coverpage

Über dieses Buch:

London im Jahre 1823. Die Wut, die in Calum Innes‘ Herzen brennt, ist heiß wie Feuer – weiß er doch, dass ihm schon im Kindesalter geraubt wurde, was einen Mann zum Gentleman macht: sein Titel, sein Vermögen, seine Ehre. Nun will er Rache nehmen an dem Schurken, der sich heute als Duke of Franchot ausgibt … und welch besseren Weg gäbe es, ihn vor aller Welt zu demütigen, als seine Braut zu verführen? Doch als Calum vor der anmutigen Lady Philipa steht, spürt er zum ersten Mal in seinem Leben, dass es noch ein anderes Gefühl gibt, das sein Herz schneller schlagen lassen kann … Aber er hat nicht damit gerechnet, dass sich hinter dem zarten Lächeln der Lady eine Löwin verbirgt, die niemand so einfach erobern kann!

»Spannend, witzig und auf köstlichste Weise nicht salonfähig!« Affaire de Cœur

Über die Autorin:

Die New-York-Times- und USA-Today-Bestsellerautorin Stella Cameron hat über 70 Liebes- und Spannungsromane geschrieben, die sich allein in ihrer US-amerikanischen Heimat über vierzehn Millionen Mal verkauft haben. Die mehrfach – unter anderem von den »Romance Writers of America« –preisgekrönte Autorin wurde außerdem mit dem »Pacific Northwest Achievement Award« für herausragende schriftstellerische Leistungen ausgezeichnet. Stella Cameron ist Mutter von drei Kindern und lebt heute gemeinsam mit ihrem Mann in Washington.

Mehr Informationen über die Autorin finden sich auf ihrer Website www.stellacameron.com und auf Facebook: www.facebook.com/stellacameron

Bei dotbooks veröffentlichte Stella Cameron ihre Regency-Romane »Verführt von einem Earl« und »Die Geliebte des Viscounts« sowie die beiden Hot-Romance-Highlights »Dangerous Pleasure – Gefährliche Küsse« und »Heaven & Hell – Gefährliche Leidenschaft«.

***

eBook-Neuausgabe September 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1995 unter dem Originaltitel »Charmed« bei Avon Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Klippen der Leidenschaft« bei Goldmann.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1995 by Stella Cameron

Published by Arrangement with Stella Cameron

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 Goldmann Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/F8 studio, Nina Lishchuk, Kiril Stanchev, pingebat

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts-tw)

ISBN 978-3-96655-595-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html (Versand zweimal im Monat – unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Die Leidenschaft des Dukes« an: lesetipp@dotbooks.de (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Stella Cameron

Die Leidenschaft des Dukes

Roman

Aus dem Amerikanischen von Uta Hege

dotbooks.

Für Suzanne Simmons Guntrum und unseren gemeinsamen ›Zwilling‹

Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns blicken zu den Sternen auf.

Oscar Wilde

Prolog

Cornwall, 1789

»Dafür werden sie dich umbringen«, erklärte Guido ihr. Keuchend rannte er neben ihr her. »Das heißt, ganz sicher bringen sie uns beide um.«

Rachel sah ihn reglos an. Für gewöhnlich lachte sie, wenn er derart pessimistisch war, heute jedoch stimmte sie ihm zu. »Wahrscheinlich täten sie das wirklich, wenn sie uns erwischen würden«, sagte sie, während sie hinter eine dichte, selbst im Nebel eines feuchten Cornwallschen Sommerabends leuchtend grüne Hecke sprang. Sie drückte das Bündel, das sie in den Armen hielt, an ihre Brust. »Aber ich bin sicher, daß man uns nicht fängt. Warum bist du mir überhaupt gefolgt? Ich habe dich nicht darum gebeten, heute abend mitzugehen.«

»Als du mit einem Mal verschwunden warst, habe ich mir einfach Sorgen um dich gemacht.« Er wußte, daß ihr diese Erklärung sicher nicht gefiel, aber die Worte platzten unwillkürlich aus ihm heraus. »Miranda hat dich gesehen. Sie hat beobachtet, daß du dich mit jemandem getroffen hast. Und dann kamst du die Straße herunter und hattest … etwas im Arm.«

»Miranda sieht und redet einfach zuviel. Genau wie Milo. Sie sollten sich lieber um ihre Zaubersprüche und -tränke kümmern, statt um die Angelegenheiten anderer. Ich habe mich bereit erklärt zu tun, worum ich gebeten worden bin. Jetzt ist es geschehen, da kannst du reden, solange du willst.«

Guido schüttelte den Kopf. Ach, ließe sie doch zu, daß er sich um sie kümmerte.

Im Schutz der Hecke hockten sie sich hin und blickten zu den phantastischen, hochragenden Steintürmen und Zinnen von Franchot Castle auf.

»Ich kann einfach nicht glauben, daß du einen Weg in dieses furchteinflößende Gebäude gefunden hast und dort nicht verlorengegangen bist«, staunte Guido in Gedanken an die Hunderte von Räumen und Gängen, Treppen und Hallen immer noch, aus denen die Burg auf dem Hügel oberhalb des Meeres bestand. »Es ist ein Wunder, daß du unbemerkt wieder herausgekommen bist. Aber warum hat dich diese Freundin gebeten, so etwas zu übernehmen?«

Ein leises Wimmern drang aus dem Bündel, das Rachel in Armen hielt, so daß sie es an ihre Schulter hob. »Ich habe nicht gesagt, daß sie eine Freundin ist, sondern ich kenne sie. Sie hat mich gebeten, ihr einen Gefallen zu tun, und sie hat sehr gut dafür gezahlt. Von ihr habe ich mehr Gold gekriegt, als sich auf den Märkten in einem ganzen Jahr verdienen läßt.«

»Auf diesen Märkten verdienen wir nicht schlecht«, wandte Guido knurrend ein.

»Wir reisen ständig von einem Ort zum anderen. Und weil wir kein Zuhause haben, verachten die Menschen uns.«

»Die Menschen sind froh, wenn wir kommen.« Dieser Streit zwischen ihnen beiden war nicht neu. »Sie warten immer schon auf uns. Wir machen sie glücklich und können mit unserem Leben durchaus zufrieden sein.«

Sie stieß ein kurzes Lachen aus. »Mag sein, daß du zufrieden bist. Du bist ja auch nicht derjenige, um dessen Leib sich die Schlangen ringeln. Du bist nicht derjenige, der sich von Männern angaffen lassen muß, die nicht wegen der Schlangen da sind.«

Er sah sie mürrisch an. »Vergiß nicht, daß ich der Schlangenbeschwörer bin. Du bist meine Helferin. Und als du zu mir kamst, warst du froh, einen Unterschlupf zu haben, an dem du vor dieser Kreatur, die dich zuvor derart schändlich ausgenutzt hatte, sicher warst.«

»Ich bin nicht sicher«, murmelte sie. »Nirgends werde ich jemals sicher sein.«

Er wünschte, er könnte sie überzeugen, könnte ihr in irgendeiner Weise zu Gefallen sein; aber Rachel wollte nichts von ihm außer der vagen Sicherheit, die er ihr bot. Sie wollte nicht, was er ihr so verzweifelt antrug – nämlich seine Liebe.

