Über die Autorin
Anna Danielle lebt mit ihrer
Familie in der Nähe von
Kassel.
Schon in ihrer frühen Jungend
entdeckte sie ihre Leidenschaft fürs Schreiben. Ihre
blühende Fantasie eröffnete
ihr dabei so manches Tor zu
fremden Welten.
Anna schenkt gern den
nächtlichen Träumen ihre
ganze Aufmerksamkeit, die
sie zu vielen neuen Ideen
inspirieren.
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.
Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
© 2020 Anna Danielle (www.annadanielle.de)
Covergestaltung: Casandra Krammer (www.casandrakrammer.de)
Covermotiv: © www.depositphotos.com
Lektorat, Korrektorat & Satz: Maren Keller (www.kontext-kassel.de)
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7481-9877-2
Das größte Abenteuer,
dem du begegnen kannst,
ist das Leben selbst.
Ein Labyrinth aus unendlich vielen Wegen,
die darauf warten, dass du den ersten Schritt wagst.
Manche Wege werden dich zur Umkehr zwingen
und andere dich deinem Ziel näherbringen.
Das Leben wird dich vor Herausforderungen stellen.
Es verlangt Mut und Vertrauen in deine Fähigkeiten.
Doch auf diesem Weg bist du nicht allein,
denn du trägst etwas sehr Wertvolles in dir.
Deine Seele, die dich leitet
und dich wie ein Kompass
deiner Bestimmung zuführt.
Müde saß ich am Schreibtisch und sortierte die Bücher aus, die ich nicht mehr brauchte. Nur die Schattierungen an der Wand zeigten die letzten Überbleibsel des abgebauten Regals. Genau wie in jedem dieser Bücher schloss ich ein wichtiges Kapitel in meinem Leben ab und ein neues öffnete sich mir mit ungewissem Ausgang. Ich gönnte mir eine Pause, während mein Blick auf das Tagebuch fiel, das mir mein Großvater mit den Worten überreichte, dass es nicht schaden könne, den Kopf von überflüssigen Gedanken zu befreien.
Für ihn war ein Stück Papier ein geduldiger Zuhörer, dem man alle Sorgen überlassen konnte. Bisher hatte ich noch keinen Sinn darin gesehen, dort etwas hineinzuschreiben. Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen. Ich überlegte und starrte die leere Seite an, bevor sich mir ein Wort regelrecht aufdrängte.
Es lautete: „SOS“, und ich vermerkte es dick und fett darin. „Falls irgendjemand meinen inneren Aufschrei hören kann, dann hilf mir bitte“, brachte ich meinen Gedanken zu Papier.
Auch wenn es sehr dramatisch klang, konnte es meine derzeitige Situation nicht besser beschreiben. Vor zwei Wochen wurde ich siebzehn Jahre alt. An sich kein besonderes Ereignis, aber mit diesem Tag veränderte sich mein Leben grundlegend.
„Kennst du das Gefühl, wenn dir der Boden unter den Füßen abhandenkommt und du nicht mehr weißt, wie es weitergehen soll? An diesem Punkt bin ich angelangt, ausgelöst durch die Entscheidung meiner Eltern, die einen Neuanfang in Australien wagen wollen. Ich dagegen will in Deutschland bleiben. Die Nordseeküste ist mein Zuhause. Viele beneiden mich darum, dass ich nach Australien gehe, doch für mich ist dieser Gedanke nicht zu Ende gedacht. In meiner Vorstellung träume auch ich von der großen weiten Welt. Sie vermittelt mir ein Gefühl von Freiheit, in der alles ganz easy und perfekt ist, aber die Realität sieht nun mal anders aus. Die Veränderung bedeutet für mich einen erheblichen Verlust. Schließlich weiß ich nicht, was mich dort erwartet und ob ich mich dort wohlfühle. Ich besitze ja keine Glaskugel, die mir einen Blick in die Zukunft eröffnet. Gut möglich, dass meine Bedenken vollkommen unbegründet sind, aber wer kann und will mir eine Garantie geben?“, notierte ich weiter. Ich hatte keine Lösung parat, nur die Gewissheit, dass ich mein Zuhause nicht aufgeben wollte.
Ich war tief in Gedanken versunken, als mein Vater Gunnar an die Tür klopfte. „Wie siehts aus Linus, kann ich schon ein paar Kartons mitnehmen?“ Sein Blick wanderte durch mein Zimmer. „Hast du überhaupt schon angefangen zu packen?“
„Ich bin noch dabei“, sagte ich, worauf er kurz nach Luft schnappte.
„Ich sag es nur ungern, aber du solltest etwas an deinem Arbeitstempo ändern, sonst wird das nichts.“
„Ja, ich weiß.“ Ich schmiss gefrustet meine Sachen in die Umzugskisten. Meine miese Laune war nicht zu übersehen und mein Vater ging ohne jeden weiteren Kommentar. Er war kaum fort, als es erneut an der Tür klopfte. „Wer stört?“, rief ich genervt. Diesmal war es Ole, mein bester Freund, der ungeduldig auf mich wartete, da wir verabredet waren. In dem ganzen Trubel hatte ich ihn vollkommen vergessen und seine gefühlt hundert Textnachrichten nicht gelesen.
„Hey, wo bleibst du denn? Ich dachte, wir wollten uns treffen?“
„Ja, tut mir leid, aber sieh dich mal um“, reagierte ich ungehalten. „Das muss noch alles verpackt werden.“ Ich deutete auf das Durcheinander in meinem Zimmer.
Ole zog entsetzt die Augenbrauen hoch. „Langweilig wirds dir jedenfalls nicht“, sagte er und verstand, warum ich so schlecht drauf war. „Du siehst echt fertig aus.“ Er sah mich besorgt an.
„Bei dem Stress auch kein Wunder.“
Ole zog seine Jacke aus und krempelte die Ärmel hoch. „Okay, wo soll ich anfangen? Zu zweit geht es schneller.“
„Du musst mir nicht helfen.“
„Stimmt, muss ich nicht, aber sonst wirst du nie fertig.“ Er ließ sich nicht davon abbringen und in dem Moment prasselte ein heftiger Regenschauer gegen die Fensterscheibe. „Bei dem Schietwetter verpassen wir eh nicht viel.“ Er grinste und ich nahm seine Hilfe dankbar an. Ein typisches Wetter für den Monat November. Die Sonne versteckte sich meist hinter grauen Wolken, was zu meiner Gefühlslage passte. Je näher der Umzug rückte, desto beklemmter fühlte ich mich. „Hast du dich mal von einem Arzt durchchecken lassen? Du siehst echt nicht gut aus.“
Damit sprach Ole meinen angeborenen Herzfehler an. „Nein, mir geht es gut“, blockte ich ab.
„Wenn du das gut nennst, möchte ich nicht wissen, wie du aussiehst, wenn es dir beschissen geht. Und was ist mit dem Herzstechen? Hast du es immer noch?“
„Manchmal, aber ich glaube nicht, dass ich mir deswegen Sorgen machen muss.“
„Glauben heißt nicht wissen.“ Er ließ nicht locker.
