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Der neue Sonnenwinkel
– 21 –

Ich will dich nicht verlieren!

Eine Familie muss mit Herz und Liebe gelebt werden

Michaela Dornberg

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-623-6

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Was war das für ein Geräusch gewesen?

Professor Werner Auerbach lauschte angestrengt. Aber da war nichts mehr. Er hatte sich offensichtlich geirrt. Oder aber er hatte etwas hören wollen, weil die Stille im Haus unerträglich für ihn war.

Er war heimgekehrt wie immer, und wenn er ehrlich war, dann hatte er erwartet, dass man ihn begrüßen würde wie einen von einer langen Reise heimgekommenen Prinzen. So war es doch immer gewesen. Inge hatte sich gefreut, etwas Leckeres für ihn gekocht, und Pamela, das Nesthäkchen, war ihm lachend um den Hals gefallen.

Heute war es anders.

Von Inge keine Spur, sie hatte nichts gekocht, Pam war nur kurz hereingeschneit, hatte ihn kurz begrüßt und ihm gesagt, dass sie bei den Großeltern schlafen würde. Das hatte er bereits von seiner Schwiegermutter erfahren. Doch das wäre nicht nötig gewesen. Er war doch da.

Er hatte auch die bittere Wahrheit erfahren, dass Inge weggefahren war, nicht zu übersehen, mit einer kleinen Reisetasche.

Als wenn das nicht schon genug wäre, hatte ihm auch noch seine Tochter Ricky ganz gehörig die Leviten gelesen und hatte ihm vor Augen geführt, was für ein egoistischer Macho er doch war.

Und sie hatte ihm klar und deutlich gesagt, dass das längst überfällig gewesen war, sie habe sich schon gewundert, warum ihre Mutter nicht schon viel früher gegangen sei.

Dabei hatte er von ihr doch nur erfahren wollen, ob sie eine Ahnung hatte, wohin Inge gefahren sein könnte.

Werner Auerbach, der große Professor, war fix und fertig.

Inge gehörte zu seinem Leben!

Er liebte sie!

Gut, er hatte vielleicht ein wenig übertrieben, und er hätte, ganz wie versprochen, hin und wieder auch mal etwas mit seiner Frau unternehmen können. Doch er betrachtete sie doch nicht als so etwas wie eine unbezahlte Haushälterin. Was hatte Ricky sich eigentlich dabei gedacht, ihm so etwas an den Kopf zu werfen!

Es war schon bitter, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Das Bild, das er da sah, das gefiel ihm überhaupt nicht.

Wenn er nur wüsste, wohin sie gefahren war. So etwas passte nicht zu Inge. Sie war sein Fels in der Brandung, sie war das sichere Floß, auf dem er mit ihr zusammen durch das stürmischste, gefährlichste Wasser kam. Sie hatte ihm immer den Rücken freigehalten, sie war an seiner Seite gewesen, wenn er seine Verwirklichung an verschiedenen Orten in verschiedenen Ländern gesucht hatte. Sie hatte die Kinder erzogen, und wie prachtvoll sie alle geworden waren, auch Hannes, obschon der nicht den Weg eingeschlagen hatte, den er sich für diesen Sohn gewünscht hatte. Aber sie waren alle ehrliche Menschen geworden, die ihr Herz auf dem rechten Fleck hatten.

Inge … Inge … Inge … Wie blind war er eigentlich gewesen, nicht zu sehen, welch prachtvolle Frau er da an seiner Seite hatte?

Werner wurde von seinen Schuldgefühlen beinahe erdrückt, doch noch stärker war die Panik in ihm, sie könnte für immer gegangen sein.

Da war wieder ein Geräusch.

Diesmal hatte er sich nicht geirrt.

Ein Einbrecher?

Die kamen doch nicht, wenn jemand sich im Haus befand, oder? Wenn man allerdings den Medien Glauben schenken durfte, da nahmen einige von diesen Verbrechern darauf keine Rücksicht, im Gegenteil. Die quälten ihre Opfer, um Geheimverstecke für Geld, Gold und Schmuck zu erfahren. Und manchen gab es auch feinen Kick, die Angst in den Augen ihrer Opfer zu sehen.

Du liebe Güte, wohin verirrten sich denn seine Gedanken?

Der Professor war wirklich vollkommen durcheinander, so sehr, dass er seinem gesunden Menschenverstand nicht mehr vertraute.

