Während der Coronakrise wird in Aarau ein Angestellter der Stromnetz AG ermordet. Beziehungsdelikt oder Sabotageabsicht? Weil neben der Pandemie ein grossflächiger Ausfall der Stromversorgung als besonders riskant gilt, ist der Nachrichtendienst des Bundes an der Aufklärung beteiligt.

Die Ermittlungen gestalten sich wegen der Massnahmen des Bundesrats teils aufwändiger als sonst, teils helfen diese, den Mord innert kurzer Zeit aufzuklären.

Andreas Pritzker wurde 1945 in Windisch (Aargau) geboren. Er studierte Physik an der ETH Zürich und war als Forscher, Beratender Ingenieur und im Wissenschaftsmanagement tätig. Als Schriftsteller hat er sieben Romane, zwei Erzählungen und drei Sachbücher verfasst. Zudem hat er als Publizist und Verleger verschiedene Texte veröffentlicht.

© 2020 Andreas Pritzker

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt (D)

Umschlagbild: Horentäli, Küttigen

ISBN: 9783751964906

Mit Dank an Ursula Reist für die Tipps einer
erfahrenen Krimiautorin

Die Handlung sowie die Personen und Namen in
diesem Roman sind erfunden. Ähnlichkeiten mit
wirklichen Personen sind nicht beabsichtigt.

Mehr Informationen zum Autor
und zu seinen Büchern sind zu finden auf
www.munda.ch

Für Katinka und Simon

Inhaltsverzeichnis

  1. Dienstag 31. März 2020
  2. Mittwoch 1. April 2020
  3. Donnerstag 2. April 2020
  4. Freitag 3. April 2020
  5. Samstag 4. April 2020
  6. Sonntag 5. April 2020
  7. Montag 6. April 2020
  8. Dienstag 7. April 2020
  9. Mittwoch 8. April 2020

1 - Dienstag 31. März 2020

Um halb acht klingelte das Handy. Es lag auf dem Regal hinter seinem Bett. Weil der Anruf nur dienstlich sein konnte, wurde Kern schlagartig wach.

„Ist das Büro Aarau schon einsatzfähig?“ wollte sein Chef wissen.

Kern versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er im Bett lag. „Wir sind vierundzwanzigsieben einsatzbereit“, sagte er.

„Hör mal, da ist ein Mann ermordet worden“, sagte Stierli. „Die Kantonspolizei Aargau hat uns benachrichtigt. Ein Angestellter der Stromnetz AG in Aarau. Könnte uns betreffen.“

„Wann fand der Mord statt?“

„Gestern morgen.“

„Und die haben uns bereits alarmiert?“

„Die Kapo Aargau ist ziemlich auf Draht. Also beweg deinen Arsch doch mal zu denen. Der zuständige Kommissar erwartet dich. Ein Mann namens Rauch.“

„Wo Rauch ist ist Feuer“, witzelte Kern, aber Stierli hatte schon aufgelegt.

Kern hielt vor dem Aufstehen inne, um sich zu sammeln. Sein Zimmer war vom Morgenlicht durchflutet, der Tag fing sonnig an. Er ging duschen. Beim Ankleiden entschied er sich für ein hellblaues Hemd, eine graue Hose, einen dunkelblauen Blazer und eine beigefarbene Krawatte. Die korrekte Kleidung für Polizeiarbeit, dachte er. Er musterte sich im Spiegel und sah einen hageren Vierziger mit glattem, braunem Haar, kantigen Gesichtszügen und braunen Augen. Ziemlich unauffällig, keinerlei besonderen Merkmale, und das ist ein Vorteil in meinem Beruf, sagte er sich.

In der Küche braute er sich einen Nespresso-Kaffee. Er sah, dass seine Mutter bereits gefrühstückt hatte. Sie war wohl frühmorgens in die Kanzlei gefahren. Sie hatte die zweiplätzige Garage offengelassen, ihr Auto war weg. Kern stieg in seinen alten Renault Captur und fuhr los, ins Telli-Quartier hinunter, zum Hauptquartier der Kapo. Er stellte fest, dass auf den Strassen kaum Verkehr herrschte. Er dachte, das gehört zu den wenigen angenehmen Begleitumständen der Coronakrise.