„Hat dir jemand schon mal gesagt, dass du ziemlich nervig sein kannst?“
„Bei so einem Sturkopf, wie du es bist, bleibt mir auch nichts anderes übrig.“ Ole spielte meine Bemerkung herunter und schüttelte nur den Kopf. „Falls du mal Abstand von dem Chaos brauchst, kannst du übers Wochenende mit zu mir kommen.“
„Vergiss es, da spielt meine Mutter nicht mit. Die ist in letzter Zeit sowieso ungenießbar.“
„Aber wenn du so weitermachst …“, meinte er.
„Dann interessiert das hier auch niemanden“, beendete ich seinen Satz und Ole gab es auf, mich eines Besseren zu belehren. Mit seiner Unterstützung schaffte ich es, einen Teil meiner Sachen zu verstauen. Ole war schon gegangen, als ich die letzte Kiste verschloss und den heutigen Tag beendete. Ich reckte und streckte ausgiebig meine Glieder und strich mein Haar zurück, bevor ich das Licht der Schreibtischlampe ausmachte. Ich musste positiv nach vorn schauen, auch wenn mir das nicht immer gelang.
Ich sah zum Fenster hinaus, wo sich unzählige Sterne in der Abenddämmerung zeigten. Der Anblick faszinierte mich und lenkte mich ein wenig ab, wenn man bedachte, wie weit sie von der Erde entfernt waren. Es gab so viele unerforschte Planeten und Galaxien und gemessen daran waren meine Probleme so klein wie ein winziges Sandkorn. Zumindest ließ der Vergleich meine Sorgen bedeutend kleiner aussehen. Eine starke Unruhe blieb dennoch und verstärkte sich mit Hereinbrechen der Dunkelheit. Meine Gedanken gaben einfach keine Ruhe. Ich ließ mich auf meinen Stuhl zurückfallen. Die letzten Wochen waren aufreibend und anstrengend gewesen. Hinzu kam, dass ich schlecht schlief. Merkwürdige Träume verfolgten mich. Manchmal schaffte ich es, die Handlung darin zu beeinflussen, doch bei dem letzten Traum war ich dem Geschehen hilflos ausgeliefert. Mit der Zeit hatte ich aufgehört, nach dem Sinn oder Erklärungen zu suchen. Doch der Traum ließ nicht locker, drängte sich mir immer mit der gleichen Abfolge auf. Fast hatte ich den Eindruck, als versuchte er, mir eine Botschaft zu überbringen, die ich noch nicht verstand. Ich wehrte mich mit ganzer Kraft gegen das Einschlafen, bis die Müdigkeit siegte. Mein Kopf sank langsam auf den Schreibtisch nieder, während ich noch glaubte, mich nur kurz auszuruhen. Meine Augen waren kaum geschlossen, da tauchten die Bilder bereits aus meinem Unterbewusstsein auf.
Ich fand mich in einer bizarren Landschaft wieder, umgeben von einer imposanten Felsformation. Eisiger Wind zog über die Landschaft hinweg und verwandelte alles in einen düsteren Ort. Ich zitterte heftig und spürte einen starken Schmerz. Es fühlte sich an, als würde sich die Kälte wie eine ätzende Flüssigkeit in mich einbrennen. Die Struktur und Farbe meiner Haut veränderten sich, bis mein gesamter Körper mit einer schuppenartigen Oberfläche versehen war. Der Schmerz war so stark, dass ich aufschrie, doch ich brachte keinen einzigen Laut heraus. Ich hustete und keuchte, als wäre es die letzte Möglichkeit, meine Stimme wiederzuerlangen. Ich hatte das Gefühl, an meinen eigenen Worten zu ersticken. In meiner Panik schlug ich um mich, kämpfte verzweifelt darum, dem Traum zu entkommen. Doch dann ein lautes Knacken. Ein langer, schmaler Riss wurde im Boden sichtbar, der den Felsen auseinanderbrach. Ich spürte die Erschütterung unter meinen Füßen. Alles bebte und vibrierte mit unglaublicher Kraft. Ich klammerte mich an einen Felsvorsprung, während Steine in die Tiefe schossen. Aus dem Krater sprudelte tiefblaues Wasser hervor. Seine Oberfläche war so klar, dass sich meine ganze Statur darin widerspiegelte. Fassungslos starrte ich in das Gesicht einer vollkommen fremden Gestalt. Eine Mischung, halb Mensch und halb Schlange. Ich hockte mich hin und berührte das Wasser in der Erwartung, dass sich das Bild wieder in mein altes Ich zurückverwandelte. Das Wesen auf der anderen Seite hingegen überreichte mir einen grünen Stein und verschwand.
Alles, was ich in diesen Minuten durchlebte, wirkte so echt, obwohl ich mich nur in der erschaffenen Kulisse meines Unterbewusstseins aufhielt.
Umkehren konnte ich nicht mehr, denn alles was hinter mir lag, löste sich auf. Der Weg vor mir führte bis zum Gipfel hinauf. Der Ausblick zeigte ein Meer von tausend Lichtern, die weit und unbegrenzt schienen, dass ich mich dagegen klein und unbedeutend fühlte. Ich war in eine andere Welt versetzt, vielleicht sogar auf einen anderen Planeten, wo der herabfließende blaue Fluss mit dem Himmel ineinander verschmolz. Ein grünes Licht bewegte sich aus der Ferne auf mich zu und je näher es kam, desto mehr versetzte mir mein Herz einen heftigen Stich. Smaragdgrüne Augen nahmen mich ins Visier und Stimmen erwachten in meinem Inneren. Zunächst war es nur ein leises Wispern, dann laut und klar:
„Zwei Seelen vereint,
verbunden durch den Stein,
das wird dein Schicksal sein.
Erwache, Wächter des Lichts.
Lass dich leiten vom silbernen Band,
es führt dich mit schützender Hand!“
Panisch schreckte ich von meinem Stuhl hoch, sank aber vor Erschöpfung gleich darauf nieder. Ich sortierte meine Gedanken und merkte schnell, dass ich zurück in der Realität war und in meinem dunklen Zimmer vor dem Schreibtisch saß. Ich erwachte, bevor ich erfahren konnte, was diese Worte zu bedeuten hatten. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Reflexartig schnappte ich nach Luft. Der Traum machte mir Angst und während ich um jeden Atemzug rang, spürte ich noch immer den stechenden Schmerz in meiner Brust. Tausende von Fragen jagten mir durch den Kopf. „Was hatte all das zu bedeuten? Was versuchte der Traum, mir zu sagen?“, überlegte ich. Was, wenn mich eine höhere Macht auf etwas vorbereitete? Aber worauf? Andererseits versuchte ich, mir nicht ständig den Kopf darüber zu zerbrechen, und solange der Traum immer an der gleichen Stelle endete, konnte ich nichts damit anfangen. Mein Großvater erklärte mir, dass die Träume das Tor zu unserer Seele seien. Nur verstand ich die Botschaft nicht.
