Der amerikanische Historiker William Hickling Prescott erblindete fast vollständig zu Beginn seines Studiums an der Harvard-Universität. Obwohl sich sein Sehvermögen wieder ein wenig besserte, blieb Zeit seines Lebens sein Sehvermögen stark beeinträchtigt. Nach der Beendigung seines ersten Studiums bereiste er Europa, studierte Literatur und spanische Geschichte. Dabei beschäftigte er sich eingehend mit der Geschichte der spanischen Kolonien in der Neuen Welt. Er veröffentlichte zahlreiche Geschichtswerke, die durch eine große Detailfülle und ihre stilistische und erzählerische Qualität glänzten und daher auch Aufnahme in den Kanon der amerikanischen Literatur fanden.

Der Herausgeber Dipl. -Math. Klaus-Dieter Sedlacek studierte in Stuttgart neben Mathematik und Informatik auch Physik. Nach fünfundzwanzig Jahren Berufspraxis in der eigenen Firma widmet er sich nun seinen privaten Forschungsvorhaben und veröffentlicht die Ergebnisse in allgemein verständlicher Form. Darüber hinaus ist er der Herausgeber mehrerer Buchreihen unter anderem der Reihen 'Wissenschaftliche Bibliothek' und 'Wissen gemeinverständlich'.

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Illustrierte Ausgabe

Coverbild: Der Stein der Sonne

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Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt.

ISBN 9783750474116

Inhaltsverzeichnis

DIE KULTUR DER AZTEKEN

DAS ALTE MEXIKO

Ausdehnung des aztekischen Gebiets. — Die „tierra caliente“ (heiße Gegend). — Bodenerzeugnisse. — Vulkanische Gegenden. — Die „Cordilleras de los Andes“. — Das Tal von Mexiko. — Die Ureinwohner. — Die Tolteken. — Gründung von Mexiko. — Das „Venedig der westlichen Welt“. — Aufstieg der Azteken. — Errichtung des Aztekenreichs

Von dem ganzen ausgedehnten Reich, das einst die Herrschaft Spaniens in der Neuen Welt anerkannte, ist kein Teil an Wichtigkeit und Reiz mit Mexiko zu vergleichen; und dies ebenso wohl hinsichtlich der Mannigfaltigkeit seines Bodens und Himmelstriches, der unerschöpflichen Menge seiner Schätze aus dem Steinreich, seiner beispiellos großartigen und malerischen Gegenden, des Charakters seiner alten Bewohner, die nicht nur in ihrer geistigen Begabung die anderen nordamerikanischen Stämme überragen, sondern uns durch ihre Denkmäler an die ursprüngliche Bildung Ägyptens und Hindustans erinnern, als wegen der eigentümlichen Umstände seiner Eroberung, die so romantisch und reizend ist, wie irgend eine Sage von normannischen oder italienischen Barden des Rittertums.

Das Land der ehemaligen Mexikaner oder Azteken, wie sie genannt wurden, bildete nur einen sehr kleinen Teil von den ausgedehnten Ländereien, welche der neue Freistaat Mexiko in sich fasst. Seine Grenzen können nicht mit Bestimmtheit angegeben werden. Sehr erweitert waren sie in der letzten Zeit des Reiches, während der sie an der Seite des Atlantischen Meeres ungefähr vom achtzehnten bis zum einundzwanzigsten Grade, an der des Stillen Ozeans, nur einen schmalen Strich umfassend, vom vierzehnten bis zum neunzehnten Grade nördlicher Breite angenommen werden können. Seine größte Breite konnte nicht fünf und einen halben Grad übersteigen, und je nach der südöstlichen Grenze zu musste sie sich auf weniger als zwei verengern. Sein Flächenraum betrug wahrscheinlich weniger als sechzehntausend Quadrat-Leguas (die spanische Legua hat etwa sechs Kilometer). Und dennoch zeigte dieses Land, obgleich nur zweimal so groß als Neu-England, wegen seiner merkwürdigen Bodengestaltung die Mannigfaltigkeit der verschiedensten Himmelsstriche, und war fähig, fast jede Frucht zu erzeugen, die man zwischen dem Erdgleicher und dem Polarkreise findet.