»Beeil dich«, stieß er immer noch keuchend und mit furchtsam pochendem Herzen hervor. »Das Kind wird sicher bald vermißt, und dann bricht auf der Burg die Hölle los. Bestimmt kommen sie zuerst zu uns. Was sollen wir nur tun? Ich hätte dich aufhalten müssen. Aber jetzt ist es zu spät.«

»Du hättest mich nicht aufhalten können, denn schließlich wußtest du gar nicht, was ich vorhatte. Außerdem werden sie nicht kommen, denn sie werden niemals erfahren, was sich ereignet hat.«

Sie kehrten der Burg den Rücken zu und schlichen gebückt weiter. Das Baby weinte leise vor sich hin, und Rachel schnalzte mit der Zunge, um es zu besänftigen.

»Ich frage dich noch einmal«, setzte Guido wieder an. »Warum hat dich diese Frau darum gebeten?«

»Das hat sie nicht verraten. Auf alle Fälle hat sie gut gezahlt.«

»Dein Gleichmut macht mich verrückt, Rachel. Die Frau wollte, daß man das Kind der Mutter raubt. Aus welchem Grund?«

»Die Mutter des Kindes lebt nicht mehr«, erinnerte sie ihn. »Und ich kann dir deine Frage nicht beantworten, weil ich es nicht weiß. Aber das geht mich auch nichts an. Ich denke, daß wir von nun an besser getrennte Wege gehen. Es ist sicher das Günstigste, wenn ich allein und aus einer anderen Richtung ins Lager zurückkehre.«

»Du wirst das Kind unmöglich vor den anderen verbergen können.« Er hustete, denn die feuchte Luft in Cornwall machte ihm das Atmen schwer.

»Ich weiß.« Sie sah sich furchtsam um. »Bitte, laß mich jetzt allein.«

»Was wirst du sagen? Was, wenn sie erraten, wer er ist?«

»Jetzt ist er ein Niemand«, zischte sie, »ein Nichts, genau wie wir!«

»Er ist ein …«

»Hüte deine Zunge und überlaß von nun an alles mir! Wir werden genug Geld haben, um ein besseres Pferd zu kaufen – und vielleicht sogar neue Schuhe.«

»Aber das Kind braucht …«

»Das Kind braucht nichts.« Ihre Stimme klang wie tot.

Er packte sie am Arm und zog sie dicht an sich. »Babys wachsen. Bald wird er Kleider brauchen, und essen muß er auch. Und je mehr er wächst, um so mehr wird er essen, wart’s nur ab.«

»Wird er nicht«, widersprach sie und sah ihn reglos an.

Eisige Kälte kroch über seinen Rücken. »Jungen haben ständig Hunger.«

»Ja, aber das ist kein Problem. Ich wurde gut bezahlt, mein Freund. Sehr gut.«

Ein kleiner Hoffnungsschimmer erwärmte ihn. »Ich nehme an, deshalb war das Paket, das du mit dir schlepptest, so groß – weil es soviel Gold enthielt. Sicher war es sehr schwer. Schnell, führ mich an den Ort, wo du die Münzen versteckt hast. Wir müssen fort von hier.«

»In dem Paket war kein Gold, sondern ein Kind. Ein Junge, neugeboren.«

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und sah Rachel dann verwundert an. »Willst du damit sagen, daß du den Kleinen auf die Burg gebracht und ihn dann wieder mit herausgenommen hast?«

Rachel beugte sich vornüber und wandte sich erneut zum Gehen. »Ich habe ein Kind auf die Burg gebracht und bin mit einem Kind wieder herausgekommen«, betonte sie.

Die Bedeutung ihrer Worte schnürte ihm die Kehle zu. »Du bist wahnsinnig, vollkommen wahnsinnig, wenn du dir einbildest, daß niemand den Unterschied bemerkt.«

»Es wird tatsächlich niemand etwas merken«, stellte sie mit einem bösen Lachen fest. »Das sind Leute, die Fremde dafür bezahlen, daß sie sich um ihre Babys kümmern. Und diese Fremden werden – falls ihnen überhaupt auffällt, daß etwas nicht in Ordnung ist – niemals zugeben, daß unter ihrer Obhut der ihnen anvertraute Säugling gegen einen fremden ausgetauscht worden ist.«

Guido atmete mühsam ein. »Und jetzt sollst du dieses Kind an jemand anderen weitergeben? An jemanden, der sich um das Essen für einen heranwachsenden Jungen kümmern muß? Dann hast du also viel Geld bekommen für einen Auftrag, der schon bald erledigt ist?«

»Nein. Und ja. Der Auftrag wird wirklich bald erledigt sein. Ich habe eine Menge Geld bekommen, weil ich das Baby für alle Zeit verschwinden lassen soll.« Sie breitete die langen Finger einer Hand über dem zappelnden Wesen aus. »Die Frau hat mich angewiesen, dafür zu sorgen, daß die Leiche nie gefunden wird.«

Kapitel 1

London, 1823

»Seine Durchlaucht, der Herzog von Franchot«, verkündete der Butler am Eingang des bevölkerten Ballsaales in nasalem Ton.

»Endlich ist er da«, sagte Calum Innes so leise, daß nur der Mann, zu dem er sprach, ihn überhaupt verstand. Nie zuvor hatte er mit dem Atmen derartige Mühe gehabt. »Seine Durchlaucht, der Herzog. Der Mann, der mein Leben lebt.«

»Ah«, murmelte Struan, Vicomte Hunsingore, gedankenvoll, legte einen schweren Arm um Calums Schulter und flüsterte: »Was meinst du, möchtest du dieses Leben vielleicht zurück?«

Calum unterzog den blonden Klotz, der die sich teilende Menge in dem in blauem Samt und Gold gehaltenen Saal von Chandos House selbstbewußt durchschritt, einer unauffälligen Musterung. »Das bleibt abzuwarten«, meinte er, obgleich er bis zu diesem Augenblick beinahe sicher gewesen war, daß sein einziges Interesse darin bestand, einmal – nur ein einziges Mal – den Mann zu sehen, der in ihrer beider ersten Lebenstagen an seinen Platz getreten war. »Er ist ein arroganter Schuft«, fügte er giftig hinzu.