Ich ließ den Kopf auf den Tisch sinken und langsam beruhigte sich auch meine Atmung. Ich fühlte mich wie ein Pullover kurz nach dem Schleudergang. Ziemlich zerknittert, nur dass dieser kein bedrückendes Gefühl in der Magengegend mit sich trug. Die Stimme meiner Mutter zerrte mich aus dem Gedankenkarussell, das wie eine Endlosschleife in meinem Kopf kreiste. Benommen starrte ich zum Fenster in die dunkle Nacht hinaus. Ihre Stimme klang verärgert.
„Linus, würdest du mir bitte eine Antwort geben“, rief sie und kam schnellen Schrittes die Treppe hinauf. Ich zuckte erschrocken zusammen, als mir das grelle Licht durch die geöffnete Zimmertür entgegenschlug.
„Kannst du nicht anklopfen?“ Ich wehrte die Helligkeit mit meinen Händen ab.
„Hättest du mir geantwortet, müsste ich jetzt nicht hier stehen“, sagte sie und als wäre es nicht hell genug, schaltet sie jetzt auch noch das Licht in meinem Zimmer an. Ihr Blick wandelte sich in blankes Entsetzen. „Das darf doch nicht wahr sein. Ich dachte, du bist schon fertig?“
„Na ja“, druckste ich rum, „das Regal und ein paar Kartons stehen schon verpackt im Flur.“
Sie lachte auf. „Soll mich das jetzt beruhigen? Und was ist mit dem Rest? Mit deinen Klamotten und dem ganzen anderen Zeugs, das hier noch so rumsteht.“ Sie schüttelte pikiert den Kopf. Ihr schmales zierliches Gesicht sah angespannt aus und ihr braunes lockiges Haar kräuselte sich widerspenstig aus dem Zopf. „Du weißt schon, dass sich die Unordnung nicht in Luft auflöst, indem du resigniert zum Fenster rausschaust? Geschweige denn, dass sich die Kartons von allein packen?“
Ich spürte, wie sie allmählich die Beherrschung verlor und ihre Augen auf eine Reaktion meinerseits warteten. Der Befehlston und die antreibende Art nervten mich.
„Ja, ich weiß, dass es ziemlich chaotisch wirkt, aber es sieht schlimmer aus, als es ist“, verteidigte ich mich.
„Schlimmer als es ist …“, wiederholte sie meine Worte. „Seit einigen Wochen predige ich dir, deine Sachen zu packen, und was hast du gemacht? Nichts! Kannst du mir verraten, wann du damit fertig werden willst?“ Ihr Blick blieb beharrlich auf mich gerichtet.
„Ich schaffe das schon rechtzeitig.“
„Wann? Heute, morgen? … Wenn du genug Sterne gezählt hast?“, entgegnet sie in scharfem Unterton. „Linus, du bist dir hoffentlich im Klaren darüber, dass unsere Sachen in der nächsten Woche mit dem Containerschiff nach Australien gehen.“ Ihre Stimme wurde lauter. „Ich verstehe nicht, warum du meinst, alle Zeit der Welt zu haben“, ermahnte sie mich und hoffte auf eine Erklärung. Doch ich war zu müde und beschloss, einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Wütend knallte sie die Tür zu und ich war froh, wieder für mich zu sein. Es ergab keinen Sinn, mit meiner Mutter eine Diskussion anzufangen.
Ich sträubte mich so sehr gegen den Umzug, dass mein Verhalten nur eine logische Konsequenz darauf war, und der Stress verbesserte nicht gerade meine innere Haltung. Das war auch der Grund, warum sich mein Zimmer mit unzähligen Büchertürmen und einer heillosen Zettelwirtschaft präsentierte. Allmählich brauchte ich einen Kompass, um das andere Ende zu erreichen. Das Chaos passte zu meiner Gesamtsituation und war streng genommen ein Spiegel, der mein Innerstes nach außen warf.
Nur widerwillig packte ich meine Habseligkeiten, weil es für mich einen endgültigen Einschnitt bedeutete. Wehmütig verschloss ich den Karton und das nicht nur wegen des Inhalts, sondern weil mir dadurch bewusst wurde, dass ich einen Teil meiner Familie, Freunde und Menschen, die mir sehr wichtig waren, zurücklassen musste. Ich verbrachte meine letzten Herbstferien in Deutschland, und die wollte ich nicht mit Packen verbringen. Gezwungenermaßen räumte ich bis spät in die Nacht mein Zimmer auf und war dementsprechend müde, als mich am nächsten Morgen eine trillernde Stimme weckte. Schrill und quirlig, da wusste ich, Tilda, meine kleine Schwester, war im Anmarsch.
Sie war gerade erst sechs Jahre alt und ein kleiner nerviger Lockenkopf, die mit ihrer Raffinesse jeden gekonnt um den Finger wickelte. Aufgeweckt platzte sie in mein Zimmer und vor mir stand ein Traum in Pink. So geweckt zu werden, kam der Methode mit einem Vorschlaghammer gleich.
„Tilda, jetzt nicht, ich schlafe noch“, murmelte ich vor mich hin.
„Wenn du schlafen würdest, könntest du mir keine Antwort geben.“
„Ich rede immer im Schlaf “, versuchte ich, sie loszuwerden, und blinzelte.
Sie stemmte ihre Arme mit einem trotzigen Gesicht in die Hüften und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf.
„Mein Koffer geht nicht zu und das, obwohl Mr Twinkle obendrauf sitzt“, fuhr sie fort. „Das ist eine mittelschwere Katastrophe.“
Meine Schwester liebte es, sich in einer vornehmen und gewählten Sprache auszudrücken. Erwartungsvoll schaute sie mich mit ihren Augen an und ich wusste, dass ein ‚Nein‘ nicht akzeptiert würde. Mir war klar, wenn ich ihrer Bitte nicht nachkäme, würde sie sofort nach unserer Mama schreien, worauf ich erst recht keine Lust hatte.
„Tja, wenn noch nicht mal Mr Twinkle das hinbekommt.“ Ich setzte mich verschlafen auf. „Dann muss ich mir das wohl ansehen.“
„Unbedingt, in Anbetracht der kostbaren Schätze, die sich darin befinden.“ Sie gestikulierte mit ihren Händen, die über und über mit Schmuck behangen waren. Ich trottete halb schlafwandelnd hinter Tilda her und entdeckte in ihrem Zimmer den überfüllten Koffer, der durch die Stofftiere und anderen Krimskrams zu platzen drohte. Mit größter Mühe schaffte ich es, den Koffer zu schließen.
„Siehst du“, meinte sie. „Twinkle und ich hätten das nie allein geschafft.“
Wer jetzt dachte, Mr Twinkle sei ein Stofftier, der irrte sich. Er war ein unsichtbares Geschöpf, das meine Schwester überall hin begleitete. Ich konnte nur hoffen, dass sie ihren imaginären Freund nicht in aller Öffentlichkeit erwähnte. An sich konnte meine kleine Schwester schweigen wie ein Grab. Doch ab und an kam es vor, dass Tilda in Plapperlaune verfiel, während die Augen ihrer Zuhörer größer und ihr Schmunzeln breiter wurden. Ihr aufgewecktes Wesen und ihre herzerfrischende Art, Dinge zu beschreiben, brachten sie schnell mit einer ausgeprägten Fantasie in Verbindung. Ich dagegen sah Tilda mit anderen Augen. Meine eigenen Erfahrungen hatten mich gelehrt – und ich kannte die Reaktionen nur zu gut –, was es hieß, wenn man Sachen sah, die für die meisten Menschen verborgen blieben. Mein Großvater hatte mich oft als Kind dabei beobachtet, wie ich mit meiner Großmutter redete, obwohl sie schon lange Zeit, bevor ich geboren wurde, nicht mehr lebte.