Dem Atlantischen Meere entlang ist das Land von einem breiten Erdstriche eingefasst, der tierra caliente oder heiße Gegend genannt wird und den gewöhnlichen hohen Wärmegrad der Länder des Erdgleichers hat. Versengte und sandige Ebenen wechseln mit anderen von außerordentlicher Fruchtbarkeit ab, fast undurchdringlich durch Gebüsche von wohlriechenden Stauden und wilden Blumen, in deren Mitte sich Bäume von jenem prachtvollen Wuchs erheben, den man nur innerhalb der Wendekreise antrifft. In dieser lieblichen Wildnis lauert die böse Malaria, die wahrscheinlich durch die Zersetzung faulender Pflanzenstoffe in einem heißen und feuchten Boden erzeugt wird. Die Zeit der Gallenfieber — vomito, wie man sie nennt —, die diese Küsten heimsuchen, währt vom Frühling bis zu der Herbstnachtgleiche, wo dann die kalten Winde, die von der Hudson-Bai kommen, ihr Einhalt tun. Diese Winde wachsen im Winter häufig zu Stürmen an, und die atlantische Küste und den gekrümmten Meerbusen von Mexiko entlang streichend, brechen sie mit der Wut eines Orkans gegen dessen unbeschützte Ufer und die benachbarten westindischen Inseln los. Dies sind die gewaltigen Bannformeln, womit die Natur dieses Zauberland umringt hat, als wollte sie dadurch die goldenen Schätze hüten, die sein Inneres birgt. Der unternehmende menschliche Geist hat sich mächtiger erwiesen als ihre Zauberformeln.

Nachdem der Reisende einige zwanzig Leguas durch diese brennend heißen Gegenden gewandert ist, steigt er in einen reineren Luftkreis auf. Seine Glieder erlangen ihre Spannkraft wieder; er atmet freier, denn seine Sinne sind jetzt nicht mehr von der drückenden Hitze und den berauschenden Wohlgerüchen des Tales betäubt. Auch der Anblick der Natur ist nun ein anderer, und sein Auge schwelgt nicht mehr in der heiteren Farbenmannigfaltigkeit, womit dort die Landschaft geschmückt war. Die Vanille, der Indigo und die blühenden Kakaohaine verschwinden, je weiter er voranschreitet; Zuckerrohr und die glattblättrige Banane begleiten ihn noch; und wenn er ungefähr viertausend Fuß hoch gestiegen ist, sieht er an dem unveränderlichen Grün und dem reichen Laub des Storaxbaumes, dass er die Höhe erreicht hat, wo sich Wolken und Nebel auf ihrem Wege von dem mexikanischen Meerbusen festsetzen. Dies ist die Gegend beständiger Feuchtigkeit; aber er heißt sie gern willkommen, da sie ihm verkündet, dass er dem Einfluss des tödlichen Vomito entgangen ist. Er ist in die tierra templada oder gemäßigte Gegend eingetreten, deren Charakter dem des gemäßigten Erdstriches gleicht. Nun wird die Ansicht des Schauplatzes großartig, ja furchtbar. Sein Weg führt ihn längs des Fußes mächtiger Berge, die einst feuerspeiend leuchteten und noch jetzt, blendend in ihren Schneemänteln, den Seefahrern mehrere Leguas weit hinaus als Leuchttürme dienen. Ringsumher erblickt er noch Spuren ihres ehemaligen Brandes, da sein Weg über weite Strecken von Lava geht, die in unzählig wunderlichen Formen emporsteht, in die der flammende Strom sich durch die Hindernisse in seinem Laufe gestaltet hat. Vielleicht sieht er in demselben Augenblick, wenn er 6ein Auge an irgendeinem steilen Abhang oder einer fast unergründlichen Bergschlucht am Rande der Landstraße hinabgleiten lässt, ihre Abgründe mit den reichsten Blüten und dem üppigen Pflanzenleben der Wendekreise geschmückt. Solche sonderbare Gegensätze bieten sich zur nämlichen Zeit den Sinnen in diesen malerischen Gegenden dar!

