Michail Vasil'evič Lomonosovs Beitrag zur Herausbildung der geologischen Wissenschaften in Russland
Friedrich Naumann
Veröffentlicht 2017 durch E-SIGHTS PUBLISHING
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ISBN: 978-3-945189-45-0
Der 250. Todestag von M. V. Lomonosov am 15. April 2015 scheint ein guter Anlass zu sein, dem Erbe dieses bedeutenden Gelehrten und dessen Bedeutung für die moderne Wissenschaft eingehender nachzugehen. Da er seine Ausbildung an der Universität Marburg und im Montanzentrum Freiberg erhalten hat und in deren Resultat zum Fachmann für das Montanwesen avancieren konnte, steht dabei gleichermaßen zur Disposition wie sein Einfluss auf die Begründung der Geologischen Wissenschaften in Russland.
Zunächst einige Anmerkungen zum Terminus Geologische Wissenschaften – auch Erdwissenschaften oder Geowissenschaften genannt: Man versteht heute darunter jene naturwissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Erforschung des Systems Erde beschäftigen. Ihr Ursprung liegt nicht nur in der abendländischen Philosophie, sondern vor allem in den handwerklichen Kenntnissen der Erzsucher, Bergleute und Metallurgen des Altertums. Aus der Verbindung von praktischen Erfahrungen und gelehrtem Wissen hat sich im Laufe der Jahrhunderte eine ausgereifte, eigene Wissenschaftsdisziplin entwickelt, die sich in zunehmendem Maße spezialisierte und differenzierte. Folgende Fächer lassen sich heute den Geowissenschaften zuordnen: Mineralogie, Geologie, Paläontologie, Geophysik, Petrologie, Hydrologie sowie Geodäsie, Kartografie, Geoinformatik, Geografie, Ozeanografie und Glaziologie. Derartige Lehr- und Forschungsfelder kennzeichnen auch das Profil der Nationalen Universität für Mineralische Ressourcen „Gornyj“ in St. Petersburg. Die Montanwissenschaften (früher zunächst Bergbaukunde, später Bergbauwissenschaften genannt) hingegen sind sehr viel breiter aufgestellt und schließen zudem Tunnel-/Stollnbau, Fels-/Gesteinsbau, Markscheidewesen, Hüttenwesen, Aufbereitung, Verhüttung und dgl. ein.
Zur Zeit Lomonosovs war allerdings von Wissenschaft noch keine Rede. Denn nicht nur, dass moderne technische Hilfsmittel – Elektronenmikroskope, Röntgengeräte, Computer – noch unbekannt waren und chemische Analyseeinrichtungen nur in bescheidenem Umfang zur Verfügung standen, Erkenntnisse zur Entstehung der Natur und zum Verhalten der Materie konnten lediglich empirisch gewonnen werden. Vieles blieb deshalb noch Hypothese oder Spekulation, und wissenschaftliche Begründungen lagen noch fern; es fehlte also an einem theoretischen Fundament für eine „Wissenschaft von der Erde“, obwohl es ausreichend Belege aus früheren Zeiten und Zuständen, von früheren Klimaten und Meeren, Gebirgen und Wüsten, Pflanzen und Tieren gab.
Allerdings befanden sich die Naturwissenschaften bereits im Aufbruch; denn zahlreiche Gelehrte versuchten, die Entwicklung des Universums zu deuten oder durch wissenschaftliche Experimente zu erklären. Nicolaus (Niels) Stensen (auch Steno, 1638-1686) aus Kopenhagen entwarf das erste geologische, „historisch“ gedachte Profil und erklärte den Begriff der Sedimentation, Grundlage der Stratigraphie. Seine Erkenntnisse zu den Fossilien bildeten die Basis für die Petrefaktenkunde, die heutige Paläontologie. Vergleichbares definierte auch der Engländer Robert Hooke (1635-1703), indem er die Fossilien als Reste ausgestorbener Meerestiere beschrieb und darlegte, dass die inneren Kräfte der Erde, zu denen auch der Vulkanismus zu zählen ist, für die Gestalt der Erde verantwortlich sind. Zu den zahlreichen Gelehrten, die sich an einer „kosmogonischen Zusammenschau“ auf idealistischer Grundlage versuchten, ist auch Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) zu zählen, der als konsequente Synthese aller Erfahrungen und Gedanken bereits 1671 seine „Protogaea“ definierte.1 Das 18. Jahrhundert, das Jahrhundert der Aufklärung und seiner zahlreichen Repräsentanten, spielte somit bezüglich der Wissenschaftsgenese eine besonders wichtige Rolle.
