Sammelband 6 SF-Abenteuer: Saturn und Beteigeuze

Alfred Bekker et al.

Published by Alfred Bekker präsentiert, 2018.

Inhaltsverzeichnis

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Sammelband 6 SF-Abenteuer: Saturn und Beteigeuze:

Copyright

Alfred Bekker | Revolte im Beteigeuze-System

TÖDLICHER MAGNETSTURM

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Prolog

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Vernes Planet

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Die sieben Leben der Katze

Eine wunderbare Art zu reisen

Vernes Planet

Die Erben

In stiller Trauer

Der Frankenstein-Komplex

SATURN IM ABENDLICHT...

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Renegat und Königin

Transmission nach Syragusa

Unser Mann auf dem Mond

Die Hölle begann auf Campor

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Further Reading: 30 Sternenkrieger Romane - Das 3440 Seiten Science Fiction Action Paket: Chronik der Sternenkrieger

Also By Alfred Bekker

Also By W. W. Shols

Also By Gerd Maximovic

Also By Bernd Teuber

Also By Horst Weymar Hübner

Also By Hans-Jürgen Raben

About the Author

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Sammelband 6 SF-Abenteuer: Saturn und Beteigeuze:

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Dieses Buch enthält folgende Science Fiction Geschichten:

––––––––

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ALFRED BEKKER: REVOLTE im Beteigeuze-System

Horst Weymar Hübner: Tödlicher Magnetsturm

Bernd Teuber: Wo Armageddon beginnt

Hans-Jürgen Raben: Vernes Planet

Gerd Maximovic: Saturn im Abendlicht

W.W.Shols: Die Hölle begann auf Campor

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EIN SPERRGÜRTEL INTERSTELLARER Beobachtungsstationen liegt zwischen dem irdischen Sonnensystem und Epsilon Eridani. Seit drei fremde Raumschiffe, die Jahrtausende in einer geheimen Basis auf der Venus überdauerten, nach Epsilon Eridani flüchteten, rechnet die Menschheit mit der Rückkehr dieser Schiffe und den Nachkommen der Erbauer. Wird es eine kriegerische Rasse sein? Der Sperrgürtel ist eine Vorsichtsmaßnahme.

Statt fremder Raumschiffe wird eine Dunkelwolke beobachtet, deren Fluchtrichtung aufs irdische Sonnensystem zeigt. Ein verheerender Magnetsturm eilt der Dunkelwolke voraus und zermalmt alles, was in seiner Bahn liegt. Völlig ungeschützt steht 2000 km über dem Erdäquator das größte Raumfahrzeug, das die Menschheit je gebaut hat - zu gewaltig, um auf einer Basis Platz zu finden, zu langsam, um dem Magnetsturm zu entrinnen.

Es ist die fliegende Stadt. Und an Bord sind die Zeitspringer.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© Cover: Tatjana Shepeleva/123RF – Pixabay und Steve Mayer, 2018

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Alfred Bekker

Revolte im Beteigeuze-System

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Science Fiction-Erzählung

© 1982 by Alfred Bekker

All rights reserved

Ein CassiopeiaPress E-Book

www.AlfredBekker.de

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WARUM WAR ER EINST hier her gekommen?

Was hatte er hier gesucht?

Durch das getönte Plexiglas konnte Piquet die großen Raumschiffe sehen, die von hier aus nach überallhin flogen. Vadrobo war ein ziemlich großer Raumhafen: der größte von Borova und der zweitgrößte des Beteigeuze-Systems.

Piquet hörte die Durchsagen, sah wie sich Passagiere an den Kontrollen drängelten und bemerkte die allgemeine Hektik, von der hier alles erfüllt zu sein schien.

Einst mußte es Gründe gegeben haben hierher zu kommen. Aber jetzt gab es diese Gründe für Piquet nicht mehr und er zog die Konsequenzen.

"Du willst also tatsächlich fort von hier?" fragte Nadransky, der neben ihm stand und sein Freund gewesen war.

"Ja."

"Warum eigentlich?"

"Das hast du mich in den letzten Tagen schon hundertmal gefragt."

"Und du hast mir nie eine Antwort gegeben!"

"Lassen wir das, ja?"

Nach einigem Zögern nickte Nadransky.

"Gut. Schließlich..." Aber er sprach den Satz nicht zu Ende und Piquet fragte auch nicht nach. Nadransky würde ihm von jetzt an egal sein, wie im übrigen ganz Borova, die Beteigeuze und die Revolution.

Er würde all das endgültig hinter sich lassen, wenn das Raumschiff vom Boden des Planeten abhob.

"Ich wünschte, du würdest bleiben", seufzte Nadransky. "Borova hat einen harten Bürgerkrieg hinter sich und es muß viel wieder aufgebaut werden. Männer wie du werden uns fehlen."

Piquet zuckte einfach nur mit den Schultern. Die Gegenwart des anderen nahm er nur ganz am Rande wahr, sie erschien ihm fast etwas unwirklich.

In Gedanken war er schon in Alpha Centauri.

"Ich verstehe das nicht! Entschuldige, aber ich verstehe es wirklich nicht! Du hast mitgeholfen, den Bürgerkrieg zu gewinnen und unserer Revolution zum Sieg zu verhelfen, und nun, wo das Schwierigste erledigt ist, gehst du einfach wieder davon. So unvermittelt, wie du hier aufgetaucht bist. Reizt es dich eigentlich gar nicht, am Aufbau einer neuen Gesellschaft mitzuwirken? Einer Gesellschaft, die unseren Idealen nachgebildet werden wird? Wir haben eine Chance, hier auf Borova eine Art Paradies auf Erden zu schaffen, eine Gesellschaft, die den Bedürfnissen der Menschen wirklich entspricht."

Über Piquets Gesicht huschte ein säuerliches Lächeln, freudlos und ein wenig zynisch. Aber als er dann sprach, war jedoch weder Wut noch Ärger in seiner Stimme - sie war kalt und unbeteiligt.

"Eine Chance?" Er sah Nadransky traurig an.

"Ja, eine Chance! Und wir werden sie nutzen!"

"Ihr habt sie bereits vertan."

Nadransky zog fragend die Augenbrauen hoch.

"Vertan?"

"Ja."

"Wieso?"

"Siehst du, wie viel Betrieb heute im Raumhafen ist?"

"Na und?"

"Viele von diesen Leuten hier sehen aus, als würden sie für immer gehen. Und dafür werden sie ihre Gründe haben."

"Reaktionäre Elemente vielleicht, die sich aus dem Staub..."

"Nein, nicht nur. Es sind ehemalige Revolutionäre darunter."

"Wie du!"

"Ja, richtig, wie ich."

"Aber..."

"Die Revolution hat eine schlimme Diktatur beseitigt, das ist richtig. Aber man ist drauf und dran eine neue zu etablieren. Die Freiheit wird schon seit längerem wieder mit Füßen getreten."

"Das ist nicht wahr!" schrie Nadransky. "Das ist eine Lüge! Eine Lüge!"

Piquet schüttelte den Kopf.

"Du weißt, daß es so ist, wie ich sage, Alexej. Du brauchst nur ein wenig die Augen offenzuhalten, dann siehst du es."

Nadransky schwieg einen Moment. Dann sagte er: "Wie sollten uns nicht streiten, Gabriel."

