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Table of Contents

Title Page

Impressum

Auf den Weg

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Mehr wahre Erlebnisse von Manfred Höhne bei DeBehr

Vom Autor bisher erschienen

Über den Autor

 

 

 

Manfred Höhne

 

 

Mord,

der viele Väter hat

 

Tatsachen-Roman

über eine Republik-Flucht

und deren Folgen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DeBehr

Copyright by Manfred Höhne

Herausgeber Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2020

ISBN: 9783957538352

Umschlaggrafik Copyright by: AdobeStock by @butch

 

 

Auf den Weg

Diese Erzählung ist dem Erleben eines Freundes nachgezeichnet und beruht in seinen Kernaussagen auf einer wahren Begebenheit. Es ist das Anliegen, die Zeit der Wendejahre in einem kleinen Stück Ostdeutschlands in Erinnerung zu halten, die in der nachwachsenden Generation immer mehr verloren geht. Mich plagt dabei die gleiche Besorgnis, wie das zunehmende Vergessen der „Völkerkriege des weißen Mannes“ oder des Holocausts im Land der Dichter und Denker. Möge das Buch ein Interesse wecken, selbst zu recherchieren und nachzulesen.

Der Autor

 

Kapitel 1

Es war ein Schuss. Unverwechselbar! Ich kannte das Geräusch seit Jahren, da ich bei Treibjagden das Ballern von Schrot- und Kugelläufen verinnerlicht hatte. Aber dieser Knall war anders, und ich mutmaßte, dass es der Schuss eines Kleinkalibers war, einer Pistole. Warum ich dies mutmaßte, konnte ich nicht sagen, ich hatte noch nie den Schuss einer Pistole gehört. Der Schuss musste aus der Wohnung direkt über mir gekommen sein. Vielleicht war es ja eine Flinte oder ein Karabiner, dessen typischer Schallpegel durch die Hausdecken so verändert wurde.

Einen Moment dachte ich an den Mann, den ich jagte, verwarf den Gedanken aber wieder. Das Haus war jetzt voller zwielichtiger Gestalten, seit die „bürgerliche Mitte“ sich andere Wohnungen in Halles besseren Vierteln gesucht hatte. Ich kannte ja hier niemand. Ich gehörte zu der seltenen Spezies Mensch, die ohne Neugier auf ihre Nachbarn ist. Selbst auf der Straße erkannte ich die Menschen nicht, denen ich immer einmal wieder in den Aufzügen meines Wohnsilos begegnete (ausgenommen sehr junge und sehr hübsche Frauen). Angestrengt lauschte ich nach oben auf ein nachfolgendes Geräusch, aber es folgte keines. Müsste ich trotzdem eine Meldung machen? Oder so tun, als habe ich nichts gehört. Ich entschied mich, Harry anzurufen, vielleicht hatte es ja doch etwas mit Vogler zu tun. Ich rief ihn auf seinem Diensthandy an. Er hatte jetzt solch ein modernes Ding mit einer winzig kleinen knubbeligen Antenne, das er immer bei sich zu tragen verpflichtet war. Er hatte es mir mit einem gewissen Stolz gezeigt, gleichzeitig aber beklagt, dass er sich nun wie am Gängelband geführt fühle, seit er es in seiner Jackentasche bei sich trug. Er meldete sich sofort, nicht so freundlich wie sonst, aber umso freundlicher, als er meine Stimme hörte. Ich berichtete ihm, verschwieg ihm aber meine Zettelaktion an den Türen und Liften. „Vielleicht hatte es ja mit Vogler zu tun“, sagte ich, „jedenfalls bitte ich dich zu entscheiden, ob ich zu einer Meldung verpflichtet bin.“ „Auf jeden Fall bist du das!“, war seine Antwort.

