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© 2019 Sabine Wöger
Illustration: Sabine Wöger
Veröffentlichung: Wolfgang Wöger
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7504-5435-4
Die logotherapeutische Technik „Puppenschöpfen“, die vor vielen Jahren in Wien im Rahmen eines Ausbildungsseminars aus der Taufe gehoben wurde, hat mit der Publikation „Schöpfen von Handpuppen in der Existenzanalyse und Logotherapie“ von Sabine Wöger eine besondere Bedeutung erlangt. Die gründlich recherchierten theoretischen Ergebnisse zur Existenzanalyse und Logotherapie, die vielen wertvollen Hinweise zur praktischen Gestaltung von Handpuppen und die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten im Kontext mit der Psychotherapie, in der Beratung sowie innerhalb des Konzeptes „Palliative Care“ machen dieses Buch zu einer wertvollen Grundlage für den Einsatz im psychosozialen Feld. Genau beschriebene Vorgehensweisen, eine umfassende Dokumentation von Fallsequenzen sowie deren Interpretation und Reflexion verdeutlichen den Stellenwert dieser spezifischen Technik. Der Autorin sei für diese herausragende Arbeit gedankt. Dem Buch wünsche ich eine weitreichende und interessierte Leserschaft!
Prof. Dr. Otmar Wiesmeyr, im August 2019.
Zu bedauern sind wir dann, wenn wir das Schöpferische in uns verloren haben und wir dem Irrglauben unterliegen, dass Funktionalität und Effektivität, Standardisierung und Perfektionsstreben die Qualitätsgarantie für unser Leben sein könnten!
Kreativ-schöpferische Zugänge bereichern eine Psychotherapie, unabhängig von der therapeutischen Schule
Das vorliegende Buch ‚Schöpfen von Handpuppen in der Existenzanalyse und Logotherapie – Ein Buch für kreative Psychotherapeut*innen‘ richtet sich an jene Kolleginnen und Kollegen, die einen Therapieprozess durch kreative Zugänge bereichern wollen, unabhängig von der therapeutischen Ausrichtung. Die Existenzanalyse und Logotherapie von Viktor Frankl ist eine humanistisch-sinnzentrierte Form der Psychotherapie.
Aus dem Unbewussten ‚schöpfen‘ und dabei sich selbst erfahren
Die Handpuppen werden „geschöpft“, nicht „gebastelt“. Der Prozess des ‚Schöpfens‘ bezieht sich auf unbewusste Themen, die in Form einer Handpuppe Gestalt annehmen und im Zuge von logotherapeutischer Selbsterfahrung reflektiert werden. Jene Dimensionen menschlichen Seins werden (wieder)belebt, die unsere Lern- und Erkenntnisprozesse in den Jahren des Heranwachsens begleiteten, jedoch mit der Zeit ob der Fülle an Aufgaben in die kognitiv nicht mehr zugänglichen Tiefen unseres Menschseins hinabgesunken sind. Dort warten sie geduldig, Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, um dem nach Wert- und Sinnverwirklichung strebenden Menschen erneut dienen zu dürfen.
Den ‚Raum der inneren Weisheit‘ schöpferisch erkunden
Ressourcen und Einstellungen, die das Leben Einzelner erleichtern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, erschließen sich durch das schöpferische Gestalten unter maßvoller Einbindung relevanter biografischer Aspekte wie von selbst. Schöpferisch tätig zu sein, dient zunächst keinem bestimmten Zweck, jedoch erfüllt sich dadurch ein höherer Sinn. Kommen die schöpferischen Kräfte erst einmal in Fluss, können wir den ‚Raum der inneren Weisheit‘ betreten und bekommen Zugang zur Fülle unserer Potenziale.