Er meldete sich beim Empfang an, und kurz darauf erschien ein vierschrötiger Fünfziger in einem gut sitzenden Anzug. Gute Kleidung wirkt nun einmal seriös, dachte Kern, während sich der Mann durch eines der beiden Drehkreuze in der Eingangshalle zwängte. Die Kapo hatte bestimmt für die höheren Kader Kleidervorschriften erlassen. Beim FBI war es nicht anders gewesen. Seine eigenen Anzüge stammten alle aus der FBI-Zeit, von einem chinesischen Schneider in Arlington gefertigt. Sie sassen immer noch perfekt, denn er hielt sich in Form.

Es sah so aus, als wollte der Polizeibeamte auf ihn zugehen und ihm die Hand darbieten, aber dann blieb er mit einem Ruck im Abstand von zwei Metern stehen, musterte Kern unverfroren und winkte ihm schliesslich zu.

Kern winkte zurück und sagte: „Kern vom NDB. Ich wurde von meinem Chef aufgeboten. Es gehe um Mord. Habe in den Nachrichten noch gar nichts vernommen.“

„Oberleutnant Rauch“, sagte der Polizist. „Ich leite die Ermittlungen. Ihr Chef hat Sie angekündigt. Und wir werden die Öffentlichkeit heute Abend über den Mord informieren. Wegen der Coronakrise sind wir unterbesetzt, da geht alles ein wenig langsamer. Kommen Sie mit.“

Er lief zum Schalter und nahm einen Besucherausweis in Empfang, den er Kern gab. „Damit kommen Sie durchs Drehkreuz.“

Hinter der Sperre lief Rauch zur Treppe, die neben dem Liftschacht nach oben führte. „Liftfahren zu zweit geht gar nicht mehr“, sagte er und stürmte die Treppe empor. Kern folgte im gebührenden Abstand. Rauch führte ihn in ein modern möbliertes Eckbüro mit Blick über die hohen Bäume des Telliquartiers. Sieht nicht gerade nach Amtsstube aus, dachte Kern. Der Kommissar setzte sich hinter seinen Schreibtisch und wies Kern mit einer Handbewegung den Stuhl ihm gegenüber an. Gut, dachte Kern, so sitzen wir zwei Meter voneinander entfernt.

„Keine Sonnenbrille?“ fragte Rauch. „Und überhaupt keine Ähnlichkeit mit einem 007? Ich habe mir einen Mann vom Nachrichtendienst anders vorgestellt.“ Dabei grinste er. Sein Gesicht war von tiefen Furchen gezeichnet und hatte eine gesunde Bräunung. Er regeneriert sich in einem Solarium, dachte Kern. Rauch hatte einen auffällig grossen Mund, und wenn er sprach oder lächelte, machte sein ganzes Gesicht mit. Kern fragte sich, welche Mienen der Oberleutnant sonst noch auf Lager hatte. Bestimmt konnte er, wenn nötig, ein Pokergesicht aufsetzen. Oder Verdächtige mit strengem Blick verunsichern.

„Durchschnittliches, ja langweiliges Auftreten ist die beste Tarnung“, erwiderte Kern und grinste zurück. Er erinnerte sich, dass das FBI ein paar Filmchen zur Verbrechensprävention hatte drehen lassen. Und ihn hatten sie als Durchschnittsmenschen ausgesucht, wobei die Videos in Animationsfilme umgewandelt worden waren, wie sie in Flugzeugen gezeigt wurden, und er somit nicht mehr als reale Figur erkennbar gewesen war.

Er dachte, ich mag dieses Ritual der Begegnung von Polizist zu Polizist und fragte: „Weshalb haben Sie uns denn eingeschaltet?“

„Ein Mann namens Gerhard Schlittler ist gestern ermordet worden. Er war Dispatcher bei der Stromnetz AG hier in Aarau. Sie wissen schon, der schweizerische Grossnetzbetreiber mit Anschluss an Europa. Das ist gemäss Liste Ihres Amts ein strategisch wichtiger Betrieb. Kann gut sein, dass es jemand auf die Stromversorgung abgesehen hat. Und daher haben wir Sie, entsprechend den Weisungen des Bundes, benachrichtigt.“

Kern nickte. In der Liste der landesweiten Risiken des Bundesrats standen ein längerer, grossflächiger Ausfall der Stromversorgung sowie eine Pandemie weit oben. „Die Pandemie haben wir schon“, sagte er. „Fehlt nur noch der Ausfall der Stromversorgung.“