„Aber ich nehme dir das ab und setzte das Revier von Neustadt in Marsch, die sollen sich darum kümmern. Aber du müsstest in der Wohnung bleiben, falls es noch Fragen gibt. So oder so, das heißt, auch wenn es kein Schuss aus einer Waffe war.“

„Ich bin bis zum Mittag zu Hause“, sagte ich, „ich hatte einen aufreibenden Nachtdienst und habe jetzt ‚Erholungsurlaub‘.“

„Ich muss Schluss machen, du hörst von mir“, sagte Harry und beendete das Gespräch. Unvermittelter als sonst, aber es war, wie ich wusste, seine Rushhour, in der sich Telefonate an seinen zwei Diensttelefonen, seine Sekretärin mit dringenden Papieren, und Kollegen mit wichtigen Fragen vor seinem Schreibtisch drängten. Gegen Mittag klingelte es an meiner Wohnungstür. Ich hatte mich mit dem Bademantel auf das Bett gelegt, später die Decke über mich gezogen und war offensichtlich in meinem Tiefschlaf, als das Läuten an der Tür endlich zu mir drang. Noch im Halbschlaf öffnete ich die Tür, vor der zwei Männer in Uniform standen und um Einlass baten. Ich bat sie in mein Wohnzimmer und hieß sie, Platz zu nehmen. Auf ihre Frage bestätigte ich, dass ich einen Schuss gehört hatte. Sie wollten die genaue Uhrzeit wissen, die ich nur in etwa angeben konnte. Sie baten um meine Personalien, und ich zeigte ihnen meinen Klinikausweis, den ich immer in der vorderen Tasche meines Sakkos bei mir trug. Meine Fragen zu ihren Ermittlungen beantworteten sie nicht. Ich ließ nicht locker. „Wenn es der Schuss auf einen Menschen war, wäre es doch wohl hilfreich, wenn sie Schmauchspuren an meinen Händen observieren würden. Ich habe noch nie im Leben eine Pistole und seit Jahren keine Schrotflinte mehr in Händen gehabt“, sagte ich. Die Männer schauten sich an und der zweite Uniformierte, der bisher geschwiegen hatte, schüttelte den Kopf und meinte, das sei nicht nötig. Vielmehr wollten sie von mir wissen, ob ich der Verfasser der Aufrufe sei, die sie am Hauseingang und im Lift gelesen und entfernt hatten. Das bejahte ich, gab aber keine Erklärungen dazu ab, sondern verwies auf Hauptkommissar Lisker, der dazu ausführliche Unterlagen habe und den ich auch am Morgen von meiner Wahrnehmung informiert hatte. Dazu wollten sie weitere Auskünfte, aber ich blieb bei meiner Entscheidung und verwies noch einmal auf Lisker. Sie gaben sich schließlich zufrieden und verabschiedeten sich. Ich aber blieb in einer seltsamen Unruhe zurück. Schlafen konnte ich nicht wieder.

Hauptkommissar Lisker hatte ich vor zwei Jahren kennengelernt und war seitdem mit ihm befreundet. Es war eine unangenehme Sache in unserer Klinik gewesen. Die Oberschwester hatte sich mir anvertraut, weil eine Klinikpackung mit Morphium-Ampullen aus ihrem „Giftschrank“ verschwunden war, zu dem nur sie den Schlüssel besaß. Natürlich wurde der Schlüssel weitergegeben, wenn sie abwesend sein musste. Doch der Personenkreis war klein, auf den sich nun unser Verdacht richtete.

Die Sache gehörte zu meinen Angelegenheiten als 1. Oberarzt und ich informierte pflichtgemäß unseren Chef Professor Lenuweit und die Klinikverwaltung, die die Einschaltung der Polizei zu prüfen hatte. So lernte ich Harry Lisker kennen. Wir befragten gemeinsam den Mitarbeiterkreis, der einen Zugang zum Schrank seit der letzten Inventur hatte. Aber der Erfolg waren nur Tränen, ob des Verdachtes. Mit der Oberschwester hatte ich nun bei den Opiaten eine Zwischeninventur gemacht, was sich als richtig erwies. Die Hauptinventur der auf Station unter Verschluss zu haltenden Medikamente war Sache der Klinikverwaltung und fand einmal jährlich statt und stand wieder bevor.