"Nein, das sollten wir wirklich nicht", mußte Piquet zustimmen. "Aber Alexej..." Sie sahen sich an und sie lasen das Verständnis in den Augen des anderen. "...wenn ich dir einen guten Rat geben darf..."

"Nein, nicht jetzt, Gabriel!"

"Geh fort von hier, Alexej! Geh fort von hier, solange sie dich noch lassen! Ich denke, man wird bald Ausreisebeschränkungen verfügen."  Er zuckte die Schultern. "Ich käme in jedem Fall noch hier weg, da ich nach wie vor ein Bürger Neufrankreichs bin und einen entsprechenden Paß habe. Aber du, als Borovaner..."

"Ich glaube das nicht, Gabriel. Ich glaube das einfach nicht. Außerdem will ich auf keinen Fall von hier weg!"

"Ich habe dich gewarnt, Alexej."

"Das hast du. Und dabei kannst du es ja nun auch bewenden lassen."

Piquet nickte.

"Du mußt selbst wissen, was du tust, Alexej. Ich wünsche dir nur, daß du es später nicht bereust."

Nach einer kurzen Pause fragte Nadransky: "Wohin fliegst du?"

"Zunächst nach Athen, Alpha Centauri."

"Nicht zurück nach Neufrankreich?"

"Nein. Vielleicht später, aber nicht sofort. Wohin ich wirklich will, weiß ich noch nicht."

"Naja, jedenfalls viel Glück."

"Dir auch."

Der Abschied war kurz und wenig herzlich. Nadransky bemerkte die Mauer, die Piquet um sich herum errichtet hatte. Und er respektierte sie.

Piquet passierte die Kontrollen und drehte sich nicht mehr nach Nadransky um.

Eine automatische Anlage durchleuchtete ihn nach Waffen und Dingen auf die Ausfuhrzölle erhoben wurden, prüfte seinen Paß und sein Ticket und ließ ihn hindurch. Vor seinen Augen flimmerten die in den drei auf Borova gesprochenen Sprachen beschrifteten Hinweisschilder: In Russisch, Finnisch und Urdu.

Er wußte, wohin er zu gehen hatte auch ohne die Schilder. Es war nicht schwer, sich hier zurecht zu finden. Jeder konnte das.

Piquets Blick fiel auf einen Mann in weißen Gewändern (dem Pilgergewändern der Moslems), der nach ihm die Kontrollen passiert hatte, dann aber schnellen Schritts an ihm vorbei gegangen war. Der Mann war ausgesprochen hager und von ziemlich dunkler Hautfarbe. Vermutlich kam er aus Nol-Ni, dem dünn besiedelten Südkontinent Borovas.

Piquet verlor ihn wieder aus den Augen und hing seinen eigenen, quälenden Gedanken nach.

Warum war er einst hier her gekommen?

Was hatte er hier gesucht?

Er erinnerte sich der Ideale, die er gehabt hatte, als er nach Borova gekommen war.

Ideale von Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, von Selbstbestimmung und radikaler Basisdemokratie, von der Sozialisierung der Produktionsmittel.

Dafür hatte er gekämpft und geblutet.

Und getötet.

Er war davon überzeugt gewesen, daß es diese Opfer wert war.

Er war so erfüllt hier angekommen.

Und jetzt?

Er fühlte Leere in sich und genoß sie.

Etwas, das einmal zu ihm gehört hatte, ließ er hier zurück und nun war dort ein Vakuum. Aber das innere Vakuum war angenehmer, als der unbestimmte Drang, der früher in ihm geherrscht und ihn getrieben hatte.

Er kratzte sich an der juckenden Narbe auf seinem Oberarm, wo er einst von einem Geschoß getroffen worden war.

Diese Narbe war ein unvergängliches Zeichen dafür, daß er hier gewesen war und für die Freiheit und die Gerechtigkeit gekämpft hatte.

Aber was bedeutete das alles jetzt noch?

Nichts, dachte er.

Es hatte nie etwas bedeutet.

Nichts bedeutet irgendetwas.

Er hatte viele Wunden davongetragen, während er hier auf Borova gewesen war. Zunächst an seinem Körper. Doch das hatte ihm nicht besonders viel ausgemacht, denn er war stark und zäh gewesen und von einer Mischung aus Wut und Glauben und dem unbedingten Willen von Veränderung beseelt.

Die Wunden an seiner Seele waren später hinzu gekommen und sie waren weitaus schlimmer gewesen.

Aber jetzt hatte er sich unverwundbar gemacht.

Er hatte dafür seine ganz spezielle Methode entwickelt. Und sie funktionierte ausgezeichnet, auch wenn sie ein gewisses Opfer von ihm verlangte.

Doch das war es wert.

Ohne Zweifel.

Borova war eine Erfahrung für ihn gewesen. Zunächst eine beglückende; eine Erfahrung des Kampfes und des Sieges. Und der Euphorie. Vor allen Dingen der Euphorie.

Und dann der Enttäuschung, der bodenlosen Enttäuschung, der Niederlage und des vergebens für etwas geblutet zu haben.

Dann war die Bitterkeit gekommen (und manchmal kam sie zurück), aber jetzt war im Wesentlichen Leere in ihm.

Zu starke Gefühle waren Energieverschwendung, ebenso wie der Glaube an irgendwelche Ideale.

Das alles konnte am Ende nur zur Frustration führen. Er wußte das jetzt und er hatte daraus für sich persönlich die Konsequenzen gezogen.

Und dann, von einer unvermuteten Regung in ihm dazu bewogen, drehte er sich doch um, blickte zurück, obwohl er sich vorgenommen hatte, nicht zurückzublicken.

Er sah Nadransky auf der anderen Seite der Kontrollen, wie er langsam davon ging, Piquet den Rücken zugewandt.

Und er sah das große Chronometer über dem Eingang der Kontrollhalle. An den Abfertigungsrobotern hatten sich Schlangen gebildet und manche Passagiere führten ausgesprochen viel Gepäck mit sich. Piquet wußte warum.

Nadransky mußte es auch wissen, aber er wagte nicht, es sich selbst gegenüber zuzugeben: Eine wachsende Anzahl von Menschen verließ das Paradies und würde nicht mehr zurückkehren.

Der Gedanke an die verpaßte Chance hatte immer noch etwas höchst unangenehmes an sich, obwohl es andere, nicht Piquet, gewesen waren, die sie vertan hatten.

Vielleicht war er deshalb zunächst überaus wütend gewesen, vielleicht hatte er es deshalb als so besonders ungerecht empfunden.

Aber das war jetzt vorbei.

Endgültig.

Er kannte keine Wut mehr, keinen Ärger.

Das alles betraf ihn nicht mehr wirklich.

Gut, es war zufällig sein Leben, in dem das alles passiert war, aber warum sich jetzt noch darüber aufregen?

Distanz halten. Das war das Zauberwort.

Distanz halten. Zu allem.

Wenn man die Dinge auf sichere Entfernung zu sich hielt, konnten sie einem nichts tun, einen nicht verwunden.

Und Piquet wollte nie wieder etwas oder jemanden gestatten, ihn zu verwunden. Nie wieder. Er hatte vorgebeugt.

Er hatte eine Passage auf einem Raumer der Alphaspace-Gesellschaft gebucht. Die war zuverlässig, das wußte er.

