Titelgestaltung: DSR | Werbeagentur Rypka GmbH., 8020 Graz
Titelbilder: Gerd H. Meyden (links und Mitte), Helmut Ctverak (rechts)
Die Bilder im Innenteil stammen vom Autor.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
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ISBN 978-3-7020-1378-3
eISBN 978-3-7020-1906-8
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© Copyright by Leopold Stocker Verlag, Graz 2012
Printed in Austria
Layout: werbegraphik-design Gernot Ziegler, 8054 Graz
Druck: Druckerei Theiss GmbH, 9431 St. Stefan
Vorwort
Was bleibt hängen?
Unterm Schnepfenstern
Ein Südtiroler
Ein „schöner“ Rehbock
Darz bor
Loisei
Auf der Hütte
Nachsuche mit Nachspiel
Der Regenmacher
Blattzeit
Nazl
Am Höherstein
Hundeleben
„Nur“ Kahlwild
Das Phantom
Die kriegst du nie!
Steirisches Trio
Tiro!
Hasen
St. Nikolaus
Ansichten eines Jägers
Es gibt immer wieder so einen Tag, der mich zu keinen größeren Taten inspirieren kann. Von meinem, im malerischen Josefstal gelegenen „Jagahäusl“, meinem Altersruhesitz, geht der Blick zu Brecherspitz und Jägerkamp, zum Felszapfen des Wendelstein und der steilen Flanke des Breitenstein. Der Nebel tanzte am Berg und die Schneefallgrenze sank immer tiefer. Mir war furchtbar langweilig. Da klingelte das Telefon und durch den Hörer drang die Stimme des Freundes Gerd Meyden: „Griaß di Gott, Koni!“
Schlagartig war ich wach, denn in diesem Fall gibt’s immer eine „jagerische“ Diskussion. Nach einem längeren Ratsch kam dann der Gerd auf den Punkt: „Du Koni, ich hab’ ein neues Jagdbuch geschrieben, darf ich dich bitten, mir das Vorwort zu schreiben!“ Dann meinte der zum Freund gewordene Jagdkamerad, dass es für ihn eine große Ehre sei, wenn ich diese Aufgabe übernehmen würde. Ich hingegen fragte mich, ob nicht ich mich geehrt fühlen durfte. Ich war stolz darauf, dass mir der Gerd diese Auszeichnung zuteilwerden ließ.
Wie immer, bevor ich zur Feder greife oder den Computer anwerfe, ging ich zunächst in den Berg. Ich verbrachte die Nacht auf der Engelweghütte. Der rote Südtiroler ließ mich bald in einen totenähnlichen Tiefschlaf fallen, bis mich dieser Raubesen von einem Wecker aus tiefen Träumen riss. Raus aus der warmen Sasse und rein mit dem Kopf in den sprudelnden Hüttenbrunnen! Nach einem bescheidenen Jagerfrühstück stieg ich ins Lodeng’wand, die Bergschuhe und Gamaschen, angelte aus dem Hütteneck den unverwüstlichen Bergstecken und zündete mir die „Hahnfalzlaterne“ an. Beim Funkeln der Sterne stieg ich dem Balzplatz entgegen.
Es war ein feines Pirschen durch den dunklen Bergwald. Langsam schlich ich mich dem Platz der Großen Hahnen entgegen. Immer wieder blieb ich stehen und horchte mit offenem Mund, ob nicht der Perlengesang der Hahnen zu mir herunterdringen würde.
Da – der erste Hahn hatte sich bereits eingesungen. Knappen, Trillern, Hauptschlag und Schleifen reihten sich aneinander. Ich sprang dem Hahn entgegen. Auf einer weitastigen Buche sah ich bald darauf den Minnesänger. Ich konnte dieses grandiose Schauspiel längere Zeit beobachten. Einem Schattenspiel gleich schritt der Hahn auf dem weit in den Sesselgraben ragenden Buchenast hin und her, mit leicht geöffneten Schwingen und in vollster Verzückung. Das dahinter aufragende Sonnwendjoch und der Schinder waren die passende Kulisse dazu. Eine Henne war eingefallen, der Hahn ging zu Boden.
Genau in diesem Augenblick fiel mir mein Freund Gerd Meyden ein. Was hätte der für eine Freude an diesem Anblick gehabt! Wie viele schöne Stunden durften wir schon zusammen verbringen!
Als ich in das Flachlandrevier „Ebersberger Forst“ versetzt wurde, lernte ich Gerd Meyden kennen. Schnell stellte ich fest, dass wir die gleiche Einstellung, ja die gleichen Anschauungen haben. Beide trugen und tragen wir unsere „jagerische“ Kleidung, die „Kurze“, sprich: die Bundlederhose und die Lodenjoppe, und auf dem Tegernseer Jagdhut entweder eine Spielhahnfeder oder einen verwitterten Hirschbart. Gerd Meyden ist nicht nur ein hochpassionierter Waidmann, sondern auch ein exzellenter Jagdhundeführer, was sich zum Beispiel an seiner ersten Hündin, einer Bayrischen Gebirgsschweißhündin, zeigte, die er in seiner ruhigen, ausgeglichenen Art zu einer echten Meisterin auf der roten Fährte machte. Ich freue mich, dass ich ihm dabei helfend zur Seite stehen durfte. Wie oft wurde „der Gerd“ schon gerufen, wenn ich im großen Wald unabkömmlich war, worauf er mit seiner „Silva“ echte Fährtentreue und eisernen Finderwillen zeigte. Wie froh war ich, endlich einen Jagdkameraden und äußerst disziplinierten Nachsuchenführer an meiner Seite zu wissen.