Werner Auerbach stand auf, schob geräuschvoll seinen Stuhl zurück, als könne das einen Einbrecher abschrecken und zur Flucht veranlassen, dann ging er in die Diele, denn von dorther war das Geräusch eindeutig gekommen. Er machte das Licht an, und dann blieb er für einen Augenblick vollkommen überrascht stehen, ganz so, als sähe er einen Geist. Dann jedoch kam Leben in ihn.

»Inge, mein Herz, warum stehst du denn im Dunklen da?«, rief er.

Es war wirklich Inge Auerbach, die da stand, stumm, mit der Reisetasche in der Hand, beinahe so, als wisse sie nicht, was sie tun solle.

Seine Überraschung hielt nur kurz an. Zeit für Erklärungen war jetzt nicht notwendig. Es gab nur eines, was jetzt zählte … Seine Inge war wieder da!

Werner hätte nicht zu sagen gewusst, wann er sich zum letzten Mal so sehr, so aufrichtig gefreut hatte.

Er rannte auf seine Frau zu, nahm ihr die Tasche aus der Hand, ließ sie achtlos zu Boden gleiten. Dann umarmte er sie wie ein Ertrinkender, der im allerletzten Moment das rettende Ufer erreicht hatte.

»Inge, Inge, mein Liebes …«

Er, der wortgewandte, stets souveräne Professor, war nicht in der Lage, mehr als immer wieder diese Worte zu stammeln. Er verstärkte den Druck seiner Arme so sehr, dass Inge kaum noch Luft bekam und aufstöhnte.

»Entschuldige, mein Herz.«

Er ließ sie los, starrte sie an, als habe er sie noch nie zuvor gesehen. Inge wusste nicht, was plötzlich mit ihrem Mann los war.

Er nahm sie bei der Hand, führte sie in die Küche, schob ihr einen Stuhl zurecht. Er blieb für einen Augenblick stehen, sah sie an, voller Liebe, in seinem Gesicht spiegelten sich die widerstreitendsten Gefühle wider.

Was war mit Werner los?

Ehe Inge ihm eine Frage stellen konnte, setzte er sich, und dann sprudelte es aus ihm nur so heraus. Er sprach von seiner Heimkehr, dem unangenehmen Gefühl, niemanden vorgefunden zu haben. Er erzählte von seinem Besuch nebenan, dass Pamela ihn kaum begrüßt hatte. Er ließ nicht aus, dass Ricky ihm vor Augen geführt hatte, dass er sich unmöglich und sehr egoistisch verhielt.

»Inge, ich hatte plötzlich riesige Angst, ich kann nicht ohne dich sein, du bist mein Leben …, ich … ich habe eine Einladung nach Oslo, auf die ich wirklich sehr gewartet habe, einfach zerrissen. Ich werde endlich mein Versprechen halten und mehr für dich da sein, denn du bist für mich das Wichtigste auf der ganzen Welt, die … die Blumen dort drüben, die sind für dich. Die Vase passt nicht so richtig, aber ich habe keine andere gefunden … Inge … Liebes, so sag doch was.«

Wie sollte sie denn etwas sagen, da er doch die ganze Zeit über redete?

Außerdem musste sie sich erst mal von der Überraschung erholen, was Werner ihr da alles erzählt hatte.

Er deutete ihr Schweigen falsch.

»Ich weiß, dass ich viele Fehler gemacht habe. Und ich bitte dich, verzeih mir. Ich will alles gutmachen. Aber bitte, bleib bei mir. Warum bist du überhaupt gegangen? Weil ich dir per Mail mitgeteilt habe, dass ich einen Tag länger bleiben werde? Und warum bist du zurückgekommen? Ich meine, es macht mich überglücklich, aber …«

Sie unterbrach ihn einfach.

»Werner, bei uns läuft schon lange etwas schief. Ich wollte es nur nicht wahrhaben, ich habe es immer verdrängt. Du hast dein Ding gemacht, ich habe funktioniert. Du hast kein einziges Versprechen gehalten, und du glaubtest, mit einem Blumenstrauß vom Flughafen sei alles wieder in Ordnung. Wer weiß, vermutlich hätte ich es weiter mitgemacht. Aber heute habe ich Rickys neuen Mieter kennengelernt, dieser Doktor Bredenbrock ist ein sehr angenehmer Mensch, und …«

Diesmal unterbrach er sie.

»Und in den hast du dich verliebt, mit dem wolltest du durchbrennen?«, erkundigte er sich eifersüchtig.

War man nicht eifersüchtig aus Liebe?

Inge war beinahe geneigt, sich zu freuen, doch dann wurde ihr bewusst, dass Werner bloß Angst hatte, an seinem bequemen, komfortablen Leben könnte sich etwas ändern.