Er hatte ein gewisses Mißtrauen gegen die hiesige Raumfahrtgesellschaft. Daher hatte er dem Schiff aus Alpha Centauri den Vorzug gegeben - obwohl es teurer war. Er hatte geargwöhnt, daß man ihn, wenn er ein borovanisches Schiff nehmen würde, leicht durch einen arrangierten 'Vorfall' liquidieren konnte.

Wenn er das Ganze sachlich und nüchtern betrachtete, mußte Piquet jedoch zugeben, daß diese Möglichkeit reichlich unwahrscheinlich war und daß jemand, der ihn umbringen wollte, dann anderswo vemutlich günstigere Gegelegenheiten finden würde als gerade an Bord eines Raumschiffes. Dennoch war er bei seinem Entschluß geblieben und hatte entsprechend gehandelt.

Seine Gründe dafür waren, wie er im Übrigen selbst sehr wohl wußte, eher irrationaler Natur. Diese Tatsache machte ihm ein wenig Angst und darum erforschte er die wahren, hinter den vorgeschobenen Motiven verborgenen Ursachen für sein Vorgehen nicht weiter.

Er hielt Distanz. Zu allem.

Auch zum eigenen Unbewußten.

Schließlich passierte Piquet noch die letzten Barrieren und befand sich an Bord.

Noch sechsundzwanzig Minuten bis zum Start, verriet ihm sein Ringchronometer.

*

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SPÄTER, NACHDEM ER in seiner Kabine etwas geschlafen und das Schiff Borova längst verlassen hatte, traf Piquet den mohammedanischen Pilger in einem der Gemeinschaftsräume wieder. Und irgendwie kamen sie dann miteinander ins Gespräch.

Der Pilger sprach (wie erwartet) Urdu und kam tatsächlich vom Südkontinent Nol-Ni. Eine andere Sprache, mit Ausnahme von ein paar Brocken Russisch, hatte er nicht gelernt. Kein Wunder, Nol-Ni war ein sehr rückständiges und armes Gebiet mit schlechten oder überhaupt keinen Bildungseinrichtungen. Hypnoschulungen waren dort völlig unbekannt und die Menschen bestellten dort noch mit primitiven Werkzeugen ihre Felder selbst.

Aber Piquet sprach Urdu und so konnten sie sich verständigen.

"Ich fliege nach Mekka", erzählte ihm der Pilger. "Sie wissen ja, jeder Moslem sollte wenigstens einmal in seinem Leben nach Mekka kommen..."

Piquet nickte.

"Ich weiß. Aber liegt Mekka nicht auf der Erde?"

"Gewiss."

"Aber das Schiff fliegt nach Alpha Centauri."

Der Pilger lächelte.

"Ja. Und von dort aus weiter zur Erde."

Sie unterhielten sich noch über diese und jene Kleinigkeit.

Dann fragte Piquet ihn: "Werden Sie wieder nach Borova zurückkehren?"

"Natürlich. Warum fragen Sie?"

"Nur so."

"Werden Sie etwa nicht?"

"Ich?" Piquet überlegte einen Moment, bevor er antwortete. "Ich bin nicht von hier."

"Woher...? Wenn ich so unverschämt sein darf zu fragen!"

"Ich komme von Neufrankreich."

"Oh..." Das Gesicht des Pilgers drückte jetzt fast Ehrfurcht aus. "Eine reiche Welt soll das sein...", meinte er vorsichtig. "Eine sehr reiche. Ich weiß nicht viel darüber, aber auch bei uns in Nol-Ni hört man einiges..." Er schwieg für einige Zeit und Piquet spürte Verlegenheit in sich aufkommen.

Er schämte sich seiner Herkunft und der Privilegien, die damit verbunden waren, auf einer reichen Welt geboren zu sein.

"Es müßte schön sein, auf einem wohlhabenden Planeten zu leben, wo alle genug haben...Neufrankreich, Mars, Alpha Centauri, Neuwelt... Aber Allah nimmt und gibt, wie es ihm gefällt und ich will nicht klagen."

Und dann fragte er: "Was haben Sie gemacht während Ihres Aufenthalts auf Borova? Der Bürgerkrieg ist ja nun vorbei."

"Ich war auch während des Krieges dort."

"Ach ja?"

"Ich habe auf Seiten der Revolution gekämpft."

"Interessant! Erzählen Sie!"

Piquets Gesicht verdüsterte sich für den Bruchteil eines Augenblicks, aber es gelang ihm sofort wieder, sich unter Kontrolle zu bringen.

"Nein, nicht jetzt."

"Sie sind also einfach so von Neufrankreich nach Borova gekommen, um hier für die Revolution zu kämpfen. Wirklich interessant. Und nun gehen Sie wieder..."

Piquet schwieg und wandte sich von seinem Gegenüber ab.

"Entschuldigen Sie bitte, aber ich wollte nicht in Bereiche vordringen, die..."

"Schon gut!" unterbrach ihn Piquet etwas unfreundlicher, als er es eigentlich geplant hatte.

Sie gingen auseinander, ohne daß noch etwas gesagt wurde.

Der Pilger hatte ihn verwundet.

Nicht sehr, aber immerhin etwas und das war bereits zuviel.

Distanz halten!

*

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IN DER FOLGEZEIT MIED er daher die Gesellschaft des Pilgers, was an Bord eines derart großen Raumers kein besonderes Problem darstellte.

Er unterhielt sich ein wenig mit einer ehemaligen Bodenspekulantin, die für ihre wirtschaftlichen Aktivitäten keine Zukunft mehr auf Borova sah, jetzt, nach der Revolution.

"Ich habe abgewartet, wie es werden würde", erzählte sie ihm. Sie sprach Finnisch und er Russisch, weil er das besser beherrschte. "Aber das war ein großer Fehler." Dabei zündete sie sich mit bedeutungsvoller, fast angeberischer Geste eine Zigarette an und stieß den Rauch kunstvoll durch den zu einem O geformten Mund.

"Das war ein ganz großer Fehler, dadurch habe ich ein Vermögen verloren. Ich hätte gleich gehen sollen, wie man es mir geraten hatte." Sie zuckte mit den Schultern. "Ich muß jetzt ganz von vorn anfangen."

Als sie von ihm erfuhr, daß er Revolutionär gewesen war, zuckte sie etwas zusammen. Ihre Art wurde weniger umgänglich und ihre blauen Augen musterten ihn einige Momente lang böse.

"Was Sie nicht sagen...", zischte sie, während Piquet kalt auf sie hinabblickte. Sie war auf der anderen Seite gewesen. Es machte Piquet nichts aus, es war ihm im  Grunde genommen sogar gleichgültig. Ihr allerdings wohl allem Anschein nach nicht.

Schließlich löste sich ihre Spannung jedoch ein wenig und sie versuchte zu lächeln, woraus jedoch nur eine Art Fratze wurde.

"Was soll's?" sagte sie. "Das ist jetzt nicht mehr wichtig."

"Nein, ist es auch nicht mehr", stimmte er ihr zu.

"Und warum gehen Sie, jetzt, da Ihr Paradies doch nun Wirklichkeit geworden ist?" Es war noch immer eine beißender Unterton in ihrer Stimme, auch wenn sie sich sichtlich bemühte, ihn zu unterdrücken.

"Ich bin mit dem Ergebnis nicht zufrieden", stellte er sachlich fest. Die Verkrampfung, die ihn bisher mit steter Regelmäßigkeit befallen hatte, wenn jemand dieses Thema anschnitt, war diesmal nicht eingetreten. Er freute sich darüber. Er hatte Distanz gewonnen.

