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Illustrationen: iStockphoto: JFalcetti: 21; Shutterstock: Andrea Danti: 18, 51; Blamb: 161; decade3d - anatomy online: 157; ForeverLee: 27; Robert Kneschke: 31; Sebastian Kaulitzki: 48; udaix: 15

Illustration S. 28 aus PROMETHEUS Kopf, Hals und Neuroanatomie. Erik Schulte, Udo Schumacher, Michael Schünke. 3. Auflage, S. 78/Abb. B. Mit freundlicher Genehmigung der Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2015 Illustrationen S. 33 aus Anatomy Trains – Myofascial Meridians for Manual and Movement Therapists. Thomas W. Myers. 3. Auflage, S. 184/Abb. 9.1. Mit freundlicher Genehmigung von Churchill Livingstone/Elsevier, 2014

ePub by Konvertus

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0005-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0004-8

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INHALT

Wie jeder selbst etwas gegen CMD tun kann

Wie sich Kieferprobleme auf den Körper auswirken können

Wer ist betroffen?

Wie entsteht eine CMD?

Symptome und Spätfolgen der CMD

Das craniosacrale System

Ursachen und Einflussfaktoren der CMD

Experteninterview – Blickwinkel der ganzheitlichen Zahnmedizin

Unser Kausystem unter der Lupe

Die Bestandteile des Kausystems

Das Zusammenspiel von Kiefergelenk und Co

Wie sich Störungen des Kiefers auswirken

Die CMD erkennen und behandeln

Hilfestellungen zur Selbstabschätzung

Befragung zu wichtigen Indizien für eine CMD

Sichtbare Anzeichen – schauen Sie sich an!

Selbsttest der Strukturen und Funktionen

Gesamtauswertung aller drei Tests

Untersuchungen beim Arzt und Therapeuten

Experteninterview – Blickwinkel der ganzheitlichen Zahnmedizin

Grundsätzliches zur Therapie einer CMD

Ärztliche und therapeutische Verfahren

Experteninterview – Blickwinkel der ganzheitlichen Zahnmedizin

Mit Lebensstilveränderungen der CMD entgegenwirken

Erinnerungshilfen für mehr Umsetzungserfolg

Guter Umgang mit Stress

Kurzentspannung bei CMD

Die richtige Körperhaltung

Bewegung ist Belebung

Erholsamer Schlaf

Bewusste Atmung

Optimale Zahngesundheit

Experteninterview – Blickwinkel der ganzheitlichen Zahnmedizin

Auf die Ernährung achten

Effektive Übungen zur Selbstbehandlung einer CMD

So erstellen Sie sich Ihr Übungsprogramm

Beispiel für ein Dreimonatsprogramm

Warm-up für Muskeln und Gelenke

Übungen zur Mobilisation

Selbstmassage für Muskeln und Faszien

Oberflächliche und tiefe Kaumuskulatur lösen

Verspannungen im Mundraum lösen

Halsmuskulatur lösen

Übungen mit der Zunge

Übungen zur Muskelverlängerung

Oberflächliche und tiefe Kaumuskulatur umtrainieren

Hals-Nacken-Muskulatur umtrainieren

Harte Strukturen behandeln

Visualisierungsübungen

Nerven regulieren

Reflexpunkte mit Akupressur stimulieren

Autorenvita

Dank

Weiterführende Websites

Sachregister

Übungsregister

Wie jeder selbst etwas gegen CMD tun kann

Viele meiner Patienten kommen mit vermeintlich unerklärlichen Schmerzen zu mir, nachdem auch etliche Untersuchungen und Behandlungen bei verschiedensten Ärzten keine Klarheit gebracht haben, was die Ursache der Beschwerden ist. Die Leiden sind vielfältig – Hüft-, Rücken-, Nacken- und Kopfschmerzen stehen im Vordergrund, aber auch ein Tinnitus ist durchaus häufig.