»Rede keinen Unsinn«, sagte sie unwirsch, »nein, dieser Mann ist ein alleinerziehender Vater, er hat eine Tochter und einen Sohn. Und mit denen zieht er hierher, weil er glaubt, sein Leben und das der Kinder dann besser in den Griff zu bekommen als in der Großstadt. Er hatte eine ähnliche Position wie Fabian, die hat er aufgegeben. Er wird am Hohenborner Gymnasium als Lehrer arbeiten. Seine Frau hat ihn übrigens verlassen, weil sie sich an der Seite eines jüngeren Musikers verwirklichen wollte, ohne Rücksicht auf Mann und Kinder.«

Sie stand auf, holte sich ein Glas Mineralwasser, trank etwas, setzte sich wieder.

»Werner, diese Frau hat mich an dich erinnert. Du hast mich und die Kinder nicht wegen einer anderen Frau verlassen, doch du machst rücksichtslos dein Ding, du verreist, ohne es vorher mit mir abzusprechen. Du stellst mich einfach vor vollendete Tatsachen, und wenn du in deinem Arbeitszimmer bist, dann müssen wir mehr oder weniger auf Zehenspitzen durchs Haus laufen. Jetzt sind nur noch Pamela und ich hier, aber früher war das nervig und auch eine Zumutung für die Kinder.«

Es stimmte!

Er konnte ihr nicht einmal widersprechen!

Es war so im Hause Auerbach, und so war es immer gewesen. Wenn ihm etwas wichtig war, dann setzte er es durch. Und in der Vergangenheit war es auch vorgekommen, dass Inge sich auf einen Opernabend gefreut hatte, den er absagen musste, weil ihm etwas wichtiger erschienen war. Nicht absagen musste, korrigierte er sich sofort. Er hatte es aus rein egoistischen Gründen getan.

Was war er bloß für ein schrecklicher Mensch!

Er blickte sie beinahe Hilfe suchend an.

»Ich werde mich ändern, wirklich, und diesmal sage ich es nicht nur so daher, sondern ich meine es so.«

Sie antwortete nicht, und ihr Schweigen war für ihn schlimmer, als wenn sie jetzt eine Szene gemacht hätte.

Bei Krächen und heftigen Szenen erschöpfte man sich, war emotional so bewegt, dass man nicht mehr klar denken konnte. Es war für den anderen dann ein leichtes Spiel.

Inge blickte ihren Mann an, dann sagte sie leise: »Werner, solche Worte habe ich bereits unzählige Male gehört, und du hast nie etwas geändert.«

»Diesmal ist es anders«, beteuerte er.

Sie schüttelte den Kopf.

»Werner … Worte …, die will ich nicht mehr hören, beweise es. Die Begegnung mit Doktor Bredenbrock hat mir die Augen geöffnet. Mir wurde dann allerdings beizeiten klar, dass es überhaupt nichts bringt, davonzulaufen. Wir sind schließlich keine Teenies, die in der Flucht den Ausweg sehen. Nein, Werner. Ich bin zurückgekommen, weil ich mit dir eine Lösung der Probleme finden will. Wenn man so viele Jahre wie wir verheiratet ist, wenn man gemeinsame Kinder, ja sogar bereits Enkelkinder hat, da beendet man nicht das, das die meiste Zeit des Lebens ausmacht. Ich hätte früher etwas sagen müssen, ich hätte früher die Notbremse ziehen müssen.«

Sie trank etwas von ihrem Mineralwasser, stellte das Glas ab, blickte ihn erneut an.

»Werner, ich liebe dich, ich möchte weiterhin hier mit dir leben.«

Er atmete insgeheim auf.

»Inge, du bist doch auch mein Leben, ich liebe dich ebenfalls, kann ohne dich nicht sein. Es wird sich wirklich alles ändern. Aber sag mal, sollen wir jetzt nicht ein Glas Wein zusammen trinken? Außerdem …, ehrlich gesagt, habe ich Hunger, ich habe nur ein Käsebrot gegessen, das ist herzlich wenig, nicht wahr?«

Das konnte jetzt nicht wahr sein.

Er hatte nichts begriffen.

»Werner, glaubst du, dass ein Lippenbekenntnis genügt? Da muss mehr kommen, da musst du erst einmal beweisen, dass es dir wirklich ernst ist. Übrigens, ich werde erst einmal im Gästezimmer schlafen, und essen …, im Kühlschrank findest du auch noch Wurst. Es ist genügend Brot da. Wenn ich weiß, dass du daheim bist, werde ich natürlich auch wieder kochen. Für heute muss dir das reichen, was vorhanden ist.«

Sie stand auf.

