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© 2020 Duanna Mund und Anton Christian Glatz

Umschlaggestaltung: Duanna Mund und A. Ch. Glatz

Bildnachweise:

© Seiten → bis →, → bis→: Duanna Mund

Seite →: Gaia, romanisches Relief, Tellus,13 9 v. Chr., Royal Cast

Collection, Kopenhagen

© Seiten → bis →: Anton Christian Glatz

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9783751941556

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur ist von jeher ein Klassiker im Bereich des öffentlichen Diskurses. Was in früheren Tagen in beschaulichem Miteinander mehr Freude als Sorgen bereitete, ist zu einem bedrohlichen Gegenüber geraten. Betrübliche aktuelle Entwicklungen in der globalen Umwelt unterstreichen die Dringlichkeit, sich der Thematik zu stellen. Wir sehen uns alle mehr denn je aufgefordert, auf der Suche nach zukunftsweisenden Antworten zuallererst die richtigen Fragen zu stellen. Die Zeiten, in denen der Einzelne meinte, getrost seine Verantwortung abgeben zu dürfen, sind endgültig verabschiedet.

Aus dem Bedürfnis, in diesem unübersichtlichen Panorama an Konflikten, gesellschaftlichen Einflüssen und Tendenzen aller Art zu einer individuellen Position zu finden, sind diese Essays entstanden. Duanna Mund folgte dabei dem Leitgedanken, die Natur wirke formend auf den Menschen ein, Anton Christian Glatz wählte die umgekehrte Perspektive: Wie beeinflusst der Mensch die Natur? Auch wenn sich die Texte gelegentlich thematisch überschneiden, offenbart sich mühelos, wie unterschiedlich der persönliche Zugang sowie die Stimme sein kann und darf.

Über kaum ein Thema wird aktuell so intensiv diskutiert wie über die Wechselbeziehungen zwischen zivilisatorischem und natürlichem Wirken. Freilich entstand dadurch ein Mainstream an Ideen, der Anton Christian Glatz und Duanna Mund dazu diente, den eigenen stark reflektierten und bewusst subjektiven Zugang zu entwickeln. In diesem Sinne werden überwiegend Informationen beigesteuert, die im allgemeinen Diskurs unterrepräsentiert sind, gleichwohl sie viel zur Standortbestimmung des modernen Menschen beitragen können. Der Spur vom Bekannten zum weniger Bekannten folgend, sollen die beiden Essays insbesondere den Windschatten der öffentlichen Aufmerksamkeit ausleuchten.

Es entspricht der menschlichen Wahrnehmung, wenn manche Informationen ideal als Text, andere hingegen besser als Bild transportiert werden. Die Autorin und der Autor nähern sich dem Thema Mensch und Natur, indem sie diese Besonderheit bedienen. Allen Abbildungen liegen Fotografien zugrunde, die behutsam künstlerisch nachbearbeitet wurden, als Metapher für zivilisatorisches Eingreifen in die Umwelt. Eines der Hauptthemen, die Verzahnung von Natur und menschlichem Ursprung beziehungsweise Wirken, wird damit konkret umgesetzt.

Duanna Munds Abbildungen dienen der Illustration. In diesem Sinne unterstützen sie den Text und bieten sinnliche Ergänzungen. Sie sind der umfangreichen Arbeit der Autorin als Reisefotografin entnommen und heben die Authentizität der Ausführungen, indem sie diese mit der Bildsprache des persönlich Erlebten bereichern. Zudem erfährt die inhaltliche Verankerung des Essays in den Geofaktoren durch die Fotografien eine beispielhafte geografische Zuordnung, die mit erklärenden Untertiteln versehen ist. Text und Abbildungen sollten auf diese Weise als Einheit wahrgenommen werden.