Struan lächelte vergnügt und fuhr mit den Rücken seiner Finger leicht über Calums perfekt sitzenden schwarzen Frack, als hätte er dort eine winzige Fluse oder ähnliches entdeckt. »Aber sei besser vorsichtig«, sagte er ebenfalls so leise, daß nur Calum ihn verstand. »Es heißt, daß er ziemlich gefährlich ist, und außerdem kannst du nicht beschwören, daß das, was du angeblich herausgefunden hast, auch stimmt.«

»Ich bin mir ganz sicher.«

»Du hast keinerlei Beweis.«

Calum reckte entschlossen das Kinn. »Aber den werde ich bekommen. Sieh ihn dir nur an. Marschiert geradewegs auf den Prinzen zu, als hätte der nur auf seine Ankunft gewartet.«

»Es scheint Esterhazy nichts weiter auszumachen«, stellte Struan fest, während er den juwelenbehangenen österreichischen Botschafter betrachtete. »Ich würde sagen, dies ist nicht die erste Begegnung der beiden. Zweifellos haben sie vieles gemein – zwei große Männer unter sich …«

»Ich weiß nicht, was daran lustig sein soll«, bemerkte Calum steif. »Der Kerl kommt wie ein aufgeblasener Gockel hier hereinstolziert – und ich hasse ihn.«

»Du willst ihn hassen«, verbesserte Struan ihn. »Aber ich bezweifle, daß du die aufreizende Lady Philipa hassen willst. Wirklich nicht übel, was meinst du? Volles Haar, ein verführerischer Blick, ein voller Mund. Brüste wie die ihren sind mehr, als die meisten Männer je in den Händen hatten, wenn ich es so ausdrücken darf.«

»Für einen ehemaligen Priester kennst du dich mit weiblichen Formen überraschend gut aus.«

»Richtig – ich bin ein ehemaliger Priester, wobei die Betonung auf ehemalig liegt. Vergessen wir nicht, daß ich bereits seit längerer Zeit keiner mehr bin.« Struans dunkle Augen blitzten fröhlich auf. »Immerhin habe ich meine fleischlichen Schwächen Gott und der Welt gegenüber eingeräumt. Und wann gestehst du endlich deine Schwächen in dieser Richtung ein, mein Freund?«

Calum wandte den Blick von den klugen, attraktiven Zügen des Freundes ab und konzentrierte sich statt dessen auf den Mann, der als der Herzog von Franchot galt, und auf die üppige Blondine an seinem Arm. »Eingebildeter Fatzke«, äußerte er bezogen auf den Herzog übellaunig.

»Also bitte.« Struan sah ihn an. »Jetzt weich nicht der wesentlich bedeutenderen Frage aus. Was hältst du von seiner hübschen Zukünftigen?«

»Aufdringlich«, stellte Calum böse fest. »Viel zu grell geschminkt.« Trotzdem betrachtete er die Frau weiterhin. Am liebsten hätte er gesagt, sie wäre ihm völlig egal. Doch das hätte nicht gestimmt.

»Mag sein«, pflichtete Struan ihm unbekümmert bei. »Aber das Bett eines Mannes wird von ihr sicher mehr als angenehm gewärmt. Und wenn ihre Schenkel so weiß und rund wie ihre Brüste sind, dann kann man sich vorstellen, welche Freuden das Schiff eines Mannes in ihrem Hafen findet.«

»Als Priester hast du mir besser gefallen«, sagte Calum barsch, obgleich er nicht verleugnen konnte, daß sich auch zwischen seinen Beinen etwas tat.

Franchot trat Prinz Esterhazy gegenüber als der Gleichrangige auf, als der er sich betrachtete. Während er sprach, blickte er sich um, nickte den Männern, deren Blicken er begegnete, gelangweilt zu und unterzog die umstehenden Damen einer unverhohlen dreisten Musterung.

Das Orchester spielte auf, und von allen Seiten strömten elegante Tänzer aufs Parkett. Federn wogten und juwelenbesetzte Turbane schimmerten im hellen Licht. Seide und Satin und schwerer Brokat wogten durcheinander. Jede der reich geschmückten Schönheiten wurde von einem eleganten, adeligen Herrn am Arm geführt.

»Nun, da du ihn gesehen hast«, sagte Struan, den Blick in Richtung Tanzfläche gewandt, »können wir jetzt sicher endlich gehen.«

»Sofort«, versprach Calum, während er weiter den Gegenstand seines Interesses beobachtete. »Sie betet ihn eindeutig an, ohne daß er ihr auch nur die geringste Beachtung schenkt.«

»Er benimmt sich wie ein Mann, der die Frucht gekostet hat und weiß, daß er sie jederzeit erneut genießen kann.«

Calum runzelte die Stirn.

»Ah, ja! Das stört dich.« Struan sah ihn fragend an. »Du denkst, daß sich der Mann noch etwas angeeignet hat, das eigentlich dir gehören sollte, stimmt’s?«

Calum antwortete nicht.

»Seltsam«, fuhr Struan leise fort. »Ich hätte gedacht, daß sich ein Mann wie Franchot eine elegantere Person zur Herzogin erwählt. Eine Frau mit einer gewissen subtilen Eleganz.«

»Sie besitzt nicht die geringste Eleganz«, kam Calums düstere Erwiderung. »Aber schließlich hat er sie sich auch nicht ausgesucht.«

»Nein, nein, natürlich nicht. Was rede ich denn da? Die Verlobung wurde ja bereits bei der Geburt von der Lady arrangiert. Wie ich hörte, bringt sie eine ansehnliche Mitgift mit.«

»Riesig, mein Freund«, warf ein schmächtiges Männlein mit lächerlicher Hühnerbrust, das in der Nähe stand, ein und wandte sein gepudertes, mit Rouge geschminktes Gesicht den beiden jungen Männern zu. »Kennen wir uns nicht? Mein Name ist Wokingham. Ich bin sicher, daß ich mich von irgendwoher an Sie erinnere.«

»Hunsingore«, sagte Struan, ohne auch nur die Miene zu verziehen. »Ich bezweifle, daß wir uns schon einmal begegnet sind. Unser Familiensitz liegt in Kirkcaldy.«

»Schottland!« rief der Mann aus und spitzte seinen rot geschminkten Mund. »Dann müssen Sie Stonehavens Junge sein.«

»Stonehavens Bruder. Mein Bruder Arran hat das Erbe angetreten, als unser Vater vor einigen Jahren starb.«

»Ah, verzeihen Sie. Die Zeit vergeht doch wie im Flug. Sie sind also an Lady Philipa Chauncey interessiert?«

Struan bedachte Calum mit einem kurzen, warnenden Blick. »Ich war einfach neugierig. Schließlich gilt die bevorstehende Verbindung zwischen zwei derart alten Familien als das Ereignis des Jahres, wenn ich so sagen darf.«

»Eher für Franchot als für das Mädchen, denke ich«, antwortete Wokingham. »Immerhin ist allgemein bekannt, daß durch die Hochzeit der Cornwallsche Grundbesitz des alten Chauncey an Franchot fallen wird.«

»Und Sie meinen, das sei wichtig?« Calum spürte, daß er es mit einem Angeber zu tun hatte, der sich gerne als Autorität auf dem Gebiet des gesellschaftlichen Klatsches brüstete.