„Exakt.“

„Was können Sie zum Mord sagen?“

„Schlittler war siebenunddreissig, verheiratet, mit zwei Kindern. Wohnte in einem Einfamilienhaus in Auenstein, oben am Hang mit prachtvoller Aussicht. Der Weitblick über das Land half mir mich zu wappnen, bevor ich an der Haustür klingelte, um die schlechte Nachricht zu überbringen. Nun, gestern fuhr er wie gewohnt mit seinem Wagen zur Arbeit, kam aber nie an. Es folgte das Übliche, Anruf der Firma zu Hause, um zehn Meldung der Ehefrau an die Polizei. Der zuständige Stützpunkt Aarau startete eine Suchaktion entlang seines Arbeitswegs. Schlittler fuhr jeweils über die Auensteiner Brücke und dann durch den Wald von Rohr Richtung Aarau Zentrum. Und auf einem der Parkplätze auf der Rohrer Seite fanden sie ihn auch. Er sass im Auto und war tot. Übrigens eigenartig, dass keiner der Leute, die von dort ihre Hunde ausführen, ihn bemerkt und gemeldet hat. Das muss an der Coronakrise liegen. Jeder schaut nur noch für sich selber. Als die Polizei aufkreuzte, war sonst niemand auf dem Parkplatz, aber es muss dort Hündeler gegeben haben. Wir werden hierzu einen Zeugenaufruf starten. Schlittler war durch einen Kopfschuss getötet worden. Der wahrscheinliche Tathergang ist so. Schlittler fährt auf den Parkplatz. Er ist mit jemandem verabredet, oder jemand, den er kennt, hat ihn rausgewunken. Dieser Jemand steigt in den Wagen, platziert sich auf dem Beifahrersitz, möglicherweise ergibt sich ein Gespräch. Der Mord erfolgt mit einer kleinkalibrigen Waffe, das heisst es gibt mit Ausnahme des Fahrerfensters kaum Blutspritzer im Wagen.“

„Und Sie sind bereits daran zu untersuchen, mit wem Schlittler verkehrte, ob er Schulden hatte, möglicherweise eine Affäre, und so weiter.“

„Exakt. Wir haben mit der Familie und den direkten Nachbarn gesprochen. Er lebte solide, verbrachte die meiste Zeit mit der Familie, verkehrte freundschaftlich mit den Nachbarn und war lediglich Mitglied des lokalen Tennisclubs. Er war offenbar allgemein geschätzt, tat sich aber nirgendwo hervor. Auf den ersten Blick handelt es sich bei Nachbarn und Clubmitgliedern um solide Männer und Frauen, keinerlei Exoten darunter, wenn Sie wissen was ich meine. Ist aber alles provisorisch. Ich habe zwei Beamte angesetzt, um mehr Informationen aus den Leuten herauszuholen.“

„Wie organisieren Sie das, ohne die Abstandsregeln zu verletzen?“

„Nun, meistens führen zwei Beamte die Befragungen durch, einer für die Fragen, der andere, um die Befragten zu beobachten. Jetzt gehen sie allein – ausser wenn es Rückendeckung braucht, aber dann fahren sie getrennt. Zudem bitten sie die Befragten jeweils ins Freie oder wenigstens ins Treppenhaus, um geschlossene Räume zu vermeiden. Es geht, ist aber alles aufwändig.“

Kern nickte. „Und natürlich haben Sie gleich die Ehefrau als Täterin in Betracht gezogen.“

„Exakt. Die Statistik spricht dafür. Henriette Schlittler arbeitet jeweils am Morgen in der Buchhaltung einer Treuhandgesellschaft. Wegen der Coronakrise war sie jedoch den ganzen Morgen ununterbrochen zu Hause und betreute die beiden Kinder – sie sind neun und elf – beim Fernunterricht. Und was weiter gegen ihre Täterschaft spricht: auf den Namen ist keine Waffe gemeldet. Ich denke, die Ehefrau können wir fürs erste ausschliessen.“

Kern war beeindruckt. Dieser Polizist arbeitete gründlich. Ihm fiel weiter auf, dass Rauch die Kinder einfach als solche bezeichnete. Sie hatten noch keine Namen. Das zeigte, dass die Polizei sich auf die relevanten Fragen fokussierte. Namen bekamen die Kinder erst, wenn sie einvernommen werden sollten. Und sonst bei der Abfassung des Schlussberichts. Erst dann jagen wir solchen Details nach, dachte er. Sie sind notwendig, falls die Personen in einem späteren Fall wieder auftauchen. Deshalb hat Stierli schon Recht, wenn er von mir detaillierte Berichte verlangt.

„Und wie sieht es in der Firma aus, in der Schlittler gearbeitet hat?“ fragte er.