Anton Christian Glatz war es ein Anliegen, durch seine Abbildungen das Allgemeine, das Archetypische als atmosphärische Abrundung in seinen Essay zu holen. Es entstanden Meditationsflächen, welche schwerpunktmäßig den Kontrast zwischen Menschenwelt und die sie umgebende Natur ins Bewusstsein rücken. Die Berührungsflächen zwischen beiden verdeutlichen das Paradoxon Gegensatz und zugleich Verzahnung. Eingebettet in die natürliche Umgebung manifestiert sich menschliches Wirken in Artefakten, beruhend auf abstrakten und geometrischen Mustern. Hier treffen wir auf gerade Linien, Winkel und sonstige Formen, die in unberührter Natur keine Rolle spielen. Die Lesenden sollen die Motive in ihrem Alltagsleben wiederfinden. Im alltäglichen Hier und Jetzt den Gegensatz von Menschenwelt und Natur sinnlich zu vertiefen, gehört zu den Absichten des Essays. Der Autor erachtete Hinweise auf konkrete Motive als kontraproduktiv, da diese eine Ablenkung vom Allgemeingültigen zum Besonderen hin bewirkt hätten.

Die gemeinsame Idee, sich unabhängig voneinander literarisch und bildhaft mit dem Thema Natur und Mensch / Mensch und Natur zu beschäftigen, brachte zwei Essays hervor, deren Stärke gerade in der Kombination der unterschiedlichen Zugänge liegt. Je umfassender der Blick, je vielseitiger die Betrachtungsweise umso klarer der Gedanke und kraftvoller das Ziel. Autor und Autorin legen mit spürbarer Freude ihre Fährte. Lesende mögen dieser ein Stück weit folgen und sie als Bereicherung des eigenen Weges erfahren. Dergestalt sind die Informationen und Überlegungen dieser Essays in erster Linie Einladung, unerschrocken zur eigenen Sichtweise vorzudringen.

Ein Auge – eine Welt

Tausend Augen – tausend Welten

Teil A

Duanna Mund

Narzissenwiese / Altaussee, Steiermark – Österreich

1

Blicken wir an einem Frühlingsmorgen auf das erwachende Grün, welches die Wiesen wie eine Substanz aus Licht überzieht, werden wir augenblicklich gewahr, welch Zauber dem stetigen Wandel allen Seins zugrunde liegt. Wir erkennen, wie sehr die Natur unsere irdische Existenz abbildet, sobald wir uns nicht von zivilisatorischen Einflüssen ablenken lassen. Im Rauschen eines Flusses hören wir das Lied der Zeit, ihr ewiges Fließen, das Neues schafft und Altes vergehen lässt. Während wir Veränderung oft als Bedrohung empfinden, weil sie uns an unsere Vergänglichkeit erinnert, stimmt uns der Fluss versöhnlich. Wenn jede unserer Zellen einen beständigen Tod stirbt, die Flamme des Lebens nur so lange brennt, wie der Stoffwechsel im Nehmen und Geben aufrecht bleibt, wirkt in uns das Gesetz der Natur.

2

Die äußeren Umstände unserer Existenz wandeln sich heute mit atemberaubender Geschwindigkeit. Die Grundfesten unseres Weltverständnisses scheinen sich auf unvorhersehbare Weise neu zu formieren. Wir sehen uns mit Aufgaben konfrontiert, die in ihrer Dringlichkeit so neu wie schmerzvoll sind. In der Frage nach dem Allgemeingültigen menschlicher Identität müssen wir uns mittlerweile in einem Dschungel aus Erklärungsversuchen zurechtfinden. Von Europa ausgehend setzte sich die naturwissenschaftliche Betrachtungsweise der Welt durch, die spezifisch westliche Denkweise, welche die Spezies Mensch als Ergebnis der voranschreitenden Evolution des Lebens sieht. Diese anerkennt somit, dass die Natur uns zu dem machte, was wir heute sind.