Ich erinnerte mich noch gut an den Tag, als er mir erklärte, dass sie schon lange tot sei. Es war ein Schock für mich, weil ich sie so wahrnahm, als wäre sie noch am Leben. Für Außenstehende war das nur schwer nachvollziehbar und an manchen Tagen fühlte ich mich wie ein Sonderling. Doch würde ich mich meinen Freunden anvertrauen, hielten sie mich womöglich für verrückt. Das war der Grund warum ich vermied, mit anderen über meine Hellsichtigkeit zu sprechen. Es war allerdings eine mühselige Angelegenheit, Tilda das verständlich zu machen. Durch ihre kindliche Naivität fehlte ihr die nötige Sicht. Wie oft redete ich mir den Mund fusselig, doch für sie war Twinkle eine absolut reale Person.
Aufgrund des hohen Altersunterschieds war klar, dass wir nicht viele Gemeinsamkeiten miteinander teilten. Die Art, wie wir unser Umfeld wahrnahmen, knüpfte jedoch ein Band zwischen uns. Selbst unsere Eltern betrachteten unsere Wahrnehmungen stets mit kritischen Augen und führten dies auf die Begleiterscheinungen von zu hohem Medienkonsum zurück. Ich persönlich fand es recht amüsant, wenn Tilda darauf bestand, dass für Mr Twinkle zum Essen immer ein Gedeck mehr aufgestellt werden musste und niemand mit dem Auto losfahren durfte, bevor Mr Twinkle nicht vorschriftsmäßig angeschnallt war. Für meine Eltern war das nicht nachzuvollziehen und Tildas Gabe kostete sie einige Nerven.
Die kumpelhafte und unkomplizierte Art meines Großvaters war der Grund, warum ich mich ihm anvertraute. Sein lockeres Auftreten vereinfachte den Alltag. Ich musste ihm keine großartigen Erklärungen abliefern und er stellte die Dinge, die ich sah, auch nie infrage. Das Land Australien, in dem er lange Zeit gelebt hatte, prägte ihn in seiner Lebenseinstellung und verlieh ihm eine andere Sichtweise. Für ihn, den Lebenskünstler, gab es mehr zwischen Himmel und Erde, als es uns unser menschliches Auge glaubhaft machen konnte. Als ich etwa zehn Jahre alt war, geschah ein merkwürdiges Ereignis, das meine Sichtweise in dieser Sache gehörig auf die Probe stellte.
Es war ein heißer Sommertag. Mein bester Freund und ich machten uns auf den Weg zur Scheune, auf deren Heuboden wir herumtoben und die Strohberge erklimmen konnten. Die Scheune gehörte zu einem abgelegenen Bauerhof und lag zwischen Schafsweiden umgeben von einigen Apfelplantagen. Ich liebte diesen Ort, weil es der perfekte Abenteuerspielplatz für uns war. Hier konnten wir unseren kindlichen Fantasien freien Lauf lassen, indem wir gegen Ritter und böse Drachen kämpften. Die Feldwege nutzten wir selten, stattdessen liefen wir kreuz und quer durch die angrenzenden Weizen- und Maisfelder. Die Maisstauden waren so hoch, dass sie uns ein Labyrinth eröffneten. Die Scheune war durch ihre rote Fassade von Weitem gut sichtbar und einige Meter davon entfernt stand eine Holzbank, die einen herrlichen Blick auf unberührtes Weideland bot.
Wir spielten schon eine ganze Weile dort, kletterten auf Bäumen herum und sprangen im Gras umher, als jemand meinen Namen rief. Das war an sich nichts Ungewöhnliches, doch als ich niemanden entdecken konnte, wurde es unheimlich. Es war keine kindliche Stimme, die sich einen Scherz erlaubte, sondern eine kräftige männliche Stimme.
Ole schaute mich skeptisch an, als ich ihn darauf aufmerksam machte: „Hast du das gehört?“
„Was gehört?“ Er sah mich überfragt an.
„Da ruft jemand ständig meinen Namen.“
„Du spinnst doch“, meinte Ole und fing an zu lachen. Ich stand auf und lauschte.
„Jetzt wieder“, sagte ich aufgebracht, aber Ole glaubte mir nicht.
„Du hörst wahrscheinlich schon Gespenster“, sagte er nur.
Aufmerksam blickte ich mich um und sah plötzlich eine Person auf der Bank sitzen. Einen Mann, der eine abgewetzte Hose und ein blaukariertes Hemd trug, dazu einen braunen Hut. Ole war inzwischen auf einen Apfelbaum geklettert, der die Grundstücksgrenze einer anderen Weidefläche markierte. Ich deutete mit dem Finger auf den Mann und fragte Ole, ob er wisse, wer das sei.
Suchend wanderte sein Blick umher. „Wen meinst du? Ich kann niemanden sehen“, entgegnete Ole irritiert. „Was ist heute los mit dir?“, fragte er, aber ich sah den Mann ganz deutlich.
Schließlich fasste ich all meinen Mut zusammen und ging entschlossen auf den Fremden zu. Der Mann besaß schneeweißes Haar und musterte mich mit seinen stahlblauen Augen. „Wer sind Sie? Ich habe Sie noch nie hier gesehen?“, fragte ich ihn, doch er antwortete mir nicht. Stattdessen zückte er ein Taschenmesser und begann schweigsam, ein Stück Holz zu bearbeiten. Er wirkte sonderbar. Schließlich erklang ein krachendes Geräusch, gefolgt von einem dumpfen Schlag. Erschrocken drehte ich mich um und entdeckte Ole regungslos im Gras liegend. Aufgeregt lief ich zu ihm hin. Er war durch einen maroden Ast vom Baum gefallen. Er setzte sich auf und rieb sich den Kopf.
„Führst du jetzt schon Selbstgespräche?“, begann er und sofort blickte ich zur Bank, doch da war niemand mehr. Der Fremde schien spurlos verschwunden. Wahrscheinlich hatte ich mir den Mann wirklich nur eingebildet. Doch dann entdeckte ich den Hut. Ich lief zurück und winkte Ole herbei, dabei bemerkte ich eine Inschrift mit dem Namen ‚Johann Hinercksen‘. Mir kam das alles sehr seltsam vor und auch Ole wusste nicht, was er davon halten sollte. Wir überlegten, aber kannten niemanden mit diesem Namen. Mein bester Freund sah mich verblüfft an, als ich beschloss, den Besitzer ausfindig machen zu wollen. Wir gingen an einem Hofladen vorbei, der direkt an der Hauptsraße lag. Frau Hedda, eine drahtige ältere Dame, die ihre Haare streng zu einem Dutt zusammengebunden hatte und eine viel zu große Brille trug, kam gerade mit ihrem Einkauf aus dem Laden. Sie war immer bestens über den neusten Tratsch und Klatsch in der Gegend informiert. Mit neugierigen Blicken musterte sie uns. Sie konnte förmlich riechen, wenn etwas im Busch war. Die Wissbegierde in ihren Augen drängte darauf, zu erfahren, was wir wohl vorhatten. Ihren Blick richtete sie auf den Hut, den ich in meinen Händen hielt.