»Wichtig?« Wokingham richtete sich kerzengerade auf und brach in schallendes Gelächter aus. »Ich dachte, das weiß nun wirklich jeder.«

Statt zu sagen, daß er niemand war, bat Calum lediglich: »Bitte frischen Sie doch meine Erinnerung auf.«

»Franchot braucht den Hafen, um all den herrlichen Zinn von seinen Ländereien in Cornwall abtransportieren zu können, wußten Sie das etwa nicht?« Wokingham heuchelte Langeweile, aber seine Schweinsaugen glitzerten. »Und der Hafen liegt innerhalb von Chaunceys Grund. Das alles war kein Problem, solange die Franchots die Chaunceyschen Güter vor Invasoren geschützt haben. Dafür bekamen sie das Wegerecht über Chaunceys Land und das Recht, den Hafen zu nutzen, wie es ihnen gefiel. Heutzutage braucht niemand mehr besonderen Schutz vor Eindringlingen, so daß das ehemalige Abkommen hinfällig geworden ist. Aber der Vater des jetzigen Herzogs war so clever, dafür zu sorgen, daß sein freier Zugang zum Hafen nicht in irgendwelche Hände fällt – gierige Hände, die ihm nichts schuldig sind.«

Calum erwartete, daß Wokingham weitersprach – aber vergebens; also ergriff er das Wort: »Sie meinen, Lady Philipas Vater hat sein gesamtes Land seiner Tochter als Mitgift vermacht?«

Wieder brach Wokingham in fröhliches Gelächter aus. »Himmel, nein! Seine Güter in Yorkshire gibt der alte Chauncey ganz bestimmt nicht aus der Hand. Aber das Land in Cornwall hat er der Kleinen zugesagt, was bedeutet, daß es am Tag ihrer Hochzeit mit Franchot an den Herzog fällt. Wahrscheinlich würde er einen Weg finden, die Hochzeit trotz der Abmachung zu umgehen – hinge nicht seine Zukunft von dem Hafen ab.«

»Mir scheint, er kann mit der Abmachung durchaus zufrieden sein«, mischte sich Struan wieder ein. »Schließlich ist sie ein durchaus bemerkenswertes Geschöpf.«

Wokingham zog erstaunt die Brauen hoch. »Finden Sie?«

»Allerdings.« Struan nickte in Richtung Franchots und seiner Begleiterin. »Eine Frau wie sie fällt entschieden nicht nur ihm alleine auf.«

Wokingham folgte Struans Blick und setzte ein wissendes Grinsen auf. »Sie denken, daß … Oh, nein, mein Lieber, nein! Mit dieser Dame ist Franchot nicht verlobt. Wissen Sie denn nicht, daß diese Dame die Witwe des alten Hoarville ist? Sollte älteren Herren, die immer noch nicht von jungen Dingern lassen können, eine Lehre sein. Ich kann Ihnen sagen, neben ihr hat er es nicht mehr lange gemacht.«

Ein Lakai nahm den Potpourri-Wärmer vom Feuer und hielt ihn, während er sich durch das Gedränge schob, hoch über seinen Kopf. Moschus, Sandelholz und Rosenduft verwoben sich schwer mit der bereits von allzu vielen Gerüchen geschwängerten Luft. Calum wurde heiß. Die Menge wogte, und Stimmen erhoben sich in einem schrillen Gewirr über der Musik.

Calum sagte, ebenso zu sich selbst wie zu Wokingham: »Sie wollen also sagen, daß der … der Herzog einen Ball in Gesellschaft einer Dame besucht, die nicht seine Verlobte ist?«

»Ich spreche die Wahrheit, mein Junge. Wenn Sie Franchot kennen würden, wären Sie nicht derart überrascht. Sein Vater gebärdete sich auch schon ziemlich wild; aber es gab nie den geringsten Zweifel, daß er ein echter Gentleman mit der Seele eines Gelehrten war. Der Sohn hingegen ist ein Lebemann, wie er im Buche steht. Die kleine Chauncey können Sie dort drüben stehen sehen.«

Calum rann ein eisiger Schauder den Rücken hinab. Er drehte den Kopf und sah sich suchend um. »Sie meinen«, setzte er langsam an, »daß Franchots Verlobte an diesem Ball teilnimmt und er trotzdem mit einer anderen erschienen ist?«

»Ich wette, die beiden kommen gerade erst aus dem Bett. Da ist es vorstellbar, daß er sich verpflichtet gefühlt hat, sie mitzunehmen, meinen Sie nicht?«

»Welche der Damen ist Lady Philipa?« erkundigte sich Calum, statt auf die Bemerkung einzugehen.

»Hmm.« Wokingham klopfte mit einem beringten Finger gegen seine schlaffe Unterlippe. »Ah ja, die da drüben. Die Kleine, die so tut, als wäre sie eine der Skulpturen in dem Alkoven am Fenster. Offenbar hat Franchots Großmutter – die Herzoginwitwe Franchot – das Mädchen mitgeschleppt. Ich sehe, daß Ihre Durchlaucht mit der Gräfin Ballard zusammensitzt. Rechts vom Fenster. Lord Chauncey ist Forscher, wenn er nicht gerade unserem fetten Freund, dem werten König George, irgendeinen Gefallen tut. Witwer. Es heißt, er hätte seine Frau über alle Maßen geliebt und es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, noch einmal zu heiraten. Nur das eine Kind. Ein anderer Mann würde es als seine Pflicht betrachten, einen männlichen Erben zu zeugen, aber nicht Chauncey, nein! Er ist durchaus einverstanden damit, daß eines Tages alles an seine Tochter und Franchot fällt.«

Statt Wokinghams abschätziger Rede zu lauschen, sah sich Calum weiter suchend nach der Dame um, von der es hieß, sie ahme eine der Statuen nach. »Welcher Alkoven, haben Sie gesagt?«

»Dort drüben«, wiederholte Wokingham, ehe er rüde mit dem ausgestreckten Finger in die genannte Richtung wies. »Beigefarbenes Kleid. Schwarzes Haar. Abgesehen von den Diamanten wenig bemerkenswert. Offenbar hat Chauncey dem Mädchen den Familienschmuck vermacht und ihr gesagt, daß sie ihn möglichst auch tragen soll. Wirklich ein seltsamer Patron!«

»Die Tochter soll vollkommen wild aufgewachsen sein. Im Augenblick ist Chauncey nicht einmal im Lande. Es heißt, daß er rechtzeitig zur Hochzeit zurück sein will – worauf ich allerdings nicht wetten würde.«

»Wir sollten wirklich gehen«, mischte sich Struan in die Unterhaltung ein.

Es war deutlich zu vernehmen, wie gereizt er war, aber Calum ging achtlos über den Einwurf hinweg. »Beigefarbenes Kleid«, murmelte er, während er die Reihen der Damen absuchte. »Schwarzes Haar. Diamanten … Himmel, die Diamanten sind wirklich nicht zu übersehen.«

»Meinen Sie nicht auch?« pflichtete Wokingham ihm bei und reckte seine auffallend lange Nase in die Luft. »Sicher würde sich kein Mann die Chance entgehen lassen, diese hübschen Dinger in die Finger zu bekommen. Obgleich natürlich jeder weiß, daß Franchot in seinem Gold bereits ertrinkt. Aber er braucht nun mal den Zugang zum Meer, der nur über Lady Philipas Ländereien möglich ist. Allerdings besteht wahrscheinlich keine Gefahr, daß Franchot das Mädchen und die Diamanten nicht bekommt. Wäre es anders, sähe er das sicher als Katastrophe an.«

Calum hörte, was Wokingham sagte; aber er merkte, daß sein Interesse an den Informationen, die ihm wichtiger sein sollten als alles andere, für den Augenblick in den Hintergrund trat.