Noch weiter aufwärts dringend, steigt der Wanderer in andere Himmelsstriche, die anderen Arten von Anpflanzungen günstig sind. Der gelbe Mais oder das indische Korn, wie wir ihn zu nennen pflegen, hat ihn fortwährend von den niedrigsten Ebenen hinaufbegleitet, doch jetzt sieht er zuerst Felder von Weizen- und anderen europäischen Kornarten, die die Eroberer in das Land gebracht haben. Zwischen denselben erblickt er Anpflanzungen von Aloe oder Maguey (Agave americana), die zu so verschiedenem und wichtigem Gebrauch von den Azteken verwendet werden. Die Eichen erreichen jetzt einen kräftigeren Wuchs, und die düsteren Fichtenwälder verkünden, dass er die tierra fria oder kalte Gegend — die dritte und letzte der großen, natürlichen Bodenstufen, worin das Land geteilt ist — erreicht hat. Wenn er die Höhe zwischen sieben-und achttausend Fuß erklommen hat, betritt der müde Wanderer den Gipfel der Kordilleren der Anden — jener riesigen Bergkette, die, nachdem sie Südamerika und die Landenge von Darien durchstrichen, sich, sobald sie Mexiko erreicht, in jenes große Tafelland ausbreitet, das fast zweihundert Leguas lang, eine Höhe von über sechstausend Fuß beibehält, bis es sich allmählich in den höheren nördlichen Breiten absenkt. Quer durch diesen Bergwall streicht eine Kette feuerspeiender Berge in einer westlichen Richtung, von noch staunenswerterer Ausdehnung, und bildet einige der höchsten Landpunkte des Erdballs. Ihre Spitzen, die in die beständige Schneegrenze hinein reichen, verbreiten über die Hochebenen darunter eine angenehme Kühlung; denn diese letzteren haben, obgleich sie kalt genannt werden, einen Himmelsstrich, dessen mittlerer Wärmegrad nicht niedriger als der von Mittelitalien ist.

Tlachiquero, den Pulque aus der Agavepflanze saugend.

Die Luft ist übermäßig trocken; der Boden, obgleich von Natur gut, ist selten mit dem üppigen Pflanzenwuchs der niedrigeren Gegenden bekleidet. Er hat häufig ein versengtes, dürres Aussehen, was zum Teil von der größeren Verdunstung, die auf diesen hohen Ebenen wegen des verminderten Luftdruckes stattfindet, herrührt, zum Teil, ohne Zweifel, von dem Mangel an Bäumen, um den Boden vor dem heftigen Einfluss der Sommersonne zu schützen. Zu den Zeiten der Azteken war das Tafelland reich mit Lärchenbäumen, Eichen, Zypressen und anderen Waldbäumen bedeckt. Der außerordentliche Umfang einiger derselben, die noch bis heute übrig geblieben sind, zeigen, dass der Fluch der Unfruchtbarkeit späterer Zeiten mehr dem Menschen als der Natur zuzuschreiben ist. Es haben in der Tat die früheren Spanier den Wäldern ebenso ohne Unterschied, wiewohl mit weit weniger Grund, den Krieg erklärt, wie es unsere puritanischen Vorfahren getan. Nachdem sie einmal das Land erobert, hatten sie von dem unterwürfigen, halbgesitteten Indianer keinen lauernden Hinterhalt zu fürchten, und sie waren nicht wie unsere Voreltern genötigt, ein Jahrhundert lang Wache zu halten. Diese Bloßlegung des Bodens soll indes, wie man sagt, ihrer Einbildungskraft wohlgetan haben, da sie an die Ebenen ihres kastilischen Vaterlandes, des Tafellandes von Europa, erinnerte, wo die Nacktheit der Landschaft die immer wiederkehrende Klage jedes Reisenden ist, der jenes Land besucht.

Blick vom Sonnentempel auf die Mondpyramide von Tiahuacan

Das Herrschaftsgebiet der Azteken um 1500

Mitten im Festland, etwas näher dem Stillen Ozean als dem Atlantischen, in einer Höhe von nahe an siebentausendfünfhundert Fuß, befindet sich das berühmte Tal von Mexiko. Es hat eine länglich-runde Gestalt, ungefähr siebenundsechzig Leguas Umfang, und wird von einem turmartigen Wall aus Porphyrfelsen umringt, den die Natur fürsorglich, wenn auch vergebens, zum Schutze gegen einen Angriff gebildet zu haben scheint.

