Für meine Geschwister, die mir unsagbar viel bedeuten. Danke, dass es euch gibt! Für die Menschen, die meine Wahlverwandtschaft sind, auch euch gilt mein Dank.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2020 Susanne Erhard
Autorenfoto: © Ralf Erhard by Delightphotos
Reihe: Edition Sunrise
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7519-4082-5

Inhaltsverzeichnis

1

In der Halle schrillte das Telefon. Das Geräusch fror mich sekundenlang ein, füllte mich bis in die letzte Zelle aus, nichts Anderes existierte. Vor drei Wochen hatte ich es fürchten gelernt, dieses klassische Klingeln, das Mike so charmant fand, weil es ihn an seine Kindheit erinnerte.

Und es klingelte hartnäckig, drängend, es trug die Gewissheit einer Information in sich, die ich wissen musste, aber wahrscheinlich nicht wissen wollte. Ohne Frage, es war traumatisch. Auch etwas, woran ich arbeiten sollte.

Vor drei Wochen hatte mich diese Polizistin aus Isleworth angerufen. Ihr Mann hatte einen Unfall. Vor drei Wochen hatte sich unser Leben wie Mikes Auto überschlagen. Nichts war mehr, wie es einmal gewesen war. Aber Mike lebte. Irgendwie jedenfalls. Er atmete, sein Hirn schien intakt, sein Herz klopfte. Doch er war nicht da. Seine Welt war nicht mehr die unsere.

Mein Herz hämmerte aufgelöst in meiner Brust herum, auch das tat es seit drei Wochen mehr oder weniger hysterisch, meine Finger walkten das Geschirrhandtuch, mit dem ich gerade die Gläser aus der Spülmaschine polierte, was Mrs. Peters sicher mit schweigender Missbilligung zur Kenntnis nehmen würde.

Mit großer Anstrengung richtete ich mich auf, stakste steif und hastig in die Halle. All die Ängste, die ich vor drei Wochen kennenlernen durfte, warteten hämisch grinsend am Telefon auf mich. Es kostete immense Kraft und Überwindung, dieses kleine dunkelgraue Teil zu greifen, halbherzig auf das Display zu schauen, die Nummer fürchten, sie sah irgendwie bekannt aus. Ich sollte endlich den Klingelton ändern, Mikes Erinnerungen zum Trotz, denn ich packte meine nicht mehr.

„Hamond?“ Tief durchatmend straffte ich mich, starrte blind auf die Wand vor mir, erwartete alles, aber nichts Gutes.

„Hello, Mrs. Hamond, hier ist Dr. Simpson.“

Nein, die Bewältigung meines Traumas musste ich mindestens auf das nächste Telefonat verschieben, meine Lungen klemmten abrupt. Auch das taten sie seit drei Wochen und noch immer hatte ich mich nicht daran gewöhnt, geschweige denn eine Gegenmaßnahme gesucht.

„Was ist passiert, Dr. Simpson?“ Meine Stimme kippte ohne ausreichend Sauerstoff.

„Nichts, um Gottes Willen, ganz im Gegenteil, Mrs. Hamond. Bitte regen Sie sich nicht auf. Es ist alles gut.“

Nicht aufregen? Noch einmal atmete ich tief durch, nicht aufregen, ich kniff die Augen zusammen, die Wand vor mir verengte sich. „I´m sorry, Dr. Simpson. Mir gehen in letzter Zeit die Nerven zu schnell durch. Weshalb rufen Sie an?“

„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich weiß wohl mit am besten, was Sie in den letzten Wochen durchgemacht haben und vor allem, was Sie geleistet haben. Aber zur Abwechslung habe ich gute Nachrichten für Sie. Es sieht so aus, als könnte Ihr Mann heute im Laufe des Tages aus dem Koma aufwachen.“

Mein Herz fing an zu rasen. Seltsam, mein Körper verstand die meisten Dinge viel schneller als mein Kopf. „Was sagen Sie?“, haspelte ich. Es hatte Momente gegeben, in denen ich an allem zweifelte. Vor allem aber daran, dass Mike jemals wieder zu sich kommen würde. Welche Entscheidung das von mir verlangte, hatte ich wie vieles andere allerdings verdrängt und verschoben. „Sie, … Sie meinen er wird wach?“ Konzentriert legte ich meine linke Hand auf das Sideboard, als könnte ich damit den Druck in mir ableiten.

„Ja, es gibt ein paar Anzeichen in den Vitalwerten, die darauf hindeuten. Es wäre schön, wenn Sie schnellstmöglich kommen könnten. Obwohl es noch Stunden dauern kann oder unter Umständen erst in den nächsten Tagen passiert. Geht das?“

„Ja, natürlich, ich komme sofort.“

Ich wollte direkt auflegen, doch er hielt mich zurück. „Moment noch, Mrs. Hamond, fahren Sie schön langsam und vor allem vorsichtig. Sie werden mehr denn je gebraucht.“

„Ja, sicher, Doktor. Bis gleich.“

Mein Hirn rotierte. Auch das war seit jenem unseligen Abend eine erschöpfende Normalität. Was musste ich jetzt tun? Ich musste an Jenny denken. Sie war in der Schule. Sollte ich sie abholen und mitnehmen? Nach Hause holen und Mrs. Peters bitten, auf sie aufzupassen? Nein, zuerst musste ich Gary anrufen. Hastig wählte ich seine Nummer.

„Sullivan“, meldete sich Ginger mit ihrer notorisch genervten Stimme.

„Hi, Ginger, hier ist Susan. Ist Gary da?“

„Hi, Susan, ja, klar.“

Sie und ich, wir verloren nie viele Worte aneinander. Aber vermutlich verlor sie an niemanden viele Worte. Bisher hatte ich keinen nachvollziehbaren Grund gefunden, warum er sich in Ginger verliebt hatte. Aber das musste ich auch nicht, Gary lebte mit ihr, idealerweise hatte er Gründe.

„Hi, Sissy, was ist los?“

Seltsam, dachte ich. wir telefonierten seit Mikes Unfall viele Male die Woche, aber trotzdem wusste Gary immer, wann es für mich ganz besonders wichtig war. Er kannte uns so gut.

„Dr. Simpson hat angerufen“, fiepte ich hysterisch, „er sagt, dass Mike heute aufwacht!“ Es war einen Moment still am anderen Ende der Leitung. „Gary?“

„Ey Sissy, das wäre wunderbar.“, brummte er ausweichend. „Aber, fuck, versteif dich nicht zu sehr darauf. Ist das sicher?“

„Nein, Gary, sicher ist das nicht“, ich hechelte um Luft. „Nur, ich glaube ich pack das nicht allein. Hast du Zeit mit mir zu kommen?“

„Keine Frage, Susan, natürlich“, erwiderte er, „wir treffen uns in einer Stunde im Krankenhaus.“

„Danke, Gary.”

„Take care, Baby.”

Er legte auf. Ich wählte sofort die nächste Nummer und rief Mr. Peters an, der anbot mich ins Krankenhaus zu fahren, doch ich lehnte ab. Manches musste ich schon noch selber bewältigen. Er und seine Frau wünschten uns Glück und Segen, eine Kerze würde auch heute für Mike brennen, wie jeden Tag seit jener Nacht, in der wir um sein Leben kämpften.