Lady Philipa Chauncey besaß eine große und schlanke, vielleicht sogar zu schlanke Gestalt. Ihr Haar war, wie Wokingham gesagt hatte, pechschwarz. Schwarz und schimmernd und glatt aus einem scharf geschnittenen Gesicht zurückgekämmt, das völlig ungeschminkt erschien …

Die erwähnten Diamanten formten einen überraschend fein gewobenen Kragen, der schillernd über dem züchtig hohen Ausschnitt eines einfach geschnittenen Satinkleids lag.

»Ziemlich langweilig, nicht wahr?« stellte Wokingham mit einem Seufzer fest. »Man kann es einem Kerl wie Franchot kaum verübeln, wenn ihm die Hoarville lieber ist, aber egal – trotzdem gehört es sich nicht unbedingt, vor den Augen der Kleinen mit einer anderen zu poussieren.«

Calum biß die Zähne zusammen und unterzog Lady Philipa einer eingehenden Musterung.

Die Lady hatte ihrerseits die Augen ihrem Verlobten und seiner Begleitung zugewandt.

»Wenn Sie mich fragen, wirkt sie ziemlich erregt«, erklärte Wokingham. »Dabei heißt es, sie wäre ein stilles Ding. Ein Bücherwurm oder sonst irgendwie eigenartig. Sehr zurückhaltend. Aber man kann sehen, daß sie für den Herzog schwärmt. O ja, sie ist vollkommen verrückt nach ihm.«

»Das kommt mir aber nicht so vor«, mischte sich Struan wieder ein. »Ich würde eher sagen, daß sie … tja, was würdest du sagen, wie Lady Philipa wirkt, Calum?«

»Lebhaft«, stellte Calum zu seiner eigenen Überraschung fest. »Verdammt. Sie sieht wirklich lebhaft aus. Und ungeduldig.«

»Genau das finde ich auch«, stimmte Struan ihm zu. »Und jetzt sollten wir wirklich gehen.«

Calum drehte sich so, daß Wokingham weder sein Gesicht sehen noch verstehen konnte, was er sprach. »Bitte hab noch ein wenig Geduld, Struan. Wir sind gerade erst gekommen. Sicher wäre es unhöflich, sich so schnell wieder zu verabschieden.«

Struan holte tief Luft. »Ich glaube nicht, daß mir dein Blick gefällt. Du hast mir versprochen, wenn ich dafür sorgen würde, daß du ihn einmal zu sehen bekommst – nur zu sehen bekommst –, wäre dir das genug. Damit sei dann der Fall für dich erledigt.«

»Danke, daß du mir die Einladung besorgt hast«, sagte Calum und lächelte Struan freundlich zu. »Aber ich fürchte, daß ich dir gegenüber nicht ganz ehrlich war.«

»Ich habe es gewußt. Niemals hätte ich mich darauf einlassen sollen!«

»Gebettelt habe ich nicht darum!« erinnerte Calum ihn ruhig. »Ich habe mir schon vorher einige Male ohne Probleme Zugang zu irgendwelchen Londoner Soireen verschafft. Schließlich erfreue ich mich durchaus noch anderer Kontakte, Sir.«

Struan schnaubte verächtlich auf. »Offenbar stehst du nicht ohne Grund in dem Ruf, ein gefährlicher Schwerenöter zu sein, mein Freund. Wenn ich mich nicht irre, hat dich mehr als ein scharfäugiger Papa so genannt.«

»Meine ungestümen Jugendjahre habe ich nicht gemeint«, winkte Calum ab. »Ich dachte vielmehr an die Abenteuer, die es während der Brautschau für Arran zu bestehen galt. Aber egal. Warum fährst du nicht schon mal zurück zum Hanover Square und wartest dort auf mich? Ich verspreche dir, daß ich während deiner Abwesenheit vollkommen vernünftig sein werde.«

»Du bist viel zu besessen von deiner Idee, als daß ich dich dieser Gesellschaft überlassen könnte. Also komm jetzt bitte mit.«

»Ich kann nicht.«

»Warum?«

Calum kreuzte die Arme vor der Brust und stützte sein Kinn auf eine Faust. »Ich kann nicht mitkommen, weil ich mich vielleicht geirrt habe. Dies könnte durchaus erst der Anfang dessen sein, was ich zu tun habe.«

Struan stöhnte auf. »Der alte Widerling Franchot ist zügellos und lasterhaft. Sich zu duellieren stellt nur eine seiner gesetzeswidrigen Vergnügungen dar. Ich bitte dich, tu nichts, was ihn auf dich aufmerksam werden lassen könnte. Nicht, solange wir nicht gründlich darauf vorbereitet sind, uns mit ihm anzulegen, ja?«

»Ich werde deine Worte beherzigen.«

»Was sage ich da bloß?« Struan stöhnte abermals. »Wir werden uns niemals mit ihm anlegen. Du hast mir dein Wort gegeben, daß dir ein Blick auf ihn genügt. Dann, hast du gesagt, würden wir sofort wieder gehen.«

»Ich habe schon immer einen Hang zum Abenteuer gehabt«, beharrte Calum, wobei er abermals in Lady Philipa Chaunceys Richtung sah.

»Hast du nicht.« Struan war ehrlich empört. »Wenn du es auch nicht immer warst, so bist du inzwischen einer der nachdenklichsten und ausgeglichensten Männer, die es auf Erden gibt. Du, nur du, hast meinen Bruder dazu bewogen, sein Erbe nicht in die Hände unseres widerlichen Vetters zu geben. Du hast uns geführt, seit Vater starb, und …«

»… trotzdem bin ich nur ein Mensch, kein Heiliger!« Lebhaft. Und voller Ungeduld. Genau so würde er Lady Philipas momentane Stimmung bezeichnen. »Bitte entschuldigen Sie uns, Mylord«, sagte er an Wokingham gewandt, packte Struan entschlossen am Arm und führte ihn an eine Stelle unmittelbar zwischen Lady Philipa und ihrem Zukünftigen.

»Allmächtiger!« Sofort wandte Struan dem Mädchen den Rücken zu. »Denk nach, Mann. Das heißt, falls du überhaupt noch denken kannst. Sie wird merken, daß du sie anstarrst.«

»Dazu ist sie viel zu abgelenkt.« Calum blickte auf den Satinschuh, mit dem sie auf den Boden trommelte.