Kohlebergbau / Ruhrgebiet – Deutschland

3

Diese Einsicht steht in krassem Gegensatz zum selbstherrlichen Verhalten, das wir der Natur gegenüber und gleichermaßen im Hinblick auf unsere eigene Spezies an den Tag legen. Ohne lange nachzudenken, nehmen wir von den Ressourcen unseres Heimatplaneten. Je ferner die Region, umso schamloser wird unser begehrliches Verhalten. In der Globalisierung verkommt die Erde zum Selbstbedienungsladen. Gleichzeitig bringen Wissensgesellschaft und Mobilität Menschen unterschiedlichster geografischer Naturräume einander näher. Aber wir lernen uns kennen, ohne uns zu erkennen, denn oftmals fehlt der Wille, im Trennenden die Gemeinsamkeiten zu begreifen.

4

Der Kontakt mit Neuem geht mit exotischem Reiz einher. Fremde Menschen wie Länder faszinieren. Unterschiede in Aussehen, Wesen und Kultur wirken aufregend und inspirierend, schärft sich doch im Andersartigen die eigene Identität. Unbewusst unterliegen wir dabei dem Wirken der Evolution, die voranschreitet, indem sich der Genpool der Völker und somit der gesamten Gattung vermischt. Erst im Zuge des Entgleitens der Migration verkehrt sich das Interesse in Ablehnung. Die Zivilgesellschaft fühlt sich überfordert, Zukunftsängste wuchern.

Akha-Dorf / Nordthailand

5

Das Tempo, in dem menschliches Wirken die Natur verändert, bestimmt die Geschwindigkeit der angepassten Entwicklung. Als Teil der Natur entspricht jedes Individuum in Körper, Geist und Seele dem Umfeld, in dem seine Vorfahren und es selbst aufgewachsen sind. Der Wandel der Lebensbedingungen erzeugt einen Selektionsdruck, der in Form von Stress wahrgenommen wird. Der moderne Mensch leidet an Reizüberflutung. Die im Vergleich zu früheren Generationen hohe Lebenserwartung verstärkt die Notwendigkeit, mit der Zeit Schritt zu halten und nicht den Anschluss zu verlieren. Kein Wunder, wenn unabhängig von materiellem Wohlstand das kostbarste Gut verloren geht: die Möglichkeit, über Lebenszeit frei zu verfügen.

6

Angesichts der tiefen Sehnsucht nach ursprünglichen Lebensformen und Naturräumen, die tragischerweise immer seltener werden, wächst die Dringlichkeit der Suche nach dem geistigen Musterbild des Menschen. Gibt es in der Natur eine Intelligenz, die sich in uns Ausdruck verschafft? Wie können wir als Spezies, die mehr als 90 Prozent der Menschheitsgeschichte als Jäger und Sammler verbrachte, im postindustriellen Zeitalter unserer Natur entsprechend leben? Wie verbinden wir unseren Lebensfaden mit dem Ursprung, finden Verknüpfungen, die uns verwurzeln und dennoch den Flug ins neue Zeitalter ermöglichen?

Schafgarben / Weißensee, Kärnten – Österreich

7

Für den deutschen Philosophen und Psychologen Franz Clemens Brentano (1778 – 1842) unterscheidet sich das Geistige vom Physischen dadurch, dass es stets auf etwas gerichtet ist, während Letzteres einfach so existiert. Der Großteil der zeitgenössischen Philosophen anerkennt die Intentionalität des Geistigen, kommt allerdings mehrheitlich zum Schluss, diese sei lediglich auf Aktivitäten des Gehirns zurückzuführen. Die Frage nach der ersten Ursache, dem Ursprung des Geistigen bleibt auf diese Weise ohne Antwort. Das Geheimnis Leben manifestiert sich als schöpferische Kraft, die sich in einer Kausalkette verbunden unablässig erneuert.