Schutz vor therapeutischer Ermüdung
Der gesamte Therapieprozess wird durch das Schöpfen von Handpuppen, bei dem alle Sinne belebt und einbezogen werden, nicht nur die der Klient*innen, ebenso die der Psychotherapeut*innen, belebt und bereichert. So sehr auch die Fähigkeit zur Empathie eine therapeutisch wirksame Grundhaltung bedeutet, so wenig sind Psychotherapeut*innen der stundenlangen Empathie fähig, sie sind keine ‚Empathie-Maschinen‘. Kreative Zugänge schützen auch professionelle Helfer*innen nicht vor therapeutischer Ermüdung und der damit einhergehenden kühlen Distanz. Sie bewahren allerdings vor unreflektierten Bewertungen oder vor komplexitätsreduzierender Theoretisierung in Bezug auf die Problemlagen der Klient*innen. Emotionale therapeutische Präsenz und das aufrichtige Bemühen, einen Menschen samt den Intentionen, die seinen Entscheidungen und Handlungslogiken zugrunde liegen, verstehen zu wollen, bilden die Basis, um das Novum der Einzelnen erschließen und fördern zu können. Vor allem dann, wenn er/sie/divers Unwerte verwirklicht.
Dieses Buch gliedert sich in folgende Abschnitte:
Zunächst erzähle ich im ersten Kapitel, wie ich zum Schöpfen von Handpuppen kam und welche persönlichen und beruflichen Erfahrungen diesem kreativen Zugang auf Basis des logotherapeutischen Menschenbildes vorausgehen.
Im Anschluss daran werden in Kapitel II die Wurzeln der therapeutischen Arbeit mit Puppen, die auf C. G. Jung, Jakob Lewi Moreno und Käthy Wüthrich zurückgehen, beschrieben.
Damit auch Vertreter*innen anderer psychotherapeutischer Richtungen das Schöpfen von Handpuppen mitsamt der logotherapeutischen Selbsterfahrung anwenden können, werden in Kapitel III das Leben und das Werk des Begründers dieser wert- und sinnorientierten Richtung der Psychotherapie, Viktor Emil Frankl, seine Anthropologie der Existenzanalyse und Logotherapie und die zentralen Säulen des Menschenbildes erläutert. Dadurch soll die Verstehensbasis für die logotherapeutischen Selbsterfahrungsübungen gelegt werden. Frankl wollte zunächst die bereits etablierten psychotherapeutischen Schulen durch die Logotherapie bereichern und keine eigenständige Richtung erschaffen, was sich jedoch anders entwickelte.
Auf die Zielsetzungen des Schöpfens von Handpuppen wird im vierten Kapitel eingegangen.
Die den Schöpfungsprozess begleitende logotherapeutische Selbsterfahrung wird im fünften Kapitel zunächst anhand einer Überblickstabelle dargestellt und anschließend ausführlich erklärt.
Im sechsten Kapitel wird das Fertigen der Handpuppen, vom Schnitzen des Kopfes bis zum Ankleiden der Puppe, in seiner schrittweisen Abfolge beschrieben.
Verschiedene Arten von Puppen werden im letzten und VII. Kapitel erklärt und mit Beispielen aus der existenzanalytischen und logotherapeutischen Arbeit mit meinen Klient*innen unterlegt.
Kreativ tätige Menschen erlebe ich geistreich und der hohen Konzentration fähig, achtsam, wesentlich im Umgang mit sich und anderen, spontan und experimentierfreudig, nicht nur in Zeiten der Glückseligkeit, sondern auch dann, wenn Haltung in schwierigen Lebensphasen gefragt ist. Vielleicht können auch Sie, geschätzte Leserschaft, liebe Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, sich für das Schöpfen von Handpuppen begeistern und diese inspirierende Erfahrung jenen Menschen zuteilwerden lassen, die Ihrer Begleitung und Unterstützung bedürfen. In Dankbarkeit für Ihr Interesse
Mein Weg
zur logotherapeutischen Arbeit
mit Handpuppen
Immer schon waren es zwei Berufungsthemen, die Endlichkeitsthematik und die Sehnsucht nach kreativem Ausdruck, die mich zur Auseinandersetzung mit existenziellen Lebensfragen drängten. Ich durfte viele Menschen beim Sterben begleiten und selbst im Zuge eines Verkehrsunfalles eine außerkörperliche Erfahrung machen. Der berufliche Weg führte mich zu Menschen in schwierigen Lebenslagen, etwa im Kontext von Palliativpflege, Lebens- und Sozialberatung, und jenen der Logotherapie und Tiefenpsychologie. Hauptsächlich begleiten Themen rund um die Endlichkeit das Schöpfen der Handpuppen.
In meinem Leben gibt es zwei zentrale Berufungsthemen mit Aufforderungscharakter, die mein Sein und Wirken stark beeinflussen.