Wenn ich als ganzheitlicher Schmerztherapeut und Gesundheitscoach diese Patienten untersuche, sind in fast allen Fällen Verkürzungen, Verhärtungen und Spannungsungleichgewichte im Muskel-Faszien-Gewebe zu finden, die zum Großteil auch für die jeweiligen Symptome verantwortlich sind. Leider werden derartige Gewebeveränderungen bis heute nur von einer sehr überschaubaren Anzahl spezialisierter Ärzte und Therapeuten erkannt beziehungsweise beachtet und entsprechend behandelt.

Bei Patienten, die nach langer Leidensgeschichte bei mir Hilfe suchen, stelle ich sehr oft fest, dass die Betroffenen eine Störung im Kieferbereich haben – die sogenannte craniomandibuläre Dysfunktion, kurz CMD. Meist ist den Patienten diese Problematik überhaupt nicht bewusst, geschweige denn, dass sie beispielsweise ihre Rückenschmerzen auf diese Kauapparatsstörung zurückführen würden.

Insofern freue ich mich für Sie, liebe Leserin und Leser, dass Sie in Sachen CMD bereits eine Spur haben, denn Sie halten ja dieses Buch hier in den Händen. Auch wenn sicherlich nicht alles auf das Kiefersystem geschoben werden kann, wird die CMD mit ihren Auswirkungen mittlerweile sowohl in Fachzeitschriften als auch in der Publikumspresse als »Volkskrankheit« bezeichnet. Die gute Nachricht in diesem Kontext ist aber immerhin, dass viele der CMD-Behandlungstechniken von Patienten sehr gut selbst durchgeführt werden können. Nicht immer können diese Maßnahmen die Therapie ersetzen, aber auf jeden Fall ist es sinnvoll, sie therapieunterstützend anzuwenden.

Der Großteil meiner Patienten möchte tatsächlich auch Übungen und Anleitungen für Maßnahmen im Alltag haben, denn die Möglichkeit der Selbstbehandlung bedeutet gleichzeitig, die Kontrolle über die Beschwerden zurückzugewinnen. Aus dieser Erfahrung heraus habe ich diesen Ratgeber geschrieben. Dieser soll von CMD betroffenen Menschen helfen, ihre Kompetenz in Sachen CMD auszubauen – sowohl was das Verständnis als auch das praktische Tun anbelangt

Nun ist es mir bei meiner Arbeit enorm wichtig, nicht isoliert symptomspezifisch zu arbeiten, sondern den Menschen als Ganzes zu betrachten und die Therapie über unterschiedliche Fachdisziplinen ganzheitlich auszurichten. Diesem Leitbild folgt auch dieser Ratgeber. Im Idealfall haben Sie am Ende des Buches viele verschiedene Übungen und Alltagsveränderungen ausprobiert und wissen, welche Übungen gerade bei Ihren speziellen Beschwerden am besten helfen. Auf der Basis dieses Wissens haben Sie sich dann einen eigenen Maßnahmenplan zusammengestellt, wobei es in diesem nicht nur um körperliche Verbindungen geht, sondern auch um die Zusammenhänge zwischen Körper, Geist und Seele.

Es würde mich sehr freuen, wenn dieses Buch Ihnen viele neue und wertvolle Impulse im Umgang mit der CMD gibt. Die Unterstützung durch Ärzte und Therapeuten ist wichtig und richtig, keine Frage. Aber den größten Einfluss auf seine Gesundheit hat nun mal jeder selbst. Jeder muss seinen individuellen Weg finden, wie er mit Beschwerden umgeht und was er gegen sie tut. Und letztendlich kann nur jeder Einzelne diesen gewählten Weg dann gehen. Zur weiteren Hilfestellung habe ich exklusiv für Sie als Leser dieses Buches unter www.DrPfitzer.de/cmd eine kostenlose Onlineplattform eingerichtet. Sie können dort beispielsweise Vorlagen für Ihre Übungspläne und Lebensstilumstellungen sowie die Checkliste »17 Tipps für einen entspannten Kiefer im Alltag« herunterladen und ausdrucken, finden Gutscheincodes und ergänzende Informationen, die den Rahmen dieses Buches gesprengt hätten.