"Ach, nein? So einfach ist das also für Sie: Erst helfen Sie mit, einen intakten Staat zu zertrümmern und dann, wenn alles in Scherben liegt, sagen Sie: 'Ich bin mit dem Ergebnis nicht zufrieden' und überlassen es anderen, das Chaos zu beseitigen, das Sie mitgeschaffen haben!"

"Der Staat, den wir zerstört haben, war eine Diktatur", entgegnete Piquet noch immer ruhig.

"So? War er das?"

"Ja. Auch wenn Sie und Ihresgleichen das nicht wahrhaben wollen."

"Und das, was Sie errichtet haben? Ist das vielleicht keine Diktatur?"

"Es sollte eigentlich keine Diktatur werden und es ist auch jetzt noch weniger Diktatur als das, was wir beseitigt haben in seinen liberalsten Zeiten war. Aber es ist auch eine Diktatur, da haben Sie zweifellos recht. Und deshalb gehe ich ja auch."

Das entsprach der Wahrheit. Es war zwar nicht der einzige, aber der wichtigste Grund.

"Das Schlimme, das wirklich Schlimme allerdings ist", fuhr Piquet dann fort, "daß die Massen diese neue Diktatur unterstützen, im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin."

Sie blieb einige Zeit lang stumm und auch Piquet schwieg. Sie saßen an einem der unzähligen, langweiligen Tische der Kantine; ihre Mahlzeit war längst beendet, aber sie saßen immer noch dort und schienen gar nicht daran zu denken, ihr Wegwerfgeschirr zum Müllschlucker zu tragen, der es dem Recyclingsystem des Raumschiffes wieder zuführen würde.

"Alles scheint irgendwie chaotisch zu werden", sinnierte sie plötzlich mit viel weicherer, fast wehleidiger Stimme, in der ein gerütteltes Maß Selbstmitleid mitschwang

Piquet nahm es kaum wahr. Er verabscheute soetwas und pflegte sich dann abzuschirmen.

Sie redete unbeirrt weiter, während Piquet seinen eigenen Gedanken nachhing.

"Jede Ordnung, jede Form zerfließt." Sie blickte ihn an. "Entropie, verstehen Sie?"

Er antwortete nicht.

"Alles tendiert zu einem Zustand größtmöglicher Entropie hin - alles geht kaputt. Die Zeiten werden schlechter."

"Sie mögen schon recht haben", murmelte er kaum hörbar.

*

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ALS SIE ENDLICH IN Athen auf Alpha Centauri 2 landeten, empfand er eine gewisse Erleichterung. Weg von Borova. Er hatte das jetzt endgültig hinter sich gelassen. Endgültig.

Borova war nicht eigentlich eine arme Welt. Es gab einige ziemlich rückständige Gebiete, ja, aber wenn man den Planeten mit den Entwicklungswelten des Vega-Systems verglich, konnte man nicht von wirklicher Armut sprechen. Es hungerte niemand, die Versorgung war gesichert, es gab genügend natürliche Wasservorkommen und die Bevölkerungszahl wurde durch strenge Geburtenkontrolle konstant gehalten.

Aber Athen war anzusehen, daß sie eine reiche, eine überaus reiche Stadt war. In Alpha Centauri herrschte Wohlstand und verglichen damit war Borova natürlich arm.

Vom Raumhafen aus ließ er sich mit der Magnetbahn in Stadtzentrum bringen. Er hatte kein Gepäck bei sich, nur neufranzösische Kreditkarten und seinen Paß.

Alles, was er von Borova mitgenommen hatte, befand sich in Form von Erinnerungen in seinem Kopf oder als Narben an seinem Körper.

Athen war eine saubere Stadt.

Die erste saubere Stadt seit zwei Jahren, dachte Piquet.

Vadrobo war nicht wirklich schmutzig gewesen, nur eben auch nicht richtig sauber.

An die Städte im Süden mochte er gar nicht denken.

Hier lag nicht die nervöse Hektik über allem, wie er sie in letzter Zeit in Vadrobo gespürt hatte. Die Menschen schienen sorgloser als auf Borova.

Kein Wunder, dachte Piquet. Wirklich kein Wunder.

Er ließ sich von einem der Fußgängerförderbänder mitnehmen. Soetwas gab es im ganzen Beteigeuze-System nicht, aber Piquet kannte es von Neufrankreich.

Irgendwie wußte er, daß er hier nicht sehr lange bleiben würde. In seinem Gehirn hatte sich zwar noch kein konkreter Entschluss manifestiert, hier wegzugehen, aber das war nur eine Frage der Zeit. Unruhe erfüllte ihn und er wußte nicht weshalb oder was er gegen sie tun sollte. Sie mußte sehr tief unter der Oberfläche seines Bewußtseins begründet sein. Aber auf keinen Fall würde Piquet hinabsteigen, um es zu ergründen. Seine Furcht war viel zu groß.

*

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"WOT MA'I PASPORT", hörte es seine eigene Stimme sagen. Sein Hypnokurs in Russisch war gut gewesen, er hatte keine Schwierigkeiten, sich auszudrücken. Und doch war es hier irgendwie seltsam, mußte er sich erst daran gewöhnen.

Der Beamte nahm seinen neufranzösischen Paß, blickte eine Weile auf das Dokument und gab es Piquet anschließend wieder zurück.

Er fragte sich (während sein Blick auf die untätigen Kontrollmaschinen fiel, die sonst die Arbeit des Beamten zu tun pflegten), wie das zusammenpasste: Auf einem durchschnittlich entwickelten Planeten wurde eine Aufgabe noch von Menschenhand getan, obwohl die entsprechenden Maschinen daneben standen!

Später erfuhr er, daß das etwas mit der katastrophalen Lage auf dem Energiesektor zu tun hatte. Man wollte sparen und hatte die Maschinen daher folgerichtig abgeschaltet. Einheiten der Polizei waren daraufhin für die Kontrollen abgestellt worden.

Der Beamte nickte ihm zu und er konnte gehen.

Er atmete auf und Erleichterung breitete sich in ihm aus. Immerhin war er hier her gekommen, um die hiesige Zentralregierung in Port Borova stürzen zu helfen und so hatte er ständig das Gefühl, daß jeder ihm seine subversiven Pläne ansah...

Dem war natürlich nicht so.

*

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MIT DER MAGNETBAHN gelangte er von Vadrobo, über Brakouskygrad nach Port Borova, der Hauptstadt, die am südlichsten Punkt des Nordkontinents Pal-Ni gelegen war.

Zunächst hatte er vorgehabt, sofort weiter in den Süden seinem Ziel entgegen zu fahren, aber dann entschloß er sich dazu, einige Tage zu bleiben.

In Port Borova liefen alle Fäden zusammen, was die Politik betraf. Doch ansonsten war Vadrobo das unumstrittene Zentrum des Planeten.

Der Glanz der Hauptstadt war im Verblassen, sie hatte ihren Zenit bereits vor langer Zeit überschritten. Es gab auch hier einen Raumhafen, aber er war zur Zweitklassigkeit verdammt und wäre sicherlich wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit aufgegeben worden, wenn sich hier nicht noch immer der Sitz der Regierung befunden hätte. Das hatte traditionelle und historische Gründe, über die Piquet im Übrigen nichts Genaueres wußte.