Alisons Mutter war mein nächstes Telefonat. Ich spürte die Hektik in mir. Dauernd fürchtete ich zu spät zu kommen. Jenny konnte die Nacht bei ihr und Alison bleiben, sie holte beide nach der Schule ab. Mein Kind hatte in den vergangenen Wochen mehr als genug ausgehalten. Sie durfte sich nicht schon wieder Sorgen um Dinge machen, die sie bestenfalls ansatzweise verstand. Manchmal hatte ich das Gefühl, als Mutter immer nur zu versagen. Jenny hätte so viel Ruhe und Aufmerksamkeit gebraucht und nichts davon hatte ich ihr nach Mikes Unfall wirklich geben können. Wahrscheinlich bezeichnete mich meine Mutter zu Recht seit Jahren als eine Rabenmutter.

Vor allem Jennys heile Welt war seit Garys Auszug vor gut einem Jahr böse ins Wanken geraten. Er hatte zu ihrem täglichen Leben gehört, wie Mike und ich. Ich war echt sauer gewesen, dass Gary das durchgezogen hatte, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt bei Karin in Köln war. Keiner kannte Mike und Jenny so gut wie er. Er hätte wissen müssen, was sein Auszug für beide bedeutet.

Genauso hätte er, als der vernünftigere, erkennen müssen, wie schlimm die unterschwelligen Spannungen zwischen ihm und Mike waren. Alles nur wegen Ginger, kleine Muräne, Giftspritze, Bitch, der wir, als Garys Wahlverwandtschaft grundlegend auf die Nerven gingen. Ihr war offensichtlich nicht bewusst, dass es sie in Sachen unvermeidbaren Anhang wesentlich schlimmer treffen konnte.

Und dann passierte Mikes Unfall. Anfangs hatte ich den Fehler gemacht Jenny Mike auf der Intensivstation zu zeigen, mit all den Maschinen um ihn herum, die ihn am Leben erhielten. Sie konnte das nicht verstehen. Wie auch, wenn nicht einmal ich es verstand. Das war eine fatale Fehlentscheidung gewesen, die ich bitter bereute.

Ich setzte mich ins Auto und fuhr los. Mit Mühe konzentrierte ich mich auf den Verkehr. Mein Herz hämmerte, die Angst saß mir im Nacken. Permanent konnte ich sie an mir riechen, jedem Deo zum Trotz, immer trug ich ihren schweißigen Film an mir. Furchtbar. Wenn ich nur den Hauch einer Ahnung gehabt hätte, was alles noch auf mich zukam, bevor Mike wieder halbwegs gesund war. Wir schaffen das“, murmelte ich immer wieder vor mich hin. Unser Mantra.

Auf der Schnellstraße staute sich der Verkehr und ich kam langsamer voran, als meine Nervosität es eigentlich zuließ. Was war, wenn Mike erwachte und ich noch nicht bei ihm war?

Endlich erreichte ich den Parkplatz des Krankenhauses. Garys Wagen stand falsch geparkt am Straßenrand, obwohl weiter hinten noch genug Flächen frei gewesen wären. Anscheinend wollte auch er keine unnötige Minute verlieren. Trotzdem stellte ich meinen Wagen ordnungsgemäß ab und rannte Richtung Haupteingang. Gary wartete am Aufzug zur Intensivstation. Wir nahmen uns kurz in die Arme und er küsste mich sanft auf die Wange.

„Reg dich nicht immer so auf, Sissy.“, mahnte er leise. „Es kann noch Stunden dauern, bis Mike die Augen aufmacht. Und vielleicht passiert es auch erst Morgen oder übermorgen, nächste Woche. Wir müssen Geduld haben. Du reibst dich zu sehr auf.“

Mit einem gequälten Lächeln nickte ich. „Ich weiß, Gary, ich weiß, lass uns nach oben fahren.“ Ich zog ihn am Arm in den Aufzug hinein. Geduld war nie meine Stärke gewesen. In diesem Fall besaß ich gar keine und wollte sie auch nicht lernen.

„Ist Jenny bei Alison oder bei Mrs. Peters?“, fragte er, als sich die Tür vor uns schloss.

Heftig drückte ich die Taste des Stockwerks. „Noch in der Schule, dann bei Alison, sie bleibt dort über Nacht. Ich habe ihr auch nicht gesagt, warum ich ins Krankenhaus muss. Ich will ihr möglichst jede Aufregung ersparen, wenn es nicht gerade eine gute Nachricht ist. Sie leidet so sehr.“

Gary fuhr sich bedrückt über die Augen. „Wenn sie sich nur besser mit Ginger verstünde. Dann könnte sie bei uns bleiben. Aber so gibt das nur Mord und Totschlag. Ich weiß echt nicht warum Ginger mit Jenny nichts anfangen kann. Sie gibt sich nicht die geringste Mühe. Ich habe sie so sehr darum gebeten. Mir zuliebe. Aber sie mag keine Kinder. Jenny weiß das ganz genau. Es tut mir so leid, Susan, ich bin ihr Pate, ich sollte für sie da sein, wenn ihr es nicht könnt und ich wäre auch sehr gern für sie da.“

Ich schaute nachdenklich zu ihm hoch. Aus meiner Sicht konnte Ginger mit niemandem etwas anfangen, vielleicht nicht einmal mit ihm. Aber das war nichts, was Gary hören musste, vermutlich stand mir ein Urteil auch nicht wirklich zu.

„Jenny ist vor allem eifersüchtig, Gary“, schwächte ich also ab, „sie will dich mit niemandem teilen. Du weißt doch, wie sie sogar mir gegenüber herumfiest, wenn es um dich geht. Davon abgesehen hätte ich sie lieber bei dir untergebracht als irgendwo anders. Aber es ist wie es ist und für uns ändert das nichts an deiner Patenschaft.“

Die Tür des Aufzuges öffnete sich im dritten Stock. Diese Etage hätte ich mit verbundenen Augen am Geruch erkannt. Eilig schritten wir in Richtung Intensivstation. Ich klingelte und die Schwester, die uns öffnete, grüßte freundlich. Auch sie gehörte seit Wochen zu unserem Leben, hatte Mike mit mir zusammen gewaschen, gepflegt, rasiert, ihn umgelagert und immer einen guten Kaffee und eine ruhige Minute für mich übrig gehabt. Ich verdankte ihr viel.

„Gehen Sie nur schon hinein, Mrs. Hamond, ich sage dem Arzt Bescheid, dass Sie da sind.“

„Danke, Schwester Annie.“

Mir war mal wieder furchtbar beklommen ums Herz. Dieses Zimmer betrat ich seit drei Wochen jeden Tag, manchmal sogar mehrmals, hatte auch mehr als eine Nacht hier verbracht und oft war bange Hoffnung in mir gewesen, aber heute war es ein ganz sonderbares Gefühl. Ich wollte hinein und wieder auch nicht. Ich wollte ihn sehen, aber auch nicht. Ich wollte es wissen und nicht. Meine Nerven flatterten. Mike fehlte mir schmerzlich.

Gary schob mich ins Zimmer. Er kannte mich zu gut. Instinktiv hielt ich die Luft an, starrte angestrengt in Richtung von Mikes Bett. Die Geräte um ihn herum brummten, piepten, surrten in vertrautem Chaos. Meine starrenden Augen wollten sich einfach nicht auf ihn konzentrieren und ich bemerkte nichts in seinem Gesicht, was Dr. Simpsons Worte bestätigte.

Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung überrollten mich wie eine Stahlwalze, fast wäre ich in die Knie gegangen. Gary war dicht hinter mir, ich stützte mich an der Klinke der Tür ab, trat langsam auf Mike zu.

Sein Gesicht war reglos wie immer. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber ich hatte wohl irgendwie geglaubt, dass er anders aussehen müsste, als in den letzten Wochen. Zögernd setzte ich mich auf meinen Platz auf der Bettkante. Bei näherem Hinsehen wirkten seine Wangen nicht mehr so eingefallen, vielleicht auch ein wenig rosiger. Aber er war noch lange nicht bei uns. Ich liebte diesen Mann so sehr. Er war tatsächlich meine bessere Hälfte, die ich furchtbar vermisste.

Mein Leben lang war ich wunderbar allein zurecht gekommen, genügte mir meistens selber, brauchte niemanden, im Gegenteil. Dann kam Mike. Von der ersten Sekunde an waren wir eins gewesen, so als hätte sich zusammengefügt, was zusammen gehört. Er war mir nie zu viel, nie zu nah. Man nannte uns die Unzertrennlichen. Dieser Unfall hatte uns getrennt, uns in zwei verschiedene Welten geworfen, wo zumindest er mich nicht erreichen konnte und, dass ich ihn erreichte, konnte ich nur hoffen.

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Dr. Simpsons Anruf und die Hoffnung, die er in mir hochgeschossen hatte, schien mich den letzten Rest Kraft gekostet zu haben. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass alles in mir zusammenfiel, ich war nur noch eine leere, verbrauchte Hülle und ich wollte nicht mehr, dass Mike so dalag. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Gary legte mir sanft seine Hand auf die Schulter, ich schluckte hart, kniff die Lider zusammen, was die Tränen wegpresste. Nicht schlappmachen! Zart streichelte ich Mikes stoppelige Wange.

„Dr. Simpson hat gesagt, dass du heute die Augen aufmachst, Mike.“, murmelte ich leise. „Wir sind bei dir. Wir warten auf dich. Wir vermissen dich so sehr.“

Ich genierte mich mit ihm zu reden, während Gary hinter mir stand.

„Hi Bro“, Gary trat um das Bett herum und setzte sich auf die andere Seite. Vorsichtig griff auch er nach Mikes Hand. Sie lag dünn und zerbrechlich in Garys. Die beiden waren immer echte Freunde gewesen. Gary war für Mike da, hielt ihn, wenn er den Boden unter den Füßen verlor, ordnete das Chaos, wenn Mike mit sich selber haderte. Gary war der Brandungsfels unserer Familie. Es war richtig, dass er jetzt bei uns war. Gary gab auch mir Kraft.

Also saßen wir gemeinsam auf diesem Krankenbett und warteten auf einen Blick in Mikes blaue Augen. Genau genommen tat ich das seit jener Nacht, in der er den Unfall hatte. Ich wartete auf sein Strahlen, diesen liebevollen Spott in ihnen, seine Wärme und sehnte mich danach in ihnen zu ertrinken, so wie seit fast neun Jahren.

„Hast du eigentlich gemerkt wie schön die Sonne draußen scheint, Mike“, sagte Gary mit seiner tiefen Stimme, „du liegst hier und verpasst den Herbst deines Lebens. Das war ein wunderschöner Oktober.“

Ich sah ihn verdutzt an. Merkte er eigentlich, was er da sagte? Wahrscheinlich nicht. Wenn ich mit Mike allein war, redete ich auch immer nur so drauflos. Am liebsten hätte ich ihn mit meinen Gedanken her befohlen. Ebenfalls etwas, was ich seit Wochen versuchte und kläglich scheiterte. Behutsam schob ich meine andere Hand unter die Bettdecke. Es war nicht sehr warm darunter. Irgendwie hatte ich immer den Eindruck, dass Mike eigentlich frieren müsste. Das war schon mehrfach ein Thema für ein Arztgespräch gewesen, doch der meinte, es sei gut so, mehr sei nicht gesund.

Also versuchte ich ihm ein wenig Wärme von mir abzugeben. Wenn ich nur gewusst hätte, wie ich ihm auch von meiner Kraft und Hoffnung geben konnte. Aber vielleicht brauchte er die gar nicht. Ich hätte so gern gewusst, was in ihm vorging. Wie viele Stunden hatte ich hier gesessen und mich gefragt, was er fühlte, hörte, spürte und womit ich ihm helfen konnte? Aber ich hatte es nie endgültig herausgefunden. Ganz sacht massierte ich seine Brust, er hatte das immer gern gehabt. Gary hielt weiterhin seine Hand.

„Was denkst du, Susan?“, fragte er halblaut. „Hat sich irgendetwas geändert?“

Ausweichend zuckte ich die Schultern. „Ich weiß es nicht, Gary“, was sollte ich antworten? „Sehr nah ist er uns noch nicht.“

Er starrte Mike ins Gesicht. „Mike“, rief er leise, „Du musst bald mein Trauzeuge sein. Ich will Ginger heiraten. Sie weiß zwar noch nichts von ihrem Glück, aber Susan hast du ja auch irgendwie herumbekommen. Ich brauche deine Hilfe.“

Überrascht blickte ich zu ihm hinüber. „Wann hast du denn diese Entscheidung getroffen?“

„Gerade eben“, er grinste verschämt. „Ich will endlich eine so schöne Ehe führen, wie ihr das seit Jahren tut. Es scheint ja doch zu gehen. Und dieser Unfall hat mir nachhaltig deutlich gemacht, dass man zu keiner Zeit sein Leben aufschieben sollte, denn es kann ganz plötzlich alles anders sein.“

Ich lachte, fühlte aber seltsame Trauer in mir. „Das stimmt, so erschreckend es auch klingt. - Ausnahme bestätigt die Regel, Gary. Mike und ich sind sicher nicht das klassische Ehepaar. Wie auch? Mike ist besonders.“

„Da hast du wiederum Recht.“ Er berührte mich am Arm. „Aber das liegt nicht nur an Mike. Du bist eine wundervolle Frau. Und, …“, er wendete sich schmunzelnd an Mike, „du weißt ja, Bro, wenn du Susan nicht mit deinen blauen Augen ausgeknockt hättest, dann hätte ich sie mir geschnappt. Naja, jetzt habe ich ja Ginger.“

„Du bist auch so ein Clown, Gary“, entgegnete ich verunsichert,

„diesen Unsinn hast du schon so oft erzählt, irgendwann glaubst du das noch selber.“

„Das tue ich jetzt schon, Sissy.“

Die Tür ging leise auf und der Arzt kam herein. Gary erhob sich. „Guten Tag zusammen“, grüßte Dr. Simpson freundlich, „schön, dass Sie beide da sind.“

Er reichte mir die Hand und ich wuchtete mich ebenfalls auf die Füße.

„Guten Tag, Dr. Simpson. Ich hoffe, es ist Ihnen recht, dass Mr. White mich begleitet.“

„Natürlich, Mrs. Hamond.“ Die beiden schüttelten sich die Hände.