Viele Jäger habe ich kennen und einige auch schätzen gelernt. Als Wildmeister gehörte es auch zu meinen Aufgaben, eine große Anzahl von Jagdgästen auf Hirsch, Gams, Sau, Muffel, Rehbock sowie auf den Großen und Kleinen Hahn zu führen. Es waren pfundige und großartige Jäger dabei. Gerd Meyden brauchte ich nicht zu führen, den konnte ich immer alleine losschicken. Wenn der Gerd schoss, dann wusste ich, dass alles passt.
Nun hatte er wieder zur Feder gegriffen und ein neues Jagdbuch geschrieben. Der Titel „Jägerwege“ zeigt uns den Weg, den er gegangen ist. Ich kann nur sagen, es ist das Werk eines großartigen Waidmanns und ich empfehle es jedem waidgerechten Jäger.
Ich wünsche dem Waidmann und BGS-Führer, besonders aber dem Freund und Menschen Gerd Meyden einen vollen Erfolg für dieses Werk.
Schliersee, im Hahnenmond 2012 |
Konrad Esterl |
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Wildmeister i. R. |
Mein besonderer Dank gilt meinem jagdlichen Glückskleeblatt
B. O. E. M. F. S. P. F. |
Ohne ihre großzügigen Einladungen und ohne ihre herzliche Freundschaft wäre dieses Buch nicht möglich gewesen.
Forstinning, im Sommer 2012
Gerd H. Meyden
Ein Satz mit Doppelsinn. Zum einen geht’s um die Trophäen. Übrigens – halten wir uns einmal vor Augen, was das Wort „Trophäe“ bedeutet. Laut Lexikon ist es ein „Siegeszeichen“. Ist dessen Erlangung mit der heutigen überlegenen Ausrüstung und Waffentechnik ein „Sieg“? Nennen wir es hier lieber Erinnerungsstück.
Meist am Ende des Jahres hänge ich die erbeuteten Stücke auf. Dabei stellt sich mir die Frage: Was hänge ich auf? Was bleibt hängen? Bei so manchem Stück war die Erlegung weniger eine Erbeutung, sondern schlicht – ein Todesfall. Wie’s halt so geht auf der Jagd. Manchmal wird’s einem von den grünen Geistern zu einfach gemacht. Da sagt man auch nicht nein. Und dann frage ich mich später beim Anblick eines Gehörns: „Wie war das damals eigentlich?“ Da ist in der Erinnerung nichts hängen geblieben. Von etlichen Geweihen, Gewaff, Krucken und Kronen habe ich mich deshalb nach einiger Zeit getrennt. Würde man gar alles an die Wände hängen, da tät’s bald ausschauen wie in einem Panoptikum. Unter den weggegebenen waren schwache, sowie auch wirklich starke Stücke. Aber – an ihnen hing nur eine blasse Erinnerung.
Hängen geblieben sind Knöpfler wie Kapitale. Da hing die Müh’ und Plag’ der Erbeutung dran, das kostbare Drum und Dran, das sich tief im Gedächtnis eingegraben hat.
Was bedeutet eine Beute, die uns mühelos geschenkt wird? Bald wird alles um sie verhaucht, vergessen sein.
Was sie zum wahren Gewinn macht, der im Gedächtnis hängen bleibt, das sind die Mühen um sie – die Wege.
Auf diese Wege – die Jägerwege – möchte ich Sie gerne mitnehmen. Lassen Sie uns schauen, was sich so nebenbei ereignete und wohin sie führten.
Wenn am Ende des Tages der erste Stern am Abendhimmel funkelte, hörte ich schon als Kind oftmals meinen Vater sagen: „Schau, der Schnepfenstern!“ Da ahnte ich noch nicht, mit welcher Erwartung ich später als Jäger nach ihm und den Schnepfen ausschauen würde. Diese von Geheimnissen umrankten Vögel hatten schon früh mein Interesse geweckt – besaßen sie doch einen eigenen Stern.
Wenn auf Treibjagden eine geschossen wird, dann ist’s immer etwas ganz Besonderes. Der Erleger wird mehr bewundert und geachtet als einer, der für zehn Fasanen nur zehn Schuss gebraucht hat. Und auf der Strecke liegend, zieht der dürrlaubfarbene Waldbewohner stets alle bewundernden Blicke auf sich. Wenn die Treiber mit ihrem Ruf: „Schnepf, Schnepf!“ einem da nicht den Puls in die Höhe jagen – da müsste man schon ein Fisch von Geblüt sein. So, nur so und nie in seinem Balzflug sah ich den „Vogel mit dem langen Gesicht“. Den Schnepfenkalender konnte ich zwar schon früh hersagen, jedoch an „Oculi“, wenn’s heißt: „da kommen sie“ – da hatte ich lange keine Gelegenheit für eine Begegnung mit ihnen. Dazu braucht man entweder ein eigenes Revier oder Freunde, die einem ihre Schnepfengründe zugänglich machen. So waren sie mir für viele Jahre nur herbstliche Beute.
