Maja von Vogel
Schokuspokus
Der geheime Kakaoklau
Mit Bildern von Franziska Harvey
7 Kinder suchen die 7 Zutaten des magischen Glückskakaos – einfach lecker!
Tag für Tag schuften Amanda, Oskar und ihre Freunde im Waisenhaus der fiesen Agathe Nieswurz. Hier stellen sie die berühmte „Schokuspokus“-Schokolade her. Bis sie ein seltsames Gefäß mit geheimnisvollen Zeichen finden: das Rezept des sagenumwobenen Glückskakaos! Eine abenteuerliche Suche nach den sieben Zutaten beginnt …
Vor langer Zeit lebte in Mittelamerika
das Volk der Maya, das Kakao
liebte und verehrte. Der Maya-Fürst trank
morgens, mittags und abends ein Gebräu aus
heißem Wasser und zerstoßenen Kakaobohnen.
Es spendete ihm Freude und Kraft.
Um den Kakaogott gnädig zu stimmen,
opferte der Fürst zu jedem Vollmond
seine edelsten Kakaobohnen.
Als Dank schenkte ihm der
Kakaogott einen heiligen Becher mit
dem Rezept für ein ganz besonderes
Getränk: den Glückskakao. Es heißt, wer die
richtigen Zutaten in diesem Becher anrührt
und davon trinkt, der wird für immer
glücklich sein.
Das Waisenhaus lag am Ende der Straße und war hinter einer hohen Hecke versteckt. Die alte Villa hatte eindeutig schon bessere Zeiten gesehen. Die Fassade war schmutzig grau und der Putz platzte an einigen Stellen ab. Die hölzerne Eingangstür mit den zahllosen Schnitzereien war verblichen und der goldene Klopfer, der im Maul eines seltsamen Wesens mit wirren Haaren steckte, glänzte schon lange nicht mehr in der Abendsonne.
Amanda öffnete die schwere Tür und betrat die Eingangshalle mit den verstaubten Fenstern, durch die die letzten Sonnenstrahlen des Tages fielen. In diesem Moment ertönte der Gong. Mist! Wenn sie zu spät kam, gab es Ärger!
Eilig sauste sie die breite Holztreppe hinauf. Die Stufen waren ausgetreten und jede knarrte in einem anderen Ton. Die Bewohner des kleinen Städtchens nannten das alte Haus nur „die Schokoladenvilla“, denn hier wurde seit jeher Schokolade hergestellt.
Daran hatte sich auch nichts geändert, als die Villa zu einem Waisenhaus geworden war.
„Da bist du ja endlich!“ Fiete wartete am Ende der Treppe. „Komm, es hat schon zum Abendessen gegongt.
Ich hab einen Mordshunger!“
Amanda strubbelte ihm durch die Haare. „Wie immer, du kleiner Vielfraß!“
Fiete schlief im Schlafsaal direkt neben Amanda und war fast so etwas wie ein kleiner Bruder für sie. Er war erst fünf und dünn wie ein Strohhalm – aber essen konnte er für drei!
Im Speisesaal saßen bereits alle Kinder auf ihren Plätzen. Klarissa und Lina, die heute Küchendienst hatten, teilten das Essen aus: sieben Blechschüsseln für sieben Kinder, wie jeden Tag.
Außer Atem huschte Amanda auf ihren Platz neben Oskar und seufzte erleichtert. „Geschafft“, flüsterte sie.
„Warst du wieder auf dem Apfelbaum?“, raunte Oskar, Amandas bester Freund, ihr zu.
Amanda grinste nur. Der alte knorrige Baum war ihr Lieblingsplatz, obwohl der große Garten der Villa für die Kinder eigentlich verboten war.
„Bäh! Was ist das denn?“
Jantje, die Amanda gegenübersaß, starrte in ihre Schüssel und rümpfte die Nase.