8

Wenn wir uns vor Augen halten, dass eine Person zu einem Zeitpunkt mit derselben Person zu einem späteren Zeitpunkt stofflich wie geistig nicht ident ist, stellen wir uns die Frage nach der Klammer um ihre Identität. Wie unser Körper füllt sich auch unser Denken in jedem Augenblick mit neuer Gegenwart. Diese wird bewertet und unaufhaltsam als Erinnerung und Erfahrungsschatz eingeordnet. Was macht also jenes Kontinuum aus, als das sich jeder Mensch empfindet?

Albatros / Otagohalbinsel – Südinsel Neuseeland

9

Auf der Suche nach einem verbindenden Konzept stößt man unweigerlich auf die Fähigkeit des Menschen, sich im Denken aus dem Hier und Jetzt zu lösen und in die Vergangenheit und Zukunft zu reisen. Im 13. Jahrhundert leitete Thomas von Aquin, einer der einflussreichsten Philosophen und Theologen der abendländischen Geschichte, aus der Ordnung in der Natur die Existenz Gottes ab. Gerade die Fähigkeit des Menschen, sich selbst metaphysisch zu schauen, deutete er, der Kirchenlehre folgend, als Endpunkt einer kreativen Schöpfung. Im heutigen Sprachgebrauch reden wir vom Intelligent Design.

10

Verbindet sich naturwissenschaftliches Denken mit der Vorstellung einer Intelligenz hinter dem Wunderbaren der Natur, muss dies nicht Darwins Evolutionstheorie widersprechen. Lediglich der Zufall als Triebfeder für das angepasste Voranschreiten macht einer zielgerichteten Entwicklung Platz, die zwar viele Umwege geht, jedoch immer wieder zum Leitbild seiner Form zurückfindet. Das Intelligent Design der Natur beeindruckt und legt uns eine poetische Weltsicht nahe, welche den Blick auf Licht und Schatten jeglicher Daseinsform öffnet. In ihr erzählt der Flug eines Vogels von der Liebe des Lebens zur Luft, das Schnurren der Katze gehört zu ihrem Sein wie der tödliche Schwung ihrer Krallen, wenn sie Leben nimmt, um eigenes Leben zu bewahren. Ob Zufall oder Plan – alles läuft zur Höchstform auf, wenn es seinem tiefsten Wesen nahe ist.

Fischer / Senggigi, Lombok – Indonesien

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Betrachten wir die vielfältigen Lebenssituationen des modernen Menschen vor diesem Hintergrund, wird erkennbar, wie sehr wir in einer Gesellschaftsform bestehen müssen, die auf Konkurrenz und Individualismus fußt. Gerade die sozialen Fähigkeiten aber bilden die Grundlage für den Erfolg unserer Art. Eine der zahlreichen Theorien zur Stammesgeschichte des Menschen besagt, dass die Babys aufgrund der Größe des hochspezialisierten Gehirns früher geboren wurden. Sie befanden sich im Augenblick der Geburt eigentlich noch im Embryonalstadium und bedurften ganz besonders der elterlichen Fürsorge und des Zusammenhalts der Gruppe. Die eigene Natur machte den Menschen somit abhängig von der Fähigkeit seiner Gattung zur Kooperation.

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Der Anthropologe Arnold Gehlen (1904 – 1976) sah in der Instinktretardation den Initialzünder für die Entwicklung des Menschen. Als der Australopithecus afarensis vor dreieinhalb Millionen Jahren die Baumkronen verließ, um die Ebene als Lebensraum zu erobern, musste er den aufrechten Gang erlernen. Die evolutionäre Modifikation verschmälerte daraufhin das Becken. Diese Veränderung erzwang einen früheren Geburtszeitpunkt. Gehlen schlussfolgert weiter, dass bei der embryonalen Entwicklung die Zeit fehlte, die Instinkte im Gehirn restlos auszubilden. Dieses Manko wurde schließlich durch die im Vorderhirn stattfindende Verstärkung der kognitiven Fähigkeiten kompensiert.

Truthahngeier / Panamacity – Panama

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