Der einst mit einem schönen, grünen Teppich bekleidete und dicht mit stattlichen Bäumen besetzte Boden findet sich oft nackt und an manchen Stellen weiß von Salz übersintert, woran das Austrocknen der Gewässer schuld ist. Fünf Seen sind über das Tal verbreitet, die den zehnten Teil seiner Oberfläche einnehmen. An den gegenüberliegenden Ufern des breitesten dieser Wasserbecken, das seit den Zeiten der Azteken sehr an Ausdehnung verloren hat, standen Mexiko und Tezcuco, die Hauptstädte der beiden mächtigsten und blühendsten Staaten von Anahuac, deren Geschichte so wie die der geheimnisvollen Stämme, die vor ilmen im Lande waren, einige der nächsten Annäherungen zu,r Bildung zeigt, die ehemals auf dem nordamerikanischen Festlande zu finden war.

Von diesen Stämmen waren die ausgezeichnetsten die Tolteken. Aus einer nördlichen Richtung vordringend, doch aus welcher Gegend ist ungewiss, kamen sie auf das Gebiet von Anahuac, wahrscheinlich vor dem Ende des siebenten Jahrhunderts. Natürlich lässt sich mit Gewissheit nur wenig über ein Volk erforschen, dessen geschriebene Urkunden untergegangen und uns nur durch die mündlich überlieferten Sagen der Völker bekannt sind, die seine Nachfolger waren. Nach allgemeiner Übereinstimmung derselben indes waren die Tolteken im Landbau und in vielen der nützlichsten Handwerke wohl unterrichtet; waren geschickte Metallarbeiter; erfanden die verwickelte, von den Azteken angenommene Zeiteinteilung; und waren überhaupt die echten Quellen der sittlichen Bildung, wodurch sich dieser Teil des Festlandes später auszeichnete. Sie errichteten ihre Hauptstadt in Tula, nördlich vom mexikanischen Tal, und die Überreste von ausgedehnten Bauwerken waren noch zur Zeit der Eroberung zu erkennen. Die erhabenen Trümmer religiöser und anderer Gebäude, die noch immer in verschiedenen Teilen Neuspaniens zu sehen sind, werden diesem Volke zugeschrieben, dessen Name Tolteken gleichbedeutend mit Baumeister geworden ist. Ihre dunkle Geschichte erinnert uns an jene ursprünglichen Stämme, die den alten Ägyptern auf dem Wege der Gesittung vorangingen; deren Denkmäler, wie man sie noch heute in Bruchstücken mit den Bauwerken der Ägypter verschmolzen sieht, diesen letzteren das Ansehen von fast neuen Gebäuden geben. Nach einem Zeiträume von vier Jahrhunderten verschwanden die Tolteken, die ihre Herrschaft über die fernsten Grenzen von Anahuac hinaus verbreitet hatten, so still und geheimnisvoll aus dem Lande, wie sie in dasselbe gekommen waren. Man sagt, sie seien durch Hungersnot, Pest und erfolglose Kriege großenteils aufgerieben worden. Ein geringer Teil von ihnen blieb zögernd zurück, aber der bei weitem größere verbreitete sich wahrscheinlich über Mittelamerika und die benachbarten Inseln; und der Reisende betrachtet jetzt gedankenvoll die majestätischen Trümmer von Mitla und Palenque als möglicherweise von diesem ungewöhnlichen Volke herrührend.