Unsere Station kam nicht aus den Schlagzeilen. Nach 10 Tagen fehlte wieder eine Klinikpackung, und ich empfahl, das Schloss des „Giftschranks“, wie er allgemein genannt wurde, auszuwechseln. Dem widersprach Hauptkommissar Lisker. „Wir müssen den Dieb erwischen“, sagte er und das können wir nur, wenn der Täter glaubt, weiterhin Zugriff auf die Medikamente zu haben.“ Er entleerte alle Klinikpackungen mit Morphium und anderen Opiaten und ließ sie mit Glukoseampullen füllen und wieder in den Schrank an die gleiche Stelle legen. Die Packungen besprühte er mit einer Flüssigkeit und erklärte mir als einzigem Zuschauer seines Tuns, „es ist eine Flüssigkeit, die man mit einfachem Händewaschen nicht von der Hand bekommt, im UV-Licht kann man sie noch nach Tagen nachweisen“. Die entnommenen Wirkstoffampullen kamen derweil in einen anderen Schrank, dessen Schlüssel nur zwischen zwei Schwestern und mir ausgetauscht wurde. Der Täter musste mit Gummihandschuhen gearbeitet haben, oder es war eine Täterperson, die nicht zur Station gehörte. Und das erwies sich als richtig, aber trotzdem war es ein Zufall. Ein Pfleger, der früher auf unserer Chirurgischen Abteilung gearbeitet hatte und jetzt in der Orthopädie tätig war, dessen Auftauchen bei uns also keinen Argwohn erregt haben musste, konnte als Täter ermittelt werden. Als Schwester Ilse wieder den Verlust einer Packung (einer Mogelpackung mit Glukose-Ampullen) bemerkte, ließ Kommissar Lisker sofort den Pfleger an seinem Arbeitsort die Hände ableuchten und landete einen Volltreffer! Vor Gericht mussten Schwester Ilse und ich eine Aussage machen. Es erging eine hohe Gefängnisstrafe.

 Seit dieser Zeit traf ich mich mit Harry Lisker. Erst gelegentlich und dann regelmäßig, zweimal die Woche. Immer abends im Café am Ring, das ich Café „Fritze“ nannte, in Erinnerung an meine Studienzeit in Halle, als sich meine Gruppe regelmäßig in dem alten Café Fritze in der Steinstraße gegenüber dem Stadtbad zum Bierabend traf. War es am Anfang ein höflicher, von gegenseitigem Respekt für des anderen Beruf getragener Umgang, so wurde es schnell zu einer Freundschaft. Wohl deshalb, weil wechselseitig so viele Gemeinsamkeiten entdeckt wurden, und auch der allgemeine Intellekt sich die Waage hielt. Bei mir war es auch ein Grund, dass Harry Lisker trotz seiner gebotenen und unvermeidlichen Nähe zur staatlichen Macht, keine „Systemnähe“, wie ich sie definierte, erkennen ließ, die mir eine Freundschaft unmöglich gemacht hätte. Und je länger wir zusammensaßen und uns über Gott und die Welt austauschten, desto fester und verlässlicher wurde diese Freundschaft.