„Kennen Sie einen Johann Hinercksen?“, begann ich und zeigte auf den Namen in dem Hut. Skeptisch betrachtete sie die Kopfbedeckung, fast ein wenig erschrocken, sodass ich annahm, es hätte ihr die Sprache verschlagen.
Nur ihre Neugier trieb sie weiter voran. „Aber …?“ Sie druckste herum und wir spürten ihr Unbehagen, bevor sie schlussfolgerte: „Der ist doch schon lange tot.“ Einen Atemzug später fügte sie hinzu: „Seit über zehn Jahren.“ Ein kalter Schauder überlief mich und Oles Gesicht wurde ganz bleich. Wir hatten mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass ich den Hut eines Verstorbenen in den Händen hielt, der mir bis eben noch sehr lebendig schien.
„Das kann nicht sein“, widersprach ich ihr. „Er hat seinen Hut eben erst auf der Bank liegengelassen.“
„Papperlapap!“ Frau Hedda spielte meine Antwort herunter. „Das ist unmöglich.“ Kurz überlegte sie: „Meint ihr etwa die Bank bei der roten Scheune?“ Ich nickte. „Ja, das Land hat ihm gehört. Er saß dort oft nach getaner Arbeit.“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf, während das Gehörte in ihr arbeitete. Frau Hedda zögerte nicht lang und forderte uns auf, ihr zu folgen. Für ihr hohes Alter legte sie einen schnellen Schritt an den Tag. Sie brachte uns zu dem Hof, der dem Mann zu Lebzeiten gehört hatte. Wir schauten auf ein leerstehendes Fachwerkhaus, an dem die Zeit ihre Spuren hinterlassen hatte. Der Vorgarten war von Unkraut überwuchert und verdeckte den gepflasterten Weg, der sich bis zum Eingang schlängelte. Doch dann setzte sich das verwitterte Gartentor mit einem knarrenden Geräusch in Bewegung. Möglich, dass es der Wind aufgestoßen hatte, aber Frau Hedda schaute ängstlich auf. Für mich war der verlassene Hof jedoch kein Beweis und keine Erklärung dafür, weshalb ich den Hut eines Verstorbenen in den Händen halten sollte.
„Gibt es noch einen Johann Hinercksen?“ Ich sah sie fragend an.
„Nein, auf keinen Fall. Ich kann euch zu seinem Grab bringen, wenn ihr mir nicht glaubt. Der Friedhof ist gleich um die Ecke“, sagte sie und war schon vorausgeeilt.
Schmale geschotterte Wege führten durch die Reihen, bis wir vor einem einzelnen Grab standen. Der Name war nur in schwacher Schrift auf der Marmorplatte zu lesen. Ich ging ganz nah heran und fuhr mit den Fingern über die eingravierten Buchstaben. Dabei entdeckte ich unterhalb des Grabsteins ein Stück Holz, mit eingeritzten Buchstaben darauf.
Ole riss seine Augen weit auf. „Linus“, sagte er aufgebracht, „sieh doch, da steht dein Name!“
Frau Hedda beobachtete uns mit kritischen Blicken, doch als ich erwähnte, dass der Mann dieses Stück Holz bei sich hatte, bekreuzigte sie sich und war blitzschnell verschwunden. Den Hut legte ich auf dem Grabstein ab und hoffte, dass damit der Spuk vorbei wäre. Auf dem Rückweg kamen wir noch einmal an dem Hof vorbei. Ole blieb wie erstarrt stehen und zeigte zum Treppeneingang. „Was ist, Ole?“ Doch er bekam kein einziges Wort über die Lippen. Ich traute meinen Augen nicht, dort lag tatsächlich der Hut, den ich eben auf dem Grabstein abgelegt hatte.
„Das kann unmöglich derselbe sein“, sagte ich und ging langsam auf den Eingang zu, während wir uns durch die maroden Fenster, an denen noch die verstaubten Vorhänge hingen, beobachtet fühlten. Ich war durcheinander. Nichts ergab einen Sinn. Es war wirklich derselbe Hut und daneben lag wieder ein Stück Holz mit eingeritzten Großbuchstaben. „NYRO“, las ich und auf der Rückseite stand wieder mein Name. Mit zittrigen Händen hielt ich es Ole hin.
„Nyro“, sprach er den Namen aus, „hast du eine Ahnung, was das zu bedeuten hat?“ Er grübelte. „Vielleicht Initialen oder ein Kürzel. Aber warum steht dort dein Name?“ Ole schaute mich überfragt an. In unserer Panik ließen wir die Sachen an Ort und Stelle fallen und rannten weg. Trotz einiger Überlegungen fanden wir keine plausible Erklärung. Bis heute war dieses Erlebnis unfassbar und mysteriös zugleich und mit dem menschlichen Verstand nicht zu begreifen.
Ole tat sich mit übersinnlichen Dingen schwer, weil er seine Umwelt anders wahrnahm. Dennoch versuchte er, mich zu verstehen, was ein echter Freundschaftsbeweis war. Ab und an scherzten wir über meine Eingebungen, die Ole meist in die Spuki-Abteilung einordnete, wie er gern dazu sagte. Eine Bezeichnung, die ich selbst witzig fand. Die Tatsache, dass ich Verstorbene sah, löste oft ein befremdliches Gefühl in mir aus. Obwohl mir die Seelen aus dem Jenseits nicht unfreundlich begegneten. Ich denke, dass es eher die Angst vor dem Unbekannten war. Mit zunehmendem Alter rückte meine Gabe mehr und mehr in den Hintergrund, wofür ich sehr dankbar war. Das Einzige, was blieb, waren meine lebhaften und sehr realen Träume, über die ich mich oft mit meinem Großvater austauschte. Mit meiner Mutter redete ich über so etwas nicht. Sie war ein Kopfmensch und hatte für so übersinnliches Zeug nichts übrig. Für sie musste es immer eine logische Erklärung geben. Bei meinem Vater hingegen dachte ich anfänglich, er wäre in dieser Sache offener, doch mit der Zeit merkte ich, dass auch er meine Eingebungen und Träume eher als blühende Fantasie abtat. Meine Rettung war mein Großvater Tom, der uns beim Abbau unserer Möbel half, wofür mein Vater sehr dankbar war. Tom kam gerade zur Tür herein, als ich tatkräftig Teddy und Co. unter den strickten Anweisungen meiner kleinen Schwester verstaute. „Sei vorsichtig!“, rief sie.