Nein, die großen Interstellar-Schiffe landeten hier nicht mehr - wohl in Neu Oulu, weit im Osten gelegen oder in Bradokata, auf dem kleinen Westkontinent Viang-Ni, aber nicht mehr hier.

Der neuere und bessere und auch größere Hafen von Vadrobo war einfach zu nahe, seine Konkurrenz zu groß.

Historische Gebäude erinnerten an die einstige Blüte, Denkmäler sollten bedeutende Ereignisse im Gedächtnis der Borovaner wachhalten und die Bevölkerung mit Stolz auf ihre Hauptstadt zu erfüllen.

Das alles war natürlich vollkommen zwecklos.

Port Borova war am sterben und Piquet spürte das schon sehr bald, nachdem er den Boden jener Stadt betreten hatte.

Der Tag neigte sich dem Ende zu und so verzichtete er darauf, noch irgendetwas zu unternehmen. Er quartierte sich in einem trostlosen Billig-Hotel ein, wo die Zimmer eher kleinen Mönchszellen als Gästezimmern glichen. Aber das machte Piquet nichts. Er hätte mehr als genug Geld gehabt, um sich nach einem besseren Etablissement umsehen zu können, aber seine Wahl hatte nichts mit seinen finanziellen Möglichkeiten oder der Notwendigkeit des Sparens zu tun.

Es wäre ganz einfach seinen Idealen zuwider gelaufen, sich etwas besseres zu leisten.

Als er diese trostlose Zelle, in der er nun die nächste Nacht (vielleicht auch länger, er hatte sich noch nicht endgültig festgelegt) in selbstgewählter Armut verbringen würde, eingehender betrachtete, stellte er fest, daß es keine Fenster nach draußen gab. Eine Pritsche, ein Nachttisch und an der Decke eine grelle Leuchtstoffröhre - das war alles.

Am nächsten Morgen stand er in der Schlange vor dem Frühstücksautomaten. Eine armselige Kantine! Aber etwas anderes hatte Piquet auch gar nicht gewollt.  "So ein Mist! So ein Mist! Wie lange dauert das denn noch?" schimpfte jemand. Es war ein kleiner, drahtiger Mann mit lichtem Haar und grauen Bartstoppeln. Er wandte Piquet einen wilden Blick zu. "Was sagen Sie dazu?"

Piquet sagte nichts.

"Das ist doch eine ausgemachte Schweinerei! Diese Kantine ist viel zu klein, da kann doch keiner menschenwürdig essen!"

Diejenigen, die ihr Essen bereits hatten, warteten, bis an den wenigen Tischen ein Platz frei wurde. Und die an den Tischen taten so, als bemerkten sie die lauernden Geier-Blicke der anderen nicht, nur um sich den Rest einer Illusion von Gemütlichkeit und Ruhe und Genuß zu bewahren. Nicht selten waren diese begehrten Sitzplätze Objekte von recht groben verbalen Auseinandersetzungen. Aber das war die Sache nun wirklich nicht wert, fand Piquet. Ein Mensch durfte sich nicht auf Grund solcher Kleinigkeiten selbst zu etwas Tierhaftem herabwürdigen.

Und doch kam es immer wieder vor. Mindestens drei oder vier Mal während der Zeit, die Piquet jetzt schon wartend in der Schlange verbracht hatte.

Jemand rief plötzlich: "Heh! Was ist denn da los? Geht's denn da gar nicht weiter?"

Niemand sagte etwas darauf. Der Rufer schien offensichtlich weiter vorn in der Schlange zu stehen.

"Heh!" Es war diesmal eine andere Stimme, die einer Frau vielleicht, aber Piquet mochte das nicht endgültig entscheiden.

"Also, verdammt noch mal!" schimpfte der drahtige Kerl vor Piquet, warf diesem wieder mit seinen wilden Augen einen angriffslustigen Blick zu und kommentierte dann ironisch: "Ist das ein Service, was?"

Immer mehr Menschen riefen jetzt durcheinander und es verbreitete sich das Gerücht, der Automat funktioniere nicht mehr.

Jetzt wurde es Piquet langsam zu bunt. Proletarisches Gewissen hin und her: Er hatte Hunger und eine neufranzösiche Kreditkarte, mit der man auf den meisten Welten des bekannten Universums (sofern entsprechende Verträge existierten) bargeldlos bezahlen konnte.

"Ich gehe!" meinte er. "Ich verzichte auf's Essen!"

Der drahtige Mann vor ihm sah ihn verständnislos an, sagte aber nichts dazu.

*

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DIE MAGNETBAHNSCHIENEN waren mittels einer aufwendigen aber imposanten Brückenkonstruktion über die nur zehn Kilometer breite Meerenge gelegt worden, wo sich Pal-Ni und Nol-Ni fast berührten. Auf der eine Seite lag Port Borova, auf der anderen Sankahar, wo bereits überwiegend Urdu gesprochen wurde und die Macht des Islam ungebrochen war, seit die Vorfahren der dortigen Bevölkerung auf Borova gesiedelt hatten.

Piquet hatte die Hauptstadt sehr bald wieder verlassen, um weiter nach Süden zu gelangen, dorthin, wo die "Befreiten Gebiete" lagen, wie sie von den Revolutionären genannt wurden. Jetzt schwebte er in schwindelerregender Höhe über jener Meerenge, über die die Magnetbahn ging.

Er schaute nicht aus dem Fenster. Davon wäre ihm höchstens schlecht geworden.

Ihm gegenüber saß eine schweigsame Frau in den mittleren Jahren, die unablässig vermied, ihn anzusehen. Man konnte ihr auf den ersten Blick ansehen, daß sie nicht von hier kam. Ihre Kleidung und ihre Art, sich zu geben, verrieten es überdeutlich, ebenso wie die Mikro-Kamera an ihrem Handgelenk.

Ob man es mir auch so deutlich ansieht? fragte Piquet sich. Er hoffte nicht.

Er packte ein Sandwich aus, das er sich noch in Port Borova gekauft hatte und ließ es aus Versehen aus der Hand gleiten. Bevor es zu Boden plumpste, streifte es noch das Sitzpolster und verschmierte etwas von seinem Aufstrich.

Die Frau warf einen zunächst leicht erschrockenen, dann aber als sie gesehen hatte, daß nichts Schlimmes passiert war, sogleich wieder gefaßteren Blick auf das am Boden zermatschte Sandwich, während Piquet ein unwillkürliches 'Merde!' entfuhr.

"Ah, Sie kommen auch von Neufrankreich?" fragte die bis dahin schweigsame Frau daraufhin - natürlich in Piquets Muttersprache.

"Ja."

"Interessant. Nein wirklich, wie interessant! Und dabei sehen Sie gar nicht so aus, ich hätte Sie glatt für einen Eingeborenen gehalten."

Wie Sie das sagte! 'Eingeborene'! Als wären die Borovaner Halbwilde!

Piquet entschloß sich jedoch, sich nicht weiter darüber aufzuregen. Es lohnte sich nicht.

"Machen Sie Urlaub hier?" fragte sie.

"Nein."

Sie zuckte mit den Schultern.

"Ich auch nicht. Kein besonders geeigneter Planet, um seinen Urlaub zu verbringen, nicht wahr? Eigentlich ist Borovar für mich nur eine Zwischenstation, verstehen Sie? Aber mein Schiff hat irgendeinen Maschinenschaden und so geht die Reise erst in drei Tagen weiter." Sie lächelte gezwungen. "Und da hab' ich mir gedacht, ich nutze die Zeit etwas."