Nach Verlauf von weiteren Jahrhunderten zog eine zahlreiche, rohe Horde, die Chichemeken genannt, aus Nordwesten in das verödete Land. Ihnen folgten rasch andere Stämme von höherer Gesittung, vielleicht von gleicher Abkunft mit den Tolteken, deren Sprache sie geredet zu haben scheinen. Die bekanntesten von diesen waren die Azteken oder Mexikaner und die Acolhuaner. Die letzteren, in späteren Zeiten besser unter dem Namen der Tezcucaner, von ihrer Hauptstadt Tezcuco, am östlichen Ufer des mexikanischen Sees, bekannt, waren durch ihre vergleichsweise milde Religion und Gebräuche besonders geeignet, den Anstrich von Bildung zu empfangen, der von den wenigen Tolteken hergeleitet werden konnte, die noch im Lande zurückblieben. Denselben teilten sie ihrerseits wieder den rohen Chichemeken mit, von denen ein großer Teil mit den neuen Ansiedlern zu einem Volke verschmolz. Die Acolhuaner, gestützt auf ihre Stärke, die sich nicht nur von ihrer größeren Anzahl, sondern von ihrer höheren Verfeinerung herleitete, breiteten ihre Herrschaft über die roheren Horden im nördlichen Lande aus, während ihre Hauptstadt sich mit einer zahlreichen Bevölkerung füllte, die sich mit manchen der nützlicheren und selbst zierlicheren Künste eines gebildeten Staatswesens eifrig beschäftigte. In diesem blühenden Zustande wurden sie plötzlich von ihren kriegerischen Nachbarn, den Tepaneken, ihnen verwandt und Bewohner des nämlichen Tales, angegriffen. Ihre Landschaften wurden überwältigt, ihre Heere geschlagen, ihr König ermordet, und die blühende Stadt Tezcuco fiel dem Sieger als Preis in die Hände. Aus diesem verächtlichen Zustande erlöste endlich die außerordentliche Begabung des jungen Prinzen Nezahualcoyotl, des rechtmäßigen Thronerben, gestützt auf den wirksamen Beistand seiner mexikanischen Verbündeten, den Staat und öffnete demselben eine neue Laufbahn des Gedeihens, die selbst glänzender als die frühere war.

Die Mexikaner, mit deren Geschichte wir uns hauptsächlich beschäftigen, kamen ebenfalls, wie wir gesehen haben, aus dem fernen Norden, von wo ,in der neuen Welt, wie früher in der alten, die Völkerschwärme auszogen. Sie gelangten an die Grenzen von Anahuac gegen Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, einige Zeit nach der Einnahme des Landes durch die verwandten Stämme. Lange Zeit setzten sie sich auf keinem bleibenden Wohnsitze fest, sondern fuhren fort, an verschiedenen Teilen des mexikanischen Tales umherzuziehen, alle Zufälligkeiten und Beschwerden eines Wanderlebens erduldend. Bei einer Gelegenheit wurden sie von einer mächtigeren Horde unterjocht, aber ihre Wildheit machte sie ihren Herren bald furchtbar. Nach einer Reihe von Wanderungen und Abenteuern, die einen Vergleich mit den überspanntesten Sagen aus der Heldenzeit des Altertums nicht zu scheuen brauchen, machten sie endlich an den südwestlichen Ufern des Hauptsees im Jahre 1325 halt. Daselbst sahen sie auf dem Zweige eines stacheligen Birnbaumes, der aus einer Spalte eines von den Wellen bespülten Felsens hervorschoss, einen Königsadler von ungewöhnlicher Größe und Schönheit sitzen, eine Schlange in seinen Klauen haltend und seine mächtigen Flügel gegen die aufgehende Sonne ausgebreitet. Sie begrüßten dies heilbringende Zeichen, das, durch einen Götterspruch verkündet, die Lage ihrer künftigen Stadt anzeigte, und legten den Grund zu derselben, indem sie Pfähle in die seichten Stellen senkten; denn das niedere Marschland lag halb unter Wasser. Auf diesen errichteten sie ihre leichten Gebäude aus Rohr und Binsen und suchten einen unsicheren Lebensunterhalt vom Fischen und von dem wilden Geflügel, das sich am Wasser aufhielt, sowie vom Anbau solcher Gewächse, die sie in ihren schwimmenden Gärten erzielen konnten. Der Ort wurde zum Zeichen seines wunderbaren Entstehens Tenochtitlan genannt, wiewohl er Europäern nur unter seinem anderen Namen Mexiko, von ihrem Kriegsgott Mexitli hergeleitet, bekannt ist. Die Sage von seiner Gründung ist noch immer durch das Sinnbild des Adlers und Kaktus erhalten, die das Wappen des neuen Freistaates Mexiko bilden. Diese unbedeutende Ansiedlung bildete den Ursprung des „Venedig der westlichen Welt“.