„Alle Menschen, die Ihr Mann liebt, sind in diesem Zimmer willkommen, egal wann.“

„Danke, Dr. Simpson“, erwiderte Gary, „es ist mir sehr wichtig bei Susan und Mike zu sein, wenn er aus dem Koma aufwacht.“

„Ich bin überzeugt, dass das im Laufe des Tages geschehen wird. Mr. Hamond wird heute für einige Momente die Augen aufmachen.“ Gary und ich sahen ihn skeptisch an. Für uns war nicht ersichtlich wie Dr. Simpson davon so überzeugt sein konnte.

„Seit Wochen sehne ich mich danach“, murmelte ich ungeschickt,

„bete jeden Tag dafür. Aber, darf ich fragen, wieso Sie meinen, dass er genau heute aufwacht?“

Es war mir fast peinlich das zu fragen. Ich wollte nicht, dass Dr. Simpson annahm, ich vertraute ihm nicht. Aber er lächelte.

„Es gibt dafür ein paar fast untrügliche Zeichen. Ich will sie Ihnen zeigen.“ Ich atmete auf, zurück zu lächeln wagte ich allerdings nicht. Gary nickte. „Bitte setzen Sie sich doch. Er braucht Sie.“

Wir setzten uns wieder auf den Bettrand während Dr. Simpson sich ans Fußende stellte. Mit ruhiger Stimme erklärte er, dass sich Mikes Hirnströme verändert und der Hirndruck sich gesenkt hatte, er deutete auf die Anzeige am Monitor.

Krampfhaft hielt ich seine Hand und hatte plötzlich das Gefühl, als könnte ich ihm jeden Moment in seine unendlich blauen Augen schauen. Fast fürchtete ich den richtigen Augenblick zu verpassen, wenn ich dabei auch nur eine Sekunde blinzelte. Gary legte seine Hand beruhigend über unsere beiden. Es tat wohl ihn bei uns zu haben. Unbewusst hörte ich Dr. Simpson gar nicht mehr richtig zu. Ich wollte bei Mike sein. Der Arzt verließ uns kurz darauf und ich wusste immer noch nicht wirklich, was sich bei Mike geändert hatte.

Am frühen Nachmittag sorgte Dr. Simpson für Kaffee, Schwester Annie brachte uns Kuchen. Sie war eines der vielen Lichter der vergangenen finsteren Wochen, hatte mich mehr als einmal wieder aufgerichtet, wenn mich der Mut verlassen wollte, die Hoffnungslosigkeit mich schredderte. Der Kaffee war zweifellos keiner aus der Kantine, ich trank in kleinen Schlucken. Gary und ich hatten die ganze Zeit kaum ein Wort gewechselt.

„Meinst du, dass du mit Ginger glücklich wirst?“, fragte ich gedankenverloren in die Stille hinein.

„Ich bin es bereits“, antwortete er, grinste schief, „sie ist auf den ersten Blick nicht die Ausgeburt an Empathie, wenn sie jedoch Vertrauen fasst, ist sie treuer als ein Hund. Ich war selber erstaunt, als ich plötzlich feststellte, dass ich in sie verliebt bin. Schon komisch, sie ist gar nicht mein Typ, obwohl sie ja eine echte Augenweide ist. Diese rostroten Haare sind der Hammer. Aber ich liebe sie. Und ich will mit ihr zusammenbleiben, ich will sie heiraten und mit ihr alt werden. Vielleicht kann ich sie ja sogar dazu überreden, eine Familie zu gründen.“

„Das freut mich, Gary, ernsthaft“, ich hielt seine Hand bei unseren, wischte kurz mit meinem Blick zu ihm „aber ich will endlich ehrlich sein. Wir konnten doch früher immer offen miteinander reden.“

Er linste argwöhnisch zur Seite. „Ja?“

„Mike und ich und eigentlich alle anderen auch, … wir hatten, nachdem das mit dir und Monika schiefging, irgendwie den Eindruck, dass du eine erbärmliche Torschlusspanik schiebst. Und als dann Ginger im Old Drum auftauchte, da dachten wir alle, dass du jetzt die erstbeste nimmst, damit das wieder aufhört. Sie ist wirklich eine Augenweide. Für die Haare und das Gesicht würde manche Frau morden.“

„Sensationell“, entgegnete er angefiest, „jetzt wird mir so einiges klar. Warum hat nie jemand ein Wort darüber verloren? War das zu dem Zeitpunkt mit der Ehrlichkeit schon rum?“

Ich zuckte die Schultern, verzog schuldbewusst das Gesicht. „Nein, oder doch, ja, … vielleicht. Es war schwierig. Wir wollten alle nur, dass es dir gut geht. Und nachdem du mit Monika Schluss gemacht hattest ging es dir gar nicht gut.“

„Stimmt. Da ging es mir beschissen. Moni ging es vermutlich noch mieser. Ich bin echt nicht fein mit ihr umgegangen. Weißt du eigentlich, ob sie mir verziehen hat?“

„Ich denke schon“, ich zuckte wieder die Schultern, „obwohl sie lang sehr gelitten hat. Du warst ihr Traummann von Anfang an, so wie Mike meiner. Kannst du dich noch an jenen ersten Abend erinnern? Als Monika nach dem Konzert in Köln unbedingt ein Autogramm wollte? Da fand sie dich schon rasend.“ Ich lachte leise. Es war so unvorstellbar lange her. Alles hatte sich seitdem verändert.

„Klar weiß ich das noch. Ein einmaliger Abend. Du bist permanent rot geworden und Mike konnte überhaupt nicht aufhören dich anzustarren. Dabei hat er sich kaum getraut mit dir zu reden. So kannten wir ihn gar nicht. Mir war direkt klar, dass Mike dir völlig verfallen ist.“

Ich lachte und streichelte sanft Mikes Hand. Gary hatte seine unter Mikes gelegt und ich berührte ihn mit meinen Fingerspitzen. Ein wunderbar geborgenes Gefühl.

„Wir drei gehören zusammen, Susan“, erklärte Gary leise, „auch wenn es vielleicht in letzter Zeit nicht so gut lief. Du, Mike, Jenny und ich. Eigentlich sind wir ja sogar zu viert.“

Vorsichtig drückte ich beider Hände, gab mir einen Ruck und schaute ihn offen an. „Und Ginger soll auch zu uns gehören.“

„Na, ob sie das wohl will?“ Gary schnaubte sarkastisch.

„Sie wird sich schon irgendwie an uns gewöhnen und wir an sie. Auch Jenny wird sie mögen, wenn sie erst einmal weiß, dass sie dich nicht wegnimmt.“

Plötzlich krümmten sich Mikes Finger in meiner Hand. Das Fiepen seines Pulses wurde schneller. Wir verstummten abrupt und unsere Blicke trafen sich sekundenlang, um dann unsicher gespannt an Mikes Gesicht hängen zu bleiben. Es war wie von Schmerzen verzerrt, er stöhnte. Er wand sich, als wollte er vor etwas ausweichen. Ich hielt seine Hand fester. Seit Wochen das erste Geräusch und die erste Bewegung. Aber es klang schrecklich, es sah noch schrecklicher aus. Mein Puls raste mit seinem um die Wette. Hastig beugte ich mich vor. Ich wollte nicht, dass er Angst und Schmerzen hatte. Fahrig streichelte ich seine Wange, seine Stirn. Er durfte um alles in der Welt nicht wieder in diesen totenähnlichen Zustand zurück stürzen.