Als ich dann selber Pächter eines Niederwildreviers wurde, konnte ich es kaum erwarten, dass es endlich so weit war – wenn im Schnepfenkalender steht: „Reminiscere – putzt die Gewehre!“
Mitten in unserem Revier gab’s ein Waldstück, das von quelligen Gründen durchgluckert, mit Erlen und Weidenbüschen so recht nach den Langschnäbeln roch. Wäre ich ein Schnepf, hier würde ich nach Würmern stechen. Meine gleichfalls passionierte Frau und ich malten uns aus, wie schön es wäre, wenn eulengleich die „Scolopaxe“ abends über die Wipfel schaukelten.
Noch lagen kleine, griesige Schneereste in den Schattengründen. Der sumpfige Waldboden mit seinem bitteren Geruch war bereits „vom Eise befreit“. Die ersten Lurche hörte man vom nahen Tümpel quarren, wo sich die Laichgesellschaft alljährlich zum nassen Hochzeitsfest zusammenfindet. Die Singdrosseln waren schon zurückgekehrt und ihr Abendgesang ließ das Herz höher schlagen – der Winter war endlich vorbei. So standen wir, die Flinten in der Armbeuge, der Hund erwartungsvoll neben uns, am Rande einer kleinen Blöße. Allmählich verebbte der Gesang der Drosseln; die Nacht warf ihren dunklen Schleier über die Welt. Und da, über der Zackenlinie ferner Wälder, blitzte er auf, der Schnepfenstern. Werden sie jetzt kommen?
Sie kamen nicht. Sie kamen nie; außer im Herbst. Das machte uns aber nichts aus. Jeden freien Abend zwischen „Oculi“ und „Quasimodogeniti“, wo es heißt: „Hahn in Ruh’, nun brüten sie!“, waren wir auf dem Anstand. Allein draußen im Revier das erwachende Jahr zu erleben, mit dem kleinen Hintergedanken: Es könnte doch mal eine kommen, das lockte uns hinaus. Das war für uns der stimmungsvolle Beginn des Jagdjahres. Bis dann eines Tages die Frühjahrsjagd auf die Langschnäbel verboten wurde. Mit dem Schnepfenstrich in deutschen Landen war’s nun vorbei.
Und wie schon so oft, überraschte mich mein Freund Peter mit einer Einladung in sein Bergrevier im Salzkammergut. Die Österreicher hatten sich von Brüssel nicht hineinreden lassen, denn es war hinlänglich bewiesen, dass die Balzjagd keinen negativen Einfluss auf den Bestand hat.
Der Freund hatte gerade sein neues Jagdhaus eingeweiht, und wir wollten nun den Reigen des Jagdjahres mit dem Schnepfenstrich eröffnen. In der bewaldeten Zone der Berge gibt es viele kleine Hochmoore, gerade recht für die heimlichen Vögel. Der Jäger Hannes sah mit Staunen unsere Begeisterung, denn einem Bergjäger bedeutet die Jagd mit der Flinte recht wenig.
Am frühen Abend zog ich mit dem Berufsjäger und meinem Kurzhaar Norma los. Mitten auf einem Schlag, der sich ein wenig über die umgebende Fläche eines moorigen Gebiets erhebt, erwarteten wir in Deckung von ein paar kleinwüchsigen Fichten den Abend. Wieder blickte ich hoffnungsfroh nach meinem Freund aus – dem Schnepfenstern. Und wirklich, als er blinkend über den Berggipfeln am verdunkelten Himmel erschien, hörte und sah ich auch schon den ersten Vogel mit dem langen Gesicht murksend in weiterer Entfernung über die Wipfel schaukeln. Beglückt, dass ich das nun endlich erleben konnte, schaute ich ihm nach und hätte beinahe den nächsten verpasst, der links an uns vorbei streichen wollte. Geistesgegenwärtig ging der Jäger Hannes in die Knie – in Deckung. Mitgeschwungen – und auf den Schuss warf es den Schnepf mit weichem Fall ins Beerkraut. Bevor ich den Hund zum Bringen losschicken konnte, strich auch schon der nächste direkt auf mich zu. Genau überkopf fasste ihn die Schrotgarbe. Nur leicht getroffen, trudelte er mit weit gespreizten Schwingen senkrecht auf uns herab. Die neben mir sitzende Hündin hatte alles mitangesehen und sich nicht erhoben. Der Vogel schwebte weiter senkrecht auf uns nieder – es klingt wie tollstes Latein – und landete genau im geöffneten Fang der braven Hündin. Der Hannes war fassungslos. So etwas hatte er noch nie erlebt. „Dees,“ sagte er, „dees glaubt uns kaaner.“ Es war auch wirklich unglaublich, und ich freute mich, einen Zeugen dabeigehabt zu haben. Der Peter, der mit ungläubigem Schmunzeln unsere Geschichte hörte, hatte sogar drei der Langschnäbel erbeutet. Wir haben daraufhin eine schöne, kleine Feier veranstaltet und beschlossen, dass es genug wäre für dieses Jahr.
Ein Dezennium später war ich Teilhaber an einem Hochgebirgsrevier. Auch wenn Jagdzeit gewesen wäre, man hätte keine erbeuten können. Wegen des Schnees in dieser Höhenlage war’s für die Schnepfen im Frühjahr unmöglich, dort Rast zu machen.
Im Herbst jedoch sollte es ein Wiedersehen mit ihnen geben.