Die hilflose Lage der neuen Ansiedler wurde durch innere Fehden noch verschlimmert. Ein Teil der Bürger zog sich von der Hauptvereinigung zurück und bildete eine besondere Gemeinde auf den benachbarten Marschländern. In dieser Trennung währte es lange, ehe sie daran denken konnten, Grundbesitz im Festlande zu erwerben. Sie nahmen indes allmählich an Zahl zu und erstarkten noch mehr durch verschiedene Fortschritte in ihrer Verfassung und Kriegszucht, während sie sich einen Ruf sowohl von Mut als von Grausamkeit im Kriege gründeten, der ihren Namen im ganzen Tal furchtbar machte. Zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts, fast hundert Jahre nach Gründung der Stadt, fiel ein Ereignis vor, das eine gänzliche Umwälzung in den Umständen und einigermaßen in dem Charakter der Azteken bewirkte. Dies war die schon erwähnte Unterjochung des tezcucanischen Königreiches durch die Tepaneken. Als das drückende Verfahren der Sieger endlich einen Geist des Widerstandes hervorgerufen hatte, gelang es seinem Prinzen Nezahualcoyotl, nach unglaublichen Gefahren und Mühseligkeiten, eine solche Streitmacht aufzustellen, die ihn, mit Hilfe der Mexikaner, seinen Feinden gleichstellte. In zwei aufeinanderfolgenden Schlachten wurden diese unter großem Gemetzel besiegt, ihre Anführer erschlagen, und ihr Landgebiet ging durch einen jener plötzlichen Schicksalswechsel, die den Kriegen unbedeutender Staaten eigen sind, in die Hände der Sieger über. Es wurde Mexiko, als Vergeltung für seine wichtigen Dienste, zuerkannt.

Hierauf ward jenes merkwürdige Bündnis geschlossen, das nicht seinesgleichen in der Geschichte hat. Die Staaten von Mexiko, Tezcuco und das kleine benachbarte Königreich Tlacopan kamen dahin überein, dass sie sich einander in ihren Angriffs- und Verteidigungskriegen beistehen wollten, und dass bei der Verteilung der Beute Tlacopan ein Fünftel und die anderen Mächte den Rest, in welchem Verhältnisse ist ungewiss, erhalten sollten. Die tezcucanischen Schriftsteller machen für ihr Volk auf einen gleichen Anteil mit den Azteken Anspruch. Allein dies scheint mit dem ungeheuren Zuwachs an Land, das die letzteren sich nach und nach zueigneten, nicht in Einklang zu stehen. Und wir können auf einigen Vorzug, den ihnen der Vertrag zugestanden hat, aus der Voraussetzung schließen, dass, wie untergeordnet sie auch ursprünglich gewesen sein mögen, sie sich doch zur Zeit, als er zustande kam, in einer gedeihlicheren Lage als ihre Verbündeten befunden haben, die durch langen Druck niedergebeugt und entmutigt waren. Weit merkwürdiger jedoch, als der Vertrag selbst, ist die Treue, womit er aufrecht erhalten wurde. Während eines Jahrhunderts ununterbrochener Kriegführung, die darauf folgte, ereignete sich kein Beispiel von Streit der Parteien über die Teilung der Beute, der sooft ähnliche Bündnisse unter gesitteten Staaten scheitern macht.