„Mike!“, meine Stimme kippte, klang hysterisch spitz. Mir brach der kalte Schweiß aus. Er stöhnte wieder und schien mit einem Mal selbständig zu atmen, ohne Hilfe dieser Maschine. Sein Brustkorb hob sich krampfhaft. Mein Puls dröhnte mir in den Ohren, dazu schrillte seiner aus dem Monitor. Beide waren deutlich zu schnell. „Mike!“

„Sollten wir nicht besser den Arzt rufen?“, fragte Gary betont ruhig. Ich nickte wild. Gary griff nach der Klingel, drückte sie, ließ sie nicht wieder los. In diesem Moment machte Mike die Augen einen Spaltweit auf. Sein Blau war schrecklich weit weg und furchtbar leer.

„Mike!“, meine Stimme überschlug sich. Ich hoffte inständig, dass meine Hand auf seiner Wange ihm irgendwie vertraut war, vertrauter jedenfalls als meine überdrehte Stimme. Sein halb geöffneter Blick wanderte langsam von der Zimmerdecke auf mein Gesicht, wo er mit verstörender Verständnislosigkeit hängen blieb. Er erkannte mich nicht. Namenlose Panik schoss durch mich hindurch. Mit einer Hand wischte ich mir über meine schwarzflackernden Augen.

„Mike, wir sind es Gary und Susan. Ich bin deine Frau!“

Seit Wochen sehnte ich mich nach diesem Moment, glaubte, dass er die Erlösung von allen Schrecken bringen würde und jetzt fühlte ich mich entsetzlich, hilflos, verlassener denn je. Mike starrte mich mit flatternden Lidern an, seine Augen fielen ihm immer wieder zu, als zerrte ihn etwas zurück in die andere Welt, in der ich ihn nie erreichen würde, in die ich ihm nicht folgen konnte, folgen durfte. Gary keuchte neben mir, rang um Fassung. Mikes Augen schwankten von mir zu ihm hinüber, verwirrt, verängstigt, so leer. Es war furchtbar.

Doch dann fing Gary an zu singen, ganz leise und zaghaft, mit seiner schönen, tiefen Stimme, die wir alle liebten: „Sunrise, I don´t know how you found me, for so long I got lost in the dark ….“

Mike schloss die Augen, seine Züge entspannten sich, als er seinen Kopf leicht zur Seite drehte, sich in meine streichelnde Hand schmiegte. Ich atmete gepresst, sehnte mich nach Leben in seinem Blick, nach der Liebe, mit der er mich früher angeschaut hatte. Und Gary sang. Ich streichelte weiter seine Wange. Unendliche Minuten lag er da, schien wieder in seine Welt hinabgesunken zu sein. Ohne uns. Verloren.

Mit aller Kraft versuchte ich meine Tränen zurückzuhalten. Es half alles nichts, denn meine Welt brach einmal mehr zusammen. Mike hatte mich nicht erkannt! War wieder weg. Fort. Alles umsonst. Wir hatten verloren. Gary sang unerschütterlich weiter. Sunrise, now I´m sure a brandnew day is dawning …. Wozu noch? Ich schluchzte wider Willen. Aus den Augenwinkeln sah ich Dr. Simpson am Fußende stehen. Aber er sagte nichts. Meine Hand lag auf Mikes Wange.

Als Gary das Lied beendete, flatterten seine Lider und er schlug die Augen wieder auf. Und dieses Mal sah er mich ganz bewusst an. Sein blau trug Leben, wie ein aufgewühltes Meer nach dem Sturm.

„Mike“, ich beugte mich nah zu ihm herunter, so als könnte ich ihn körperlich daran hindern wieder zu verschwinden „erkennst du mich? Ich liebe dich so sehr. Bleib bei uns, bitte.“

Seine Lider senkten sich einmal wie bejahend, er schaute mich intensiv, voll Liebe an, bis ihm die Augen zufielen. Und dann brach ich haltlos über ihm in Tränen aus.

2

Gary schoss um das Bett herum, zerrte mich hoch und schleppte mich aus dem Zimmer. Bitterlich weinend krallte ich mich an ihn. Irgendetwas in mir löste sich in wilden Tränen. Ich konnte gar nicht aufhören, schluchzte Gary die Jacke nass. All die Ängste der vergangenen Wochen flossen aus mir heraus, ließen sich nicht mehr bändigen.

Tief in mir drin war mir bewusst gewesen, dass ich in nicht allzu ferner Zukunft eine Entscheidung über Mikes Leben hätte fällen müssen. Ganz sicher hätte er nicht an Maschinen angeschlossen dahinvegetieren wollen, auch nicht mir und Jenny zuliebe. Wie sollte ich das schaffen? Wie den Schalter umlegen? Aus. Ihn bewusst sterben lassen, wo er so gekämpft hatte. Daneben stehen? Zuschauen, wie in jener schrecklichen Nacht, als sein Herz aufhörte zu schlagen, der Puls wie ein Countdown abwärts ratterte. Wie könnte ich ihn gehen lassen?

Ich hatte ihm versprochen immer für Jenny zu leben. Es wäre kein Leben mehr gewesen. Ohne ihn war es nicht mehr als eine trostlose Existenz. From this day, forward to all eternity. Das war unser Gelöbnis gewesen. In zwei Wochen feierten wir unseren neunten Jahrestag, den sechsten Hochzeitstag. Wahrscheinlich wäre das meine Deadline geworden. Doch heute war er zu uns zurückgekehrt. Er war zu Bewusstsein gekommen, hatte die Augen aufgemacht. So blau. Ich war fassungslos und unfassbar glücklich.

Als Dr. Simpson nach einer Weile aus dem Zimmer kam, hörte ich nur wie er Gary fragte, ob ich ein Beruhigungsmittel bräuchte. Gary verneinte und hielt mich stattdessen fest im Arm, wiegte mich sanft. Ich spürte seine Lippen an meiner Stirn, seinen warmen Atem in meinem Haar, sein beruhigendes Murmeln.

Wie lange wir dort im Flur standen weiß ich nicht. Irgendwann versiegten meine Tränen. Ich war zum Umfallen müde, leer und spürte doch dieses ungläubige Glühen der Freude in mir. Mike war erwacht.

„Wir sollten noch einmal zu Dr. Simpson hineingehen, Susan.“ Er drückte mich leicht.

Ich nickte, schenkte ihm ein verquollenes, wirklich verschämtes Lächeln. So hatte ich noch nie die Nerven verloren. „Natürlich, entschuldige, dass ich so durchgedreht bin. Ich glaube, ich bin ziemlich durch, mehr als urlaubsreif, so irgendwie. Das war jetzt echt alles zu viel. Wahrscheinlich kann man wirklich vor Freude sterben.“

Er gab mir einen Kuss auf die Wange. „So irgendwie, Sissy.“ Sein Blick war liebevoll. „Weißt du eigentlich, dass Mike dir zum neunten Jahrestag eine Reise in die Schweiz schenken wollte? Immerhin habt ihr ja nie eine richtige Hochzeitsreise gehabt. Und er dachte, dass dir Ramsö und die Elche sicher schon zum Hals raushängen.“

„Nein, davon weiß ich nichts.“, erwiderte ich ehrlich erstaunt und lachte halb schluchzend. Ziemlich undamenhaft zog ich die Nase hoch. Mike hatte nicht ein Wort darüber verloren.