Zum einen ist dies das Ringen um eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens angesichts der Tatsache, dass es den Tod in unser aller Leben gibt und wir nicht wissen, wann und wie er uns begegnen wird. Meistens kommt er zu einer Unzeit, und ich frage mich, ob es einen geeigneten Zeitpunkt des Ablebens überhaupt geben würde, könnten wir selbst wählen. Wenn wir auch darum bemüht sind, durch Hightech-Medizin das Leben zu verlängern und den Tod hinauszuzögern, so ist er doch etwas Vorgegebenes und entzieht sich jeglichen Bemühens, ihm zu entkommen. Den Umstand, dass der Mensch um die Begrenztheit seiner Existenz weiß, erleben die einen als Tragik, andere wiederum als Chance zur Intensivierung des Lebens, da Wesentliches eher verwirklicht statt aufgeschoben wird. Zudem liegt eine besondere Herausforderung darin, mit der Radikalität der Todesexistenz ohne ein stabiles intrinsisch verankertes Glaubensfundament zurechtzukommen.
Die zweite starke Berufung liegt im leidenschaftlichen kreativen Ausdruck, ob in der Musik, beim Tanz, in der Malerei oder im schöpferischen Tun. Diese Wege unterstützen mich in der Bewältigung des Unfassbaren und im Ertragen all der schicksalhaften Ungewissheit, die uns im Leben wie im Sterben begegnet.
Die Begleitung Sterbender im stationären Kontext von Palliative Care
Eindrücklich spürte ich die transzendente Anbindung an einen allumfassenden Sinn, während ich Menschen im Sterbeprozess und im Moment des körperlichen Ablebens auf der Palliativstation begleitete.
Vor allem waren es die Schwerkranken im jungen Erwachsenenalter und ihre nahen Bezugspersonen, die mich tief berührten. Trotz schicksalhafter und lebenslimitierender Krankheit versuchten sie, dem Leben unter diesen Vorzeichen dennoch das Beste abzuringen. Sie suchten nach Wegen, um das Leid irgendwie tragen zu können. Neben der umfassenden medizinischen, pflegerischen, psychosozialen und religiös-spirituellen Unterstützung und Begleitung seitens des interdisziplinären Palliativteams schien in den Betroffenen im Laufe der der Erkrankung eine Kraft wirksam zu werden, zu der sie vor der Krankheit noch keinen Zugang hatten und dank derer sie in ein Leben mit vielfachen Belastungen regelrecht hineinreiften. Heilsam wirkende Kräfte entfalteten sich oftmals während existenzieller Lebenslagen. Das Leben in Todesnähe gewinnt an Intensität und Dichte, etwa begleitend zu den sich mehrenden Autonomieverlusten und der radikal kürzer werdenden Lebenszeit. Den Zeitpunkt des Todeseintritts kann ich, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, als ein zutiefst friedvolles, gar heiliges Geschehen beschreiben. Unbedeutend war, ob eine Person jung oder alt war, ob sie Sinn gestiftet oder Schuld auf sich geladen hatte oder nicht. Bei anderen Patient*innen wiederum stand das Ringen um einen tragfähigen Sinn angesichts der brutalen Härte schicksalhafter Zuwendungen im Vordergrund, sowohl das irdische als auch das jenseitige Leben betreffend. Viele von ihnen waren verzweifelt, denn für sie waren die Lebensumstände kaum noch zu ertragen, was zur Erlahmung ihres Lebenswillens führte und Gedanken an einen selbst herbeigeführten Tod schürte.
Viktor Frankls Menschenbild, wonach sich eine Person dank der noetischen Dimension und zugunsten des unbedingten Glaubens an einen Übersinn von ihren körperlich-seelischen Bedürfnissen und Gebrechlichkeiten distanzieren kann, ist gemäß meiner Palliativerfahrung der einzige Weg, ein Leben unter diesen Vorzeichen dennoch für lebenswert erachten zu können.