Kurz nach der Hirschbrunft war’s, da hockte ich noch im Dunkeln auf einer überdachten Leiter. Es galt dem Kahlwild. Noch ehe die Sterne gänzlich verblassten, hörte ich die Fledermäuse von nächtlicher Jagd heimkehren. Unsere Kanzel- und Hochstanddächer waren über dem Bretterdach mit Wellbitumen gedeckt. Da hörte man die Flatterer zur Tagesruhe in die Höhlungen hineinkrabbeln. Es war reizend anzuschauen, wenn am Abend beim Schwinden des Büchsenlichts sich eine um die andere aus ihrem Tunnel in die Nachtluft hinausschwang.
Die Venus, als letzter Stern, erstrahlte noch hell, da strich mit lautem Murksen und Quorren eine Schnepfe über die Lichtung. Bald darauf eine zweite und eine dritte. Jetzt sah ich meine Stunde gekommen. Am nächsten Morgen wollte ich die Büchse daheim lassen und mir hier mit der Flinte einen Platz suchen.
So kam ich also doch noch zum Schnepfenstrich in heimatlichen Gefilden. Und wirklich, einen Murkerich konnte ich erbeuten. Das war mir schon genug.
Und noch etwas sehr Eigenartiges ereignete sich an diesem Morgen: Als ich noch im Finstern den hellen Morgenstern – meinen Schnepfenstern – bewunderte, fuhr ein Komet, groß wie eine Feuerwerkskugel, über den Himmel. Fast meinte ich es rauschen zu hören. Die Erscheinung war so riesengroß; einen solch feurigen Meteoriten hatte ich noch nie gesehen. Anderntags fand ich in der Zeitung jedoch nichts über eine Feuerkugel am Himmel.
Aber wer ist schon um diese Zeit unterwegs, außer einem narrischen Jäger, der nach Schnepfen und deren Stern ausschaut.
Fackelschein. Hörnerklang. Bunte Strecke von Rot-, Schwarz- und Rehwild. Ein paar Füchse.
Dahinter, schon ein wenig im Dunkeln, die Schar der Jäger. Wo soll ich da den Luis finden?
Bei dieser, wie auf den vorhergegangenen Drückjagden war ich mit meiner BGS-Hündin Raika als Nachsuchenführer dabei. Nach dem zweiten Trieb bekam ich ein Standprotokoll für die Anschusskontrolle eines vermutlichen Fehlschusses zugeteilt, was keine große Hoffnung auf Erfolg versprach. Doch letztenendes liegt die Entscheidung dafür immer noch beim Hund. Was mir an diesem Zettel auffiel, war der Name des Schützen: „Luis M.“ Ein wohlklingender Südtiroler Name. Ich weiß, dass bei uns im Ebersberger Forst jedes Jahr eine Gruppe aus dem „heil’gen Land Tirol“ dabei ist. Und dass diese Jäger hauptsächlich wegen der Sauen hier sind. Daheim haben sie – noch – keine.
Die Nachsuche war kurz und – erfolgreich. Nach 200 m standen wir vor dem längst verendeten Überläufer. Das war, wie gesagt, nach dem letzten Trieb, und es begann schon schnell zu dunkeln. Bis ich die Sau im Auto hatte, war’s Nacht geworden. Am Aufbrechplatz fand ich keinen Menschen mehr, also versorgte ich den Hosenflicker selber, schaffte ihn schnellstens zum Streckenplatz, wo bereits die Ansprache des Jagdleiters begonnen hatte.
Da ich weiß, wie sehr sich ein Jäger freut, wenn wider Erwarten die Erfolgsmeldung kommt, und wenn’s ein rechter ist, dass er auch sein Wild gern noch anschauen möchte, also fragte ich mich nach dem Halali durch. Nach Luis M. Einer der Ansteller zeigte mir die Gruppe der Südtiroler, die in der Finsternis, ein wenig vom Fackelschein erhellt, beieinander stand.
„Bitte wer von euch ist der Luis?“
Einer aus ihrer Mitte meldete sich mit „was willsch?“
Ein schwarzer Bart umrahmte das scharf geschnittene Gesicht eines hochgewachsenen Mittdreißigers. Trotz der Dunkelheit meinte ich in seinen Augen, die mich kritisch fixierten, den Hauch eines stillen Kummers zu erkennen. Ich führte ihn zu seinem Überläufer und gratulierte ihm mit Weidmannsheil. Überglücklich quetschte er mir die Hand.
„Des isch mei erschte Sau!“
Er kniete nieder, fuhr mit der Hand über die Schwarte, betastete staunend wie ein Kind seine Beute. Drehte den Wutz herum und schaute sich seinen Schuss an. Von den Fichtenzweigen an der Strecke nahm ich einen Bruch, den er beglückt an seinen Hut steckte. Ich ließ ihn allein.
Gerade als ich mich in der Dunkelheit zu meinem Wagen davonstehlen wollte, hörte ich eilige Schritte hinter mir und eine Hand legte sich auf meine Schulter. Der Luis.
„Geh mit zu meinem Auto!“
Dort holte er aus dem Kofferraum eine Dreier-Schachtel mit Wein.
„Aus meinem Weinberg. Und nochamal Weidmannsdank für die Nachsuch’!“
Wir haben dort keine dieser Flaschen geöffnet, aber noch lange standen wir in der Nacht beisammen und als wir uns trennten, hatten sich zwei Jäger gefunden, die offenbar aus dem gleichen Holz geschnitzt waren.