„Dann weißt du auch jetzt noch nichts davon. Er reißt mir den Kopf ab, wenn er erfährt, dass ich geplaudert habe. Es sollte doch eine Überraschung sein.“

„Ich weiß von nichts, versprochen. Davon abgesehen wird das in den nächsten Wochen und Monaten sicher nichts. Wenn überhaupt je.

Dr. Simpson sagte, dass mindestens noch zwei oder drei Operationen nötig sein könnten, bis er halbwegs wieder laufen kann.“

„Ach, alles halb so wild.“ Er legte seinen Arm um mich und strahlte.

„Weißt du noch, wie er zu Hause die Treppe hinuntergefallen ist und sich das Bein gebrochen hatte? Da war er auch im Nu wieder fit. Wart mal ab, jetzt geht es ganz schnell aufwärts mit ihm.“

Darauf erwiderte ich nichts, wollte seine Hoffnung nicht sofort sterben lassen und war ihm dankbar für seine Ermutigung. Aber ich hatte diverse Röntgenbilder von Mikes rechtem Bein gesehen und Dr. Simpson hatte mir die Schrauben und Nägel gezeigt, mit denen er in jener entsetzlich langen Nacht vor drei Wochen die zersplitterten Knochen seines Sprunggelenks zusammengestückelt hatte.

Dass Mike wahrscheinlich trotzdem ein steifes Bein behalten würde, hatte ich nur Karin in einem ganz, ganz schwachen Moment am Telefon erzählt. Sie konnte schweigen, denn ich wollte keine Panik verbreiten, bevor wir genaueres wussten. Und ich versuchte mir zu sagen, dass es weit Schlimmeres gab, als ein steifes Bein. Hoffentlich konnte Mike das auch so sehen. Ich schnäuzte mich noch einmal, wischte mir die letzten Tränen aus den Augen und atmete tief durch. Sicher sah ich noch verheerender aus als vorher. Hinter meiner Stirn arbeitete ein bohrender Kopfschmerz.

Aber Mike war aufgewacht, allen Ängsten zum Trotz, das war alles, was zählte und ich war unendlich dankbar, unendlich glücklich. Einzig die dazugehörigen Gefühle hinkten noch den Ereignissen hinterher. Im Moment waren alle Systeme in mir mit den Eindrücken der letzten Stunden beschäftigt. Kein Raum für kräftezehrende Gefühle.

„Dann lass uns mal zu Dr. Simpson gehen und hören, was er jetzt zu tun gedenkt.“ Zweifellos, ich klang nicht sehr euphorisch, ich war so furchtbar müde. Ich wendete mich ab, um zu Dr. Simpsons Büro zu gehen, doch Gary hielt mich an beiden Schultern fest.

„Hey, Sissy, es ist eigentlich noch ein bisschen zu früh um die Flügel hängen zu lassen“, er schüttelte mich sacht. „Das, was ich eben sagte habe ich ernst gemeint, du musst noch durchhalten und Mike braucht in nächster Zeit all deine Kraft.“

Leise stöhnend senkte ich den Kopf. „Ich muss mich zum zweiten Mal für heute bei dir entschuldigen, Gary, es tut mir leid. Manchmal ist alles zu viel, sogar Freude. Nie kann ich irgendwo Luft ablassen. Und dazu all die Dinge, die nebenher noch geregelt werden müssen. Es gibt Momente, da schlägt alles über mir zusammen, da saufe ich gnadenlos ab. Dieser gehört bei allem Glück dazu. Kannst du das verstehen?“

„Sure, Susan“, er drückte meine Schultern, „das kann ich. Was raus muss, dass muss raus. Mum rief mich vor ein paar Tagen an, weil sie sehr besorgt um dich ist. Wir alle haben dich und Mike immer um eure tiefen Gefühle füreinander beneidet. Aber Mum hat Recht, durch den Unfall zeigt sich die Schattenseite dieser Liebe, denn jeder andere, der nicht so innig, intensiv liebt, würde es irgendwie verkraften, wenn sein Partner stirbt, Mum weiß schließlich wovon sie redet. Du und Mike könntet allerdings daran zerbrechen. Ich habe Mum versprochen, dass ich mit dir rede und auf dich aufpasse und ich nehme dir auch weiterhin gern ein paar Dinge ab, wenn das geht und wenn du magst. Sag nur, was ich für dich tun kann. Ich bin gern für euch da, Susan.“

Bestürzt sog ich die Wangen ein, wendete den Blick von ihm und war mir im ersten Moment nicht sicher, ob mir das Geständnis peinlich sein sollte oder es mich gar als schwach darstellte. Mikes Mutter stand mir näher, als meine eigene. Kurz schloss ich die Augen. Ohne Frage wusste sie, wovon sie redete, sie hatte ihren Mann verloren und weitergelebt. Ja, ich dagegen wäre ohne Mike zerbrochen.

Ich schluckte hart und schaute Gary offen an. „Shit, Gary, vielen Dank für deine Ehrlichkeit“, ich drückte ihn an mich „Liebe hat keine Schattenseiten, sonst ist es keine Liebe. Aber ihr habt Recht, ohne Mike wäre meine Existenz nicht lebenswert, aber für Jenny hätte ich durchhalten müssen. Eigentlich bin ich im Augenblick unermesslich dankbar und glücklich, ich kann es nur noch nicht fühlen vor lauter Überforderung. Mike ist zu uns zurückgekehrt. - Ich melde mich ganz bestimmt, wenn du mir helfen kannst. Jetzt kannst du mit mir dort durch die Tür zu Dr. Simpson gehen. Das würde mir sehr helfen.“

Er lächelte. „Kein Thema, Susan, ich muss auch wissen, wie es weitergeht.“

Ich nahm ihn bei der Hand und wir gingen zu Dr. Simpsons Büro hinüber. Gary klopfte an, ein kurzes „Come in!“, antwortete.

Wir traten ein. Dr. Simpson sah uns freundlich entgegen. „Kommen Sie bitte“, er deutete auf die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch. „Setzen Sie sich doch. Sie haben sicher Fragen.“

Ich bewegte zustimmend die Schultern und setzte mich. Gary musterte mich aufmerksam von der Seite. Wahrscheinlich fürchtete er um meine angeschlagenen Nerven. Er setzte sich neben mich. Mein Blick fiel auf die Uhr an der Wand. Verblüfft stellte ich fest, dass es halb neun Uhr abends war. Wie viele Stunden waren in diesem Krankenhaus schon an mir vorbei gerauscht, ohne, dass ich sie bemerkt hätte? Viel zu Viele und es reichte längst.

„Sie müssen nicht erschrecken, Mrs. Hamond, wenn Ihr Mann Sie in nächster Zeit nicht jedes Mal erkennt, wenn er aufwacht.“

Meine Wangen wurden heiß und ich schüttelte fahrig den Kopf. Sagen konnte ich nichts. Gary reichte mir seine Hand herüber. Sie war fast so tröstlich wie Mikes.