»Inge, du kannst doch jetzt nicht einfach gehen. Was soll das mit dem Gästezimmer. Was sollen die Leute denken?«

Jetzt hätte sie beinahe gelacht.

»Die Leute blicken nicht in unser Schlafzimmer, im Übrigen schlafen viele Eheleute aus vielerlei Gründen getrennt. Ich werde es nicht an die große Glocke hängen, und warum soll Pamela nicht die Wahrheit erfahren? Aus der Vergangenheit müssen wir lernen, ich werde nicht noch einmal den Kopf in den Sand stecken, weil ich zu feige bin, die Wahrheit auszusprechen.«

»Inge, was hast du dir dabei gedacht. Da mache ich doch nicht mit.«

»Werner, es kommt nicht auf dich an, nicht darauf, was du willst oder nicht. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass unsere Ehe das wird, was sie sein soll, nämlich eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Du hast dich lange genug selbst verwirklicht, das ist vorbei. Und, Werner, es ist mir ernst damit.«

Sie wandte sich ab, er wollte sie zurückhalten, doch ihm fielen keine Worte ein, mit denen er sie überzeugen konnte.

Im Freundes-, im Kollegenkreis hatte er leider viele Ehen scheitern sehen. Für ihn selbst wäre allein schon ein solcher Gedanke undenkbar gewesen, seine Inge, die war fest an seiner Seite.

Klar, das war sie auch. Und sie wollte auch an seiner Seite bleiben. Die Bedingungen hatten sich verändert. Und wenn er ehrlich war, dann hatte er großes Glück gehabt, dass er so viele Jahre lang sein eigenes Ding machen konnte.

Professor Auerbach war ratlos. Er, der für alles Lösungen hatte, fand keine für sein Privatleben. Das war ja auch nicht nötig gewesen. Es hatte auf seine Weise bestens funktioniert.

Kein gemeinsames Schlafzimmer mehr …

Werner Auerbach graute es davor, sich allein in das große Doppelbett legen zu müssen. Wie angenehm war es doch immer gewesen, Inge neben sich zu wissen, ihre Atemzüge zu hören …

Warum war er bloß diesen Tag länger geblieben und hatte dadurch eine Katastrophe ausgelöst. Wenn es sich wenigstens gelohnt hätte. Es war nicht wichtig gewesen, es hatte nur seine Eitelkeit befriedigt. Er hatte sich darin gesonnt, wie toll man ihn doch fand.

Wie hieß es doch?

Ja, richtig: »Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.«

Es war eine bittere Erkenntnis, doch die brachte ihn nicht weiter. Würden sie die Scherben wieder zusammenfügen können?

Ihm dämmerte die Erkenntnis, dass er dann jedoch etwas ändern musste, und das nicht nur verbal. Das hatte Inge klar und deutlich ausgesprochen.

Er ging in sein Arbeitszimmer, holte seinen Terminkalender heraus, und dann begann er zu streichen. Es war eine ganze Menge, und ihm wurde klar, dass er wirklich mehr unterwegs gewesen war als daheim, und dass er es so auch für die Zukunft geplant hatte.

Er hatte sein Leben nach seinen eigenen Bedürfnissen ausgerichtet!

Es war wirklich sehr bitter, das jetzt einzusehen. Er bekam ein schlechtes Gewissen, denn die meisten Reisen waren in keiner Weise notwendig gewesen. Er war beruflich und auf seiner Karriereleiter ganz oben angekommen, höher ging nicht. Alles, was er gemacht hatte, war meistens nicht mehr als nur Vergnügen gewesen.

Es musste etwas geschehen, und er musste anfangen, umzudenken, von dem ICH hin zum WIR.

Er war kein Alkoholiker, aber jetzt brauchte Werner Auerbach noch einen Whisky, am besten einen doppelten.

*

Inge Auerbach stand noch ein wenig neben sich, als sie langsam die Treppe nach oben ging. Sie war erstaunt über sich selbst, denn das, was sich da unten zugetragen hatte, davon war nichts geplant gewesen.

An diesem Tag war alles nicht geplant gewesen, zuerst war da Dr. Bredenbrock mit seinen Kindern aufgetaucht. Inge hatte schon vorher gewusst, dass er alleinerziehend war, weil seine Frau ihn verlassen hatte, um sich an der Seite eines jüngeren Musikers zu verwirklichen.