Das Jahr ging dahin. Danach musste ich oftmals an den Jäger denken, der sich so an seiner Beute gefreut und sich sogar auch noch für die Nachsuchenarbeit bedankt hatte.
Im ausgehenden Winter erreichte mich eine Einladung auf einen Spielhahn im Revier vom Luis. Im Anschluss an Nachsuchen habe ich ja schon so manches erlebt, aber das hier war mehr als ungewöhnlich; das ließ mein Herz höher schlagen.
Es war Anfang Mai, als ich über den Brenner fuhr. Im Tal leuchteten die Obstbäume wie überschneit in weißer und rosa umwölkter Blütenpracht. In einem Seitental grüßte vom Berghang eine zinnenbewehrte Burg. Der Edelansitz von meinem neuen Freund Luis. Der Empfang war herzlich und die Gastlichkeit im Kreis seiner Familie wie aus einem Roman. Er führte mich umher und wies mit ausgestreckter Hand stolz ins Tal: „Unsere Weingärten“.
Jetzt endlich sah ich ihn bei Tageslicht. Meine erste Empfindung, dass den Mann irgendeine Schicksalslast drücke, war wieder gegenwärtig. Der Abend verging in kulinarischen Höhepunkten, umrahmt von den köstlichsten Weinen. Selbstverständlich alle aus eigenem Anbau. Der Freund hatte mich in der Einladung gebeten, mir viel Zeit zu nehmen, denn nichts sei ihm mehr zuwider, als Eile bei der Jagd. Auch hier ein Gleichklang.
Am nächsten Tag brachen wir auf in sein Bergrevier. Der steile Weg zu seiner oberen Jagdhütte – im unteren Teil des Reviers war deren noch eine – hatte es mit unseren wohlgefüllten Rucksäcken in sich. Luis war besorgt, dass es mir auch an nichts fehle, und so drückten einige Flaschen seiner Kreszenzen nebst guter Südtiroler Marende unsere Schultern. Wir würden es am Morgen nicht mehr allzu weit haben. Lieber sich am Abend etwas mehr plagen und dann nächstentags gemütlich aufsteigen. Wieder ganz im meinem Sinn.
Beim Aufstieg hatte dieser sehnige Mann, der mit keinem Gramm zuviel auf den Knochen als das Urbild des Bergjägers erschien, offenbar Probleme. Immer wieder blieb er stehen, verschnaufte minutenlang und versteckte körperliche Schwäche, indem er mir die Berge ringsum erklärte. Gegen diese Rasten hatte ich nichts einzuwenden, war ich doch selber nimmer der Jüngste und um Verschnaufpausen froh. Doch etwas stimmte mit diesem Berglertyp nicht. Wir kannten uns ja noch nicht lange, so lag es mir fern, nach seinen Problemen zu fragen. Er wird, so sagte ich mir, schon selber damit herauskommen, wenn er es will. Unser morgendlicher Gang zum Balzplatz beim Sternenschein war genussvoll nur eine gute Halbstunde weit. Im Latschenschirm sicher gedeckt, warm in unsere Lodenkotzen gehüllt, erwarteten wir den Tag. Langsam nahmen die Berge in der Runde Gestalt an. Vor uns, fast wie eine Arena, von Latschen und riesigen Felsbrocken gesäumt, lag der von Firnschnee bedeckte Tanzplatz der schwarz-weiß-roten Ritter. Die Stille, die Einsamkeit, und die Erkenntnis, auf weitem Umkreis dem Menschengewühl entfleucht zu sein, machten den Genuss des Jagens vollkommen. Kein Wort, nur Schauen und Lauschen. Und dann, noch war kein Schusslicht, fiel schon der erste Hahn ein. Ein kurzes Sichern, und er spielte sich ein. Bald darauf waren drei, dann vier, fünf Kleine Hahnen auf der Tanzbühne. Lange schauten wir dem Schauspiel zu, bis es voller Tag war, die Hennen zu locken begannen und es Zeit wurde, sich zum Schuss zu entschließen. Inmitten der sich ständig drehenden, grugelnden und blasenden Schar hatte ich mir einen Hahn ausgeguckt, der mit seinem schwarzblau blitzenden Gefieder breite, lange Sicheln hinter sich herschleppte. Auf den Schuss kugelte er ein wenig den Hang hinab und blieb mit ausgebreiteten Schwingen am unteren Ende des Schneefelds verendet liegen. Wie atemlos vor Freude packte mich der Freund an der Schulter und meine Hand drückend, keuchte er seinen Glückwunsch: „Weidmannsheil!“
Wir blieben noch eine Zeitlang sitzen in unserem Schirm, erfreuten uns am Anblick der unweit liegenden Beute, des Morgenlichts auf den Bergen – des Jägers Glück war nicht zu überbieten.
Urplötzlich, wir waren noch ganz im Nacherleben versunken, fauchender Schwingenschlag über uns, ein Adler kam wie ein Schatten von hinten herangeschossen – im Niederstoßen packte er den verendeten Spielhahn – und war – ehe wir noch einer Reaktion fähig waren, mitsamt meiner, nun seiner Beute, in der Überriegelung des steilen Berges verschwunden.
Wir schauten uns sprachlos an. Das war doch die Höhe! Als erster fand der Luis die Sprache wieder.