 

 

Kapitel 2

Ich war früh dran und nahm mir Zeit, hinter dem Karree einen Strauß gemischter Blumen für Lu zu kaufen. Das war wieder einmal an der Zeit! Zeit, die mir sonst gewöhnlich am Freitag fehlte. Da konnte es schon einmal 20 Uhr werden, ehe mich der Klinikdienst entließ. Dann fuhr ich jedes Mal gleich vom Klinikgelände nach Hause. Nach Hause heißt zur Familie, die ja jetzt eine war, seit Maria geboren wurde. Wir lebten einen nicht untypischen DDR-Stil. Ich hatte zwar ein Haus mit großem Garten in der Dölauer Heide gekauft, aber durfte nicht dort wohnen. Die alten Mieter standen unter „Denkmalschutz“! So hatten wir ein Haus, in dem wir nicht wohnen durften, eine Zweieinhalb-Zimmer-Familienwohnung in Wurzen für Frau und Kind und eine Einzimmerwohnung für mich in der Nähe meines Arbeitsplatzes. Lu wollte zwar nach Halle-Neustadt wechseln, aber das hing nicht allein vom Wollen ab. Den Wohnungsbedarf hatten wir angemeldet. Eine gut dotierte Buchhalterstelle, wie sie Lukardis in der Keksfabrik in Wurzen innehatte, aber bisher in Halle nicht gefunden. Ich sagte es nicht laut, aber ich fand bald, dass die Wochenend-Ehe auch ihre Vorteile hatte. Ich freute mich auf zu Hause, auf Lu und die kleine Mia und entdeckte, dass meine Frau ebenso empfand.

Sie zeigte mir ihre Freude immer bei meiner Heimkehr. Sie war nur von der Freude von Mia übertroffen, was mich jedes Wochenende eine gute halbe Stunde an Zuwendung nur für sie kostete. Und unsere Ehe erhielt es jung. Trotzdem nahm der Fortgang ihrer Bewerbungen, um einen adäquaten Arbeitsplatz in Halle und meine Wartezeit auf eine geräumige Dachterrassenwohnung in Halle-Neustadt, die meiste Zeit unserer Unterhaltungen an den Wochenenden ein. Aber ich stand so drängend nicht mehr dahinter. Ich hatte mich auch in Halle-Altstadt um eine Wohnung beworben, für das Paulusviertel und das Wohnviertel gegenüber dem Bergzoo in Trotha, aber ich war nicht mehr gestresst, wenn ich auf meine Nachfragen einen abschlägigen Bescheid bekam. Zudem war der Weg von meinem Wohnsilo zur Arbeit am Klinikum in der Ernst-Grube-Straße ein Argument. Diesen Weg konnte ich bei schönem Wetter (auch mal!) zu Fuß gehen, was mich jedes Mal außerordentlich entspannte. Ich erwähne das, um meine prinzipielle Bereitschaft dazu zu betonen, nicht um meine tägliche Wegstrecke zur Arbeit zu glorifizieren. Straßenbahn oder Fahrrad waren in Wirklichkeit meine täglichen Verkehrsmittel. Noch dazu war das Klinikum mit dem Auto durch die begonnene Buddelei zwischen dem Gimritzer Damm und der Heideallee auf lange Sicht nur mit einem erheblichen Umweg über die Talstraße zu erreichen, und auch die Straßenbahnen fuhren über längere Zeit nicht bis zu meinem Ziel. Für meine Blumen bekam ich diesmal ein besonders superbes Abendbrot und auch der Wein schmeckte anders, als der, den ich abends in der Woche ab und an in mich hineinschüttete. Der Sonnabend gehörte der Dübener Heide, oder vielmehr den zwei Spielplätzen, die wir – einmal entdeckt – immer wieder ansteuern mussten. Mia beherrschte zwar erst ein Dutzend deutbarer Worte, aber genug Energie, auch verbal, diese Plätze anzulaufen bzw. einzufordern. Mir war es im Grunde weniger wichtig, nur manchmal freute ich mich über einen verregneten Tag, der mir erlaubte, die Beine hochzulegen. Der tränenreiche Abschied am Sonntagnachmittag war immer eine kleine Katastrophe! Mia gehörte schon jetzt zu der Kategorie kleiner Frauen, die zutiefst von Misstrauen erfüllt sind, ob der geliebte Papa auch wirklich in einer Woche wiederkommt. Und ich glaube, sie hatte schon einen Begriff von dieser Zeit, die riesig lang war, von der sie aber wusste, dass sie an diesen Tagen nicht in die Krippe musste, sondern zu Hause auf Papa warten durfte.