Ich wünsche Ihnen viele gute Erkenntnisse und spürbare Erfolge bei der Umsetzung!

Ihr

Torsten Pfitzer

»Wer glaubt, keine Zeit für seine Gesundheit zu haben, wird früher oder später Zeit für seine Krankheit haben müssen. Wofür entscheidest du dich?«

Sprichwort aus China

WIE SICH KIEFERPROBLEME AUF DEN KÖRPER AUSWIRKEN KÖNNEN

Die craniomandibuläre Dysfunktion, kurz CMD, ist ein sehr vielschichtiges und komplexes Geschehen mit einer Vielzahl spürbarer Beschwerden, die weit über Zähneknirschen oder Kieferknacken hinausgehen. Letztlich können Symptome in Körperregionen auftreten, die vom Kauapparat weit entfernt liegen. Das folgende Kapitel gibt Ihnen einen Überblick, welche Symptome bei einer CMD auftreten können.

Wer ist betroffen?

CMD steht für craniomandibuläre Dysfunktion. Wie relativ üblich in der Medizin, werden Beschwerden, bei denen nicht 100 Prozent klar ist, was sich wirklich ursächlich dahinter verbirgt, als »Dysfunktion« einer Struktur beschrieben oder als »Syndrom« zusammengefasst. So ist es auch hier. Insofern beschreibt die Bezeichnung streng genommen lediglich eine Funktionsstörung zwischen Cranium, dem lateinischen Wort für Schädel, und der Mandibula, dem Unterkiefer. Diese craniomandibulären Verbindungen sind also ganz einfach unsere Kiefergelenke. So erklärt, hört sich craniomandibuläre Dysfunktion fast schon nach einer lapidaren Problematik an, doch es wäre ein fataler Irrtum, dies so zu sehen.

Es ist zwar relativ schwierig, einheitliche Zahlen zur Häufigkeit der CMD in Deutschland zu finden, aber eines ist sicher: Von CMD betroffen zu sein ist ein vielfach geteiltes Schicksal. Vermutlich liegt die Zahl irgendwo zwischen 7 und 16 Millionen, wobei man von einer ziemlich hohen Dunkelziffer nicht diagnostizierter Personen ausgehen kann. Die Gesellschaft für Zahngesundheit, Funktion und Ästhetik (GZFA) geht davon aus, dass mittlerweile mindestens 20 Prozent der Bevölkerung von behandlungsbedürftigen CMD-Symptomen betroffen sind. Gut ein Drittel knirscht und presst nachts mit den Zähnen, was Funktionsstörungen im Kausystem auslösen oder sogar verstärken kann.

Beschwerdefreiheit als Ausnahme

Manche Erhebungen deuten darauf hin, dass in Deutschland bis zu knapp 80 Prozent der CMD-Patienten an schmerzhaften Beschwerden, wie beispielsweise Kopf- oder Schulterschmerzen, leiden. Diesen Zahlen nach ist es also sogar nur einem kleinen Anteil vergönnt, ohne unangenehme Folgen mit ihrer CMD zu leben.

Besonders oft trifft es Frauen

Auch wenn es eigentlich wenig tröstlich ist: Als Frau mit CMD befinden Sie sich zumindest in zahlreicher Gesellschaft. Denn wie in internationalen Studien gezeigt werden konnte, ist die Zahl der Frauen mit einer Fehlregulation im Kausystem signifikant höher als die der Männer. Die Floskel »geteiltes Leid ist halbes Leid« lässt sich in diesem Fall wohl leider schwer anwenden. Allerdings finden Frauen immerhin schneller eine weibliche Mitstreiterin, wenn sie nach einer gleichgeschlechtlichen Unterstützung für einen Maßnahmenplan in Sachen CMD suchen. Tatsächlich ist es enorm hilfreich, wenn Sie bei Übungen und gegebenenfalls bei Veränderungen im Lebensstil jemanden haben, um sich gegenseitig zu begleiten, zu unterstützen und zu motivieren.