Eine außerkörperliche Erfahrung
Im Zuge eines Motorradunfalls wurde mir eine außerkörperliche Erfahrung geschenkt, die nachhaltig in mir wirksam ist und die ich jederzeit gefühlsmäßig nacherleben und detailgenau erzählen kann. Nichts davon ging mit den Jahren verloren. Wenn auch mittels unserer Sprache ein transzendentes Erleben wie dieses durch Worte niemals in seiner wahrhaft erlebten Dimension mitgeteilt werden kann, versuche ich dennoch, das Erfahrene möglichst erlebensgetreu zu verbalisieren. Je einfacher die Wortwahl, desto vorstellbarer könnte meine Schilderung für Sie, geschätzte Lesende, sein.
Ich war mit dem Motorrad unterwegs und sah ein Fahrzeug auf mich zurasen. Sekundenbruchteile vor dem Zusammenstoß hörte ich in mir eine Stimme: „Lass los und lass Gott!“, woraufhin ich die Arme von der Lenkstange riss und zum Himmel emporstreckte, wohin sich auch mein Blick richtete. Dann kam es zum Crash. Ich prallte zweimal hart auf: einmal auf dem Dach des Autos, dann auf dem Asphalt. Drei Frauen, die im Fahrzeug hinter mir saßen und das Unfallgeschehen beobachteten, waren sich sicher, dass dieser Zusammenstoß für mich tödlich verlaufen würde. Doch schon vor dem Crash war ich in einer Anderswelt. Mir war, als hätte eine wundersame Kraft dem Körper augenblicklich seine Seele entzogen. Dort, wo ich war, gab es keinen Schmerz. Ich war nur noch Seele und schwebte schwerelos in tiefster Dunkelheit. Ich fühlte das kilometerweite Hinabsinken in ein Bett, gefüllt mit weichen Daunenfedern. Langsam bewegte ich mich wieder nach oben, um danach ein weiteres Mal in den Daunen zu versinken. Ich war umgeben von einer nie zuvor erfahrenen Geborgenheit. Das Körperbewusstsein hatte sich aufgelöst. Die Dimensionen von Zeit und Raum existierten nicht mehr. Es gab auch kein Sehen von oder Erinnern an Personen und keine Sehnsucht nach irgendjemandem. Dennoch fehlte es an nichts. Ganz im Gegenteil: Alles war vollkommen, obwohl ich wusste, dass diese Erfahrung nicht mit dem irdischen Leben zu vereinbaren war. Ich war ergriffen ob der erfahrenen tiefen und grenzenlosen Liebe. Hemmnisse des irdischen Lebens wie Angst, Schuld und Versäumnis waren unbedeutend. Nach und nach löste sich die Erinnerung an ein irdisches Leben auf. Nun war alles gut. Fragen nach einem Woher oder Wohin stellten sich nicht mehr, weil es nur noch das Sein gab. Sogar das Ich schien sich aufzulösen und in einer Form kollektiven Bewusstseins aufzugehen. Seither weiß ich, dass der Tod nicht die Vernichtung des Lebens bedeutet, sondern den Übergang in eine Welt des liebenden Seins.
Hierin liegt die Verbindung meiner transzendenten Erfahrung zum Schöpfen von Handpuppen, denn im Zuge dieses Prozesses verlieren sich nach und nach oftmals selbst herbeigeführte (geistige) Verstrickungen und Irrwege. Das Wesentliche unseres Seins, mit der Fülle seiner Möglichkeiten, tritt im kreativen Fluss wieder verstärkt ins Bewusstsein und beseelt die Gemeinschaft der Schöpfenden: die tolerante, versöhnliche und liebende Annahme von uns selbst und unseren Nächsten.
Nachdem mein Vater an einer Krebserkrankung verstorben war, er war viel zu jung, um schon zu sterben, absolvierte ich die Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterin, um Menschen nicht nur durch Pflegemaßnahmen, sondern auch im Prozess der Annahme und Bewältigung schicksalhafter Zuwendungen begleiten und unterstützen zu können.