»Wahrscheinlich ist sie furchtbar verlegen«, pflichtete ihm Struan bei. »Zweifellos furchtbar beschämt. Schließlich wird sie gerade vor halb London bloßgestellt.«

»Nicht sie gibt sich irgendeine Blöße. Und das weiß sie ganz genau. Wenn ich mich nicht irre, ist die werte Dame ungeheuer gelangweilt von allem, was sich hier abspielt, und möchte sich endlich wieder Dingen zuwenden, die sie als wichtiger ansieht.«

Struan bohrte Calum seinen Zeigefinger in den Arm. »Du hast wirklich eine allzu lebhafte Phantasie. Du weißt nichts von diesen Leuten und darüber, was sie vielleicht denken oder wollen, oder nicht.«

»Sie verbringt viel Zeit an der frischen Luft«, stellte Calum fest. »Ihre Haut ist hell wie bei manchen Dunkelhaarigen, aber sie wirkt gesund und frisch. Ihre Brauen sind wie schwarze Flügel – und zugleich sehr zart.«

»Ach, du lieber Himmel!«

»Ihre Nase ist ein wenig spitz, aber alles andere als unangenehm. Ebenso wie ihr Kinn. Insgesamt bildet ihr Gesicht ein Oval mit einem Haaransatz, der von der Mitte jeweils nach hinten geht. Wirklich sehr hübsch.«

»Du hast noch nie … oder so gut wie nie Interesse an einer bestimmten Frau gezeigt. Nicht, seit Alice …«

»Bitte erwähne diese Episode nicht mehr. Lady Philipas Wangenknochen sind gerundet. Das gefällt mir gut. Ihr Mund ist voller als momentan in Mode. Das gefällt mir ebenfalls. Und dunkelblaue Augen in Verbindung mit dunklem Haar haben mich schon immer fasziniert.«

»Wokingham hat gesagt, sie sähe wenig bemerkenswert aus.«

Calum blähte die Nasenflügel. »Da irrt er sich. Sie stellt sich einfach nicht wie die anderen zur Schau. Ein wenig schmal gebaut, vielleicht, aber durchaus angenehm. Ich nehme an, sie ist sehr weich. Wie eine geschmeidige, blauäugige, schwarze Katze. Hmm! Und sie hat eindeutig einen sehr starken Willen. Das gefällt mir auch.«

Struan rammte Calum abermals den Zeigefinger in den Arm. »Wie kommst du dazu, derartige Bemerkungen zu machen? Ich habe dich noch nie zuvor so reden hören.«

»Ich habe auch nie zuvor die Frau gesehen, die seit dem Tag ihrer Geburt meine Verlobte ist.«

»Jetzt schlägt’s dreizehn!«

»Hör auf mit dem Gejammere.«

»Du hast dir eine Existenz zurechtgezimmert, die auf nichts anderem als Klatsch und Gerüchten basiert. Es gibt nicht den geringsten Beweis dafür, daß du jemand anders als Calum Innes bist.«

Wie stets bei diesem Thema merkte Calum, daß sich sein Magen schmerzlich zusammenzog. »Calum Innes, der Mann ohne Vergangenheit.«

»Deine Vergangenheit liegt bei uns. Bei den Stonehavens. Du bist einer von uns geworden, als du noch ein kleiner Junge warst.«

»Ihr wart wirklich immer gut zu mir«, gab Calum ehrlich zu. »Aber trotzdem bin ich keiner von euch. Ich bin ein Mann, der als kleines Kind krank auf dem gefrorenen Boden der Stallungen der Burg von Kirkcaldy aufgefunden wurde. In Lumpen gehüllt und mit einem abgewetzten Talisman, einem Lederstreifen um den Hals als einzigem Schutz für Leib und Seelenheil. Und mein Name ist nicht echt. Er stand in krakeliger Schrift auf einem Zettel, den man bei mir fand. Calum Innes. Ich sage dir, der bin ich nicht!«

»Calum …«

»Ihre Augen sind wirklich bemerkenswert.«

»Sie wird aufmerksam werden auf dich.«

»Das ist sie bereits.« Calum merkte, wie um ihn herum die Welt plötzlich stehenblieb.

»Herrje«, zischte Struan verzweifelt. »Bitte komm jetzt sofort mit!«

»Damit sie zweimal an einem Abend zurückgewiesen wird? Das kann ich einfach nicht.«

Ihr Schühchen trommelte nicht mehr. Sie errötete nicht, senkte nicht den Blick, flatterte nicht mit den dichten schwarzen Wimpern, betastete nicht das phantastische Diamantcollier um ihren Hals und klappte nicht einmal den beigefarbenen Spitzenfächer auf, als sie merkte, daß er sie unverhohlen musterte. Zwischen ihren Lippen blitzten kleine, weiße Zähne auf, als sie seinen Blick ruhig und zugleich neugierig erwiderte.

»Calum?«

Ohne auf Struan zu achten, ging er entschlossen auf Lady Philipa Chauncey zu.

Ihr glattes, schwarzes Haar reichte ihr bis zum Kinn. Er bemerkte, daß es an den Spitzen, dort wo es trotz der strengen Frisur in samtigen Strähnchen lose in ihren Nacken fiel, leicht bläulich schimmerte. Einziger Schmuck war ein schlichter, wenn auch diamantbesetzter Kamm, mit dem sie es geschickt zusammenhielt.

Ohne es beabsichtigt zu haben, trat er auf sie zu und bot ihr seine Hand.

Sie nahm sie und ließ sich dicht genug an seinen Körper ziehen, daß sie den Kopf heben mußte, um ihm ins Gesicht zu sehen.

Ihre schwarzen Wimpern lagen wie ein rauchiger Schleier über einem dunkelblauen Augenpaar, und Calum war hingerissen.

»Woher kennen wir uns, Sir?«

Einige Augenblicke lang erschien es ihm, als hätte er ihre helle, klare Stimme wirklich schon einmal gehört – an einem anderen Ort in einer anderen Zeit. Dann lächelte er gewinnend. »Dasselbe wollte ich gerade Sie fragen, Lady Philipa.«

Auch sie deutete ein Lächeln an, wurde jedoch umgehend wieder ernst. »Dann habe ich also recht gehabt. Wir kennen uns. Aber Sie sind mir gegenüber im Vorteil, Sir, da mir Ihr Name offenbar entfallen ist.«

»Calum Innes.« Er verbeugte sich. »Dürfte ich wohl um die Ehre dieses Tanzes bitten?«

Ohne den erwarteten Blick in Richtung der Anstandsdame, in deren Begleitung sie gekommen war, betrat sie Hand in Hand mit ihm die Tanzfläche, auf der bereits mehrere Paare zu den gewagten Klängen eines Walzers im Kreise wirbelten.

Calum zögerte nur kurz, ehe er sie in die Arme nahm.

Sie riß die Augen auf, und er sah, daß sie nach Atem rang. Aber als er wiederum lächelte, lächelte sie ebenfalls und konzentrierte sich dann derart angestrengt auf die Schrittfolge, daß sie die Stirn in Fältchen legte und die Zähne in der Unterlippe vergrub.

»Sie sind leicht wie eine Feder, Lady Philipa«, stellte er fest, während er sie herumschwenkte. »Und Sie sind eindeutig eine geübte Tänzerin.«

Übermütig hob sie den Kopf. »Es ist nicht nett, sich über meine Unbeholfenheit lustig zu machen, Calum Innes.«

Calum vergaß den nächsten Schritt.

Wenn sie lachte, machte sie die Augen zu, zog die spitze Nase kraus, und ihre Züge wurden weich. Der Klang war voll und unbeschwert wie der des Gelächters der süßen Dorfmädchen von Kirkcaldy.