„Tilly, bei der Menge an Kuscheltieren kann ich nicht auch noch darauf achten, dass die Nasen nicht eingedrückt und die Frisuren nicht zerstört werden.“ Ich war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren.
„Wie ich sehe, seid ihr fleißig bei der Arbeit“, brachte sich Tom ein.
„Wo ist Mr Twinkle?“, meinte Tilda plötzlich und riss den Koffer wieder auf. Aufgeregte wühlte sie den gesamten Inhalt heraus.
„Was machst du denn?“, rief ich entsetzt. Panisch lief Tilda umher und suchte nach Twinkle. Mein Großvater und ich wussten gar nicht, wie uns geschah. So hatten wir meine kleine Schwester noch nicht erlebt. Tom redete auf sie ein, sie war vollkommen außer sich.
„Linus, du musst mir suchen helfen.“ Sie zupfte an meinem Arm.
„Ich kann jetzt nicht. Aber Opa hilft dir bestimmt“, redete ich mich raus.
„Zusammen finden wir ihn viel schneller.“ Sie ließ nicht locker.
„Ich habe jetzt keine Zeit“, sagte ich und hatte andere Sorgen, als mich um ihren unsichtbaren Freund zu kümmern. Zum Glück erlöste mich Tom von meiner Schwester und verbrachte einige Stunden damit, Mr Twinkle zu suchen. In unserem Haus lag Anspannung in der Luft, die beim kleinsten Funken zu explodieren drohte. Die Tage rasten nur so an mir vorbei und es gab noch reichlich zu tun. Mein Großvater war mein Ruhepool und auch, wenn die Suche erfolglos blieb, hatte er die perfekte Ablenkung für Tilda parat.
„Was hältst du davon, wenn ich dir später eine Geschichte vorlese?“, fragte er Tilda.
„Oder …“, unterbrach ihn meine Schwester, „du singst mir ein rockiges Gutenachtlied vor!?“
Lachend willigte er ein. „Von mir aus auch das.“ Dabei drückte ihn Tilda so sehr, als wollte sie ihn gar nicht mehr loslassen. Für meinen Großvater war es ein Leichtes, uns auf seiner Gitarre ein kleines Konzert zu geben. Er hatte schon viele Auftritte mit seiner Band gespielt und die Musik war ein fester Bestandteil seines Lebens. Als Person fiel Tom nicht gerade in die klassische Kategorie eines Opas. Vom Aussehen her war er groß, schlank und eher ein Biker-Typ, meist mit umgebundenem Kopftuch, Sonnenbrille und – nicht zu vergessen – Lederjacke, das waren seine Markenzeichen. In seinem Leben hatte er schon viel erlebt und durchlebt.
Einige Glücksmomente, aber auch Schicksalsschläge, die auch vor ihm nicht Halt gemacht hatten.
„Können wir kurz reden?“, fragte er mich und betrat mein Zimmer.
„Ja, komm rein!“ Der Klang, der in seiner Stimme lag, sagte mir, dass es etwas Wichtiges zu besprechen gab. Viel an Behaglichkeit hatte mein Zimmer nicht zu bieten. An den Wänden lehnten die Böden des abgebauten Kleiderschranks und einige Möbelstücke standen verpackt im Flur. Außer meiner Matratze und einem Schreibtisch bestand der Raum nur noch aus Umzugskartons, auf denen wir Platz nehmen konnten. Erwartungsvoll schaute ich ihn an. Ich spürte, dass er besonders nachdenklich war. Er räusperte sich und schluckte heftig, als blieben ihm die Worte im Hals stecken. Seine Stimme klang rau.
„Ich habe dir etwas mitgebracht“, begann er und holte ein kleines Kästchen, bemalt mit einer Regenbogenschlange, aus seiner Jackentasche. „Ich wollte es dir schon an deinem Geburtstag geben. Aber in dem ganzen Trubel fand ich nicht den passenden Zeitpunkt.“ Behutsam nahm ich das Kästchen entgegen und öffnete vorsichtig den Deckel. Ich wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte, und als ich einen leuchtend grünen Stein erblickte, stockte mir der Atem. „Es ist ein Opal“, fügte er erklärend hinzu. „Ich habe den Stein damals in Australien bei einer Tour durch Queensland gefunden. Die Ureinwohner nutzen ihn für ihre Traumzeit.“ Als ich den Opal betrachtete, fuhr ein Schock durch meinen ganzen Körper. Plötzlich spürte ich die gleiche Anspannung wie in meinen seltsamen Träumen. Dieser Stein war derselbe, nur dass ich ihn jetzt leibhaftig in meinen Händen hielt. Die Worte meines Großvaters holten mich aus meinen Gedanken zurück. Er lachte kurz auf. „Ich denke, dass der Opal mich gefunden hat und nicht umgekehrt. Kannst du dich noch an die Geschichte erinnern, die ich dir erzählt habe, als du noch ein kleiner Junge warst?“
Ich überlegte. „Ehrlich gesagt kann ich mich nur noch lückenhaft daran erinnern. Aber ich würde sie gerne noch mal hören.“ Vielleicht würde sie mir Aufschluss darüber geben, in welchem Zusammenhang die Dinge standen. In großer Erwartung schaute ich ihn an und hoffte, durch die Geschichte mehr über den Opal zu erfahren, der regelmäßig in meinen Träumen auftauchte. Dabei blieb mir nicht verborgen, dass sich das Gesicht meines Opas aufhellte, als er zu erzählen begann. Seine Augen leuchteten bei den Erinnerungen, mit denen er die Vergangenheit wiederbelebte.