"Und wie wollen Sie sie nutzen?"

"Man hat mir im Touristik-Büro von der Stadt-des-Monuments erzählt..."

"Ah, ja, verstehe."

Wenn jemand Nol-Ni, den Südkontinent besuchte, dann meistens wegen der Stadt-des-Monuments. Das war schon seit langem so.

Inzwischen hatten sie Sankahar erreicht, wo Piquet einen flüchtigen Blick auf die Kuppel einer Moschee werfen konnte, die von weitflächigen und erbarmungswürdigen Slums umgeben war. Hier und da, wie hineingestreut, jedoch immer wieder Gebäude von feudaler Pracht und gebirgshohe Wolkenkratzer.

Der Magnetzug hielt kurz in Sankahar und raste dann weiter nach Nolniabad, wo er ebenfalls kurz hielt. Die beiden Städte gingen übergangslos ineinander über, man konnte (zumindest an dem Fenster einer Magnetbahn) keine Grenze erkennen.

Die Frau beugte sich vor und blickte interessiert nach draußen.

"Es stimmt also, was man so hört", sagte sie.

"Was hört man denn so?"

"Daß die Städte im Süden überlaufen sein sollen."

"Ja, das ist wahr. Die Menschen verlassen ihre Dörfer auf dem Lande und gehen in die Stadt, in der Hoffnung, dort ihr Auskommen zu finden."

"Aber warum?"

"Weil sie dort, wo sie herkommen, keine Chance mehr haben."

"Haben sie denn in der Stadt eine?"

"Nein, aber das wissen sie nicht, wenn sie aufbrechen. Nol-Ni wird langsam aber sicher zu einem Wüstenkontinent. Schon seit Jahren ist die Entwicklung beobachtbar."

"Woran liegt das?"

"In der Hauptsache ökologiefeindliche Bebauungsmethoden, Überweidung und so weiter. Die große Zentralwüste von Nol-Ni war vor 500 Jahren noch Urwald. Jetzt frißt sie dieses Land von innen her langsam auf."

Sie wandte sich vom Fenster ab und meinte: "Woher wissen Sie das alles?"

Piquet zuckte geringschätzig mit den Schultern.

"Ich habe mich intensiv mit diesem Planeten beschäftigt und auch informiert, bevor ich hier her kam."

"Sind Sie schon lange hier?"

"Nein. Aber ich habe vor, für längere Zeit hier zu bleiben."

Sie schien verwundert. Es passte nicht in ihre Gedankenschemata, daß sich ein Bürger einer hochentwickelten, 'zivilisierten' Welt freiwillig hier her begab und sich mit Geschichte und Kultur der 'Eingeborenen' befaßte.

"Was suchen Sie hier, Monsieur?"

Er überhörte ihre Frage einfach.

"Sie möchten nicht darüber sprechen?"

Er sagte auch jetzt nichts.

Die Bahn hielt wieder. Dies war Agrabar, aber wäre da nicht das Hinweisschild auf dem Bahnsteig gewesen, man hätte meinen können der Magnetzug hätte Nolniabad nie verlassen.

Sie waren die ganze Zeit über durch eine gleichförmige, trostlose Stadtlandschaft gefahren.

"Wann werden wir endlich freies Land erreichen?" fragte sie.

"Jetzt bald, Madame. Die nächste Station ist Riashgar, 6000 km südwestlich und bis dahin wird es fast nichts als freies Land geben: Savanne und Halbwüste."

Sie fuhren weiter. Die Stadtlandschaft hörte auf und wurde von öder Wildnis abgelöst.

Piquet fühlte die enorme Beschleunigung des Zuges, die bald schon verhinderte, daß man durch das Fenster Einzelheiten erkennen konnte. Alles flog zu schnell am Auge vorbei, um es aufnehmen zu können, so sehr man sich auch bemühte.

"Die bewohnten Gebiete enden hier für eine längere Strecke", erklärte er. "Deshalb können hier höhere Geschwindigkeiten gefahren werden."

"Südlich der Stadt-des-Monuments soll es sehr gefährlich sein", erzählte sie ihm dann unvermittelt. "Terroristen oder so etwas in der Richtung. Ich habe keine Ahnung, worum es dabei geht und im Touristik-Büro sagte man mir, es bestünde kein Grund zur Besorgnis. Wissen Sie etwas darüber, Monsieur?"

Piquet wußte, was sie meinte. Südwestlich der Stadt-des-Monuments und in der Gegend um die Provinzhauptstadt Dangash-Biadawi wurde gekämpft. Dort lagen die 'befreiten Gebiete' und Piquets Ziel.

Und wie Piquet es erwartet hatte, wußte die Frau von Neufrankreich so gut wie nichts über die politischen Strukturen Borovas.

"Borova ist eine Diktatur", sagte er vorsichtig. "Und wie viele Diktaturen produzieren sie am laufenden Band ihre eigenen Gegner."

"Ich weiß nicht viel über das hiesige politische System und es interessiert mich auch nur peripher. Soviel ich weiß, ist die Regierung mit Neufrankreich verbündet..."

Piquet lachte rauh und freudlos, worauf sie ihn mit einer Mischung aus Abscheu und Verwunderung betrachtete.

"Die Neufranzosen sind die schlimmsten Imperialisten des bekannten Universums!" stieß er hervor. "Borova besaß einmal eine eigenständige Nahrungsmittelproduktion und es gab sogar Ansätze zu einer leistungsfähigen und den Bedürfnissen  der Menschen hier angepaßten Konsumgüterindustrie. Aber die Neufranzosen zwang die Regierung zum öffnen des hiesigen Marktes für ihre eigenen Billigprodukte: Durch ungehemmtes Dumping wurde die hiesige Agrarwirtschaft und Industrie zerschlagen. Heute muß fast alles eingeführt werden, was natürlich die Gesundung der borovanischen Wirtschaft für lange Zeit verhindern wird. Sie verstehen?"

"Sie meinen, Neufrankreich ist daran Schuld, daß es hier nicht gerade zum besten steht."

"Ja. Und das nicht nur, was den ökonomischen Bereich angeht, sondern auch in Bezug auf das politische System hier: Die Regierung des General Waltari ist eine brutale Militärdiktatur, in der es keine bürgerlichen Freiheitsrechte, keine Vereinigungs- und Pressefreiheit gibt. Menschen, die anderen Sinnes als erlaubt sind, werden einfach abgeführt und festgehalten, manchmal unter ominösen Umständen zu Tode gebracht. Und die Leute, die man Ihnen als 'Terroristen' vorgestellt hat, sind Widerstandskämpfer, keine Verbrecher."

"Wenn das herrschende Regime tatsächlich so barbarisch sein sollte, wie Sie es beschrieben haben, was ich im übrigen stark bezweifeln möchte, Monsieur, dann kann ich allerdings nicht glauben, daß Neufrankreich eine derartige Regierung stützen würde. Schließlich sind wir ein... ein zivilisierter Planet, wo Recht und Ordnung herrschen."

Piquet zuckte mit den Schultern und lächelte über die Naivität seiner Gesprächspartnerin.