„Der Sauteifl!“
Und dann mussten wir doch lachen. Was sollten wir auch anderes machen. Der Adler hatte sich nur das geholt, was ihm aus seinem Reich zustand. Da, wo der Hahn gelegen hatte, zeugten nur noch ein paar Schweißspritzer und eine Feder von der Schwinge, dass wir das Ganze nicht erträumt hatten. Die konnte ich mir nun an den Hut stecken.
„Morgen schiaß mer uns no oan, den hol’ mer uns aber glei nach ’m Schuss.“
Drunten, beim Frühstück in der Hütte, erzählte mir der Luis, dass er unheilbar erkrankt sei. Er habe sich entschlossen, die Zeit, die ihm noch verbleibe, mit jagern, gut essen, gut trinken und in froher Gesellschaft Gleichgesinnter zu verbringen.
„Wanns aus is, is aus!“
Das war seine Einstellung. Den Weinbau-Betrieb habe er seiner Schwester übergeben, sodass er sich ganz der Jagd widmen könne.
Wir sind darauf noch zwei Morgen in finstrer Nacht zum Balzplatz aufgestiegen, doch die Hahnen hatten sich zum gegenüberliegenden Berg verstrichen.
Als wir uns trennten, war sein Blick fest und hoffnungsfroh.
„Kommst halt nächstes Jahr wieder – wann’s mag!“
Im darauf folgenden Herbst schaute ich bei all unseren Drückjagden vergeblich nach dem Luis aus. Einmal hörte ich, dass die Südtiroler wieder da seien.
„Was ist mit dem Luis?“ war meine bange Frage.
„Der, der ist zurzeit in Afrika, der möchte noch einen Büffel schießen.“
Das klang schon mal nicht schlecht.
Im Jahr darauf rief der Freund an und lud mich wieder zum Spielhahnjagern ein.
Ein ganz anderer Luis empfing mich auf seinem Ansitz in den Bergen. Straff und voller Lebenslust, sprühenden Auges umarmte er mich.
„Ich hab’s geschafft! Ich hab’s geschafft! Jagern ist die beste Medizin. Die Krankheit bin ich los!“
Wir haben diesen unglaublichen Sieg gebührend gefeiert. Ach ja, einen Hahn haben wir auch miteinander geschossen. Den haben wir aber gleich geborgen.
Na klar, ich höre schon das Grollen der weisen Knasterbärte, das mich in jungen Jahren jedes Mal zusammenzucken ließ, wenn da etwas in ihren Ohren nicht so ganz korrekt ihrem Weidmannsbrauch entsprach. „Schön, mein Lieber“, so hieß es, „ist nur ein…“, na ja, Sie wissen schon. (Das trifft nun auch nicht in jedem Fall zu.) Schön ist eigentlich jedes noch von keiner menschlichen Züchterhand entstellte Tier. Aber es gibt auch besonders schöne Wildtiere, die ganz unserem Bild von Vollkommenheit entsprechen. Und von solch einem will ich heute erzählen.
Bei einem unbewaffneten Reviergang im März zeigte mir meine BGS-Hündin Raika eine recht beeindruckende Fegestelle. Mit ihr ist jeder Spaziergang eine Geduldsprobe. Ständig muss sie irgendwas genau untersuchen und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Zweige und Gräser werden von oben bis unten beschnäuffelt. Wenn sie nur sagen könnte, welches Wild, welcher Stärke da durchgewechselt ist! Hier war es eindeutig. Der Bock, der da gefegt hatte – und er konnte weit hinaufreichen, der kann kein geringer sein. Den Platz wollte ich mir vormerken. Doch die Wochen vergingen, und ich vergaß das Gesehene.
Ein saukalter Mai. Die Eisheiligen sind wohl heuer in Kompaniestärke angetreten. Dazu Regen, Sturm und, wie gesagt, Kälte. Vorgestern hat’s mich von der Leiter regelrecht herunter gewaschen. Erst fing’s nur sacht zu wehen an, dann kam schnell das Unwetter mit Blitz, Donner und Wasserschwall über mich. Als dann ein ohrenbetäubender Blaufeuerschlag knapp 100 m neben mir eine Fichte zerspellte, machte ich mich fluchtartig auf die nassen Socken. Beim rettenden Auto angekommen, war ich reif zum Trockenschleudern.
Herbstbeute
Der „Schöne“
… der vom 25. – ist es ein Vetter des Bockes vom 22.?
Heute habe ich mich schön warm eingepackt, grad wie zum Fuchspassen. Es ist immer noch eisig. Von wegen Wonnemonat. Lange Unterhose und drüber das bewährte Zwiebelsystem.
Die Leiter an der alten Weißtanne soll es heute sein. Den Rucksack – respektlose Spötter haben ihn als meine „Zweitwohnung“ bezeichnet – muss ich neben den schmalen Sitz hängen, leider bleibt daneben kein Raum. Ich habe mir nämlich ein schönes Stück italienischer „Salami alla Cacciatora“ mitgenommen. Weil ich gerne früh dran bin, ist es eine rituelle Handlung, wenn ich mir immer wieder eine hauchdünne Scheibe von der Wurst abschneiden kann. Die verflixte Sommerzeit ist mir ein Kreuz: Um 17 Uhr ist es zu früh zum Abendessen und beim Heimkommen zu spät für ein geruhsames Mahl. Und im Juni mit den langen Tagen, da wird’s noch ärger. So verlege ich halt die Brotzeit auf den Ansitz. Ach ja!, richtig, auch da höre ich wieder Gegrummel der Knasterbärte: „Wie kann man nur?! Auf dem Hochsitz keine Bewegung!“ Doch heute bräuchten sie nicht die Stirne zu runzeln, heut ist’s hier oben einfach zu eng zum Wurstschneiden. Nun, ich werd’s überleben.