„In nächster Zeit geht bei ihm im Kopf noch einiges durcheinander. Ich persönlich bin der Ansicht, dass Menschen, die lange im Koma lagen, in der Zeit des Erwachens die Situation, die zu dem Koma führte, immer und immer wieder durchleben. Wahrscheinlich ist das ziemlicher Horror.“

Wir sahen ihn beide ratlos, verwirrt an. Gary streichelte meine Hand. Ich merkte wie unwohl er sich in diesem Moment fühlte. Mir ging es ähnlich, aber ich wusste nicht warum.

„Sie meinen, er erlebt immer wieder, wie er gegen diesen Pfosten kracht?“, fragte Gary bestürzt. Dr. Simpson wiegte unschlüssig den Kopf. Mir stellten sich unwillkürlich die Haare auf. Mikes Gesicht war so angespannt gewesen, so voller Angst und Schmerz. Furchtbar.

„Ich vermute es. Belegen kann ich diese Vermutung nicht. Diese Phase zwischen Koma und Schlaf ist fließend. Was im Koma im Kopf vor sich geht, darüber können wir so gut wie nichts sagen. Erst in der Aufwachphase vermute ich, dass die Psyche des Patienten versucht die traumatischen Abläufe zu verarbeiten. Der Film wird abgespult wie Träume, die einen nachts heimsuchen und die einem helfen die Probleme des Tages zu bewältigen. Und deshalb wird er öfters während des Aufwachens ein wenig verwirrt sein. Das heißt: er weiß nicht wo er ist, weshalb und wer die Menschen sind, die um ihn herumsitzen.“

Ich war jetzt selber komplett verwirrt, obwohl ich die Ausführungen des Arztes nachvollziehbar fand. Die Vorstellung allerdings, dass Mike diese schrecklichen Sekunden seines Unfalls in Dauerschleife erlebte, war schrecklich für mich. Er hatte wahrscheinlich keine Chance gehabt ihn zu vermeiden. Laut Polizeibericht war er ungebremst auf den Pfosten gekracht und der Wagen hatte sich durch die Wucht des Aufpralls überschlagen. Wieso das passieren konnte, dazu gab es noch keine endgültige Erkenntnis.

„Und wie lange dauert es, bis er den Unfall bewältigt hat?“, hakte ich ungeschickt nach. Gary drückte meine Hand.

„Erfahrungsgemäß sind das nur wenige Tage, Mrs. Hamond“, erklärte Dr. Simpson behutsam ernst. „Wir werden die künstliche Beatmung noch laufen lassen, denn seine Atemmuskulatur muss erst wieder fit werden, die hatte zu lange Pause. Aber er atmet im Moment selbständig und ist insgesamt sehr stabil und ich denke in zwei, drei Tagen wird er vollkommen bei sich sein und wir können den Schlauch entfernen. Es geht jetzt aller Wahrscheinlichkeit zügig voran.“

„Was können wir zur weiteren Heilung noch zusätzlich tun?“ Gary drückte ermutigend meine Hand.

„Immer für Ihren Freund da sein.“

Ich lachte, es klang etwas hysterisch und definitiv zu laut. „Das schaffen wir.“

Das war unsere Parole der letzten Wochen gewesen und sie trug noch immer diese Kraft in sich. Jede mögliche oder unmögliche Stunde wollte ich gern bei Mike verbringen, wenn es ihm guttat mich bei sich zu haben. Jetzt erst recht.

„Ich denke auch, dass Sie das ganz fantastisch machen, Mrs. Hamond und ich brauche weiterhin Ihre Unterstützung.“

„Die sollen Sie und Mike mehr denn je haben.“

Vielleicht hatte Gary ja doch Recht und alles ging schneller, als ich es mir vorstellen konnte. Meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Permanent war ich diesem Wechselbad von unbesiegbar zu völlig zerstört ausgesetzt. Das war auf Dauer zermürbend. Nebenbei war ich ja noch nie der optimistischste Mensch auf Erden gewesen. Auch das kostete mehr Energie, als mir derzeit zur Verfügung stand.

„Also gut“, Gary stand auf, „lass uns dann mal nach Hause gehen, Susan. Es ist spät geworden.“

Ein Hauch von schlechtem Gewissen huschte durch mich hindurch. Ich hatte Gary den ganzen Nachmittag und Abend für uns beansprucht. Ginger wartete daheim oder arbeitete im Old Drum. Sie wusste ja noch nicht einmal, dass Gary ihr einen Heiratsantrag machen wollte. Wir mussten gehen. Ich wäre gern noch hiergeblieben, aber das konnte ich nicht machen. Gary hätte sich verpflichtet gefühlt. Nun, auf mich wartete heute Nacht niemand mehr. Wahrscheinlich nicht einmal der Schlaf.

Jenny war bei Alison, die Katze war vermutlich im Garten unterwegs oder lag gemütlich bei Mrs. Peters am Ofen und ich musste dieses stille, große Haus allein ertragen. Seit Mike im Krankenhaus war, fürchtete ich mich das leere Haus allein zu betreten, trotz Alarmanlage, Videoüberwachung und Haushältern. Ohne Mike war es nicht unser Zuhause, sondern nur ein altes, düsteres Gebäude.

Vielleicht sollte ich auch zu Peters ins Gesindehaus gehen, mich eine Weile zu ihnen und meiner Katze setzen. Vielleicht würde Mickey mit nach Hause kommen, um die Nacht in meinem Bett zu verbringen. Es wäre tröstlich. Und ich wusste genau, dass ich nichts dergleichen tun würde. Zugegeben, ich sehnte mich nach Mitgefühl und Zuspruch, beides würde ich bei unseren Haushältern bekommen, aber aushalten konnte ich es nicht. Wir verabschiedeten uns von Dr. Simpson und gingen zum Parkplatz hinunter. Gary war sehr schweigsam. Erst am Auto nahm er mich erneut in die Arme.

„Willst du heute Nacht nicht mit zu uns kommen, Sissy. Ich möchte nicht, dass du allein zu Hause bist. Das Alleinsein tut dir nicht gut.“

Vorsichtig machte ich mich von ihm los und schob ihn von mir.

„Unsinn, das macht mir nichts, Gary. Ich muss auch ein wenig für mich sein, mich sortieren. Ich brauche das.“ Das war schlichtweg gelogen, ich wollte Gary oder vielmehr Ginger nicht über Gebühr strapazieren. „Fahr heim, und mach Ginger einen romantischen Antrag. Champagner kommt bei dieser Gelegenheit richtig gut. - Vielen Dank, dass du heute bei uns warst.“ Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

„Gute Nacht, Gary. Viele Grüße an Ginger und sag ihr, dass heiraten toll ist. Sie soll da bloß nicht so lang herumtun wie ich. Ginger White klingt gut.“

Er schmunzelte wehmütig. „Danke, das mache ich. Gute Nacht, Susan. Versuch ein bisschen zu schlafen.“

Ich bewegte ausweichend die Schultern. „Bye, Gary.“

„Bye, Susan.“

Entschlossen drehte ich mich um und ging zu meinem Auto, spürte genau, wie er mir nachschaute. Diese und ein paar weitere Nächte würde ich auch noch allein überleben. Der Weg durch die abendliche Stadt war kürzer, als noch am Mittag und ich kam schneller zu Hause an, als mir lieb war.