"Neufrankreich braucht General Waltari, damit der Markt offen bleibt und hier Militärstützpunkte gegen die Chinesen errichtet werden können. Waltari hingegen wäre wohl kaum noch sehr lange an der Macht, wenn er nicht die Unterstützung der Neufranzosen hätte."

"Vergessen Sie nicht, Monsieur... Sie kommen auch von Neufrankreich!"

"Ich bin dort geboren, ja. Und ich habe den Großteil meines Lebens dort verbracht, ja. Aber bedeutet das etwas?"

"Und Ihre neufranzösische Kreditkarte, Monsieur? Oder haben Sie die auch abgelegt, als Sie hier her kamen?"

Das saß.

Da auf den technologisch fortgeschrittensten Planeten der Großteil der Arbeitsvorgänge automatisiert war, bestand kaum noch eine Notwendigkeit menschlicher Arbeit. Deshalb hatte man vom Arbeit-für-Lohn-Prinzip Abstand genommen und einen neuen Weg der Kaufkraftrückführung zum Konsumenten gewählt: Die Kreditkarte. Der Staat zahlte monatlich an jeden Bürger eine bestimmte Geldmenge aus, die mit der elektronischen Kreditkarte abgebucht und ausgegeben werden konnte. Eine Leuchtanzeige verriet auf Knopfdruck den jeweiligen Vermögensstand.

"Na?" Ihr Lächeln war beißend und Piquet fühlte die münzgroße Metallkarte, die er an der Kette um den Hals trug; fühlte die Kühle, die sich von dem Ding auf seine Haut übertrug  und fluchte innerlich.

Natürlich hatte er sie noch!

Die Kreditkarte verband ihn noch mit Neufrankreich, dem exzessiven Konsum, dem Imperialismus der 'zivilisierten' Planeten und all den anderen Dingen, die er ablehnte und hinter sich lassen wollte.

Sie war das Symbol für die Herrschaft des Geldes und er hatte es bis jetzt nicht fertig gebracht, dieses Symbol weg zu werfen und die Privilegien aufzugeben, die mit seinem Besitz in Verbindung standen.

Mit seinem neufranzösischen Paß war es dasselbe...

"Mal vorausgesetzt, es stimmt alles, was Sie sagen, Monsieur", setzte sein Gegenüber wieder an. "Dann profitieren auch Sie von diesen Ungerechtigkeiten und Verbrechen!"

Verdammt, sie hatte recht! Auch wenn sie ihre eigenen Gedanken nicht ernst nahm, diese Unterhaltung nur als ein Spiel betrachtete und in diesem Moment lediglich irgendeinem perversen Drang, Überlegenheit zu demonstrieren, befriedigte.

Sie hatte recht!

Und nur das zählte.

"Aber natürlich ist das alles ganz anders", meinte sie dann. "Unser Reichtum beruht keineswegs aud der Unterdrückung anderer, sondern auf überlegenes Wissen, überlegener Technologie und überlegener Kultur!"

Große Worte, dachte Piquet. Aber er hatte keine Lust mehr, die Diskussion fortzusetzen und schwieg daher.

Seine Kreditkarte war klebrig von Schweiß.

Solange das alte System herrscht, muß man sich ihm unterordnen, dachte er. Es hat keinen Sinn, so zu tun, als existiere es nicht. Damit hatte er den Besitz seiner Kreditkarte fürs erste ideologisch gerechtfertigt.

Sie lächelte plötzlich, nicht hämisch oder ätzend, nein, eher verwundert.

"Was sind Sie nur für ein Mensch, Monsieur..."

Er starte sie an und sie schüttelte den Kopf.

"Sie sind ein seltsamer Mann..."

Er antwortete nicht.

Verdammte hochnäsige Imperialistin! dachte er. Verdammtes Konsumkind! Verdammte Ignorantin! Aber was sollte es? Es lohnte die Aufregung nicht. Wirklich!

*

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ALS DIE BETEIGEUZE unterging erreichten sie Riashgar und hielten dort.

Polizisten stiegen ein und kontrollierten die Passagiere mit speziellen Detektoren. Wahrscheinlich nach Waffen.

Nicht mehr allzu weit, dachte Piquet.

Die Hälfte des Weges lag hinter ihm, allerdings die leichtere Hälfte.

Als er aus dem Fenster sah, bemerkte er wie Lasten auf Tierrücken gebunden wurden: Kamele und Esel, wie er wußte, die die Vorfahren der Nol-Ni-Bewohner von der Erde eingeführt hatten.

Solche primitiven Methoden des Gütertransports waren hier noch immer gebräuchlich und bildeten einen seltsamen Kontrast zu den modernen Verkehrsmitteln: Raumschiffe, Magnetbahn, Gleiter, Automobile, Eselsgespanne und Kamelkarawanen, das existierte hier alles nebeneinander und niemanden schien das zu stören.

Die Polizisten verließen die Bahn wieder und ein paar Passagiere stiegen zu, die vorher allerdings ebenfalls scharf kontrolliert worden waren.

"Ich weiß nicht, Monsieur, aber ich denke, daß es vielleicht ein Fehler war, hier her zu kommen..."

Piquet musterte sie etwas spöttisch.

"Haben Sie etwa Angst?"

Sie zuckte mit den Schultern. "Diese Polizisten... Die veranstalten diesen Rummel bestimmt nicht umsonst..."

"Vermutlich nicht, nein..."

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung und nach wenigen Minuten hatten sie freies Land erreicht, das immer mehr in Wüste überging. Draußen war es jetzt dunkel und im Zug waren die Lampen angegangen.

*

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ALS SIE DIE STADT-DES-Monuments erreichten, war es wieder hell. Ohne, daß es ihm so richtig bewußt geworden war, hatte er etwas geschlafen. Er hatte Hunger, aber es gab vorerst keine Möglichkeit für ihn, diesen zu stillen.

"Da wären wir", stellte sie fest und verabschiedete sich von ihm. Er nickte ihr beiläufig zu.

Sie nahm die wenigen Dinge, die sie mit sich führte und ging.

Piquet gähnte, warf einen Blick aus dem Fenster und raffte sich schließlich ebenfalls auf. Dieser Zug würde nicht in seine Richtung weiterfahren. Hier mußte er umsteigen.

Als er nach draußen trat, aus dem wohlgeschützten, klimatisierten Magnetwagen heraus in die trockene Hitze Nol-Nis, fielen ihm sofort die große Anzahl schwerbewaffneter Sicherheitskräfte auf, die auf den Bahnsteigen herumpatrouillierten. Die Blicke der Männer und Frauen, die hier ihren Dienst taten, zeigten einen Funken von Angst, wie Piquet zu erkennen glaubte.

Man spürt, daß es südwärts geht, dachte er. Man spürt die Nähe der Befreier an der Unsicherheit der Unterdrücker...

Er suchte den Informationsstand auf, um sich nach einer Anschlußverbindung nach Dangash-Biadawi zu erkundigen.

Der Mann am Schalter sah ihn verwundert an, als wäre es etwas ganz und gar verrücktes, dorthin zu wollen.

"Dangash-Biadawi?"

"Ja."

"Das liegt weiter im Süden, mein Herr. Fast 4000 Kilometer weiter im Süden."

"Ich weiß."

"Aber dort ist Krieg!"

Piquet zuckte mit den Schultern. "Schon möglich, aber ich möchte trotz allem dort hin."

"In einer Borova-Woche fährt der nächste Zug."

"So lange!" Piquet war empört.