Der Himmel ist gleichmäßig zinngrau, der Wind passt – nur, was ist mit dem Regen? Heute wohl keine Lust, ihr da droben? Vor mir eine Blöße, nicht allzu groß, wenn da was austritt, heißt’s schnell ansprechen. Linker Hand stubenhohe Buchen unter weiträumig stehenden alten Fichten und Weißtannen. Herzerfreuend, das frische, junge Grün des Laubs. Ein Fest für die Augen nach dem langen Winter. Direkt gegenüber umschließt eine Fichtendickung die von Brombeergerank unterbrochene, kleine Grasfläche. Die Drosseln mit ihrem Abendlied. Man könnte fast einen Text unter ihre Strophen setzen. Hinter mir schwingen sich Tauben mit klatschendem Geflatter zur Nacht ein. Den Kuckuck vermisse ich heuer noch. Bei seiner Rückkehr aus dem Süden wird er echte Probleme bekommen. Die Wirtsvögel haben längst ihre Gelege ausgebrütet. Wo führt das noch hin mit der Klimaverschiebung?
Rings um meine Leiter hat sich ein Teppich von Weißtannenanflug ausgebreitet. Naturverjüngung trotz Rotwild, trotz Rehwild. Am ernsten, dunklen Grün der Zweige leuchten die maigrünen Spitzen der frischen Triebe. Während ich noch in Gedanken abwäge, wo ich mir ein Reh hinwünschte, sofern denn eines käme, zieht schon aus der Fichtendickung eine Geiß. Da brauche ich kein Glas, das ist kein Schmalreh. Träger und Vorschlag sind schon rot, doch Figur und Haupt sprechen für ein reiferes Semester. Und dann kann ich auch, da sie von mir fortzieht, das pralle Gesäuge erkennen. Schnell schließt sich hinter ihr der grüne Vorhang der Buchen. Wenn’s ein jagdbares Stück gewesen wäre, da hätt’s geschwind gehen müssen.
Genussvoll lehne ich mich zurück. Wie schön, ich habe ja schon Anblick gehabt, obwohl es noch früh am Abend ist. Sicher wird das Wild heute, nachdem das Wetter sich beruhigt hat, gut ziehen. Da erhasche ich links von mir aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Kommt die Geiß wieder zurück? Oha! Von wegen Geiß – über den Weg zieht ein Bock! Und – hallo, was für einer! Prächtig prahlt seine gut vereckte Krone. Ziemlich grau ist er noch. Nach der Figur kein Jüngling mehr. Das alles erfasst mein Sinn in Sekunden und die Fegestelle vom März kommt mir in den Sinn. Schon ist er in den Buchen untergetaucht. Wenn er den Wechsel beibehält, so muss er gleich wieder auf der Blöße auftauchen. Das Fadenkreuz der gestochenen Büchse verfolgt seinen Weg durch die dicht belaubten Bäume. Jetzt wär’ er frei, aber halt!, schräg von mir abgewendet steht er. Nein, solch einen Schuss quer durch den Wildkörper, den möchte ich nur in der Not auf ein angeschweißtes Wild machen. Wie verwüstet das Wildbret dann ausschaut – wer soll das dann noch essen? Oh verflixt, jetzt zieht er von mir fort, weiter hinein in den Jungwald. Aber gleich werde ich belohnt, er wendet sich wieder her und wechselt langsam der Blöße zu. Kaum ist er da heraußen, hat er’s plötzlich eilig. Gleich wird er drüben in der Fichtenjugend untertauchen. Auf mein kurzes „böhh!“ verhofft er sekundenbruchteilkurz, und der Schuss knallt grell in den stillen Abend. Krampfiges Zeichnen, spitz flüchtet er von mir fort. Weg ist er, nach links über die freie Fläche, über die Brombeeren in Richtung Fichtendickung. Leer ist die Bühne. „Ja Bluat vo’ der Katz’!“ Was war da mit dem rechten Vorderlauf? Schlenkerte der? Das kann, das darf doch nicht sein! Gewiss, es ging verdammt schnell. Habe ich vermuckt? Aber ich beruhige mich, wenn die Blattschaufel getroffen war, dann hatte ich schon manches Mal dieses vermeintliche „Schlenkern“ oder Lauf-Hochziehen gesehen. Doch der Zweifel nagt. Wer kennt das nicht? Normalerweise fallen die Stücke mit der 243 aus dem Zielfernrohr. Na gut, jetzt warten wir erst einmal. Dann soll der Hund Arbeit bekommen.
Wenn ich nur zum Ansitz ins Revier fahre, lasse ich meine Raika gerne daheim. Was soll sie drei, für sie langweilige Stunden im Auto hocken? Da hat sie es zu Hause schöner; ein Anruf genügt, und meine Frau ist innerhalb kurzer Zeit mit ihr zur Stelle. Also her mit dem Handy, und ich berichte, was los ist und wo sie mich findet.