Für die russische Wissenschaft war es ein glücklicher Umstand, dass der erst 25jährige Michail Vasil‘evič Lomonosov (1711-1765) auf Geheiß der 1724 von Peter I. (Peter der Große, 1672-1725) gegründeten St. Petersburger Akademie der Wissenschaften 1736 nach Deutschland geschickt wurde, hier eine gründliche theoretische und praktische naturwissenschaftliche Spezialausbildung erfahren und auf dieser Grundlage nach der Rückkehr in seine Heimat zur Aufhellung zahlreicher naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, speziell zur Begründung der geologischen Wissenschaften, beitragen konnte. Seine Kommilitonen Ulrich Raiser (1718-1762) und Dmitrij Ivanovič Vinogradov (1720-1758) machten nach ihrer Rückkehr ebenfalls Karriere – Raiser im Bergwesen,2 Vinogradov als „Erfinder“ des russischen Porzellans nach Meißener Vorbild. An Vinogradovs acht Jahre währenden Versuchen, ein braubares Rezept für die Porzellanherstellung zu entwickeln, war offensichtlich auch Lomonosov beteiligt; erst 1752 veröffentlichte Vinogradov eine Abhandlung über seinen Erfolg, die ersten zufriedenstellenden Proben aus Porzellan produziert zu haben, und zwar aus russischen Rohstoffen: Ton aus Gschel, vermischt mit feingemahlenem Olonezer Quarz und Alabaster.3 Die Kaiserliche Porzellanmanufaktur in St. Petersburg nennt heute als Gründungsjahr 1744, und dies nicht ohne Stolz, denn sie avancierte – neben Meißen und Wien – zu einer der bedeutendsten in Europa.
Die erste Station war die Philipps-Universität Marburg. An dieser alten protestantischen Bildungsstätte lehrte seit 1723 Christian Wolff (1679-1754), der bedeutende deutsche Universalgelehrte, der wegen einer Rede über die praktische Philosophie der Chinesen als „seelenverderbender Irrlehrer“ ob seiner „gottlosen Lehren“ nach einem Befehl des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. von der Universität Halle vertrieben worden war. Wolff war auch Jurist, Physiker und Mathematiker sowie einer der wichtigsten Philosophen der Aufklärung zwischen G. W. Leibniz und Immanuel Kant (1724-1804).
Abb.1: Die 1527 gegründete Philipps-Universität Marburg.
Abb.2: Christian Wolff, Stich von Johann Georg Wille.
Bereits unter Peter I. wurde Wolff Berater für die St. Petersburger Akademie der Wissenschaften, später auch deren Ehrenmitglied. Sein Ziel war es, diese Einrichtung zu einer modernen, führenden europäischen Gelehrtensozietät auszubauen und sie zum Besten Russlands zu entwickeln. Er empfahl deshalb zahlreiche europäische Gelehrte – „mit großem Eifer für das Wohl der Akademie“, wie man russischerseits anerkannte – und vermittelte deren Übersiedlung in die noch junge Metropole, wo sie aktiv in die Umsetzung der petrinischen Reformen, vor allem in das wissenschaftliche Leben einbezogen wurden.4
Die Grundlagen hierfür hatte allerdings bereits Leibniz gelegt, der anlässlich seiner ersten Begegnung dem russischen Zaren in Torgau im Oktober 1711 vorschlug, „wenig frembde, aber vortreffliche leute köndten viele Russen in kurzer Zeit soweit bringen, dass sie der frembden wenigmehr von nöthen haben würden“.5 Und in einer Denkschrift von 1716, basierend auf den Gründungsmodalitäten der 1700 geschaffenen Berliner Akademie der Wissenschaften, äußerte sich Leibniz auch umfassend zu seinen russischen Akademieplänen. Hier heißt es, die Verschickung von akademischem Nachwuchs ins Ausland betreffend:
„Man könnte auch tüchtige junge Leute von allerhand Nahrungen und professiones in andere Länder reisen lassen umb allda, was ihnen und Russland mangelt zu erlernen. Und sie hernach, wenn sie das Ihrige gethan wohlhalten.“6