"Ja. Die Magnetbahn steht zur Zeit vornehmlich den Sicherheitskräften zur Verfügung. Sie verstehen...?"

Piquet seufzte wütend.

"Und im übrigen", fuhr der Mann am Schalter fort, "würde ich Ihnen auch wirklich nicht empfehlen, dort hin zu fahren. Die Terroristen... Haben Sie nichts davon gehört?"

"In einer Woche also, sagten Sie." Piquet rechnete die Angaben des Beamten so rasch es ging in seine eigenen Zeitbegriffe um und nickte dann. "Gut. Und um wie viel Uhr?"

Der Schalterbeamte zuckte mit den Schultern und strich sich anschließend den kunstvoll gezwirbelten Schnurbart zurecht. "Das ist sehr verschieden..."

"Was heißt: 'Sehr verschieden'?"

"Sehr verschieden heißt sehr verschieden. Kann sein, daß er morgens schon fährt, kann sein, daß es bis zum späten Nachmittag dauert."

Piquet schwitzte. Seine Kleidung war für das heiße Klima dieser Breiten nicht geeignet - er sehnte sich in das gekühlte Innere eine Magnetbahnwagens zurück.

"Scheint hier ja ziemlich chaotisch zuzugehen", brummte er dem Schalterbeamten zu, aber der konnte nichts dafür und zuckte gleichmütig mit den Schultern.

*

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AUF DEM BAHNHOFSGELÄNDE befand sich auch eine Bank und so ließ er sich dort von seiner Kreditkarte einige Einheiten abbuchen und in einheimischen Banknoten auszahlen, da er fürchtete, daß hier nicht überall die technischen Einrichtungen zur Abwicklung bargeldlosen Zahlungsverkehrs vorhanden wären - was sich bestätigen sollte.

Außerdem wollte er nicht ständig als Andersweltler auffallen - es reichte, wenn man ihn hier für einen Mann aus dem Norden hielt, für einen Einwohner Vadrobos oder Neu Oulus vielleicht. Hier waren die Massen, deren Rechte er mit erkämpfen wollte. Er durfte sich nicht zu sehr von ihnen abheben, das hätte seinem Ethos widersprochen.

Als er den Bahnhof verließ und sich unmittelbar, Auge in Auge mit der vor Schmutz starrenden Großstadtkulisse konfrontiert sah, wurde ihm erst richtig bewußt, was für Abgründe zwischen Vadrobo, Port Borova und hier lagen. Die Zustände hier schienen jeder Beschreibung zu spotten und selbst die Städte im Norden Nol-Nis wirkten in Piquets Rückerinnerung zivilisiert, wenn man sie mit diesem Ort verglich. Aber Sankahar und Nolniabad hatte Piquet nur aus dem Fenster der Magnetbahn gesehen und das war etwas ganz anderes, als sich mittendrin zu befinden in einem dieser stinkenden Ameisenhaufen.

Piquet dachte an Grandville und La Ville Blanche und die anderen Städte auf Neufrankreich, die er kannte. Er dachte an Port Mars, wo er ebenfalls gewesen war und an Peking.

Er dachte sogar an Vadrobo und an Port Borova, die unwürdige Hauptstadt dieses Planeten.

Nein, überlegte er, dies ist wiedererstandenes Mittelalter!

Die unterschiedlich politisch-ökonomische Entwicklung in den verschiedenen Regionen Borovas hatte zu einem solchen Bild kultureller und wirtschaftlicher Hetorogenität geführt und Piquet war das alles auf einer theoretisch-abstrakten Ebene klar gewesen. Er hatte das alles gewußt - schließlich hatte er sich gründlich auf sein Hiersein vorbereitet - und doch...

Es hätte ihn nichts überraschen dürfen und trotzdem war er zutiefst schockiert.

Diese Menschen müßten ein noch weit stärkeres Interesse an der Revolution haben als die Leute aus dem Norden, dachte er.

Zweifelsohne erging es ihnen weitaus schlechter, litten sie mehr. Die Zentralregierung vernachlässigte sie und stempelte ihr Land zur Region zweiter Klasse. Hier war das Armenhaus Borovas!

Piquet sah bettelnde Kinder neben schwerbewaffneten Polizisten. Auch Invaliden bettelten. Keine moderne Organ-Substitution, keine medizinische Rehabilitierung - nichteinmal Fürsorge.

Verfallende Großbauten kontrastierten mit erbärmlichen Bretterbuden, in denen ganze Sippen dicht aufeinandergedrängt hausten.

Automobile, die auf Piquet einen barbarischen Eindruck machten, brausten über die Straßen und wirbelten Staub auf. Sie wechselten mit Fahrrädern, Handwagen, Rikschas, schwerbeladenen Kamelen und Eseln ab. Dazu schwirrten ganze Schwärme menschlicher Träger in diesem Gewühl herum.

Nichts war hier so billig wie der Mensch, aber es gab Dinge, die zu schwer für die schwachen Schultern dieser ausgemergelten Armen waren.

Alles schrie, alles wirbelte, alles stank und Piquet stand eine ganze Weile einfach nur so da, den Ein- und Ausgang zum durch Mauern eingegrenzten Bahnhofsgebäude im Rücken, das Gewimmel vor sich, und versuchte, in sich aufzunehmen und zu verarbeiten, was er sah.

Er sah ein paar Automobil-Taxis und Rikschas auf Kundschaft warten, machte einen Schritt und hielt dann doch wieder zögernd inne.

Wahrscheinlich sind die Dinger ohne Klimaanlage, kam es ihm in den Sinn.

Nur hatte er keine andere Wahl, wenn er von hier aus irgendwo hin wollte, ohne zu Fuß gehen zu müssen.

Also sprach er dann doch einen der Taxifahrer an (einen Riksch-Mann anzusprechen und sich von ihm herumziehen zu lassen, das hätte er einfach nicht über sich gebracht) und stieg bei ihm ein.

Piquet fragte nach einem Hotel mit Klimaanlage, denn er war einfach zu abgeschlagen und schwitzte zu sehr, um noch an irgendetwas anderes denken zu können, als an einen kühlen, dunklen Raum.

Die Augen schmerzten ihm von der Grelle der Sonne und seine Nase war an die penetranten Übelgerüche dieser Großstadt noch nicht lange genug gewöhnt, um sie nicht ständig mit voller Intensität wahrzunehmen.

Der Taxifahrer kannte eine Reihe von Hotels, darunter auch einige mit Klimaanlage.

"Sind Sie auch wegen des Monuments gekommen?" wollte der Fahrer dann anschließend wissen.

Und als Piquet nicht sogleich antwortete, fuhr er einfach fort: "Wissen Sie, eigentlich kommen sie alle wegen des Monuments. Es ist das einzig interessante Objekt im Umkreis von 10 000km. Es gibt keinen anderen Grund, um hier her zu kommen, wirklich..."

Piquet hörte ihm kaum zu.

*

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DANN HIELT DAS AUTOMOBIL und der Chauffeur deutete auf ein weißes, eher phantasieloses Gebäude, vor dessen Portal einige außerplanetarischen Pflanzen aufgestellt waren.

"Das ist ein Hotel, wie Sie es wünschen", meinte der Fahrer. "Voll klimatisiert."

Piquet wischte sich den Schweiß von der Stirn, bezahlte und stieg aus.

Es wird Zeit, daß ich mich klimagerechter kleide, überlegte er.