„Ich habe für heute Morgen einen Besuch bei der Stromnetz AG vorgesehen. Ich dachte, Sie sollten dabei sein.“

„Das sollte ich tatsächlich. Aber warum machen Sie das nicht per Videokonferenz?“

„Ich bin ein altmodischer Polizist. Ich will die Atmosphäre des Orts und die Gegenwart der Befragten spüren.“

Rauch griff nach einem dünnen Dossier und schob es Kern über den Tisch zu. „Hier ist eine Kopie unserer bisherigen Erkenntnisse. Ich habe alles ausgedruckt, was meine Mitarbeiter bis heute Morgen ins System gefüttert haben. Ist natürlich noch mager, aber wir arbeiten daran. Wir hoffen stark, dass wir Erfolg haben werden. Sind uns bei der Kapo kaum an unaufgeklärte Tötungsdelikte gewohnt.“

Das stimmte, wie Kern wusste. Die Kantonspolizei Aargau war mit Recht stolz auf ihre hohe Aufklärungsrate.

Rauch erhob sich. „Kommen Sie.“

In der Parkgarage angekommen hielt Rauch inne. „Weil wir einzeln fahren müssen, sind wir zur Zeit knapp an Fahrzeugen. Ich nehme an, Sie sind von Bern mit dem Wagen hierher gefahren.“

„Ich bin mit dem Auto hier. Steht dort drüben auf dem Besucherparkplatz. Aber ich kam nicht von Bern, sondern direkt von zuhause. Ich wohne im Zelgli-Quartier.“

„Perfekt.“

Als Rauch den Captur sah, fragte er: „Und wo ist der Aston Martin?“

„Den gibt’s erst fünf Lohnklassen über mir.“

Rauch grinste, sagte „exakt“ und stieg ein.

*

Kern wusste, dass die Stromnetz AG ihren Sitz in Aarau hatte, kannte aber den Standort nicht. Er folgte Rauch hinauf zum Bahnhof, dann unter der Bahnlinie hindurch zum Gais-Kreisel und von hier ins Quartier südlich des Bahnhofs. Sie parkten vor einem auffälligen Gebäude, das mit „Stromnetz AG“ angeschrieben war.

Rauch hatte den Besuch angekündigt. Am Empfang holte sie eine Frau ab, die Kern auf vierzig schätzte – so alt wie er selbst. Auch sie hielt den Abstand ein. Sie war sportlich elegant gekleidet, mit schwarzen Designerjeans, die in Texasstiefelchen steckten, und einem leichten, in grünlichen Farben gesprenkelten Pullover, über dem eine lange Kette von dunkelblauen, unregelmässig geformten Steinen hing. Ihr schwarzes, schulterlanges Haar trug sie offen. Ihr Aussehen gefiel ihm auf Anhieb.

„Astrid Mächler. Ich leite das Kontrollzentrum.“

Rauch stellte Kern und sich vor, erwähnte aber nicht, dass Kern vom Nachrichtendienst war. Gut gemacht, dachte dieser.

Am Empfang erhielten sie Zutrittskarten, wobei Rauch seinen Polizeiausweis zeigte, Kern hingegen nur seine private Identitätskarte. Der Mann am Schalter runzelte die Stirn, kam aber offenbar zum Schluss, wenn Kern den Kommissar begleite, übernehme dieser die Verantwortung für ihn.

Frau Mächler führte sie in ein Sitzungszimmer.

„Nehmen Sie bitte Platz. Dort und dort, damit wir Abstand halten. Darf ich Ihnen Kaffee bestellen? Oder Mineralwasser?“

Keiner wollte etwas.

Das Zimmer war für den Besuch vorbereitet worden. Bei den beiden Besucherplätzen lag je eine Broschüre der Stromnetz AG sowie eine Visitenkarte, der Kern entnahm, dass Frau Mächler an der ETH Elektroingenieurwesen studiert hatte. Sie setzte sich, strich sich die Haare aus dem Gesicht und sagte: „Schrecklich, was da passiert ist. Ich kann die Sache nicht verstehen.“

„Wir auch nicht, noch nicht“, sagte Rauch. „Aber ich denke, wir werden es herausfinden. Doch zuerst möchten wir wissen, was Schlittlers Funktion war.“

„Er war als Dispatcher zuständig für die Netzstabilität. Das heisst für Laien, dass die Stromlieferung jederzeit dem Bedarf angepasst wird. Das geht dank dem europäischen Verbundnetz problemlos. Fällt ein Gigant wie zum Beispiel das KKW Gösgen aus, fahren europaweit ein grössere Zahl von Kraftwerken ihre Produktion geringfügig hoch, und das Netz bleibt stabil, die Verbraucher merken nichts.“