„Es war das Jahr 1969, als ich und deine Großmutter Ella beschlossen, eine neue Existenz in Australien aufzubauen. Nicht mit mehr als einem Rucksack und einer einfachen Zeltausrüstung ausgestattet durchquerten wir das Land, auf der Suche nach einem Fleckchen Erde, das uns durch seine Schönheit gefangen nahm. In Wonga Beach in Queensland fanden wir den passenden Ort. Ein Paradies, das geschützt zwischen dem Mossman und dem Daintree, dem ältesten Regenwald, lag. An diesem Ort berührten sich der Regenwald und das Meer mit seinen wunderschönen kilometerlangen weißen Sandstränden. Ein einzigartiges Naturschauspiel. Durch das tropische Klima, das dort vorherrschte, wuchsen unzählige Pflanzenarten. Es war das Gebiet des Stammes der Eastern Kuku Yalanji-Ureinwohner und es erstreckte sich von Cooktown bis Port Douglas. Dieses Areal hatte eine geistige und kulturelle Bedeutung für die dort lebenden Aborigines. Wie der Zufall es wollte, entdeckten wir eine abgelegene Farm, die zum Verkauf stand. Eukalyptusbäume und hohe Palmen säumten das Grundstück, das unweit vom Meer entfernt lag. Der Eingangsbereich des Hauses war mit einer Veranda versehen, die zum Verweilen einlud. Und dann gab es noch zwei weitere massive Pfahlbauten, die auf dem Grundstück standen. Sie waren ideal, um sie zu Ferienwohnungen umzubauen. Das Anwesen nahm mich sofort gefangen und ich wusste, als ich es sah: Hier wollte ich alt werden. Auf dem weitläufigen Gelände lebte Mrs Margret Williams, eine englische Lady, die, bedingt durch ihr hohes Alter, nun bereit war, das Anwesen abzugeben. Meine Idee war es, ein kleines Bed and Breakfast-Hotel zu führen und Touren für die Touristen anzubieten.“
„Mein neues Zuhause?“ Ich brachte mich in seine Erzählung ein. Ich wusste nicht warum, aber die Tatsache, dorthin zu gehen, wo mein Großvater zuvor alles aufgebaut und einige Jahre gelebt hatte, beruhigte mich. Vielleicht, weil es mir etwas Vertrautes gab. Er senkte den Kopf und sein Blick wirkte traurig. Ich wusste, dass es nicht leicht für ihn war, uns in das Land gehen zu lassen, dass er damals in tiefer Trauer verlassen hatte. Jetzt, wo er wieder darüber sprach, merkte ich ihm den Verlust seiner Frau deutlich an. Er kämpfte gegen den aufkeimenden Kummer, doch in diesem Punkt machte er mir nichts vor, auch wenn er versuchte, seine Fassade zu wahren. Der Tod meiner Großmutter veränderte sein Leben. Mit ihr ging ein wichtiger Teil der Familie verloren. Schweren Herzens traf er damals die Entscheidung, mit meiner Mutter, die in Australien geboren und erst drei Jahre alt gewesen war, zurück nach Deutschland zu gehen. Von einen auf den anderen Tag gab er seinen lang gehegten Lebenstraum auf. Die Farm, die er gekauft und auf Vordermann gebracht hatte, überließ er seinem Freund Jarumi, der dort schon seit seiner Kindheit lebte. Mrs Williams, die Vorbesitzerin, hatte ihn wie ihren eignen Sohn aufgezogen. Nach einem Moment des Schweigens fuhr Tom mit seinen Erinnerungen fort. „Habe ich dir schon erzählt, wie Jarumi zu Mr Williams kam?“, fragte er nach.
„Nein, du hast mir zwar schon viel über ihn erzählt, aber nicht das.“ Sein Blick schweifte ab, als liefe vor seinem inneren Auge ein Film ab.
„Es waren harte Zeiten und die Geschichte der Ureinwohner war geprägt von vielen dunklen Kapiteln, die sie durchlebt hatten.“ Er richtete sein Wort wieder an mich. „Fehlendes Verständnis und Akzeptanz sorgten dafür, dass in diesem Land zwei Kulturen aufeinanderprallten, doch ihre Lebensweisen waren zu verschieden, sodass sich der Weg der Annährung nicht gerade leicht gestaltete. Anstelle sich gegenseitig zu respektieren, unterdrückte die vorwiegend europäische Bevölkerung die Aborigines. Sie sollten nach westlichem Vorbild heranwachsen. Eine Ideologie, die bis spät in die 1970er-Jahre reichte. So wurden die Ureinwohner gezwungen, ihre Kinder zur Adoption freizugeben. Streng genommen stellte diese Maßnahme eine Rechtfertigung für Zwangsarbeit dar, indem die Jungen zu Farmhelfern und die Mädchen zu Haushaltshilfen deklariert wurden. Diese Kinder gingen als ‚Die gestohlene Generation‘ in die Geschichte ein. Die Ureinwohner wurden in ihrer Vergangenheit vertrieben, missbraucht und in ihren Menschenrechten beschnitten. Jarumi kam zu einer Familie, die eine große Farm betrieb, und arbeitete dort sehr hart. Dann wurde er schwer krank und die Familie empfand ihn als Last. Mrs Williams, die dort ihre Lebensmittel einkaufte, hörte von dem Schicksal des Jungen. Allein die Vorstellung, dass ein Kind wegen Krankheit als nicht brauchbar galt, war für sie grausam genug. Sie nahm sich seiner an und befreite ihn von den Menschen, die diesen Kindern die Kindheit stahlen. Liebevoll pflegte sie Jarumi, bis er wieder gesund war. Gleichzeitig versuchte sie, ihm die verloren gegangene Geborgenheit durch den Verlust seiner Familie, seines Stammes zu ersetzen.“ In meinem Gesicht zeichnete sich das blanke Entsetzen ab, während mein Großvater weiter berichtete. „Als ich damals die Farm übernahm, lernte ich Jarumi kennen. Er war im gleichen Alter wie du jetzt. Er hätte selbst die Farm übernehmen können, doch er lehnte ab. Er war sich unschlüssig, ob er weiterhin dort leben wollte oder zu dem Ort zurückkehren mochte, dem er so jung entrissen und von dem er zwangsläufig entwurzelt wurde. Schließlich entschied er sich, noch einige Zeit zu bleiben, bevor er sich auf den Walkabout begab. Jarumis Schicksal hatte einen guten Verlauf genommen und bei Mrs Williams hatte er ein Zuhause gefunden, in dem er sehr behütet aufwuchs, obwohl das zu dieser Zeit nicht der Norm entsprach. Die Ureinwohner sah man als Menschen zweiter Klasse an. Doch Mrs Williams hatte immer ein gutes Herz und Jarumi hatte nichts Besseres passiere können. Mrs Williams widerstrebte es, sich den Gepflogenheiten dieser Gesellschaft unterzuordnen; sie vermied es aber, ihre Meinung über diese Vorgehensweise kundzutun. Sie wollte den Machenschaften nicht schutzlos ausgeliefert sein, die von Hass und Vorurteilen geprägt waren.“ Tom beendete seine Schilderung der Vergangenheit, während in mir eine unbändige Wut darüber aufkeimte, mit welchem Recht Menschen darüber urteilten, wer besser oder schlechter sei.
Doch soweit musste man nicht in der Zeitgeschichte zurückgehen, um zu erkennen, dass selbst in unserer heutigen Weltanschauung noch immer Vorurteile und Abgrenzungen existierten. Zum Glück gab es Menschen wie Mrs Williams, die sich dem nicht beugen wollten. Tom holte aus seiner Brieftasche ein Foto hervor, auf dem er als junger Mann mit Anfang Zwanzig zusammen mit Jarumi zu sehen war. Ein schwarz-weißes Foto das schon leicht abgegriffen und durch die Zeit eine leicht gelbliche Färbung besaß. Ich hörte meinem Großvater Tom gerne zu, wenn er von seiner Zeit in Australien sprach. Eine Lebensfreude spiegelte sich dann in seinem Gesicht wider, wie ich sie schon lange nicht mehr bei ihm gesehen hatte. Er begann, zu lächeln, als er das Foto betrachtete. „Jarumi wurde ein sehr guter Freund. Wir verstanden uns, ohne dass es vieler Worte bedurfte. Der Umbau der Farm bedeutete harte Arbeit, aber dennoch wuchs in mir die unglaubliche Freude darüber, dass ein lang gehegter Lebenstraum in Erfüllung ging. Zum ersten Mal baute ich mir in meinem Leben etwas auf. Ella, deine Großmutter brachte ihre Kreativität mit ein. Zudem besaß sie einen grünen Daumen, der aus einer öden Graslandschaft einen zauberhaften Ort erwecken konnte.“
„Und Jarumi? Lebte er mit euch in dem großen Haus?“ Ich sah ihn fragend an.