Laut dem Statistikportal Statista gibt es bei Seniorinnen und Senioren ein überdurchschnittliches Auftreten von Kiefergelenkreiben und Druckschmerzen im Kiefergelenk bei Berührung. Auch Einschränkungen in der Unterkieferbeweglichkeit sind ein häufigeres Problem älterer Menschen. Interessant ist allerdings, dass trotz der Zunahme der klinischen Befunde die subjektiven Beeinträchtigungen bei den Seniorinnen und Senioren nicht zunehmen. Man geht heute davon aus, dass mit zunehmendem Alter die Anpassungsfähigkeit des Kausystems ansteigt und die älteren Patientinnen und Patienten eine höhere Toleranz im Bereich der Muskel- oder Kiefergelenkfunktion aufweisen.

Wie entsteht eine CMD?

Tatsächlich gleicht die Ursachensuche bei der CMD einer Detektivarbeit, denn die Fehlregulation kann alle direkt oder indirekt am Kauapparat beteiligten Strukturen umfassen. Die Funktionsstörung kann in den Kiefergelenkstrukturen selbst, durch den Aufbiss der Zähne (Okklusion) oder – relativ häufig – in der Kaumuskulatur entstehen. Doch damit nicht genug. Auch Haltungsabweichungen weiter unten liegender Körperbereiche, wie der gesamten Wirbelsäule oder des Beckens, können verantwortlich sein. Letztlich umfasst der Bereich, in dem die Ursachen der CMD liegen können, den gesamten Körper bis hinunter zu den Füßen. Häufig ist auch ein Zusammenspiel unterschiedlicher Störfaktoren für die Beschwerden verantwortlich, wobei gerade dieses gegenseitige Anstacheln ein wahrer Teufelskreis ist, der letztendlich die wahre Ursache chamäleonartig verschleiert. Entsprechend dem ursächlichen Entstehungsort wird die Situation entweder als ab- oder aufsteigend bezeichnet.

Absteigend ist die Bezeichnung, wenn der Auslöser der Beschwerden oben im Kausystem, also den Kaumuskeln, den Kiefergelenken oder dem Aufbiss, liegt und sich auf untere Körperbereiche auswirkt. Interessant ist, dass sich das Leben dieser Menschen meist auch mehr im oberen Körperbereich, nämlich im Kopf, abspielt. Das heißt, sie sind eher Denker und Sprecher.

Aufsteigend ist die Bezeichnung, wenn der Ursprung aus anderen, oft tiefer liegenden Strukturen, wie beispielsweise einer Halswirbelsäulenblockade oder einem Beckenschiefstand, herrührt und diese folglich die Störung im Kausystem bedingt. Bei diesen Personen stehen meist auch eher die unteren Körperbereiche im Vordergrund, die Bewegung ins Leben bringen. Sie sind Macher.

Symptome und Spätfolgen der CMD

Aufgrund der weitreichenden Verknüpfungen bleibt eine CMD oft unerkannt. Oder schlimmer: Es werden zwar Kiefergelenkstörungen festgestellt, die jedoch unbeachtet bleiben, da sie nicht mit den Beschwerden in häufig auch entfernter liegenden Körperstrukturen in Zusammenhang gebracht werden. Eine Auswahl typischer CMD-Symptome finden Sie in der Abbildung.

Dies sind typische Symptome und Beschwerden, hinter denen sich ursächlich eine CMD verbergen kann.

Wenn in solchen Fällen eine CMD zugrunde liegt, diese aber übersehen, unzureichend behandelt oder sogar komplett ignoriert wird, so kann es über die Zeit zu Spätfolgen kommen. Diese können bis zu therapieresistenten, chronischen Multierkrankungen reichen, bei denen die Betroffenen dann eine jahrelange Ärzteodyssee durchlaufen, da keiner mehr eine Kauapparatsstörung als ursprünglichen Auslöser im Blick hat. Mögliche Spätfolgen und Langzeitauswirkungen sind beispielsweise:

Kiefergelenkarthrose mit Gelenksteifheit und eventuell Kiefergelenkarthritis

Zahnschäden durch starke Abnutzung des Zahnschmelzes (Abrasion)

Haltungsschäden wie Beckenschiefstand und Verkrümmungen der Wirbelsäule (Skoliose)

chronische Nacken-, Rücken- und Gelenkschmerzen bis hin zu Fibromyalgie

Bandscheibenvorfälle

Nervenreizungen (zum Beispiel Trigeminusneuralgie)

Karpaltunnelsyndrom

Organstörungen (zum Beispiel Verdauungs- und Herzfunktionsstörungen)

Abgeschlagenheit, Leistungs- und Konzentrationsabfall

Warum Betroffene selbst aktiv werden sollten

Grundsätzlich kann man sagen: Je länger ein gesundheitliches Problem besteht, desto länger wird die Lösung desgleichen dauern. Das können Sie sich wie in anderen Lebensbereichen vorstellen – schieben Sie ein Problem vor sich her, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es nach und nach zu mehr Verstrickungen kommt, das Problem immer größer wird und oft sogar noch weitere Probleme nach sich zieht. Nur selten hilft es, problematische Situationen im Leben einfach auszusitzen. Das gilt für die CMD umso mehr: Wer hier nicht bereit ist, auch eigenverantwortlich etwas an seiner Situation zu verändern, darf kaum mit Spontanheilungen rechnen. Vorbeugen beziehungsweise rechtzeitig handeln ist hier also ausgesprochen sinnvoll, um Langzeitauswirkungen auf die Gesundheit zu verhindern.

Glaubt man Untersuchungen, so sind 80 bis 90 Prozent der Beschwerden des Muskel-Skelett-Apparats durch Störungen der Schädel-Kreuzbein-Verbindung, des sogenannten craniosacralen Systems (Seite 14), verursacht. Und der Großteil dieser Störungen ist wiederum auf den Kauapparat zurückzuführen. Dies verdeutlicht den zunächst sicherlich unerwartet großen Einfluss dieses gemeinhin wenig beachteten Körperbereichs auf den gesamten Organismus und seine enorme Wichtigkeit.

Das craniosacrale System

Das craniosacrale System bezeichnet anatomisch die Verbindung vom Schädel (lateinisch Cranium) bis hinunter zum Kreuzbein (lateinisch Sacrum). Verbunden sind diese beiden knöcherigen Strukturen über einen faserigen Schlauch, die Rückenmarkshaut. Das ist eine das Rückenmark umgebende Verlängerung der Hirnhaut, die sowohl oben an der Schädelbasis als auch am oberen Halswirbel ansetzt, in der Wirbelsäule ohne weitere Verhaftungen nach unten verläuft und erst wieder am Kreuzbein befestigt ist. Innerhalb dieses Systems befindet sich die Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit, auch Liquor genannt, die das Nervengewebe mit wichtigen Botenstoffen zur Kommunikation des Körpers mit sich selbst umspült.

Der durch das sanfte Pulsieren dieser Flüssigkeit und die minimalen Bewegungen der 22 Schädelknochen entstehende Rhythmus wird in der Osteopathie »craniosacraler Rhythmus« genannt. Wie eine Welle breitet er sich im gesamten Organismus bis hin in jede Zelle des Körpers aus. Der craniosacrale Rhythmus ist bereits im Fötus vorhanden, weshalb er auch als primäre Atmung bezeichnet wird, im Vergleich zu unserer sekundären Atmung über die Lungen nach der Geburt. Interessanterweise ist er dann später bei unserem Ableben als allerletzte Funktion noch messbar. Dies macht deutlich, dass die Funktionalität des craniosacralen Systems erste Priorität für den Organismus hat, um die Verteilung der Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit mit ihren wichtigen Informationsträgern sicherzustellen. Da der craniosacrale Rhythmus also vom Beginn bis zum Ende des Lebens die fundamentale Funktion des Körpers aufrechterhält, nannte der Osteopath Dr. Sutherland ihn auch »breath of life«, also Lebensatem.