„Sieht aus wie gekochtes Gehirn mit Kakerlaken“, stellte Kalle fest.
„Igitt!“ Jantje verzog angewidert das Gesicht.
Fiete jedoch schob sich schon die erste Gabel in den Mund. „Also, wenn ihr eure Portion nicht wollt …“
Amanda klatschte sich einen Löffel Brei auf den Teller und probierte vorsichtig.
„Schmeckt nach nichts!“, rief sie freudig überrascht. Das Essen wurde vom örtlichen Krankenhaus geliefert und war manchmal so ungenießbar, dass Amanda sich fragte, ob der Koch die Patienten vergiften wollte.
Die Kinder aßen hastig, denn zehn Minuten später wurden die Schüsseln schon wieder abgeräumt. Es knackte im Lautsprecher an der Decke und ein Räuspern ertönte, gefolgt von einer energischen Stimme.
„Häähm … knacks …
Rrrruhe im Speisesaal!“
Sofort wurde es mucksmäuschenstill.
„Waisen! Ihr wisst, was jetzt kommt: unsere kleine Sonntagssuche.“
Alle sieben Kinder stöhnten auf.
Die Stimme gehörte Dr. Agathe Nieswurz, der Direktorin des Waisenhauses. Sonntags speiste sie immer mit ihrer Katze Madame Coco in ihren Privaträumen. Das war einer der beiden Gründe, warum Amanda diesen Wochentag so sehr mochte. Selbst das schlechteste Essen schmeckte besser ohne den lauernden Blick der Direktorin.
Außerdem mussten die Kinder nicht in der Schokoladenwerkstatt schuften, um die berühmte Schokuspokus-Schokolade herzustellen.
Das Blöde am Sonntag war allerdings die abendliche Suche …
„Ich lese euch nun die Legende vom Glückskakao vor“, schnarrte es aus dem Lautsprecher. „Und ihr sucht nach dem verschollenen Becher. In zehn Sekunden geht es los! Wer mir das heilige Kakaogefäß bringt, bekommt zur Belohnung einen Kaugummi. 1, 2, 3, 4, 5 …“
„Immer das Gleiche“, brummte Kalle. Oskar kratzte sich am Kopf. „Warum ist sie nur so besessen von diesem Glückskakao?“
„Weil sie stinkreich damit werden will“, sagte Amanda. „Und Geld ist das Einzige, was die Fieswurz glücklich macht.“
„... 9, 10!“, knarzte die Stimme. „Auf, auf, Waisen, die Suche beginnt!“ Während die Kinder sich im Haus verteilten, las Dr. Agathe Nieswurz über den Lautsprecher die uralte Legende vor.
„Vor langer Zeit lebte in Mittelamerika das Volk der Maya, das Kakao liebte und verehrte ...“
Amanda schaltete auf Durchzug. Sie kannte die Geschichte in- und auswendig. Wie satt sie diesen ganzen Schokuspokus hatte!
„Wo fangen wir heute an?“, fragte Oskar, als er neben Amanda und Fiete die Treppe hinunterging.
Amanda stöhnte. „Ist doch völlig egal! Der blöde Becher ist nicht in der Villa, wir haben alles schon hundertmal durchkämmt!“
„Wir suchen in der Küche!“ Fiete hüpfte die letzten Stufen hinab.
Amanda grinste. „Du willst doch nur was zu essen mopsen.“
„Gar nicht!“ Fiete schob beleidigt die Unterlippe vor.
„Das lass auch lieber bleiben“, sagte Oskar besorgt. „Wenn dich die Nieswurz erwischt, kriegst du bloß wieder Ärger.“
In der Küche wuschen Klarissa und Lina das schmutzige Geschirr ab.
„Dieser Küchendienst ist echt das Letzte!“, schimpfte Klarissa. „Von dem Spülwasser bekomme ich immer ganz raue Hände.“
Sie pustete sich eine honigblonde Haarsträhne aus der Stirn.