 

Kapitel 3

 Lukardis hatte mit Heile, meinem Schwesterherz, einen Plan ausgeheckt, einen gemeinsamen Sommer-Urlaub unserer Familien an der Ostsee zu machen, ohne mich zu fragen, ob ich denn in dieser Zeit diesen auch genehmigt bekommen würde. Mein Schwager Dietrich, Diddi, hatte das, was dem Sozialismus, den wir ja seit Mitte-Ende der fünfziger Jahre mit all unserer Kraft aufbauten, seine unverwechselbare Note gab – Beziehungen. Niemand sprach darüber, aber alle strebten danach. Er hatte sie. An seinem Beruf kann es nicht gelegen haben. Er war Werkleiter einer Eisengießerei und hatte nichts, was er zum Tausch hätte anbieten können. Trotzdem kamen die Handwerker zu ihm und bauten, bastelten und verschönerten sein Einfamilienhaus, das viel zu groß war für eine Familie mit zwei Kindern. Das Gästezimmer hatte ein eigenes Bad, mit Armaturen aus dem Exportprogramm. Er hatte eine Gaszentralheizung, den Kohleofen hatte ein freischaffender Tüftler auf Gas umgebaut. Die Adresse dieses Mannes wurde unter der Hand gehandelt und auch mit „blauen Fliesen“ musste man sich ein bis zwei Jahre gedulden. Diddi sprach nicht darüber, aber Heile hat mir für ihre Heizung von einem halben Jahr gesprochen.

Aber nun zum Plan. Lu und Heile hatten vereinbart, in der zweiten Hälfte August gemeinsam mit den Familien nach Boltenhagen zum Campen zu fahren. Die Kinder waren begeistert! Anne, Heiles älteste Tochter, hatte schon mit 10 Jahren jeden Nachmittag Mia im Kinderwagen ausgefahren. In ihrem eigenen! Indem sie selbst von ihrer Mutter an der frischen Luft bewegt worden war. Ihr ganzer Stolz! Sie wollte noch heute Mia bemuttern, aber mehr wie eine Puppe, was Mia energisch zurückwies. Armin, Arne, hielt sich da raus. Seine Begeisterung war, mit Onkel Gunther (also mir) zu surfen, wozu sein Vater weder Neigung noch Fähigkeit aufbrachte. Dietrich bewegte sich erst richtig, wenn abends Forellengrillen angesagt war und sich ausreichend Freunde an seiner Feuerschale versammelten. Aber er organisierte den Urlaub. Es war das erste Mal, dass mir auf diesem Wege ein Sommer-Ostsee-Urlaub auf einem der Bewirtschaftung durch den Gewerkschaftsbund (FDGB) unterliegenden Platz zugestanden wurde, und ich sparte nicht mit meiner aufrichtigen Bewunderung für Diddis Verbindungen. Dabei war er, um auf seine Beziehungsbasis zurückzukommen, als Werkleiter nicht einmal Parteigenosse, er war in der LDPD. Er hatte als langjähriger Kreisvorsitzender die meisten Handwerker in dieser Blockpartei versammelt. Das war möglicherweise der Grund, warum ihm die Handwerksleistungen so umfänglich zur Verfügung standen. Was Dietrich aber zweifellos in seinem Charakter auszeichnete, war sein Humor und seine offene Art gegen jedermann. Ich habe in all den Jahren, seit er zu meiner engsten Verwandtschaft gehörte, nie einen Menschen kennengelernt, der Grund hatte, ihm gram zu sein. Und was ihn noch mehr auszeichnete, und was mir noch viel wichtiger war, seine nach außen gezeigte Bescheidenheit.