Er verstärkte seinen Griff, drehte sie mühelos im Kreis und glitt so elegant über das Parkett wie nie zuvor mit einer Frau.

»Da, sehen Sie’s«, sagte er und lachte ebenfalls. »Sie sind eine wahre Nymphe, Sie fliegen wie eine Elfe im Takt der Musik durch die Dunkelheit der Nacht.«

»Und Sie sind ein Charmeur, Sir«, sagte sie und senkte den Kopf, als sie errötete. »Bitte, verzeihen Sie.«

»Nein«, erklärte er. »Es sei denn, daß Sie sich in aller Form bei mir entschuldigen.«

»Und wie sieht diese Form aus?«

Seine Kehle war wie ausgetrocknet, als er auf sie hinuntersah. »Indem Sie sich bereit erklären, mich wiederzusehen. Indem Sie mir gestatten, Ihnen meine Aufwartung zu machen.«

Sie sah ihn verdattert an, und beinahe meinte er sehen zu können, wie ihre Gedanken durcheinanderpurzelten. Offenbar wußte sie nicht, was sie antworten sollte. Welch ein Segen für ihn!

»Wo sind wir uns denn begegnet?« fragte sie nach einer Ewigkeit. »Das heißt, falls wir uns tatsächlich schon einmal über den Weg gelaufen sind.«

»Ich weiß es nicht«, log er flink. »Sind wir? Oder ist es einfach so, daß es schon längst ein Treffen hätte geben sollen, weil wir so eindeutig füreinander geschaffen sind?«

»Das ist eine unpassende Bemerkung, Sir.«

Er meinte, daß er jetzt alles wagen müßte. »Tun Sie freundlicherweise so, als wäre sie nicht unpassend. Ich würde gerne mehr von Ihnen erfahren, Lady Philipa.«

Sie wurde blaß. »Bitte sagen Sie mir, wo wir uns schon einmal begegnet sind. Ist das nun der Fall oder nicht?«

»Nein«, erklärte er ihr ernst. »Aber ich habe das Gefühl, als kennen wir uns bereits seit einer Ewigkeit, Sie nicht?«

»O doch!«

»Und ich wünschte mir, es wäre wirklich so. Jetzt bin ich sehr froh, daß wir uns endlich getroffen haben.« In letzter Zeit hatte er nur selten Gelegenheit zum Plaudern gehabt; aber er merkte, daß das Gespräch mit dieser jungen Frau vollkommen mühelos verlief.

»Ich bin verlobt«, sagte sie und verzog unglücklich das Gesicht.

»Aha!« Immer noch lächelnd schwenkte Calum sie weiter über das Parkett. »Das ist natürlich Pech. Bitte zeigen Sie mir den Glücklichen, damit ich ihm gratulieren und ihn auffordern kann, Sie mir zu überlassen.«

Sorge und Belustigung lösten sich auf ihrer Miene ab. Ihre Finger vergruben sich sanft in seinem Arm. »Sie sind ein elender Schmeichler, Sir. Aber …« Dann zögerte sie und schüttelte den Kopf. »Ich freue mich ebenfalls, daß wir einander begegnet sind, wenn auch nur für diesen einen Tanz. Es hätte mir leid getan, eines Tages auf mein Leben zurückzublicken und mich nicht an einen einzigen Tanz erinnern zu können, der aus reinem Vergnügen und mit einem Mann, der nichts von mir wollte, stattgefunden hat.« Sie preßte die Lippen zusammen, und in ihren Augen blitzte etwas wie Entsetzen auf.

In diesem Augenblick nahm Calum die anderen Tänzer nur noch als eine entfernte, wogende, vielfarbige Masse wahr. Auch die Musik erklang fern von dieser Insel der unverhofften Attraktion. Sie war eindeutig unglücklich – hatte wohl das Gefühl, ihrer Zukunft machtlos ausgeliefert zu sein. Und der Mann, der ihren wachen Geist bekommen sollte, der ihn zu fesseln und zu bezähmen trachten würde, hatte nicht das geringste Recht dazu.

Irgendwann bemerkte Calum, daß die Musik verklungen war.

Die Tänzer hatten sich ein wenig von ihm und Lady Philipa zurückgezogen, und über dem Rascheln von Taft und Seide nahm er aufgeregtes Raunen wahr.

»Sie da, Sir«, forderte ihn eine herrische Stimme auf. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie von meiner Verlobten abließen!«

Obgleich sein Herz zu pochen begann, freute sich Calum zugleich über die Gelegenheit, die sich ihm bot. Ohne Lady Philipa loszulassen, drehte er sich um.

Seine Durchlaucht der Herzog von Franchot nickte seiner ›Verlobten‹ zu und bedachte sie mit einem Blick, der Unannehmlichkeiten versprach. »Was hast du dir nur dabei gedacht, meine Liebe?« fragte er sie, ehe er sich an Calum wandte und polterte: »Sie, Sir, sind ein Schuft! Wollen Sie etwa behaupten, Sie wüßten nicht, daß die Aufmerksamkeit einer verlobten Frau einzig ihrem zukünftigen Gatten zu gelten hat?«

Als Calum in ein Paar kalter Wasseraugen sah, empfand er plötzlich puren Haß. »Das Fehlverhalten – falls es ein solches gab – liegt ganz allein bei mir. Bitte machen Sie Lady Philipa keine Vorwürfe wegen eines vollkommen unschuldigen …«

»Seien Sie still!« fiel ihm der Herzog brüllend ins Wort. Er war groß und kräftig gebaut, aber sein hübsches Gesicht wies eine Verschwommenheit auf, die von einem allzu großen Appetit auf reiches Essen und guten Wein zeugte. »Nicht, daß Sie Grund hätten, überhaupt das Wort an mich zu richten – aber wenn Sie mich schon ansprechen, dann als Eure Durchlaucht. Ich habe Sie gefragt, ob Sie wissen, was eine Verlobung bedeutet.«

Calum ließ von Lady Philipas siedendheißem Körper ab und wandte sich mit einer achtlosen Verbeugung seinem Widersacher zu. »Sie haben gesagt, daß die Aufmerksamkeit einer Braut einzig ihrem zukünftigen Gatten zu gelten hat.« Er warf einen Blick auf Lady Hoarville, die mit unzufriedener Miene nicht weit vom Herzog stand. »Ich wiederhole es gerne noch einmal« – Calum nickte der Hoarville zu, während er sich weiter an den Herzog wandte – »Sie meinen, die Aufmerksamkeit einer verlobten Frau habe einzig ihrem zukünftigen Gatten zu gelten.«

»Ein Glück für Sie, daß Sie ein so gutes Gedächtnis besitzen.« Franchot zerknüllte einen feinen weißen Glacéhandschuh in seiner Faust.

»In der Tat«, pflichtete Calum ihm gelassen bei. »Wobei ich allerdings hinzufügen möchte, daß sich die Harmonie zwischen den Geschlechtern, soweit ich es verstehe, am besten erreichen läßt, indem die Aufmerksamkeit auf Gegenseitigkeit beruht. So betrachtet scheint es, als bestünde zwischen Ihnen und Lady Philipa eine geradezu beneidenswerte Harmonie.«

Stille senkte sich über den Saal.