Die Verbündeten fanden eine Zeitlang hinreichende Beschäftigung für ihre Waffen in ihrem eigenen Tal; doch bald überschritten sie dessen Felswälle, und gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, unter dem ersten Montezuma, hatten sie sich an den Seiten des Tafellandes hinab bis zu den Ufern des mexikanischen Meerbusens ausgebreitet. Tenochtitlan, die aztekische Hauptstadt, zeugte von der allgemeinen Wohlfahrt. Ihre gebrechlichen Hütten wurden durch feste Bauwerke aus Stein und Kalk verdrängt. Ihre Bevölkerung vermehrte sich rasch; ihre alten Fehden wurden beigelegt. Die Bürger, die sich abgetrennt hatten, wurden wieder unter die gemeinsame Regierung mit dem Hauptstamm vereinigt, und der Stadtteil, den sie bewohnten, ward auf immer mit der Mutterstadt verbunden, deren auf zusammenhängendem Boden befindlicher Umfang weit größer war als der der heutigen Hauptstadt Mexiko. Glückliche,rweise folgte sich auf dem Throne eine Reihe fähiger Fürsten, die ihre vermehrten Hilfsquellen und den kriegerischen Geist des Volkes zu nützen verstanden. Ein Jahr nach dem andern sah man sie beladen mit der Beute eroberter Städte und mit einer gedrängten Menge unglücklicher Gefangener nach ihrer Hauptstadt zurückkehren. Kein Staat war imstande, lange der vermehrten Stärke der Verbündeten Widerstand zu leisten. Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderte, gerade vor der Ankunft der Spanier, reichte die Herrschaft der Azteken auf dem Festlands vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean, und unter dem kühnen und blutigen Ahuitzotl trugen sie ihre Waffen weit über die schon erwähnten, sein bleibendes Gebiet bestimmenden Grenzen hinaus, bis in die entferntesten Winkel von Guatemala und Nikaragua. Diese Machtausdehnung, wie beschränkt sie auch im Vergleich mit der mancher anderen Staaten sein mag, ist in der Tat staunenswert, wenn man sie als die Erwerbung eines Volkes befrachtet, dessen ganze Bevölkerung und Hilfsquellen noch vor so kurzer Zeit von den Mauern ihrer eigenen unbedeutenden Stadt umschlossen wahren; und wenn man ferner bedenkt, dass das eroberte Gebiet dicht mit verschiedenen Stämmen besetzt war, die gleich den Mexikanern für die Waffen erzogen waren und in kultureller Beziehung wenig unter ihnen standen. Die Geschichte der Azteken bietet einige auffallende Vergleichspunkte mit der der alten Römer dar, nicht allein in ihrem Kriegsglück, sondern in der Staatsklugheit, die dazu führte.

DER STAAT DER AZTEKEN

Wahl und Krönung des Herrschers. — Der aztekische Adel. — Die gesetzgebende Gewalt. — Das Gerichtswesen. — Schrifttum und Bilderschriftgemälde. — Heiratsbräuche. — Die Sklaverei. — Einkünfte des Herrschers und Steuerwesen. — Die Post. — Das Heerwesen. — Pracht der kriegerischen Kleidung. — Der Federschmuck. — Strenge der Kriegsgesetze. — Lazarette. — Der Einfluss der europäischen Kultur auf die Azteken

Die Regierungsform wich in den verschiedenen Staaten Anahuacs voneinander ab. Bei den Azteken und Tezcucanern war sie ein fast unumschränktes Königtum. Die beiden Völker waren einander so ähnlich in ihren staatlichen Einrichtungen, dass einer ihrer Geschichtsschreiber auf eine allerdings zu umfassende Weise bemerkt hat, dass, was von dem einen gesagt wird, sich auch immer auf das andere anwenden lässt. Ich richte meine Forschungen auf die mexikanische Staatsverfassung und werde gelegentlich eine Erläuterung von der des Nebenbuhlerstaates entlehnen.

Die Regierung war ein Wahlkönigreich. Vier der vornehmsten Edelleute, die durch ihre eigene Körperschaft unter der vorherigen Regierung ausgewählt worden waren, bekleideten das Amt der Wähler, denen, jedoch nur mit dem Ehrenrang versehen, sich die zwei königlichen Verbündeten von Tezcuco und Tlacopan anschlossen. Der Herrscher wurde aus den Brüdern des verstorbenen Fürsten gewählt oder, in Ermangelung solcher, aus seinen Neffen. Auf diese Weise blieb die Wahl stets auf die nämliche Familie beschränkt. Der begünstigte Bewerber musste sich im Kriege ausgezeichnet haben, wenn er auch, wie dies bei dem letzten Montezuma der Fall gewesen, ein Mitglied des Priesterstandes war. Diese sonderbare Art der Wiederbesetzung des Thrones hatte manches Vorteilhafte für sich. Die Bewerber erhielten eine Erziehung, die sie zur königlichen Würde geeignet machte, während das Alter, in dem sie gewählt wurden, das Volk nicht nur gegen die Übel der Minderjährigkeit schützte, sondern auch hinreichende Mittel gewährte, ihre Befähigung zum Amte zu würdigen. Jedenfalls war der Erfolg ein günstiger, da der Thron, wie schon erwähnt, mit einer Nachfolge fähiger Fürsten besetzt ward, die sich dazu eigneten, über ein kriegliebendes und ehrgeiziges Volk zu herrschen. Die Wahlanordnung, so mangelhaft sie auch war, verrät eine verfeinertere und wohlberechnetere Staatsklugheit, als man von einem rohen Volke erwarten durfte.

Kaiser