Ob es wirklich eine war, habe ich nie ergründen können, aber er trat nie einem armen Schlucker gegenüber und versagte ihm seine Hilfe. Heile hatte viel von meinem Charakter, deshalb waren wohl diese beiden Eigenschaften der Grund, warum sie ihre Ehe eine glückliche nennen durften. Es ist mir keine Episode bekannt, dies infrage stellen zu müssen. Was mir noch wichtig war, da wir so dicht aufeinander wohnten – und das hat nichts mit Diddi zu tun – war, dass sich Heile und Lu so gut verstanden. Sie waren Freundinnen, und das ist bei Schwägerinnen durchaus nicht die Regel.

 

Kapitel 4

 „Ich habe dir etwas mitgebracht“, sagte Harry statt einer Begrüßung, als wir uns wieder zum abendlichen Bier im Café trafen. „Es ist von meiner Mutter und von dir glaube ich, dass du so etwas weißt.“ Wir waren schon seit einigen Wochen per Du, was sich ganz folgerichtig entwickelt hatte, als wir über unsere Interessen sprachen, die sich sehr ähnelten. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich schnell und gern duzen, wie ich das heute oft in Holland erlebe. Bei mir gehören Duzen und Freundschaft zusammen, und da ich nur langsam Freundschaft entwickele, duze ich auch nur wenige Menschen. Ich besah mir sein Mitbringsel, das er in einer Pappschachtel aus seiner Hemdtasche gezogen hatte. „Es sind Kameen. Wunderschön! Broschen oder Anhänger.“ Es waren zwei geschnittene Köpfe, ein Frauenkopf und ein Männerkopf. Ich hielt sie dicht vor die Augen, um eine Punzierung auf der Fassung zu sehen. Aber ohne Lupe sah ich keine. Harry nahm mir die Brosche ab, die ich gerade in der Hand hielt und zeigte auf zwei winzige Einschläge. Aber ohne Lupe konnte ich nichts erkennen. „Ich glaube auch nicht, dass ich die Punzen, außer denen für das Edelmetall, deuten könnte. Ich bin kein Schmuckexperte. Aber die Kameen sind in Italien gemacht“, sagte ich. „Kannst du mir etwas über die Köpfe und das Material sagen?“, fragte Harry.

„Ich denke ja, aber das sind vorläufige Deutungen. Der Frauenkopf sieht aus wie eine Göttin mit Blumen im Haar, vielleicht Flora oder Pomona, die Göttinnen der Blumen und Früchte. Und der Männerkopf, keine Ahnung! Der dunkle, fast schwarze Kranz um die Stirn könnte ein Siegerkranz sein, oder Amor oder Apollo“.

„Und das Material?“

„Vermutungen. Der Frauenkopf scheint aus Chalcedon oder vielleicht aber auch aus einer exotischen Muschel geschnitten zu sein. Der Männerkopf sehr wahrscheinlich aus Onyx. Ich nahm beide Medaillons in die Hand und hielt sie nebeneinander. Es waren wundervolle Stücke. „Willst du sie denn verkaufen?“

„Kommt auf den Preis an, bei uns liegen sie nur in der Schublade. Helga trägt sie nicht: Sie meint, sie seien nicht ihr Jahrgang.“

„Unter 400 Mark solltest du sie nicht hergeben! Steck sie wieder ein. Übrigens Lukardis hat auch so eine Kamee, nicht so hübsch, aber mit zwei Ohrringen. Sie trägt sie auch nicht, mit der gleichen Begründung. Wir sollten alle mal zusammen zu dem Juwelier in der Leipzigerstraße gehen, zu dem Eckladen, und uns dort ein Angebot machen lassen. Die Frauen können sich dort gleich als Ersatz was Passendes aussuchen. Die Frauen behaupten ja immer, sie trügen den Schmuck für uns, aber ich glaube, sie tragen ihn für sich selbst.“