Rauch räusperte sich. „Es gehört zwar nicht zum Fall, aber diese Erklärung finde ich irritierend. Wie sieht es denn in Zukunft aus? Man kann doch ein Solarkraftwerk nicht hochfahren, wenn keine Sonne scheint.“

Frau Mächler schmunzelte. „Man merkt Ihnen den trainierten Polizisten an. Sie finden gleich den Schwachpunkt. Ich kann Ihnen keine Antwort geben. Wir versuchen unser Bestes, aber es ist alles im Fluss. Anders gesagt, die Antwort steht in den Sternen.“

Kern mischte sich ein. „Wie müssen wir uns das vorstellen? Drückte Schlittler auf Knöpfe, um sein Ziel zu erreichen?“

„Das ist nicht nötig. Grundsätzlich wird alles von Computerprogrammen erledigt. Unsere Dispatcher müssen bloss diese überwachen und manchmal eingreifen, etwa wenn zu wenige Kraftwerke am Netz sind. Es gibt Verbraucher, die dürfen wir vertragsgemäss zurückfahren, wofür sie einen Bonus erhalten.“

„Ich nehme an, solche Eingriffe finden am Computer statt?“

„Richtig.“

„Dann würde ich Ihnen empfehlen, sofort sämtliche Passwörter von Schlittler zu sperren.“ Er überlegte kurz und fügte hinzu: „Falls Sie das nicht schon veranlasst haben.“

Frau Mächler strahlte ihn an. „Das ist bei uns Sicherheitsroutine. Bei Tod, Unfall oder Austritt heben wir die Passwörter sogleich auf, bei Abwesenheit durch Krankheit oder Urlaub sind wir weniger restriktiv, da geschieht es erst nach drei Tagen.“

„Können Sie nachverfolgen, ob bereits jemand versucht hat, mit Schlittlers Passwörtern ins System einzudringen?“

„Entschuldigen Sie mich kurz, das will ich unverzüglich in Auftrag geben.“ Sie erhob sich und liess die beiden allein.

Rauch drehte sich in seinem Stuhl um und sagte: „Alle Achtung. Daran hätte ich nicht gedacht.“

„Ist ja auch nicht Ihr Gebiet. Und bei uns gehört diese Überlegung zur Routine.“

Rauch dachte nach und sagte: „Jetzt ruft sie die Informatikabteilung an. Und zu diesem Zweck ist sie rausgegangen. Sie hat ein beeindruckendes Sicherheitsbewusstsein. Auch bei uns gilt ja, keine dienstlichen Gespräche in Anwesenheit von Dritten.“

Die Ingenieurin kam zurück.

„Ich habe eine Prüfung veranlasst. Aber da wir viele Zugriffe haben, sind die entsprechenden Protokolle umfangreich. Und wenn wir die IP-Adresse des Absenders nicht kennen, wird es laut IT-Abteilung ein paar Stunden dauern, bis sie uns etwas sagen können.“

„Gut“, sagte Rauch. „Können Sie uns etwas über Schlittler als Mitarbeiter sagen?“

„Gerhard war Gruppenleiter. Ich denke, er hätte weitere Karriere gemacht. Sie kennen das Arbeitsleben. Rekrutierung von Fachkräften ist immer schwierig, selbst wenn wir noch so hohe Arbeitslosigkeit haben. Sie bekommen auf dem Markt problemlos durchschnittliche Fachkräfte, welche nach Weisungen und Handbüchern ihren Auftrag mehr oder weniger gut erfüllen können. Und Sie kriegen immer auch ein paar unterdurchschnittliche Mitarbeitende, die ihre fachlichen Mängel durch forsches Auftreten überspielen können.“

Sie seufzte. „Wenn Sie jedoch Personen wollen, die selber denken, initiativ sind, die Situation analysieren und Verbesserungsvorschläge machen, und die dazu noch geeignet sind, Mitarbeitende zu führen, dann braucht es Rekrutierungsarbeit und eine gute Portion Glück, bis Sie jemanden gefunden haben. Und wenn Sie eine solche Person einmal haben, dann behandeln Sie diese besser pfleglich.“

Kern schmunzelte. Die Leiterin des Kontrollzentrums wusste, wovon sie sprach.

Rauch sagte: „Ich nehme an, Schlittler war ein, äh, solch wertvoller Mitarbeiter.“

„Unbedingt.“

„Und wie stand es mit Rivalitäten? Internen Reibereien?“