„Nein, er hatte sich in einem der Pfahlbauten häuslich eingerichtet. Manchmal war er wochenlang weg und begab sich auf den Pfad seiner Ahnen. Er legte keinen Wert auf den Lebensstandard, wie wir ihn gewohnt waren. Obwohl er damit aufwuchs, blieb ein Teil in ihm seiner Kultur treu. Die Natur vermittelte ihm die Nähe zu seinem Ursprung. Er sagt, eins zu sein mit dem, was uns umgibt, sei der größte Reichtum, den wir besitzen könnten, und er beruft sich dabei auf die Weisheiten der Ältesten seines Stammes. Er besaß nie viel und materielle Dinge bedeuten ihm nichts. Zwischen uns herrschte ein Gleichklang, der aus beiderseitigem Geben und Nehmen bestand.“ Während mein Großvater erzählte, drängte sich mir mehr und mehr die Frage nach dem Opal auf.
Ich unterbrach ihn: „Wo hast du den Opal denn nun gefunden?“
„Ja, richtig. Ich erkundete damals mit Jarumi die Umgebung. Immer auf der Suche nach außergewöhnlichen Plätzen, an denen man die Natur in all ihren Facetten entdecken konnte. Jarumi war der besten Fährtenleser, den ich mir an meiner Seite wünschen konnte. Aborigines haben einen ganz besonderen Bezug zur Natur. Sie wachsen auf, als wären sie eins mit ihr. Alle Lebewesen, wie auch die Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft, sind ihnen heilig und gelten ihnen als Geschenk ihrer Ahnen. Aber ich schweife vom Thema ab.“ Tom grinste. „Wir waren schon seit dem Morgengrauen im Outback unterwegs und hatten einige Kilometer zurückgelegt. Die hereinbrechende Dunkelheit zwang uns, ein Nachtlager zu errichten. Wir saßen gemütlich am wärmenden Feuer und Jarumi erzählte mir die Geschichte der Opale. In den Traumzeitgeschichten der Ureinwohner heißt es, dass die Regenbogenschlange die Farben des Himmels auf die Erde brachte, um den Menschen Licht zu schicken, und so die Opale erschuf.“ Ich folgte aufmerksam seinen Erzählungen. „Über uns lag das Sternenzelt. Ein Funkeln und Leuchten, so klar wie tausend kleine Diamanten. Der Anblick überwältigte mich, ein beeindruckendes Schauspiel“, sagte er. „Jarumi war ein ausgesprochen guter Kenner, was die Sternenbilder betraf. Er hatte gelernt, aus den Karten des Himmels zu lesen und den jeweiligen Standort zu ermitteln. Sie dienten ihm als Orientierungspunkte und Wegweiser. Ein Navigationssystem, das ihn überall hinführen konnte.“
Ich mochte Toms lebendige Schilderungen, bei denen ich das Gefühl hatte, mich selbst an Ort und Stelle zu befinden. Doch in dem Moment, in dem die Geschichte interessant zu werden schien, wurde unsere Unterhaltung durch meine Mutter gestört. Der Zeitpunkt hätte nicht unpassender sein können. Wir hatten die Zeit völlig aus den Augen verloren und nicht bemerkt, wie spät es bereits geworden war. Die Lebensgeschichte meines Großvaters fesselte mich immer wieder aufs Neue und da der November nicht viel zu bieten hatte, außer sich in einem schmuddeligen Grau zu zeigen, waren interessante Gespräche ein netter Zeitvertreib. Meine Mutter sah müde und abgespannt aus und von ihrer sonst so starken Präsenz war nicht viel zu spüren. Ihr Name Tara, der ‚Erde‘ bedeutete, passte zu ihr, weil sie die Dinge aus einer nüchternen Perspektive heraus betrachtete. Sie stand fest mit beiden Beinen im Leben und was sie sich in den Kopf setzte, musste umgesetzt werden. Mit ihrem Blick forderte sie meinen Großvater auf, sein Versprechen bei Tilda einzulösen. Meine kleine Schwester wusste immer, wie sie ihr Ziel erreichen konnte. Eine von vielen Situationen, die mich innerlich auf die Palme brachten.
Tilda lag in ihrem Bett und kämpfte wie eine tapfere Kriegerin gegen die Müdigkeit, doch an Schlaf war erst dann zu denken, wenn sie ihr Gutenachtlied bekam. Ziemlich erschrocken blickte Tom auf die Uhr. Zu gern hätte ich meinem Großvater weiter zugehört und war enttäuscht, dass unser Gespräch so abrupt beendet war. Die Fragen, die mir auf der Seele brannten, mussten warten. Er stand schon in der Tür, während ich insgeheim darauf hoffte, das Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen zu können. Geduld zählte nicht gerade zu meinen Stärken. Mir war bewusst, dass meine Mutter immer einen Einwand fand, die Zeit nicht mit unwichtigen Dingen zu verplempern. Für sie hatte der Umzug Priorität. Möglich, dass meine Bedenken unbegründet waren, doch ich kannte meine Mutter. Sie konnte ziemlich ungemütlich werden, wenn es nicht nach ihrem Plan ging. Ihre Unzufriedenheit spürte ich in jedem ihrer Worte, die besonders mich ungebremst trafen. Dabei hörte sich ihr Tonfall oft unfreundlicher an, als es gemeint war. In dem Moment wünschte ich, Tom könnte meine Gedanken lesen – und genau so war es. Beim Hinausgehen drehte er sich noch einmal um.
„Du kannst mir Morgen bei einigen Besorgungen behilflich sein. Ich hole dich gegen zehn hier ab.“ Er verabschiedete sich. Es bedurfte keiner weiteren Erklärungen, um zu wissen, was er vorhatte. Der Vorwand, ein paar Besorgungen zu erledigen, war die perfekte Tarnung.
Meine Mutter stöberte verlegen durch meine Sachen und verhielt sich merkwürdig. Ich hingegen versuchte, sie zu ignorieren, und stapelte die restlichen Kisten sorgfältig übereinander.
„Okay, was mache ich jetzt wieder falsch?“, brach es aus mir heraus.
„Gar nichts, du machst nichts falsch.“
„Du hast doch was, also sag schon, was ist los, Mum.“ Sie wich zunächst meinem Blick aus und wühlte in meinen aussortierten Kleidungsstücken herum. Sie trug den gleichen nachdenklichen Gesichtsausdruck wie mein Großvater. Auch wenn sie nicht oft einer Meinung waren, teilten sie doch viele Wesenszüge. Versöhnlich schaute sie zu mir auf.
„Ich muss mich bei dir entschuldigen. Dass ich dich vorhin so angefahren habe, tut mir leid“, begann sie und strich mit ihrer Hand über meine Schulter. „Mir wächst zurzeit alles über den Kopf und der Tag hat nicht genügend Stunden, um das alles in der Kürze der Zeit zu schaffen. Und dann ist da noch Tilda, die ständig etwas anderes will.“