Calum sah, daß der Herzog die Hand, in der der Handschuh lag, erhob. Die blassen Augen unterzogen ihn einer haßerfüllten Musterung.

Franchot würde ihn zu einem Duell herausfordern.

Die Hand sank langsam wieder herab.

»Um Himmels willen«, erscholl plötzlich eine laute Männerstimme, ehe eine schwarzweiße Masse zwischen die beiden Streithähne gestolpert kam. »Verdammt«, brüllte der Mann, während er wie ein Wilder mit den Armen fuchtelte, so daß aus dem übergroßen Glas, das er in den Händen hielt, eine regelrechte Champagnerfontäne auf die sorgsam arrangierten Locken des Herzogs spritzte und weiter über sein entsetztes Gesicht auf den zuvor tadellosen mitternachtsblauen Frack und die goldbestickte Weste rann. Die rotgoldene Seidenschärpe mit dem juwelenbesetzten Wappen seiner Familie wäre sicher für alle Zeiten ruiniert.

»Elender Tropf«, brüllte der Herzog und wandte sich dem Tolpatsch zu. »Verdammter Trottel! Nehmen Sie bloß die Pfoten weg!«

»Bitte, verzeihen Sie!« Der Herzog wurde unbeholfen mit einem blütenweißen Taschentuch abgetupft. »Lassen Sie mich Ihre Rubine trockentupfen, ja?«

Calum mußte grinsen, und neben sich nahm er ein leises Kichern wahr.

»Verschwinden Sie!« schrie Franchot ergrimmt. »Verschwinden Sie, Sie … Sie …«

»Hunsingore, Euer Durchlaucht. Vicomte Hunsingore.«

Struan bedachte Calum mit einem bösen Blick, woraufhin dieser sich eilig abwandte und … geradewegs in die Arme der lächelnden Anabel Lady Hoarville geriet.

Kapitel 2

»Es wäre mir ein Vergnügen, Sie in den Speisesaal zu begleiten«, säuselte Lady Hoarville, legte ihre Hände auf Calums Arm und blickte ihm durch dichte, geschwärzte Wimpern ins Gesicht. »Ich stelle gerade fest, daß ich ziemlich hungrig bin.«

Calum dachte daran, über seine Schulter zurückzublicken, ehe er es sich anders überlegte und das strahlende Lächeln der Dame erwiderte. Leise sagte er: »Wie nett von Ihnen, daß Sie zu meiner Rettung gekommen sind.«

Lady Hoarville legte ihre weiß behandschuhten Finger auf Calums Arm und führte ihn von dem andauernden Geplänkel zwischen Struan und Franchot fort. »Wissen Sie, er hätte Sie sicher zum Duell herausgefordert«, flüsterte sie. »Etienne ist ein äußerst starrsinniger und leidenschaftlicher Mann. Leidenschaftlich in allem, was er tut.« Sie sah Calum verstohlen an.

»Das bezweifle ich keineswegs.« Selbst wenn er es gewollt hätte – und Calum wollte nicht –, so hätte er nicht umhin gekonnt zu bemerken, welch außerordentliche Proportionen der größtenteils enthüllte Busen der Dame aufwies. Grüne Satinblätter zierten ihr veilchenfarbenes Spitzenkleid, dessen Oberteil so knapp geschnitten war, daß es wirkte, als wabbele allzu viel weißer Pudding in einer gefährlich kleinen Schüssel über den Rand.

Nach einer halben Ewigkeit hatten sie endlich den Speisesaal erreicht, in dem sich den Gästen auf mehreren langen Tischen eine Unzahl extravaganter kulinarischer Genüsse bot.

Im Türrahmen blieb Calum stehen. »Ich weiß Ihre Freundlichkeit wirklich zu schätzen, Madam, aber ich kann Sie unmöglich aus der Gesellschaft Ihrer Begleiter entführen.« Normalerweise entzog er sich keinem Konflikt; und hätte Struan nicht gewirkt, als stünde er kurz vor einem Herzinfarkt, hätte er ihn gebeten, ihm bei dem Duell als Sekundant zur Seite zu stehen.

»Pfui!« Sie zog einen Schmollmund, ging ein wenig in die Knie und klopfte Calum mit ihrem Fächer gegen die Brust. »Sie benutzen mich und lassen mich dann einfach stehen, Sir? Das trifft mich wirklich tief.«

»Es ist an der Zeit, mich zu verabschieden.«

»Nein! Nein, das verbiete ich. Nicht, solange ich nicht einfach alles über Sie herausbekommen habe.«

Nicht zum ersten Mal an diesem Abend zuckte Calum innerlich zusammen. »Ich versichere Ihnen, ich bin ein ziemlicher Langweiler«, erklärte er.

Sie wanderte zu dem nächststehenden Tisch und wählte ein kleines, mit rosafarbenem Zucker überzogenes Törtchen aus. »Für mich sind Sie alles andere als langweilig«, bekannte sie freimütig, ehe sie mit der Zungenspitze über den Zucker fuhr. Langsam leckte sie einen Kreis um die glasierte Kirsche, die in der Mitte des Törtchens lag. »Aber vielleicht finden ja Sie mich langweilig? O je, genau. Das muß es sein! Sie langweilen sich mit mir.«

»Nicht im geringsten.« Wären da nicht Franchot und Lady Philipa gewesen, hätte er sich in der Tat längst davongemacht. Außerdem spürte er, daß die Frau aus irgendeinem unerfindlichen Grund etwas von ihm zu wollen schien. »Soll ich Sie nicht doch zurück in den Ballsaal geleiten?«

»Wie heißen Sie?«

Die Frau bedeutete Gefahr. »Calum Innes«, gab er Auskunft. Vielleicht bestand die Gefahr darin, daß diese Frau eine ›sehr enge‹ Bekannte des Mannes war, der ihn um ein Haar vor wenigen Minuten zum Duell gefordert hätte.

»Sie kennen Lady Philipa?« fragte Lady Hoarville jetzt.

Allmählich erkannte er den Grund für ihr Interesse an ihm. »Und Sie werden bitte auch so freundlich sein, mir Ihren Namen zu verraten, Madam?«

Das kleine Törtchen verschwand in ihrem Mund, und kauend winkte sie einen der Pagen mit einem Silbertablett heran, von dem sie ein Glas Champagner nahm, das sie Calum reichte, ehe sie nach einem zweiten griff.

Wortlos ging sie in Richtung der Tür neben dem eleganten weißen Marmorkamin und bedeutete Calum, ihr zu folgen. Widerwillig tat er es, so daß er sich plötzlich in einem mit üppigem, grünen Brokat geschmückten Ruhezimmer wiederfand.

»Ich bin Lady Hoarville.« Hinter ihm fiel mit dumpfem Schnappen die Tür ins Schloß. »Anabel. Bitte, nennen Sie mich einfach Anabel.«

»Warum?«