte.
Einige Tage später verurteilte der UN-Sicherheitsrat den Bombenangriff einstimmig als einen »Akt bewaffneter Aggressionen« – die USA enthielten sich der Stimme.10 »Aggression« ist natürlich ein weit schwerer wiegendes Verbrechen als internationaler Terrorismus. Doch um das Prinzip »in dubio pro reo« auch für die Vereinigten Staaten und Israel gelten zu lassen, wollen wir uns an die nicht ganz so gewichtigen Anklagepunkte halten.
Ein paar Tage danach besuchte Peres Washington, um sich mit Ronald Reagan abzustimmen, dem führenden internationalen Terroristen jener Zeit, der sich wieder einmal unter dem Beifall »der Welt« anschickte, »die böse Geißel des Terrorismus« anzuprangern.11 Die »terroristischen Großangriffe«, die Shultz und Peres einen Vorwand für die Bombardierung von Tunis geliefert hatten, waren die Morde an drei Israelis in Larnaca auf Zypern. Wie Israel einräumte, hatten die Mörder nichts mit Tunis zu tun, möglicherweise unterhielten sie aber Verbindungen zu Syrien.12 Doch Tunis war ein sehr geeignetes Ziel; im Gegensatz zu Damaskus war es schutzlos und bot darüber hinaus noch einen besonderen Vorteil: Dort konnte man eine größere Zahl im Exil lebender Palästinenser töten.
Die Larnaca-Morde wurden von den Tätern ihrerseits als Vergeltungsakte betrachtet. Sie stellten eine Reaktion auf die regelmäßigen israelischen Entführungen in internationalen Gewässern dar, bei denen viele Opfer getötet und noch weit mehr gekidnappt wurden, um in der Regel ohne Gerichtsverhandlung für lange Zeit in israelischen Gefängnissen zu verschwinden. Besonders berüchtigt war das geheime Foltergefängnis »Anlage 1391«. Man kann einiges darüber in der israelischen und der ausländischen Presse erfahren.13 Diese regelmäßigen israelischen Verbrechen blieben den Redakteuren der nationalen Presse in den USA natürlich nicht verborgen und wurden von Zeit zu Zeit beiläufig erwähnt.
Zu Recht wurde der Mord an Klinghoffer als abscheulich verurteilt und in den Medien ausführlich behandelt, außerdem wurde er zum Thema einer gefeierten Oper und eines Fernsehfilms sowie vieler betroffener Kommentare, in denen die Brutalität der Palästinenser beklagt wurde. Man fand eindrucksvolle Namen für sie: »zweiköpfige Ungeheuer« (Israels früherer Ministerpräsident Menachem Begin), »Kakerlaken, die unter Drogen in einer Flasche herumwimmeln« (so der Generalstabschef der israelischen Verteidigungsstreitkräfte Raful Eitan), »wie Grashüpfer im Vergleich zu uns«, denen man »die Köpfe an Steinen und Mauern einschlagen« sollte (Ministerpräsident Jitzchak Schamir) – oder einfach »Araboushim«, ein Slangausdruck, der unseren »Itzig« oder »Nigger« entspricht.14
Nachdem es im Dezember 1982 zu einer besonders abscheulichen Demonstration von Siedlermentalität und militärischem Terror in der Stadt Halhul im Westjordanland gekommen war, die selbst israelische Falken empörte, schrieb der renommierte militärpolitische Analytiker Yoram Peri entsetzt: »Eine Aufgabe der Armee besteht heute darin, die Rechte unschuldiger Menschen mit Füßen zu treten, nur weil sie Araboushim sind und auf Gebieten leben, die Gott uns versprochen hat« – eine Aufgabe, die noch dringender und mit noch größerer Brutalität durchgeführt wurde, als die Araboushim einige Jahre später »aufzumucken« begannen.15
Wie ernst die Gefühle waren, die anlässlich des Mordes an Klinghoffer geäußert wurden, lässt sich leicht überprüfen. Dazu müssen wir nur vergleichen, wie die Reaktionen auf ähnliche, von den USA gebilligte israelische Verbrechen ausfielen. Nehmen wir beispielsweise die Morde, die im April 2002 an Kemal Zughayer und Jamal Rashid Take, zwei körperbehinderten Palästinensern, begangen wurden, als israelische Streitkräfte das Flüchtlingslager Jenin im Westjordanland verwüsteten. Britische Reporter entdeckten Zughayers zerquetschten Leichnam und die Überreste seines Rollstuhls nebst der zerfetzten weißen Fahne, die er gehalten hatte, als er bei dem Versuch zu fliehen erschossen und anschließend von israelischen Panzern überrollt wurde. Dabei zerrissen sie sein Gesicht in zwei Teile und trennten ihm Arme und Beine ab.16 Jamal Rashid wurde in seinem Rollstuhl zermalmt, als ein riesiger, aus amerikanischen Lieferungen stammender Caterpillar-Bulldozer sein Haus in Jenin abriss, während sich seine Familie noch darin befand.17 Die unterschiedlichen Reaktionen – oder vielmehr Nichtreaktionen – sind so sehr zur Routine geworden und so leicht zu erklären, dass kein weiterer Kommentar erforderlich ist.
Autobomben und »terroristische Dorfbewohner«
Ohne Frage war die Bombardierung von Tunis ein weit gravierenderes terroristisches Verbrechen als die Entführung der Achille Lauro oder die Terrorakte, bei denen Mughniyehs »Beteiligung mit Sicherheit nachgewiesen« werden kann – alles Ereignisse, die 1985 stattfanden.18 Doch selbst die Bombardierung von Tunis hatte Mitbewerber um den Ehrentitel »schlimmste terroristische Gräueltat« des Nahen Ostens im Spitzenjahr 1985.