Bis die Zwei eingetroffen sind, plagt mich die Ungeduld zu sehr und ich schaue mir den Anschuss an. Da ist rein gar nichts zu finden. Das gibt’s ja nicht! Kein Schweiß, kein Pirschzeichen! Ich hatte mir den Anschuss doch genauestens gemerkt. Das Licht ist gut, es ist noch früh am Abend. Gefehlt? Ach nein, nicht möglich, es waren gerade knapp 60 Meter. Oder doch? Man kennt das, auf der Jagd passieren die tollsten Sachen, und ein Fehlschuss ist schon mal drin, zumal ich ganz fix schießen musste. Jetzt will ich nicht länger hier herumtappen. Wofür habe ich die erfahrene Raika, die würde die Sache schnell klären.
Nach ein paar Minuten sind meine Zwei da. Den Schweißriemen abgedockt – die Raika weiß längst, es wird ernst. Da ich mit meinen unzulänglichen Sinnen am Anschuss nichts finden konnte, lasse ich die Rote Hündin gleich vorsuchen. Ruhig und besonnen legt sie sich in den Riemen. Na also! Nach einigen Metern zeigt sie schon Schweiß – ein winziges, hellrotes Tröpfchen. Aufatmen! Die Farbe gefällt mir. Da können wir beruhigt, nach so kurzer Wartezeit, weiter der Fährte nachhängen. Sie führt durch die weite Fläche der Brombeerdornen. Welcher Hund mag das schon? Sie stakst drüber wie der Storch im Salat, zeigt brav immer wieder spärliche Schweißtröpfchen. Bald kommen wir über eine Waldgrasfläche, auch hier ganz wenig Schweiß – und dann finden wir gar keinen mehr. Doch ich kann mich auf meine bewährte, alte Hündin verlassen. Das hier ist wahrlich keine besondere Aufgabe für einen Hund vom Fach. Nach gut 150 m stehen wir vor einem dichten Horst von mannshohem Fichtenanflug. Immer wenn’s bei einer Nachsuche in ein bürstendichtes Dickicht hineingeht, kommt mir der Vers aus Schillers „Die Kraniche des Ibikus“ in den Sinn: „Und in Poseidons Fichtenhain tritt er mit frommem Schauder ein.“ Nun – der Schauder hier ist nicht fromm, sondern nasskalt. Wie eine getaufte Maus bohre ich mich mit meinem Hund in die Dickung. Zum Glück wird nach wenigen Metern der Riemen schlaff. Ganz verdeckt, tief unter den bodentiefen Zweigen liegt der eselsgraue Bock. Ohne Hund würde jeder daran vorbeitappen. Beglückt ziehen wir ihn heraus. Ja, wahrlich ein wunderschöner Bock! Das Sechsergehörn ist ebenmäßig, wie aus dem Bilderbuch. Die Rosen sind breit und hoch. Bei näherem Hinschauen sind sie noch voller Späne. Der Herr Bock hat kräftig gefegt. Gut, dass das hier kein wildfeindlicher „Holzfuchs“ sieht! Die Kugel sitzt ganz weit vorn, gerade noch am vorderen Rand der rechten Blattschaufel. Ausschuss – Fehlanzeige. Das erklärt den wenigen Schweiß, das erklärt auch die weite Abfluchtstrecke. Die Lunge hatte nur ein Geschoßsplitter getroffen. (Jetzt höre ich die Knasterbärte wieder: „So einen guten Bock schießt der, jetzt schon im Mai!“ Da kann ich nur sagen: „Tja mei! Nur kein Neid!“)
Wir legen unsere schöne Beute auf einen alten Baumstumpf inmitten der winzigen Weißtannen und freuen uns alle drei über die spannende Jagd. Der leise einsetzende Regen ist uns Dreien gleichgültig. Wir sitzen im Trockenen unter dem dichten Schirm der alten Weißtanne und verschmausen die aufgesparte Salami genüsslich in aller Ruhe.
Das Rauschen des Wassers wird immer heftiger. Doch schon keimt Hoffnung auf – der Sommer wird kommen – der Regen wird schon mal wärmer.
So sagt man in Polen „Weidmannsheil“. Vor Jahren auf einer Saujagd im Oderbruch hörte ich’s zum ersten Mal. Von diesen Tagen sind mir nur wenige Schlaglichter im Gedächtnis geblieben. Pausenloser Regen fällt mir ein. Jagdgebiet war das riesige Bruch- und Schilfgebiet östlich des Oderdamms. Den schlauen Schwarzkitteln war’s zu feucht geworden, fast alle hatten die ungemütliche Gegend verlassen. Unser Erfolg war dementsprechend.
Bei einem Trieb, es war eine breite Gasse durch das Schilf gemäht, hatte ich als rechten Nachbarschützen den sympathischen Senior unserer Gruppe. Bald nach dem Beginn des Treibens rumpelten nahe bei ihm drei dicke Keiler über die Schneise. Mit der Büchse an der Wange fuhr ich mit und wartete verzweifelt auf seinen Schuss. Nichts geschah. Pürzel schwenkend entschwanden die Schwarzen unbeschossen im Halmenmeer. Nach dem Trieb fragte ich ihn, ob er mit dem Schuss Probleme gehabt hätte.
„Schuss, worauf?“
„Na auf die dicken Keiler.“
„Ich hab’ keine gesehen, wo sollen denn welche gewesen sein?“
Als ich ihn aufklärte, dass sie ihn beinahe umgerannt hätten, konnte er es kaum glauben.