In der Ausübung meiner Beratungstätigkeit führte ich mit Menschen Gespräche, die verbittert, enttäuscht und hoffnungslos ihr Dasein fristeten und das Leben als ein Kontinuum mühseliger Pflichterfüllung verstanden. Sie waren die Marionetten des Zeitgeistes und Sklav*innen ihrer Vorgesetzten. Andere saßen bequem in ihren ‚Klage-Schaukelstühlen‘ und hofften vergeblich darauf, dass sich von selbst eine Wende in ihrem Wohlstandsleben einstellen würde, fern ihres eigenen und selbstverantworteten Zutuns. Sie waren hilflose Opfer ihrer selbst geworden, gefangen in ihren selbst erschaffenen fehlgeleiteten Denkrillen und Überzeugungen. Doch haben es diese gemütlichen Stühle an sich, dass sie sich beim Schaukeln nicht vorwärts, sondern stetig rückwärts bewegen. Die fortwährende Klage dieser Menschen führt in eine Hyperreflexion und folglich zur Stabilisierung von Problemlagen, aus denen ein Entrinnen, etwa durch Einstellungsmodulation, irgendwann nicht mehr für möglich gehalten wird. Auch jene, die frei von Krankheit und/oder materieller Not waren, fühlten die Unzufriedenheit und Einsamkeit.
Doch dürsteten ihre Seelen nach lebens- und freudespendender Nahrung, und ihre Geistigkeit ersehnte die Übernahme einer sinnvollen Aufgabe, bei der oftmals nicht nur die Erfüllung eigener Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen sollte. All diese Menschen motivierten mich zu einer weiteren intensiven Suche nach Wegen heraus aus der Frustrationsexistenz.
Erst das logotherapeutische Menschenbild und Frankls Konzept des ‚Willens zum Sinn‘ eröffneten neue Möglichkeiten, um dem schicksalhaft erfahrenen und dem selbst geschaffenem Leiden nicht hilflos, sondern aktiv gestaltend gegenüberzutreten. Einmalig am Menschen ist sein Freiraum, den er dank seiner noetischen Dimension nutzen kann, indem er sich zu der Entscheidung durchringt, auf (scheinbar) sinnlose Erfahrungen möglichst sinnhaft zu reagieren. Im Rahmen meiner Ausbildung zur Logotherapeutin nahm ich gemeinsam mit einigen anderen Ausbildungskolleg*innen an einer Gruppenselbsterfahrung zum Thema ‚Schöpfen von Handpuppen‘ teil. Diese wurde von einer Psychotherapeutin angeboten, die eine Ausbildung in Analytischer Psychologie nach Carl Gustav Jung absolviert hatte. Als überaus kreativer Mensch und wissend um die entspannende und beruhigende, zentrierende und konzentrationsfördernde, inspirierende und zukunftsweisende Wirkung kreativen Schaffens ersehnte ich diese Stunden. Schon beim Eintritt in den Raum begeisterten mich die vielen Handpuppen, die auf einer Couch zur Ansicht bereitlagen. Bunte Stoffe und Felle, Knöpfe, Bänder, Federn und Perlen lagen in großen Schachteln bereit, auch Pinsel und Farben. Zu bestaunen waren fröhliche Kasperl und witzige Clowns, zierliche Prinzessinnen, Könige, Polizisten und grimmig blickende Teufelchen mit roten buschigen Schweifen, Zauberer, Hexen, Drachen und andere Fantasiefiguren. Manche Figuren wirkten kindlich, andere erwachsen oder hoch betagt. Herumstehende Kartons enthielten ein Sammelsurium an Zauberstäben, Herzen, Bällen, Tierfiguren usw. und ich liebte es, darin zu stöbern. Manche Puppen waren bereits mehrere Jahre alt und hatten sichtlich viele therapeutische Einsätze mit Kindern hinter sich. Doch waren sie allesamt intakt. Angeblich, so die Lehrtherapeutin, seien die Handpuppen absolut robust und beinah unzerstörbar. Selbst der Fall aus großer Höhe würde sie nicht beschädigen.
Jahre später wollte ich verstehen, welche unbewussten Prägungen dazu führen, dass die einen in einer vertrauensvollen und resilienten Haltung das Leben begehen, andere sich hingegen für einen lieblosen oder gewaltsamen Umgang mit sich selbst und ihren Mitmenschen entscheiden. Insbesondere erwarb ich im Rahmen des Studiums der Tiefenpsychologie Wissen über die in der frühen Kindheit erfahrenen und unbewusst übernommenen Abwehr- und Bewältigungsweisen naher Bezugspersonen. Ich bekam dadurch ein Mehrverständnis darüber, wie sich diese frühkindlichen Erfahrungen im späteren Leben auf den Umgang mit Krisen und Leid, vor dem Hintergrund der persönlichen Biografie und Sozialisation, auswirkten.