Das Licht der Lampe, die ich in der Küche hatte brennen lassen, schimmerte durch die Scheiben der Haustür. Es erschien mir jedes Mal längst nicht so heimelig, wie ich mir das wünschte. Aber das lag wohl daran, dass ich wusste, wie einsam ich eigentlich war. Meine kleinen Selbstüberlistungen hatten definitiv schon besser funktioniert.

Ich fuhr den Wagen in die Garage und lief möglichst polternd zum Haus. Aufmerksam lauschte ich auf fremde Geräusche. Es war beunruhigend still. Wahrscheinlich wäre jedem Einbrecher mein Kommen nicht verborgen geblieben. Fürchten tat ich mich trotzdem. Wie hatte ich so viele Jahre als Single überlebt?

Eilig lief ich durch die Halle in die Küche. Alles war in vollkommener Ordnung, soweit ich das beurteilen konnte. Die Küche war sauber aufgeräumt, Mrs. Peters hatte mir einen Zettel mit dem Hinweis geschrieben, dass eine Kürbiscremesuppe im Kühlschrank für mich bereit stand, sollte ich nur warm machen. Lange Augenblicke starrte ich ihn an, ich machte mich viel zu sehr verrückt und Hunger hatte ich sicher keinen. Ein Blick auf das Schälchen der Katze sagte mir, dass Mickey da gewesen waren. Vielleicht war sie noch in der Nähe. Auf ihre alten Tage lief sie nicht mehr so weit weg. Ich öffnete die Tür zur Terrasse und rief halblaut in die Dunkelheit hinein. Zwei grüne Augen starrten mich von der großen Liege her an und es maunzte vertraut.

„Komm rein, Mickey“, ich hockte mich hin, „was hältst du von einem warmen Bett?“

Sie sprang von der Liege hinunter und kam mit hoch aufgerichtetem Schwanz auf mich zu. Ich ließ sie vor mir ins Haus. Zusammen gingen wir noch einmal durch sämtliche Zimmer. Mike II verkroch sich danach sofort im Bett, während ich schnell noch bei Alisons Mutter anrief um zu hören ob Jenny okay war. Es ging ihr soweit gut. Ich erzählte ihr kurz von Mikes Erwachen, aber noch immer wartete ich vergeblich auf das durchschlagende Jauchzen in mir.

Das vermisste ich auch, als ich abschließend Mrs. Peters anrief, um sie mit guten Nachrichten zu Bett gehen zu lassen. Sie weinte vor Freude, ich war erschreckend starr. Nur aus Gründen der Vernunft machte ich mir die Suppe warm. Blicklos stierte ich über den Küchentisch auf Mikes Plattenauszeichnungen an der Wand, während ich sie langsam aus der Schale schlürfte. Wie oft in den letzten Jahren hatten wir im Herbst hier gesessen und nach einem Spaziergang im kalten Park diese köstliche Suppe gegessen? Heiter, glücklich. Mike war zurückgekommen, es würde wieder so werden. Bestimmt.

Und auch mit meiner Mieze neben mir schlief ich in dieser Nacht noch weniger als sonst. Eine Reise in die Schweiz, mit Sonne, Bergen und viel Ruhe, das wäre wirklich genau das, was ich gebrauchen könnte. Was wir brauchten. Dieses Wochenende während der Anniversary Tour in Wildberg schien tausend Jahre her.

Unwillkürlich mischten sich die Erinnerungen daran mit dem emotionalen Ausnahmezustand von heute. Mit müden Augen suchte ich nach dem Stern, den man durch die Balkontür schimmern sah. Wenn wir getrennt gewesen waren, hatten wir uns in einsamen Nächten einen Stern gesucht und an den anderen gedacht.

Mike war aus dem Koma erwacht. Noch immer traute meine Seele sich nicht, die Freude wirklich zu spüren. Das war zu viel. Mein Herz spurtete unreflektiert los. In den vergangenen Wochen war Mikes Hülle fast vertrauter geworden, als sein Anblick heute. Erschreckend, verstörend, fremd. Dieser ersehnte Moment war für uns beide irgendwie schrecklich gewesen. Ich schämte mich nachträglich für etwas, was ich nicht fassen konnte. Vielleicht war ich einfach auch nur zu müde.

Am nächsten Morgen holte ich Jenny ganz früh bei Alison ab, um sie für die Schule fertig zu machen. Ich versuchte ihr so vorsichtig wie möglich von Mikes neuem Zustand zu erzählen. Überfordern durfte ich sie nicht schon wieder. Sie reagierte erstaunlicherweise ganz ruhig. Es schien sie mehr zu interessieren, dass Alison einen Hund zum Geburtstag bekommen sollte.

„Ich hätte auch so gern einen Hund, Mummy“, bettelte sie, zappelte dabei aufgeregt auf ihrem Stuhl herum, „dann könnten Alison und ich zusammen mit ihnen spielen und spazieren gehen.“

„Das habt ihr euch bestimmt gestern Abend im Bett ganz genau ausgemalt?“

Sie nickte eifrig. „Ich würde mich auch immer ganz ordentlich um ihn kümmern, Mummy.“

„Du weißt ganz genau, was ich dir jetzt sagen wollte?“, erwiderte ich schmunzelnd.

Sie grinste mich zuckersüß an. „Mrs. Baxter hat auch gesagt, dass Alison sich ganz allein um den Hund kümmern muss.“

„Über den Hund reden wir, wenn Daddy wieder zu Hause ist, okay?“

„Wann kommt Daddy nach Hause, Mummy? Dauert das jetzt, wo er nicht mehr schläft noch sehr lange?“

Seufzend stellte ich meine Kaffeetasse in die Spülmaschine „Ein paar Wochen wird es wohl schon noch dauern. Er muss erst richtig gesundwerden. Aber ich denke, wenn er wieder laufen kann, wird er nichts gegen einen Hund haben. - Und jetzt komm, ich bring dich zur Schule.“

Jenny murrte. „Ich möchte aber lieber mit zu Daddy, Mummy. Ich vermisse ihn so sehr.“

„Heute nicht, Süße. Die Schule darfst du nicht verpassen, sonst lernen die anderen mehr als du und du wirst keine kluge Musikerin. Das wäre super doof.“

„Aber Daddy würde sich doch sicher total freuen, wenn er mich sieht, oder?“

Manchmal war ich schon verblüfft, wie effektiv unser verhätscheltes Einzelkinder versuchte uns auszuspielen. Hin und wieder fiel ich sogar darauf herein.

„Er freut sich aber noch mehr, wenn du nicht die Schule schwänzt um bei ihm zu sein. Mach jetzt mal voran.“ Sie schlurfte in die Halle. Ich war so müde und genervt. „Jenny, heb die Füße beim Gehen!“

Natürlich schlurfte sie noch eine Spur lauter. Irgendwie ging alles drunter und drüber. Wie wollte ich Jenny erziehen, wenn ich nicht konsequent durchgriff? Im Moment ließ ich ihr eigentlich alles durchgehen und kam dann mit meiner halbherzigen Strenge kein bisschen bei ihr an. Hoffentlich änderten sich die Dinge bald in unser aller Interesse. Als ich ihr in die Halle folgte, stand sie fertig angezogen da. Wenigstens etwas. Ich nahm meine Jacke vom Haken.

„Na, dann komm schon, Jennyschatz.“